Kitabı oku: «Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union», sayfa 11

Yazı tipi:

IV. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Integration in den Mitgliedstaaten

[115] Die Errichtung der EU und ihre Ausstattung mit eigenen Aufgaben und Befugnissen, die bis dahin von den Staaten selbst wahrgenommen worden sind, hat die staatliche Existenz der Mitgliedstaaten berührt und ihre Staatlichkeit verändert. Deshalb bedurfte die von den Mitgliedstaaten getroffene Entscheidung der Zugehörigkeit zur EU und der damit verbundene teilweise Verzicht auf ihre Souveränität einer Verfassungsgrundlage.

In einigen Mitgliedstaaten war dies kein Problem, da bereits vor der Errichtung der ersten Europäischen Gemeinschaft, der EGKS, Verfassungsbestimmungen existierten, die die Zuweisung von Befugnissen an oder die Beschränkung der staatlichen Souveränität zugunsten einer zwischenstaatlichen Einrichtung ausdrücklich erlaubten102. In den anderen Mitgliedstaaten musste hingegen eine entsprechende Verfassungsgrundlage im Hinblick auf die Mitgliedschaft in der EU erst neu geschaffen werden103.

1. Die Rechtslage in Deutschland im Einzelnen

[116] Den verfassungsrechtlichen Weg zur Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der EGKS, der EAG und der EWG ebnete Artikel 24 Abs. 1 GG, wonach der Bund „durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen“ kann.

Der Abschluss der Gründungsverträge der Gemeinschaften erfolgte – wie bei allen anderen völkerrechtlichen Verträgen – durch zustimmende Gesetze der gesetzgebenden Körperschaften, d.h. des Bundestages und des Bundesrates, nach Art. 59 Abs. 2 GG104. Diese Vertragsgesetze erfüllten neben der vom Grundsatz der Gewaltenteilung geforderten parlamentarischen Kontrolle des völkerrechtlichen Vertragsschlusses zugleich auch die Funktion des in Art. 24 GG vorgesehenen Gesetzes, durch das der Ausschließlichkeitsanspruch der Staatlichkeit für den Bereich der Aufgaben der EU aufgegeben und die deutsche Rechtsordnung gegenüber der Unionsrechtsordnung geöffnet wird.

[117] Mit den Vertragsabschlüssen und dem Erlass der Zustimmungs- oder Beitrittsgesetze war die Frage ihrer Verfassungsmäßigkeit aber noch nicht entschieden. Hintergrund dieser Frage ist die Diskussion in der Verfassungsliteratur über den Umfang der durch das Grundgesetz vorgegebenen verfassungsrechtlichen Bindungen bei der Übertragung von Hoheitsrechten. Nach einer Ansicht darf der Bund nur Hoheitsrechte auf eine internationale Organisation übertragen, wenn deren „Verfassung“ die im Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG bezeichneten Strukturprinzipien widerspiegelt und vor allem den dort niedergelegten demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen entspricht105. Die Gegenansicht wendet sich gegen eine strikte Anwendung der Art. 20 Abs. 1 und Art. 79 Abs. 3 GG und beschränkt die aus den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes folgenden Forderungen nach Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf ihren Wesensgehalt. Die Ausgestaltung dieser Grundforderungen misst sie hingegen nicht an den Verhältnissen in Deutschland, sondern berücksichtigt dabei Funktion und Wirkungsweise des neu geschaffenen Hoheitsträgers106.

Dieser Meinungsstreit blieb letztendlich im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Vertragsgesetze zu den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften rein theoretischer Natur; denn ungeachtet der Meinungsunterschiede im Einzelnen bestand durchweg Einigkeit darüber, dass die Vertragsgesetze verfassungsmäßig sind. Auch das BVerfG ist mehrfach von der innerstaatlichen Geltung des von den Unionsorganen gesetzten Rechts und damit von der Verfassungsmäßigkeit der Gründungsakte der EU ausgegangen. Gleichwohl hat das BVerfG in diesem Zusammenhang unmissverständlich klargestellt, dass Art. 24 Abs. 1 GG nicht dazu ermächtigt, „die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen, aufzugeben“ 107.

[118] Diese materielle Begrenzung der Tragweite des in Artikel 24 Abs. 1 GG niedergelegten Integrationshebels hat im Zusammenhang mit der innerstaatlichen Zustimmung zum Vertrag über die Gründung der Europäischen Union („Maastricht-Vertrag“) Zweifel darüber aufkommen lassen, ob der Maastrichter Unionsvertrag in Artikel 24 Abs. 1 GG noch eine ausreichende verfassungsrechtliche Ermächtigung finden konnte. Dabei wurde vor allen Dingen auf das durch die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion verwiesen, die Einführung einer Unionsbürgerschaft und die Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in den Bereichen der[S. 99] Justiz und der inneren Angelegenheiten erheblich angereicherte Integrationspotential in der EU, das es verbiete, die EU noch als zwischenstaatliche Einrichtung i.S.d. Artikel 24 Abs. 1 GG zu qualifizieren. Daraus ergab sich die Forderung nach einer grundlegenden Verfassungsänderung, der schließlich mit der Schaffung des neuen Art. 23 GG im Dezember 1992 nachgekommen wurde108.

Artikel 23

(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätze und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet.

Auf der Grundlage dieses neuen Artikels 23 GG haben Bundestag und Bundesrat dem Maastrichter Unionsvertrag mit überwältigender Mehrheit zugestimmt (Bundestag mit 543 von 568 abgegebenen Stimmen, Bundesrat einstimmig).

[119] Gegen diese Zustimmung wurden verschiedene Verfassungsbeschwerden beim BVerfG erhoben. Darin wurde im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Zustimmung zum Maastrichter Unionsvertrag weder durch ein einfaches noch durch ein verfassungsänderndes Gesetz habe erfolgen können, weil der Inhalt des Unionsvertrages nicht nur den staatsrechtlichen Rahmen des Artikel 23 GG, sondern auch die Grenzen einer zulässigen Verfassungsänderung nach Artikel 79 Abs. 3 GG überschreite, welche im Kern dem deutschen Volk die Bundesstaatlichkeit und das Demokratieprinzip und damit letztendlich die deutsche Staatlichkeit garantiere. Das Wesen dieser Staatlichkeit wird dabei darin gesehen, dass der Staat – trotz begrenzter Souveränitätsverluste – die Selbstbestimmung und Letztverantwortung für seine Bürger und die Gesamtheit des Staatsvolks behält. Die Eingliederung in einen supranationalen Bundesstaat würde die so verstandene Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland preisgeben. Darin liege ein unzulässiger Einbruch in die absolute Tabuzone des Artikel 79 Abs. 3 GG. Die Preisgabe der deutschen Staatlichkeit sei mithin auf der Grundlage des Grundgesetzes auch dem verfassungsändernden Gesetzgeber verwehrt. Sie unterliege ausschließlich der verfassungsgebenden Gewalt des deutschen Volkes. Da der Vertrag über die Europäische Union einen europäischen Bundesstaat errichten und somit die deutsche Staatlichkeit aufheben solle, könne er nur außerhalb des Grundgesetzes durch einen Volksentscheid gebilligt werden.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden gegen das Zustimmungsgesetz zum Unionsvertrag vom 28. Dezember 1992 als unbegründet zurückgewiesen109. Das BVerfG betont zunächst, dass die Europäische Union kein Staat und damit auch kein Bundesstaat sei, ohne allerdings selbst eine genaue Bestimmung der Rechtsnatur der Union vorzunehmen. Stattdessen werden verschiedene Begriffe gebraucht, wie zum[S. 100] Beispiel „Staatengemeinschaft“ (C.I.2.a), „mitgliedstaatlicher Verbund“ (C.II.2.d) oder schließlich auch „Staatenverbund“ (C.I.2.b). Mit der zutreffenden Feststellung fehlender Staatsqualität hatten sich bereits eine Reihe der vorgebrachten Einwände erledigt.

Als größte Klippe der Verfassungsmäßigkeit des Maastrichter Unionsvertrages blieb danach lediglich noch das Demokratieprinzip. Dieses sehen die Karlsruher Richter angesichts des Fehlens einer öffentlichen Meinung in Europa als notwendigen Unterbau des demokratischen Prozesses so lange als gewahrt an, wie die eigentliche demokratische Auseinandersetzung in den Staatsvölkern der Mitgliedstaaten der EU und in deren jeweiligen nationalen Repräsentativorganen gewährleistet ist. Dies setze – so das BVerfG – allerdings voraus, dass hinreichend bedeutsame Aufgabenfelder der Zuständigkeit der nationalen Parlamente vorbehalten werden. Die zulässige Grenze der Aufgaben- und Befugnisübertragung ist mit dem Vertrag über die Europäische Union nach Auffassung des BVerfG noch nicht überschritten, so dass dieser Vertrag vor den Augen des BVerfG unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips Bestand hat.

Gleichwohl verbindet das BVerfG mit dieser Unbedenklichkeitsbescheinigung einige Mahnungen und Warnungen, die sich sowohl an die politisch verantwortlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland als auch an die Unionsorgane richten. An die Adresse der deutschen Staatsorgane ist etwa die Mahnung gerichtet, dass eine Preisgabe der deutschen Staatlichkeit zugunsten eines europäischen Staatswesens auf der Grundlage des geltenden deutschen Verfassungsrechts nicht erfolgen kann. Den Unionsorganen wird deutlich gemacht, dass Rechtsakte, die von den übertragenen Hoheitsbefugnissen nicht oder nur über deren vertragsausdehnende Auslegung gedeckt sind, „im deutschen Hoheitsbereich nicht verbindlich“ sind und „die deutschen Staatsorgane aus verfassungsrechtlichen Gründen gehindert wären, diese Rechtsakte in Deutschland anzuwenden“110. Integrationspolitisch gesehen gibt damit das BVerfG den Takt für eine Vertiefung der Europäischen Union vor.111

[120] Anlässlich der Prüfung einer Verfassungsbeschwerde, die gegenüber dem Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon eingebracht worden war, hatte das[S. 101] BVerfG erneut Gelegenheit, seine grundsätzlichen Überlegungen zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der europäischen Integration weiter zu präzisieren112. Zunächst wiederholt das BVerfG sein „Staatsverständnis“ von der EU. Ausgangspunkt ist insoweit das vom Grundgesetz vorgeschriebene demokratische System auf Bundesebene, das dem erreichten Niveau selbständiger Herrschaftsausübung auf europäischer Ebene gegenübergestellt wird. Der Umfang der politischen Gestaltungsmacht der EU ist dabei nach Ansicht des BVerfG nicht zuletzt durch den Vertrag von Lissabon so weit angewachsen, dass inzwischen in einigen Politikbereichen die EU einem Bundesstaat entsprechend – staatsanalog – ausgestaltet ist. Demgegenüber blieben jedoch die internen Entscheidungs- und Ernennungsverfahren überwiegend völkerrechtsanalog dem Muster einer internationalen Organisation verpflichtet, was besonders darin zum Ausdruck komme, dass die EU weiterhin im Wesentlichen nach dem Grundsatz der Staatengleichheit aufgebaut sei. Dies führt das BVerfG zu der Erkenntnis, dass angesichts des Fehlens eines einheitlichen europäischen Volkes als Legitimationssubjekt, das seinen Mehrheitswillen gleichheitsgerecht politisch wirksam formulieren kann, allein die in den Mitgliedstaaten der EU verfassten Völker die maßgeblichen Träger der öffentlichen Gewalt, einschließlich der Unionsgewalt, sein können. Zu einer Änderung dieser Rechtslage bedürfe es einer europäischen Bundesstaatsgründung, die aber auch durch den Vertrag von Lissabon nicht erfolgt sei. Auch danach stelle die EU weiterhin einen völkerrechtlich begründeten Herrschaftsverband dar, der dauerhaft vom Vertragswillen souverän bleibender Staaten getragen wird. Für den Beitritt zu einem europäischen Bundesstaat wäre in Deutschland zudem eine Verfassungsneuschöpfung erforderlich, mit der ein erklärter Verzicht auf die vom Grundgesetz gesicherte souveräne Staatlichkeit einherginge113.

[121] Das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Lissabon hielt diesen Prüfungsanforderungen des BVerfG stand und wurde folglich für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Einen Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 23 Abs. 1 GG stellte das BVerfG allerdings im Hinblick auf das Begleitgesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union insoweit fest, als Bundestag und Bundesrat im Rahmen von europäischen Rechtsetzungs- und Vertragsänderungsverfahren keine hinreichenden Beteiligungsrechte eingeräumt wurden. Da die primäre Integrationsverantwortung in der Hand der für die Völker handelnden nationalen Verfassungsorgane liegt, seien bei wachsenden Kompetenzen und einer weiteren Verselbständigung der EU- Organe entsprechende Sicherungen zugunsten der nationalen Verfassungsorgane notwendig, um das Grundprinzip der begrenzten und von den Mitgliedstaaten kontrollierten Einzelermächtigung zu wahren. Diese Vorgaben sind im September 2009[S. 102] durch drei Gesetze umgesetzt worden: (1) das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union, das in seinem einzigen Artikel das „Integrationsverantwortungsgesetz“ statuiert. Im Einzelnen regelt es die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat bei Änderungen des Primärrechts, die nicht den üblichen Ratifikationsverfahren unterliegen, und bei der Anwendung von primärrechtlichen Rechtsgrundlagen, mit denen die Kompetenzen der EU ausgedehnt werden können. Zugleich wird die Beteiligung in den Fällen geregelt, in denen die Mitgliedstaaten einer Vertiefung der europäischen Integration Einhalt gebieten können. Generell gilt, dass bei Anwendung des vereinfachten Vertragsänderungsverfahren (Art. 48 Abs. 6 EUV) oder der besonderen Vertragsänderungsverfahren in den Bereichen Binnenmarkt, Wirtschafts- und Währungspolitik und Beschäftigungspolitik, der allgemeinen Brückenklausel (Art. 48 Abs. 7 EUV), den Kompetenzverteilungsklauseln (z.B. Art. 83 Abs. 1 UAbs. 3 AEUV) oder der Flexibilitätsklausel (Art. 352 AEUV) ein Gesetz im Sinne des Art. 23 Abs. 1 GG erforderlich ist. Bei Anwendung von besonderen Brückenklauseln genügt ein Beschluss des Bundestages für die Zustimmung des deutschen Vertreters im Europäischen Rat bzw. im Rat der EU, ggf. zusätzlich dazu ein Beschluss des Bundesrates, falls Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind. Auch können Bundestag und in bestimmten Fällen auch der Bundesrat den deutschen Vertreter im Rat der EU durch Beschluss anweisen, das „Notbremseverfahren“ anzuwenden, wonach ein Mitglied des Rates der EU den Europäischen Rat anrufen kann, wenn es durch den Entwurf eines Gesetzgebungsaktes grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung oder seines Systems der sozialen Sicherheit beeinträchtigt sieht. Schließlich werden die primärrechtlich garantierte Subsidiaritätsrüge und die damit im Zusammenhang stehende Klage im Integrationsverantwortungsgesetz näher ausgestaltet. (2) Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) und (3) das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG). Inhaltlich regeln EUZBBG und EUZBLG übereinstimmend die in Art. 23 Abs. 2 GG vorgesehene umfassende und frühestmögliche Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der EU durch die Bundesregierung. Ebenfalls konkretisiert wird die grundgesetzlich vorgesehene Möglichkeit der diesbezüglichen Stellungnahmen von Bundestag und Bundesrat. Die Bundesregierung hat die Stellungnahmen des Bundestages und des Bundesrates bei den Verhandlungen im Europäischen Rat oder Rat der EU zu berücksichtigen, eine Bindungswirkung besteht allerdings nicht. Aufgenommen wurde auch eine ausdrückliche Regelung über Unterrichtungspflichten zur Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.114

[S. 103]

[122] Nach In-Kraft-Treten dieser Gesetze war letztendlich auch der Weg frei für die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon durch die Bundesrepublik Deutschland.

2. Die Rechtslage in Österreich im Einzelnen

[123] Mit dem zum 1.1.1995 vollzogenen Beitritt musste Österreich das gesamte zum Beitrittszeitpunkt geltende EU-Recht („aquis communautaire“) in seine nationale Rechtsordnung übernehmen. Dies war mit einer umfassenden Übertragung von Hoheitsrechten verbunden, die mit dem bis dahin bestehenden Integrationshebel des Art. 9 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz nicht zu realisieren war, da dieser nur die Übertragung „einzelner Hoheitsrechte des Bundes“ auf zwischenstaatliche Einrichtungen zuließ. Deshalb musste eine neue Rechtsgrundlage für die Übertragung der Hoheitsbefugnisse geschaffen werden, die zudem eine Gesamtänderung der Bundesverfassung i.S.v. Art. 44 Abs. 3 Bundes-Verfassungsgesetz erforderlich machte. Zu diesem Zweck wurde ein eigenes Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur EU („EU-Beitritts-BVG“) erlassen, das in einer Volksabstimmung bestätigt wurde (mit 66,58 % Ja-Stimmen) und nach erfolgloser Anfechtung der Volksabstimmung am 9.9.1994 in Kraft treten konnte.

[124] Damit war die verfassungsrechtliche Grundlage für die Unterzeichnung und nationale Verabschiedung des EU-Beitrittsvertrages gelegt. Der Vertrag wurde am 24.6.1994 in Korfu unterzeichnet, Anfang November von Nationalrat und Bundesrat mit qualifizierter Mehrheit genehmigt und trat nach Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde bei der italienischen Regierung am 24.11.1994 zum 1.1.1995 in Kraft. Mit dem In-Kraft-Treten des Beitrittsvertrages wurde das EU-Beitritts-BVG obsolet, da es nur die verfassungsrechtliche Grundlage für die Verabschiedung des Beitrittsvertrages schaffte, nicht jedoch die notwendigen Verfassungsänderungen selbst bewirkte; letztere erfolgten durch den Beitrittsvertrag selbst.

[125] Dieser verfassungsrechtliche Ansatz macht es in Österreich erforderlich, bei allen nachfolgenden und zukünftigen Änderungen der Unionsverträge neue verfassungsrechtliche Maßnahmegesetze zu erlassen, die es Österreich ermöglichen, die unionsrechtlichen Änderungsverträge in Kraft zu setzen. So wurden eigene Verfassungsgesetze für den Abschluss der Verträge von Amsterdam, Nizza und Lissabon verabschiedet115.

[126] Im Zusammenhang mit dem EU-Beitritts-BVG wurde auch diskutiert, ob die verfassungsrechtliche Ermächtigung zum Beitritt zur EU auch Integrationsschranken enthalten sollte, die den Wesensgehalt bestimmter Grundsätze und Grundwerte der Bundesverfassung schützen. Aus rechtspolitischen Überlegungen wurde darauf zwar verzichtet, jedoch wurde klargestellt, dass zukünftige Änderungen des europäischen Primärrechts an den Grundprinzipien der Bundesverfassung zu messen sind,[S. 104] was bedeutet, dass jede Änderung der Unionsverträge neuerlich einer Volksabstimmung unterzogen werden muss, wenn die inhaltliche Prüfung der Vertragsänderung ergibt, dass eine Gesamtänderung der Grundprinzipien der Bundesverfassung vorliegt. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob und inwieweit sich aus dem Bundesverfassungsrecht Integrationsschranken in Bezug auf das nach dem Beitritt Österreichs erlassene sekundäre Unionsrecht ergeben, die ggf. – ähnlich wie in Deutschland – vom Bundesverfassungsgericht durchzusetzen wären. Eine solche Prüfungs- und Verwerfungskompetenz wird nach ganz herrschender Lehre in Österreich abgelehnt116. Der bewusste Verzicht auf Integrationsschranken durch den Verfassungsgesetzgeber gelte auch im Hinblick auf das sekundäre Unionsrecht, da er in voller Kenntnis des durch die Rechtsprechung des EuGH beanspruchten Vorrangs des EU-Rechts auch vor nationalem Verfassungsrecht und dem Auslegungs- und Verwerfungsmonopol des EuGH für EU-Rechtsakte erklärt worden ist.

[127] Eine messbare Integrationsschranke stellt auch nicht die heute immer noch in der Bundesverfassung niedergelegte „dauernde Neutralität Österreichs“ dar. Aufgrund der Beendigung des Kalten Krieges und des Ost-West-Konflikts ist diese Neutralität ohnehin auf ihren militärischen Kern reduziert117. Darüber hinaus wurde Ende 2001 durch die Bundesregierung und das Parlament eine neue „Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin (SVD)“ verabschiedet, nach der „Österreich im internationalen Vergleich nicht mehr als neutral sondern nur mehr als bündnisfrei anzusehen ist118. Auch wenn diese Doktrin den Kerngehalt der Neutralität Österreichs nach dem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität von 1955 nicht beseitigen kann (dies könnte aufgrund der klaren Festlegung der Bundesregierung in einem entsprechenden Verfassungsgesetz allenfalls nach vorheriger Volksabstimmung geschehen), zeigt sie doch sehr nachdrücklich das veränderte neutralitätspolitische Denken in Österreich.

[128] Im Zuge der Durchführung des Vertrages von Lissabon sind in der sog. „Lissabon-Begleitnovelle“119 eine Reihe von Verfassungsänderungen vorgenommen worden, mit denen vor allem die Beteiligung von Nationalrat und Bundesrat bei der Gestaltung der EU-Politiken neu geregelt wird, insbesondere im Hinblick auf die neue Rolle der nationalen Parlamente bei der Subsidiaritätskontrolle. Die wichtigsten Neuregelungen der Verfassung betreffen die Einführung eines neuen:

• Art. 23f, der die Minister verpflichtet, dem Parlament jährlich einen Bericht über das Arbeitsprogramm von Rat und Kommission zu erstatten,

• Art. 23g und h, welche die Verfahren der Subsidiaritätskontrolle durch beide Häuser des Parlaments festlegen,

[S. 105]

• Art. 23i, der für die Anwendung der „Brückenklauseln“ (Übergang von Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit) die Zustimmung Österreichs von einer 2/3 Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments verlangt.

Weiterführende Literatur: von Bogdandy/Nettesheim, Die Verschmelzung der Europäischen Gemeinschaften in der Europäischen Union, NJW 1995, S. 2324; dies, Die Europäische Union: Ein einheitlicher Verband mit eigener Rechtsordnung, EuR 1996, S. 3; Busse, Die völkerrechtliche Einordnung der Europäischen Union, 1999; Doehring, Die nationale „Identität“ der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, FS Everling, Band I 1995, S. 263; Dörr, Zur Rechtsnatur der Europäischen Union, EuR 1995, S. 334; Frowein, Die Verfassung der Europäischen Union aus der Sicht der Mitgliedstaaten, EuR 1995, S. 315; Friauf/ Scholz, Europarecht und Grundgesetz, 1990; Grimm, Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, S. 581; Häberle, Europa als werdende Verfassungsgemeinschaft, DVBl. 2000, S. 840; Hölscheidt/Baldus, EU und EG als terminologisches Problem, DVBl. 1996, S. 1409; Ipsen, Über Verfassungshomogenität in der Europäischen Gemeinschaft, in: FS für Dürig, 1990, S. 159; Kirchhof, Die Gewaltenbalance zwischen staatlichen und europäischen Organen, JZ 1998, S. 965; Kube, Die Zukunft der europäischen Union – Kooperation oder Abgrenzung?, EuZW 2013, S. 281; Lecheler, „Supranationalität“ der Europäischen Gemeinschaften – Rechtliche Beschreibung oder unverbindliche Leerformel?, JuS 1974, S. 7; Ludwigs, Der Ultra-vires-Vorbehalt des BVerfG – Judikative Kompetenzanmaßung oder legitimes Korrektiv?, NVwZ 2015, S. 537; Magiera, Die Grundgesetzänderungen von 1992 und die Europäische Union, Jura 1994, S. 1; Ress, Die Europäische Union und die neue juristische Qualität der Beziehungen zu den Europäischen Gemeinschaften, JuS 1992, S. 985; Scheuing, Zur Europäisierung des deutschen Verfassungsrechts, in Kreuzer/ Scheuing/Sieber (Hrsg.), Die Europäisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen in der Europäischen Union, 1997, S. 47; Schwarze, Das schwierige Geschäft mit Europa und seinem Recht, JZ 1998, S. 1077; Tomuschat, Das Endziel der europäischen Integration. Maastricht ad infinitum?, DVBl. 1996, S. 1073; Zuleeg, Die Verfassung der Europäischen Gemeinschaft in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, BB 1994, S. 581; ders., Wandlungen des Begriffs der Supranationalität, Integration 1988, S. 103.