Kitabı oku: «Die Tränen der Waidami», sayfa 7

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Torek grinste breit. Seine Laune stieg. Innerlich rieb er sich die Hände. Unter der dreiundzwanzigköpfigen Mannschaft befanden sich fünfzehn Männer der gesunkenen Darkness. Keiner dieser Männer würde auch nur dem kleinsten Befehl von Morgan folgen, wenn McFee ihn nicht billigte. Sie alle hassten Morgan und hatten noch nicht vergessen, dass er ihr Schiff versenkt und ihren Captain getötet hatte. Ein Zeichen von Bairani oder ihm genügte, und McFee würde die Hunde von der Leine lassen, die mit Freude ihre Beute zu einem langsamen Tod hetzen würden. Aber das musste noch warten, bedauerlicherweise. Die Vision war klar und deutlich. Gleich, welche Rolle der Pirat auch darin spielte, es gab keinen Zweifel, dass er bis zum glorreichen Sieg dabei sein musste.

Ruhig stand er also neben den beiden Männern auf dem Achterdeck, während Morgan seine Ansprache führte. Der Pirat war längst tot, er wusste es nur noch nicht.

*

Cristobal Tirado y Martinez stand im Hafen und schaute der Santa Esmeralda hinterher, auf der sich Lanea und Cale auf dem Weg zu einem neuen Leben befanden, - wenn es ihnen vergönnt sein sollte. Lanea war in den letzten Tagen unruhig und still gewesen. Ihre Gedanken mochten überall gewesen sein, aber sicher nicht bei der bevorstehenden Reise oder bei Cale Stewart, auch wenn dieser sich dies vielleicht wünschen mochte. Das Schiff setzte alle verfügbaren Segel und nahm schnell Fahrt auf. Es verschwand aus seinem Blickfeld, ohne dass er die beiden noch einmal gesehen hätte. Leise seufzte er auf. Die Opferbereitschaft von Jess Morgan forderte nicht nur von dem Piraten einen schrecklichen Preis, sondern auch von den Menschen, die ihm nahestanden. Hoffentlich war es das wert. Wieder seufzte er. Im Hafen lagen nur noch die Santa Ana und die Neptuno, die ebenfalls die letzten Vorbereitungen zum Auslaufen trafen. Langsam schritt er auf die beiden großen Segelschiffe zu, in die er all seine Hoffnung setzte. Sie waren stark bewaffnet, die Kapitäne alte Haudegen, die er seit Jahren erfolgreich gegen die Piraten der Karibik eingesetzt hatte.

Leise rumpelnd wurde Tirado von einer Kutsche überholt, die vor der Laufplanke der Neptuno anhielt. Der Wagenschlag öffnete sich und Capitan Mendez stieg heraus. Als er Tirado sah, tippte er kurz mit der Hand gegen seinen Hut und nickte ihm zu: »Señor Gouverneur.«

»Señor Capitan«, erwiderte Tirado den Gruß. »Mast- und Schotbruch und möge Gott Euch auf Eurem Weg begleiten.«

Mendez lächelte selbstsicher. Dabei legte sich sein wind- und wettergegerbtes Gesicht in unzählige Falten. »Macht Euch keine Gedanken, Señor Gouverneur. Die Santa Ana und die Neptuno sind gut gerüstet. Dieses vermaledeite Inselpack wird uns nicht aufhalten können, dessen bin ich mir sicher. Wir haben schon ganz andere Schlachten geschlagen.«

»Ich wünschte, es wäre so einfach. Einer von Euch muss nach Spanien durchkommen, koste es, was es wolle, Capitan. Von Eurem Erfolg hängt womöglich unser aller Leben ab.«

»Bei allem gebotenen Respekt, Señor Gouverneur. Aber Spanien ist eine Weltmacht. Noch sehe ich keine wirkliche Bedrohung durch die Waidami. Es handelt sich doch bisher eher um kleine Aufmüpfigkeiten von ein paar Wilden, nichts, was wir nicht selbst niederschlagen könnten.«

»Ihr habt Recht.« Tirado nickte. »Aber dies wird sich schon bald ändern, fürchte ich.« Abrupt verstummte er, als er den zweifelnden Blick von Mendez sah. Der Mann glaubte ihm nicht. Wie auch? Waren sie doch alle mit der Arroganz aufgewachsen, dass sich nichts und niemand gegen das mächtige Spanien zu stellen vermochte. Diese Arroganz würde ihnen jetzt zum Verhängnis werden. Niemand hier oder bei Hofe würde die bevorstehende Niederlage auch nur in Betracht ziehen, bis es zu spät war. Plötzlich wusste er mit untrüglichem Instinkt, dass, sollten die Santa Ana und die Neptuno das Unmögliche schaffen und Spanien erreichen, von dort keine Hilfe kommen würde. Der Hof würde ihn für seinen Hilferuf auslachen und jemanden senden, der ihn von seinem Posten ablösen würde. Waidami würde am Ende erfolgreich sein.

Hastig verabschiedete er sich und ging zurück zu seiner Kalesche, die auf der Pier stand, von der die Santa Esmeralda in See gestochen war. Er konnte das Geschehen nicht aufhalten, das musste er wohl endlich einsehen.

*

Am nächsten Morgen saß Jess in seiner Kajüte und aß das Frühstück, das Gerard gebracht hatte. Obwohl er wieder auf der Treasure war, hatte er schlecht geschlafen, weil er die Verbindung zu ihr abgeblockt hatte. Nach dem gestrigen Auftakt mit McFee wollte er alleine sein. Den Drang, den ehemaligen Ersten Maat seines Erzfeindes Stout sofort zu töten, vergrub er in der Leere, in der er all seine Empfindungen verbarg. Weder Hass noch Zweifel oder gar Furcht vor dem, was vor ihm lag, durften ihn von seinem Weg abbringen. McFee als Ersten Maat auf die Treasure zu bringen, war mehr als ein übler Scherz von Torek. Wenn er sich nicht irrte, waren ein Großteil seiner neuen Männer ehemalige Crew-Mitglieder der Darkness. McFee würde der heimliche Kommandant an Bord sein und keine Zeit ungenützt verstreichen lassen, um den Rest ebenfalls auf seine Seite zu ziehen. Doch der Zweck, den Torek damit verband, war ihm nicht klar. Unstimmigkeiten in einer Crew würden Toreks Ziele nur gefährden. Lustlos zerbröckelte er das Brot unter seinen Fingern und spielte mit den Krümeln, schob sie hin und her und zerdrückte sie impulsiv mit der flachen Hand. Frustriert schob er den Stuhl zurück und wollte schon aufstehen, als Schritte vor der Tür erklangen. Überrascht blieb er sitzen. Er war es nicht gewöhnt, Besucher nicht rechtzeitig zu bemerken. Das konnte nur eins bedeuten.

Die Tür wurde geöffnet, und Torek trat mit zynischem Lächeln ein.

»Morgan«, sagte er eine Spur zu freundlich. »Du hast gerade gefrühstückt, wie ich sehe. Das trifft sich gut, denn es wartet ein Auftrag auf uns.«

Jess zog fragend eine Augenbraue hoch. »Ein Auftrag welcher Art?«, fragte er.

Torek nickte und schlenderte durch den großzügigen Raum, dabei betrachtete er neugierig jede Einzelheit, umrundete den Kartentisch und setzte sich dann auf einen freien Stuhl. Wie selbstverständlich nahm er Jess‘ Becher und schenkte sich aus dem danebenstehenden Krug von dem leichten Wein ein. »Zwei Schiffe wollen von Cartagena kommend nach Spanien segeln. Wir müssen sie aufhalten.« Torek nahm einen Schluck und betrachtete ihn dabei über die Ränder des Gefäßes hinweg.

Kuriere, unterwegs mit einer Bitte um Verstärkung. Tirado hatte keine Zeit verloren, aber offensichtlich doch noch zu lange gezögert. Jess stand auf und beugte sich über die Karte, die eine Gesamtansicht der Karibik zeigte. »Wo befinden sie sich zurzeit?«

»Sie haben erst heute Morgen den Hafen verlassen und können folglich noch nicht weit sein.«

»Ihr wisst es also nicht genau? Sind Eure Visionen so unbestimmt?«

Torek schnaufte verärgert. »Wir wissen, welche Route sie einschlagen.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf die Karte. »Dort werden sie vorbeikommen.«

»Seid Ihr sicher?« Jess betrachtete den Punkt, der genau nördlich vor der Insel Carriacou lag. Viele kleinere Inseln, die eine Flucht ermöglichen oder, je nach Geschick des Gegners, vereiteln konnten. Doch die Route war geschickt gewählt, wenn man es nicht gerade mit einem Gegner zu tun hatte, der schon die Route kannte, bevor man diese selbst antrat. Vermutlich wollten sie Barbados anlaufen, bevor sie von dort die Atlantik-Überquerung starteten. Es würde mit einem Seher an Bord nicht schwer sein, sie dort zu stellen.

»Gut, stechen wir in See«, sagte er, sah von der Karte auf und traf auf Toreks Blick. Für einen Moment überlegte er, ob er noch etwas hinzufügen sollte, unterließ es aber. Er wandte sich um und ging einfach hinaus. Die leicht tapsenden Schritte von Torek folgten ihm eilig, bemüht seinen Schritten hinterherzukommen.

Gemeinsam betraten sie das Hauptdeck, auf dem schon emsige Betriebsamkeit herrschte. McFee scheuchte die Männer umher. Das Rasseln der Ankerkette überraschte ihn und auch die Männer, die bereits in die Wanten stiegen, um Segel zu setzen.

»Ich habe McFee bereits den Befehl erteilt, auszulaufen«, keuchte Torek neben ihm außer Atem. »Wir sollten keine Zeit verlieren.«

»Wenn Ihr das Kommando an Bord übernehmen wollt, Seher«, knurrte Jess grimmig, »dann frage ich mich, warum ich noch an Bord bin. Oder fürchtet Ihr, die Tätowierungszeremonie könnte zu schmerzhaft für Euch sein?«

Torek öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Jess ignorierte ihn.

»McFee!«, rief er. Die Spanier hatten ungefähr die gleiche Distanz nach Carriacou zu überbrücken wie die Monsoon Treasure. Wenn sie nicht rechtzeitig die Stelle erreichten, würden die beiden spanischen Schiffe möglicherweise den Atlantik erreichen.

Der Erste Maat drehte sich widerstrebend um und trat dann zu ihnen.

»Captain?«, knurrte er unfreundlich.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Spanier werden nach Barbados sicher getrennte Kurse setzen, um die Möglichkeit zu erhöhen, dass wenigstens einem Schiff unbehelligt die Überfahrt gelingt. Das müssen wir verhindern. Lass sämtliches Tuch setzen. Du stehst mir persönlich dafür ein, dass wir die entsprechende Position rechtzeitig erreichen.«

McFee blickte hastig auf den Seher, der zwischen ihnen viel zu klein und schmächtig wirkte.

»Aye, Sir! - Klar zum Segelsetzen, ihr verlausten Deckratten. Heiß auf Großsegel!« McFee wandte sich ab und brüllte augenblicklich neue Befehle über Deck.

Jess ging zum Achterdeck. Torek war ihm gefolgt wie ein Schatten. Das schmale Gesicht des Sehers wirkte leicht enttäuscht, dass es zu keinen Unstimmigkeiten gekommen war. Jess ignorierte ihn und beobachtete stattdessen das Auslaufmanöver. Eines musste er McFee lassen: Er verstand sein Handwerk und hatte die Leute im Griff, die sich beinahe überschlugen, seinen Befehlen nachzukommen. Schneller wären sie auch nicht mit seiner alten Crew ausgelaufen.

Unwillkürlich blickte er über die vor Anker liegenden Schiffe. Wo mochte seine Mannschaft wohl sein? Er hatte die letzten Tage jeden Gedanken an seine Männer, nein, seine Freunde verdrängt. Seinetwegen hatten sie sich hierher begeben und waren jetzt auf eine andere Art in Ketten gelegt. Sein Gewissen wog schwer. Jess hob die Hand und legte sie an den Mast. Augenblicklich sprang die Monsoon Treasure auf ihn über und packte ihn, zog sein Bewusstsein in ihre Umarmung. Vorsichtig glitt sie in den Rumpf hinab und von dort ins Meer. Dort verharrte sie für einen Augenblick schwerelos dümpelnd in der leichten Dünung der Bucht, bevor sie pfeilschnell auf den Rumpf eines anderen Schiffes zuschoss und sich an diesen schmiegte. Als würde eine Tür geöffnet, drangen sie in das alte Holz und wanderten durch das Schiff. Jess keuchte auf, als er unvermittelt auf die Strömungen von Kadmi, N’toka und Dan stieß. Sie waren ruhig und gleichmäßig. Es gab keine Anzeichen, dass sie verletzt waren. Erleichterung erfüllte ihn, aber die Sorge um die anderen blieb. Die Treasure zog sich mit ihm zurück ins Meer und steuerte das nächste Schiff an. Auch hier drangen sie in das Schiff ein und fanden die Strömungen von dem holzbeinigen McPherson, Jintel, Sam, Ian, Riccardo und Lorenzo. Auch sie schienen unversehrt.

Ansatzlos lief ein Zittern durch die Monsoon Treasure und riss ihn aus dem fremden Schiff. Sein Bewusstsein wurde zurückgeschleudert und förmlich auf das Deck der Monsoon Treasure katapultiert. Jess stöhnte auf und hielt sich mit beiden Händen an der Reling fest, um nicht zu stürzen. Ein ziehender Schmerz fuhr durch seinen Körper und trennte die Verbindung. Nur langsam klärte sich sein Blick. Er schluckte schwer. Neben ihm stand Torek, beobachtete ihn interessiert und fragte lauernd:

»Stimmt etwas nicht?«

Jess bemerkte erstaunt, dass sie bereits die Bucht verließen. Ob die Entfernung zu den anderen Schiffen zu groß geworden war? Oder hatte Torek etwas damit zu tun, dass er so plötzlich aus der Treasure gerissen worden war? Wenn ja, würde er dies kaum zugeben. Jess‘ Muskeln zitterten, wie nach einer großen körperlichen Anstrengung. Der Seher durfte diese Reaktion nicht bemerken. Langsam löste er die Hände von der Reling und richtete sich wieder auf.

»Wollt Ihr von mir eine ehrliche Antwort, Seher?«, fragte er kühl. »Ihr seid an Bord, das stimmt nicht! Sollte sich für mich nur eine einzige Gelegenheit ergeben, dass Ihr über Bord geht, dann bei der Göttin, werde ich diese nutzen.«

»Du überschätzt dich.« Torek kniff verächtlich die Lippen aufeinander, aber sein Gesicht war eine Spur bleicher geworden. Mit der rechten Hand griff er nach dem Amulett und umklammerte es. »Und du vergisst, mit wem du redest.«

»Wie könnte ich das?«

Für einen Moment überlegte Jess, das Achterdeck zu verlassen und McFee das Kommando zu überlassen. Torek würde schon dafür sorgen, dass sie den richtigen Kurs einschlugen und die beiden Schiffe nicht verpassten. Aber diese Blöße wollte und durfte er sich nicht geben.

Also blieb er und begann, sich danach zu sehnen, endlich auf die gesuchten Spanier zu treffen, um sie mit all der Wut, die er für Torek empfand, auf den Grund des Meeres zu schicken.

*

Am späten Nachmittag des dritten Tages segelten sie von Norden kommend auf die Insel Petit St. Vincent zu. Aufgrund des günstigen Windes hatte Jess unterwegs beschlossen, den beiden Schiffen aus dieser Richtung entgegen zu segeln. Beide Ausgucke waren besetzt. Die Männer riefen in regelmäßigen Abständen ihre Berichte herab. Jess stand im Bug und starrte nach vorn. Inzwischen war Carriacou auf Sichtweite heran, aber noch waren keine Mastspitzen auszumachen.

»Sie müssen jeden Moment auftauchen.«

Langsam wandte sich Jess zu Torek um, der ihm den ganzen Tag wie ein Schatten gefolgt war. Er wirkte bleich. Mit großen Augen starrte er an Jess vorbei, als könnte er so die Schiffe schneller herbeilocken. Dabei spielte seine Hand unermüdlich mit dem Amulett.

»Ihr habt Angst!«, stellte Jess fest.

Die großen Augen richteten sich widerstrebend auf ihn. »Wo ist bei einem Gefecht der sicherste Platz auf einem Schiff?«

Jess musterte den dünnen Seher von Kopf bis Fuß und konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. »Es gibt während eines Gefechtes keinen sicheren Platz auf einem Schiff, Seher«, sagte er betont langsam und mit Genuss. »Vielleicht schaut Ihr einmal in Euren Visionen nach, wo Ihr Euch am besten verkriechen könnt.«

Toreks Miene verfinsterte sich zusehends. Er öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, als der Ruf des Ausgucks sie unterbrach: »Mastspitzen Backbord voraus!«

»Siehst du«, triumphierte der Seher und deutete nach vorne. Jess schwieg und zog stattdessen das Spektiv hervor. Um die Nordspitze Carriacous schoben sich gerade zwei Dreimaster, die die spanische Flagge gehisst hatten.

»Diese verdammten Spanier scheinen wirklich zu glauben, dass sie sich an uns vorbeischleichen können.« Torek lachte abfällig. »Sind sie stark bewaffnet?«

Jess betrachtete immer noch die Schiffe. Er hatte sie beide sofort erkannt. Es waren die Neptuno und die Santa Ana, die ihnen hoch am Wind entgegensegelten. Beide Schiffe waren bei der großen Schlacht gegen die Waidami dabei gewesen. Er selbst hatte das Kommando über die Neptuno gehabt. Es waren gute Männer an Bord. Wütend presste er die Lippen aufeinander.

»Sind sie stark bewaffnet, habe ich gefragt!« Toreks aufgeregte Stimme drang in sein Bewusstsein.

Nur zögernd ließ Jess das Spektiv sinken und schenkte dem Seher einen kalten Blick. »Es sind Schlachtschiffe, was erwartet Ihr?«

»Willst du denn nicht die Kanonen rausholen lassen?«

Jess wandte sich ab und steuerte das Achterdeck an. Es widerstrebte ihm zutiefst, diese Schiffe anzugreifen. Die Männer waren ihm während seiner Zeit an Bord zwar mit Vorsicht begegnet, aber ohne ihre Hilfe hätte er die Monsoon Treasure nicht zurückerobern können. Jetzt sollte er sie zum Dank dafür auf den Meeresboden schicken? Nachdenklich warf er einen Blick auf Torek, der ihm wie immer gefolgt war. Hass wallte in ihm auf. Dieser verdammte Mistkerl klammerte sich unablässig an das Amulett. Irgendwann musste er dieses Ding doch einmal loslassen. In seinem Gesicht spiegelte sich Nervosität. Offenbar war seine Angst vor dem Gefecht doch so groß, dass er noch nicht bemerkt hatte, in welchem Zwiespalt Jess sich befand. Gut so.

»Kurs halten! Alles auf Gefechtsstationen!«, rief Jess. »Die Stückpforten bleiben geschlossen.«

»Was? Wieso?« Torek sah ihn fassungslos an, während Bewegung in die Crew geriet. Schnell, aber ohne übertriebene Hast folgten sie dem Befehl.

»Weil es noch nicht der passende Augenblick ist«, entgegnete er knapp.

Vielleicht wussten die Spanier noch nichts davon, dass die Monsoon Treasure wieder für die Waidami segelte. Doch ein Blick durch das Spektiv belehrte ihn eines Besseren. Noch machten sie zwar nicht die geringsten Anzeichen sich für ein Gefecht vorzubereiten, aber Capitan Mendez beobachtete ihn ebenfalls durch ein Fernrohr. Ihm konnten die Vorbereitungen an Bord der Monsoon Treasure nicht verborgen bleiben, auch wenn die Stückpforten immer noch geschlossen blieben. Eisern hielten die beiden spanischen Schiffe weiterhin auf sie zu, ohne dass etwas geschah. Im Grunde hatten sie auch keine andere Möglichkeit als sich dem Gefecht zu stellen. Wenn er die Schiffe hier versenkte, würden die Überlebenden ohne Schwierigkeiten an Land schwimmen können. Es mussten nicht alle sterben.

»Auf meinen Befehl hin werden die Stückpforten geöffnet und gefeuert!«, rief Jess McFee zu.

»Aye, aye, Sir!«

Auf der Neptuno wurden die Kanonen ausgerannt, die Santa Ana folgte kurz darauf ihrem Beispiel. Damit zeigte sie ebenfalls ihre Gefechtsbereitschaft und fiel hinter die Neptuno ab. Beide Schiffe würden auf diese Weise leicht versetzt an der Backbordseite der Treasure vorbeilaufen und sie damit kurz hintereinander unter Beschuss nehmen können. Jess sah, wie die Männer an Deck neugierig zu ihnen herüber sahen. Für den Moment schienen sie noch unsicher zu sein, ob von der Monsoon Treasure tatsächlich Gefahr ausging. Die Neptuno würde jeden Moment parallel zur Treasure laufen und machte nicht den Anschein zuerst das Feuer eröffnen zu wollen. Jess wartete, während Torek neben ihm ungeduldig auf seinen Füßen hin und her trat.

»Mach schon, verdammter Pirat!«, zischte er. Es war der Augenblick, in dem Jess laut brüllte: »Volle Breitseite! FEUER FREI!«

Beinahe gleichzeitig flogen die Stückpforten hoch, und die Kanonen wurden ausgerannt. Das Deck erzitterte unter der Wucht der Schüsse. Einen Atemzug später schlugen die Kugeln mit unglaublicher Gewalt auf der Neptuno ein. Schreie erklangen, als der Besanmast unter lautem Bersten und Krachen auf das Deck stürzte und Männer unter Segel und Tauen begrub. Zwei große Löcher klafften in der Bordwand. Das Heck hatte auch einen Treffer abbekommen, der die gerade erst reparierte Ruderanlage beschädigt hatte. Capitan Mendez’ Befehle übertönten den Lärm, in dem Versuch dem Chaos Einhalt zu gebieten. Jedoch hatte die kurze Unsicherheit und das Zögern des Capitans zuvor wertvolle Zeit gekostet, wodurch die Kanonen der Neptuno erst verspätet das Feuer erwiderten und ihre Ladungen nutzlos hinter die Treasure in die See spuckten.

»Hart Backbord! Kanonen nachladen«, schrie Jess. Noch während von der Neptuno weiter hektische Befehle herüberschallten, schwenkte die Monsoon Treasure hinter dem breiten Heck des spanischen Dreimasters nach Backbord aus, um der Santa Ana ihre Steuerbordbreitseite zu präsentieren. Die Männer der Santa Ana schienen besser vorbereitet zu sein, als ihre Begleiter. Nacheinander leuchteten die Kanonenmündungen auf. Drei große Wassersäulen stiegen vor der Monsoon Treasure aus dem Wasser auf. Während zwei Kugeln über das Hauptdeck fegten, schlug eine weitere in einem der unteren Decks ein. Ein paar Männer schrien auf, andere versuchten, den Geschossen auszuweichen. Eine Kugel traf das Achterkastell. Holzsplitter flogen umher. Jess stöhnte unter den Schmerzen, die die Treffer verursachten, und hob schützend den Arm vor das Gesicht, während sich Torek mit einem lauten Aufschrei der Länge nach auf den Boden warf und seinen Kopf unter den Armen begrub.

»FEUER!«, rief Jess. Diesmal brüllten die Kanonen der Steuerbordseite auf und spuckten Tod und Verderben auf die Spanier hinüber. Zwei Schüsse schlugen vor dem Schiff ein. Der Rest traf und zerschlug das Schanzkleid. Männer wirbelten wie Puppen über das Deck. Eine Kugel traf den Fockmast, beschädigte ihn aber nur leicht.

Jess sah zur Neptuno hinüber. Die Ruderanlage schien doch schwerer beschädigt zu sein, als es den Anschein gehabt hatte. Das Schiff trieb hilflos auf das Ufer der kleinen Insel zu. Demnach schied es als weiterer Gegner aus, und er wandte sich wieder der Santa Ana zu, die angeluvt hatte und jetzt auf die Treasure zuhielt.

»Steuerbord!«, befahl Jess.

Langsam schwenkte die Treasure herum. Beide Schiffe segelten aufeinander zu.

»Breitseite klar machen zum Feuern! Zielt auf die Wasserlinie.«

Die Schiffe näherten sich schnell. Beinahe gleichzeitig brüllten die Kanonen auf und fegten wie tödliche Dämonen über das Wasser. Schreie erklangen, als die Kugeln der Santa Ana das Schanzkleid der Treasure durchbohrten und einige Männer getroffen wurden. Doch die Schüsse waren zu hoch gezielt und richteten keinen großen Schaden an. Die schlimmsten Verwüstungen kamen von den umherfliegenden Holzsplittern, die sich wie hinterhältig abgeschossene Pfeile auf den Weg nach Opfern machten und diese auch fanden. Auf der Santa Ana hingegen zerschlugen die gut gezielten Schüsse der Treasure den Rumpf dicht unterhalb der Wasserlinie. Wasser schoss durch die Lecks in das Innere und besiegelten das Schicksal des Schiffes. Jubelnd und grölend feierten Jess‘ Männer den Anblick der sterbenden Santa Ana, als sie langsam aus dem Ruder lief.

Die Neptuno war auf Grund gelaufen und die Santa Ana sank über Bug. Diese Schiffe würden keine Nachricht mehr nach Spanien bringen.

Hinter Jess rappelte sich Torek langsam auf.

»Ihr scheint einen sicheren Platz gefunden zu haben, Seher. Ihr seid unversehrt, wie ich sehe.«

Torek warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Was ist mit den Überlebenden?«, fragte er mit einem Blick auf einige Männer, die von der sinkenden Santa Ana auf die Insel zu schwammen.

»Was soll mit ihnen sein? Ziel war es zu verhindern, dass diese beiden Schiffe nach Spanien segeln. Ich denke, dieses Ziel ist erreicht.«

»Töte sie.«

»Ich töte keine wehrlosen Männer«, knurrte Jess abfällig.

»Oder tötest du sie nicht, weil du sie kennst?«

Jess warf ihm einen überraschten Blick zu. Torek lächelte triumphierend: »Meinst du, ich wüsste nicht, dass du auf diesem Schiff dort«, und damit deutete er auf die auf der Seite liegenden Neptuno, »gesegelt bist, als du dir dein Schiff zurückgeholt hast? Halte mich nicht für so einfältig, Morgan.«

»Ich sehe dennoch keinen Grund darin, wehrlose …«

Torek schnitt ihm mit einer Bewegung der Hand das Wort ab. Locker umfasste er das Amulett. Hitze schoss in Jess‘ Herz und ergoss sich von dort durch seinen Körper, fraß seinen Verstand und legte sich wie Eisenketten um seine Muskeln.

»McFee!«, brüllte er. Augenblicklich tauchte dieser vor ihnen auf. Sein Gesicht war blutverschmiert. Kurz streifte sein Blick Toreks Gestalt, bevor er sich an Jess wandte:

»Aye, Sir?«

»Lass Boote zu Wasser und gib Musketen aus. Tötet jeden Überlebenden, den ihr finden könnt.«

»Aye, aye, Sir!« McFee nickte und brüllte über Deck: »Beiboote klarmachen zum Abfieren! Wir machen Jagd auf die spanischen Ratten, Männer!« Johlende Zustimmung folgte.

Ein scharfer Schmerz durchfuhr Jess‘ Kopf und ließ eine seltsame Leere zurück. Er war wieder frei! Wie betäubt wandte er den Kopf nach achtern. Torek beobachtete ihn mit dem zufriedenen Gesichtsausdruck eines Siegers.

Schüsse erklangen neben ihm, die ihn wie aus einem tiefen Schlaf weckten. Jess löste sich von Toreks Anblick und sah auf die unglückseligen Spanier, die versuchten, sich an Land zu retten. Das erste Beiboot war gerade zu Wasser gelassen worden und hielt auf die Insel zu. Zwei Mann ruderten, während vier weitere mit ihren Musketen zielten und feuerten. Bei jedem Treffer schrien sie vor Freude auf, als wären sie auf einer Jagd und hätten gerade einen kapitalen Hirsch erlegt. Regungslos beobachtete er das mörderische Treiben. Als die ersten Schwimmer das scheinbar rettende Ufer erreichten, landete bereits eines der Boote. Die Männer zögerten nicht, sprangen an Land und zogen noch im Lauf die Schwerter.

Die Schiffbrüchigen hatten nicht die geringste Überlebenschance. Jess presste die Lippen fest aufeinander und wandte sich ab. Torek beobachtete hingegen weiterhin mit leuchtenden Augen das Geschehen, als folgte er einem amüsanten Schauspiel. Wie konnte ein so junger Mensch nur so grausam sein?

»Seid Ihr zufrieden, Seher? Gefällt Euch, was ihr seht?«, fragte er daher anzüglich.

»Durchaus!« Torek würdigte ihn nur eines kurzen Blickes, dann richtete er seine Augen wieder auf die Insel. »Du solltest nicht so verächtlich auf diese Männer und mich herabsehen, Morgan. Schließlich ist dies eine Vorgehensweise, die dir nur zu gut bekannt sein dürfte.«

»Das ist lange her.«

»Aber nicht vergessen!« Torek lächelte beinahe milde. »Ist es doch nur ein Beweis dessen, wozu du selbst in der Lage bist.«

Jess bedachte den Seher mit einem nachdenklichen Blick. Nicht vergessen! Nein, als ob jemals etwas vergessen werden konnte. Es war noch nicht so lange her, da hatte der alte McPherson beinahe die gleichen Worte an ihn gerichtet. Wahrscheinlich war es so. Taten reihten sich aneinander wie Perlen auf einer Schnur, und am Ende würde sich zeigen, welche Art der Perlen überwog. Im Moment schmiedete er an einem Schmuckstück, das zu tragen keine Auszeichnung war.

Am Strand war es ruhig geworden. Die Piraten hatten ihr blutiges Werk beendet und schoben die Beiboote wieder in das Wasser, um zurückzurudern. Torek ließ seine Augen herablassend über Jess wandern.

»Ich hätte nie gedacht, dass du so schnell aufgibst. Da ist nicht einmal der Ansatz eines Widerstandes in deinem Willen. Aber wahrscheinlich ist es das, was du tief in deinem Innern schon immer gewesen bist. Nichts weiter als ein Werkzeug, das nur von dem richtigen Mann geführt werden muss.«

»Und dieser Mann seid Ihr?« Jess verschränkte die Arme vor der Brust und sah abfällig auf den Seher herab. Doch dieser ließ sich durch den Größenunterschied nicht mehr beirren. Das gerade Geschehene hatte sein Selbstbewusstsein weiter gestärkt. »Was lässt Euch in dem Glauben, dass ausgerechnet ein Knabe der richtige Mann ist, um mich so zu lenken, dass am Ende der Kampf der Waidami so endet, wie es die Prophezeiung vorhersieht?«

»Wer sagt denn, dass ich das Ende anstrebe, das die Prophezeiung vorsieht?« Torek kicherte. Wie zufällig legte sich die Hand wieder an das Amulett und streichelte es beinahe sanft. »Vielleicht habe ich da ja ein ganz anderes Ende im Sinn.«

»Ihr wollt Bairani verraten?«

Torek riss in gespielter Verwunderung die Augen auf und schüttelte übertrieben den Kopf, doch das Lächeln um seine Lippen behielt er bei. »Nein, nein! Wie könnte ich den großen Bairani verraten, wenn ich ihm doch so viel verdanke. – Ich strebe nur danach, dass die Waidami ihren Sieg erhalten.«

»Ihr spielt ein gefährliches Spiel, Torek. Wenn man sich zu viele Fronten schafft, ist eine Seite irgendwann einmal ungeschützt.«

»Weise Worte, Morgan. Doch all deine Weisheit hilft dir im Moment nicht weiter. Und wenn du an den Punkt gelangst, an dem dir diese Weisheit endlich die Lösung verrät, wird es für dich zu spät sein. Denn des Rätsels Lösung ist dein Tod!« In einer plötzlichen heftigen Bewegung umklammerte er das Amulett so fest, dass deutlich die Knöchel seiner Hand hervor traten. Wütend presste der Seher die schmalen Lippen aufeinander.

»Ein guter Mann hat einmal gesagt, alle Visionen wären nur Möglichkeiten.«

»Du redest von Tamaka. Er war ein Trottel und kein guter Mann«, fuhr Torek auf. »Und er ist gestorben wie ein Trottel, in dem törichten Glauben, mit dem Diebstahl des Dolches das Schicksal zum Guten wenden zu können. Doch wäre er schlau gewesen, hätte er gewusst, dass wir diesen Diebstahl wollten; dass wir die neue Verbindung zwischen dir und deinem Schiff brauchten, und er hätte gewusst, dass der Dolch manipuliert war. Wäre er der Mann gewesen, von dem du sprichst, dann wäre das hier …«, und damit klopfte er gegen das Amulett, » … nicht möglich gewesen! Aber genug geplaudert, Pirat. Bring uns zurück nach Waidami. Dort wartet bereits eine andere Aufgabe auf dich. Ich werde mich eine Weile zurückziehen. Komm nicht auf die Idee, mich zu stören, wenn es nicht wirklich wichtig ist.« Damit wandte sich der Seher um und schritt hastig über Deck davon.

*

Wütend riss Torek das Schott auf, stolperte den Gang entlang und stürzte in seine Kajüte. Mit Wucht schlug er die Tür zu und setzte sich zitternd auf seine Koje.

Verdammt! Was war er nur für ein geschwätziger Idiot! Dass dieser Mistkerl ihn auch ständig mit seiner arroganten Art reizen musste. Hatte er ihm nicht gerade gezeigt, wie viel er noch selbst in der Hand hatte? Möglichkeiten, lächerlich! Und er hatte nichts Besseres zu tun, als mit seinem Wissen zu prahlen. Wenn Morgan genau zugehört hatte ...

Torek stand auf und ging zu dem kleinen Tisch hinüber. Ratlos sah er sich um. Der Raum war zu dunkel, zu eng, und er vermisste Waidami. Nur ein paar Tage auf See und er haderte mit dem Weg, den er eingeschlagen hatte. Vielleicht hätte er Bairani nicht davon überzeugen sollen, ihn auch in den Willen Morgans eingreifen zu lassen. Aber die Vorstellung war so verlockend gewesen, und wenn er ehrlich war, war es ein unvergleichlicher Genuss gewesen, diesen tödlichen Befehl zu geben.

Torek zog die Kette über seinen Kopf und legte sie vor sich auf den Tisch. Salz und Gischt hatten das Glas des kleinen Fensters beschmutzt, sodass nur schummriges Licht hindurchfiel. Dennoch funkelte der rote Stein, als befände sich Leben in seinem Inneren. Eine Kraft ging von ihm aus, die Torek fühlte, als könnte er sie in die Hand nehmen. Ob Bairani gewusst hatte, was er ihm damit ausgehändigt hatte? Hatte er ihm bewusst die Kontrolle über die Schlüsselfigur der Vision gegeben? Schließlich wusste der Oberste Seher, wie detailliert seine Visionen waren.

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