Kitabı oku: «Einführung in die Psychomotorik», sayfa 4
■ die jeweiligen Initiatoren und Initiatorinnen fokussieren ihre Arbeit auf ein enges Zusammenspiel von motorischen und psychischen Vorgängen, um das Verhalten des Menschen beeinflussen zu können;
■ das jeweilige Zentrum der Bemühungen ist die Behandlung von Beeinträchtigungen, die einen ursächlichen psychomotorischen Hintergrund haben können oder deren Auswirkungen sich in psychomotorischen Veränderungen darstellen lassen;
■ allen gemeinsam ist das Bestreben, die psychomotorische Ausbildung zu akademisieren und in das gestufte europäische Ausbildungssystem von Bachelor- und Masterstudiengängen einzugliedern;
■ für die Psychomotoriker Europas kommt es zunehmend zu den gewünschten fachlichen und persönlichen Austauschprozessen bei Wahrung der kulturellen Identitäten (diversity and specifity);
■ auch die wissenschaftlichen Aktivitäten (Kongresse und Tagungen, Projekte) haben an Momentum zugenommen.
Unterschiede
Unterschiede in der Entwicklung:
■ die Begründer hatten durch ihre jeweilige Ausbildung unterschiedliche Ausgangspositionen (Entspannungstherapeutin, Beschäftigungstherapeutin, Tanztherapeutin, Sportlehrer, Mediziner), die bei ähnlichen Grundannahmen im Detail zu unterschiedlichen theoretischen und praktischen Konzepten führen mussten;
■ in der französisch beeinflussten südeuropäischen, der dänischen und holländischen Psychomotorik wird intensiver mit dem Körper und am Körper gearbeitet. Hier findet das „Symbolische“ eine stärkere Beachtung;
■ in der deutschen, schweizerischen und flämisch-belgischen Psychomotorik werden die Konstrukte Wahrnehmung und Bewegung intensiver in die Arbeit einbezogen, gleichzeitig der symbolische Anteil der Bewegungsaktivität betont;
■ in Frankreich und Dänemark sind differenzierte Modelle der Entspannung entwickelt worden;
■ im deutschsprachigen Raum ist der Aspekt des Erlebnisses, der Sensation viel stärker berücksichtigt worden.
Zukünftiges
Und welche sind die gemeinsamen neuen Herausforderungen?
Handlungsbedarf gibt es noch an einer Intensivierung der fachidentitätsbildenden Konzeptdiskussionen. Wir brauchen mehr Praxisforschung und –evaluation unseres Fachgebietes selbst (Qualitätsentwicklung): Mehr Beobachtungen, Erfahrungsberichte, Studien über Fördergruppen und deren reale Lebenskontexte in ganz Europa, mehr Forschungen über die Wirkfaktoren des psychomotorischen Methodenkanons. Dieses erfordert zwingend die Fortführung und Intensivierung der interdisziplinären und internationalen Zusammenarbeit und die Akquisition von Mitteln für Forschung und wissenschaftliche Nachwuchsförderung. Das sind neue Herausforderungen unter einer Perspektive der Psychomotorik als Wissenschaftsdisziplin in Europa.
1.7 Evaluations- und Wirksamkeitsforschung in der Psychomotorik
Qualität im Gesundheitswesen
Vor dem Hintergrund der Verknappung öffentlicher Mittel hat sich in Deutschland seit Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts eine Debatte entwickelt, die die Qualität der Arbeit im Gesundheits- und Sozialwesen in den Fokus des Interesses rückt. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff der Qualität nur selten gemäß seiner ursprünglichen Bedeutung (lateinisch qualitas für Beschaffenheit oder Eigenschaft) wertneutral verwendet, sondern eher, um die Güte einer Sache, einer Person oder deren Arbeit zum Ausdruck zu bringen. Dementsprechend versteht die Deutsche Gesellschaft für Qualität unter diesem Begriff „die Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen einer Leistung oder Tätigkeit, die sich auf deren Eignung zur Erfüllung gegebener Erfordernisse bezieht“ (zit.n. Burmeister 1996, 26). Die eigentliche Qualitätsdiskussion entwickelt sich erst mit der gesetzlichen Umorientierung der Finanzierung von Hilfeleistungen. In der Novellierung des § 93 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wird erstmals die Qualität von Leistungen erwähnt und stellt die Leistungserbringer vor neue Herausforderungen. „Zum einen sollen Qualitätsmerkmale im Rahmen der Leistungsvereinbarungen verbindlich festgelegt werden, zum anderen soll die Qualität der erbrachten Leistung überprüft werden können“ (Frühauf 1997, 10; Pothman/Trede 2014; Welsche 2018b).
Qualitätssicherung
Mit der Neufassung des BSHG und des KJHG (Kinder- und Jugendhilfegesetz) liegen heute Rechtsgrundlagen vor, die der Qualitätsdebatte einen verbindlichen Rahmen geben und sozialen wie pädagogischen Einrichtungen den Auftrag auferlegen, die jeweiligen Leistungen (Angebote, Konzepte etc.) auszuweisen und deren Effekte zu evaluieren.
Was ist in diesem Rahmen unter Evaluation zu verstehen? Unter Evaluation ist ein auf empirischen Methoden beruhendes Verfahren der Bewertung von Interventionen zu verstehen, das bereits in den 1970er-Jahren unter der Bezeichnung „wissenschaftliche Begleitung“ in die soziale und pädagogische Arbeit eingeführt wurde (Beywl 1996).Die empirische Grundlage einer Evaluation baut in der Regel auf einer guten Dokumentation auf. Beispielsweise kann durch Dokumentation des Entwicklungsstandes (oder anderer Aspekte) von Kindern und Jugendlichen zu verschiedenen Zeitpunkten eines Förder-/Therapieprozesses der Erfolg dieser Maßnahmen überprüft werden. Evaluation kann sowohl als Fremdevaluation, das heißt durch unabhängige Spezialisten (ohne Beteiligung der Personen, die mit der zu evaluierenden Intervention befasst sind) oder auch als Selbstevaluation (durch die beteiligten Partner) erfolgen. In der Praxis sind jedoch Mischformen aus beiden Ansätzen am häufigsten anzutreffen (Heiner 1996; Arnold 2006; 2017; Knab/Klein 2017).
SPES
Die Frage nach der Wirksamkeit einer Interventionsform trifft auch die Psychomotorik. Sie wird nicht nur durch das allgemeine Kosten-Nutzen-Interesse (Effizienz) gespeist, sondern ist so alt wie der generelle Anspruch eines Ansatzes auf Anerkennung im Spektrum wissenschaftlich fundierter Förder- und Therapiemethoden (vgl. Knab/Klein 2006, 167). Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung hat sich im Jahre 2003 eine Arbeitsgruppe – bestehend aus Vertretern aus Wissenschaft und Praxis – gegründet, die sich dem Feld der Verfahrensentwicklung psychomotorikspezifischer Qualität widmet. Das Ergebnis ist das System psychomotorischer Effekte-Sicherung (SPES) zur Evaluation und Qualitätsentwicklung psychomotorischer Förder- und Therapiemaßnahmen für Kinder und Jugendliche. Die speziell zu diesem Zweck entwickelten Fragebögen können dabei in verschiedenen Arbeitsfeldern (motopädische Praxen, klinisch-therapeutische Institutionen, Fördervereine, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, Förderschulen etc.) zur Einzelfalldokumentation von Kindern und Jugendlichen mit Förderbedarf eingesetzt werden. Was leistet das Verfahren?SPES ermöglicht den teilnehmenden Institutionen den Aufbau eines einheitlich strukturierten Dokumentationssystems zur Erfassung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität (Donabedian 1982). Darüber hinaus ergeben sich durch den Vergleich der eigenen Evaluationsergebnisse mit denen anderer Teilnehmer grundlegende Erkenntnisse über die Qualität der eigenen Angebote und Leistungen. Die SPES-Daten dienen somit einer wissenschaftlich fundierten Evaluation und Qualitätsentwicklung des eigenen Förder- bzw. Therapiekonzepts.
Vor allem aber bietet SPES die Gelegenheit, auf der Basis einer gemeinsamen Sprache die psychomotorische Arbeit zu bewerten und zu reflektieren. Da in allen Einrichtungen nach dem gleichen Verfahren erhoben wird, kann die einzelne Einrichtung ihre persönlichen Daten in Beziehung zu den Daten aller anderen teilnehmenden Einrichtungen setzen, ohne dabei ihre Daten öffentlich zu machen. Durch Einzel-, Gruppen-, Einrichtungs-, Regional- und Bundesauswertungen werden konkrete Vergleiche ermöglicht, die zu Verbesserungen der psychomotorischen Praxis und zur Erkennung von Einsparungspotenzialen beim ökonomischen Mitteleinsatz führen können.
Ein weiteres zentrales Anliegen von SPES ist es, mit Hilfe spezifischer Kennwerte Effekte der Förderung bzw. Therapie sichtbar zu machen, wodurch fundierte Hinweise auf den Wirkungsgrad psychomotorischer Angebote gegeben werden. Typische Fragestellungen in diesem Kontext sind etwa:
■ Welche inhaltlichen Angebote wirken besonders positiv?
■ Bei welcher Ausgangslage sind große bzw. nur geringe Erfolge zu erwarten?
■ Gibt es „sensible Phasen“ im Verlauf einer Intervention, in denen
besonders effektiv gearbeitet werden kann?
■ Wie wichtig ist eine gute Beziehung zwischen Psychomotoriker und
Kind?
■ Welche Rolle spielen die Eltern?
■ Hat Psychomotorik nur Auswirkungen auf die motorische Entwicklung oder sind auch andere Effekte nachweisbar? (Arnold 2006).
Vertiefte Informationen zur Wirksamkeitsforschung in der Psychomotorik sollen am Ende dieses Bandes diskutiert werden.
Übungsaufgaben zu Kapitel 1
1. Vergegenwärtigen Sie sich zunächst Ihren persönlichen Zugang zum Thema Bewegung und zur Körperlichkeit. Welche Erfahrungen habe ich selbst im Laufe meines Lebens mit Bewegung und auch mit sportlichen Aktivitäten gemacht?
2. Was bedeutet Psychomotorik?
3. Auf welchen historischen Quellen beruht der ursprüngliche Ansatz der Psychomotorischen Übungsbehandlung? Hat „Üben“ heute noch eine Bedeutung?
4. Was ist der Unterschied zwischen Motopädie und Motologie?
5. Skizzieren Sie die Lernfelder Körpererfahrung, Materialerfahrung und Sozialerfahrung.
6. Wodurch unterscheiden sich Motopädagogik und Mototherapie? Halten Sie diese Begriffe noch für zeitgemäß?
7. Versuchen Sie die vier Perspektiven oder Ansätze der Psychomotorik in ihren wesentlichen Aspekten voneinander abzugrenzen.
8. Suchen Sie Beispiele für eine praktische Arbeit/Förderung, die dem Verständnis der einzelnen Ansätze angemessen ist. Kann man nur nach einem bestimmten Ansatz arbeiten oder fördern?
9. Welche Hintergründe führten zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik und Motologie?
10. Wann wurde das Europäische Forum für Psychomotorik gegründet und welche Aufgaben stellt sich dieses internationale Gremium?
11. Skizzieren Sie die inhaltlichen Schwerpunkte der psychomotorischen Arbeit in verschiedenen europäischen Ländern.
12. Beschreiben Sie die Eckpunkte der Evaluations- und Wirksamkeitsforschung in der Psychomotorik. Warum soll Wirksamkeit der eigenen Arbeit nachgewiesen werden?
2 Schlüsselbegriffe der Psychomotorik und deren Bezugstheorien
2.1 Bewegung und Wahrnehmung als Grundkategorien
Um sich dem Phänomen menschlicher Bewegung zu nähern, unterscheiden wir die Alternativen analytisch-naturwissenschaftlicher sowie phänomenologisch-geisteswissenschaftlicher Interpretationen (vgl.Grössing 1993, 82). Während die erste Möglichkeit der Betrachtung die Bewegung als Ortsveränderung eines Körpers oder einzelner Teile im Verhältnis zur Zeit definiert und in erster Linie die damit zusammenhängenden motorischen Bedingungen erforscht, erklärt die phänomenologische Sichtweise die ganzheitlichen Bewegungshandlungen im Sinnzusammenhang des Lebens des Menschen. Bei dieser Betrachtungsweise wird den Erlebnisdimensionen der Bewegung, ihrer Ausdruckskraft und ihrem dynamischen Verlauf eine größere Bedeutung beigemessen als der physikalischen Raum-Zeit-Korrelation (vgl. Grupe 1992, 82).
In der klassischen phänomenologischen Diskussion der Begriffe Leib und Körper wird vom Doppelcharakter „Leib sein“ und „Körper haben“ ausgegangen, was begrifflich auf die Besonderheit der deutschen Sprache und inhaltlich auf die Zweiteilung von (denkendem)Geist und (geistlosem) Körper der Philosophie Descartes' zurückzuführen ist. Der Begriff Leib wird immer dann gewählt, wenn das Subjekt als erlebender Akteur des Geschehens beschrieben werden soll. Leib ist also die „Verankerung des Subjekts in der Welt“ (Merleau-Ponty 1966; zit. nach Prohl 2010, 226), während Körper als „objektiver“ Gegenstand der Betrachtungen gilt.
Die Bewegung als sinngeleitete Handlung des Menschen gilt als Medium der Überwindung der Trennung von Körper und Geist (Hölter 2011b, 20f.). In der Bewegungshandlung verschmelzen das bewusst handelnde, entscheidende und (vorreflexiv) erlebende Subjekt und seine dingliche und soziale Welt, wofür Trebels (1992) im Rückgriff auf Buytendijk (1956) und Tamboer (1979) die Metapher „Bewegungsdialog“ einführt (Dietrich 2003, 13; zit. nach Fischer 2008b, 94). Er beschreibt in seinem dialogischen Bewegungskonzept eine Position, die dem kindlichen Bewegungshandeln als Mensch-Welt-Beziehung die Ebenen der kommunikativen Bedeutungserschließung und der Erschließung der Sachlogik der Objektwelt zuschreibt (vgl. Fischer 2008b; 2013a; Krus 2015b; Schneider et al. 2015). Hier liegt die gemeinsame Basis für ein Bewegungskonzept von Sportpädagogik/Bewegungspädagogik und Psychomotorik, das letztlich auf den erkenntnistheoretischen Ansatz Piagets (1975) einerseits und die medizinische Anthropologie v. Weizsäckers (1993) zurückgeht (Philippi-Eisenburger 1991a; Scherler 1975; Tamboer 1979; Zimmer 1981a). Im Prozess des Sich-Bewegens tritt der Mensch in einen Dialog mit sich selbst, mit anderen Menschen und seiner materialen Umwelt und bringt dadurch Bedeutungen hervor. Rekursiv führen diese wiederum zu weiteren, „neuen“ Bewegungsdialogen zwischen Mensch und Welt. In dieser Tradition wird Bewegung im psychomotorischen Fachdiskurs als Handlung im Dialog verstanden und zu einem wichtigen Medium fachlichen Handelns.
In seinem anthropologisch motivierten Zugang beschreibt Grupe (1976; 1992) vier Bedeutungsdimensionen der Bewegungstätigkeit von Kindern: die instrumentelle, die explorative, die soziale und die personale Bedeutung der Bewegung. Zimmer (2006a) erweitert die Klassifikation später um die impressive, expressive, komparative und adaptive auf acht Funktionen.
Bedeutungsdimensionen der Bewegung
Dieser Beitrag orientiert sich am Klassifikationsschema des Forschungsprojektes „BiK – Bewegung in der frühen Kindheit“ (Fischer et al. 2016a; Fischer 2016b), das die folgenden fünf – vor allem für Bildungs- und Entwicklungsprozesse im frühen Kindesalter relevanten – Dimensionen herausarbeitete. Dabei erfolgt die dimensionale Trennung aus analytischen Gründen; in der Praxis können sich verschiedene Funktionen durchaus überlagern und ergänzen (vgl. Fischer 2013a, Fischer et al. 2016b, 240f.).
a) Die impressive und expressive Bedeutung der Bewegungshandlung Bewegungsaktivität vermittelt Erfahrungen über alle Sinne. Insofern sind ganzheitliche Körpererfahrungen sehr stark emotionale, vorreflexive Prozesse, die die Empfindungsfähigkeit des Kindes berühren. Komplementär sind Bewegungshandlungen immer Chance und Möglichkeit, Gefühle und persönliche Themen über Körper und Bewegung auszudrücken und auszuleben.
b) Die explorative Bedeutung der Bewegungshandlung
Eine Kernbedeutung der Bewegungsaktivität liegt darin, Wahrnehmungserfahrungen des Kindes zu ermöglichen. Über Bewegungstätigkeit kann das Kind gezielt seinem Entdeckersinn folgen und auf Erfahrungsgewinn ausgerichtet sein. Es erfährt, sich im Bewegungsspiel zu verlieren, mit der Aufgabe eins zu sein und individuelle Lösungswege für (selbst gestellte) Aufgaben zu finden. Dieses Aufgehen im Tun ist gleichermaßen Grundlage für die Entwicklung von Kreativität und Fantasie wie für ausdauerndes Üben.
c) Die personale/psychisch-emotionale und kognitive Bedeutung der Bewegungshandlung Die personale Bedeutung der Bewegung bezieht sich im Wesentlichen auf den Bereich der Erfahrung des Selbst, indem das Kind in seiner Bewegung die eigene Person erlebt. Es erfährt Entscheidungsfreiheiten (Autonomie), aber auch Grenzen und ggf. Einschränkungen. So wird deutlich, dass Bewegung weit mehr als Fortbewegung (Bewegung im Raum) darstellt; sie dient dem Kind als elementares Medium seiner Erkenntnisgewinnung und personalen Selbstgestaltung. Entsprechend stehen kognitive und emotionale Aspekte der Körpererfahrung im Vordergrund. Über grundlegende Bewegungstätigkeiten des Schaukelns, Rutschens, Balancierens, Rollens und Kletterns etc. erwirbt das Kind eine Vorstellung von Schwung,Gleichgewicht, Schwerkraft oder Reibung und gewinnt damit einen intuitiven Einblick in physikalische Zusammenhänge seiner Handlungswelt. Vielfältige Bewegungserfahrungen generieren eine variabel verfügbare Handlungskompetenz; diese ist Grundlage für die Entstehung von Planungskompetenz als bedeutsamer Kulturtechnik.Bewegungsaktivitäten sind aber auch untrennbar mit psychischen Zuständen wie Neugier und Spannung, Aufregung, Anstrengung oder auch Enttäuschung verbunden, sodass das Kind über Gefühlsverarbeitung seine personalen Kompetenzen moduliert und seine Persönlichkeit entwickelt.
d) Die sozial-kommunikative Bedeutung der Bewegungshandlung
Bewegung dient dem Kind nicht nur als Medium der sozialen Erfahrung, sie stellt auch die Basis für soziale Beziehungen dar. Spielhandlungen erfordern Abstimmungen über Rollen und Partnerschaften und sie machen Aushandlungen von Kooperationen und Regeln notwendig. Damit ist die körperliche Aktivität ein wichtiges Instrumentarium für das soziale Beziehungsrepertoire, muss jedoch immer auf kulturelle und soziale Werte bezogen und in diesen sozialen Bedeutungsmustern spezifisch erlernt werden. Bewegungssituationen in der Gruppe sind ein ideales Kommunikations- und Lernfeld; hierin liegt deren besondere pädagogische Bedeutung. Das Kind lernt, sich mit anderen zu vergleichen und selbst einzuschätzen. Im Aushandlungsprozess entwickeln sich Vorstellungen über individuelle Leistungsfähigkeiten; sie sind aber auch Basis für sozial gestaltete Unterstützungsprozesse und die Genese von Hilfsbereitschaft.
e) Die instrumentelle und produktive Bedeutung der Bewegungshandlung Eine wesentliche Bedeutung der Bewegung ist die instrumentelle. Bewegung dient dem Menschen im Alltag, im Sport, bei der Arbeit, im sozialen Umfeld sowohl instrumentell als auch funktional. Sie übernimmt Werkzeugcharakter (etwas greifen, erreichen, festhalten)und überzeugt durch Funktionalität (Treppen steigen, Radfahren,Balancieren, Tanzen). Die Verbesserung von Fähigkeiten und Fertigkeiten setzt auch die Bereitschaft zum Üben und Vertiefen und den Spielraum für schöpferisches Handeln und Gestalten voraus.
Bewegungshandlung
In ihren Anfängen legt die psychomotorische Theorielegung ihren Handlungsbezug nicht eindeutig genug aus. Es wird sowohl Bezug auf die Gestaltkreistheorie v. Weizsäckers genommen und damit ein subjekt-orientiertes ganzheitliches Menschenbild angenommen als auch Bezüge zur bewegungswissenschaftlichen Handlungsregulationsforschung unter Berücksichtigung des sensomotorischen Regelkreismodells hergestellt (für eine Übersicht s. Philippi-Eisenburger 1991a und Vetter 2003).Eine solche Sichtweise läuft Gefahr, menschliches Handeln ausschließlich als Regelkreis zwischen sensorischem Input und motorischem Output zu verstehen und zu sehr auf eine neurophysiologische Basis zu verkürzen. Derartige Handlungsmodelle verfolgen das Ziel, ein Bewegungsgeschehen zu beschreiben, zu erklären, Verlaufsprozesse zu antizipieren und Erfolge zu beeinflussen. Auf der Strecke bleibt das handelnde Subjekt, die Frage nach der Bedeutungsebene und den Sinngebungen der Bewegungshandlung. In neuerer Zeit wird eher die Frage thematisiert, welche Bedeutung das Handeln für die Entwicklung des Menschen hat und wie sich Handlungskompetenz selbst entwickelt.Gegenwärtig laufen verschiedene Strömungen zusammen: Das in Bewegung handelnde Subjekt wird zum Forschungsgegenstand für verschiedene Disziplinen (Krist 2006; Engel et al. 2013; Prinz 2014a; b).
2.1.1 Entwicklung durch Handeln
Entwicklungshandeln
Für die Psychomotorik bedeutsam ist ein Konzept, das Lerner (1988) als kontextualistischen Zugang in der Handlungsdiskussion bezeichnet. Kontextualismus bezieht sich auf die Wechselwirkungen des handelnden Subjekts mit seinen personalen sowie dinglichen Umweltbedingungen. Die Perspektive ist insofern interessant, als sie dem Individuum – dem handelnden Subjekt – die Rolle des Produzenten der eigenen Entwicklung zuschreibt. Diese aktive Einflussnahme auf die Gestaltung der eigenen Entwicklung ist inzwischen als eine übergeordnete Kategorie anerkannt und wird auch als aktionale Entwicklungsperspektive (also als Perspektive der Entwicklung durch Handeln) bezeichnet. In der Entwicklungspsychologie hat diese Sichtweise eine allgemeine Akzeptanz gefunden (Brandtstädter/Greve 2006). Danach ist intentionales Handeln zugleich „Produkt und Bedingung von Entwicklung über die Lebensspanne“ (Brandtstätter/Greve 2006, 444). Entwicklung erfolgt als kognitiv-reflexive Vermittlung in einem selbstreferenziellen Prozess zwischen Handlungsintention und Wirkung auf die eigene Person oder auch das Selbst (s. auch Daum/Aschersleben 2014). Für das Menschenbild bedeutet dieses: Die Person ist nicht passives Produkt ihrer Umwelt, sondern nimmt aktiv Einfluss auf deren Veränderung, wird allerdings auch durch Umwelteinflüsse verändert. Die Akteursperspektive ist ein starkes Zeugnis für Selbstaktualisierung und Selbstkompetenz in der Ontogenese.
Handlung statt Behandlung
So ist es verständlich, dass der Paradigmenwechsel die Praxis erreicht hat. Stand etwa in der Frühförderung entwicklungsbeeinträchtigter oder behinderter Kinder lange das Behandlungskonzept im Vordergrund, so gewinnt das Handlungskonzept die Oberhand: Die Eigenaktivität wird zum „Motor der Entwicklung des Kindes“ (Schlack 2000, 32). In der Entwicklungsforschung hat dieses Prinzip der Eigenaktivität unwidersprochene Akzeptanz gefunden. „Entwicklung erfolgt wesentlich über die Eigenaktivität des Kindes in der Interaktion mit Personen und Gegenständen“ (Ohrt 2006, 146).
Einigkeit besteht heute auch darin, Person-Kontext-Interaktionen als lebenslangen Prozess zu begreifen. Eine eben solche Übereinstimmung existiert in der Einschätzung, den frühen Lebensabschnitten eine besondere Bedeutung für die Ausbildung der Grundstrukturen oder basalen Kompetenzen menschlicher Persongenese beizumessen. Dazu zählen sensorische (z. B. Sehen), motorische (z.B. körperliche Aktivität), interaktive (z.B. Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, Kontaktbereitschaft), intellektuelle (z.B. mehrdimensionale Wissensaneignung, kognitives Verstehen) und affektive (z. B. Bindungsfähigkeit,Empathie, emotionales Verstehen) Qualifikationen. Entscheidend ist aber, dass diese Entwicklungsbereiche sich nicht isoliert, sondern im Handeln konstituieren, das somit eine intrapersonale Vernetzung von Persönlichkeitsdimensionen ermöglicht.
2.1.2 Wahrnehmung: Von der Sinnestätigkeit zur Erkundungsaktivität
Sinnestraining
Die andere wesentliche Kategorie des psychomotorischen Theoriekonzeptes, die Wahrnehmung, ist eng mit der Kategorie der Bewegung verbunden: Bewegung und Wahrnehmung werden als Einheit verstanden (v. Weizsäcker 1947). Leider hat die Förderpraxis entwicklungsbeeinträchtigter Kinder diese untrennbare Einheit nicht immer realisiert. In der Vergangenheit wurden Wahrnehmungsprogramme in der Annahme entwickelt, über ein gezieltes Sinnestraining die Wahrnehmungsfähigkeit des Kindes zu fördern und somit „Grundfunktionen kindlicher Persönlichkeit zu entwickeln“ (Kiphard 1979; Ohlmeier 1979; Ayres 1998). Wahrnehmung ist jedoch nicht die Verarbeitung visueller, akustischer, taktiler, vestibulärer, propriozeptiver, olfaktorischer und gustatorischer Reize. Und Wahrnehmungsförderung ist schon gar nicht die additive Förderung (Stimulation) der genannten Sinnesfunktionen. Die Kritik an dieser Praxis betrifft das Menschenbild, das den Menschen auf seine funktionierenden Nervenzellen und Synapsen reduziert und die intentionale Seite des Menschen mit seinen Ängsten, Hoffnungen und Wünschen nur peripher berücksichtigt. Aus diesem Grund ist der Anspruch auf Ganzheitlichkeit in Frage zu stellen.
Die Hauptkritik betrifft den Wahrnehmungsbegriff des Ansatzes.Die beschriebene Praxis ist sowohl aus wahrnehmungs-psychologischer wie auch aus handlungstheoretischer Sicht zu kritisieren. Vor allem seitens der ökologisch orientierten Wahrnehmungspsychologie wird schlüssig nachgewiesen, dass Wahrnehmung nicht ein Abbild funktionierender Sinnestüchtigkeit ist, die sich quasi automatisch aus einem gezielten Sinnestraining ergibt. Wahrnehmung ist – bezogen auf den Prozess der kindlichen Entwicklung – von Anfang an eine komplexe, intermodale Leistung des Subjekts (der Person) auf der Basis bedeutungsgebundener Bewegungshandlungen.
Eleanor Gibson
Für eine veränderte Fundierung des Wahrnehmungsbegriffes in der Psychomotorik ist das Theorieverständnis Eleanor Gibsons grundlegend (Gibson 1992; 2000; Fischer 2001c; Osterwälder 2004; Schwarzer/Degé 2014). Entscheidend ist die ökologische Ausrichtung des Wahrnehmungsprozesses, d.h. Wahrnehmung als Phänomen ist ohne seine Einbettung in Umweltbezüge gar kein Untersuchungsgegenstand.Umweltbezüge herstellen und Umwelt verändern kann der Mensch nur über seine Handlung. Folglich ist Wahrnehmung immer auf die Erfassung handlungsrelevanter Informationen ausgerichtet. Für Gibson ist Wahrnehmung ein Prozess der Differenzierung eines aktiv handelnden Kindes und niemals das Resultat eines Anreicherungsprozesses von Informationen (Pick 1992). Damit setzt sie sich von anderen Ansätzen ihrer Zeit ab, die Wahrnehmung als Abbildungsprozess im (klassischen) psychophysischen Sinne konzipieren. Ihre Theorie hat einen hohen Aussagewert für die gesamte Entwicklung des Kindes, stellt sie doch
„stärker als die meisten anderen Wahrnehmungstheorien das natürliche Verhalten in einer spezifischen Umgebung heraus. Der Mensch muß Objekte, räumliche Anordnungen und zeitliche Ereignisse wahrnehmen, um sich an die Welt anpassen zu können – um sich darin zu bewegen, Dinge zu finden, zu spielen und sogar, um darin zu überleben. Bei diesen Reizen handelt es sich um komplexe relationale Einheiten und nicht einfach um visuelle oder akustische Reize“ (Miller 1993, 322).
Wahrnehmung der Umwelt
Durch den Wahrnehmungsakt tritt das Individuum in Beziehung zu seiner Umwelt, es entdeckt, was die Umwelt anzubieten hat, was wiederum eine erhöhte Aufmerksamkeitszentrierung zur Folge hat. Wahrnehmungen sind nicht Selbstzweck, sondern erhalten Sinn und Bedeutung durch die Ausrichtung auf Handlungsziele, die uns die eigenen Erkundungsaktivitäten ins Blickfeld rücken. Auf die Wahrnehmung bezogen fordert das Konzept nun, dass die Umwelt einem Individuum jede Art von Angeboten (im Original: affordances) macht:
„Ein Angebot ist eine Leistung, die eine bestimmte Umwelt einem Organismus gewährt oder zur Verfügung stellt; es handelt sich um Gelegenheiten zum Handeln. Die Umwelt des Menschen bietet ihm stabile Oberflächen, Gegenstände, die er ergreifen kann, Wege, auf denen er sich bewegen kann und Barrieren, die ihn daran hindern. Mensch und Umwelt bilden also ein Ganzes, in dem die Aktivitäten des Menschen und die Angebote der Umwelt ineinandergreifen“ (Miller 1993, 322).
Vom Kind aus betrachtet sind diese Angebote Handlungsmöglichkeiten, die es im Wahrnehmungsprozess erkennen lassen, was es mit dem Objekt tun kann: „Ein Stuhl bietet uns an, darauf zu sitzen, eine Tür bietet uns an hindurchzugehen, ein Mensch bietet uns an, sozialen Kontakt herzustellen“ (Kaufmann-Hayoz 1989, 415; Kaufmann-Hayoz/van Leeuwen 2003; Siegler et al. 2016b, 179ff.). Die Qualität der Wahrnehmungsfähigkeit hängt also von der Variationsbreite der Erkundungsaktivität ab. Entsprechend wichtig sind die Prozesse der Wahrnehmungsentwicklung und des Wahrnehmungslernens.
2.1.3 Wahrnehmungsentwicklung und Wahrnehmungslernen
In ihrem Konzept geht Gibson von der Frage aus, was sich entwickelt bzw. was gelernt wird, und bezieht die Frage auf das (frühe) Kindesalter.
„Säuglinge lernen, Information zu entdecken, die für Fortbewegung, Greifen und Handhabung von Objekten sowie für grundlegende Kommunikationsfertigkeiten relevant ist [...]. Sie lernen, daß das Selbst von anderen Objekten getrennt ist und daß die planmäßigen Anordnungen und die dauerhaften Eigenschaften der Umwelt konstant bleiben. Wenn wir im Laufe unserer Entwicklung durch Wahrnehmen erkunden, können wir die Wahrnehmungsstruktur unserer Umwelt, einschließlich ihrer Angebote, entdecken und lernen, wie sich dieses Wissen gezielt anwenden läßt“ (Miller 1993, 332).
Meilensteine der Wahrnehmungsentwicklung
Es ist dies eine Charakterisierung des Forschungsgegenstandes, der sowohl von der inhaltlichen Ausrichtung als auch vom zugrunde liegenden Menschenbild sehr stark an Piaget erinnert. Allerdings steht nicht die Genese der Intelligenz des Kindes, sondern dessen Wahrnehmungsentwicklung im Zentrum des Interesses, die Gibson interessanterweise als Erkundungsaktivität (exploratory activity) bezeichnet.Diese unterliegt einer eigendynamischen, aber für die Persönlichkeitsentwicklung des Individuums sehr bedeutsamen Veränderung. Die Meilensteine dieser Entwicklung will ich exemplarisch für das erste Lebensjahr verdeutlichen.
■ Die ersten Lebensmonate (Phase I) stehen unter dem vordringlichen Lebensthema der interpersonalen Beziehungsgestaltung. Die Aktivitäten des Säuglings (z. B. Schauen und Zuhören) sind von Anfang an koordiniert und auf Interaktion ausgerichtet. Auch die Tätigkeiten, Gesten und die Sprache der Mutter sind synchronisiert (face-to-face interaction); eine gelungene „Absprache“ führt zu wechselseitiger Responsivität. Es ist dies eine Grundeigenschaft, die aus der gelungenen interaktiven Passung entsteht, ihrerseits die Basis für die dynamische Herausbildung der eigenen Identität und weiteren Öffnung (Aufmerksamkeitsausrichtung) zur Welt bildet. Der Lernbezug zur materialen Umwelt ist zwangsläufig sekundär, weil das manipulative Explorationsvermögen des Säuglings anfangs noch relativ gering ist.
■ Dieses ändert sich in der zweiten Phase (4.–7. Monat). Erkundungsaktivität durch Handeln wird zum beherrschenden Element der Lebensgestaltung. Alles Gegenständliche ist jetzt motivierend: Die Sinne sind darauf gerichtet, durch Tasten, Lutschen, Anschauen,Zusammendrücken, Fallenlassen, Wegwerfen, Nachhorchen (den Aufschlag erwartend) die Objekteigenschaften des Spielgegenstandes zu erkunden und zu einem multimodalen Eindruck zu verschmelzen. In diesem Sinne geht die Taktilität über Spüren und Fühlen hinaus und wird zum Außenfühler und Werkzeug des Erfahrungsprozesses.