Kitabı oku: «... und hinter uns die Heimat», sayfa 7
Die Flugzeuge warfen sogenannte »Christbäume« über der Stadt ab, die den nachfolgenden Bomberverbänden die Ziele ausleuchteten. Stabbrandbomben fielen auf die Stadt, fraßen sich durch Stahl und Beton und hinterließen keine Überlebenden. Wer ungeschoren geblieben war, der erstickte in den Kellerräumen, weil die Brandbomben den Kellern den Sauerstoff entzogen.
Der Luftschutzwart ließ die Stahltüren verriegeln, Nachzügler hatten nun keine Chance mehr, in den Bunker zu gelangen. Elfriede Knieschitz hatte sich ängstlich bei ihrer Tochter untergehakt und zitterte.
Obwohl sie bisher alle Fliegerangriffe unbeschadet überstanden hatte, konnte sie diese Angst nicht ablegen, doch so wie ihr, ging es wohl den meisten Menschen im Bunker. Unruhig schaute sie von ihrem Platz aus in den nächsten Raum und war froh, als sie ihren Mann entdeckt hatte.
Die Detonationen übertrugen sich auf die meterdicken Bunkermauern und die Kinder begannen zu weinen. Frauen hielten sich die Ohren zu und verbargen die Gesichter ihrer Kinder unter ihren Jacken oder Mänteln.
Die Männer vermuteten die Einschläge in den Stadtbezirken Deutz oder Kalk und alle hofften, dass die Bomber ihre todbringende Last nicht über Nippes oder Ehrenfeld abwarfen.
Das Bunkerlicht flackerte beängstigend und erlosch schließlich ganz.
Der Luftschutzwart betätigte eine batteriebetriebene Lampe, die jedoch nur spärliches Licht in das Dunkel brachte und deren Schein die hinteren Räume des Bunkers gar nicht erreichte. Einige Frauen beteten leise vor sich hin, Kinder weinten laut, da sie sich in der Dunkelheit fürchteten.
Der Luftschutzwart befahl, die Kerzen anzuzünden, die sich, ebenso wie die Zündhölzer auf kleinen Regalen oder in Nischen in den Bunkerräumen befanden, um auszuschließen, dass das geruchlose und todbringende Kohlenmonoxid in die Räume eindrang.
Dann nämlich erloschen die Kerzen. Deshalb musste auch die Belüftung funktionieren.
Immer wieder war das Heulen und Krachen der Bomben zu hören, das den Menschen im Luftschutzbunker das Blut in den Adern gefrieren ließ. Inzwischen hatte der Luftschutzwart mit wenigen Handgriffen in einem kleinen Nebenraum den Generator gestartet.
Endlich gab es wieder Licht in den Bunkerräumen und das Weinen der Kinder brach allmählich ab.
Unablässig kreuzten die Lichtkegel der Scheinwerfer am Himmel über Köln, um feindliche Flugzeuge einzufangen, die dann von den Fliegerabwehrkanonen mit einem ungeheuren Aufwand an Munition beschossen wurden. Lautes Heulen und die darauf folgende Detonation am Boden verrieten, wenn der Fliegerabwehr ein Abschuss gelungen war. An jenem Abend kehrten zwei britische Maschinen nicht mehr zu ihrem Standort zurück.
Diesmal ertönten bereits nach dreißig Minuten die Sirenen, die den Menschen die Entwarnung signalisierten.
Wieder einmal waren die Bewohner Kölns in den Bunkern der Stadt mit dem Leben davon gekommen.
Der Luftschutzwart öffnete die Stahltüren und die Menschen gingen schweren Schrittes die Treppen hinauf auf die Straße. Unsicher schauten sie die Straße entlang, um eventuelle Schäden auszumachen, aber an jenem Abend war ihr Stadtteil verschont geblieben und die Bewohner der umliegenden Straßen strebten ihren Häusern zu.
Auch Familie Knieschitz ging nach Hause. Es wurde kaum gesprochen. Nach so einem Fliegerangriff gab es keine Worte, um die Minuten in Angst zu beschreiben, jeder verarbeitete das Erlebte noch einmal in Gedanken.
Paul Knieschitz hatte beide Frauen untergehakt und drückte sie fest an sich. Er war kein Mann der großen Worte, doch ihm war klar, dass ihr Familienzusammenhalt das Fundament dessen war, was seiner Familie all das Leid des Krieges ertragen ließ. Und mit dieser Geste ließ er es seiner Frau und seiner Tochter spüren.
Den Jahreswechsel 1942/43 verbrachte Familie Knieschitz wieder gemeinsam mit Tante Ida und Onkel Herbert.
In den vergangenen Tagen war es in Köln ruhig geblieben und die Menschen begingen den Jahreswechsel mit verhaltenem Optimismus. Irgendwann würde es der deutschen Wehrmacht gelingen, den Feind zu vernichten, hofften sie.
Doch bereits am Sonntag, dem dritten Januar, trieben die Sirenen die Menschen Kölns um achtzehn Uhr wieder einmal in die Luftschutzbunker.
Um neunzehn Uhr waren die Angriffe überstanden, doch bereits um neunzehn Uhr fünfundvierzig ertönten die Sirenen erneut und versetzten die Menschen für fünfzehn Minuten in Angst und Schrecken, doch auch diese Fliegerangriffe hatten die Häuser und die Bewohner der Rothehausstraße schadlos überstanden.
Am Abend beriet sich die Familie Knieschitz über diese ungewisse Situation und kam schweren Herzens zu dem Ergebnis, dass Katharina so schnell wie möglich wieder nach Ostpreußen zurückreisen soll, obwohl sie eigentlich bis zum Donnerstag bleiben wollte.
Bereits am nächsten Abend erfolgte der nächste schwere Bombenangriff.
Als die Familie danach wieder in ihrer Wohnung war, packte Katharina niedergeschlagen ihre Koffer. Sie wusste zwar, dass Köln zu verlassen, die einzig richtige Entscheidung war, doch sie verließ auch zugleich ihre Eltern und wusste nicht, ob sie sie gesund wiedersehen würde.
Der Abschied am nächsten Morgen war gepaart mit guten Ratschlägen und Niedergeschlagenheit. Diesmal hatte sogar Paul Knieschitz Tränen in den Augen, als er seine Tochter zum Abschied in die Arme nahm.
Und auch diesmal machte Katharina Station bei Mutter Kleinschmidt, die sich sehr über den Besuch des jungen Mädchens freute, doch bereits einen Tag später saß sie im Zug nach Königsberg.
ZURÜCK IN DER NEUEN HEIMAT
Vor dem Bahnhof in Loditten stand ein dunkler Borgwart, dessen Fahrer offensichtlich auf seinen Fahrgast wartete.
Als Katharina mit ihren Koffern am Fahrzeug vorüberging, öffnete der Fahrer die Tür und sprach die junge Frau an.
Es war der Bürgermeister, der seinen Neffen erwartete und Katharina anbot, sie nach Loditten mitzunehmen.
Erfreut nahm die Lehrerin das Angebot an.
Noch als sie ihre Koffer im Gepäckraum des Wagens verstaute, trat ein junger Leutnant an den Wagen, der so gar nicht die Figur seines Onkels besaß, der war nämlich eher klein und untersetzt, der Leutnant dagegen groß und sportlich. Nachdem er Katharina und seinen Onkel begrüßt hatte, nahm er, wie selbstverständlich, auf dem Rücksitz Platz und bot der jungen Frau den Beifahrersitz an. Seinen Koffer legte er im Fond neben sich.
Während der wenigen Minuten war der Leutnant ein sehr amüsanter Erzähler, der Katharina sogar anbot, sie nach Königsberg in das Kino auszuführen. Lachend lehnte sie das Angebot ab, bedankte sich jedoch beim Bürgermeister, als er sie direkt vor dem Haus ihrer Wirtin absetzte.
Als sie das Haus betrat, hörte sie Stimmen. Da fiel ihr wieder ein, dass Marie Schimkus ja Besuch von ihrem jüngsten Sohn erwartet hatte. Offensichtlich war dessen Urlaub noch nicht zu Ende.
Obwohl sie sich bei ihrer Freundin wie zu Hause fühlte, klopfte sie an der Küchentür an. Als sie eintrat, war sie erstaunt, denn Georg hatte mit seinem Bruder wenig Ähnlichkeit. Er hatte zwar die gleichen blauen Augen, doch sein Haar war semmelblond und irgendwie sah er wie ein großer Junge aus, der nicht erwachsen werden wollte. Auch seine Sprechweise ließ eher auf einen Luftikus schließen, als auf einen Piloten der deutschen Luftwaffe, doch er machte auf die junge Frau einen sympathischen Eindruck.
Zwei Tage blieb Georg noch, dann war sein Urlaub vorbei, und wer weiß, wann er seinen nächsten Urlaub bekommen würde. Die Situation hatte sich in Südeuropa und Nordafrika dramatisch zugespitzt und die zweite Abteilung des Kampfgeschwaders 54 war an die Ostfront abkommandiert worden.
Inzwischen hatte Georg seine Kampffliegerausbildung beendet, war zum Unteroffizier befördert worden und flog nun eine einmotorige Ju 87 D. Er war mit seinen Kameraden auf einem Flugplatz im Süden Italiens, in Foggia stationiert.
Der Januar 1943 brachte grimmige Kälte bis unter minus zwanzig Grad Celsius und Unmengen von Schnee. Der Wind blies eisig unablässig aus Nordost und an sternenübersäten Abenden sah der Himmel wie blankgeputzt aus. Um den Mond hatte sich eine helle Scheibe gelegt, und Eiskristalle glitzerten wie kleine Diamanten an den Ästen der Bäume.
Die Flüsse und Bäche waren zugefroren und auf den Häusern lag der Schnee, als wären es Hauben aus Zuckerwatte.
Die Natur war starr vor Kälte und auch den Tieren und den Menschen machten die Temperaturen zu schaffen.
Die Alleen waren tief verschneit, und es war fast unmöglich mit dem Auto nach Loditten oder in die Kreisstadt Heiligenbeil zu gelangen. Die Bauern hatten inzwischen ihre Pferdeschlitten angespannt.
Immer mehr Schüler blieben bei dieser Kälte zu Hause, wer sollte es ihnen verdenken. Der Kachelofen des riesigen Klassenzimmers war überfordert und schaffte es nicht, die Temperatur im Raum über acht Grad Celsius zu bringen. Katharina verbrauchte Unmengen von Holz und entschloss sich eines Tages, auch den verbliebenen Schülern ein paar freie Tage außer der Reihe zu gewähren. Sie erteilte ihnen Schulaufgaben, die die Kinder zu Hause selbstständig erledigen sollten. Nach einer Woche müssten sich alle Schüler wieder in der Schule einfinden, ob es mit dem Unterricht in der Schule weitergehen konnte, wollte die Lehrerin dann entscheiden.
Inzwischen konnte Katharina die Zeit nutzen, um defekte Schulmaterialien auszubessern oder neuen Lernstoff vorzubereiten. Außerdem wollte sie ihren Eltern und Freunden ausführliche Briefe schreiben, das war in den letzten Tagen leider zu kurz gekommen.
Jeden Morgen und jeden Abend ging Katharina in die Schule, um den Ofen in ihrem Klassenraum anzuheizen, damit der Raum nicht völlig auskühlte.
Bauer Roschkat brachte das Holz mit seinem Schlitten und freute sich jedes Mal, über den heißen Tee bei der jungen Lehrerin, die das Getränk stets mit einem Bärenfang verfeinerte. Mit leuchtetenden Augen schlürfte der Bauer dann genüsslich Schluck für Schluck.
Immer wenn Katharina von der Schule nach Hause kam, schaute sie als erstes in den Briefkasten nach Post.
Sie machte sich große Sorgen um ihre Eltern, denn aus dem Radio kamen keine guten Nachrichten. Das Ruhrgebiet war ständig Ziel von Bombenangriffen und in Essen, Dortmund und Gelsenkirchen sollte es verheerend aussehen. Doch auch Köln wurde fast täglich bombardiert.
Als im Februar die Bombenangriffe ein nicht zu begreifendes Ausmaß angenommen hatten, bat Katharina ihre Eltern in einem Brief inständig, Köln zu verlassen und entweder zu ihr nach Loditten zu kommen oder auf das Land zu Verwandte zu ziehen. Es könne doch nur eine Frage der Zeit sein, bis auch Köln-Ehrenfeld dem Erdboden gleich gemacht würde.
Für die junge Lehrerin war es schwer, sich auf die Schule zu konzentrieren, weil sie sich sehr um ihre Eltern und um Wolfgang sorgte. Da kam es ihr sehr gelegen, als Marie sie fragte, ob sie nicht Lust hätte, sich dem Frauenchor anzuschließen, der einmal pro Woche im Pfarrhaus übte.
Jeden Donnerstag um neunzehn Uhr trafen sich dort die Frauen des Landfrauenvereins der umliegenden Dörfer, um das deutsche Liedgut zu pflegen. Zunächst probten sie unter der Leitung des Kantors ihrer Kirche, doch seit der zur Wehrmacht eingezogen war, hatte der Chor keinen Leiter mehr. Herr Graudenz hatte die Chormitglieder zwar ab und zu auf der Orgel begleitet, doch er lehnte es stets ab, die Leitung für den Klangkörper zu übernehmen. Deshalb stand der Chor vor der Entscheidung, sich dem Kirchenspiel Zinten anzuschließen, oder auf eigene Faust weiter zu machen.
Die Frauen entschieden sich für die zweite Alternative, doch sie mussten einsehen, dass ihnen tatsächlich ein Chorleiter fehlte.
Da Katharina in der Schule unter anderem Musik unterrichtete, wären die Chormitglieder durchaus einverstanden, wenn sie die Chorleitung übernehmen würde, zumal sie ja sogar Klavier spielen konnte. Zwar besaß die Dorfkirche kein Klavier, dafür aber eine Orgel, und Marie war der Meinung, dass sich die Lehrerin schnell in die Spielweise einfinden würde.
Außerdem wäre es für Katharina selbst von Vorteil, wenn sie neben ihrer eigentlichen Arbeit eine gesellschaftliche Tätigkeit ausüben würde, die sich der Pflege des deutschen Liedgutes widmete. So bliebe sie vielleicht vor dem Drängen des Kreisleiters unbehelligt, der ihr mehrfach ans Herz gelegt hatte, sich als Gruppenleiterin beim BDM einzubringen.
Zunächst hatte die junge Frau Bedenken, doch Marie überzeugte sie schließlich mit ihrem Argument.
Bereits am nächsten Donnerstag begleitete Katharina ihre Freundin zur ersten Chorprobe.
Ende Februar kam endlich ein ausführlicher Brief von Wolfgang, nachdem er zuvor immer nur kurze Nachrichten geschrieben hatte. Zu Katharinas und natürlich auch zur Freude von Wolfgangs Mutter teilte er mit, dass er im März Urlaub bekommen würde. Zwei Wochen, die er selbst so sehr herbeisehnte.
Katharina war vor Freude außer sich. Beim Lesen des Briefes hatte sie wieder gemerkt, wie sehr sie Wolfgang eigentlich liebte, und das, obwohl sie nur so wenig Zeit hatten, sich näher kennenzulernen. Doch vielleicht liegt es am Wesen des Krieges, dass die Liebe die Menschen schneller erreichte, als in Friedenszeiten, weil man mehr auf das Herz hörte, als auf den Verstand.
Nun zählte Katharina jeden einzelnen Tag, bis Wolfgang endlich auf Urlaub kommen würde, doch einen genauen Termin hatte er nicht nennen können.
Inzwischen hatte sich der Frühling eingestellt. Zunächst verschwand der Schnee von den Äckern und Wiesen, von den Hausdächern rutschten mit Getöse Schneelawinen herab, Bäche und Seen tauten auf, und in den tiefen Wagenspuren der unbefestigten Verbindungswege zwischen den Dörfern bildeten sich kleine Flüsse, die von den Kindern zu einem Kanalnetz ausgebaut wurden, indem sie mit Stöcken kleine Rinnen kratzten. Die Kanäle sammelten sich wiederum in einer riesigen Pfütze, die das gesammelte Wasser nicht mehr fassen konnte und als breiter Strom bergab lief.
Da wurde manches Kind zum Staudammbauer, damit das Wasser nicht über die Ränder schwappte, oder zum Flößer, denn in die kleinen Kanäle hatten die Kinder Stöckchen gelegt, die sich munter fortbewegten. Das war interessant, verzögerte den Schulweg jedoch erheblich und machte gar einen pünktlichen Schulbesuch unmöglich.
Die Lehrerin sah es ihnen nach, denn gerade die Schüler aus den Vorwerken waren im Winter die pünktlichsten ihrer Klasse. Wenn es zu Fuß nicht mehr durch den hohen Schnee ging, dann hatte einer der Bauern einen Wagen oder gar den riesigen Pferdeschlitten angespannt, die ganze Bande aufgeladen und zur Schule gebracht.
Jetzt, im aufkommenden Frühling war dafür keine Zeit mehr, die Bauern bereiteten alles für die Feldarbeit vor.
Als an einem Freitag, Ende März, der Unterricht beendet war, erwartete Katharina eine Überraschung. Wie jeden Freitag räumte sie nach dem Unterricht den Lehrertisch auf, gab den Topfpflanzen Wasser, und verließ erst dann das Schulgebäude. Als sie die Schultür abschloss, hielt ihr plötzlich jemand von hinten die Augen zu. Zuerst war die junge Frau erschrocken, doch sofort hatte sie einen Verdacht und jubelte: »Wolfgang! Ich habe so auf dich gewartet!«
Erstaunt, dass sie ihn so schnell erkannt hatte, drehte er Katharina zu sich herum und gab ihr einen Kuss zur Begrüßung. Sie schaute über seinen Rücken hinweg die Dorfstraße entlang und sagte gespielt vorwurfsvoll: »Man küsst eine Lehrerin nicht einfach so auf der Straße. Was sollen denn die Leute und vor allem meine Schüler von mir denken?« Doch ihre Augen leuchteten vor Freude und sie zog ihn an der Hand vom Schultor fort und lief mit ihm nach Hause.
Ganze zwei Wochen konnte sie nun mit Wolfgang verbringen und ihr Herz machte ein paar freudige Hüpfer. Auch Marie war froh, ihren »Großen« für eine gewisse Zeit bei sich zu haben, doch beim Abschied hoffte sie stets, ihre beiden Söhne gesund wiederzusehen.
Obwohl Wolfgang seine Mutter ermunterte, sich ihm und Katharina anzuschließen, wenn sie nach Königsberg ins Kino fuhren, oder mit den Rädern nach Zinten oder an den Arnsteiner See, lehnte sie diese Angebote stets lächelnd ab.
»Ich war ja auch einmal jung und ich war damals froh, wenn ich mit deinem Vater allein sein konnte. Nutzt beide die Zeit, wer weiß, wann du das nächste Mal nach Hause kommen kannst. Außerdem hat sich Katharina so auf dich gefreut und ich freue mich, wenn es dir gut geht, mein Junge. Viel zu selten kommst du nach Hause.«
Zärtlich streichelte Marie ihrem Sohn über die Wange, da nahm er seine Mutter in die Arme und sagte: »Du bist die beste Mutter der Welt.« In diesen Worten lag all seine Liebe.
Am Samstagmorgen stiegen Katharina und Wolfgang auf die Räder und fuhren durch die erwachende Natur.
Die Vögel hatten sich inzwischen wieder ihre gewohnte Umgebung erobert und jubelten in den Zweigen der Bäume über die wärmende Sonne. Und auch die Menschen waren froh, dass der lange Winter vorüber war. Am Wegesrand blühten violette Märzveilchen und im klaren Wasser des Baches spiegelten sich die gelben Blüten der Sumpfdotterblumen, die den Grabenrand bevölkerten.
Vom Weg aus bot sich den Radlern ein grandioses Bild.
Ein weißer Blütenteppich aus Buschwindröschen bedeckte große Flächen des Waldes und als sie am See ankamen, blühten dort unter den Laubbäumen unzählige Leberblümchen. Der Frühling zeigte sich in seiner schönsten Form und Farbe und die Sonne wärmte nicht nur die Körper, sondern auch die Seelen.
Wolfgang hatte seinen Arm um Katharinas Schulter gelegt und genoss mit ihr den Augenblick. Sie schaute ihn lächelnd an und ihre Münder fanden sich zu einem langen zärtlichen Kuss, ehe sie wieder auf ihre Räder stiegen und ihren Weg fortsetzten.
An der tausendjährigen Eiche, einem Baum, den sechs Männer nicht umfassen konnten, machten sie Rast und verzehrten die mitgebrachten Brote. Dazu tranken sie Kakao aus einer Thermosflasche.
Mit der untergehenden Sonne ging auch dieser schöne Ausflug zu Ende.
Die junge Lehrerin musste abends oft noch die Hefte ihrer Schüler korrigieren oder für vier Klassenstufen den Unterricht vorbereiten, trotzdem verbrachte sie jede freie Minute mit Wolfgang und saß dann oft bis spät in der Nacht über den Heften und sie bedauerte es nicht, dann nur noch ein paar Stunden Schlaf zu finden. Sie schlief in ihrem Zimmer mit dem Gedanken an Wolfgang ein und wachte mit dem Gedanken an ihn wieder auf. Könnte doch die Zeit still stehen, aber die schönen Tage verrannen, wie der Ufersand der Frischen Nehrung zwischen den Händen.
Katharina hatte jeden Kuss genossen, jede Berührung, und sie hatte insgeheim gehofft, dass ihr Liebster den Mut finden würde, noch einen Schritt weiter zu gehen, weil für sie klar war, dass sie und Wolfgang einfach zusammengehörten. Vielleicht hatte ihr Schatz sogar denselben Wunsch, aber er betrachtete sie als etwas ganz Besonderes und wollte diesen Augenblick für einen geeigneteren Zeitpunkt aufheben.
Als der Unterfeldwebel nach diesem Urlaub zurück an die Front fuhr, war in der jungen Frau tagelang eine unfassbare Leere. Nur das Foto, dass sie beide von sich in Zinten bei einem Fotograf anfertigen ließen, erinnerte sie nun an ihren Liebsten und schenkte ihr etwas Trost.
Trost fand sie auch in den Briefen aus der Heimat und aus Berlin.
Ihren Eltern ging es trotz der ständigen Luftangriffe gut, zu einem längeren Aufenthalt in Loditten hatten sie sich bisher noch nicht entschließen können. Und bei Mutter Kleinschmidt war auch alles in Ordnung. Sie schrieb sogar, dass sie das Osterfest bei der Familie ihrer Schwester in Elbing verbringen würde und sich vorgenommen hatte, einen Abstecher nach Loditten zu machen. Darüber freute sich Katharina riesig und auch darüber, dass Marie von sich aus anbot, dass Mutter Kleinschmidt ein Zimmer bekommen könnte, damit die Frau nicht im Gasthaus logieren musste. Marie war bereits neugierig auf Frau Kleinschmidt, die von Katharina in den höchsten Tönen gelobt wurde.
Auch Tante Ida hatte geschrieben, dass sie bisher alles gut überstanden hatten, obwohl Köln nur noch eine einzige Steinwüste war. Erstaunlicherweise fuhren die Straßenbahnen noch. Die Menschen räumten den Schutt von den Straßen und säuberten die Straßenbahngleise. Das hatte eine größere Priorität, als kaputte Häuser wieder aufzubauen.
In Ostpreußen waren überall die Ostervorbereitungen im Gange. Auch bei Katharina in der Schule wurde gebastelt, gemalt und gebacken. Die Kinder brachten gekochte Eier in die Schule, die sie dann im Unterricht bunt bemalten, oder bohrten zwei Löcher in ein frisches Ei und bliesen es aus.
Das war gar nicht so einfach und strengte an.
So mancher machte dicke Backen, doch der Eidotter wollte nicht aus dem Ei herauskommen. Schließlich gelang es mit fremder Hilfe doch und aus den ausgeblasenen Eiern wurden nebenbei für alle Rühreier gebraten. Das war ein Genuss.
Besonders die Kleinen waren emsig bei der Arbeit. Da schaute schon mal vor höchster Konzentration die Zungenspitze aus dem Mund und wanderte von einem Mundwinkel zum anderen. In mühevoller Arbeit entstanden kleine Geschenke für die Eltern und die Großeltern. Die Väter bekamen ihre Geschenke per Post, wenn Mutter das Osterpäckchen an die Front schickte, denn in kaum einer Familie war der Vater noch zu Hause. Nur wer beim Wehrbezirksamt nachweisen konnte, dass ein Einsatz in der Wehrmacht eine nicht zu überbrückende Härte bedeuten würde, und das Verbleiben in der Heimat kriegswichtig war, der bekam eine Sondergenehmigung.
Der Bäcker in Loditten hatte bis auf weiteres so eine Genehmigung erhalten, als auch nach intensivster Suche kein Ersatz für ihn gefunden werden konnte, der den Betrieb weiterführte, denn von der Bäckerei in Loditten wurden die umliegenden Dörfer mit Brot und Backwaren versorgt.
Von einer Wanderung durch den Wald brachten die Schüler Birkenzweige in die Schule mit. Dort wurden die Zweige zu kleinen Sträußen gebunden und in Wassereimer gestellt.
Sie sollten bis Ostern Blätter treiben, damit die Kinder am Ostermontag damit »schmackostern« konnten, das war ein alter und noch immer beliebter ostpreußischer Osterbrauch.
Als die Lehrerin am Gründonnerstag den Klassenraum betrat, saßen ihre Schüler bereits artig in ihren Bänken. Kaum ein Schüler fehlte und alle Kinder trugen ihre guten Kleider.
Die Lehrerin begrüßte die Schüler an diesem besonderen Tag, doch noch bevor sie den Unterricht beginnen konnte, trat die erste Schülerin an das Klassenpult und übergab der Lehrerin einen kleinen Korb mit Eiern. Auch die nächste Schülerin schenkte Eier und dazu ein Stück Speck. Nun gab es kein Halten mehr. Fast jeder Schüler brachte ein Geschenk, meist waren es Naturalien. Die Lehrerin war überwältigt und gerührt. Sie freute sich natürlich, dass sie bei ihren Schülern so beliebt war.
Als sie in all die leuchtenden Augen der Kinder schaute, war ihr klar, dass sie an diesem Tag keinen normalen Unterricht abhalten konnte, außerdem hatte sie für ihre Schüler noch eine Überraschung parat. Deshalb schaute sie bereits ab und zu heimlich aus dem Fenster. Sie sah Marie Schimkus und einige Mütter der Schüler emsig im Schulhof herumlaufen. Auf ein Zeichen Maries verkündete die Lehrerin: »So, nun gehen wir alle hinaus, ich glaube, dass der Osterhase da war, und für jeden etwas versteckt hat.«
Mit lautem Jubel stürmten die Racker auf den Schulhof und da begann das Suchen. Für jedes Kind hatten Marie und die Mütter kleine Osternester mit Naschereien versteckt.
Die herrschaftliche Familie hatte Süßigkeiten spendiert und auch der Gewürzer hatte tief in seine Bonbongläser gegriffen. Die Nester hatte die Lehrerin gemeinsam mit ihrer Freundin Marie und den Müttern an den vergangenen Abenden gebastelt. Das war ein »Hallo«, als jeder sein Nest in den Händen hielt.
Die Lehrerin hatte anschließend Mühe, die Schüler wieder in den Klassenraum zu bekommen. Sie beschloss deshalb, im Freien ein paar Spiele zu machen, und versprach, im Anschluss aus ihrem dicken Sagenbuch Geschichten vorzulesen.
Damit auch die Kinder zu Wort kamen, sollten sie ihre schönsten Ostererlebnisse erzählen.
Das war ein tüchtiger Spaß für alle. Zufrieden mit dem Tag, schickte Katharina ihre Schüler eine Stunde früher nach Hause. Anschließend versuchte sie, ihre Geschenke zu verstauen, um sie nach Hause zu transportieren, doch dieses Ansinnen musste sie erfolglos abbrechen, denn sie hatte Sorge, dass beim Transport Eier zerbrechen könnten.
Notgedrungen musste sie erst nach Hause gehen, sich einen großen Pappkarton besorgen und dann mit dem Fahrrad noch einmal zur Schule fahren, um ihre »Schätze« zu holen.
Beim Verpacken zählte sie einhundertzweiundfünfzig Eier, die könnte sie allein gar nicht aufessen, fuhr es ihr durch den Kopf. Katharina beschloss, mit einem Teil der Eier, gemeinsam mit ihren Schülern Kuchen zu backen, auch dabei konnten die Kinder etwas lernen und sie würden sich sicher freuen. Aus dem anderen Teil der Eier würde Marie sicher mit ihr Eierlikör machen.
Die zahlreichen Speck- und Schinkenstücke könnte sie im Keller von Marie lagern, den Eierlikör natürlich bei einem Verzällche mit Marie und den Nachbarinnen zum Kaffee trinken, einen Teil der Schokolade würde sie selbst essen, sie war halt ein kleines Süßmaul, und den Rest wollte sie ihren Schülern stückweise für gute Leistungen spendieren.
Die Kinder konnten es gar nicht erwarten, dass der Karfreitag und der Samstag vergingen und sie am Ostersonntag zu Hause im Garten auf Ostereiersuche gehen konnten. Tagelang hatten sie geholfen, die Eier zu färben. Auf den Küchenherden brodelte es in den Kochtöpfen wie in einer Hexenküche, denn der Sud, in dem die Eier gefärbt wurden, musste vorbereitet werden.
In einem Topf wurden Zwiebelschalen und Schwarztee gekocht, das gab den weißen Eiern eine kräftige goldbraune Färbung, im nächsten Topf waberte ein Sud aus roter Bete für rotviolette Eier, im nächsten Topf kochten Spinat und Petersilie, das ergab zartgrüne Eier, Brennnesselblätter und einige Safranfäden färbten die Eier gelb und gekochter Heidelbeersaft blau. Ein Zusatz aus Alaun und Pottasche verstärkte die Farben.
Am Morgen des Ostermontags mussten die Kinder sehr früh aufstehen und sich mit dem Schmackosterstrauß zu den Eltern ans Bett schleichen. Dort rissen sie die Bettdecke weg, verabreichten der Mutter und dem Vater ein paar leichte Hiebe auf die nackten Beine und riefen den Spruch:
»Grün Ostern, Schmackostern,
gib Eier und Speck
und vom Kuchen ‘ne Eck’,
eher geh ich nicht weg.«
Der Schmackosterte musste nun einen Teil seiner Eier und seiner Süßigkeiten abgeben. Das war bei den Eltern nicht weiter schlimm, denn die sorgten ja sowieso für die Ostergaben und betrachteten das Schmackostern der Kinder als großen Spaß für alle. Wenn jedoch die Geschwister schmackostert wurden und von ihren Eiern und Süßigkeiten abgeben mussten, schmerzte das doch erheblich und konnte nur ausgeglichen werden, wenn man nun selbst jemanden mit der Osterrute oder dem Osterstrauß überraschen konnte. Heimlich schlich sich derjenige nun zum Nachbarhaus, in der Hoffnung, dort zum Ziel zu kommen.
Auch Marie Schimkus hielt es mit den ostpreußischen Osterbräuchen. Bei ihr kam bereits am Gründonnerstag ein riesiger Osterkringel aus Hefeteig auf den Tisch, der mit Birkenzweigen geschmückt war. Früher versuchte jeder aus der Familie, sich das größte Stück abzureißen, der Sieger durfte sich etwas wünschen. Da außer Marie aber nur Katharina am Tisch saß, schnitten die Frauen den Kringel an und verspeisten ihn gemeinsam. Dabei verriet Marie der jungen Frau noch andere Osterbräuche, zum Beispiel, dass sie die am Gründonnerstag gelegten Eier ihrer Hühner beim Ostergottesdienst segnen ließ, sie verliehen dann Gesundheit. Außerdem war es Brauch, dass die Mädchen des Dorfes am Ostermorgen, weit vor Sonnenaufgang, zum Bach gingen, um Osterwasser zu holen und sich im Bach zu waschen.
Das Wasser der Osternacht sollte den Mädchen ewige Jugend und Schönheit verleihen. Wer es trank, dem schenkte es Gesundheit, außerdem sollten geheime Wünsche erfüllt werden.
Die Mädchen mussten den Bach von Osten nach Westen anlaufen, durften nicht sprechen, nicht lachen und sich nicht umschauen, sonst erfüllten sich die Wünsche nicht und das Wasser verlieh auch keine Schönheit. Die Mädchen mussten dann ein Jahr warten, und es noch einmal versuchen.
Einmal hockten am Bach bereits einige besonders junge Mädchen und wurden dann von den Ankommenden belehrt: »Ihr seid noch viel zu jung, ihr müsst noch ein Jahr warten.« Die Mädchen am Bach protestierten ihrerseits lautstark, bis sie bemerkten, dass sie alle gesprochen hatten, und sämtliche Anwesende brachen in ein großes Gelächter aus.
Nun mussten alle ein weiteres Jahr auf die Wirkung des Osterwassers warten. Die Mädchen am Bach, die ihr Wasser schon geschöpft hatten, gossen es aus ihren Tonkrügen wieder in den Bachlauf hinein, denn »Plapperwasser« hatte keine Heilkraft und verlieh keine Schönheit – sie waren umsonst so zeitig aufgestanden.
Manchmal lauerten die Lorbasse des Dorfes den Schönheiten auf, wenn die ihr Wasser in den schweren Krügen nach Hause trugen. Dann versuchten sie, die Mädchen zu erschrecken oder zum Lachen zu bringen, damit das Wasser seine Wirksamkeit verlor und die Mädchen vergeblich aufgestanden waren.
Dabei wollten die Mädchen doch gerade für diese Burschen besonders schön werden, denn oft hatte sich eines der Mädchen ihren zukünftigen Begleiter bereits ausgesucht.
Manche Bauern trieben sogar ihr Vieh am Sonntagmorgen zum Bach, damit es das Osterwasser saufen konnte.
Man glaubte, dass die Tiere dann vor Krankheiten verschont blieben. Zu Hause verspritzt, sollte das Osterwasser sogar Ungeziefer fern halten.
Der Glaube an alte Überlieferungen war in den Menschen Ostpreußens tief verwurzelt und wurde von Generation zu Generation weitergegeben.