Kitabı oku: «Unendlich», sayfa 3

Yazı tipi:

Laut stieß ich die Luft aus. Eine kleine weiße Nebelwolke stieg vor mir auf. Ich hatte keine Lust. Ich wollte nicht hier sein. Und ich wollte wieder in mein Bett und mich selbst bemitleiden.

Milena hatte mich regelrecht dazu zwingen müssen, das Haus zu verlassen. Der Kopfschmerz saß noch immer dumpf hinter meinen Schläfen und mit Sicherheit hatte ich noch einiges an Restalkohol. Immerhin sah ich mittlerweile einigermaßen annehmbar aus und roch nicht mehr wie ein halber Schnapsladen, wie Milena es liebevoll ausgedrückt hatte. Ein Fortschritt, wie ich fand.

Seufzend drückte ich auf die Klingel. Es half ja doch alles nichts. Je schneller wir anfingen, desto schneller wäre es auch alles vorbei. Ich hoffte nur, dass dieser Benjamin keine komplette Pfeife war und wir schnell durchkommen würden. Gott, mein Kopf dröhnte noch immer so schlimm, dass ich mich kaum konzentrieren konnte. Und meine Gedanken schweiften noch immer alle paar Sekunden zu Konstantin ab. Naja, für ein bisschen einfache Oberstufen-Mathematik sollte mein Denkvermögen gerade noch ausreichen.

Die Tür vor mir öffnete sich. „Hey, du bist Joanna, richtig?“, begrüßte mich ein junger Mann und streckte mir die Hand entgegen.

„Ja, genau. Und du bist Benjamin?“ Ich ergriff seine Hand mit etwas Verzögerung. Der Restalkohol. Nicht seine Erscheinung.

Er lächelte. Ich schob es auf meine restlichen Promille, dass ich ihn ein bisschen zu lange musterte. Benjamin hatte ein kantiges Gesicht mit markanten Wangenknochen, die ihn deutlich älter aussehen ließen, als er es eigentlich sein musste. Am auffälligsten an ihm waren seine braunen Augen, die regelrecht strahlten vor Energie und Lebensfreude.

„Einfach nur Benny. Benjamin hat schon lange niemand mehr zu mir gesagt. Also, komm rein.“ Höflich ging er einen Schritt zur Seite und schloss dann gleich die Tür hinter mir. „Schuhe und Jacke kannst du einfach direkt hier hinstellen.“ Er deutete auf die Garderobe zu meiner Linken.

Ohne große Worte schlüpfte ich aus meinem Mantel. Neugierig schaute ich mich um. Das Haus der Winters vermittelte sofort den Eindruck von Wärme und Geborgenheit. Es war rein aus Holz gebaut und auch wenn ich es eigentlich nicht wollte, fühlte ich mich auf Anhieb wohl hier. Alles wirkte einladend und freundlich. Und das gefiel mir nicht. Ich wollte es hassen. Mein Vater sollte nicht Recht behalten, dass es mir vielleicht Spaß machen könnte, anderen etwas beizubringen. Er sollte nicht glauben, dass er in irgendeiner Weise an meinem Leben teilhaben könnte. Mein Vater kannte mich schon lange nicht mehr.

„Wir können gleich hier unten bleiben. Meine Mum und meine Schwester sind nicht da“, erklärte er und ging mir voraus den kurzen Gang hinunter in das offene Wohn- und Esszimmer. Zwei große Fenster gaben den Blick in den kleinen Garten frei. Das Haus war größer als ich es erwartet hatte und deutlich geräumiger als unser kleines Reihenhaus.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte Benny, während ich meine Sachen auf dem Esstisch ablegte. Er schien vorbereitet zu sein, wie ich mit einem Blick bemerkte. Einige Hefte und Bücher lagen schon dort. Eines davon aufgeschlagen. Das sprach für Motivation und für einen schnellen Feierabend. Gut so. Ich wollte nur nach Hause.

„Ein Wasser wäre toll, danke.“

Er ging in die angrenzende Küche, ich setzte mich derweil und holte mein Handy aus meiner Hosentasche heraus. Der Bildschirm blinkte auf. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Eine neue Nachricht. Von Konstantin. Mein Blick blieb an seinem Namen hängen. Wie oft hatte ich von diesem Augeblick geträumt und ihn herbeigesehnt? Immer in einem anderen Kontext. Ohne seine Freundin. Der Bildschirm wurde wieder dunkel bevor ich die Nachricht lesen konnte und Benny kehrte mit dem Wasser zurück.

„Danke.“ Ich nahm einen Schluck. Meine Gedanken waren wieder bei Konstantin. Ich konnte mich nur schwer darauf fokussieren, weshalb ich eigentlich hier war, während da diese ungelesene Nachricht von Konstantin auf meinem Handy war. In meinem ganzen Körper kribbelte es. Was wollte er nur von mir? Und warum jetzt? „Also… Mein Vater meinte, dass du Probleme mit Mathe hast?“

„Und mit Englisch, genau. Dein Dad hat meiner Mum wohl erzählt, dass du beides super kannst und daraus ist dann die Idee entstanden. Ich freue mich wirklich, dass es geklappt hat.“

„Mhm“, machte ich nur. Es interessierte mich nicht, wer die Idee dazu hatte. Fakt war, dass es irgendwie passiert war und ich aus der Nummer jetzt nicht mehr rauskam. Ich wollte wieder nach Hause oder wenigstens in Ruhe Konstantins Nachrichten lesen. In meinen Fingern kribbelte es geradezu und aus dem Augenwinkel linste ich immer wieder zu meinem Handy hinüber. Der Bildschirm blieb dunkel.

„Also, ich hab nächste Woche eine Matheklausur, bei der es sehr wichtig wäre, dass ich sie bestehe“, begann Benny.

„Nächste Woche schon?“ Ich zog zweifelnd die Augenbrauen zusammen. Am Rande meines Blickfeldes sah ich erneut den mein Handy aufblinken. Ich schielte zur Seite, um wenigstens einen Blick darauf zu erhaschen. Ob die Nachricht wieder von Konstantin war? Was er wohl von mir wollte? Immerhin hatte er es die ganze Zeit vorher auch nicht geschafft, sich bei mir zu melden. Woher hatte er überhaupt meine Nummer? Und warum hatte er sich nicht schon vorher bei mir gemeldet, wenn er sie doch hatte? „Ähm, was ist denn euer Thema?“

Wieder blinkte das Display meines Handys auf und dieses Mal konnte ich ganz deutlich seinen Namen erkennen. Ein schmerzhafter Knoten machte sich in meiner Magengegend breit. Mir wurde übel. Was wollte er nur von mir? Es war doch alles eindeutig gewesen gestern Abend. Wir hatten kein Wort miteinander gesprochen. Was gab es da noch zu klären? Die andere Frage war, ob ich seine Erklärungen überhaupt noch hören wollte. Milena meinte, ich solle Abstand nehmen und das Thema abhaken. Es gäbe noch so viele andere Kerle hier in der Stadt. Das Problem daran war nur, dass keiner von diesen anderen Konstantin war.

„Joanna?“

Erschrocken zuckte ich zusammen. „Tut mir leid, ich war gerade nur etwas…“

„…abgelenkt, ich sehe schon“, vervollständigte Benny meinen Satz und schaute ebenfalls zu meinem Handy hinüber, das schon wieder aufblinkte.

„Tut mir leid, es ist nur gerade etwas…“ Ich stockte. Was war es denn? Kompliziert? Eigentlich nicht. Es war eindeutig. Man könnte es vielleicht mit dezent beschissen umschreiben. Also für mich.

„Ich würde dir gerne einen Vorschlag machen, mit dem wir beide glücklich sein könnten.“ Benny verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

„Ach ja?“ Ich runzelte die Stirn. Wie wollte er mir bitte in meiner Situation weiterhelfen? Er war gefühlt noch ein Kind.

„Ich höre dir zu und wir sprechen über deine Probleme und dann hilfst du mir, die Klausur am Mittwoch zu bestehen, okay? Ganz ohne Ablenkung und ohne Handy. Bitte, ich bin wirklich schlecht in Mathe und brauche Hilfe.“

Ich brachte ein müdes Lächeln zustande. „Wie alt bist du nochmal?“

„Sechzehn.“

„Wie willst du mir da mit meinen Problemen weiterhelfen? Du hast von solchen Sachen keine Ahnung.“

„Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch noch gar nicht wirklich.“

„Das ist lieb von dir, aber…“ Ich schüttelte den Kopf.

„Dann probier es doch aus. Was ist das Schlimmste, das dir passieren könnte? Dass ich dir nicht weiterhelfen kann. Und selbst wenn das der Fall ist, dann hast du jetzt die Chance, dir alles von der Seele zu reden. Ich verurteile dich nicht dafür. Wie schon gesagt, wir kennen uns noch gar nicht.“

„Wer sagt, dass ich sonst niemandem habe, mit dem ich darüber reden könnte?“

„Das habe ich nicht gesagt. Manchmal tut es vielleicht gut, mit jemandem zu reden, der nicht involviert ist und einen neutralen Standpunkt hat.“

„Du vergisst, dass ich nicht du bin. Ich kann meine Probleme durchaus selbst lösen und brauche keine neutralen Menschen dafür, die mir Ratschläge geben. Aber danke“, fügte ich der Höflichkeit halber hinzu.

„Das habe ich auch nicht vor. Hast du es denn überhaupt schon einmal ausprobiert? Mit einem Außenstehenden zu sprechen?“ Er zog die Augenbrauen hoch.

„Nein. Ich habe meine Freunde, die für mich da sind“, gab ich zu und lehnte mich ebenfalls auf meinem Stuhl zurück. Mein Handy behielt ich weiterhin im Auge. Auf keinen Fall wollte ich es verpassen, wenn noch eine Nachricht kam. Vielleicht würde sie mein Leben verändern?

„Dann wäre es doch ein guter Zeitpunkt, um es auszuprobieren, oder? Ich kenne dich nicht, ich bin unvoreingenommen.“ Er lächelte. Es hatte etwas Vertrautes, als würden wir uns schon viel länger kennen. „Außerdem liegt mir wirklich viel daran, die Klausur zu bestehen. Daher wäre es schön, wenn du mir danach erklären kannst, was ich die ganze Zeit falsch mache.“

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht. Wir kennen uns nicht und…“ Ich suchte nach Ausreden, aber mir wollten keine mehr einfallen.

„Das muss nicht unbedingt etwas Negatives sein. Unter Umständen werden wir noch etwas mehr Zeit miteinander verbringen müssen. Natürlich zuammen mit meinen beiden besten Freunden Algebra und Englisch. Ich kann dir zuhören. Sieh es als Chance, nicht als Hindernis.“

„Okay. Ich verstehe.“ Ich nickte und schaute wieder zu meinem Handy, dessen Bildschirm jetzt schwarz blieb. Ich zögerte. Und warum ich dann doch anfing zu erzählen konnte ich gar nicht genau sagen. Wahrscheinlich eine Mischung aus meinen vernebelten Gedanken und Bennys Worten, die überraschend reif waren für einen Sechzehnjährigen. „Also… Es gibt da so einen Typen, auf den ich stehe. Seit einem Jahr oder so. Aber ich bin nie so richtig an ihn herangekommen. Naja und dann vor ein paar Tagen war da diese Party, auf der wir wirklich lange miteinander getanzt haben. Da dachte ich, dass eben mehr geht oder dass er Interesse an mir hat.“ Ich zögerte kurz. Ich war mir nicht sicher, wie viel Erfahrung Benny mit seinen süßen sechzehn Jahren schon hatte. „Und dann auf einem Treffen mit ein paar anderen Kommilitonen hat er dann seine Freundin mitgebracht. Und jetzt schreibt er mir Nachrichten.“

„Wie lange hat er die Freundin schon?“

„Keine Ahnung. Ich habe sie gestern das erste Mal gesehen.“

„Und wie kommst du darauf, dass er das gleiche möchte wie du? Oder hattet ihr während dieser ganzen Zeit Kontakt?“

„Nein.“ Ich schaute zu ihm auf. Sein Gesicht war neutral. Aufmerksam. Er hielt sein Wort. „Ich hatte seine Nummer nicht, ich weiß auch nicht, woher er jetzt meine hat. Wir waren in etwas anderen Cliquen unterwegs. Erst vor ein paar Wochen hat es angefangen, dass wir uns ein paar Mal in der Uni gesehen haben. Wir sind ja über 200 Leute in meinem Studiengang, da kennt nicht jeder jeden. Naja und dann haben wir eben immer wieder ein bisschen geflirtet. Und beim Tanzen hab ich auch deutlich gemerkt, dass er an mir interessiert ist.“

„Aber geredet habt ihr nicht miteinander?“

„Warst du jemals auf einer Party, auf der getanzt wird?“

„Tatsächlich nicht.“ Verlegen grinsend fuhr er sich durch seinen strubbeligen, hellbraunen Haare.

„Um es kurz zu machen, da ist es laut und du bist nicht da, um miteinander zu reden und tiefgründige Gespräche zu führen.“

„Und davor? Hast du ihm irgendwie gesagt, was Sache ist?“

„Spinnst du? Ich gehe doch nicht zu jemandem hin und sage ihm, dass ich ihn gut finde.“ Schockiert schaute ich ihn an, aber Benny blieb ganz ruhig. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper.

„Das ist Kommunikation, Joanna. Die soll manchmal ganz hilfreich sein.“ Der Anflug eines Lächelns schlich sich auf sein Gesicht, die einzige Mimik, die er zuließ.

„Aber warum hätte ich das tun sollen? Das ist doch komplett dumm.“

„Warum ist es das?“

„Weil er dann ja direkt alles weiß, da könnte ich mich ja auch mit einem großen Schild auf den Campus stellen. Das macht das alles einfach uninteressant.“

„Was ist dann nicht mehr interessant?“

„Na alles, der Flirt und die kleinen Spielereien. Das kann ich mir ja alles sparen, wenn ich direkt sage, dass ich jemanden toll finde.“

„Und was ist so toll an diesen Spielchen?“

„Hast du mir nicht zugehört? Das ist der Reiz einer neuen Bekanntschaft.“

„Doch, ich habe dir zugehört. Das ist auch der Grund, dass ich frage.“

„Dann hör auf damit, mir solche Fragen zu stellen.“

„Du wolltest doch meinen Ratschlag haben, oder?“

„Du hast mich mehr oder weniger dazu gezwungen.“

„Du bist darauf eingegangen.“

Ich schwieg. Und obwohl ich die Augen verdrehte, musste ich lächeln. Ein klein wenig. Es war, als hätte er einen Schalter in mir umgelegt. „Okay, du hast Recht. Aber lass dir das nicht zu Kopfe steigen. Das kriegst du bei Mathe dann alles doppelt zurück.“

„Damit kann ich leben“, lachte Benny. „Also. Was ist so toll daran?“

„Was ist dein Ratschlag, den du mir geben wolltest?“, stellte dieses Mal ich die Gegenfrage.

„Offen und ehrlich zu sein. Sag ihm, was dich beschäftigt und dass du Antworten möchtest, warum das so gelaufen ist. Wenn das Interesse wirklich beidseits da war, dann wird er dir das sagen und du kannst vielleicht verstehen, warum das alles genau so passiert ist. Oder er sagt dir, dass das alles ein Missverständnis war. Es ist ein kleines Risiko, das du eingehen mussst.“

Wieder blinkte mein Handy auf. Benny streckte die Hand danach aus und drehte es um, sodass keiner von uns mehr auf das Display schauen konnte.

„Okay?“

„Das ist so der Standardspruch, den jeder sagt.“

„Ach echt? Und von wie vielen Leuten hast du den schon gehört?“

Ich wich seinem Blick aus. „Okay gut, nur von dir. Aber das ist das, was mir jeder raten würde.“

„Wenn es so offensichtlich ist, dann solltest du es vielleicht doch einmal ausprobieren.“ Seine Mundwinkel zuckten.

„Das heißt, du an meiner Stelle, würdest einfach zu ihm hingehen und ihn fragen, was das alles sollte?“

„Ich an deiner Stelle hätte das schon längst getan. Aber im Prinzip ja. Wie willst du sonst Antworten bekommen?“

„Vielleicht hat er mir ja gerade…“ Ich warf einen hoffnungsvollen Blick in Richtung meines Handys.

„Meinst du wirklich? Hätte er sich dann nicht eher schon vor einer ganzen Weile bei dir gemeldet? Zum Beispiel um dir zu sagen, dass er eine Freundin hat? Oder jemanden getroffen hat, den er interessant findet?“ Das Lächeln um Bennys Lippen wirkte traurig.

Das zarte Pflänzchen der Hoffnung sank wieder in sich zusammen. Ich spürte die Wahrheit in seinen Worten. Das zu hören war nicht schön, auf keinen Fall. Aber er war der Erste, der mir genau das sagte. Und Konstantin würde mir nicht schreiben um mir mitzuteilen, dass er wieder Single war.

„Ich will dich nicht demotivieren.“

„Bist du dir sicher? Du kannst das nämlich ziemlich gut.“

„Es ist nur die Wahrheit. Wenn du dich darauf einlässt, wirst du es irgendwann schaffen, daraus deine Kraft zu ziehen.“ Der Blick aus seinen braunen Augen war unergründlich. Eine endlose Tiefe lag in ihnen verborgen. Schnell schaute ich wieder weg. Meine Sinne spielten mir eindeutig Streiche. Mit Sicherheit der Alkohol.

„Wie meinst du das?“

„Das wirst du für dich selbst herausfinden müssen. Es sind Antworten, die du nur bei dir selbst finden kannst.“

Ich blinzelte einige Male. Kam es mir nur so vor oder machte es wirklich keinen Sinn, was er mir da erzählte? Am besten dachte ich nicht allzu viel darüber nach. „Können wir jetzt noch einmal auf deinen Rat zurückkommen?“

Leise lachte er auf. „Also war es doch keine schlechte Idee, dich mit mir auszutauschen, was?“

Ich verdrehte die Augen. „Vielleicht“, gab ich widerwillig zu. „Also. Du meinst, ich soll einfach zu ihm hingehen und ihm sagen, dass ich enttäuscht bin?“

„Das, was du empfindest oder empfunden hast, ja.“

„Und wenn er es nicht hören will? Oder ich vielleicht auch einfach gar nichts empfinde?“

„Dann weißt du, dass er das alles nicht wert ist. Und wenn er dir so egal ist, dann würden wir jetzt dieses Gespräch wahrscheinlich nicht führen. Meinst du nicht auch?“

„Das sagst du so einfach“, brummte ich und schlug meine Beine übereinander. Das Pochen in meinem Schädel nahm wieder zu. Das Gespräch gerade war nicht förderlich für meinen Allgemeinzustand. „Kann es sein, dass du dir das Leben ein bisschen zu einfach vorstellst?“

„Ich weiß, dass das Leben nicht einfach ist. Aber ich muss es mir auch nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist, oder?“

Ich schüttelte langsam den Kopf. Mein Schädel brummte noch mehr als zuvor. Das war wirklich das Letzte, was ich von diesem Nachmittag erwartet hätte und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.

„Geht es dir jetzt ein wenig besser, Joanna?“, fragte Benny einfühlsam.

„Was heißt schon besser? Die ganze Situation ist einfach… Und… sag einfach Jo zu mir, ja? Das tut jeder.“

„Okay, Jo“, er betonte den Kosenamen noch einmal extra. „Dann war es ja nicht durchweg schlecht, dass wir geredet haben.“ Er lächelte. Und es war eines dieser Lächeln, die bis zu seinen Augen reichten. War es wieder nur ein Streich meiner Wahrnehmung oder funkelten sie noch ein wenig mehr als zuvor? „Das heißt, wir können jetzt mit Mathe anfangen? Ich würde die Klausur wirklich gerne bestehen.“

„Oh keine Sorge, was Mathe angeht kann ich dir einiges beibringen.“ Ein plötzlicher Motivationsschub überkam mich. „Also, was war nochmal euer Thema?“

Die nächsten Stunden vergingen wie im Flug. Benny lernte schnell und mir machte es mehr Spaß als erwartet. Was aber mehr an Bennys Anwesenheit lag. Er bemühte sich und gab sich wirklich Mühe und war sich nicht zu schade, den einen oder anderen Witz auf seine Kosten zu machen, der uns beide zum Lachen brachte. Meine Kopfschmerzen rückten bald in den Hintergrund und ich nahm sie irgendwann kaum mehr wahr.

Die Sonne war schon untergegangen, als ich das Haus der Winters verließ und langsam meinen kurzen Heimweg antrat. Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugezogen, kehrte die Beklemmung wieder zurück. Wie ein Ring legte sie sich um meine Brust und zog sich immer weiter zu. Ich sollte Konstantin einfach die Wahrheit sagen. Aber wie würde er reagieren? War es das überhaupt wert? Ich war ja nicht verknallt in ihn und was hatte ich mir eigentlich davon erhofft? Mit ihm würde ich vor meinen Freunden und in der Uni gut dastehen. Jeder hätte von unserer Liaison mitbekommen sollen. Mehr nicht. Ich wollte keine Beziehung.

Mit einem Seufzen zog ich mein Handy aus meiner Tasche. In den letzten Stunden hatte ich kein einziges Mal mehr darauf geschaut. Und jetzt kribbelte es in meiner Magengegend, wenn ich nur daran dachte, dass ich noch die ungelesenen Nachrichten von ihm hatte.

Ich scrollte durch die Vorschau der Nachrichten. Es gab viel Neues in der Gruppe mit meinen Kommilitonen. Milena hatte mir darüber hinaus noch ein paar Mal geschrieben, ob alles in Ordnung sei, da ich mich so lange nicht gemeldet hätte.

Und dann waren sie da. Meine Schritte wurden immer langsamer. Ich blieb stehen und starrte auf den Bildschirm zwischen meinen Fingern. Mir wurde kalt. Ich spürte meine Fingerkuppen kaum noch. Es waren zwei Nachrichten, die Konstantin mir geschickt hatte.

Die erste war kurz und nichtssagend. Einfach nur: „Hey.“

Und dann kam die zweite, die alles nur noch schlimmer machte.

Kapitel 5 – Heute

Ich war schon lange nicht mehr hier gewesen. Ob sie wohl noch immer im gleichen Zimmer lag? Würde ich es finden? Ich wollte es nicht ausprobieren.

Meine Hände lagen reglos in meinem Schoß. Mein Blick war starr auf die Wand gerichtet. Das Bild dort hing ein wenig schief. War es noch niemandem vorher aufgefallen? Ich wollte es gerne zurechtrücken, aber mir fehlte die Kraft um aufzustehen.

Julia neben mir schluchzte unablässig. Ich wünschte mir, ich könnte auch solche Emotionen zeigen wie sie. Selbst Marianna zu meiner anderen Seite hatte zu Weinen begonnen. Still und lautlos ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Wir konnten alle nicht mehr stark sein. Wir konnten nur hier sitzen und warten, bis endlich der Arzt zu uns kam und uns sagte, wie es aussah. Selbst Markus, sein Trainer, der sonst immer so streng und kontrolliert war, saß zusammengesunken da und fixierte einen Punkt auf dem Boden, den nur er sehen konnte.

Er hatte kaum ein Wort zu uns gesagt. Nur, dass es gut sei, dass wir da wären. Ob er so etwas schon einmal erlebt hatte? Oder war es für ihn auch das erste Mal? So wie es für uns alle das erste Mal sein sollte.

Marianna und Julia hatten nichts von Markus wissen wollen. Vielleicht wussten sie schon mehr als ich. Ich kam mir vor wie eine Außenseiterin. Ein Eindringling in diese Familie. Ich wollte auch Bescheid wissen. Ich wollte wissen, was passiert war. Aber ich brachte kein Wort heraus. Ich konnte nur hier sitzen und abwarten. Mein ganzer Körper fühlte sich taub an. Ich fragte mich, ob er überhaupt zu mir gehörte. War das überhaupt noch ich?

„Frau Winter?“

Marianna neben mir schreckte auf. Ich reagierte langsamer, fast träge. Mein Körper fühlte sich schwer und unendlich müde an. Eine junge Frau kam auf uns zu. Sie sah so aus, wie ich mich fühlte. Müde und erschöpft. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie trug einen weißen Arztkittel, darunter blaue Krankenhauskleidung. Auf einem kleinen Schild stand etwas geschrieben. Ich konnte es nicht lesen.

„Ja?“ Mariannas Stimme war erstickt und leise. Sie war kaum zu hören.

„Ich bin Dr. Bauer, ich gehöre zu dem Team, das für Ihren Sohn verantwortlich ist.“ Sie reichte Marianna die Hand. Ich sah nicht, ob Marianna sie auch ergriff. War es überhaupt noch wichtig? „Würden Sie bitte mitkommen? Ich möchte mit Ihnen über Ihren Sohn sprechen.“

„Was ist mit ihm? Was ist mit meinem Benny? Bitte, sagen Sie mir, was mit ihm passiert ist.“

Julias Schluchzen neben mir wurde für den Moment leiser. Selbst Markus fixierte jetzt mit leerem Blick die junge Ärztin.

„Das kann ich Ihnen hier nicht sagen. Die Vorschriften besagen, dass…“

„Die Vorschriften sind mir egal!“, schrie Marianna. „Wir wollen alle wissen, wie es ihm geht und nicht, was die Vorschriften in Ihrem Krankenhaus sind. Wir alle lieben ihn und wollen nur wissen, was passiert ist und wann wir ihn sehen können.“

„Was passiert ist, kann ich Ihnen nicht genau sagen. Es war ein Reitunfall, mehr wissen wir nicht. Er ist mit schwersten Verletzungen bei uns eingeliefert worden. Er wird noch immer notoperiert und im Moment können wir keine Prognose abgeben.“

„Oh Gott.“ Marianna schlug sich die Hand vor den Mund. Ein lautes Schluchzen entfuhr ihr. Ihr ganzer Körper zitterte. Die Worte konnten nicht zu mir durchdringen. Ich hörte die Stimmen wie durch eine dicke Watteschicht. Dumpf. Sie konnten mich nicht berühren. Als würden sie mich nichts angehen. Es war, als würde ich nicht dazugehören.

„Was… was heißt das jetzt genau?“, fragte Marianna zitternd und mit bebender Stimme.

„Er hat von dem Sturz einige Knochenbrüche erlitten, die wir alle problemlos versorgen konnten.“ Ein leises Ausatmen entfuhr Marianna. „Aber uns machen die inneren Verletzungen sowie die Kopfverletzung viel mehr Sorgen. Derzeit ist unser Neurochirurg dabei, Ihren Sohn zu operieren und die Hirnblutung zu stoppen und zu versorgen. Allem Anschein nach muss er großes Glück gehabt haben, dass das Pferd ihm den Brustkorb nicht zerquetscht hat.“

„Was… Was hat er denn alles? Was ist meinem Jungen alles passiert?“

„Sein rechter Unterarm ist gebrochen, eine Prellung der rechten Hüfte und einen Trümmerbruch der linken Kniescheibe und des linken Wadenbeins. Dazu dann noch die Kopfverletzungen. Der Helm hat ihn vor noch schlimmeren Verletzungen bewahrt.“ Die Ärztin zählte die Fakten ganz sachlich auf. Nicht der Hauch einer Emotion schwang in ihrer Stimme mit. Für sie war es wahrscheinlich etwas Alltägliches. Wie konnte so etwas nur normal werden?

Keiner wusste so recht, was er darauf erwidern sollte. Was konnte man schon sagen bei einer solchen Horrornachricht?

Ich schluckte. Ich wollte irgendetwas tun oder sagen, dass den anderen helfen würde. Aber im Moment konnte ich mir nicht einmal selbst helfen.

„Cookie ist ihm auf das Bein gestiegen“, sagte Markus leise. „Nach dem Sturz. Benny war unten. Cookie hat sich gefangen und ist dann durchgedreht. Er ist einfach…“

„Wie ist es passiert?“, fragte Marianna tonlos. Sie schaute Markus nicht einmal direkt an. „Was hat dieses dumme Vieh angestellt, dass es meinem Sohn jetzt so schlecht geht?“

„Cookie trifft keine Schuld. Er hat…“

„Wäre er nie auf dieses verdammte Pferd gestiegen, wäre alles noch in Ordnung. Ich hätte es meinem Sohn nie erlauben dürfen. Er wusste, wie gefährlich das alles ist. Und trotzdem ist er jeden Tag dorthin gefahren. Mein Mann hatte jeden Tag recht, wenn er sagte, dass wir es ihm verbieten sollten. Ich habe mich immer für ihn eingesetzt, weil er es doch so liebte, sich um die Tiere zu kümmern. Und wo hat ihn das jetzt hingebracht? Hätte mir das vorher nicht irgendjemand sagen können?“, schrie Marianna und sprang auf. Ihr ganzer Körper bebte und zitterte. Es war die pure Verzweiflung, die aus ihr sprach. „Also Markus, sag uns jetzt endlich, wie dieses Vieh es geschafft hat, dass mein Sohn halb tot ist.“

„Er ist noch am Leben, Frau Winter. Er ist tapfer und kämpft.“ Dr. Bauer war ebenfalls aufgestanden. Beruhigend legte sie Marianna die Hand auf die Schulter.

„Noch. Aber sie können mir nicht sagen, wie lange noch oder ob er überhaupt wieder so sein wird wie früher. Oder können Sie das etwa? Hm, können Sie mir das versprechen?“

„Ich würde es sehr gerne, Frau Winter, glauben Sie mir. Aber es gibt Dinge, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Wir tun unser Bestes, damit…“

„Das sollten Sie auch! Gehen Sie gefälligst und schauen Sie, dass mein Kind bald wieder auf die Beine kommt. Er ist doch noch so jung. Er hat doch noch alles vor sich. Mein Kind. Mein armes Kind“, schluchzte Marianna und ließ sich wieder auf ihren Stuhl sinken, das Gesicht in den Händen vergraben.

Julia und Markus gingen schnell zu ihr, strichen ihr beruhigend mit den Händen über den Rücken und redeten auf sie ein. Ihre Stimmen verschwammen zu einem monotonen Hintergrundgeräusch, das mein Bewusstsein ausblendete.

Ich wäre auch gerne für sie da gewesen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte nichts fühlen. Ich konnte mich nicht bewegen. Mein Körper war nur eine leere Hülle. Er saß da und bekam alles mit, was um ihn herum passierte. Er hörte die Worte der anderen und nahm wahr, was geschah, während meine Gedanken, mein Geist, unendlich weit entfernt waren. Mit jeder Sekunde, mit jedem Atemzug, der verging, hatte ich das Gefühl, dass ich selbst immer schwächer wurde. Es war die ganze Umgebung hier, das Krankenhaus, das mir meine Energie raubte. Schon wieder war ich hier. Und ein weiteres Mal wusste ich nicht, wie es weitergehen würde.

Was würde mir dieses Mal noch bleiben, für das es sich zu leben lohnte?

Hatte ich jetzt überhaupt noch einen Grund, hier zu sein?

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