Kitabı oku: «Die Welt, die meine war», sayfa 13

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Ich merke, dass ich versuche, vom Tisch aufzustehen. Und gerade dieser bewusste Reflex macht mir klar, dass ich mich der Promillegrenze nähere, die ich einmal in den siebziger Jahren hatte, als ich mit Ole und Finn Strømsted im Theatercafé saß und mich danach auf der Toilette erbrechen musste.

Aber ich habe Elton John im Blick. Ich sehe ihn so deutlich. Deutlicher und deutlicher sogar. Er sitzt gleich da drüben. Niemand hält mich auf, darf mich aufhalten. Zwischen mir und dem Weltruhm liegen nur einige Schritte und zwei Sätze. Die Jungs vom Stavangerensemble werden mich unterstützen. Blyge Harry ist ebenfalls ein potenzielles Elton-John-Stück. Er hat Zeit, natürlich hat er Zeit, um morgen ins Rosenberg Studio zu kommen. Was er dort hören wird, wird ihn umwerfen. Er hat vielleicht nicht geglaubt, dass Norwegen mehr zu bieten hat als schwachsinnig kreischende Fans? Sieht er nicht die Eastlake-Ausstattung des frisch renovierten Studios? Den Kork an den Wänden? Hört er den Klang nicht? Den Steinway-Flügel? So hat das zu klingen!

Aber im Raum ist jetzt viel Wasser. Er hat das Gefühl, schwimmen zu müssen, die Arme zu heben, sie zu bewegen, um näher an Elton John heranzukommen, der dort hinten sitzt, ein Glas Wasser trinkt und ein verdammtes vegetarisches Gericht isst, was immer das sein mag.

»Elton!«, ruft er. »Elton! Jetzt hörst du verdammt noch mal zu!«

Er ist so nah, so dicht dabei. Da steht plötzlich Froddi vor ihm, lächelt verständnisvoll, streichelt ihm die Wange. Aber was zum Henker? Was ist hier los? Soll er nicht mit Elton John reden dürfen? Ist das nicht das Mindeste, was man verlangen kann? Sollte das nicht möglich sein? Scheiß, das muss doch möglich sein!!!

Und nun sieht er Dag Frøland, der nicht ganz sicher auf den Beinen an ihm vorbeigeht und in einer herzlichen Umarmung über Elton John hereinbricht.

»Roger Whittaker! My dearest Roger Whittaker! What a pleasure to say hello to you!«

23.

Springsteen in der Drammenshalle.

Ich war nicht dort. In den folgenden Jahren werde ich immer wieder von den Konzerten mit diesem Marathonmann hören, der so gern bis zu vier Stunden im Flutlicht steht. Menschen zu Tausenden, bis an den Rand gefüllt mit großen Erlebnissen. Ich war da. Du etwa nicht?

Nein, ich war nicht da. Die Stadionkonzerte. Die Sporthallen. Springsteen mit seinem »One, two, three, four« vor jedem einzelnen Lied. Ich denke an Rechtecke. Oder Vierecke. Ich sehne mich zurück zu Blinded By The Light.

Aber ich war nicht für das hier geschaffen. Hatte keine Rechte. Stand außerhalb der guten Gesellschaft, selbst wenn mir The River gefiel.

Dennoch sitze ich vor der Zeitung und sehe die junge Nini Stoltenberg mit dem Meister persönlich tanzen. Es ist so groß. Ein Mensch aus Norwegen tanzt mit einem weltberühmten Amerikaner. Noch sind wir nicht daran gewöhnt. Die Nation ist in dieser Hinsicht noch immer so jung. Die schöne junge Frau aus der Stoltenberg-Dynastie. Springsteen in der Drammenshalle, in der Stadt, in der Arnulf Øverland einmal in den sechziger Jahren vor Jesus und dem Weltuntergangschristentum gewarnt hatte, während Aage Samuelsen in »Halleluja«-Rufe ausbrach. Øverland hatte die Stimme gehoben, versucht, seine Botschaft weiter zu verkünden, aber die Jubelchristen waren bereits in Gesang ausgebrochen. Halleluja! Der Traum von Jesus. Er füllte ihr Leben. Für sie galten Jubel und Tanz. Dieselbe alles verschlingende Gemeinschaft. Das Licht dort vorn auf der Bühne. Jesus Christus. Bruce Springsteen. One, two, three, four! Ich denke an Tore Olsen. Er ist sicher dort. Alle die richtigen Menschen sind dort. Die Geschmacksrichter. Die Plattenkäufer. Down to the river. Der Wundermann aus New Jersey. Der Mann aus Nazareth. Draußen auf Sandøya versuche ich, den Takt zu finden, aber das ist unmöglich. Die Feuerzeuge sind verloschen. Es ist zu spät.

Ich lasse Prokofjews düstere fünfte Symphonie laufen, aus purem Trotz.

Aber auch das ist zu spät.

Der Juni ist immer schwül. Plötzliche Hitze, für einige Tage. Die setzt oft am Pfingstmontag ein, wenn die Sommergäste das Wochenende im Regen verbracht haben und sich für die Rückfahrt nach Oslo bereitmachen. Aber nach einigen Wochen schlägt das Wetter um, und der Regen trifft die Südküste und Ostnorwegen ungefähr dann, wenn Paul Karlsen & Co gegen Ende des Monats das Kalvøyafestival organisieren.

Israelische Flugzeuge bombardieren den einzigen Atomreaktor des Irak, gleich am Stadtrand von Bagdad. Als Begründung führen sie an, mit dem Reaktor könnten Atombomben zur Vernichtung Israels hergestellt werden.

Ein französischer Atomtechniker kommt dabei um. Der Reaktor wird unter französischer Regie errichtet. Aus Paris kommt wütende Kritik an Israel.

Zwei Tage darauf werden die Friedensaktivisten Nils Petter Gleditsch und Owen Wilkes zu sechs Monaten auf Bewährung und jeweils 10 000 Kronen Strafe verurteilt. Ihr Verbrechen heißt Onkel Toms Kaninchen, ein Buch, in dem Informationen über die amerikanischen Abhörstationen in Nordnorwegen veröffentlicht werden. Das Projekt nahm seinen Anfang, als die beiden als Zeugen in dem Prozess gegen den SV-Politiker Ivar Johansen vorgeladen worden waren, dem zur Last gelegt wurde, die Mitarbeiter des Staatsschutzes ermittelt und ihr Material der SV-Zeitung Ny Tid angeboten zu haben. Der spätere Redaktionschef von Gyldendal musste sechzig Tage absitzen, während acht Monate in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wurden. Später würde er, ironischerweise im Ikkevold-Fall, abermals vor Gericht gestellt werden, da er eine von den USA finanzierte Abhörstation auf Andøya und eine Überwachungsanlage enttarnt hatte. Er wurde schließlich vom Obersten Gericht freigesprochen, von der AKP(ml) als sowjetischer Agent beschuldigt, von der Zeitschrift Farmand, dem Organ für die Freiheit der Wirtschaft, als Parteigänger der RAF bezeichnet, während die Leitung seiner eigenen Partei SV sich besorgt fragte, ob er wohl ein Provokateur sein könne, als herauskam, dass er in engem Kontakt zu dem legendären und geheimnisvollen Sektionschef des militärischen Geheimdienstes Trond Ivar Johansen gestanden hatte.

Bei ihrem Prozess im Liste-Fall wollten Gleditsch und Wilkes in erster Linie aufzeigen, wie leicht es war, solche geheimen Stationen zu entlarven, die eine fremde Macht in Norwegen angelegt hatte. Man brauche sich nur irgendwo hinzustellen und Ausschau nach Antennen zu halten, behaupteten sie. Da sie es für selbstverständlich hielten, dass die UdSSR über diese amerikanischen Installationen auf norwegischem Boden längst informiert war, schrillten keinerlei Alarmglocken, als das Buch geschrieben wurde. Alle Quellen waren doch ganz offen und zugänglich bis hinunter zum Telefonbuch. Aber das Kommunalgericht meinte, es gebe in diesem Dokument zu viele Details, und stellte die Frage, ob das denn wirklich nötig sei nur, um gesellschaftskritische Forschung zu betreiben.

Ich rufe Vater an, den alten NATO-Skeptiker.

»Ist das möglich, Vater?«

Er zögert ein wenig. »Es sind neue Zeiten, mein Sohn. Aber ich bringe diesen Friedensforschern gewaltige Achtung entgegen.«

»Ja?«

»Ja.«

Ich lege auf, verwirrt darüber, dass es zu keiner größeren Diskussion gekommen ist. Dass sich die Argumentation im Urteil in den Schwanz beißt, ist offenkundig. Etwas an diesen Prozessen und ihrer Sprache ist unheimlich. Ein Gefühl, dass es eine andere Wirklichkeit gibt, ein anderes Stück Norwegen, von dem ich nichts weiß. Dass normale, intelligente Menschen auch in Norwegen zu Dissidenten werden, nur mit umgekehrtem Vorzeichen. Ein sowjetischer Dissident ist ein Held. Ein norwegischer Dissident ist ein potenzieller Kommunist und eine Gefahr für das Land.

Ab und zu, am frühen Morgen, wenn ich unten am Anleger stehe und auf die Søgne warte, kann ich schwere Militärflugzeuge sehen, oft Herkulesmaschinen, die leise im Tiefflug über die Insel jagen. Es kann ein Dienstag oder ein Freitag sein. Nie ein Wochenende. Aber die Flüge kommen mit einem fast unmerklichen Summen von Lyngør herüber. Erst klingt es, als ob man an einer Angelrute die Schnur einholt. Später wird das Geräusch nähmaschinenartig, ehe es wie ein heißer Hauch von etwas Gefährlichem wirkt, etwas Stillem, etwas Unwirklichem, etwas Verdecktem: »Sieh mich nicht, aber wenn du mich gesehen hast, dann vergiss lieber nicht, dass es mich gibt.«

Als führte Misstrauen gegen das System zu Ohnmacht. In Oslo und draußen auf Sandøya spreche ich mit anderen über die unbegreifliche Servilität der Politiker. Wo steckt Gro? Was will sie gegen die nukleare Aufrüstung und die Stationierung von Atomwaffen in Norwegen unternehmen? Wo bleibt die Linke? Traut sich denn niemand mehr, über die NATO zu reden? Was passiert mit allen Gegnern? Soll Ronald Reagan allein entscheiden, welche Waffen auf norwegischem Boden gelagert werden?

Eine von den jungen Zugezogenen auf Sandøya kommt an die Tür und will reden. Wissen wir nicht, was passiert? Haben wir nicht von Eva Nordland gehört? Oder von Rachel Pedersen und Wenche Søranger? Wir, die hier in die Schären gezogen sind, um unser eigenes Leben aufzubauen, wollen wir uns denn ganz und gar aus der Gesellschaft abmelden? Unsere Kartoffeln ausmachen und in den Kochtopf legen ohne einen einzigen Gedanken daran, was ansonsten in der Welt vor sich geht?

Es ist die Frau aus Pasvik, die nun an unserem Esstisch sitzt und agitiert. Ist es ihre Herkunft, so weit aus dem Nordosten, wie man in Norwegen überhaupt kommen kann, die sie so stark macht? Sie ist blond und schön, ist mit ihrer Familie hergekommen. Sie studiert Medizin, ich nehme sie im Auto oft mit nach Oslo. Einmal habe ich sie gefragt, wie sie nach Sandøya gefunden hat. »Ich habe etwas gelesen, was du in der Zeitung gesagt hattest«, antwortete sie. Das machte mir Angst. Dann war ich es, der einer Erwartung entsprechen musste. Was hatte ich gesagt? Etwas Unverbindliches darüber, in Übereinstimmung mit der Natur zu leben, die eigenen Fische zu fangen, selber Kartoffeln zu setzen? Mir ging doch kaum je ein Kabeljau an den Haken. Das sagte ich zu ihr. Da lachte sie: »Die Verantwortung für mein Leben brauchst du nicht zu übernehmen.«

Nun waren ein paar Monate vergangen, es hatte einige Autofahrten gegeben, einige Begegnungen unterwegs. Die neu Zugezogenen sind so intensiv, ein bisschen jünger als wir, sie hören seltsame neue Künstler wie Prince auf den Festen, die wir arrangieren. Die Frau aus Pasvik sitzt an unserem Tisch, die Junisonne fällt durch das kleinsprossige Fenster und trifft auf ihre langen Haare. Mir kommt plötzlich ein trostloser Gedanke. Das wäre ja was, wenn ich mich verliebte! Ich sitze da und sehe ihre Hände an, wie diese die ganze Zeit versuchen, den Pony aus ihrer Stirn zu streichen, was Tante Svanhild gefallen würde. Nackte Stirnen. Die haben etwas so Schutzloses. Ihre Worte erinnern mich an unser Projekt hier draußen am Meer: nicht in festgelegten Mustern zu erstarren, nicht zu heiraten, sondern an die Freiheit zu glauben. Sie spricht über die Freiheit, sich für Frieden zu entscheiden, über das wichtige Treffen im November des vergangenen Jahres, als Pedersen und Søranger Kontakt zu Eva Nordland aufgenommen hatten, der bedeutenden Autorin, Pädagogin und Friedensaktivistin, die seit so vielen Jahren für den »kultivierten Menschen« kämpfte, den Menschen als Teil einer tieferen Gemeinschaft. Es sollte mit der Schulpolitik anfangen: »Der Mensch muss jetzt in eine Phase eintreten, in der größeres Gewicht auf seine sozialen und künstlerischen Aspekte und Möglichkeiten gelegt wird.« Als eine der Initiatorinnen der gemeinsamen neunjährigen Grundschule stand sie mitten in der gesellschaftlichen Diskussion.

Das Treffen im November trug dazu bei, die neuen Organisationen Nein zu Atomwaffen und Frauen für Frieden zu festigen. Die Frau aus Pasvik zeichnet und erzählt. Sie kam aus einer kleinen Gemeinschaft und wollte in einer anderen kleinen Gemeinschaft leben. Wir sitzen da und hören zu, die Andere und ich. Ja, was denkt die Andere? Sie hört das hier ja nicht zum ersten Mal. Sie und Tores Freundin haben über diese Friedensdemos gesprochen. Gleich vor dem Johannistag werden sich 3000 Menschen, vor allem Frauen, in Kopenhagen versammeln, um den Friedensmarsch nach Paris anzutreten. Das Bild der Frau aus Pasvik vermischt sich mit den tatsächlichen Informationen. Ihr Wunsch, daran teilzunehmen, alle zum Teilnehmen zu bewegen. Die Sonne trifft auf ihre Haare. Die Hand, oben an der Stirn, schiebt die Haare zur Seite. Die blauen Augen, die in unsere Gesichter starren.

Mehrere Tausend wandern durch Kopenhagen und dann zur Fähre nach Puttgarden. Auch einige Männer. In Deutschland wird es schwieriger. Das Land hat Atomkraftwerke. Das Land unterstützt die NATO. Nie wieder Krieg, solange man Atomwaffen besitzt. Aber diese schlängelnde Bewegung ist eine Versammlung von Einzelmenschen, die dasselbe wollen. Draußen in den Kulissen sitzen die Reaktionäre, die das lächerlich machen wollen, die Menstruationswitze erzählen, Blondinenwitze. Ich begegne ihnen, auf der Insel und in Oslo. Wie Ole auf hundert Meter Entfernung eine Feministin erkennen kann, erkenne ich einen Anti-Feministen auf noch größere Entfernung. Eines Abends, nach einigen Stunden im Studio, sitze ich mit Mutter in der Küche, sehe, wie erregt sie ist.

»Ich wäre gern bei dem Friedensmarsch dabei, Ketil.«

Ich glaube ihr. Ich fragte nicht, warum sie nicht geht. Es ist ihre Entscheidung. Tante Svanhild geht es schlechter. Mutter will in der Nähe sein, damit sie weiß, dass sie helfen kann. Ich frage mich, warum ich nicht gehe.

Die Frauen gehen. Der Kampf gegen Atomwaffen. Allein schon die Stationierung und der Bau der Lagerstätten sind eine Bedrohung. Es ist ein Marsch für die Zukunft der Kinder. Der Enkelkinder. Der Kinder der Enkelkinder.

In der Bar des Ambassadør sitzt einer der fetten Radioflaneure des NRK bei einem Whisky und macht sich lustig über die Feministinnen der siebziger Jahre, er hatte doch gehofft, wir seien fertig mit denen.

»Kennst du den Witz über die Braut, die nackt aus der Wohnung kommt, um den Müll in den Schacht auf der anderen Seite des Ganges zu werfen?«

»Das reicht«, sage ich.

Aber etwas ist passiert. Ein sechs Wochen langer Marsch. 1100 Kilometer. In Paris gibt es 20 000 Teilnehmerinnen. Frauen aus aller Welt. Französische Zeitungen, die nur ausnahmsweise über Atomwaffen schreiben, ermöglichen Diskussionen. Olof Palme, der in Paris weilt, erinnert daran, dass die Supermächte mehr als 50 000 tödliche Waffen besitzen. Die sowjetische Botschaft in Paris lädt die Initiatorinnen des Marsches zu einem Empfang ein, und Breschnew schickt aus dem Kreml ein Telegramm: »Es ist möglich, mit dem Abbau von Atomwaffen in Ost und West zu beginnen, wenn auf beiden Seiten der Wille vorhanden ist.« Reagan schickt nichts, aber die US-Botschaft ist dennoch bereit, zwei Vertreterinnen zu treffen. Rachel Pedersen und Eva Nordland wird klargemacht, dass das Militär der USA mit all seinen Waffen zur Verteidigung gedacht ist und niemals zu etwas anderem eingesetzt werden wird.

24.

Svartskjær. Eine der kleinsten Schären vor Sandøya. Die Schäre für Sonne und dicke Bücher. Ab und zu Weißwein aus der Thermosflasche. Er döst vor sich hin, schließt die Augen und denkt daran, was damals passiert ist, als Wagner bei Møkkalasset vor dem Tvedestrandsfjord einen Nothafen aufsuchen musste. Sogar bei geschlossenen Augen ist es hell. Rot, fast weiß. Dort draußen ist die Welt. Drinnen ist nur er selbst. Wer sollte dort Zutritt haben, wenn nur er selbst an besonderen Tagen sich an das Passwort erinnert? Die Andere liegt neben ihm. Sie zählen aufeinander, sie beide. Ist sie ebenso abhängig von ihm wie er abhängig ist von ihr? Sie haben gelernt, auf einer Insel zusammen zu leben. Sie haben gelernt, zu reisen. Neue Gebäude und Landschaften zu sehen. Meistens sind sie gleicher Ansicht über das, was sie sehen oder hören. Wenn sie in einem Konzert sind, ist ihm aufgefallen, dass sie die Augen in dem Moment schließt, in dem er sie auch schließen will. So ist große Liebe, denkt er. Es soll nicht möglich sein, in einem Leben tiefer zu gelangen oder sich mehr zu erwarten.

Als sie in der Turboprop-Maschine nach Kopenhagen sitzen, ist er glücklich, denn er hat keinen Auftritt. Immer, wenn er auftreten muss, fühlt er diese Unruhe. Die meiste Zeit ist dann Wartezeit. Darauf warten, dass das Flugzeug landet. Im Hotelzimmer warten. Auf den Soundcheck warten. Hinter der Bühne warten, bis jemand ihn holt, damit er das vorführen kann, weshalb das Publikum gekommen ist. Aber zusammen mit der Anderen befindet er sich in einem Jetzt oder einem Nun, wie er früher gesagt hat. Er war mit einer Sprache aufgewachsen, die langsam in der Vergangenheit verschwindet, und mit alten Büchern, die es im Buchladen bald nicht mehr geben wird, sondern nur noch in Antiquariaten und Bibliotheken. Die neue Sprache ist brutal und aggressiv und er findet sich darin nicht wieder. Die Andere spricht mit einer ganz anderen Weichheit. Ihr Akzent. Manchmal ziehen sie einander auf wegen ihrer unterschiedlichen Aussprache. Aber dabei sind sie immer respektvoll und vorsichtig. »Nennst du etwas so Schlichtes und Alltägliches, wie aufs Klo zu gehen, wirklich, ›die Notdurft verrichten‹?«

In Kopenhagen checken sie im Hotel Plaza am Hauptbahnhof ein. Doch es ist kein normales Bahnhofshotel. Hier steigen die großen Rockstars ab, wenn sie in Kopenhagen auftreten. Die beiden Restaurants sind in ganz Nordeuropa berühmt. Die Bibliotheksbar ebenso. Sie sind hergekommen, weil sie die Zeitung Information abonniert haben und manchmal auch Politikken lesen. Es ist die Sehnsucht nach dem Kontinentalen. Von Sandøya hätten sie bis nach Skagen blicken können, wenn die Erde nicht rund wäre. Und in der Information haben sie gesehen, dass Paul Simon im Konzertsaal des Tivoli ein Konzert geben wird. Darüber, ihn einmal live zu hören, reden sie seit Jahren mit Anne-Karine und Ole. Seit er mit Stefan Grossman zusammengearbeitet, hat Ole fast das Gefühl, Paul Simon zu kennen. Still crazy after all these years. Und er selbst hat nie aufgehört, The only living boy in New York in voller Lautstärke zu hören, wenn er allein zu Hause ist. Anne-Karine und Ole haben keine Zeit, zu diesem Konzert anzureisen. Aber die beiden von Sandøya sitzen im Flugzeug, fast benommen vor Erwartung. Sie reisen also nach Kopenhagen, aber nicht zum Friedensmarsch. War die Vorstellung zu überwältigend? Wurde alles zu anstrengend? Hatte die Frau aus Pasvik etwas Unheimliches an sich? Sie sprechen nicht mehr darüber. Eine neue Stille ist zwischen ihnen. Er weiß nicht so recht, ob ihm das gefällt.

Immer, wenn er im Flugzeug sitzt, denkt er große Gedanken. Dann gibt es keine Grenzen dafür, welche Romane er schreiben könnte, welche Texte, welche Melodien. Dann liegt in der Tasche am Sitzrücken von ihm ein Roman vom Format eines Philip Roth oder Bernard Malamud. Das ist die große Literatur. Die er sich selbst zum Ziel gesetzt hat. Im Verlag bezeichnen sie Bingo! als großen Roman, aber wie kann er sich da sicher sein? Dass er in der literarischen Hierarchie eine Stufe höhergerückt ist, gibt ihm kein Gefühl von Sicherheit. Er spricht mit der Anderen oft über Literatur. Sie hält sich auf dem Laufenden über die dänischen Autorinnen, über die in der Information berichtet wird. Dea Trier Mørch. Kirsten Thorup. Suzanne Brøgger. Alle Frauen auf Sandøya lieben Brøgger. Sie werden inspiriert durch Brøggers ewigen Sündenfall. Die konstante Doppeltheit. Die Art, in der sie über Sexualität oder über ihren Nachbarn zu Hause in Dänemark schreiben kann, der beim Bingo ein Schwein gewonnen hat. Bingo! ist kein Schwein, sondern ein Roman. Ist eigentlich Brøgger das Vorbild für die verschwundene Mutter in der Erzählung? Er hat mit der Anderen nie viel darüber gesprochen. Oft hat er das Gefühl, dass sie über seine eigenen Hauptpersonen mehr weiß als er selbst.

Am Nachmittag checken sie im Plaza ein. Die Sonne brennt, und aus dem Tivoli sind die vielen Leute zu hören, die hergekommen sind, um sich zu amüsieren. Im Hotelzimmer packen sie ihre Sachen aus. Er hat dasselbe Bedürfnis wie sie danach, aus dem Zimmer ein Zuhause zu machen, für die kurze Zeit, in der sie hier wohnen werden.

Sie bleiben eine Weile auf dem Hotelzimmer, dann gehen sie hinaus in die Bernstorffsgade, durch die Vesterbrogade und nach rechts zum Rådhusplass. Danach über Strøget zu den Antiquariaten in den Seitenstraßen, den spannenden Kunst- und Handwerksgeschäften, der eleganten Boutique von Tage Andersen, bei dem Pia schwere Krüge kauft, mit denen sie das Haus in Rekevika daheim auf Sandøya füllt. Die Sehnsucht nach Design, das etwas mehr ist als nur Blickfang, fast ein künstlerischer Ausdruck. Erling, der Kunstsammler, hat so oft mit ihm über die wichtigen Trennlinien gesprochen. Und wenn Erling ihm Beispiele zeigt, wird ihm alles so klar. Leonard Rickhard ist ein Künstler, aber viele der anderen Maler, die in seinen Fußstapfen laufen, sind Designer. Und das wissen sie selbst. Einer von ihnen, berühmt und bereits Millionär, wird sagen: »Ich könnte genauso gut ein Pinselwäscher in Leos Werkstatt sein.« Aber worin besteht der Unterschied? Jetzt, wo er so viel seiner Zeit auf Pop und Rock verwendet, auch wenn er jeden Tag Ravel, Bach, Debussy, Chopin und Mozart übt, macht er sich damit zu einem Mussikanten? Ist er kein Musiker mehr? Kein Künstler? Ist er ein Designer? Sind Paul Simons Lieder Design, Mozarts anspruchslose Menuette dagegen Kunst? Ihm ist es nie gelungen, den Unterschied zu sehen. Die Lieder, die er für das Stavangerensemble geschrieben hat, sind ebenso wichtig für ihn wie seine Kompositionen für die großen Jazzmusiker, mit denen er noch immer zusammenspielt.

Im Hotel gehen sie in das weniger luxuriöse Restaurant und verzehren eine leichte Mahlzeit. Ihm fällt ein, dass er die Konzertkarten im Zimmer vergessen hat. Er fährt mit dem Fahrstuhl in die oberste Etage, um sie zu holen. Dann geht er wieder hinaus auf den Gang und geht zur Fahrstuhltür. Er drückt auf den Abwärtsknopf.

Plötzlich steht Paul Simon neben ihm.

Mein erster Gedanke ist, dass ich so wahnsinnig viel größer bin als er, ja, dass ich so groß bin, dass es mir fast abnorm vorkommt. Ich habe mich doch immer danach gesehnt, klein und untersetzt zu sein. Ich lasse mich nicht beeindrucken von all der simplen Schikane kleiner Männer, wie Randy Newmans infamem Short People, obwohl das natürlich von etwas ganz anderem handelt.

Der Fahrstuhl kommt. Die Türen öffnen sich. Paul Simon hebt den Arm und gibt mir ein Zeichen, als Erster hineinzugehen. Das ist einfach lächerlich. Ich hebe ebenfalls den Arm. Simon lächelt höflich und betritt den Fahrstuhl. Ich lasse ihn für uns beide auf den Knopf drücken. Ein kleines Rucken, dann sind wir auf dem Weg nach unten. Soll ich jetzt etwas sagen, frage ich mich fieberhaft. Soll ich ihm erzählen, dass auch ich mit Stefan Grossman im Studio gewesen bin? Soll ich auf die Knie fallen und ihm für seine vielen phantastischen Lieder danken? Aber das tue ich natürlich nicht. Ich bin vom Elton-John-Syndrom befallen, diktiert von Anne Lise. Ich gebe vor, ihn nicht zu erkennen. Er ist irgendein Hotelgast in Kopenhagen. Vielleicht ein Geschäftsmann. Ein geiziger kleiner Investor. Ein gerissener Weinvertreter aus dem Napa Valley. Wir starren beide ausdruckslos in den Spiegel. Es war so peinlich, an dem Abend im d’Artagnan, als ich in der losen Luft fünf Meter Brust schwamm, um ganz dicht an Elton John heranzukommen, und von einer energischen Anne Lise aufgehalten wurde, die so wütend war, dass sie fast zugeschlagen hätte. Danach musste sie sich für eine Restaurantrechnung über mehrere hunderttausend Kronen rechtfertigen.

Einige Sekunden später habe ich das Gefühl, dass Paul Simon aus meinem Leben verschwindet. Er geht auf die Glastüren und die wartende Limousine zu. Ich selbst betrete das billigere Restaurant und sage zu der Anderen: »Zeit fürs Konzert.«

Im Konzertsaal des Tivoli ist die Stimmung geladen. Obwohl nicht Stefan Grossman Gitarre spielt, ist die Band die beste, die Paul Simon je gehabt hat. Er hebt uns von Lied zu Lied, und als Bridge over troubled water aus der riesigen PA-Anlage strömt, sind wir alle zutiefst berührt. Wir stehen mit Tränen in den Augen da. Einige mit angeknipsten Feuerzeugen, obwohl das nicht erlaubt ist. Neben mir stöhnt jemand: »Das ist doch das Konzert des Jahrhunderts!«

Danach will der Applaus kein Ende nehmen. Ich stutze, als ich sehe, dass Paul Simon die Bühne nicht verlässt. Hat es jetzt nicht schon genug Zugaben gegeben? Aber Simon hebt die Arme wie ein Priester und mahnt zur Ruhe.

»Ladies and gentlemen, an old friend showed up at my hotel this morning …«

Oh nein, denke ich. Das kann doch nicht sein! Nicht jetzt! Und doch. Dieser Däne mit dem mageren Leib und den langen ungewaschenen Haaren. Als ob er geradewegs aus dem Freistaat Christiania käme und einen Joint geraucht hätte. Ein klassischer Schleimer. Großer Gott, da steht er zusammen mit Paul Simon auf der Bühne und bettelt um Aufmerksamkeit. Ein Liedersänger ohne Impulskontrolle. Und Simon lässt ihn gewähren. Ich traue meinen Augen nicht. Dieser Jesper, der offenbar irgendwann in New York gewesen ist, ehe Paul Simon weltberühmt wurde, reißt mit seiner Gitarre die Show an sich. Hören wir … was hören wir da? Alle duene. All the pigeons! Aber das ist doch nicht möglich, flüstere ich der Anderen zu, während Jesper versucht, den ganzen Saal zum Mitsingen zu animieren. Gibt es denn gar keine Grenzen? Paul Simon steht ein wenig desorientiert neben diesem Freund, der vielleicht noch nicht einmal ein Freund ist, sondern ein Bekannter, ein Prahlhans, ein Liedersänger ohne Grenzen, der uns jetzt alle dirigiert: »Wo bist du? Hier bin ich. Kommst du? Jetzt komme ich!« Und ich denke, werden wir wirklich provinziell davon, dass wir in der Provinz wohnen? Gibt es etwas, das uns entgeht, wenn wir unser Leben am Rand der Großstädte führen? Wie dieser Jesper, dem es innerhalb weniger Minuten gelingt, eins von Paul Simons besten Konzerten zu ruinieren. Plötzlich stehen wir alle da wie brave und verängstigte Nazis mit einem weltberühmten Juden und einem verkleideten Hitler auf der Bühne. Wir brechen in unfreiwilligen Rundgesang aus: »Alle Tauben! Alle Tauben! Fliegen zwischen den Bäumen in die Höh!«

Zwei Stunden später. Wir sitzen in der Bibliotheksbar des Hotels, die Andere und ich, und versuchen, dieses albtraumhafte Erlebnis zu verarbeiten.

»Aber warum haben wir das getan? Warum haben wir gehorcht? Warum haben wir gesungen?«

Wir können diese Frage beide nicht beantworten.

Dann gehen wir zum Fahrstuhl.

Und da kommt er wieder.

Paul Simon. Mutterseelenallein.

Er geht nach uns hinein. Lächelt vorsichtig.

Wir lächeln zurück.

Er steigt einen Stock unter unserem aus.

»Good night«, sagt er.

»Good night«, sagen wir.

In der Nacht träume ich von Leos Bild In sich gekehrter Vogelliebhaber. Wir waren damals gescheit genug, es zu kaufen, obwohl wir uns das nicht leisten konnten. Die Person vor dem Schrank mit den vielen Vögeln, die selbst einen Vogel in der Hand hat. Plötzlich sehe ich, dass Paul Simon diese Person ist. Die Vögel sind seine Lieder. Er nimmt sie hervor, eins nach dem anderen, immer mit derselben zaghaften Verwunderung. Dann flüstert er: »Hello darkness, my old friend.«

Jesper ist der Mensch, der ich am allerwenigsten sein möchte. Einer, der nicht begreift, wer er ist, wie er wirkt, welche Begabungen oder welche Begrenzungen für ihn entscheidend sein werden. Hat er nicht begriffen, als er dort auf der Bühne stand und uns im Takt zu Alle duene klatschen lassen wollte, dass er uns quälte, dass er ein Konzert ruinierte, dass er durch seine Selbstzufriedenheit lächerlich wirkte?

Nein, nie, denke ich, als ich dort im Bett liege und mit meinen Angstträumen ringe. Nimmermehr!

In der folgenden Woche fahre ich wieder nach Dänemark. Diesmal allein. Nach Ringe. Zum Midtfyns-Festival, das Tausende von Menschen anlockt. Sowie ich die dänische Stimme am Telefon hörte, verspürte ich Unbehagen. Das war nicht Paul Karlsen. Keine zuverlässigen Menschen in meiner Nähe. Ich hätte nicht gedacht, dass Dänen so fremd klingen können, so feindselig. Und dann wollte er nur, dass ich solo auf einer riesigen Bühne auftrat. War es der Albtraum aus meiner Kindheit? Dass ich eigentlich keine Herausforderungen will? Der Linkshänder, der sich weigert, mit der rechten Hand zu schreiben.

Es ist mein erster öffentlicher Auftritt außerhalb Norwegens. Als ich am Flughafen abgeholt werde nach dem kurzen Flug mit Busy Bee von Kristiansand nach Billund, wird Dänemark plötzlich so anders. Fremd, weil die Andere nicht bei mir ist. Ich checke im Ringe kro ein, sehe draußen viele Jugendliche auf dem Weg zum Festivalgelände. Warum um alles in der Welt soll ich hier Klavier spielen? Niemand weiß, wer ich bin, bis auf den einen Veranstalter, der zwei von meinen Platten gehört hat. Das Musikland Dänemark ist mir unbekannt, auch wenn die Sängerin Trille oft zu Hause auf Sandøya auftritt. Aber noch habe ich Carl Nielsen nicht entdeckt, und der dänische Pop ist ebenso flach wie das Land, in dem er entsteht. Der Jazz gehört der Generation über mir, den pfeiferauchenden Oldtimern, die »davs« sagen und mit Duke Ellington und Gil Evans gespielt haben. Den Korrekten, die im Jazzclub Montmartre Samtmusik spielen. Anders als Savage Rose, die Hauptattraktion auf dem Midtfyns-Festival. Sie haben ein enormes Publikum, und ich sehe sie, höre sie mit einem plötzlichen Enthusiasmus, ohne zu wissen, dass ich 25 Jahre später mit ihrem Schlagzeuger durch Europa touren werde.

Danach denkt er an die Traurigkeit, die er früher an diesem Tag verspürt hatte, als er im Ringe kro in einer Ecke saß, Aal aß und dänisches Bier trank. Es war noch eine Stunde bis zu seinem Auftritt. Er war nervös, wie immer. Solo vor mehreren tausend Menschen Klavier zu spielen war naturwidrig. Auf dem Plakat standen einige riesige amerikanische Namen. Er hatte sich so klein gefühlt, als er seinen eigenen Namen dazwischen sah. Aber es war noch etwas anderes in ihm aufgestiegen, ein tieferer Missmut, ein Gefühl von Leere, von etwas Sinnlosem, fast wie eine Todesangst. War es so einfach, dass die Andere ihm fehlte? Dänemark war das Land, in dem sie Ferien machen wollten, sie beide. Er dürfte dort nicht allein arbeiten. Er hatte sich immer auf seine Fähigkeit zum Alleinsein verlassen. Deshalb würde er sich noch viele Jahre später an diesen Nachmittag im Ringe kro erinnern als einen Riss in dem Rumpf, in dem mentalen Firnis, in seinem täglichen Schutz vor der Sinnlosigkeit. Er hatte Menschen in einer tiefen Depression gesehen, und er konnte fast physisch spüren, wie schlecht es ihnen ging. Das Mitleid, von dem Tor Kaare gesprochen hatte, Die Bruderschaft des Leidens zwischen allem Lebenden, über die Peter Wessel Zapffe ein Gleichnis geschrieben hatte. Der Jäger, der nachts von seiner Frau losgeschickt wurde, um ein Tier zu töten. Aber am nächsten Morgen fand man ihn tot beim Wasserloch, umringt von allen Tieren, die er nicht zu töten vermocht hatte.

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