Kitabı oku: «Tödliche Mutterliebe», sayfa 4

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Schnell nahmen Ackermann und Laura die Stufen zum Hauseingang, um dem Regen zu entfliehen. Als Laura schlitterte, verlangsamte sie ihr Tempo, um auf den nassen Marmorstufen nicht auszurutschen. Am Eingang wurden sie bereits erwartet. Eine Frau in einem dunkelblauen Businesskostüm, das ihrer schlanken Figur schmeichelte, stand in der Tür. Ihre wohlgeformten langen Beine steckten in den dazu passenden Schuhen, die dunklen Haare waren sorgfältig hochgesteckt. Mit dem dezenten Make-up und ihrer kerzengeraden Haltung wirkte die Dame wie eine betuchte Geschäftsfrau. Laura kam sich in ihren nassen Jeans und ihrem durchweichten Shirt reichlich underdressed vor. Ihr Gegenüber begrüßte die beiden Kommissare mit einem geschäftsmäßigen Händedruck.

„Mein Name ist Lady Olive“, sagte sie in einem ruhigen, kühlen Ton, der signalisierte, dass sie jeder Situation gewachsen wäre. Dann reichte sie ihnen je ein Handtuch, dass sie aus einem bereits geöffneten antiken Weichholzschrank neben der Haustür nahm. Als Polizistin war Laura es gewohnt, dass viele Menschen sich ihr gegenüber eher misstrauisch oder respektvoll verhielten, manche sogar ehrfürchtig. Diese Frau aber strahlte etwas Erhabenes, Überlegenes und Arrogantes aus. Als ob sie sagen wollte: „Ich habe schon so viel in meinem Leben erlebt und gesehen, dass nichts, was immer Sie mir auch sagen wollen, mich aus dem Gleichgewicht bringen wird.“ Sie vermittelte Laura beinahe das Gefühl, als seien sie beide unwürdig, mit ihr zu reden. Laura bedankte sich. Zögernd trocknete sie ihr Gesicht und ihre Haare ab. Das Handtuch roch frisch gewaschen und sie fühlte die teure, dicke Qualität des Frottees auf ihrer Haut. So teure Handtücher konnte sie sich nicht leisten. Ihre stammten aus einem Kaufhaus in der Innenstadt und hatten nach einigen Waschgängen Farbe und Form verloren. Trotz der Unmengen von Weichspüler, die sie in ihre Maschine schüttete, waren sie immer viel zu hart. Sie schaute sich im Flurbereich des Hauses um. Teure moderne Möbel und ein hochwertiger Parkettboden, der spiegelte, als wäre er frisch gebohnert, ließen den Eingangsbereich aussehen wie das Titelbild einer Luxus-Wohnzeitschrift. Sie merkte, wie auch Ackermann neben ihr über den Luxus staunte. Wie er mit offensichtlichem Neid die Einrichtung begutachtete. Laura zog ihren Dienstausweis aus der Tasche und hielt ihn der Frau gegenüber hin. Lady Olive beachtete den Ausweis nicht, sondern schaute Laura fest in die Augen.

„Mein Name ist Laura Braun, und das ist mein Kollege Falk Ackermann, wir sind von der Mordkommission. Wir würden Ihnen und Ihren Kolleginnen gerne ein paar Fragen stellen“, begann Laura das Gespräch. „Wieso Mordkommission?“

Laura sah, wie sich die Augen von Lady Olive überrascht weiteten. Ackermann erklärte ohne Umschweife, dass sie am Vortag die Leiche von Anna Koch gefunden hatten. Die Frau wankte zu einer mit cremeweißem Leder bezogenen Couch.

„Oh nein!“, sie setzte sich und schlug die Hände vor das Gesicht. Laura und Ackermann nahmen unaufgefordert Platz.

Ackermann sagte: „Es tut uns leid, aber wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen. Wie gut kennen Sie Frau Koch?“

Lady Olive hob den Kopf, straffte die Schultern und nahm eine sehr aufrechte Haltung ein. Ihr Gesicht war so weiß geworden wie die Couch. Ihre Mundwinkel zuckten, aber sie strahlte Professionalität aus. Als sie sprach, wurde ihre Stimme mit jedem Wort fester.

„Anna ist, beziehungsweise war, noch nicht lange bei uns. Meine Kollegin, Lady Melody, ist schon seit Jahren mit ihr befreundet. Eines Tages hat sie mich gefragt, ob wir nicht noch jemanden einstellen könnten. Also brachte sie sie mit und wir drei wurden ein wundervolles Team. Zuerst arbeitete sie als Zofe von Lady Melody, aber schon nach ein paar Monaten hatte sie ihren eigenen Kundenstamm und wechselte ihren Namen in Lady Violet.“

„Wann war das?“

„Vor zirka zwei Jahren kam Anna zu uns. Nach ungefähr einem halben Jahr war sie dann soweit, selbstständig zu arbeiten.“ „Was bedeutet das?“, wollte Laura wissen.

Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, dass eine Domina eine lange Ausbildung absolvieren musste.

„Wissen Sie, das Internet ist voll mit Angeboten von Dominas und deren Studios. Unser Haus bietet einen außergewöhnlichen Aufenthalt in unseren Räumen. Manche Frauen belegen ein dreitägiges Seminar und werden dann auf die Kunden losgelassen. Da kommt es vor, dass der eine oder andere Kunde so enttäuscht ist, dass er keinen zweiten Besuch bei einer Domina mehr wagt. Zuweilen kommt es auch zu erheblichen Komplikationen oder auch mal zu Unfällen. Meine Damen werden sehr lange und sehr intensiv ausgebildet. Sie benötigen auch psychologisches Einfühlungsvermögen, um sich auf den Kunden einzulassen.“

„Was meinen Sie mit Komplikationen oder Unfällen?“ Dieses Mal stellte Ackermann die Frage. Lady Olive sah ihn lange an, bevor sie antwortete: „Wer zu uns kommt, vertraut uns. Unsere Kunden erwarten das Beste, und das bekommen sie auch. Meine Damen kümmern sich von der ersten bis zur letzten Minute um ihre Kunden. Wenn nicht anders vereinbart, nehmen sie sie in Empfang und geleiten sie zum Abschied wieder bis zur Tür. Vor einer Session wird mit den Kunden ausführlich über ihre Wünsche gesprochen. Und nur das, was der Kunde haben möchte, wird auch gemacht. Außerdem achten wir sehr auf die Körpersprache unserer Kunden und es wird vor Beginn der Session ein Notfallwort ausgemacht. Wenn eine Domina dieses Wort hört, bricht sie die Behandlung sofort ab und kümmert sich um ihren Untergebenen. Um Verletzungen oder irreversible Nervenschädigungen zu vermeiden, darf eine Domina außerdem eine gefesselte Person niemals alleine lassen. Unter keinen Umständen. Des Weiteren ist ein absolut hygienisches Arbeiten im Klinikbereich zwingend notwendig, um Infektionen zu vermeiden.“

„Wie meinen Sie das?“, wollte Ackermann wissen. Neugierig beugte er sich vor.

Lady Olive gab ihm ein Beispiel: „Wenn ich einem Kunden einen Einlauf mache, möchte dieser mit Sicherheit nicht, dass ein schmutziger Klistierball verwendet wird. Oder dass bei einer Hodeninfusion eine nicht sterile Kanüle benutzt wird.

„Was ist denn bitte eine Hodeninfusion?“, fragte Ackermann entsetzt.

„Ziel der Infusion ist es, in den Hodensack, nicht in die Hoden selbst, eine sterile Kochsalzlösung einzufüllen, wobei dieser dadurch bis zur Größe eines Wasserballs anschwillt. Die Größe ist letztendlich abhängig von der Einfüllmenge“, erklärte die Domina. „Und das finden die Typen gut?“, fragte er weiter.

„Durchaus. Und vieles andere auch“, erwiderte sie. „Was anderes?“ Ackermann starrte die Frau mit so unverhohlener Neugier an, dass Laura ihn am liebsten geohrfeigt hätte. Stattdessen fiel sie ihm barsch ins Wort.

„Lady Olive, gab es Kunden, die von Frau Koch enttäuscht waren? Oder jemanden, der verärgert oder wütend war? Ist schon einmal ein Kunde handgreiflich geworden?“

Die Dame verneinte: „Nicht, dass ich wüsste.“

Lauras anschließende Bitte um eine Liste mit allen Kunden des Hauses wurde von Lady Olive mit einem kühlen Lächeln bedacht. „Wir sind ein sehr exklusives Haus und unsere Kunden sind sich unserer Diskretion durchaus bewusst. Nichts, was in diesem Haus passiert, dringt nach außen. Leider kann ich Ihnen da nicht helfen, denn wir führen kein Buch über die Personen, die hier ein- und ausgehen. Wir speichern keine Namen, keine Adressen und keine Telefonnummern. Jeder Kunde hat ein Pseudonym. Und jetzt bitte ich Sie, mich zu entschuldigen. Ich habe in fast einer Stunde einen Kunden und möchte mich entsprechend vorbereiten.“

Laura protestierte: „Dann müssen Sie Ihrem Kunden leider absagen.“

Die Frau gegenüber musterte Laura mit arrogantem Blick: „Bin ich verdächtig? Haben Sie einen Haftbefehl oder eine Vorladung? Wenn nicht, möchte ich sie bitten zu gehen. Mein Kunde hat eine Drei-Stunden-Session gebucht und zahlt dafür neunhundert Euro. Meinen Sie, er möchte wie jemand von den Zeugen Jehovas an der Haustür abgewiesen werden? Ich werde sie zur Tür geleiten.“ Mit diesen Worten stand sie auf, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Laura war verärgert, für sie war das Gespräch noch längst nicht beendet. Mit einer hastigen Bewegung baute sie sich vor Lady Olive auf.

„Es ist Ihnen klar, dass dies Behinderung der Justiz bedeutet?“, fuhr sie sie an.

Ackermann zog Laura zur Seite. Die wich nur ungern zurück. Diese Frau mit ihrer Arroganz ging ihr gegen den Strich. Was bildete sie sich ein mit ihren teuren Klamotten und dem offensichtlichen Luxus? In Lauras Augen war sie als Domina nichts anderes als eine Prostituierte. Mit Frauen dieses Berufsstandes hatte sie früher ständig zu tun gehabt und war bisher noch mit jeder fertig geworden. Gut, keine der Prostituierten, denen Laura begegnet war, wohnte in einer solchen Luxusvilla oder erwirtschaftete einen solchen Stundenlohn. Aber Geld hin oder her, Laura hatte schließlich einen ehrbaren Beruf erlernt und studiert. Auch wenn sie nicht so schick und so reich war wie diese Frau, war sie schließlich Polizistin und erwartete ein Mindestmaß an Respekt.

„Wir benötigen noch ihre Personalien“, sagte Ackermann, während er seinen Notizblock zückte. „Sie heißen?“

„Dr. med. vet. Sandra Holm, geboren am 22.09.1975 in Koblenz.“ Ackermann sah erstaunt von seinem Notizblock hoch. „Sie sind Tierärztin?“ Lady Olive nickte: „Ja, und nun fragen Sie sich sicherlich, warum ich nicht in der Tiermedizin arbeite?“

Als Ackermann nickte, erwiderte sie: „Ganz einfach. Dies ist zum einen immer noch eine Männerdomäne und zum anderen leben die meisten Tierärzte am Rande des Existenzminimums. Hinzu kommt, dass es Frauen in diesem Beruf sehr schwer haben, eine Anstellung in einer Tierklinik oder Tierarztpraxis zu bekommen. Entweder hat man Geld und kann seine eigene Praxis eröffnen, oder man ist dazu verdonnert, für einen Hungerlohn in einer Praxis die Nacht- oder Wochenenddienste zu schieben. Viele Tierärztinnen arbeiten für das Gehalt einer Tierarzthelferin, machen dafür jede Menge unbezahlter Überstunden und zudem noch die Drecksarbeit, nur um Erfahrung zu sammeln. Alles in der Hoffnung, eine gut bezahlte Festanstellung oder Teilhaberschaft in einer Praxis zu erhalten. Das habe ich ein paar Jahre gemacht. Glauben Sie mir, ich war immer pleite und unheimlich müde.“ „Und was ist mit der Pharmazie?“

Lady Olive sah ihn an und ihr Blick sprach Bände. Trotzdem sagte sie mit leicht spöttischem Unterton: „Ja, manche Tierärztinnen gehen in die Pharmazie, um nicht arbeitslos zu sein. Aber denken Sie allen Ernstes, ich studiere elf Semester an einer Tiermedizinischen Hochschule, um dann letztendlich mein Dasein in einem Versuchslabor oder in der Massentierzucht zu fristen? Heute verdiene ich hervorragend und lebe sehr gut.“ Sie machte eine ausladende Bewegung, die sagen sollte: „Schaut her, das gehört alles mir.“

„Aber jetzt arbeiten Sie als Domina“, entgegnete Laura in einem Ton, der zeigte, dass sie immer noch nicht klein beigeben wollte. Lady Olive zuckte mit den Schultern.

„Eine tiermedizinische Ausbildung ist für diesen Beruf sehr vorteilhaft. Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass es hier sehr viele Parallelen gibt.“

Lady Olive lief in Richtung Ausgang. Ihre Absätze klapperten bei jedem Schritt. Sie öffnete die Haustür und sah die beiden Beamten an:

„Wie schon erwähnt, muss ich mich umziehen.“

Laura gab noch nicht auf, sie startete noch einen Versuch.

„Was ist mit Lady Melody, können wir uns vielleicht so lange mit ihr unterhalten?“

„Sie ist heute nicht im Haus, kommt aber morgen wieder. Ich kann Ihnen gerne ihre Visitenkarte geben, dann können Sie sich mit ihr in Verbindung setzen.“

Sie griff in eine silberne Schüssel, die auf einem kleinen Tischchen neben der Eingangstür stand, und reichte Laura eine Visitenkarte. Die nahm die Karte entgegen und musterte sie gründlich. Ihr Blick blieb an einem Foto hängen.

„Ist das Lady Melody?“

Laura deutete auf eine blonde Frau in Lederdessous. Lady Olive nickte, ohne auf die Karte zu schauen. Sie wusste schließlich, dass neben Anna Koch und ihr selbst nur Lady Melody darauf abgebildet war.

Die Ermittler machten sich auf den Rückweg. Es hatte endlich aufgehört zu regnen. Mittlerweile war es nicht nur dunkel geworden, sondern auch merklich kühler. Laura fröstelte in ihrer immer noch feuchten Kleidung. Sie war gerade im Begriff, in ihr Auto zu steigen, als sich das Hoftor öffnete und ein silberner Porsche auf das Gelände fuhr. Sie hielt inne. Der Wagen parkte neben dem Jaguar und ein älterer, grauhaariger Mann in einem schwarzen Anzug stieg aus. Mit schnellen und kraftvollen Schritten nahm er die gleichen Stufen nach oben wie zuvor Laura und Ackermann. Laura registrierte das rote Kennzeichen des Wagens, ehe sie einstieg. Als Ackermann ihren Wagen zurück auf die Straße lenkte, warf er Laura einen fragenden Blick zu. „Mensch Laura, was war denn mit los dir? Du bist ja der Frau fast an den Hals gesprungen.“

„Ihre herablassende Art und ihr feines Getue gehen mir einfach gegen den Strich, sie ist eine Domina und keine blaublütige Gräfin.“ Sie reichte ihm die Visitenkarte und sagte in sanfterem Ton: „Ich glaube, die dritte Frau auf dem Foto könnte das andere Opfer sein, das zusammen mit Anna gefunden wurde.“ Ackermann blickte nur kurz auf das Foto, da er sich auf den Verkehr konzentrieren musste, und stimmte ihr zu. An der Einfahrt zum Drive-in-Schalter eines Schnellimbisses hielt er an. Laura blickte verwundert auf, sagte aber nichts. Als sie sah, was er alles bestellte, spöttelte sie schließlich: „Ist das alles für dich oder gibst du eine Party?“

„Ich bin verdammt hungrig.“

Dann sah er sie an und fügte hinzu: „Möchtest du auch was? Ich lade dich ein. Wenn du Lust hast, können wir zus..“

„Nein, lass mal, ich fahr bei Paolo vorbei“, unterbrach sie ihn schnell.

„Es wird Zeit, dass ich mir mal wieder eine Pizza gönne. Außerdem wartet Emma auf mich.“

Er ließ sich nicht anmerken, ob ihn ihre Abfuhr kränkte oder nicht. Seine Stimme war weiterhin freundlich und neutral. „Nur deine Katze, sonst niemand?“

Laura erkannte echtes Interesse in seiner Frage. Kein Anflug von Spott oder Ironie. Aber sie gab keine Antwort, ihr Privatleben war ihre Sache und bisher war sie damit auch gut gefahren. Sie interessierte sich nicht für das, was Ackermann in seiner Freizeit tat und würde einen Teufel tun, ihm etwas Persönliches über sich zu erzählen. So oft hatte sie schon erlebt, wie Kollegen sich gegenseitig das Herz ausgeschüttet hatten. Dann, wenn man sich nicht mehr verstand, wurden alle Geheimnisse dem nächsten guten Kollegen anvertraut, und bald zerrissen die Leute sich die Mäuler. Laura wollte ihren Kollegen keine Angriffsfläche bieten. Wenn niemand etwas über sie wusste, konnte auch niemand etwas ausplaudern.

„Ich habe mitbekommen, dass dein Handy ständig klingelt. Warum gehst du nicht dran?“, versuchte er es noch einmal. „Hast du Stress mit deinem Freund?“

Laura war irritiert. „Ich hab dir doch gesagt, dass das meine Mutter war.“

„Deine Mutter, bist du sicher?“, hakte Ackermann nach. Sollte er doch denken, was er wollte, dachte Laura. „Sehr sicher“, erwiderte sie.

„Das macht dann sechzehn Euro fünfzig. Bitte fahren Sie weiter zur Kasse“, meldete sich die Stimme aus dem Lautsprecher und Laura war dankbar für die Unterbrechung.

Eine halbe Stunde später hielt sie auf dem Gehweg vor Paolos Pizzeria im Halteverbot. Schnell schnappte sie sich ihren Geldbeutel und huschte ins Lokal. Sie hatte ihre Lieblingspizza mit Gorgonzola von unterwegs aus bestellt. Stimmengewirr, Hitze sowie eine Mischung aus Kräuter- und Knoblauchduft schlugen ihr entgegen, als sie das überfüllte Lokal betrat. Paolo strahlte, als er sie sah. Auf Italienisch rief er ein paar Worte in die Küche, während er eine Pizza aus dem Ofen zog.

„Laura, ich habe dich schon so lange nicht mehr gesehen, wie geht es dir?“

„Danke, gut. Und euch?“

Paolo lächelte. „Schau selbst!“ Eine hübsche hochschwangere Frau mit einem langen, schwarzen Pferdeschwanz bugsierte lächelnd ihren dicken Bauch aus der Küche. Mit ausgebreiteten Armen lief sie Laura entgegen, wobei sie ein kleines Päckchen aus Alufolie in der Hand trug. „Oh, herzlichen Glückwunsch!“, lachte Laura und ließ sich von Theresa umarmen. „Siehst du, wie lange wir uns schon nicht mehr gesehen haben“, sagte Paolo. Ein Kellner lief vorbei und rief ihm auf Italienisch eine Bestellung zu. Paolo drückte Laura herzlich. „Komm doch mal wieder vorbei, wenn du mehr Zeit hast und es bei uns nicht so voll ist. Wie wäre es mit Sonntag? Bei diesem Wetter gehen die Leute ohnehin lieber in Restaurants mit Terrasse, dann ist bei uns tote Hose.“ Laura fand es immer toll, Paolo zuzuhören. Er sprach eine Mischung aus kurpfälzischem Dialekt und Italienisch. Als er etwa zehn Jahre alt war, war er als eines von vier Kindern einer italienischen Einwandererfamilie nach Deutschland gekommen und in ihr Nachbarhaus eingezogen. Sie waren also so etwas wie Sandkastenfreunde. „Sonntag, ganz sicher“, versprach Laura. Der Kellner wiederholte ungeduldig seine Bestellung und Paolo wandte sich seiner Arbeit zu. Theresa strahlte über das ganze Gesicht. „Es wird ein Mädchen“, flüsterte sie Laura zu. Sie strich sich liebevoll über den prall hervorspringenden Bauch. „Luisa soll sie heißen. In vier Wochen ist es so weit.“ Sie streckte Laura das kleine Paket aus Alufolie entgegen. „Hier, ich hab dir zwei Scheiben Prosciutto cotto für Emma eingepackt. Grüß sie von mir und lasst es euch schmecken. Wir warten am Sonntag auf dich. Ich mache dir auch extra Parmigiana di melanzane“, versprach sie mit vergnügt funkelnden Augen. „Aber Theresa, in deinem Zustand!“, protestierte Laura. „Nix da, du kommst Sonntag, basta!“ Die temperamentvolle Italienerin ließ keinen Widerspruch zu und lachte.

Emma war glücklich. Sie lag zusammengerollt neben Laura auf der Couch und schnurrte zufrieden. Der Schinken musste ja schließlich verdaut werden und so was Leckeres gab’s nicht alle Tage. Während Laura die Pizza genoss und sich den Käse von den Fingern leckte, dachte sie über die beiden toten Frauen nach. Viele Polizisten gingen nach Hause und ließen ihre Arbeit im Büro, aber Laura konnte im Moment einfach nicht abschalten. Sie stand auf und schaltete ihren Computer ein, steckte sich noch schnell das letzte Stück Pizza in den Mund und wischte die Hände an der Jeans ab, ehe sie sich an ihren Schreibtisch setzte, um die Fotogalerie von Lady Violet noch einmal ganz in Ruhe anzusehen. Zweifelsohne, Anna Koch war eine sehr schöne Frau gewesen. Nachdem Laura nun wusste, dass sie als Domina gearbeitet hatte, konnte sie sie sich in ihrem Hauptberuf als Erzieherin kaum vorstellen. Das war einfach zu grotesk. Tagsüber hatte sie mit Kindern gespielt, gesungen oder gebastelt, um sich dann am Abend völlig zu verwandeln. Unbegreiflich. Sie klickte sich durch die Fotos und landete bei Aufnahmen aus dem Klinikbereich. Wie gut, dass sie schon gegessen hatte. Diese Bilder fand sie nun wirklich alles andere als appetitlich. Unter dem Button „Links“ erschienen verschiedene Verweise zu Webseiten anderer Dominas. Nach einer Stunde rieb sie sich die Augen und lehnte sich zurück. Wow, es gab Dominas und Studios wie Sand am Meer. Laura war immer noch fassungslos, was Menschen alles mit sich anstellen ließen, um den ultimativen Kick zu bekommen. Die Fotos, die Laura eben gesehen hatte, gingen weit über das „Popo-Verhauen“, wie es Ackermann heute Abend genannt hatte, hinaus. Sie ging zum Kühlschrank, holte sich ein Bier und trank erst mal einen großen Schluck. Dann klickte sie die verschiedenen Links durch. Sie führte die Flasche zum Mund und hielt in der Bewegung inne, als ihr Blick beim Bild einer blonden Frau hängen blieb. Ihr Puls ging schneller. Sie kniff die Augen zusammen und beugte sich vor; starrte in den Bildschirm. Aber das Gesicht der drallen Blondine in einem ultrakurzen Lack-Krankenschwesterndress und in knallroten High Heels konnte sie nicht erkennen. Es musste doch ein besseres Bild von ihr geben. Sie suchte weiter, fand aber immer nur Seitenaufnahmen oder Fotos, auf denen die Frau im Hintergrund stand. Sie kramte in einer Schublade nach einem Kugelschreiber, fand aber nur einen Bleistiftstummel. Damit schrieb sie die Internetadresse auf die Rückseite eines Briefumschlages, der gerade greifbar war. Sie nahm sich vor, demnächst einen Zehnerpack Kugelschreiber zu kaufen.

So hatte ich mir das Date mit meinen beiden Ladys nicht vorgestellt. Ich liege in meinem Bett und kann nicht schlafen. Immer muss ich an gestern Abend denken.

Was für ein Abend! Als ich eintraf, hatte Lady Violet schon alles so schön arrangiert. Für einen ganz besonderen Kunden. Damit, dass sie dieses Mal der Sub sein würde, hat sie nicht gerechnet. Und schon gar nicht damit, dass ich sie überlisten und sie einige Minuten später gefesselt vor mir liegen würde. Ich erschaudere bei dem Gedanken. Ich spüre, wie mein Blut in Wallung gerät, allein durch den Gedanken an ihren panischen Blick, als ich sie in die Fallgrube gelegt habe. Die Erinnerung an den Duft ihres zarten Fleisches, an ihre verzweifelten Bemühungen, sich zu befreien und ihre Kollegin zu warnen, die einige Minuten später eintreffen sollte – und die dann später ebenso gefesselt vor mir lag. Schwitzend und keuchend vor Schmerz, wartend auf das, was als Nächstes geschehen würde. Ich sah ihren gehetzten Blick, als sie erkannte, dass ihre Freundin ordentlich verpackt in der Fallgrube lag, und als sie sah, wie ich den Deckel schloss. Es ist schon sonderbar, welchen Duft ein gepeinigter Körper ausströmt. Einen Duft, der mich erregt. Einen Duft, der meine Fantasie nährt und meine Kreativität anregt. Einen Duft, der mir wohlbekannt ist. Als Zahnarzt rieche ich täglich den Duft, der von meinen Patienten ausgeht, wenn sie mein Behandlungszimmer betreten und mir zum Gruß ihre schweißnassen Hände reichen. Wenn sie sich auf meinen Stuhl setzen. Ich rieche ihren Angstschweiß, und eine gewisse Vorfreude macht sich in mir breit. Mit beruhigenden Worten erkläre ich ihnen immer, dass ich sehr vorsichtig sein werde und sie keinerlei Schmerzen haben werden. Aber innerlich genieße ich ihre Angst und labe mich daran. Wenn ich bei der Behandlung nah an ihrem Gesicht bin, sehe ich die kleinen, glasklaren Schweißperlen, die sich auf ihrer Haut bilden und mich anfunkeln. Ich würde sie gerne anfassen, aber ich muss mich damit begnügen, sie zu sehen und zu riechen. Heute Morgen erst hatte ich so ein Erlebnis. Mit Frau Engel, die schon seit Jahren kommt. Groß, ein wenig korpulent und Mutter von drei Jungen, die sie mit strenger Hand erzieht. Wie oft habe ich schon erlebt, dass sie eines ihrer Kinder in meinen Behandlungsraum gezerrt und es barsch angefahren hat, weil es ängstlich jammerte. Heute spürte ich ihre Angst. Ich sah sie in ihren Augen und ich roch den süßlichen Duft ihres Schweißes. Bei den meisten Menschen löst der Angstschweiß eines Mitmenschen eine Fluchtreaktion aus. Das menschliche Gehirn verarbeitet sofort Duftstoffe, die ein ängstlicher Mensch aussendet, und warnt vor Gefahr, das ist evolutionsgeschichtlich sehr wichtig. Aber bei mir löst der Geruch von Angst ein wundervolles Gefühl aus, und ich rieche ihn täglich.

Und gestern Abend war das ein ganz besonderes Gefühl. So intensiv. Es war überwältigend.

Eine Zahnbehandlung bei Frau Engel kann es damit nicht aufnehmen.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
281 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783939434269
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