Kitabı oku: «Und du bist nicht da», sayfa 6
Kapitel 14
Julian
Ich streiche sanft über Annas Rücken. Es ist so wunderbar sie zu berühren. Ich kann gar nicht damit aufhören. Und es ist unglaublich mit ihr zu schlafen, auch damit kann ich gar nicht aufhören. Sie ist schon viel lockerer geworden und ich glaube es ist mehr aus dem Kribbeln vom ersten Mal geworden. Zumindest hatte ich gerade eben das Gefühl es hätte ihr ziemlich gut gefallen. Ihr Körper hat gebebt, das war so heiß, ich konnte mich kaum beherrschen. Ich küsse sanft ihre Schulter, ja ich weiß was ihr gefällt. Mein Blick fällt auf die Narbe die sie am Schulterblatt hat. Das war sicher ihr Arschloch Vater. Vorige Woche war so toll, weil es für ihre Mum kein Problem war, wenn sie mal länger bei mir blieb. Doch jetzt ist er wieder da und ich möchte auf keinen Fall ein Risiko eingehen. Er soll auch nicht wissen, dass wir uns immer noch treffen. Sie dreht sich zu mir und lächelt mich an. Immer wieder zieht sich bei ihren Blicken alles in mir zusammen, es ist fast unheimlich, aber ich kann es nicht abstellen. Ich streiche noch einmal über ihr Schulterblatt.
„War er das?“, frage ich leise.
Sie schließt die Augen, was eine Antwort überflüssig macht.
„Warum?“
„Wegen der Mathe Note“, sagt sie und beginnt sanft mit ihrem Zeigefinger über meine Brust zu streichen. „Es war eine spitze Kante an der ich aufgekommen bin. Ich bin eine Enttäuschung für ihn hat er gesagt, das hat viel mehr wehgetan als das Loch in meiner Schulter.“
Ich weiß, dass meine Fragerei für sie nicht angenehm ist und mich schmerzt jedes Wort, trotzdem will ich es wissen.
„Schlägt er deine Mutter auch?“
„Jetzt nicht mehr. Sie war sehr krank.“ Wieder schließt sie ihre Augen und atmet dabei durch. „Sie wäre fast gestorben.“ Ihre Stimme ist ganz erstickt. Ich greife nach ihrer Hand und ziehe sie auf meine Brust. „Brustkrebs“, fügt sie noch hinzu. „Mama würde es nicht schaffen, wenn er sie wieder so zurichten würde. Ich pass auf sie auf.“
In mir baut sich ein schreckliches Gefühl auf. Es ist wie ein Druck, der sich über mich legt. Was ist denn nur los? Wie kann es so etwas überhaupt geben? Ich weiß gar nicht was ich darauf sagen soll.
„Warum verlässt sie ihn nicht?“, entkommt mir auf einmal. Ich weiß sofort, dass es eine blöde Frage ist.
„Weil sie niemanden hat. Er würde sie fertig machen. Sie hat Angst.“
„Ich habe auch Angst. Angst um dich“, flüstere ich und küsse ihre Stirn. „Ich werde dich mitnehmen.“
Sie sieht auf und zieht die Augenbrauchen hoch. „Wohin denn?“
„Zu mir nach Hause. Es würde dir gut gehen. Ich liebe dich und kann keinen klaren Gedanken fassen, schon gar nicht, wenn ich daran denke was ist, wenn ich weg bin.“
Sie schmunzelt ein wenig. „Wir kennen uns doch noch gar nicht richtig. Was soll ich in Schottland machen? Ich muss meine Schule hier abschließen und meine Mama braucht mich. Außerdem, du studierst doch in London. Es ist echt schön wie du dich sorgst, aber es ist nun einmal wie es ist. Ich gehöre hierher. Du kommst aus einer anderen Welt, auch wenn ich keine Luft bekomme beim Gedanken daran, dass du bald nicht mehr bei mir sein wirst.“
„Nein Anna…Deine Welt ist anders. Es ist nicht fair...“ Ich atme tief durch. „Ich lass dich nicht hier zurück.“
Sie zuckt seufzend mit den Schultern.
„Und Anna, sag nicht wir kennen uns nicht. Ich hatte noch nie das Gefühl jemanden so zu kennen wie dich, auch wenn ich täglich etwas Neues an dir entdecke und ich entdecke auch genauso oft etwas Neues an mir. Das machst du.“
Sie lächelt, aber ich bin ein wenig gekränkt. Ihre Worte fühlen sich komisch an, so als würde bald alles vorbei sein. Ich bin mir sicher, meine Mum würde sie sehr gerne aufnehmen, wenn ich erst erzähle was hier abläuft.
„Wir sollten nicht den ganzen Tag im Bett liegen. Es ist so schön draußen. Fahren wir zum See?“, meint sie plötzlich. Themenwechsel. Das passt zu ihr. Immer wenn ihr ein Thema zu tiefgründig wird tut sie das.
„Ich könnte schon den ganzen Tag mit dir im Bett verbringen. Es ist schließlich so, dass ich ein Ziel habe“, schmunzle ich.
„Ein Ziel?“ Sie sieht mich neugierig an.
„Das Kribbeln ausbauen, außer es ist mir heute schon zufriedenstellend gelungen? Also?“
Sie lacht ein bisschen und zieht sich die Decke über den Kopf. „Du bist albern.“
Ich stecke meinen Kopf ebenfalls zu ihr unter die Decke und küsse sie stürmisch. „Nein…Das ist wichtig.“
„Julian…Ich liebe dich“, haucht sie und sieht mir tief in die Augen, dann zieht sie meine Lippen an ihre. „Und ja…Ich hätte nie gedacht, dass Sex so gut sein kann.“
„Sex mit mir“, füge ich hinzu.
Sie verdreht belustigt die Augen. „Natürlich.“
Anna ließ sich einen Besuch am See nicht ausreden. Sie hat wie es aussieht Ella versprochen, dass wir hinkommen. Ich wäre zwar lieber mit ihr allein, aber ich kann ihr auch keinen Wunsch abschlagen. Sie ist selbst mit dem Fahrrad hingefahren, bei mir mitfahren ist zu riskant. Schließlich fällt den Leuten hier im Dorf alles auf, irgendwelche Idioten erzählen es dann wieder ihrem Vater und wenn der sie noch einmal anfasst, gibt es hier Tote. Besser gesagt einen Toten. Ich parke die Vespa unter dem schattigen Baum beim Eingang und warte auf sie. Es ist so warm und jetzt muss sie auch noch mit dem Fahrrad herstrampeln. Ich seufze für mich als mich eine Stimme aufreißt.
„Wo ist denn dein Mäuschen?“ Janine sieht mich böse an und geht an mir vorbei. Ich hatte sie die letzten Tage komplett verdrängt. Scheiße. Ich hoffe nur, sie macht nichts Unüberlegtes. Kurz denke ich darüber nach etwas zu ihr zu sagen, doch sie sieht sich nicht mehr um und Anna kommt angefahren. Plötzlich steigt ein schrecklich schlechtes Gewissen im mir auf. Anna schließt ihr Fahrrad neben dem Mofa ab.
„Puhh…Es ist so heiß. Ich muss dringend ins Wasser“, stöhnt sie.
„Ja…“, murmle ich und gehe ihr hinterher.
„Was hast du denn?“, meint sie und bleibt stehen.
„Nichts…Gar nichts…Ja…Es ist heiß“, stammle ich.
Am Seegelände sehe ich Janine dann nicht mehr. Zum Glück. Anna geht mit Ella gleich ins Wasser, wie es aussieht gibt es viel zu besprechen. Sie haben sich wegen mir auch nicht oft gesehen die letzten Tage. Ich beschließe uns ein Eis zu holen. Als ich zurückkomme und sehe, dass Janine bei Anna steht, bekomme ich fast einen Herzinfarkt. Panisch versuche ich nicht gleich durchzudrehen. Sie wird schon nichts sagen. Ich atme ein und aus. Anna sieht mich erst an als ich neben ihr stehe. Ich würde ihr gerne gleich das Eis geben, aber ich glaube meine Hände zittern.
„Hi“, sage ich daher möglichst lässig zu Janine, die in gewohnt herablassender Art ihre Augenbrauen hochzieht. Scheiße was ist mir nur dabei eingefallen mit ihr zu pennen? „Und? Alles klar?“, füge ich noch etwas zu cool hinzu.
„Tja sicher. Bei dir auch?“, grinst sie.
„Ja…“ Ich muss aufpassen, dass meine Stimme nicht kippt. Ich gebe Anna das Eis, sie lächelt mich an. Etwas Anspannung fällt von mir ab. Wie es aussieht, hat sie nichts gesagt.
„Ok…Ich geh dann mal wieder. Ach ja…Julian…Erzähl doch Anna was noch so alles passiert ist. Du weißt schon, auf deiner Party, nachdem sie gegangen ist.“ Mir stockt der Atem und gleichzeitig habe ich das Gefühl mein Mageninhalt will meinen Hals hoch. Es ist, als hätte man mir gerade eine Kugel mitten in den Schädel gejagt. „Warum bist du denn überhaupt so früh gegangen?“, meint sie noch schulterzuckend zu Anna. Bevor diese eine Antwort darauf gehen kann, geht sie grinsend davon. Anna hält ihr Eis in der Hand und sieht mich an. Ich kann ihren Blick nicht einordnen und habe keinen Plan was ich jetzt tun oder sagen sollte. In meinem Hals pumpt das Blut. Sie sinkt nachdenklich auf ihr Badetuch.
„Was war denn?“, fragt sie leise.
Ich versuche unbemerkt nach Luft zu schnappen. „Nichts. Dein Eis wird warm“, lächle ich und setze mich neben sie. Jetzt zittern meine Hände definitiv.
„Darum bist du jetzt so rot?“ Sie sieht mich komisch an. Ich kann sie nicht anlügen, ich darf sie nicht anlügen, aber ich habe ganz schrecklich Angst davor ihr die Wahrheit zu sagen, auch wenn es absolut nichts bedeutet hat und ich mich noch nicht einmal daran erinnere. Ich reibe mir die Stirn und überlege wie ich anfangen soll, doch sie wird langsam ungeduldig.
„Julian. Was war? Janine kommt nicht so aus Freundschaftlichkeit zu mir, also, los raus damit!“
Ich sehe sie an und streiche über ihre Wange. Ich hoffe mich zu täuschen, aber etwas tief in mir sagt mir, dass gleich alles anders sein wird. Warum habe ich es ihr nicht einfach aus freien Stücken vor ein paar Tagen erzählt. Auch wenn es damals schon Scheiße geklungen hätte, jetzt ist es eine katastrophale Scheiße.
„Ich kann mich nicht erinnern…“, stammle ich nach den richtigen Worten suchend. „Keine Ahnung…“
„Woran erinnerst du dich nicht?“ Ihr Blick verengt sich und sie wird ungeduldig. Shit.
„Sie lag am Morgen nach der Feier neben mir. Ich kann mich nicht erinnern aber…“ Ich kann den Satz nicht zu Ende sprechen, weil sie mich unterbricht.
„Hast du mit ihr geschlafen?“ Ihre Worte sind ruhig, aber so wie ihre Augen weit geöffnet in meine blicken weiß ich, sie ist nicht ruhig.
„Sie sagt ja.“ Ich senke meinen Blick, weil ich sie beim Gesagten nicht anschauen kann, aber ich kann hören wie sie durchatmet. „Es hat nichts bedeutet und ich erinnere mich gar nicht“, versuche ich irgendwie die Kurve zu bekommen. Doch das scheint nicht zu wirken. Im Gegenteil. Sie steht auf, beginnt ihre Sachen zusammen zu suchen und stopft alles in ihre Tasche. Ich greife nach ihrem Arm, doch sie schüttelt mich ab.
„Anna…Bitte, schau mich an. Ich hätte es dir sagen sollen, aber…“
„Aber was?“ Plötzlich ist ihre Stimme laut. Bebend. Tränen sammeln sich in ihren Augen. Ich habe das Gefühl sie bringt kein Wort mehr heraus und schüttelt darum nur gekränkt ihren Kopf.
„Bitte…“, murmle ich. „Lauf jetzt nicht weg, meine Gefühle für dich sind echt, das weißt du doch.“
Ihr Mund verzieht sich zu einem gekünstelten Grinsen, sagen tut sie nichts mehr darauf. Ich will sie noch einmal zurückhalten, doch ihr Blick gibt mir zu verstehen, dass das keine gute Idee ist.
„Was ist denn los?“ Ella sieht zuerst Anna, dann mich fragend an als sie vom WC zurückkommt. Anna stapft wütend davon, jetzt laufen Tränen über ihre Wangen. In mir krampft sich alles zusammen, ich muss etwas tun. Ich laufe ihr hinterher.
„Anna…Ich weiß…Ich habe einen Fehler gemacht.“ Sie dreht sich nicht um. „Ich liebe dich doch“, das sage ich so laut, dass sich ein paar Leute schmunzelnd umsehen, nur sie nicht. Ich bleibe stehen. Ella läuft ihr nach. Jetzt bin ich es, der ihr wehgetan hat. Keine Ahnung was ich jetzt tun soll. Vielleicht beruhigt sie sich ja wieder. Ich schließe kurz kopfschüttelnd meine Augen. Fuck.
Kapitel 15
Anna
Ich knülle den Zettel mit meinen Gleichungen zusammen und werfe ihn wütend an die Wand. Diese Scheißrechnungen…Ich werde es nie kapieren. Aus dem Augenwinkel sehe ich auf mein Handy das summt. Seit drei Tagen bin ich jetzt nur noch auf meinem Zimmer. Seit drei Tagen kann ich niemanden ertragen, nicht einmal Ella. Jedes Wort strengt mich an, jeder Gedanke tut mir weh. In meinem Kopf ist alles durcheinander. Wieder eine SMS von Julian. Eine von unglaublich vielen, alle mit demselben Inhalt. Ich lese sie nicht mehr. Eigentlich kann ich froh sein. Jetzt ist es vorbei und zwar einfacher als erwartet. Ihm böse zu sein macht es mir leicht ihn zu vergessen. Ich hätte sowieso Abschied nehmen müssen in ein paar Tagen, so ist es eben früher passiert. Nein…Es tut aber so weh…Ich stütze meinen Kopf zwischen meine Hände. Und es ist auch nicht einfach. Warum? Wie konnte er das tun? Wenn er besoffen mit jeder Schlampe in die Kiste springt, ist er doch auch nicht besser als mein Vater, der im Rausch um sich wütet. Zumindest tut es genauso weh. Ich schüttle den Kopf. Es tut noch mehr weh. Alles tut mir weh. Ich drehe das Handy um und schreibe eine neue Gleichung auf. Ich liebe ihn, aber ich werde ihm das nicht mehr sagen. Es wird aufhören. Irgendwann tut es nicht mehr weh.
Kapitel 16
Julian
Die Jungs packen gerade alles zusammen, nachdem das Wetter die letzten Tage nicht so toll war, wollen sie bis zum Ende der Woche aufbrechen und vielleicht noch einen kurzen Stopp irgendwo im Norden machen. Keine Ahnung ob ich mit ihnen zurückfahren soll. Wenn, dann fliege ich direkt nach Hause. Ich würde so gerne noch bei Anna bleiben, aber sie reagiert auf nichts mehr. Mir ist schmerzlich klar geworden, dass sie das Geschehene nicht einfach hinnimmt und mir verzeiht. Warum habe ich es nicht gleich gesagt? Naja…Vielleicht hatte ich so zumindest noch ein paar schöne Tage mit ihr. Mein Gott, was ist nur los mit mir? Wie egoistisch bin ich eigentlich? Ich kann einfach nicht mehr. Wenn sie sich weiterhin nicht meldet, will ich nur nach Hause, auch wenn mich das zerreißt. Keine Ahnung wie es ihr geht. Ob ihr Vater ihr auch nichts antut. Er wird ihr wieder wehtun, das weiß ich und ich ertrage es nicht. Einmal versuche ich es noch und wähle ihre Nummer. Es klingelt lange. Keine Reaktion. Ich versuche es mit einer Nachricht:
Hi Anna…Ich höre auf mit den Sorry SMS…Ich weiß es gibt keine Entschuldigung. Du fehlst mir so sehr. Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen, denn alles was für mich zählt bist du. Wenn du mir nicht verzeihen kannst, werde ich am Ende der Woche nach Hause fliegen. Trotzdem würde ich dich noch gerne einmal sehen und mich von dir verabschieden. Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben. Julian.
Kapitel 17
Anna
Ich liege im Bett und starre schon eine gute Stunde auf die Nachricht von Julian. Wenn du mir nicht verzeihen kannst…ich schließe meine Augen und atme durch. Es ist einfach mich um Vergebung zu bitten, aber es schwer für mich zu verstehen warum es überhaupt so weit kam. Ein leises Prasseln klopft an die Fensterscheibe. Es regnet schon wieder, so wie die letzten Tage. Der Sommer gibt langsam auf, ich habe schon aufgegeben. Ich lese die Nachricht noch einmal durch, dann tippe ich auf antworten:
Du hättest immer gehen müssen, doch ich bin unglaublich traurig darüber wie alles gekommen ist. Es war perfekt, aber jetzt ist es vorbei. Irgendwann werden wir darüber lachen, auch wenn das im Moment noch sehr weit weg scheint. Keine Ahnung ob ich dir böse bin, auf jeden Fall will ich es nicht sein, denn ich wünsche dir nur Glück. Komm gut nach Hause. Anna.
Während ich diese Worte wie von selbst tippe, obwohl ich das meiste davon selbst nicht glaube, rollen schon wieder Tränen über meine Wangen. Ich würde so gerne schreiben ich liebe dich, geh nicht, halt mich fest – doch ich bin stark.
In zwei Wochen beginnt die Schule wieder, darum versuche ich so gut als möglich noch den Mathe Stoff durch zulernen. Ich versuche mich abzulenken, da ist mir sogar Mathe recht. Die Zeit ist heute schnell vergangen, darum nehme ich meine Tasche und laufe nach unten.
„Mama…Ich treffe mich jetzt mit Ella auf ein Eis!“, rufe ich über den Hof zum Garten wo Mama irgendetwas aberntet.
„Ja! Ist gut!“, winkt sie mir zu.
Sie versteht gar nicht, was auf einmal mit mir und Julian los war. Ich wollte es ihr auch nicht erzählen. Ella hat mir gesagt, dass sie gehört hat, dass die Jungs gestern mit dem Zug vom Hauptbahnhof in Graz abgereist sind. Es fühlt sich ganz seltsam an. Taub. Gefühllos. Beklemmend. Ich werde ihn vermutlich nie wiedersehen. Ich steige auf mein Fahrrad und trete Richtung Ort. Vielleicht hätte ich mich doch verabschieden sollen. Er wird immer besonders sein für mich, egal was er getan hat. Ich will ihn nicht verteidigen, aber Janine ist eine grässliche Schlampe, sie hätte seinen Zustand nicht auch noch ausnutzen müssen. Im Moment kann ich nicht glauben, dass ich jemals aufhören werde ihn zu lieben. Ich trete um die Kurve, vorbei am Fahrradgeschäft, als mich das Rufen meines Namens fast einen Salto mit dem Drahtesel schlagen lässt. Das ist seine Stimme. Ich bremse ab und bleibe stehen. Mein Herz pumpt. Er steht gegenüber unter der großen Buche bei der Trafik und sieht mich an. Ich senke meinen Blick und versuche ruhig zu atmen, was mir nicht gelingt. Dann sehe ich wieder auf. Er lächelt gequält. Ich kann meine Gefühle gerade nicht einordnen, sind da Tränen die herauswollen, oder ist es Freude, dass er doch noch da ist. Ist es Wut, oder Liebe, oder beides? Ich steige vom Rad und schiebe es über die Straße. Mit etwas Abstand bleibe ich vor ihm stehen.
„Du bist noch hier“, sage ich leise.
Er nickt. „Ich fliege heute Abend.“
„Bist du nicht mit den anderen gefahren?“
Er schüttelt den Kopf. „Ich will einfach nur nach Hause.“
Ich kann ihn nicht ansehen, es ist kaum zu ertragen, alles kommt in mir hoch. Jede Berührung, jedes Wort, jeder Blick.
„Anna…“, flüstert er.
Anna. Es klingt so besonders wie er es sagt. Ich sehe ihn an. Seine Augen. Seine Locken. Seine Haut.
„Es ist besser so“, murmle ich.
„Nein es ist nicht besser und das weißt du genauso gut wie ich. Scheiße…Ich will, dass du mit mir kommst, oder zumindest später nachfliegst. Was passiert ist kann ich nicht Ungeschehen machen, aber es bedeutet nichts, nur du bist wichtig. Nur du.“ Er streckt seine Hand nach mir aus. Ich kann sie nicht annehmen. Es geht einfach nicht. Nicht weil ich sie nicht ergreifen will, sondern weil ich nicht möchte, dass es noch mehr wehtut.
„Ich komme nicht mit dir und ich komme auch nicht nach. Mein Leben ist hier.“ Ich lächle ihn noch einmal an. Zu gerne würde ich noch einmal seine Lippen auf meinen spüren, doch es ist vorbei. „Do well Julian“, sage ich noch leise und warte seine Reaktion nicht mehr ab, sondern steige schnell auf und radle weg. Ich höre noch einmal meinen Namen den er mir bedrückt hinterherruft, aber ich sehe mich nicht mehr um. Ich biege neben der Kirche ein, der Druck der sich in mir aufgebaut hat, platzt wie aus einem übervollen Luftballon aus mir heraus. Am liebsten würde ich laut schreien und auf irgendetwas einschlagen, doch ich schnappe nur nach Luft wie nach einem Schnellsprint. Meine Hände zittern und in meinem Bauch bildet sich ein schmerzhafter Knoten. Nach ein paar Minuten atme ich noch einmal durch und schließe meine Augen. Alles wird gut. Irgendwann.
Kapitel 18
Julian
Mein Vater hat mich abgeholt. Ich bin froh wieder zu Hause zu sein, auch wenn ich nicht daran denken will, was ich zurücklassen musste. Doch ich muss daran denken. An sie. Pausenlos. Seit ich in den Wagen gestiegen bin, habe ich fast nicht gesprochen, ich sehe nur auf meine Hände und zupfe an meinem Fingernagel.
„Aussehen tust du ja gut, aber auch wenn du es jetzt schon mehrfach betont hast das es nicht so wäre, mit dir stimmt doch etwas nicht Julian“, meint Dad und fährt direkt in die Garage.
Ich seufze. Mir ist nicht gut. Gar nicht gut. Alles fühlt sich Scheiße an. Von Scheitel bis zur Sohle.
„Ich bin müde und ich fühle mich gerade nicht so. Sonst nichts“, murmle ich und steige aus.
Jetzt noch alle begrüßen, erzählen, gemeinsam essen. Ich weiß nicht ob ich das schaffe. Mum ist zum Glück noch bei irgendeinem Termin, auch wenn ich mich schon freue sie zu sehen.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit unter der Dusche stand und so halbwegs alle Taschen ausgeräumt habe, gehe ich nach unten. Auf der Treppe bleibe ich stehen und sehe nach draußen, hinüber zum Hotel. Es ist wie immer toll beleuchtet, wir haben es wirklich schön. Im Vergleich zur Steiermark ist es hier wie gewohnt nicht besonders warm. Morgen werde ich hinunter zum See gehen, ich liebe die Ruhe dort. Ich atme ein und vorsichtig aus. Es bleibt mir nicht erspart alles über die Reise zu erzählen. Mum lächelt mich immer wieder an. Mit dem Mum Lächeln. Ich bin mir sicher, sie hat schon bemerkt, dass es mir Scheiße geht, auch wenn ich nichts sage. Catriona geht gleich nach dem Essen auf ihr Zimmer, wie immer muss sie noch dringend telefonieren. Ihr Freund Tim der in London lebt fehlt ihr, auch wenn sie in Kürze sowieso wieder dort sein wird. Wenn alles gut geht wird sie im nächsten Jahr ihren Abschluss machen und dann im Hotel mitarbeiten. Plötzlich verstehe ich sie, wie es sich anfühlt den Menschen den man liebt nicht an seiner Seite zu haben. Ich weiß nicht wie ich es ohne Anna aushalten soll. Die letzten Tage waren schon Horror. Jetzt bin ich auch noch tausende Kilometer weit von ihr entfernt, zusätzlich will sie nichts mehr von mir wissen. Wieder dieser Schmerz in meinem Bauch. Ich starre in mein Wasserglas, als Dad mir einen Whisky vor die Nase stellt. Das macht er normalerweise nie. Mum setzt sich auch wieder an den Tisch und lehnt sich abwartend zurück.
„Also?“, sagt sie mild.
Ich sehe sie an, dann schließe ich kurz meine Augen.
„Anna…Es ist wegen Anna…“
„Das Mädchen aus der Steiermark, du hast mir ja am Telefon schon von ihr erzählt. So ernst?“, meint Mama.
Ich nicke wortlos und nehme einen großen Schluck vom Whisky der etwas brennt. „Sie ist so unglaublich, so besonders.“ Kopfschüttelnd sehe ich auf. „Mum…Dad…Wenn ich in den letzten Jahren undankbar war, dann tut mir das leid. Ihr seid tolle Eltern, mir geht es gut, ich habe immer alles was ich brauche…“
Dad unterbricht mich. „Julian, du machst mir Angst.“
„Nein Dad…Anna…Ihr Vater, ich habe sie gesehen…Was er ihr antut und ich kann nicht helfen…Ich wollte sie mitnehmen…Aber…“ Jetzt bringe ich kein Wort mehr heraus. Alles bricht zusammen. Mum steht auf und reibt mir den Rücken.
„Beruhige dich bitte. Was tut ihr Vater ihr an?“
Ich atme durch und erzähle meinen Eltern alles. Was Anna durchmacht und wie ich mich in sie verliebt habe, wie wichtig sie mir ist. Dad nickt, so als würde er mich verstehen, Mum hält meine Hand.
„Das ist ja fürchterlich“, murmelt sie. „Und du glaubst sie würde hierherkommen? Sie geht doch noch zur Schule, so einfach ist das nicht. Volljährig ist sie ja auch noch nicht.“
„Sie wird nicht herkommen“, stoße ich mit letzter Kraft aus. „Weil ich so ein Volltrottel bin. Ich habe mit einer anderen geschlafen, also nicht gleichzeitig, aber zu dem Zeitpunkt war schon so viel mehr zwischen uns. Ich erinnere mich nicht einmal daran, weil ich total besoffen war an meinem Geburtstag. Ich hatte Angst sie zu verlieren, deshalb habe ich nichts erzählt.“
„Oh…Nicht gut…“, Dad gießt noch einmal Whisky nach. „Ich nehme an sie hat es dann doch herausbekommen und das kam nicht gut an.“
Ich nicke und wische mir mit dem Handrücken eine Träne weg. Komischerweise fühlt es sich jetzt ein klein wenig leichter an, auch wenn sich immer noch alles zusammenkrampft sobald ich an Anna denke. An ihr hübsches Gesicht, ihre zarte Haut, ihre seidigen Haare. Ein warmer Schauer läuft mir den Rücken hinunter, ich kippe den letzten Schluck Whisky hinunter.
„Lass ihr ein paar Tage, dann ruf sie noch einmal an. Vielleicht denkt sie dann anders.“ Mums Worte klingen beruhigend, doch ich glaube nicht daran, dass sich in den nächsten Tagen etwas ändert. Anna will bei ihrer Mutter sein, das verstehe ich sogar, auch wenn die Opfer die sie bringen muss komplett irre sind. Sie wird achtzehn und denkt wie eine erwachsene Frau. Ihr fehlt die Leichtigkeit für gewisse Dinge, die Freude ihr Leben wie eine hübsche junge Frau zu erleben. Ohne Angst etwas falsch zu machen, ohne Sorgen und vor allem ohne die Demütigungen die sie mitmacht. Auch wenn ich selbst noch nicht auf eigenen Beinen stehe, ich wäre gerne der Mann, der ihr die Liebe und Wärme schenkt, die sie braucht. Ich werde es versuchen. Irgendwie muss ich es schaffen, auch wenn ich weiß wie sehr ich sie enttäuscht habe.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.