Kitabı oku: «Mostkost», sayfa 2
„Was hat der Birnbacher bloß mit ‚Russen‘ gemeint?“, grübelt der Albert tags drauf im Gastgarten vom Egger-Wirt. Stammtisch ist heute nicht, er hat den Onkel Franz um ein außerordentliches Treffen gebeten. Der hat die Ereignisse des Vorabends eigentlich schon wieder ad acta gelegt, und zwar unter „G“ wie „Geht mich nix an“. Ganz anders sein Spezi. Von Natur aus neugierig und in seinem Pensionisten-Alltag anscheinend nicht ausgelastet, lässt ihm die Sache keine Ruhe.
„Vielleicht was zum Essen?“, schlägt der Onkel eher scherzhaft vor.
„Wie bitte, was meinst?“
„Na, einen Russen halt. Einen Gabelroller. Rollmops sagen d’ Preussen.“
„Glaubst?“, zieht der Albert den Vorschlag ernsthaft in Betracht und geht weiter darauf ein. „Ja, warum nicht, das könnt sein. Dass sie vielleicht sowas auf die Karte setzen wollt, er war dagegen. Oder, anders: ‚Supermarkt‘ und ‚verkaufen‘ hat er ja auch gesagt, gell. Dann war er wahrscheinlich dagegen, dass man die Russen im Supermarkt kauft, im Glasl, wo man doch nur Eigenproduziertes verkaufen darf als Mostschänke und …“
„Geh, so ein Blödsinn“, unterbricht ihn der Onkel Franz in seinem Wortschwall, „wegen so was streitet man sich doch nicht derartig. Und außerdem geht’s uns nix an. Aber ist trotzdem eine gute Idee.“
„Was?“
„Na, so ein Russ’. So einen bestell ich mir jetzt, der richt’ den Magen wieder ein, heißt’s.“
Nachdem die Resi diese Bestellung aufgenommen hat – der Albert hat sich angeschlossen – betritt ein neuer Gast den Biergarten. Er grüßt freundlich, man kennt sich. Es ist der Hausleitner Thomas, Gruppeninspektor der örtlichen Polizeiwache. Allseits beliebt, weil nicht besonders streng in der Auslegung der Gesetze. Gemütlich halt. Ähnlich flexibel ist auch sein Zugang zur dienstlichen Verschwiegenheit. Diese Richtlinie hat der Hausleitner schon immer eher für einen Vorschlag gehalten. Er nimmt am Nebentisch Platz und bestellt sich ein Seiterl Bier. Prostet den beiden Freunden zu und sagt: „So, das brauch ich jetzt. Den ganzen Vormittag hat mich der Mostbauer sekkiert wegen seiner Frau.“
Der Albert spitzt die Ohren. „Mostbauer? Welcher? Der Birnbacher?“
„Ja, genau, der. Eine Vermisstenanzeige wollt er aufgeben. Weil sie verschwunden wär, seine Gattin. Wann, hab ich g’fragt. Sagt er: Letzte Nacht. Sag ich: Wird halt bei einer Freundin sein oder sonst wo. Er soll morgen wieder kommen, wenn’s dann immer noch nicht da ist. Morgen hab ich nämlich keinen Dienst, verstehst?“
Dabei zwinkert er dem Onkel Franz zu. Nach einem Schluck Bier berichtet er weiter.
„Der Birnbacher aber gibt keine Ruh. Sagt, er glaubt, es wär ihr was passiert, sie war noch nie weg. Frag ich: Habt’s vielleicht gestritten, dass sie deshalb weg ist? Gestritten, meint er drauf, hätten s’ noch nie. Kein einziges böses Wort, sowas käm bei ihnen nicht vor. Drum wär er ja so beunruhigt. Bis zu meinem Dienstschluss hat mich der genervt, dann hab ich an einen Kollegen übergeben, soll sich der jetzt damit plagen.“
Bei den letzten Sätzen des Polizisten schauen sich der Albert und der Onkel bedeutungsvoll an.
Dem Albert kann man an den Augen ablesen, dass er drauf und dran ist, von ihrer gestrigen Beobachtung zu erzählen. Der Onkel hindert ihn allerdings daran, indem er ihn scharf anschaut und unterm Tisch auf den Fuß tritt. Er hat nämlich keine Lust, in irgendeiner Form an der Sache teilzuhaben. Es kostet einiges an nonverbaler Überredungskunst, den Albert im Zaum zu halten, bis der Polizist sich wieder verabschiedet. Doch der Onkel Franz schafft es. Kaum sind die beiden aber wieder allein, platzt es aus seinem Spezi heraus.
„Franzl, da ist was faul! Von wegen nicht streiten. Da ist was passiert, glaub’s mir. Das hätten wir dem Hausleitner sagen müssen.“
„Ah, woher. Was soll denn passiert sein. Die kommt schon wieder, wirst sehen. Und noch einmal, Albert, das geht uns nix an.“
Als die Resi dann etwas später auch bei den beiden abkassiert, zeigt sich, dass einer altgedienten Kellnerin wie ihr grundsätzlich nichts entgeht, was sich in ihrem Revier abspielt. Nachdem sie sich – wie üblich – mit Block und Stift zu den beiden gesetzt hat, trägt sie nämlich ganz nebenbei das Ihre zum Thema bei.
„Also, wenn mich wer fragt, davong’laufen is’ ihm, die Birnbacherin! Aber gar nicht so weit weg, könnt ich mir vorstellen.“
Auf die Nachfrage vom Onkel Franz, wie denn das zu verstehen sei, beginnt sie mit einem ausführlichen Bericht über das Vorleben der Verschwundenen.
3
„Sag, musst du jetzt essen?“ Der Albert schüttelt den Kopf, während er mit einem Stofftaschentuch die Linsen seines Feldstechers putzt. Nach der polizeilichen Information über das, wie er sich ausdrückt, „mysteriöse“ Verschwinden der Mostbäuerin und der Mutmaßung der Resi, dass sie vielleicht noch ganz in der Nähe, nämlich wieder bei ihrem ersten Mann, sein könnte, hat der Albert zwei Tage lang keine Ruhe gegeben. Ist dem Onkel Franz so lange damit in den Ohren gelegen, bis der schließlich nachgegeben hat. Und so haben die beiden nun gerade ihren Beobachtungsposten im Buchenwald hinterm Hof vom Haslinger bezogen. Der Onkel hält noch immer nichts von der Sache. Obwohl, wenn er der Typ wäre, etwas zuzugeben – was er nicht ist – müsste er jetzt schon einräumen, dass er mittlerweile auch ein bisserl neugierig geworden ist.
Er erachtet halt dieses Indianerspielen hier im Wald als eigentlich nicht mit der Würde seiner Person und seines Alters vereinbar, aber was soll’s. Zumindest eine Jause nehm ich mir mit, hat er sich gedacht und sich vorher noch beim Metzger seines Vertrauens eine frisch angemachte Essigwurscht ins mitgebrachte Tupper-Doserl abfüllen lassen. Eine Scheibe Brot sowie ein gut gekühltes Flascherl Bier hat er von zu Hause mitgebracht, nur auf eine Gabel hat er vergessen. Muss es halt sein Schweizermesser tun, das hat er sowieso immer bei sich.
Der Albert hat sich da schon besser auf die abendliche Aktion vorbereitet. Fernglas, Notizblock nebst Kugelschreiber und sein Smartphone packt er aus. Ein Geschenk seiner Frau, von letztem Weihnachten. Seither geht er dem Onkel damit auf die Nerven, vor allem die Foto-App hat es ihm angetan. Mit deren Hilfe macht er jetzt Testaufnahmen, um den günstigsten Winkel für seine Beweisfotos herauszufinden, wie er sagt.
„Jetzt tu einmal dein blödes Telefon weg, was glaubst denn, gibt’s da heut zum Fotografieren?“
„Jetzt lass mich, am Stammtisch hast mir’s eh verboten, da werd ich doch wenigstens jetzt …“
Weiter kommt der Albert nicht, denn er wird von einem dröhnenden Motorengeräusch unterbrochen.
„Was ist jetzt das?“
Der Onkel Franz hätte sich beinahe verschluckt, so laut ist der Achtzylinder, der gerade beim Haslinger auf den Hof fährt.
„Pontiac Firebird. Trans Am, schätzungsweise Baujahr 77. Schwarz mit goldenem Adler auf der Motorhaube, der Klassiker.“
Da kennt er sich aus, der Albert. Hat den dazugehörigen Film mit Burt Reynolds schon x-mal gesehen, aber vor allem jede Folge der amerikanischen Serie „Detektiv Rockford – Anruf genügt“ mit James Garner in der Hauptrolle. Drum wohl auch jetzt seine kriminalistische Ader.
„Hint’ und vorn kein Geld“, sagt drauf der Onkel Franz zwischen zwei Bissen Essigwurscht, „aber ein sauteures Auto fahren, das schaut ihm ähnlich, dem Haslinger.“
„Franz, nicht so laut!“, sagt der Albert viel zu laut. Und darauf, deutlich leiser: „Außerdem, so teuer sind die nicht mehr. Und schau, das ist ja überhaupt nicht der Haslinger.“
Er gibt dem Onkel den Feldstecher. Selbst knipst er drauflos mit seinem Fotohandy, als jetzt der Fahrer aussteigt. Das erste, was man sieht, sind prächtige Cowboy-Stiefel, passend zum Auto. Schwarz, verziert mit goldenen Adlerflügeln. Lederjacke und streng nach hinten gegeltes Haar vervollständigen das Bild. Dazu passt auch, dass der seltsame Vogel trotz der einsetzenden Dämmerung eine verspiegelte Sonnenbrille aufhat. Nun öffnet sich auch die Haustür, heraus kommt der Haslinger Alois. Eigentlich hatte er ja die Hoffnung gehabt, die verschwundene Birnbacher Karin ablichten zu können, aber was sich dem Albert da jetzt auf dem Display seines Smartphones zeigt, ist auch nicht ohne. Er wechselt in den Kamera-Modus. Auch der Onkel Franz unterbricht kurz seine Jause und dreht an der Schärfeneinstellung des Fernglases.
Wenn sie auch erst vor ein paar Tagen – damals unfreiwillig – einen halbwegs heftigen Streit beobachtet haben, was ihnen jetzt geboten wird, übertrifft das bei Weitem. Nachdem der Besucher gestikulierend auf den Haslinger eingeredet hat, geht der zurück ins Haus, um kurz darauf mit einem braunen Papiersackerl wieder herauszukommen. Übergibt es dem Mann, der öffnet es, schaut hinein. Augenscheinlich ist er aber mit dem Inhalt nicht zufrieden. Er schreit den anderen an, spuckt vor ihm auf den Boden. Was er sagt, ist auf die Entfernung nicht zu verstehen, einen gewissen Akzent glaubt der Albert aber zu erkennen. Während er noch versucht diesen einzuordnen, eskaliert die Situation. Der Mann mit der Lederjacke hat plötzlich ein Messer in der Hand, fuchtelt damit dem Haslinger vorm Gesicht herum. Dabei stößt er heftige Drohungen aus. Kurz darauf steigt er – mit dem Messer in der einen, dem Packerl in der anderen Hand – in sein Auto und braust davon. Zurück bleiben ein wie versteinert dastehender Alois Haslinger vor seinem Haus und zwei nicht minder geschockte heimliche Beobachter im Unterholz.
Warum, denkt sich der Onkel Franz, hab ich die Tasche gestern nicht noch selbst ausgeräumt, Herrschaftszeiten noch einmal! Als er am Vorabend heimgekommen ist von seinem unfreiwilligen Detektiveinsatz, ist der Onkel nämlich – nachdem er sich auf den Schreck noch schnell ein Betthupferl-Weißbier genehmigt hat – gleich schlafen gegangen. Seine lederne Tasche hat er, ganz entgegen seiner Gewohnheiten, einfach in der Küche stehen lassen und so hat es seine Frau übernommen, den Inhalt zu inspizieren. Nicht ungewöhnlich im ehelichen Umgang der beiden miteinander. Der ist nämlich zuallererst geprägt von gegenseitigem Vertrauen. Der Onkel hat noch nie etwas zu verbergen gehabt vor seiner Frau, umgekehrt verhält es sich genauso. Drum ist es für die Tante nun auch ganz selbstverständlich, beim morgendlichen Aufräumen die Tasche zu öffnen. Könnt ja was drinnen sein, das in den Kühlschrank gehört oder gewaschen werden muss, was auch immer. Doch was sie heute daraus zu Tage fördert, gibt Anlass zu der einen oder anderen Frage.
„Sag, seit wann haben wir ein Fernglas, Franzl?“
„G’hört dem Albert“, antwortet der Onkel wahrheitsgemäß.
„Und was hast jetzt mit dem vor?“
Angelogen hat er sie noch nie, seine Frau. Wieso auch. Aber ihr jetzt von der gestrigen Aktion zu erzählen kommt für ihn dennoch nicht in Frage. Würde sie nur beunruhigen, ihm ist ja selbst noch nicht klar, was er von der ganzen Geschichte halten soll. Bleibt als Ausweg also nur noch die kleine Schwester der Lüge, die Schwindelei.
„Vögel“, sagt er, weil ihm nichts Besseres einfällt, „Vögel beobachten. Seltene.“
„Aha“, die Tante schüttelt den Kopf, „Vögel, soso.“
„Ja, weil du doch eh immer sagst, ich bräucht ein Hobby.“
Recht gut kann sie ihn sich nicht vorstellen, ihren Mann, wie er in den Inn-Auen als Hobby-Ornithologe umherstreift. Aber die Tante ist eine kluge Frau, sie lässt es vorerst dabei bewenden. Außerdem taucht aus den Tiefen der Tasche bereits ein weiteres Objekt auf, das Fragen aufwirft.
„Jägermeister? Du? Seit wann?“
„Ach, Schmarrn“, antwortet der Onkel Franz, froh, dass er hier bei der Wahrheit bleiben kann, „das ist ein Kürbiskernöl, steht eh drauf. Aus’m Innviertel, vom Haslinger-Bauern. Probierflascherl, hat er mir neulich am Wochenmarkt mit’geben.“
„Da schau her“, die Tante ist anscheinend informiert, „das ist doch der, der sich letztes Jahr zwei Straußen angeschafft hat. Züchten wollt’ er. Hat aber nicht recht funktioniert. Weil’s zwei Weiberl waren.“
Beide lachen. Als sie kurz darauf weiterredet, klingt ihre Stimme nun aber ein wenig besorgt. „Ganz was anderes Franzl, bist du gestern hing’fallen? Deine Hosen und dein Janker sind hinten ganz schmutzig. Hast dir hoffentlich nicht weh getan?“
Auweh, das muss am Abend im Wald passiert sein, da wird jetzt wohl oder übel die nächste Schwindelei fällig.
„Das? Ach so, da war wohl die Bank dreckig. Also die, wo ich mich hingesetzt hab zum Rasten. Auf’m Heimweg. Weißt eh, durchs Buchenweidl, da geht’s a Stückerl bergauf, das ist anstrengend mit’m Radl. Hab ich also a bisserl verschnaufen müssen. Da wird das wohl passiert sein.“
Der Onkel ist halbwegs stolz auf seine kreative Ausrede. Muss einem erst einmal einfallen, so auf die Schnelle. Seine Frau ist jetzt allerdings erst recht in Sorge.
„Das kleine Hügerl? Da hast’ doch noch nie Probleme g’habt. Meinst ist was mit’m Herz? Sollst’ vielleicht doch einmal zum Doktor? Zeit wär’s, in deinem Alter.“
Zefix, das ist jetzt nach hinten losgegangen. Solange er beschwerdefrei war, hat sie seine Abneigung gegen Vorsorgeuntersuchungen immer respektiert. Aber jetzt, da er selbst zugibt – was äußerst unüblich ist beim Onkel – nicht mehr so leistungsfähig zu sein wie gewohnt, da sieht sie sich als Gattin in der Pflicht, auf ihn einzuwirken.
„Glaub mir’s, Franzl, eine Untersuchung kann nicht schaden. Und vielleicht sollt ich bei deiner Ernährung auch ein bisserl was ändern. Nimmer ganz so fett, öfter einmal einen Fisch, viel Gemüse. Und das mit dem Kürbiskernöl, das ist gar keine so schlechte Idee. Soll gut sein für die Prostata. Na, was meinst?“
Der Onkel Franz ist entsetzt. Was ihm seine kleine Notlüge da an Konsequenzen einzubringen droht, überfordert ihn für einen Moment. Schnell fängt er sich aber wieder. Wenn die Sorge um ihn auch echt ist, hat er seine Frau nun dennoch im Verdacht, ein wenig dicker aufzutragen als nötig. Er kennt sie, es wär nicht das erste Mal. Innerlich hat sie jetzt womöglich eine diebische Freude an seinem dummen Gesicht. Sie selbst macht dabei aber eine todernste Mine und lässt ihn auch so schnell nicht vom Haken.
„Ich könnt dir ja auch einmal ein leichtes Weißbier mitbringen vom Einkaufen oder gleich ein alkoholfreies, soll auch nicht anders schmecken.“
Jetzt ist er sich ganz sicher, dass sie ihn aufzieht. Das kann sie ja nicht ernst meinen. Während er noch überlegt, ob er weiter mitspielen oder ein Machtwort sprechen soll, wechselt seine Frau das Thema. Sie hat nämlich die Tupper-Dose entdeckt, die, in der der Onkel die Observations-Essigwurscht transportiert hat. Nach einem Geschmacks- und Geruchstests ist ihr schnell klar, welchen Inhalt das Plastik-Geschirr gehabt haben muss.
„Essigwurscht, aha. Aber nicht von mir?“
Keine Frage, eine Feststellung. Und auch ein gewisser Vorwurf.
„Vom Metzger“, antwortet der Onkel Franz, „vom Radlinger.“
„Eine fertige? Sowas isst du?“
„A woher fertig. Hausg’macht.“
„Aber fertig.“
„Ja, schon, aber ganz frisch. Vom selben Tag. Schmeckt wie d…“
Er verstummt augenblicklich. Gefährliches Terrain. Ja nicht vergleichen. Schlechte Idee.
„Was wolltest sagen?“
„Dass, … dass der Radlinger schon ein guter Metzger …, also von der Qualität her. Aber kein Vergleich zu deiner Essigwurscht. War halt eine Notlösung. Zum Mitnehmen. Zum Ding, … zum Vögelbeobachten, weißt’?“
Fast wär er ins Stottern gekommen, der Onkel Franz, er glaubt sich selbst kein Wort. Die Tante erklärt das Verhör für beendet, indem sie ihm den Rücken zudreht und zur Küchenzeile geht. Wohl um das Gschirrl in der Abwasch zu versorgen. Oder damit ihr Mann das leichte Schmunzeln in ihrem Gesicht nicht sieht.
Das Kreuz tut ihm ordentlich weh, dem Onkel Franz, vom vielen Bücken. Aber er beißt die Zähne zusammen und lässt keinen Laut des Jammerns, auch nicht das leiseste Stöhnen hören. Da hab ich mir was eingebrockt, denkt er sich, selber schuld. Um seinen tadellosen körperlichen Zustand unter Beweis zu stellen und so die Bedenken seiner Frau im Keim zu ersticken, hat er nämlich aktiv angeboten, ihr bei der Gartenarbeit zu assistieren. Nicht, dass er sonst nicht helfen würde, meist aber erst nach Aufforderung. Und so steht er nun in Gummistiefeln am Gartenzaun, um das dort befindliche Gemüsebeet für die Neubepflanzung vorzubereiten. Und das heißt, Unkraut samt hartnäckigen Wurzeln entfernen und die Erde umgraben, beides schweißtreibende Arbeiten. Die er aber gern auf sich nimmt, wenn er die Tante damit nur von diesem Schmarrn von wegen Arztbesuch, gesunder Ernährung und alkoholfreiem Weißbier abbringen kann. Weil so ganz ist er sich dann doch nicht sicher, ob sie ihn damit nur ein bisserl sekkieren wollte oder ob er mit weiteren Vorschlägen dieser Art zu rechnen hat. Drum legt er sich jetzt so ins Zeug, ganz nach dem Motto: Jetzt schau dir an, liebe Frau, wie gut ich noch beieinander bin, fast wie ein Junger. Pumperlg’sund und bei tadelloser Kondition, was braucht’s da einen Doktor oder gar eine Schmalkost!
Die Tante, sonst immer selbst kaum zu bremsen bei der Gartenarbeit, lässt es heute etwas ruhiger angehen. Lehnt gemütlich mit verschränkten Armen an der Gartensäule und dirigiert ihren ungewohnt fleißigen Gehilfen mit Anweisungen wie: „Schau, Franzl, da hinten, der Löwenzahn muss auch noch weg“, oder, „Rechts a bisserl tiefer umgraben bitte, da sollen d’ Erdäpfl hin“. Dazwischen wechselt sie auch immer wieder ein paar Sätze mit der Nachbarin. Die ist grad beim Teppichklopfen und hält mit ihr über den Gartenzaun hinweg das, was man heute neudeutsch „Smalltalk“ nennt. Wenn ihm seine Frau dabei ab und zu den Rücken zukehrt, nutzt der Onkel Franz die Gelegenheit, sich unauffällig zu strecken und kurz zu verschnaufen. Und eben dabei sieht und hört er jetzt – zu seiner Überraschung – dieses schwarze amerikanische Auto von neulich, das mit dem protzigen Adler auf der Haube, langsam seine Wohnstraße hinunterfahren. Ob der mich sucht?, kommt ihm ganz kurz in den Sinn, ein leichtes Kribbeln wandert seinen Nacken hinauf. Vor seinem geistigen Auge taucht dabei die Szene mit dem Messer auf. Aber nein, Blödsinn, beruhigt er sich, der kann uns nicht gesehen haben. Hat nicht einmal in unsere Richtung geschaut, außerdem sind wir leise gewesen. Und besonders hell war’s auch nicht mehr.
Aber eine andere Idee kommt ihm. Nämlich die, dass das jetzt die Gelegenheit ist, ganz beiläufig herauszufinden, wer der Bursche überhaupt ist. Schon seine Frau kennt die meisten Leute aus der Gegend, aber die Nachbarin, die ist ein wandelndes Lexikon, was Gesichter und Namen und die dazugehörigen Geschichten betrifft. Kennt jeden, sieht alles, weiß alles. Oder glaubt zumindest, alles zu wissen. Sie ist das, was man im Innviertel umgangssprachlich als „Quadratratschen“ bezeichnet. Ein Umstand, der den Onkel schon des Öfteren geärgert hat, aber jetzt kommt er ihm gelegen. Er unterbricht seine Arbeit nun ganz offiziell und schaut, wie die beiden Frauen, dem auffälligen Auto hinterher.
„Da schau her“, sagt er, „is der Zirkus in der Stadt?“ Und zur Nachbarin gewandt: „Wer war jetzt das, kennst du den?“
Da ist er bei der Teppichklopferin an der richtigen Adresse. Die kommt nun ganz an den Zaun heran und beginnt einen längeren Monolog.
„Der? Was, das weißt du nicht? Das war der Kirov Ludwig. Seine Mutter, die kennst bestimmt, die Anneliese. So eine Blondg’färbte. Sitzt draußen im Supermarkt an der Kassa. Ihr Mann ist schon länger weg, der ist ihr davon. Hat s’ mit’m Kind sitzen lassen. Der Bub war dann schon in der Schul eine Pfeifen, hat nix zusammen’bracht. Lehre abgebrochen, Gelegenheitsjobs, sowas halt. Aber wie er sich dann selbstständig gemacht hat, der Wickerl, da ist es aufwärts gegangen. Immobilien, Anlageberatung, Import-Export, sowas halt. Keine schlechte Karriere für so einen Banater-Bub.“
Der letzte Satz reizt den Onkel zur Gegenrede, er mag solche Vorurteile nicht. Aber er schluckt den Impuls hinunter, um die Informationsquelle nicht zum Versiegen zu bringen. Hier ist scheinbar etwas zu erfahren.
„Banater, aha. Woher?“
„Aus’m Rumänischen glaub ich. Donauschwaben halt. Aber schon sein Großvater ist als junger Bursch da zu uns her’kommen. Da hinten in der Siedlung wohnt der heut noch und züchtet Hasen. Komischer Kauz. Aber der Bub ist in Ordnung. Kennt sich aus mit’m Geld. Hat mir erst neulich meine Versicherungen optimiert. Solltet ihr auch einmal machen lassen, zahlt sich aus. Wart, irgendwo hab ich noch das Karterl.“
Sie kramt in den Taschen ihrer Kleiderschürze herum und fördert nach einigem Suchen tatsächlich eine etwas verwuzelte Visitenkarte zutage. Gibt sie dem Onkel, der sie aufmerksam in Augenschein nimmt. Schwarz ist das Ding, mit einem roten Stern drauf. Der wiederum flankiert wird von goldenen Flügeln. Dann der Name: „Boris Kirov“. Darunter: „Immobilien – Anlageberatung – Import/Export“. Dazu Adresse und Mobilnummer.
„Ich hab mir gedacht, der heißt Ludwig? Wieso jetzt Boris?“
„Ja, weißt, das ist so eine Spinnerei von dem Wickerl.“ Die Nachbarin ist tatsächlich bestens informiert. „Schon als Bub hat er immer behauptet, dass er ein Russe wär. Wenn sie ihn sekkiert haben von wegen Banater und so. Kinder können halt bös sein, gell.“
Du musst grad reden, denkt sich der Onkel Franz.
„Naja, wahrscheinlich hat er gedacht, vor so einem Russen, da hätten s’ mehr Respekt. Hat man ja früher wirklich geglaubt, dass er recht wild und gefährlich ist, der Russ’ an sich. Hat sich damals sogar einen russischen Akzent angewöhnt, der Kirov Wickerl, den hat er heut noch. Bisserl seltsam. Aber mit Geldgeschäften, da kennt er sich aus. Ruf ihn doch einmal an, dass er sich eure Finanzen anschaut, das zahlt sich aus, glaub’s mir.“
Ja, genau, soweit kommt’s noch, denkt sich der Onkel. Nach allem, was ich gesehen hab, ist der nicht so harmlos, wie du glaubst, dieser Kirov. Die Karte steckt er trotzdem ein. Da wird er schau’n, der Albert, was ich rausgefunden hab, sagt er im Stillen zu sich selbst. Und darauf laut zu seiner Gattin: „So, genug Bauernhof für heut, jetzt mag ich eine Jause und ein Weißbier. Aber ein echtes!“