Kitabı oku: «Strafrecht Allgemeiner Teil», sayfa 12
|82|b) Gegenwärtigkeit des Angriffs
226Ein Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, bereits stattfindet oder noch fortdauert.[240] Von einem unmittelbaren Bevorstehen des Angriffs ist auszugehen, wenn dieser unmittelbar zu einer Verletzung rechtlich geschützter Interessen führen kann. Dies ist bspw. der Fall, wenn A in seine Brusttasche greift, in der sich eine geladene Pistole befindet, um auf O zu schießen. Zwar stellte der Griff nach der Pistole noch keinen Totschlagsversuch dar; erst das Ziehen der Pistole könnte als unmittelbares Ansetzen i.S.d. § 22 StGB angesehen werden. Jedoch muss eine Rechtsverletzung auf Seiten des Angegriffenen noch nicht eingetreten sein; es genügt, dass das Verhalten des Angreifers unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben der Abwehrhandlung deren Erfolg gefährdet würde.[241] Von einem Fortdauern eines Angriffs ist solange auszugehen, wie die Beeinträchtigung eines bestimmten Rechtsguts noch abgewendet werden kann. Daher kann gegen einen Dieb, der mit seiner Beute flieht, regelmäßig noch Notwehr ausgeübt werden. Ist der Angriff auf das Rechtsgut beendet, ist er demgegenüber nicht mehr gegenwärtig.[242] Hat ein Dieb seine Beute in das vorgesehene Versteck verbracht und den Gewahrsam an den einzelnen Gegenständen endgültig gesichert, darf gegen ihn daher keine Notwehr mehr ausgeübt werden.
227Präventivmaßnahmen in „notwehrähnlicher Lage“, die der Verteidigung gegen einen noch nicht gegenwärtigen Angriff dienen, sind nach ganz h.M. nicht nach § 32 StGB, sondern allenfalls nach § 34 StGB gerechtfertigt.[243] Hiervon zu unterscheiden ist die sog. antizipierte Notwehr.[244] Bei dieser werden selbständig wirkende Vorrichtungen errichtet, die erst im Fall eines tatsächlichen Angriffs zum Einsatz kommen. Hierunter fällt bspw. die Errichtung einer Selbstschussanlage zum Schutz eines Grundstücks oder eines Hauses. Da die entsprechenden Vorrichtungen erst in dem Moment als Verteidigungshandlung wirken, in denen es tatsächlich zu einem gegenwärtigen Angriff kommt (Eindringen auf das Grundstück bzw. Einbrechen in das Haus), kann bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Rechtfertigung wegen Notwehr in Betracht kommen.[245]
228Kein gegenwärtiger Angriff i.S.v. § 32 StGB liegt im Fall der Dauergefahr vor, bei der ein bestimmter Zustand jederzeit in eine Rechtsgutsverletzung |83|umschlagen kann.[246] Relevant wird dies regelmäßig in den sog. Familientyrannen-Fällen[247], in denen ein Familienvater seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder über mehrere Monate hinweg körperlich misshandelt und demütigt, bis er eines Nachts von seiner Ehefrau im Schlaf getötet wird.[248] Selbst wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Vater am nächsten Tag mit den Misshandlungen fortgefahren hätte, liegt im Zeitpunkt seiner Tötung kein gegenwärtiger Angriff vor. Da dieser voraussetzt, dass eine Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen zumindest unmittelbar bevorsteht, ist eine Notwehrlage immer nur in den Augenblicken gegeben, in denen der Vater die anderen Familienmitglieder tatsächlich körperlich misshandelt bzw. hierzu ansetzt.
c) Rechtswidrigkeit des Angriffs
229Trotz Vorliegens eines gegenwärtigen Angriffs ist eine Notwehrlage i.S.v. § 32 StGB nicht gegeben, wenn der Angriff nicht rechtswidrig erfolgt. Ein Angriff ist unstreitig dann nicht rechtswidrig, wenn er seinerseits gerechtfertigt ist, wenn sich also der Angreifer bspw. auf ein Notwehr- oder Festnahmerecht (§ 127 StPO) berufen kann.[249] In der Klausur kann an dieser Stelle eine ausführliche Inzidentprüfung erforderlich sein, wenn nicht eindeutig ist, ob der Angreifer seinerseits gerechtfertigt ist.
230Wann ein Angriff ansonsten rechtswidrig ist, wird unterschiedlich beantwortet. Nach Teilen der Rechtsprechung und Literatur soll dazu schon genügen, dass der Angegriffene den Angriff nicht dulden muss.[250] Für die Bejahung der Rechtswidrigkeit reicht es hiernach aus, dass ein bestimmtes Verhalten einen von der Rechtsordnung objektiv missbilligten Erfolg zu verursachen droht.[251] Konsequenz dieser Auffassung ist, dass bspw. gegen einen sich an sämtliche Verkehrsvorschriften haltenden Fahrzeugführer Notwehr ausgeübt werden darf, wenn er ein auf die Straße gelaufenes Kind zu überfahren droht.[252] Angesichts der Eingriffsintensität des Notwehrrechts wird man aber mit der in der Literatur vorherrschenden Auffassung fordern müssen, dass der Angreifer zumindest objektiv sorgfaltswidrig handelt. Ein bloß drohender Erfolgsunwert (im Gegensatz zu bei zumindest fahrlässigem Handeln drohendem Handlungsunwert) stellt zwar eine Gefahr i.S.d. § 34 StGB (Notstand), nicht jedoch einen im Widerspruch zur Rechtsordnung stehenden Angriff dar.
|84|d) Leitentscheidungen
231BGHSt 5, 245, 247; Aufgedrängte Nothilfe: Der Täter zertritt während einer Vorführung des Films „Die Sünderin“ mehrere Stinkbomben in einem Kino, um den Abbruch der Vorstellung zu provozieren. – Sein Verhalten ist nicht als Notwehr in Form der Nothilfe gerechtfertigt. Gegen eine durch die Filmvorführung möglicherweise begründete Störung der öffentlichen Ordnung steht dem Bürger das Recht der Nothilfe regelmäßig nicht zu. Unabhängig davon, ob die Vorführung Rechte der Kinobesucher beeinträchtigt, ist der Täter ferner auch nicht zu deren Verteidigung befugt, da die Kinobesucher freiwillig über ihre Rechte verfügt haben und eine Nothilfe nicht aufgedrängt werden darf. Darüber hinaus muss die Verteidigung von dem Willen getragen sein, den Angriff abzuwehren, dem Täter geht es jedoch darum, gegen den Inhalt des Films zu protestieren.
232BGHSt 48, 255; Fehlende Gegenwärtigkeit bei „Dauergefahr“ (vgl. hierzu schon Rn. 228): Die Ehefrau setzt sich gegen ihren regelmäßig sehr gewalttätigen und aggressiven Ehemann zur Wehr, indem sie ihn erschießt, während er schläft. – Trotz der latenten Dauergefahr, die von den gewalttätigen Übergriffen durch ihren Mann ausgeht, sieht sich die Ehefrau keines gegenwärtigen Angriffs ausgesetzt. Ein solcher ist vielmehr frühestens dann anzunehmen, wenn eine Rechtsgutbeeinträchtigung unmittelbar bevorsteht, der Mann also dazu ansetzt, Gewalttätigkeiten auszuüben. Mangels Vorliegen einer Notwehrlage kommt daher eine Rechtfertigung nach § 32 Abs. 1 StGB nicht in Betracht (während aber ein entschuldigender Notstand nach § 35 StGB nahe liegt).
2. Notwehrhandlung
233Liegt eine Notwehrlage in Form eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs vor, so gestattet § 32 Abs. 2 StGB die Vornahme derjenigen Verteidigung, die zu seiner Abwehr erforderlich ist. Hieraus folgt, dass eine zulässige Notwehrhandlung im Wesentlichen zwei Voraussetzungen erfüllen muss. Da sie der Abwehr des Angriffs dienen muss, darf sie sich zunächst nur gegen den Angreifer selbst und nicht gegen unbeteiligte Dritte richten. Daneben muss sie erforderlich sein, um den Angriff abzuwehren. Dies bedeutet, dass der Angegriffene eine Verteidigung vornehmen muss, die überhaupt geeignet ist, den Angriff zu beenden und dass er von mehreren gleichermaßen geeigneten Verteidigungshandlungen diejenige wählen muss, die bei dem Opfer den geringsten Rechtsgutseingriff bewirkt (das relativ mildeste Mittel).
a) Verteidigung gegenüber dem Angreifer
234Eine Verteidigung ist begrifflich nur gegenüber dem Angreifer möglich. Daher sind Eingriffe in die Rechtsgüter Dritter zur Abwehr des Angriffs (sog. Drittwirkung der Notwehr) nicht nach § 32 StGB durch Notwehr zu rechtfertigen.[253] Bsp.: A schlägt mit dem Wanderstock des O auf B ein. B zerstört |85|bei der Abwehr des Angriffs den Stock des O. O ist kein Angreifer, Notwehr scheidet daher zur Rechtfertigung der tatbestandsmäßigen Sachbeschädigung durch B aus. B ist allerdings nach Notstandsregeln, insbes. §§ 228, 904BGB, gerechtfertigt (siehe Bsp. unter Rn. 301).
b) Erforderlichkeit der Verteidigung
235Erforderlich ist ein Verteidigungsmittel, das zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und das relativ mildeste Mittel darstellt.[254] Dies bedingt eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist festzustellen, ob der sich Verteidigende eine Handlung vorgenommen hat, die eine Beendigung des Angriffs und eine dauerhafte Beseitigung der Gefahr gewährleistet.[255] Anschließend ist der Frage nachzugehen, ob der Angegriffene von mehreren gleichermaßen geeigneten Verteidigungsmitteln dasjenige ergriffen hat, das beim Täter den geringsten Rechtsgutseingriff bewirkt.
236Der Schwerpunkt der Prüfung liegt in der Regel auf der Feststellung, ob der Täter das relativ mildeste Mittel ergriffen hat. Hier ist zu untersuchen, ob sich der Angegriffene auf ein anderes Verteidigungsmittel hätte beschränken können, welches mit der gleichen Wahrscheinlichkeit den Angriff abgewehrt, hierbei aber beim Angreifer geringeren Schaden verursacht hätte. Entsprechend dem Rechtsbewährungsprinzip stellt die Flucht grundsätzlich kein Verteidigungsmittel dar und ist daher auch nicht bei der Prüfung der Erforderlichkeit zu berücksichtigen („Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen.“).[256] Wird der Angegriffene mit einer Waffe bedroht, darf er den Angreifer daher in der Regel auch dann bewusstlos schlagen, wenn er infolge seiner körperlichen Verfassung in der Lage wäre, den Konflikt dadurch zu beenden, dass er wegläuft.[257] Auch im Übrigen findet bei § 32 StGB grundsätzlich keine Abwägung zwischen beeinträchtigtem und geschütztem Rechtsgut im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Auch die Tötung eines Diebes ist erforderlich zur Wiedererlangung der entwendeten Beute, wenn kein anderes, gleich geeignetes Mittel zur Verfügung steht, um das Entkommen des Diebes zu verhindern (vgl. aber noch zu etwaigen Einschränkungen auf der Ebene der Gebotenheit Rn. 243ff. und 247).
237Der Einsatz eines lebensgefährlichen Verteidigungsmittels, insbesondere einer Schusswaffe, ist nach überwiegender Auffassung und insbesondere nach |86|Ansicht des BGH[258] nur abgestuft zulässig: „In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass der lebensgefährliche Einsatz einer Schusswaffe nur das letzte Mittel der Verteidigung sein kann. Grundsätzlich muss der Verteidiger – wenn eine bloß verbale Androhung von vornherein aussichtslos erscheint – vor dem tödlichen Schuss einen weniger gefährlichen Waffeneinsatz wie etwa einen ungezielten Warnschuss versuchen.“[259] Hieraus folgt aber nicht, dass der sich Verteidigende stets zunächst mit seiner Waffe drohen bzw. Warnschüsse abgeben muss. Soweit im konkreten Fall nur der sofortige und ggf. tödlich wirkende Schuss erfolgsversprechend erscheint, ist auch dieser nach § 32 StGB gerechtfertigt.[260] Hiervon ist in der Regel auszugehen, wenn der Angreifer selbst im Besitz einer Schusswaffe und ein geübterer Schütze als der sich Verteidigende ist.
Tab. 7:
238Stufen beim Einsatz lebensgefährlicher Verteidigungsmittel
1. Stufe: | (wenn möglich) Androhung des Gebrauchs und/oder Warnschuss. |
2. Stufe: | (wenn möglich) nur Verletzung, nicht Tötung. |
3. Stufe: | (soweit nicht anders möglich) tödlich wirkender Schuss. |
239Steht fest, dass der Angegriffene eine erforderliche Verteidigungshandlung vorgenommen hat, sind grundsätzlich sämtliche Verletzungen des Angreifers gerechtfertigt, die auf diese zurückzuführen sind. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn sich der Angegriffene bei Vornahme der Verteidigungshandlung fahrlässig verhält und hierdurch einen gesetzlichen Tatbestand erfüllt. Stellt bspw. im konkreten Fall nur die Abgabe eines Warnschusses die erforderliche Verteidigung dar und setzt der Angegriffene die Waffe derart ungeschickt ein, dass er den Angreifer (unvorsätzlich) tödlich verletzt, so ist die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt.[261]
240Ergibt die Prüfung der Notwehrhandlung, dass diese keine erforderliche Verteidigung darstellt, ist der Täter zwar nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt, jedoch kann er bei Vorliegen der in § 33 StGB benannten Voraussetzungen entschuldigt und damit gleichwohl straflos sein (zu den Voraussetzungen von § 33 StGB noch Rn. 404).
|87|c) Leitentscheidungen
241BGHSt 27, 313, 314; Zulässige Verteidigung bei Nothilfe: Ein Mann beobachtet, wie drei Personen seinen Chef gewaltsam auf die Motorhaube eines PKWs zwingen und auf ihn einschlagen. Der Mann ergreift seine Pistole und schlägt zweimal mit dem Pistolenknauf auf einen der Angreifer. Beim zweiten Schlag löst sich ein Schuss, der den Angreifer schwer an der Schläfe verletzt. – Der BGH hob die vom LG ausgesprochene Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung auf. Der Schlag mit dem Knauf sei als Nothilfe gemäß § 32 Abs. 1 StGB gerechtfertigt. Eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit bzgl. des Schusses könne daher nicht an den Schlag als solchen, sondern allenfalls daran geknüpft werden, dass der Nothelfer das Risiko eines Schusses hätte mindern können und dies in vorwerfbarer Weise nicht getan hat. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
242BGHSt 27, 336, 338; Zulässige Verteidigung bei Notwehr: Ein Schuldner teilt dem Gläubiger mit, dass er ein Darlehen nicht fristgerecht zurückzahlen kann. Hierauf ergreift der Gläubiger den Schuldner und schlägt diesem so heftig in den Nacken, dass er mit der Stirn auf das Dach eines PKWs stößt. Dem Schuldner gelingt es, ein Messer zu ergreifen und dem Gläubiger mehrere tödlich wirkende Stiche zu versetzen. – Der Schuldner ist nach § 32 Abs. 1 StGB gerechtfertigt, da ihm in der konkreten Situation keine anderen Verteidigungsmittel zur Verfügung standen, die gleich geeignet waren, um den Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit zu beenden. Die nicht fristgerechte Rückzahlung steht der Gebotenheit der Notwehrhandlung nicht entgegen.
3. Sozialethische Einschränkungen des Notwehrrechts („Gebotenheit“)
243Ausnahmsweise ist dem Angegriffenen die Ausübung des Notwehrrechts auch bei Erforderlichkeit der Verteidigung gänzlich versagt oder nur eingeschränkt erlaubt. Hintergrund ist der Gedanke, dass die uneingeschränkte Ausübung des Notwehrrechts in bestimmten Fällen rechtsmissbräuchlich sein kann. Als Anknüpfungspunkt für die Prüfung sozialethischer Einschränkungen des Notwehrrechts wird gemeinhin das gesetzliche Merkmal des Gebotenseins genannt.[262]
244Dass die Versagung der Rechtfertigung nach § 32 StGB trotz an sich erforderlicher Verteidigung in bestimmten Konstellationen nahezu unbestritten anerkannt wird, ist letztlich auf die Schärfe des Notwehrrechts zurückzuführen, welche sich insbesondere in der fehlenden Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Erforderlichkeit niederschlägt.[263] Der Grundsatz „Das Recht muss dem Unrecht nicht weichen“ lässt sich in seiner Absolutheit nicht durchhalten. |88|Diskutiert bzw. angenommen wird eine Beschränkung des Notwehrrechts insbesondere in den in Tab. 8 zusammengefassten Fallgruppen:
Tab. 8:
245Sozialethische Einschränkungen des Notwehrrechts
Fallgruppe | Einschränkung | |
1. | Bagatellangriffe und unerträgliche Unverhältnismäßigkeit | kein Notwehrrecht: Angriff muss geduldet werden |
2. | Angriffe von erkennbar Schuldunfähigen | Notwehrrecht beschränkt: dem Angriff muss nach Möglichkeit ausgewichen werden; Schutzwehr statt Trutzwehr |
3. | Angriffe in sozialen Näheverhältnissen (nur bei Gefahr leichter Körperverletzungen) | Notwehrrecht beschränkt: dem Angriff muss nach Möglichkeit ausgewichen werden; Schutzwehr statt Trutzwehr |
4. | Absichts- und Vorsatzprovokation | kein Notwehrrecht |
5. | unvorsätzlich schuldhafte Notwehrprovokation | Notwehrrecht besteht abgestuft: 1. Stufe: Ausweichen oder Herbeirufen Hilfe Dritter 2. Stufe: Beschränkung auf Schutzwehr 3. Stufe: Trutzwehr |
a) Bagatellangriffe und unerträgliche Unverhältnismäßigkeit
246Bei offensichtlich bagatellhaften Angriffen ebenso wie bei einem unerträglichen Missverhältnis zwischen dem angegriffenen und dem durch die Notwehrhandlung verletzten Rechtsgut ist das Notwehrrecht nach § 32 StGB auf Null reduziert.[264] In diesen eng begrenzten Ausnahmefällen muss der Angriff geduldet werden, weil sich der Rückgriff auf das Notwehrrecht als Rechtsmissbrauch darstellen würde. Selbst wenn dem Eigentümer einer Gaststätte keine andere Möglichkeit zur Verfügung steht, als auf zwei seiner Gäste zu schießen, um zu verhindern, dass diese zwei Biergläser im Wert von wenigen Cent entwenden, sind die Schüsse daher nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt.[265]
247Da bei der Notwehr die Proportionalität an sich keine Rolle spielt und grundsätzlich der Angreifer die Konsequenzen seines Angriffs zu tragen hat, ist zu beachten, dass eine Versagung des Notwehrrechts nur bei eindeutigen Bagatellangriffen bzw. krasser Unverhältnismäßigkeit zulässig ist. Von einem Bagatellangriff ist regelmäßig auszugehen, wenn es um Verhaltensweisen ohne nachhaltige Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen geht; bspw. Vordrängeln|89| an der Kasse eines Supermarktes oder beim Einsteigen in öffentliche Verkehrsmittel.[266] Wann ein krasses Missverhältnis zwischen dem angegriffenen und dem durch die Notwehrhandlung verletzten Rechtsgut vorliegt, ist demgegenüber häufig schwer zu bestimmen und wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet.[267] Weitgehende Einigkeit besteht gegenwärtig allein darüber, dass der Einsatz lebensbedrohlicher Waffengewalt zur Verhinderung eines Diebstahls von Obst[268] oder anderer Gegenstände mit vergleichbar niedrigem Wert regelmäßig nicht geboten ist. Eine Entscheidung des LG München, wonach die Tötung eines Diebes unverhältnismäßig ist, wenn dies allein dazu dient, den Diebstahl eines Autoradios zu unterbinden, hat in der Literatur demgegenüber teilweise Kritik hervorgerufen.[269] Letztlich dürfte es in entsprechenden Konstellationen auf eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ankommen, wobei auf der einen Seite zu beachten ist, dass das auf dem Rechtsbewährungsprinzip beruhende Notwehrrecht eine Berücksichtigung der Güterproportionalität an sich nicht kennt, dass dies aber auf der anderen Seite nicht zu einem rechtsmissbräuchlichen Erhalt eigener Rechtsgüter „um jeden Preis“ führen darf. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom LG München vorgenommene Einschätzung, wonach die Tötung eines Diebes zum Erhalt des Besitzes an einem Autoradio regelmäßig nicht geboten ist, zustimmungswürdig, da sie der Höchstrangigkeit des Rechtsgutes „Leben“ angemessen Rechnung trägt.
b) Angriffe von erkennbar Schuldunfähigen, insbesondere Kindern
248Wird der Angriff von erkennbar Schuldunfähigen, insbesondere Kindern, Geisteskranken, Betrunkenen und Irrenden begangen, ist das dem Notwehrrecht (auch) zugrunde liegende Rechtsbewährungsprinzip kaum beeinträchtigt, so dass die Verteidigung so schonend wie möglich auszuüben ist. Soweit er hierzu die Möglichkeit hat, muss der Angegriffene vor dem Angriff zurück- oder ausweichen. Ist dies nicht möglich, hat er fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen bzw. die Verteidigung auf ein Mindestmaß (Schutzwehr) zu beschränken. Aktive Verteidigung in Form der Trutzwehr ist nur als letztes Mittel und unter größtmöglicher Schonung des Angreifers zulässig.[270]