Das Auge sucht nach Brüdern und nach Schwestern. Die hohe Stirn glänzt wie die ewige Leuchte. Der Mund ist halb geöffnet. Und mich deuchte, Er spräche: Liebster, heute so wie gestern!
Das dichte Blondhaar ringelt sich in Nestern Von Kolibris, die dein Gespräch nicht scheuchte. Die Hände sind mit Tau besprengte feuchte Lotos, die ewig der Vergängnis lästern.
An diesem goldnen Halsband hielt ich mich, Wenn ich in Liebe zu ertrinken drohte. In dieses Ohr sprach mein Gelübde ich.
An dieser Aprikosenwange lohte Ich fiebernd. Diesen Nacken küsste ich Und wusst es nicht: ich küsste eine Tote . . .
XXII
Ich danke Gott mit Macht aus tiefstem Herzen, Dass er dich mir geschenkt ein göttlich Jahr. Der Mutter dank ich, welche dich gebar. Den Schwestern im Spital, die mit den Kerzen
Am Sarge schritten. Und die mir dein Haar Mit kleiner Schere abgetrennt. Den Schmerzen Des Hundes Ri. Dem Priestergreis, der erzen An deinem offnen Grab errichtet war.
Und sollt ich hundert Jahre Qual erleiden, In denen stündlich ich dich neu verlöre: Einmal war doch das Paradies uns beiden!
Einmal erbrausten Harf- und Zymbelchöre! Und muss ich einst von dieser Erde scheiden, Spring lachend ich in Charons Fährenföhre.
XXIII
Dich kannte niemand ausser Gott und mir. Dein wahres Wesen war der Welt verborgen. Sie gehn ja nur nach Guldenglück und sorgen Sich nicht um Wolke, Nelke, Mond und Tier.
Du warst Geschwisterwesen diesen vier: Wind, Sonne, Schmetterling und Frühlingsmorgen. Du sahst ins finstre Antlitz aller Gorgen, Dass sie zu Stein verendeten vor dir.
Weit schweifend wie der Wind, und wie das Licht Der Erde Fruchtbarkeit und Wärme lebend. So wie der Falter Strahl an Strahlen flicht.
Ein Frühlingsmorgen, Pfirsichblüten schneend, Und hell getönt wie Dantesches Gedicht. So warst du: gehend, stehend, wehend, sehend.
XXIV
Wie Schmetterlinge zahllos sind die Küsse, Die wir versunken ineinander tauschten. So wie des Ozeanes Wogen rauschten Die Wogen unsres Blutes. Unsre Küsse
Waren wie Grillen, die einander lauschten Und wechselseitig zirpten. Unsre Küsse Lagen wie Wölk an Wolke. Unsre Küsse Sich wie die Pfauen bunt im Dunkel bauschten.
Und keiner von den Küssen ist vergangen. Sie sind lebendig, wo ein Knabe lächelt. Und wo sich Lerchen in die Lüfte schwangen.
Und wo ein Mädchen Sehnsucht strickt und hechelt. Und wo zwei Welten feurig sich umschlangen. Und wo der Wind auf deinem Grabe fächelt.