Kitabı oku: «Tödliche Mutterliebe», sayfa 2

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„18,4 cm, Carotis rechts an der Bifurkation durchtrennt, Schildknorpel angeritzt, offensichtlich die Todesursache. Die Wundränder sind glatt. Sieht nach einem einzigen Schnitt mit einem sehr scharfen Messer mit glatter, einschneidiger Klinge aus.“ Dr. Salonis sah Laura direkt in die Augen.

„Der Täter hat nicht gezögert und wusste genau, wie er das Messer führen musste, um effektiv zu sein. Hier können Sie einen rechtwinkligen Einschnitt am Wundrand sehen“, sie zeigte auf ein Ende der Wunde. „Das ist ein Hinweis darauf, dass der Täter von links nach rechts geschnitten hat.“

„Er ist Rechtshänder?“, fragte Sommer. Die Pathologin nickte. „Ja, eindeutig.“

„Aber sie wurde auch stranguliert“, meinte Ackermann mit Blick auf die dunklen Flecken am Hals der Toten.

„Ja“, erwiderte Dr. Salonis, „eine Kompression der Halsweichteile ist deutlich zu erkennen.“ Sie griff erneut nach der kleinen Taschenlampe. „Aber wie Sie hier sehen“, sie öffnete noch einmal den Mund des Opfers und leuchtete in die Mundhöhle, „ist das Zungenbein nicht gebrochen.“

„Wieso hat der Täter sie dann vorher noch gewürgt?“, warf Sommer ein.

„Atemkontrolle“, meinte Laura. Dr. Salonis nickte bestätigend.

„Ja, das könnte passen. Für manche Menschen ist es beim Sex stimulierend, wenn sie die Kontrolle über sich abgeben.“

„Asphyxiesex ist relativ häufig. Der Wunsch, den Orgasmus durch den Sauerstoffmangel zu verstärken, hat in der Vergangenheit immer wieder zu Todesfällen geführt. Da gab es sogar schon den einen oder anderen Prominenten, der daran verstorben ist.“

„Ehrlich?“, staunte Ackermann. „Ja, Michel Hutchinson zum Beispiel, der Sänger der Gruppe INXS. Er wurde nackt mit einem Gürtel um den Hals in einem Hotelzimmer gefunden. Und das ist kein Einzelfall. Da gibt es einige. Die Leute legen sich einen Strick um den Hals, den sie zuvor beispielsweise an einem Heizkörper oder Türknauf befestigt haben, und lehnen sich zurück, um dabei zu masturbieren.“

„Aber, wenn er sie doch umbringen wollte, warum hat er dann die Schlinge nicht einfach weiter zugezogen? Er hat sich die Mühe gemacht, die Schlinge von ihrem Hals zu nehmen, um ihr anschließend die Kehle durchzuschneiden.“

„Ich denke, das ist Teil seines perversen Spiels, sein Opfer so lange wie möglich zu quälen“, meinte Laura.

Sie sah, wie sich die Pathologin nun der Untersuchung des Oberkörpers zuwandte.

Dr. Salonis Blick verweilte an den langen Striemen. „Scheint so, als hätte man sie ausgepeitscht“, sagte sie, während sie auf einige besonders dunkle Male an Oberkörper und Extremitäten zeigte. Dann wandte sie sich dem Oberarm zu, der vom Mörder mit der Zahl Dreizehn versehen worden war. Sie maß die Tiefe der Wunde aus.

„Soweit ich das sehe, hat das Opfer noch gelebt, als der Mörder ihr diese Wunden beigebracht hat. Sehen Sie die unsauberen Wundränder? Das Opfer hat sich gewehrt, als er mit der Klinge ihre Haut ritzte. Außerdem“, sie zeigte auf die ringförmigen roten Streifen um die bläulich verfärbten Brüste der Frau, „wurden ihre Brüste so stark abgebunden, dass sich das Seil tief in die Haut geschnitten hat.“

Laura starrte auf die Brüste und versuchte sich vorzustellen, welche Schmerzen so ein Abbinden des Busens verursachte. Sie fragte sich, worin der Reiz des Schmerzes lag. Für sie kam so etwas nicht in Frage. Sie sah die Männer im Raum an. Ackermann, dessen Augen zornig funkelten. Sommer, der grimmig der Pathologin zusah, die sich soeben dem Schambereich der toten Frau zuwandte.

„Wurde sie vergewaltigt?“, fragte Laura mit Blick auf die Hände des Opfers. Die Fingerkuppen waren noch geschwärzt von der Tinte, mithilfe derer man ihre Fingerabdrücke genommen hatte. Einige Fingernägel waren abgebrochen, was ein eindeutiger Hinweis darauf war, dass sich die Frau gewehrt haben musste. Sicherlich hatten sich die Kollegen von der Spurensicherung die Finger genau angesehen und entsprechende Spuren, wenn vorhanden, gesichert.

Dr. Salonis sagte: „Sie hatte auf jeden Fall sehr heftigen Geschlechtsverkehr. Es ist natürlich schwer zu sagen, ob einvernehmlich oder nicht, da Menschen mit Fetisch oft auf Vergewaltigungsspiele stehen.“ Sie machte einen Abstrich in der Hoffnung, Sperma und somit DNA sichern zu können. Ihr Assistent half ihr, die Frau umzudrehen, damit sie auch eventuelle Spuren im Analbereich nicht übersahen.

Wieder auf dem Parkplatz des gerichtsmedizinischen Instituts angekommen, atmete Laura die frische, saubere Luft ein, bevor sie in ihren Wagen stieg. Trotz der Kälte fuhr sie mit geöffnetem Fenster zum Präsidium. Sie kam sich vor wie jemand, der kurz vor dem Ertrinken gewesen war und nun endlich wieder Luft bekam. Gierig sog sie die klare Luft ein, um den Geruch des Obduktionssaales in ihrer Lunge zu verdünnen. Sie hatte sich nichts anmerken lassen; während der ganzen Prozedur hatte sie aufmerksam zugehört. Nicht ein einziges Mal hatte sie weggesehen, aber als Dr. Salonis mit einem Y-Schnitt den Brustkorb geöffnet hatte, war es ihr doch anders geworden.

Sie lief zum Besprechungszimmer. Schon im Flur hörte sie die Stimme des Polizeipsychologen. Als sie eintrat, blickte sie in die müden Gesichter der Kollegen. Sommer und Ackermann waren schon da, ebenso Armin Elszer von der Spurensicherung, der sich an einem Becher Kaffee festhielt. An einer Wand des Raumes war ein Whiteboard aufgestellt, an dem Fotos vom Tatort und dem Opfer hingen. Sie setzte sich auf den einzigen noch freien Stuhl am Kopfende des Tisches. Einige Köpfe hatten sich kurz zu ihr umgedreht, doch dann hatten sich alle wieder Dr. Gerhard Adam zugewandt, der mit ruhiger, fast hypnotisierender Stimme sprach.

„Natürlich liegt es im Auge des Betrachters. Fetisch kann viele Formen haben. Für manche Menschen ist es ganz natürlich, vom Partner dominiert zu werden. Andere wiederum möchten dominieren. Dann gibt es Leute, die möchten einfach nur zusehen.“

„Wie?“, fragte Sommer. „Die wollen zusehen, wie jemand vergewaltigt wird?“

„Ja“, Adam nickte bestätigend mit dem Kopf. „Und das Geschlecht spielt dabei keine Rolle.“ Laura wandte sich an Elszer: „Was habt ihr gefunden?“

„Na ja, das Seil kann man in jedem Baumarkt kaufen. Die Karabinerhaken auch. An der Leiche selbst haben wir Fasern gefunden.“

Er zog einen Bericht aus der Mappe, die vor ihm auf dem Tisch lag, und reichte ihn Laura. Zuoberst lagen Aufnahmen eines Elektronenmikroskops.

„Die Kollegen vom Labor sagen, dass es sich hier um graue Velourfasern eines Kofferraumteppichs von einem Mercedes Benz Coupé handelt. Das deckt sich mit den Reifenspuren, die wir auf dem Gelände der Mühle gefunden haben.“

Laura überflog den Bericht. „Somit wissen wir, dass der Täter sein Opfer mit solch einem Fahrzeug zu der alten Mühle transportiert hat.“

„Das Einzige, was mich stutzig macht“, warf Elszer ein, „ist der Lolli. Wieso hinterlässt jemand an einem Tatort einen Lolli?“

„Wie, so ein richtiger Lolli?“, fragte Sommer.

“Ja!“, Elszer reichte ihm das Foto, auf dem ein gelb-weißer, kegelförmiger Lutscher mit einem kleinen roten Rennauto als Griff abgebildet war. Sommer reichte es an einen Kollegen weiter und meinte: „Der ist ja richtig oldschool, die habe ich als Kind auch gerne gegessen.“

Laura schaute auf das Bild. Sie erinnerte sich, dass auch sie als Kind solche Lollis von ihrer Mutter geschenkt bekommen und diese immer toll gefunden hatte. In einer Zeit, in der Kinder nicht täglich Süßigkeiten bekommen hatten, war so ein Lolli schon etwas Besonderes gewesen. Sie überlegte, ob es diese Art Lolli überhaupt noch zu kaufen gab. „Gibt es die heute noch?“

Elszer antwortete: „Ich hab mal im Internet recherchiert, die kann man online bestellen und sie sind gar nicht mal günstig.“

„Meint ihr, der Mörder isst diese Lutscher und hat den verloren?“

„Das glaube ich nicht“, warf Dr. Adam ein. In einer Hand hielt er das Foto, das die Runde gemacht hatte und nun bei ihm gelandet war. Alle schauten den Psychologen an, der die letzten Minuten ruhig und unscheinbar am anderen Tischende gesessen hatte.

„Für den Mörder ist dieser Lolli ein Symbol.“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass dieses Sinnbild auch ein Zeichen an uns sein soll. Er will uns etwas mitteilen, sonst hätte er den Lutscher nicht so drapiert, dass wir ihn garantiert nicht übersehen.“

„Haben Sie auch eine Theorie, was er uns sagen will?“

Die Frage kam von Sommer, und der leichte Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören. Der Psychologe ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Unbeirrt fuhr er fort: „Ich bin der festen Überzeugung, dass der Mörder in seinem Wesen noch kindlich ist. Er möchte sich beim Opfer mit einem Lolli entschuldigen.“

„Von einem Lolli wird die Frau auch nicht wieder lebendig!“, sagte Ackermann sarkastisch. „Was hat es mit der Zahl auf sich?“ fragte Laura.

Der Polizeipsychologe sah Laura fest in die Augen.

„Die Zahl ist sehr wichtig für unseren Täter, sonst hätte er sein Opfer damit nicht markiert.“

„Aber warum die Dreizehn?“, fragte Elszer.

„Die Dreizehn gilt in vielen Kulturen als Unglückszahl. Die irrationale Furcht vor der Zahl Dreizehn wird Triskaidekaphobie genannt. Menschen mit dieser Phobie meiden Räume oder Stockwerke mit dieser Zahl oder die Dreizehn allgemein. Diese weitverbreitete Phobie beziehungsweise dieser Aberglaube geht so weit, dass in Gebäuden oftmals der dreizehnte Stock fehlt oder nicht ausgeschildert wird. In Flugzeugsitzen wird des Öfteren die dreizehnte Reihe in der Nummerierung ausgelassen. Auch in vielen Krankenhäusern oder Hotels wird auf ein Zimmer mit der Nummer dreizehn verzichtet, in vielen Motorsportserien auf die Startnummer dreizehn. Ich denke allerdings, die Dreizehn hat für unseren Täter eine hohe Symbolkraft. Vielleicht ist er Esoteriker. Im Tarot ist die Dreizehn dem ‚La Mort‘, dem Tod, zugeordnet. Vielleicht ist die Unbekannte aber schon sein dreizehntes Opfer oder er zählt rückwärts, dann werden noch zwölf weitere Opfer folgen.“

Kapitel 2

Laura fuhr nach Hause, sie war müde und frustriert. Das Leben bei der Mordkommission war anstrengender, als sie gedacht hatte. Heute Nacht war sie von den Kollegen aus dem Schlaf gerissen worden, weil sich zwei aus Rumänien stammende Männer gestritten hatten. Nun lag der eine im Kühlraum der Rechtsmedizin und der andere saß in Untersuchungshaft. Er hatte sich den ganzen Tag geweigert, mit Laura zu reden. Er hatte einfach nur dagesessen und ihr mit seinen dunklen Augen hasserfüllte Blicke zugeworfen. Auch der herbeigerufene Dolmetscher hatte ihn nicht zum Reden bringen können. Laura war sich der höhnischen Blicke der Kollegen bewusst gewesen, weil sie es nicht geschafft hatte, den Rumänen zu einer Aussage zu bewegen. Aber sie würde nicht klein beigeben. Morgen war ein neuer Tag. Ihre Gedanken schweiften ab zu ihrem anderen ungeklärten Mordfall. Sie dachte an die tote Frau, die vor Wochen in der Mühle gefunden worden war. Es machte sie fast verrückt, dass sie in diesem Fall nicht weiterkamen. Weder hatten sie das Opfer identifizieren können, noch gab es irgendwelche konkreten Hinweise auf den Täter. Seit mehr als zwei Monaten arbeiteten sie nun mit Hochdruck an der Spurenauswertung. Über das Opfer wussten sie lediglich, dass die Frau etwa dreißig Jahre alt war und vielleicht aus Russland stammte. Ihre Fingerabdrücke waren nicht in der Datenbank erfasst. Auch der Vergleich von Röntgenaufnahmen ihrer Zähne mit denen von Vermissten hatte kein Ergebnis gebracht. Wenn sie nie straffällig geworden war und niemand sie als vermisst meldete, würden sie wahrscheinlich nie herausfinden, wer sie war.

Zu allem Übel hatte ihre Mutter heute Geburtstag und sie hatte immer noch kein Geschenk. Wie sie diese Familienfeierlichkeiten hasste. Ihre Mutter hatte sicherlich den ganzen Tag gebacken und gekocht, um die ganze Verwandtschaft zu verköstigen, die sich erfahrungsgemäß gerne an ihren gedeckten Tisch setzte, um sich in jeder Hinsicht bedienen zu lassen. Vermutlich war ihre Mutter wieder gestresst und aufgeregt, da sie immer befürchtete, jemand könnte nicht satt werden. Und ganz bestimmt würde sie wieder von den Geschenken enttäuscht sein. Ihr Vater würde sich mit Sicherheit ein Bier nach dem anderen genehmigen, denn das war seine Art, mit so einem Tag fertig zu werden. Das kannte Laura schon. Die Einzige, die ihre Mutter nicht enttäuschen würde, würde ihre Schwester sein. Die würde wieder einen tollen Kuchen mitbringen und das beste Geschenk. Silke war in den Augen ihrer Mutter das Vorzeigekind. Fürsorgliche Tochter, liebende Mutter von zwei Kindern und Ehefrau eines Ingenieurs. Alles das, was Laura nicht war und zurzeit auch nicht sein wollte. Zu Hause angekommen versorgte sie mit schlechtem Gewissen die hungrig und vorwurfsvoll ihr um die Beine streichende Emma. Schon wieder gab es keine Zeit für ausführliche Streicheleinheiten, ein Napf voll Futter musste genügen.

„Was für eine Rabenmutter du hast, Kätzchen“, murmelte sie und verschwand im Bad. Frisch geduscht und mit einer Schachtel Pralinen, die sie im Vorbeifahren an der Tankstelle gekauft hatte, in der Hand klingelte Laura an der Tür ihrer Eltern. Ihr Vater öffnete. „Na, da bist du ja endlich, meine Große, schön, dass du gekommen bist.“ Er nahm sie in den Arm. Zweifellos hatte er schon den einen oder anderen Schluck getrunken. Stimmengewirr kam aus dem Wohnzimmer, anscheinend waren alle schon da und sie war wie immer die Letzte. Laura atmete tief durch. Im selben Moment kam Silke aus der Küche, mit einer großen dampfenden Schüssel im Arm. Wie immer war sie perfekt gestylt, wie immer sah sie aus, als käme sie direkt vom Friseur, und wie immer war sie sichtlich teuer gekleidet. Im Vorbeigehen drückte sie Laura einen Kuss auf die Wange und flüsterte dabei verschwörerisch:

„Du solltest rennen, so lange du noch kannst, Schwesterherz!“

„Warum?“, fragte Laura, aber ihre Schwester war schon verschwunden. Ihr Vater führte sie ins Wohnzimmer, wo die gesamte Verwandtschaft am Esstisch saß und sich die Vorspeise schmecken ließ. Alle schwatzten und begrüßten sie herzlich. Ihre Mutter hatte gerade eine Schüssel Gemüse auf den Tisch gestellt. Sie warf Laura einen wütenden Blick zu, kam auf sie zu und zog sie mit sich in die Küche. Wo es sonst so penibel aufgeräumt war, sah es heute aus wie in einer Großküche. Die Arbeitsplatte war übersät mit dampfenden Schüsseln voll mit selbst gemachten Knödeln und Spätzle sowie Platten mit gebratenem Hühnchen und Rinderbraten. Auf dem Herd köchelte irgendetwas vor sich hin und verströmte einen leckeren Duft. Der Küchentisch stand voll mit verschiedenen Kuchenbehältern mit selbst gebackenen Torten und Kuchen für den Kaffee nach dem Essen, die nur darauf warteten, serviert zu werden. So wie Laura ihre Verwandtschaft kannte, würde diese erst gehen, wenn alles verputzt war. Regina Braun war es gewohnt, für viele Menschen zu kochen, und sie war nur glücklich, wenn es allen schmeckte.

„Wo warst du so lange? Immer bist du zu spät! Nicht einmal an meinem Geburtstag schaffst du es, pünktlich zu sein. Außerdem hätte ich deine Hilfe gebraucht“, zischte Regina Braun und füllte braune Soße in eine vorgewärmte Sauciere. „Gut, dass wenigstens auf deine Schwester Verlass ist!“

„Ich musste länger arbeiten. Wir haben zurzeit einen schwierigen Fall“, versuchte Laura, sich zu rechtfertigen. Aber ihre Mutter würdigte sie keines Blickes und machte sich daran, Sahne in die Soße zu rühren. Wenn ihre Kollegen sie so sehen würden. Im Dienst war sie die toughe Polizistin. Bei ihrer Mutter war sie das kleine Mädchen, das wieder einmal zu spät zum Essen gekommen war und gleich Stubenarrest bekommen würde.

„Jetzt komm rüber und iss! Und erzähle ja nicht von deiner abscheulichen Arbeit!“

Mit diesen Worten drückte Regina Braun ihrer Tochter die Sauciere in die Hand. Sie selbst nahm die Fleischplatten.

„Ich darf eh nicht über den Fall reden“, setzte Laura an, aber ihre Mutter war schon vor ihr ins Wohnzimmer gegangen und überhörte Lauras Worte.

Ich verlasse ihr Zimmer und ziehe leise die Tür hinter mir zu.

Ich lehne mich mit dem Rücken an die Tür und schließe die Augen. Ich atme tief und stoßweise. Meine Lungen füllen sich mit frischer Luft, die durch das leicht geöffnete Fenster in den halbdunklen Flur dringt. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich die heiße, verpestete Luft, die ich eben in ihrem Zimmer eingeatmet habe, nicht mehr aus meinen Atemwegen bekomme. Meine Lunge brennt förmlich und ich fühle mich wie ein Fisch, der in einem Netz gefangen ist, welches gerade die Wasseroberfläche durchbricht und ihn aus dem kühlen, lebenswichtigen Nass zieht.

Ich streife die Latexhandschuhe ab. Angeekelt werfe ich sie in den Mülleimer, der neben der Tür steht. Wenn ich nur alles so einfach abstreifen könnte wie diese Handschuhe! Ihren Geruch, ihren Anblick, den Klang ihrer Stimme. Wenn ich doch nur die Erinnerungen ablegen könnte. Erinnerungen, die mich täglich quälen. Erinnerungen, die nachts meine Träume in Albträume verwandeln.

Ich begebe mich in mein Zimmer. Wie immer zähle ich die Schritte. Ich nehme mir ständig vor, meine Schritte nicht zu zählen. Aber doch tue ich es immer wieder. Ich kann nicht anders. Es ist ein Zwang, der mich beherrscht. Es sind dreizehn.

Ich laufe wie immer über den alten Perser. Ich kann mich noch daran erinnern, wie stolz sie gewesen ist, als sie diesen Teppich zum ersten Mal auf dem Boden ausgerollt hat. Wie frisch die Farben geleuchtet haben und wie weich er sich angefühlt hat. Dann wurde alles anders.

Ich gehe ins Bad, reiße mir die Kleider herunter und werfe sie achtlos auf den Fußboden. Kleider, die mit ihrem Geruch durchtränkt sind und mit ihrem Blut.

Ich steige in die Dusche und drehe den Hahn voll auf. Ich spüre, wie das eiskalte Wasser über meinen Kopf und meinen Körper läuft. Wie es versucht, die Sünde abzuwaschen. Ich zittere am ganzen Körper. Trotzdem bleibe ich unter dem kalten Wasserstrahl stehen. Spüre, wie die Kälte des Wassers in meine Knochen dringt. Ich halte den Kopf gesenkt und sehe dem Wasser nach, wie es im Abfluss verschwindet. Mein Blick fällt auf meinen Penis. Trotz der Kälte ist er erigiert. Ich spüre die Lust, die mich durchflutet. Mein Atem geht schneller und ich lege Hand an mich. Ein kleines Vorspiel, denn heute Abend werde ich ein Liebhaber sein. Heute Abend habe ich ein ganz besonderes Date.

Kapitel 3

Laura wachte auf, als ihr Handy klingelte. Mit halb geöffneten Augen schielte sie zum Wecker. In ein paar Minuten hätte sie ohnehin aufstehen müssen. Sie langte auf den Nachttisch und tastete nach dem Telefon.

„Braun“, meldete sie sich müde und schlecht gelaunt. Wer um diese Zeit anrief, sollte einen guten Grund haben.

„Es war wieder unser Freund“, erklärte Ackermann eine halbe Stunde später, als Laura am Tatort im Heidelberger Stadtteil Kirchheim eintraf. Er kam ihr im Treppenhaus entgegen, um ihr Überzieher und Handschuhe zu reichen. Überrascht sah er sie an. „Na, wohl ´ne kurze Nacht gehabt“, sagte er grinsend.

„Ja, ganz toll. Meine Mutter hatte gestern Geburtstag!“

„Oh, das hört sich an, als hättest du richtig viel Spaß gehabt!“ Sein Grinsen wurde noch breiter.

„Keine Fragen, bitte!“

Sie hatte nur schnell geduscht und das Erstbeste, was ihr in die Finger kam, angezogen. Nun stellte sie fest, dass ihre Bluse einen Fleck hatte und genauso zerknittert aussah wie sie selbst. Sie hatte schlecht geschlafen und die Geburtstagsfeier ihrer Mutter steckte ihr immer noch in den Knochen. Ihr Schädel dröhnte, denn Onkel Phillip hatte ständig ihr Weinglas aufgefüllt und gemeint, dass eine Polizistin, die nicht im Dienst wäre, durchaus mal einen heben sollte. Dabei mochte Laura gar keinen Wein. Ein anständiges Bier wäre ihr lieber gewesen. Ihre Tante hatte zum hundertsten Mal gefragt, wann sie denn endlich heiraten und Kinder in die Welt setzten würde. Und wie jedes Mal hatte sie sich anhören müssen, dass ihre Tante ja schließlich ihren Teil zur Gesellschaft beigetragen hätte. Immerhin hätte sie vier Kinder großgezogen, aus denen etwas geworden sei.

Laura war geblieben, bis alle gegangen waren, um ihrer Mutter beim Abwaschen und Aufräumen zu helfen. Zu allem Übel hatte ihre Mutter zu weinen angefangen. Wie so oft an Festtagen. Alle Jahre wieder wurde ihre Mutter an ihrem Geburtstag sentimental, weil sie sich daran erinnerte, dass es das letzte Fest war, welches sie zusammen mit ihrem Pflegesohn David gefeiert hatten. Als Laura zehn Jahre alt gewesen war, war sie eines Morgens aus ihrem Zimmer gekommen und hatte auf der Couch einen kleinen Jungen schlafen gesehen. Für Lauras Familie war dies nichts Besonderes, da ihre Mutter ständig jemanden bei sich aufnahm. Das konnte auch schon mal eine herrenlose Katze, ein kleiner Igel oder ein aus dem Nest gefallenes Vogelbaby sein. Regina Braun hatte ein großes Herz für Bedürftige, sie engagierte sich für die Armen und kochte jeden Donnerstag in der Mannheimer Armenküche für Obdachlose. Hin und wieder schliefen auch mal für ein paar Tage irgendwelche Kinder bei ihnen. Meistens nur für zwei oder drei Wochen, bis das Jugendamt eine Pflegefamilie für diese Kinder fand. Laura machte sich zuerst gar nicht die Mühe, sich an den Jungen zu gewöhnen, da er sowieso nicht lange bleiben würde. Nur dass dieses Mal ihr Besuch über ein Jahr blieb, bis er einen Tag nach dem Geburtstag ihrer Mutter zurück zu seiner leiblichen Mutter gebracht wurde. Für Laura war das nicht weiter schlimm. Es würde sicherlich nicht lange dauern, bis das nächste Kind bei ihnen untergebracht werden würde. Schließlich waren ihre Eltern beim Jugendamt als Kurzzeitpflegeeltern registriert. Aber ihre Mutter hatte sich so an den Jungen gewöhnt, dass sie sehr unter der Trennung gelitten und deshalb nie wieder ein Kind aufgenommen hatte. Laura erinnerte sich daran, dass sie öfter mal von der Schule nach Hause gekommen war und ihre Mutter weinend am Küchentisch fand. Laura war zu dieser Zeit in der Pubertät gewesen und hatte ihre Mutter ohnehin merkwürdig gefunden. Dass sie einem Kind nachtrauerte, welches nicht ihr eigenes war, hatte sie einfach nicht verstanden. Ganz im Gegenteil. Die Trauer ihrer Mutter hatte in Laura immer ein Gefühl von Eifersucht und Wut ausgelöst. Als Jugendliche hatte sie sich oft gefragt, ob ihre Mutter auch so getrauert hätte, wenn sie von zu Hause weggelaufen wäre.

Gestern Abend hatte sie dann ihre Mutter so lange in die Arme genommen und getröstet, bis diese sich einigermaßen wieder beruhigt hatte. Laura war erst gegangen, als ihre Mutter ihr versichert hatte, sie könnte bedenkenlos gehen. Um kurz nach zwei war Laura todmüde ins Bett gefallen. Folglich sah sie nun alles andere als frisch aus.

„Wo ist sie?“, fragte sie, während sie die Überzieher über ihre Schuhe streifte. Ackermann nahm einen tiefen Atemzug. „Die Treppe hoch, dann rechts.“

Zögernd und mit pochendem Herzen trat Laura über die Türschwelle. Es war ihr klar, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen musste. Ackermann hatte gesagt, dass sie es wieder mit dem Mörder zu tun hatten, der die Frauenleiche in der Hildebrandschen Mühle präsentiert hatte. Wenn sie daran dachte, was er mit dem ersten Opfer alles angestellt hatte, war ihr klar, dass er auch dieses Mal nicht einfach nur getötet hatte.

Auf den ersten Blick wirkte die Wohnung ganz normal. Als Laura sie betrat, sah sie nichts, was auf ein Verbrechen hindeutete. Nichts, dessen Anblick sie erschreckte. Sie stand in einem langen Flur mit Türen zu beiden Seiten. An einer Wand hing ein langer schwarzer Ledermantel an einer Garderobe. Daneben befand sich ein deckenhoher Spiegel. Auf der anderen Seite stand eine Kommode mit einem großen Kerzenständer, an dem alle Kerzen heruntergebrannt waren. Das Wachs hatte eine erkaltete Pfütze auf dem Läufer hinterlassen. Durch die geöffnete Tür auf der linken Seite blickte sie in einen in Rot und Schwarz gehaltenen Raum. Sie blieb kurz stehen. Mitten in dem abgedunkelten Zimmer erkannte sie einen schwarzen Stuhl, der sie an den bei ihrem Gynäkologen erinnerte. Auch hier war alles in Ordnung, kein Blut, keine Leiche. Sie ging weiter den Flur entlang und kam an einer kleinen modernen Küche vorbei, die offensichtlich nicht benutzt worden war. Nichts wies darauf hin, dass hier jemand gekocht hatte. „Wenn meine Küche auch mal so ordentlich aussehen würde!“, dachte sie. Aus einem anderen Zimmer hörte sie Stimmen. Sie ging darauf zu.

Als sie den Raum betrat, stockte ihr der Atem. Ihr Herz machte einen Aussetzer und ihr Puls raste. Als sie den Flur der Wohnung betreten hatte, hatte sie sich vorgenommen, mit allem zu rechnen. Sie wusste, dass das, was sie zu sehen bekäme, schockierend sein würde, und sie wusste, dass etwas Schreckliches mit dem Opfer passiert sein musste. Sie hatte es in den Augen von Ackermann gesehen.

Aber was ihr Blick einfing, übertraf alle ihre Befürchtungen.

Der Raum, in dem sie sich nun befand, hatte ebenfalls eine schwarz lackierte Decke sowie einen schwarzglänzenden Boden. Die Wände waren dunkelrot gestrichen und mit Ketten und Kerzenhaltern dekoriert. Gleich am Eingang stand ein Metallbett mit einer schwarzen Latexmatratze, an dessen Pfosten Ketten mit Handschellen baumelten. Die Einrichtung war es nicht, die Laura so schockierte, es war die Frau an dem Andreaskreuz, auf die sie starrte. Sie war nackt. Ihr Kopf ruhte auf ihrer blutüberströmten Brust. Die langen, blutverklebten blonden Haare hingen über ihrem Gesicht, sodass Laura es nicht erkennen konnte. Sie sah ihre blasse Haut und im schrillen Kontrast dazu das rote Blut, das über ihren Körper geflossen war. Sie sah aus, als hätte jemand einen Eimer roter Wandfarbe über ihr Dekolleté geschüttet. Laura vermutete, dass man auch ihr die Kehle durchgeschnitten hatte. Sie spürte ihren eigenen Pulsschlag, wie ihr eigenes Blut durch ihre Halsschlagader floss.

„Grundgütiger! So viel Blut!“ Sie überlegte, über wie viel Liter Blut so ein schlanker Frauenkörper verfügt, denn zu ihren Füßen hatte sich ein riesiger See aus Blut gebildet, dessen Ränder bereits angetrocknet waren. Daneben entdeckte sie einen Fußabdruck. Sie vermutete einen Männerschuh, vielleicht Größe 43 oder 44. Langsam, fast zögernd ging sie näher heran und achtete darauf, nicht auf den Schuhabdruck oder gar in das Blut zu treten. Ihr Blick wanderte zu den Armen. Sie sah ein wildes Muster aus verschieden dicken, roten Striemen. Einige davon hatten die Haut so tief aufgerissen, dass sie geblutet hatten. Ihr Blick wanderte zu den Handgelenken, wo grobe Stricke tiefe Wunden in ihre Haut geschnitten hatten. Dann sah sie auf die blutigen Hände. Sie rang nach Luft, zwang sich aber, die ebenfalls gefesselten Füße der Frau anzusehen.

Die Frau vor ihr war mit großen Zimmermannsnägeln an das Kreuz genagelt worden. Auf ihrem rechten Oberschenkel, der wie der linke auch mit Striemen übersät war, sah sie, dass der Mörder auch ihr die Zahl Dreizehn eingeritzt hatte. Die Zahlen waren tief in ihr Fleisch eingeschnitten und hatten blutverkrustete Wundränder, die das Schneidewerkzeug hinterlassen hatte. „Mein Gott, welches Monster hat dir das angetan?“, entfuhr es ihr. Hinter ihr räusperte sich Ackermann: „Der Typ, der sie gefunden hat, behauptet, sie sei nicht die Mieterin.“

Als sie sich zu ihm umdrehen wollte, merkte sie, wie sich ihre Kopfschmerzen verstärkten, sie wandte deshalb langsam den Kopf und sah ihn verwundert an.

„Wer hat sie gefunden?“

„Der Vermieter. Er hat mir erklärt, dass dies eine sogenannte Black Flat ist, die man online mieten kann. Er sagte, eine gewisse Anna Koch hätte die Wohnung für ein Wochenende gebucht. Stell dir vor“, er hob die Augenbrauen, „die haben sogar eine eigene Internetseite mit Onlinekalender und so. Hier können Leute ihren sogenannten Fetisch ausleben und so richtig die Sau rauslassen. Wenn du mich fragst, haben die doch alle einen an der Waffel. Schau dir mal die anderen Zimmer an. Hier gibt es sogar einen Käfig und eine Streckbank. Und die Minibar enthält selbstverständlich nicht nur Erdnüsse und Whisky. Man kann die Bude stunden- oder tageweise mieten. Wenn man das Super-Spezial-Wochenende bucht, bekommt man sogar den Kühlschrank vollgemacht. Wenn diese Leute keine Lust mehr auf ihre abartigen Spiele haben“, er hob die Hände und deutete mit seinen Zeige- und Ringfingern Gänsefüßchen an, „können sie sich im angrenzenden Spießer-Wohnzimmer auf die Couch hauen, fernsehen und sich ´ne Pizza bringen lassen. Oder gar im Whirlpool entspannen. Die Wohnung ist ein echter Renner. Um neun Uhr erwartet der Vermieter die nächsten Gäste. Deshalb kam er auch heute Morgen um kurz vor sechs, um die Bude zu reinigen. Er ist fast aus den Latschen gekippt, als er das Opfer gefunden hat.“

„Wo ist er jetzt?“

„Er bewohnt die Dachwohnung. Ich habe ihm gesagt, dass er sich bereithalten soll. Er wollte versuchen, das Pärchen zu erreichen und ihnen mitteilen, dass das wohl nichts wird mit der Wohnung. Ich habe mir von ihm die Adresse von Anna Koch geben lassen und die Zentrale hat eine Streife zu ihrer Wohnung geschickt. Ich bin gespannt, ob sie die Dame antreffen und was diese zu berichten hat.“ Laura massierte sich die schmerzenden Schläfen. Sie wünschte, sie hätte ein Aspirin genommen. Jetzt erst nahm sie die vielen Kollegen in ihren Tyvek-Anzügen bei der Tatortarbeit richtig wahr. Die ganze Zeit hatte sie sich nur auf das Opfer konzentriert, hatte versucht, jedes Detail zu registrieren.

„Wie weit sind die Jungs von der Spurensicherung?“

„Soweit ich weiß, warten die noch auf die Rechtsmedizin.

Dr. Salonis sollte gleich eintreffen, ich habe sie direkt nach dir angerufen.“

„So ist’s recht.“ Schließlich war sie die leitende Ermittlerin. Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als Dr. Salonis auch schon über die Türschwelle trat. Sie betrat den Raum wie Aphrodite persönlich und Laura betrachtete sie mit einem Anflug von Neid. „Wie kann man am frühen Morgen schon so verdammt gut aussehen?“, schoss es ihr durch den Kopf. Ackermann zog merklich den Bauch ein und streckte die Brust heraus, was ihm das Aussehen von einem aufgeplusterten Hahn gab. Sie sah ihn abschätzig an, aber er tat so, als bemerkte er es nicht. Die Gerichtsmedizinerin begrüßte Laura und Ackermann höflich. Als sie näher kam, konnte Laura ihr dezentes Parfüm wahrnehmen, und den Geräuschen nach, die Ackermann beim Einatmen machte, roch er es auch. Dr. Salonis betrachtete das Opfer stumm. Laura konnte nicht erkennen, ob die Medizinerin geschockt war oder ob der Anblick dieser geschändeten und getöteten Frau sie kalt ließ. Die Pathologin stellte ihre Tasche ab und zog ein paar Latexhandschuhe heraus, die sie sorgfältig über ihre schlanken Hände zog. „Wann wurde sie gefunden?“

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
281 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783939434269
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