Kitabı oku: «Tödliche Mutterliebe», sayfa 3

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Laura öffnete gerade den Mund, um zu antworten, als ein Kollege in die Tür trat und rief: „Es gibt noch eine Leiche!“

Laura wirbelte herum und lief, gefolgt von Ackermann, dem Beamten der Spurensicherung im Tyvek-Anzug entgegen. „Was meinst du?“

„Zwei Zimmer weiter ist so eine Art Falltür im Boden. Darin liegt eine Frau.“

Sie folgten ihm. Das angrenzende Zimmer war wie die anderen Räume auch in Schwarz und Rot gehalten. An einer Wand stand der Metallkäfig, von dem Ackermann erzählt hatte, auf der anderen Seite des Raumes ein Gerät, das, wie Laura vermutete, ein Strafbock war. So ziemlich in der Mitte des Raumes stand eine Falltür offen.

„Mensch“, stöhnte Ackermann, während er sich mit der flachen Hand an die Stirn schlug, „da bin vorhin drüber gelaufen!“ Laura ging in die Hocke. In einer etwa zwei Meter langen Grube lag eine Frau.

Breite Lederriemen waren fest um ihren nackten Körper gezurrt. Ein Riemen war um ihre Schultern gebunden und hatte ihren Busen nach unten gequetscht, ein weiterer fesselte sie kurz über den Ellenbogengelenken, sodass ihre Arme fest an ihren Körper gepresst wurden. Der Nächste fixierte ihre Handgelenke an ihrer Hüfte. Ober- und Unterschenkel waren auch auf diese Weise zusammengebunden. Auf ihrem rechten Oberschenkel sah sie die beiden eingeritzten Zahlen. Ackermann sagte: „Die sieht ja aus wie Liz Taylor.“ Auch Laura war aufgefallen, dass diese Frau aussah, als käme sie aus einem anderen Jahrzehnt. Das Make-up auf ihrer makellosen blassen Haut und der knallrote Lippenstift, der die bläuliche Verfärbung ihrer blutleeren Lippen überdeckte, waren nahezu perfekt aufgetragen. Wären da nicht die kleinen, gräulichen Rinnsale gewesen, die von ihren Augen zu den Schläfen verliefen. Ein Zeichen dafür, dass sie geweint haben musste. Ansonsten wirkte sie wie jemand, der sich kürzlich sorgfältig geschminkt hatte. Ebenso sorgfältig frisiert war ihr schwarzes Haar, das in weichen Wellen ihr Gesicht zu umrahmen schien, vermutlich waren Unmengen von Haarspray der Grund dafür, dass die Frisur im Stil der Vierziger immer noch hielt. Sie sah fast aus, als würde sie schlafen. Auf ihrem Bauch lag der Lolli, den sie auch bei den anderen Frauen gefunden hatten. Ackermann meinte: „Ob das Anna Koch ist?“

„Ja, ich glaube wir sollten mal die Streife fragen, ob sie diese Anna angetroffen haben. Außerdem sollten wir den Vermieter noch einmal befragen“, antwortete Laura leise. Fünf Minuten später standen sie vor der Haustür des Vermieters. Der Mann, der ihnen die Tür geöffnet hatte, war in den Dreißigern. Sein welliges dunkelblondes Haar fiel ihm über die breiten Schultern. Um den Hals trug er eine Lederschnur mit einem Anhänger, der aussah wie ein Keltenknoten. Mit seinem Bart und dem Gewand, das er trug, wirkte er wie jemand aus dem Mittelalter. Ackermann stellt Laura vor. „Herr Grimm, das ist Hauptkommissarin Braun, dürfen wir eintreten?“ Er machte einen Schritt zurück. „Ja klar, am besten hier links in die Küche.“

Er ging den Flur entlang in Richtung Küche. Laura betrachtete im Vorbeigehen die Fotos an der Wand. Sie zeigten Menschen in mittelalterlichen Gewändern. Laura erkannte Grimm, der auf fast jedem Bild zusammen mit einer Frau mit sehr langem blondem Haar abgelichtet war. Über einer Truhe im mittelalterlichen Stil hingen Dolche und Äxte. Laura erinnerte sich an ihre Freundin Yvonne, die einmal in solch einem Gewand bei ihr geklingelt hatte, um sie abzuholen. Laura hatte sie ausgelacht, wie sie so dagestanden hatte in ihrem mittelalterlichen Kleid und mit der Haube auf dem Kopf. „Ich dachte wir gehen auf ein Burgfest und nicht zum Fasching“, hatte sie damals gerufen. Aber Yvonne hatte nur lächelnd geantwortet: „Los, steig ein, du wirst dich noch wundern.“ Auf der Burg Oberstein angekommen, hatte Laura feststellen müssen, dass fast alle Leute gewandet herumgelaufen waren. In Jeans und T-Shirt war sie geradezu aufgefallen. Sie waren in der Küche angekommen.

„Wollen Sie sich setzen?“, Grimm zeigte auf einen Tisch mit zwei Bänken aus massivem Kiefernholz. Laura schaute sich in der Küche um. Sie fühlte sich in eine andere Zeit versetzt. Sie nahmen auf den Holzbänken Platz. Grimm lehnte sich an die Arbeitsplatte der Küchenzeile. Er war blass. Auf der Arbeitsplatte stand neben einer Flasche Absinth ein halb leeres Glas, daneben ein Aschenbecher, in dem einige Stummel lagen. Zigarettenrauch hing in der Luft und Laura wünschte sich, er würde ein Fenster öffnen. Sie räusperte sich und sah ihn direkt an, wobei sie blind in ihrer Handtasche nach etwas zum Schreiben kramte.

„Herr Grimm, erzählen Sie uns bitte noch einmal genau, was sie wissen. Wer hat die Wohnung gemietet? Wie funktioniert das mit Ihren Gästen?“

Es dauerte einen Moment, ehe er antwortete. Dann sagte er leise:

„Meine Frau und ich sind Anhänger von BDSM und hatten uns ein entsprechendes Zimmer eingerichtet. Meine Mutter wohnte in der Wohnung unter uns. Als sie vor drei Jahren starb, hinterließ sie mir das Haus. Zur gleichen Zeit wurde ich arbeitslos, dadurch hatte ich plötzlich mehr Zeit, als mit lieb war. Mir kam die Idee, aus der Wohnung meiner Mutter eine SM-Wohnung zu machen. Der Laden im Erdgeschoss gehört auch uns. Hier habe ich einen Sexshop mit Versandhandel eingerichtet. Außerdem Räumlichkeiten für Workshops. So habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und war gleichzeitig nicht mehr arbeitslos. Wir nutzen diese Wohnung auch, wenn sie nicht vermietet ist. Da in unserer Region solche Spielwiesen nicht an jeder Ecke zu finden sind, ist unsere Black Flat fast immer ausgebucht.“ Er machte eine kurze Pause. „Wir haben eine Internetseite eingerichtet, über die die meisten Leute die Wohnung buchen. Aber auch Kunden aus dem Laden oder von den Workshops buchen direkt bei mir. Die Wohnung wird ausschließlich privaten Nutzern angeboten. Ausnahmen sind Fotografen. Man kann die Wohnung stundenweise oder auch für mehrere Tage mieten.“ Er holte tief Luft und lief zum Küchenfenster, um es zu öffnen. Laura atmete dankbar die kühle Morgenluft ein. „Wollen sie vielleicht einen Kaffee?“ Ackermann nickte. Auch Laura war froh über das Angebot. Grimm schob nacheinander zwei Tassen unter den Auslass eines Kaffeevollautomaten. Aromatischer Kaffeeduft stieg Laura in die Nase. Dankbar nahmen beide die Tassen entgegen. Grimm fuhr fort: „Frau Koch hat die Wohnung vor drei Tagen online für den Abend gebucht und auch gleich im Voraus bezahlt.“ Er schluckte und seine Stimme begann zu zittern. „Sie kam gestern Abend wie vereinbart gegen halb sieben in den Laden, um den Schlüssel zu holen. Sie sagte, dass sie noch auf eine Freundin warten würde, und bat mich, das Hoftor die Nacht über offenzulassen, damit sie jederzeit gehen könnte. Den Schlüssel sollte sie in die Metallschüssel im Flur legen und die Abschlusstür einfach zuziehen. Als ich heute Morgen kam, um die Wohnung für die nächsten Gäste herzurichten, fand ich diese Frau.“ Er atmete geräuschvoll aus.

„Haben Sie gestern Abend etwas gehört oder bemerkt?“ fragte Laura. „Ein Fahrzeug auf dem Parkplatz oder jemanden, der durchs Treppenhaus ging?“

Grimm schüttelte langsam den Kopf. „Nein, gar nichts. Außerdem waren meine Frau und ich gestern Abend im Kino. Wir sind erst kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen. Auf dem Parkplatz stand nur der Honda von Frau Koch, der ja immer noch da steht. Außerdem muss ich erwähnen, dass die Wohnung gut isoliert ist.“ Er seufzte. „Selbst wenn ich Schreie gehört hätte, hätte ich mir nichts dabei gedacht, da Lust und Schmerz ja manchmal doch nah beieinander liegen.“

„Wie sieht Anna Koch aus?“, wollte Ackermann wissen. Grimm nahm einen Schluck von seinem Kaffee, ehe er antwortete: „Wie Dita von Teese. Sehr hübsch. Dunkle Haare. Kleidung im Stil der vierziger Jahre.“

„Ist Ihnen an ihr etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“, fragte Ackermann, während er einen weiteren Schluck Kaffee trank. Grimm überlegte: „Wir haben alle unsere Fetische und verurteilen einander nicht. Aber an ihr war alles normal. Sie hatte einen großen Rollkoffer dabei, was auch normal ist, da alle ihre Toys selbst mitbringen müssen. Was fehlt oder benötigt wird, kann im Laden gekauft werden.“

„Sie kam mit einem ganzen Koffer voll Sexspielzeug an?“, fragte Ackermann, und Laura merkte, dass er versuchte, nicht allzu überrascht zu klingen.

„Das ist nichts Ungewöhnliches, viele haben ja auch noch Kostüme dabei und ...“

Das Klingeln der Türglocke unterbrach ihn. Automatisch machte er eine Bewegung in Richtung Tür. Mit Blick auf seine Armbanduhr sagte er: „Das werden wohl die Gäste sein, die sich für neun Uhr angemeldet hatten. Ich habe versucht, sie zu erreichen, aber unter der Handynummer, die sie angegeben haben, waren sie nicht erreichbar. Ich sollte ihnen öffnen und sagen, dass sie heute leider nicht bleiben können.“

„Ja“, sagte Laura und stand auf, „wir werden Sie begleiten.“

Kapitel 4

Laura und Ackermann standen vor einem Mehrfamilienhaus in der Mannheimer Neckarstadt. Beide zögerten, auf die Tür des alten Sandsteingebäudes zuzugehen, sie hassten, was sie nun tun mussten. Sie würden das Leben zweier Menschen auf unwiederbringliche Weise verändern, indem sie die Mitteilung überbrachten, dass ihre Tochter getötet worden war. Sie sah Ackermann an, der die Hand hob, um den Klingelknopf der Familie Koch zu drücken, und seufzte. Eine Frau mittleren Alters öffnete ihnen die Tür. Sie wirkte sehr gepflegt mit ihrem schulterlangen Pagenschnitt und der dezenten Perlenkette. Sie lächelte die beiden Beamten fragend an. Laura merkte, wie sich ihr Hals zuschnürte. Sie räusperte sich: „Frau Koch?“

Die Dame nickte freundlich: „Ja, was kann ich für Sie tun?“

„Wir sind von der Mordkommission.“

Im Bruchteil einer Sekunde veränderten sich die Gesichtszüge der Frau und ihre Augen begannen zu flackern. Eine Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht, aber sie wischte sie nicht weg, sondern starrte auf den Dienstausweis, den Laura ihr hinhielt.

„Mein Name ist Laura Braun und das ist mein Kollege Falk Ackermann. Dürfen wir reinkommen?“

„Was ist passiert? Ist etwas mit Anna? Sie ist gestern nicht ...“ Die Stimme der Frau brach und Tränen liefen über ihre Wangen. Ackermann nahm die Frau sanft am Arm und schob sie behutsam in ihre Wohnung.

„Frau Koch, setzen Sie sich doch!“ Er drückte sie vorsichtig, aber bestimmt auf einen Sessel im Wohnzimmer. Laura war überrascht, wie einfühlsam er war. Vorsichtig sagte sie: „Frau Koch, heute Morgen haben wir eine Frau gefunden. Wir nehmen an, dass es sich um ihre Tochter Anna handelt.“

Eine Stunde später stieg Laura die Stufen zu Annas Wohnung hinauf. Annas Mutter lag unten im Wohnzimmer auf der Couch und wurde von einem Arzt behandelt.

Sie war zusammengebrochen. Zum Glück war ihr Mann, der sich als Dr. Koch vorgestellt hatte, gerade nach Hause gekommen. Er war ein hochgewachsener, schlanker Mann mit intelligenten Augen und schien erheblich älter als seine Frau zu sein. Wie Laura später erfuhr, war er Physiker mit einer Dozentenstelle an der Uni Heidelberg. Sein hageres, blasses Gesicht war noch eine Spur bleicher geworden, als er den Grund für den Besuch der Polizisten erfahren hatte. Mit zitternder Hand war er sich immer wieder durch das weiße Haar gefahren und hatte versucht, seine Frau zu beruhigen. Mit sanfter, aber gebrochener Stimme hatte er unablässig auf sie eingeredet. Aber seine Frau, die ihr einziges Kind verloren hatte, hatte auf seine Worte nicht reagiert. Ackermann hatte schließlich den Notarzt gerufen.

Ein Stockwerk höher stand Laura auf der Türschwelle zur Annas Wohnung. Es war vielmehr ein ausgebauter Dachboden mit einem großen Zimmer, einer Küchenecke und einem winzigen Badezimmer. Annas Vater hatte erzählt, dass sie für Anna den Speicher hergerichtet hatten, damit sie ihr eigenes kleines Reich hätte. Als Erzieherin hätte sie nicht viel verdient und sich keine eigene Wohnung in Mannheim leisten können. Außerdem wäre von hier aus der Kindergarten, in dem sie arbeitete, gut zu Fuß zu erreichen. Letztlich seien die Eltern auch froh gewesen, ihre Tochter so weiter in ihrer Nähe zu haben. Laura sah sich langsam im Raum um. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Anna von der kleinen zweisitzigen Couch aufstand und zu dem Bett ging, das mit Bettwäsche bezogen war, auf dem ein Schaf im Vampirkostüm abgebildet war. „Ich will kuscheln“ stand darüber. Auf dem Kopfkissen saß ein Plüschschaf, das genauso aussah wie das Schaf auf der Bettwäsche. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass die Frau, die sie heute Morgen in dieser bizarren Wohnung gefunden hatten, hier gewohnt haben sollte. Irgendetwas stimmte hier nicht. Die Frau, die jetzt im Leichenschauhaus lag, hatte doch unmöglich in einem Bett schlafen können, das mit Schafsbettwäsche bezogen war. Sie ging zum Regal und überflog die Bücher. Nicht ein Titel, der ihre Aufmerksamkeit erregt hätte. Neben dem Regal hing ein gerahmtes Foto. Es zeigte eine Gruppe Teenager vor einem Reisebus. Unter dem Bild stand „Abi-Abschiedsfahrt nach London 2006“. Sie sah sich die Gesichter der jungen Leute an und erkannte Anna, die lächelnd in die Kamera blickte. Schon damals trug sie Kleider im Stil der vierziger Jahre, wodurch sie sich von den der Mode entsprechend gekleideten Klassenkameraden abhob. Laura wandte sich ab und öffnete zögernd eine Tür des Kleiderschranks. Ein Hauch Parfüm schlug ihr entgegen. „Der Blick in den Kleiderschrank einer Frau ist etwas sehr Persönliches. Kleider sagen viel über die Trägerin aus“, dachte Laura. Sie fand aber nur ganz normale Jeans, Pullis und Jacken. Sie öffnete eine weitere Schranktür. Hier war die Kleidung verstaut, die sie erwartet hatte. Mode der Vierziger im Burlesk-Stil. Sie durchsuchte den Schrank, schob dabei die Kleider von der einen zur anderen Seite und hob Pullis, Wäsche und Blusen hoch. Unten auf dem Boden standen feinsäuberlich aufgereihte Schuhkartons. Sie hob jeden Deckel an. Riemchenpumps, Lackschuhe und – in einem der größeren Kartons – ein Laptop. Endlich etwas, das sie vielleicht weiterbringen würde.

Laura nahm einen Schluck Kaffee, setzte die Tasse wieder ab und streckte sich. Ihr Rücken schmerzte vom Sitzen am Laptop. Seit zwei Stunden saß sie nun schon davor und schaute sich die Fotos vom gestrigen Tatort an. Die Bilder der ans Andreaskreuz genagelten unbekannten Frau erschreckten sie aufs Neue. Wieder fragte sie sich, wie lange die Frau wohl gelitten hatte, bevor dieses Monster ihr die tödliche und erlösende Wunde beigebracht hatte. Sie sah sich noch einmal den geschundenen Körper an. Die unzähligen Striemen, verursacht durch verschiedene Peitschen, die sie am Tatort gefunden hatten. Die Kollegen im Labor hatten Hautpartikel und Blut daran ausgemacht, die sie der Frau hatten zuordnen können. Die Brüste sahen besonders schlimm aus. Wo sich normalerweise die Brustwarzen befanden, waren zwei riesige, blutverkrustete Fleischwunden zu sehen. Instinktiv verschränkte Laura ihre Arme vor der Brust. Sie klickte weiter. Ihr Blick blieb an der Großaufnahme der rechten Hand hängen. Ein grobes Seil, wahrscheinlich aus Hanf, war fest um die Handgelenke des Opfers gebunden. Es hatte sich tief in ihre Haut eingeschnürt. Laura konnte sich vorstellen, wie die schmerzgepeinigte Frau sich gewunden haben musste in dem verzweifelten Kampf, sich zu befreien. Wie sie an den Fesseln gezogen haben musste. Aber ihr Peiniger hatte Knoten verwendet, die sich durch ihre Bewegungen immer mehr zugezogen hatten, bis die Blutversorgung zu den Händen abgebunden war, bis sich ihre Hände bläulich verfärbt hatten und dick angeschwollen waren. Es schien, als hätte sie riesige blau-violette Handschuhe an. Handschuhe, durchstoßen mit je einem großen Nagel.

Einige Klicks später erschien das Bild von Anna Koch. Abermals musste sie an Elisabeth Taylor in jungen Jahren denken. Nun wussten sie auch, warum Annas Leiche unversehrt war. Die Obduktion heute Morgen hatte ergeben, dass sie an Herzversagen gestorben war. Dr. Salonis meinte, dass es durchaus möglich wäre, dass sie sich zu Tode geängstigt hatte. Was Laura sich gut vorstellen konnte. Wenn man bedachte, dass Anna stundenlang gefesselt in einer engen, stickigen Kiste im Boden gelegen hatte, über sich den Deckel einer Falltür, unfähig, sich zu bewegen. So eng geschnürt, dass sie kaum hatte atmen können, während die Schreie der anderen Frau dumpf durch das Holz gedrungen waren. Einer Frau, die sie vermutlich gekannt hatte. Einer Frau, die stundenlang gelitten hatte. Deren Schreie Anna sicherlich durch Mark und Bein gegangen waren. Sie musste Höllenqualen gelitten und entsetzliche Todesangst gehabt haben.

Ihr Handy klingelte und riss sie aus ihren Gedanken. Ein Blick auf das Display zeigte ihr, dass es sich um das kriminaltechnische Labor handelte.

„Braun?“, meldete sie sich.

„Hi, hier ist Ralf Wagner von der IT-Technik, ich habe den Laptop geknackt, den Sie mir gestern gebracht haben. Sie sollten mal rüberkommen und sich ansehen, was ich gefunden habe.“

Kapitel 5

Das kriminaltechnische Labor war in einem der Nebengebäude des Heidelberger Polizeipräsidiums untergebracht und Laura war froh, dass sie über den Innenhof laufen musste. So konnte sie sich ein wenig bewegen. Die Luft war schwül und für Ende Mai war es schon außergewöhnlich warm. Sie lief an beleuchteten Fenstern vorbei, hinter denen sie die Umrisse von Kollegen sehen konnte. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und wählte Ackermanns Nummer.

„Wo bist du?“ Ohne die Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: „Wagner von der IT hat angerufen, können wir uns gleich dort treffen?“ Sie sah zum Himmel hoch. Schwere, dunkle Wolken schoben sich vom Odenwald heran. Sie hatten etwas Erdrückendes, Bedrohliches. Laura wünschte sich, es würde zu regnen beginnen. Vielleicht würde ihr das die schrecklichen Bilder, der zu Tode gequälten Frauen aus dem Kopf waschen. Die Obduktion vor ein paar Stunden steckte ihr immer noch in den Knochen. Das wahre Ausmaß der Verletzungen hatte sich erst im Sektionssaal offenbart. Selbst die sonst so kühl scheinende Pathologin hatte beim Aufdecken der Leiche entsetzt gewirkt.

Der IT-Forensiker erwartet sie bereits. Kaum hatte sie den Raum betreten, schwenkte er seinen Drehstuhl zu ihr um. Vielsagend grinste er sie an. Laura begrüßte den schlaksigen jungen Mann mit dem blonden Pferdeschwanz. Er deutete auf den Laptop, den Laura in Annas Wohnung gefunden hatte. Dieser stand unversehrt auf einem Arbeitstisch. Laura hatte erwartet, dass er in seine Einzelteile zerlegt wäre oder dass Wagner zumindest die Festplatte ausgebaut hätte, um an die darauf befindlichen Daten zu kommen. Sie sah ihn an.

„Ist er kaputt oder wollen Sie mich ärgern?“

Sie rieb sich mit der rechten Hand über ihren schmerzenden Nacken. „Ich dachte, Sie hätten was für mich. Aber Sie haben ja nicht einmal die Festplatte ausgebaut.“

Lachend öffnete er den Laptop. Ein Surren ließ erkennen, dass der Computer startete. „Nö, das war eine Kleinigkeit. Die meisten Menschen benutzen kein Passwort, um ihren Computer zu sichern. Die, die es doch tun, wählen oft simple Kombinationen, meist den Namen ihrer Kinder oder eines Haustieres und einige Zahlen, ein Geburtsdatum zum Beispiel. Da muss ich keine Festplatte ausbauen und kopieren. Ich habe einfach das Passwort zurückgesetzt.“

„Man kann Passwörter einfach so zurücksetzen?“

„Ja, das geht ganz leicht, wenn man das richtige Programm dafür hat.“

Na prima! Sie hatte schon so oft ihre Passwörter vergessen, dass sie inzwischen für alles und jeden ein und dasselbe benutzte, obwohl ihr Schwager ihr immer wieder ausführlich erklärte, wie wichtig es wäre, verschiedene und komplizierte Passwörter zu benutzen. Nun musste sie sich anhören, dass jemand, der sich auskennt, Passwörter ohne großen Aufwand knacken kann.

Auf dem Bildschirm des Laptops erschien eine Eingabemaske. Wagner gab einige Zahlen ein und bewegte seinen Zeigefinger über das Touchpad. Der Cursor des Laptops bewegte sich zum Outlook-Symbol. „Ich habe die E-Mails ihres Opfers gecheckt und dabei Erstaunliches festgestellt.“ Laura hörte es am Tonfall seiner Stimme. Er hatte etwas Entscheidendes gefunden und es bereitete ihm offensichtlich Vergnügen, sie auf die Folter zu spannen. Die Tür des Labors ging auf. Laura hob nur kurz den Kopf. Als sie sah, dass Ackermann den Raum betrat, widmete sie ihre volle Aufmerksamkeit wieder dem Laptop. Sie wollte endlich wissen, was Wagner gefunden hatte. Ihre Hände begangen zu kribbeln. Sie musste dem Drang widerstehen, den Laptop an sich zu reißen. Was hatte Wagner gefunden und warum dauerte das so lange? Ackermann stellte sich neben Laura. „Habt ihr schon was?“

Wagner erklärte: „Wie Sie hier sehen, gibt es einen regen E-Mail-Verkehr. Ihr Opfer hat zwar alle E-Mails regelmäßig gelöscht, aber ich konnte sie zum größten Teil wieder herstellen.“ Er machte eine dramatische Pause. Das Kribbeln in Lauras Händen wurde stärker, sie war kurz davor, die Geduld zu verlieren.

„Wie Sie gleich sehen werden“, er machte eine theatralische Geste,

„ arbeitete ihre Dame als Domina. Ich habe sogar ihre Website gefunden!“ Wagner grinste sie an. Das war es, was er den beiden Ermittlern sagen wollte.

„Als Domina?“, rief Ackermann überrascht, und auch Laura sah ihn verdutzt an. Mit dieser Information hatten sie nicht gerechnet. Wagner klickte auf die Autosignatur einer E-Mail und sofort öffnete sich ein neues Fenster. Neugierig starrten die beiden Ermittler auf den Bildschirm.

„Willkommen auf meiner Webseite!“ stand in schwarzen Lettern auf einer in lila gestalteten Internetseite. Und gleich darunter: „Lady Violet – the noble art of domination. Mannheim, Germany.” Daneben gab es ein schwarz-weißes Foto, das Anna Koch mit leicht übereinandergeschlagenen Beinen lässig in einem Sessel sitzend zeigte, nur bekleidet mit einer Korsage, High Heels und einer Militärschirmmütze. In der linken Hand hielt sie eine lange Lederpeitsche, deren Ende den Boden berührte.

Laura las weiter: „Auf dieser Website befindet sich erotisches Material zum Thema BDSM. Der Zutritt ist nur Personen über achtzehn Jahren erlaubt.“ Sie berührte das Touchpad und führte den Cursor zu dem Button mit der Aufschrift: „Ich bin volljährig.“ Beim Anklicken öffnete sich eine neue Seite. Das Foto, das nun zu sehen war, zeigte Anna in einem engen roten Latexanzug mit einer schwarzen Korsage, die ihre Wespentaille und ihren wohlgeformten Busen gut zur Geltung brachte. Sie trug passende schwarze Stiefel mit mindestens zehn Zentimeter hohen Absätzen und dazu schwarze Handschuhe. Die schwarzen Haare waren elegant hochgesteckt und der knallrote Lippenstift war perfekt auf das Outfit abgestimmt.

Ackermann pfiff durch Zähne. „Die ist ja echt heiß.“

„Wohl eher nicht mehr“, murmelte Laura. Nach und nach klickte sie die verschiedenen Buttons an. Immer wieder erschienen Fotos von Anna in diversen Outfits und Informationen über ihre Person, ihre Neigungen und ihre Passionen. Es gab eine Fotogalerie sowie einen Shop, in dem man Videos zum Downloaden kaufen konnte. Lady Violet bot Haus- und Hotelbesuche an und samstags war sie Gast im „Dangerous Dungeon“. Die Adresse gab es auf Anfrage. Laura klickte den Button „Kontakt“ an. Wieder erschien eine Seite, auf der Anna Koch zu sehen war, diesmal nur von hinten in einer violetten Korsage mit schwarzen Nylons und schwarzen Stiefeln. Daneben eine E-Mail-Adresse und eine Handynummer, unter der sie montags bis freitags ab siebzehn Uhr zu erreichen war. Laura blickte zu Ackermann auf. „Ich glaube, wir sollten zusehen, dass wir herausfinden, wo sich dieses Dangerous Dungeon befindet.“

„Da könnte ich vielleicht helfen“, schaltete Wagner sich ein.

„Darf ich mal an den Laptop?“ Er verließ die Website von Lady Violet.

„Wie bereits erwähnt, habe ich die E-Mails gecheckt. Ihr Opfer hatte einige Anfragen, in denen sie ihren Kunden die Adresse genannt hat.“ Er öffnete eine Mail, die mit einem roten Fähnchen markiert war und las laut:

„Manfred, ich erwarte dich am Samstag, den 31.März 2012, um achtzehn Uhr im Dangerous Dungeon, Altkönigstraße 325, 61462 Königstein. Meine Zofe Melanie wird dich empfangen und zu mir geleiten. Ich erwarte, dass du sie respektvoll behandelst und ihren Anweisungen folgst. Sei pünktlich!!! Lady Violet“

Er las weiter: „Gesendet Montag, 26.03.2012, 17:31 Uhr an: Mani1203@gnx.de.“

„Wissen Sie auch, wer ihr letzter Kunde war?“, fragte Ackermann. Wagner öffnete den Outlook-Kalender.„Gut, dass eure Lady ihren Terminkalender so ordentlich geführt hat“, sagte er mit leichtem Grinsen. „Also schauen wir mal, was sie für gestern eingetragen hatte.“

Für Donnerstag, den 24.05.2012, fand sich folgender Text: „Treffen mit Kathrin und Kunden, Black Flat, Heidelberg.“

„Nun denn, jetzt wissen wir wenigstens, dass die andere Frau Kathrin heißt“, resümierte Ackermann auf dem Weg zum Auto. Laura lief neben ihm her, in der Hand einen Ausdruck aus dem Internet mit der Adresse des Dangerous Dungeon. Sie war dankbar, dass Ackermann fahren wollte, so konnte sie sich neben ihn auf den Beifahrersitz fläzen und musste nicht auf den Verkehr achten. Die Autobahn in Richtung Frankfurt war um diese Uhrzeit erfahrungsgemäß sowieso hoffnungslos überfüllt. Im Dangerous Dungeon allerdings, würde um diese Zeit der Arbeitstag beginnen und, wie sie im Internet nachgelesen hatten, erst in den Morgenstunden enden. Die ersten Regentropfen fielen auf die Frontscheibe. Die Scheibenwischer hinterließen einen schmierigen Film auf der Scheibe, der die Sicht erschwerte.

Ackermann sagte: „Bin mal gespannt, was uns dort erwartet. Du kennst dich ja aus, du kommst ja von der Sitte.“

Laura prustete: „Na klar, denkst du, ich war regelmäßig Gast in Puffs oder Domina-Studios? Wir haben uns um andere Sachen gekümmert.“

„Ach ja?“ Das Klingeln von Lauras Handy unterbrach das Gespräch. Sie schaute auf das Display und verzog das Gesicht. „Willst du nicht rangehen?“, fragte Ackermann.

„Nein, ist nicht wichtig“, erwiderte Laura.

„Hast du Stress mit deinem Lover?“ Ackermann grinste süffisant. Laura ignorierte die Frage erst, aber nach einer Weile sagte sie:

„Das war meine Mutter.“

Ein mitleidiges Lächeln war alles, was Ackermann zur Antwort gab, dann konzentrierte er sich wieder auf den Verkehr. Mittlerweile goss es in Strömen, sodass Laura teilweise nur noch die Rücklichter der vorausfahrenden Fahrzeuge erkennen konnte. Sie fuhren am Frankfurter Flughafen vorbei. Direkt über ihren Köpfen dröhnte ein Flugzeug im Landeanflug über die Autobahn. Ackermann sah ihm nach.

„Bis Königstein sind es laut Navi nur noch ein paar Kilometer. Da können sich die Jungs zwischen zwei Flügen mal eben noch schnell den Popo verhauen lassen.“

Sie verließen die Autobahn in Richtung Königstein. Schon am Ortseingang war zu erkennen, dass sie in eine bessere Gegend geraten waren. Hier standen nicht einfach nur Häuser, sondern überwiegend alles andere als bescheidene Residenzen. Laura bestaunte supermoderne Bungalows und prächtige Villen aus der Jahrhundertwende. Sie fuhren an parkähnlichen Grundstücken vorbei, auf denen die Wohnhäuser weit zurückgesetzt von der Straße gebaut waren. Die Straßen waren menschenleer.

„Wer will schon bei diesem Wetter vor die Tür, da lässt man ja noch nicht mal seinen Hund raus“, meinte Ackermann.

Durch die Regenwand erkannten sie ein Lebensmittelgeschäft, eine Bank, einen Autohändler für Nobelkarossen und ein Kempinski-Hotel. Das prächtig erleuchtete Gebäude erinnerte Laura an ein kleines Schloss. Es lag auf einem Hügel und konnte nur über eine riesige Freitreppe erreicht werden. Laura fragte sich, wie viel hier eine Übernachtung mit Frühstück kostete. Wahrscheinlich mehr als der zweiwöchige Pauschalurlaub in der Türkei, den sie letztes Jahr gemacht hatte. Die Stimme aus dem Navigationsgerät befahl: „In fünfhundert Metern die Limburger Straße verlassen und rechts in die Altkönigstraße abbiegen!“, und gleich darauf: „Jetzt bitte abbiegen!“ Sie folgten der Straße, bis die elektronische Stimme verkündete:

„Sie haben ihr Ziel erreicht.“

Vor dem Tor eines mit einer Mauer und hohen Zypressen umgebenen und von außen nicht einsehbaren Grundstücks hielt Ackermann an. Da es immer noch wolkenbruchartig regnete, öffnete er in Windeseile die Fahrertür und hechtete zur Klingel. Laura hörte, wie die Gegensprechanlage brummte. Eine Frauenstimme fragte: „Wer begehrt Einlass?“

„Kriminalpolizei Heidelberg“, rief er in die Gegensprechanlage und stürzte zum Auto zurück. Als er neben Laura Platz nahm, lief ihm das Wasser aus den Haaren über das Gesicht. Er war vollkommen durchnässt. Einen Moment später öffnete sich das Tor mit leisem Surren. Ackermann lenkte ihren Wagen auf das parkähnliche Grundstück und parkte den BMW neben einem knallroten Jaguar-Cabriolet vor einer schneeweißen Villa. Er pfiff anerkennend durch die Zähne: „Nicht schlecht!“

Auch Laura war beeindruckt. Die Villa lag da wie ein weißes Sahnebonbon inmitten eines Arrangements aus Rosen und Blumen, deren Namen sie nicht kannte. Sie selbst war in einer der Wohnblocksiedlungen in Mannheim aufgewachsen, die in Zeiten von Wohnungsnot aus dem Boden geschossen waren wie Pilze aus der feuchten Erde. Aus dem Fenster ihres Zimmers, das sie sich mit ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester hatte teilen müssen, war die an der Siedlung vorbeiführende Autobahn zu sehen und vor allem zu hören gewesen. Abends, wenn sie nicht einschlafen konnten, spielte sie mit ihrer Schwester „Autoraten“. Sie versuchten, anhand der Motor- und Abrollgeräusche zu erkennen, welches Fahrzeug über die Autobahn Richtung Weinheim donnerte. Sie waren froh gewesen, als ihr Vater einen besser bezahlten Job bekam und sie in einen anderen Stadtteil Mannheims ziehen konnten. Weg von den Gerüchen im Treppenhaus eines Hauses, das so viele Kulturen beherbergte wie kein anderes. Das Reihenendhaus, in das sie dann zogen, konnte es mit diesem hier zwar bei Weitem nicht aufnehmen, aber für Laura war es schon fast ein kleines Schloss. Sie bekam ihr eigenes Zimmer und die Autobahn war weit weg, sodass sie abends keine Einschlafprobleme wegen des Lärms mehr hatte. Außerdem fand sie die Leute in einer so kleinen Straße viel netter und alles war irgendwie familiärer. Laura fand schnell Freunde. Im Nachbarhaus lebte Paolo mit seinen Geschwistern. Da war immer etwas los und für Laura stand die Tür immer offen. Und, was das Beste war: Bei Mama Luisella gab es das leckerste italienische Essen, das Laura je gegessen hatte.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
281 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783939434269
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