Kitabı oku: «Mostkost», sayfa 3
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„Ich hab mir gedacht, das geht uns nix an?“
Diese Frage stellt der Albert dem Onkel Franz, während die beiden ihre Räder durch den Buchenwald schieben. Der hat ihm nämlich gerade berichtet, was er von der Nachbarin erfahren hat, und man war sich daraufhin einig, dass es nicht schaden könnte, noch einmal beim Birnbacher auf einen Most einzukehren.
„Ja, na eh, eigentlich. Aber interessant wär’s schon, was da los ist, bei den zwei Bauern.“
Der Onkel besteht nach wie vor darauf, nicht neugierig zu sein und – ganz im Gegenteil zum Albert – keine Lust auf irgendwelche Detektiv-Spielereien zu haben. Er will’s halt nur wissen. Zuvor, nach ihrer abendlichen Beobachtung, hatten die beiden Freunde noch darüber beratschlagt, ob man nicht den Hausleitner informieren müsste über das, was man gesehen hat. Sind aber dann zu dem Ergebnis gekommen, dass das, was man zu berichten hätte, noch deutlich zu dünn wäre, um damit zur Polizei zu laufen. Ein Streit zweier Eheleute, worum es ging, keine Ahnung, und die abendliche Auseinandersetzung des Nachbarbauern mit dem Kirov, Inhalt ebenfalls unbekannt. Gut, das Messer, aber seid ihr euch da schon sicher? Könnt es nicht was anderes gewesen sein. Ich mein, auf die Entfernung? Was, mit einem Fernglas? Was macht jetzt ihr auf d’Nacht im Wald mit einem …
Nachdem sie diese Fragen, die der Hausleitner ihnen wahrscheinlich so oder so ähnlich stellen würde, im Geist durchgespielt haben, ist klar: Zur Polizei, wenn überhaupt, dann erst, sobald es was Handfestes zu berichten gibt.
Der Spazierweg durch den Wald führt entlang an einem kleinen Bachlauf, vorbei an zwei Fischweihern und dem sogenannten „Hexenhäusl“. Ein abbruchreifes kleines Haus mit leeren Fensterhöhlen und grob mit Brettern zugenagelten Türen. Der hintere hölzerne Anbau der Ruine hängt merkwürdig schief am Mauerwerk dran und wird wahrscheinlich nach dem nächsten Sturm ganz in sich zusammenkrachen. Vor Jahrzehnten hat hier die alte Frau Gramberger gewohnt, eine Kriegswitwe. Schon damals hat das Haus von den Kindern des Ortes seinen Spitznamen bekommen und die Frau Gramberger war die Hexe. Man muss zugeben, sie hat wirklich so ausgeschaut. Eine schwarze Katze hat sie auch gehabt, und ständig war sie mit einem Reisigbesen rund ums Haus zugange. Und obwohl oder gerade weil die Kinder Angst vor ihr hatten, galt es im Dorf als Mutprobe, der alten Frau Streiche zu spielen. Dumme Streiche, wie etwa mit einem Stock über den Zaun gegen die Tür zu klopfen und dann wegzulaufen oder gar rohe Eier gegen die Hauswand zu werfen. Was auch immer, es galt schon als Heldentat, sich dem Hexenhäusl und seiner bösen Besitzerin überhaupt zu nähern. Dabei war die alte Frau in Wirklichkeit gar nicht böse. Aber mit der Zeit wurde sie es. Durch die Blödheiten der Kinder, den Tratsch der Erwachsenen und durch den ihr offiziell verliehenen Titel „alte Hexe“ wurde die Grambergerin immer unleidlicher und beschimpfte zum Schluss reflexartig jeden, der sich ihrem Haus auch nur näherte.
Ewig her. Aber der Onkel Franz kann sich noch gut daran erinnern. Seit dem Tod der alten, kinderlosen Frau steht das Haus nun leer und verfällt. Ein-, zweimal im Jahr kommt jemand – so hört man – in einem Auto mit Salzburger Kennzeichen und nagelt dort und da, wo Jugendliche oder Obdachlose ein paar Bretter entfernt haben, die Eingänge notdürftig wieder zu. Oder befestigt das Betretenverboten-Schild wieder, wenn es heruntergerissen wurde. Irgendein entfernter Verwandter hat das Häusl wohl geerbt, dürfte aber kein allzu großes Interesse an dem Objekt haben. Und bei diesen halbherzigen Sicherungsmaßnahmen geht es wahrscheinlich darum, dem Gesetz in minimalster Form Genüge zu tun. Von wegen Gemeingefährdung oder so. Wie auch immer, im Sprachgebrauch der Ortsansässigen wird es noch immer das „Hexenhäusl“ genannt und immer noch geht irgendwie eine leicht unheimliche Aura von dem Gebäude aus.
Während der Onkel diesen Gedanken noch nachhängt, haben er und der Albert nun ihr Ziel erreicht. Vorbei an ihrem vorgestrigen Beobachtungsposten hinterm Haslingerbauern treffen sie bei der Mostschänke ein. Gäste sitzen keine im Garten vor dem Haus, auch der Wirt ist nicht zu sehen. Die beiden lehnen trotzdem ihre Räder an den dafür vorgesehenen Balken und setzen sich an denselben Tisch wie schon vor einigen Tagen.
„Ich glaub, da ist heut zu“, meint der Albert gerade, als der Birnbacher aus der Tür tritt.
„Richtig geraten“, sagt der drauf, „seit meine Frau weg ist. Kellnerin kriegst ja keine und allein ist das hier nicht zu machen.“
„Ist sie noch immer nicht aufgetaucht?“, erkundigt sich der Onkel Franz. „Das tut mir leid.“
Der sonst eher nicht so zugängliche Mostbauer setzt sich daraufhin zu den beiden und atmet schwer aus. Der Mann sieht nicht gut aus, hat dunkle Ringe unter den Augen und eine fahle Gesichtsfarbe. Auch seine Stimme klingt brüchig.
„Ich weiß wirklich nimmer, was ich machen soll. Der Betrieb steht und um die Karin mach ich mir auch große Sorgen. Kein Lebenszeichen, keine Nachricht, nix. Selbst, wenn sie mir davon ist, was viele glauben, irgendwas hätt s’ doch sicher hören lassen. Nein, nein, da ist was passiert.“
Unvermittelt steht er auf und geht ins Haus.
„Der war jetzt aber gesprächig“, meint der Onkel. „Ich mein, dafür, dass wir uns nicht wirklich gut kennen. Und Stammgäste sind wir ja jetzt auch nicht grade.“
„Da hast’ recht“, stimmt ihm der Albert zu, „und dann geht er einfach, komisch.“
Während sie noch darüber nachdenken, wieder zu gehen, kommt der Wirt zurück. Auf einem Tablett bringt er drei Krügerl Most und ein Holzbrettl mit Brot, Speck und Käse an den Tisch. Setzt sich wieder dazu und sagt, während er sein Glas hebt, nur: „Geht aufs Haus, Prost.“
Der Most ist gut, und der Onkel Franz sagt das auch. Worauf der Birnbacher über seine Philosophie in Bezug auf Qualität und Sorgfalt bei der Herstellung zu referieren beginnt. Die umliegenden Supermärkte, aber vor allem das Fast-Food-Lokal beschimpft er im Anschluss leidenschaftlich. Umzingelt wäre man von diesen Ketten und der einzige Bauer, der außer ihm selbst hier noch die Stellung hält, der Haslinger, der sei ein Vollidiot, wie er im Buche steht.
„Hört sich nicht grad nach guter Nachbarschaft an“, versucht der Albert den Wirt zum Weiterreden zu bringen, „hast’ Probleme mit ihm?“
Der Birnbacher wirft ihm einen scharfen Blick zu, scheint nachzudenken, wie er auf diese direkte Frage reagieren soll. Der Onkel befürchtet schon, dass der Vorstoß vom Albert zu plump war und nun gar nichts mehr aus dem anderen herauszubekommen wäre. Wahrscheinlich schmeißt er uns jetzt gleich raus, denkt er sich gerade, als der Birnbacher doch wieder zu reden beginnt. Von seiner Frau erzählt er und wie sie zusammengekommen sind. Der Haslinger hat es ihm nie verziehen, dass er ihm die Karin ausgespannt hat, das könne er natürlich verstehen. Aber irgendwann, habe er sich gedacht, müsse auch wieder einmal eine Ruh sein. Aber von wegen. Der Nachbar habe ihnen ihr Glück nicht gegönnt und sie mit seinen Blödheiten sekkiert, wo er nur konnte. Sei es, dass er absichtlich seinen Mist genau dann an der Grundgrenze ausgebracht hat, wenn der Wind gerade in Richtung des Gastgartens stand und somit die Gäste ausgeblieben sind, oder dass er dubiose Wegerechte erfand und geltend machen wollte, die die Zufahrt zur Mostschänke verhindert hätten. Selbst vor Urkundenfälschung habe er dabei nicht zurückgeschreckt.
Dem Onkel Franz liegt nun schon länger eine Frage auf der Zunge. Nämlich die, ob an der Vermutung der Resi, dass die Birnbacherin wieder bei ihrem ersten Mann sein könnte, etwas dran ist. Er schluckt sie aber hinunter, diese Frage. Erstens, weil er keine Idee hat, wie er sie halbwegs diplomatisch formulieren soll, und zweitens, weil er selbst nicht mehr so recht daran glaubt. Denn die Frau hätte sich dann ja tagelang in unmittelbarer Nachbarschaft versteckt. Unwahrscheinlich. Sollte sie wirklich wieder mit dem Haslinger beisammen sein wollen, müsste sie sich ohnehin früher oder später zeigen. Währen dieser Überlegungen fällt der Blick des Onkels auf den Albert. Und weil er seinen Spezi gut kennt und dessen Mimik befürchten lässt, dass dieser nun seinerseits gerade drauf und dran ist, dem Wirt eben jene oder eine ähnliche Frage zu stellen, greift er ein. Und nimmt einen Gedanken auf, der ihm kurz zuvor gekommen ist.
„Eine Kellnerin wüsst’ ich schon“, sagt er zum Birnbacher, „zumindest für die nächste Woche. Die Resi vom Egger. Der hat nämlich ab übermorgen Betriebsurlaub. Wenn dir das helfen tät, red ich mit ihr.“
Die Mine des anderen hellt sich etwas auf.
„Und ob mir das helfen würd. Bis in einer Woche find ich vielleicht Ersatz. Oder die Karin ist dann wieder …“ Er spricht den Satz nicht zu Ende und starrt wieder düster ins Leere.
„Ich, beim Birnbacher, dem alten Grantler? Das kannst vergessen.“
Die Resi schüttelt energisch den Kopf. „Außerdem hab ich mir auch einmal einen Urlaub verdient, oder nicht?“
„Geh, Resi“, versucht der Onkel Franz die Kellnerin von seiner Idee zu überzeugen, „jetzt sag schon ja. Schließlich hast du uns ja den Floh ins Ohr gesetzt.“
Die Resi stellt das Tablett mit den zwei Biergläsern ab und stemmt die Hände in die Hüften.
„Einen Floh, ich? Welchen Floh?“
„Naja, dass da was nicht stimmt bei den zwei Bauern. Und mit dem Verschwinden der Wirtin. Der Albert und ich, wir können ja schlecht jeden Tag hingehen. Würd wahrscheinlich auch nix bringen. Aber wenn du jetzt dort ein paar Tage aushilfst, da könnt es schon sein, dass du was mitkriegst. Sozusagen in geheimer Mission.“
„Ja, genau“, wirft der Albert als Freund amerikanischer Krimi-Serien ein, „under cover quasi.“
„Ja, sonst noch was.“ Die Kellnerin ist nicht begeistert. „Under cover-Resi, ich glaub, ihr spinnts ein bisserl!“
Der Onkel greift zu einer List. „Bist’ gar nicht neugierig?“
„Ich? Neugierig?“ Die Resi tut entrüstet. „Keine Spur. War ich noch nie. Aber hast recht, Franz, wissen möcht ich’s schon, was da los ist.“
5
Die Resi hat ihr schönstes Dirndl angezogen und beim Friseur war sie auch. Fesch ist sie. Jetzt nicht im Sinne von schön. Schön war sie nie, auch nicht als junges Mädel. Von jeher hager in Gesicht und Statur ist sie auch jetzt, da sie das Pensionsalter längst erreicht hat, noch immer alles andere als üppig. Das Dirndlkleid ist ihr nicht nur im Beruf das liebste Kleidungsstück, auch außerhalb der Arbeitszeit sieht man sie in dieser Tracht. So ein Dirndl bringt ja das Kunststück zustande, beinahe jeder Trägerin zu schmeicheln. Dort, wo zu viel Fraulichkeit ist, kaschiert es, wo diese Attribute kaum vorhanden sind, werden sie geschickt vorgetäuscht. Die Resi gehört, wie schon bemerkt, zweiterer Gruppe an. Dazu ein resches, bestimmendes Wesen, erworben in jahrzehntelanger Serviertätigkeit. Ehe- und kinderlos geblieben, hat sie sich immer behaupten müssen unter ihren meist männlichen Gästen. Denn es herrscht ein liebevoll rauer Ton an den Innviertler Stammtischen.
„Drei Most, ein Speckbrot, zweimal Jause. Prost Mahlzeit, die Herren!“, kommentiert sie das Servierte und rauscht mit dem leeren Tablett zurück zur Schank, wo der Birnbacher die nächsten Bestellungen vorbereitet. Der Gastgarten der Mostschänke ist an ihrem ersten Arbeitstag brechend voll. Beim Egger-Wirt ist ja urlaubsbedingt zu, und es hat sich auch schon herumgesprochen im Ort, dass die Resi arbeitsmäßig fremdgeht. Das will man sich anschauen. Außerdem ist strahlend schönes Wetter.
Wie schon mit seiner Frau praktiziert der Wirt nun auch mit der Aushilfskellnerin die gewohnte Arbeitsteilung. Er schenkt ein und richtet die Speisen, die Resi bringt alles an die Tische, räumt ab und kassiert. Nur ab und zu, dann, wenn ein Tablett mit vollen Gläsern und Tellern bereits auf Abholung wartet, die Kellnerin aber noch draußen zu tun hat, bringt es der Birnbacher selbst hinaus. So wie gerade eben. Kredenzt den Gästen das Gewünschte und wechselt ein paar Sätze mit ihnen. Die neue Servierkraft wird gelobt, genauso Most und Jause. Josef Birnbachers Laune hat sich seit der Ankunft der Resi langsam, aber stetig gebessert. Entgegen seiner Befürchtung, dass die Neue erst eingearbeitet werden muss, bis der Ablauf halbwegs hinhaut, funktioniert der Betrieb von Anfang an wie geschmiert. Auch der Andrang an Gästen ist erfreulich, die Kasse klingelt.
Vom Nebentisch ruft man ihm nun eine Bestellung zu und der Wirt will diese sogleich an die Resi weitergeben. Er blickt sich um, kann sie aber nirgends im Garten entdecken. Wird wohl schon wieder nach drinnen gegangen sein. Stimmt, erinnert sich der Birnbacher, als ich raus bin, ist sie ja mit einer ganzen Batterie leerer Mostkrüge an mir vorbei. Schnell geht er ins Haus. Die leeren Krüge stehen auf der Schank, aber von der Resi ist nichts zu sehen. Allerdings steht der Schlüsselkasten an der Wand offen, der Schlüssel zum Mostkeller fehlt. Auch die Tür, hinter der die Kellerstiege beginnt, ist offen, im Abgang brennt Licht. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stürmt der Birnbacher die Stiege hinunter, fast wäre er gestolpert.
Die Resi ist gerade dabei, die alte, schmiedeeiserne Tür zum Mostkeller aufzusperren. Als sie den Schlüssel im Schloss drehen will, drängt sich der Wirt an ihr vorbei, und nimmt sie unsanft beim Handgelenk.
„Was wird das?“, herrscht er sie an, „wer hat dir gesagt, dass du in den Keller gehen sollst? Da herunten hat keiner außer mir was verloren!“
„Na, na, na, nicht so grob!“, schnappt die Resi, „einen Most wollt ich holen, weil oben alles leer ist. Hab ja nicht gewusst, dass dein Keller so heilig ist.“
„Ja, entschuldige“, beruhigt sich der Birnbacher wieder etwas, „da bin ich halt eigen mit meinen Fassln und Flaschen. Am Ende nimmst die falschen, das ist alles genau sortiert. Geh wieder rauf, ich bring gleich Nachschub.“
Er sperrt auf und wartet noch, bis die Resi oben kopfschüttelnd die Tür hinter sich zugemacht hat. Erst dann öffnet er den Eingang zu seinem Allerheiligsten und schlüpft hinein.
Der Rachbauer Kevin schaut den Onkel Franz zweifelnd an.
„Einen Film? Mit dem Handy? Du, Opa?“
Der Bub nennt ihn immer Opa, Großonkel ist ihm zu kompliziert.
„Aber geh, nein“, erklärt der Albert, „den hab ich gemacht, das ist mein Telefon. Und das war auch meine Idee, dass du uns vielleicht helfen könntest. Wo du doch jetzt in die HTL gehst.“
Sie stehen im Kellerstüberl der Rachbauers, das ist vollgestopft mit allerhand Computern und Bildschirmen. Auf einer Art Werkbank häufen sich diverse Elektronikbauteile und Kabel, auch einen Lötkolben gibt es. Der Kevin war schon immer ein Bastler, und seit er die höhere Lehranstalt für Elektronik und Informationstechnologie besucht, hat er sich ganz dem Digitalen verschrieben. Drum auch der Vorschlag vom Albert, den Buben zu fragen, ob er das Handy-Video, dass er vom Haslinger und dem Kirov gemacht hat, etwas bearbeiten könnte. Und zwar so, dass man vielleicht zumindest Teile dessen, was da gesprochen wurde, verstehen könne.
Der Onkel Franz war zuerst dagegen. Er hegte nämlich die Befürchtung, dass die Mutter des kleinen Elektronik-Genies davon Wind bekommen könnte und die es wiederum ihrer Tante auf die Nase binden würde. Und mit der ist er nun einmal verheiratet. Und was seine Frau dazu sagen würde, wenn sie erführe, welche Vögel er und der Albert in Wirklichkeit beobachtet haben, mag er sich gar nicht vorstellen. Als ihm aber dann eingefallen ist, dass der Bub momentan Schlüsselkind ist, weil seine Mutter gerade irgendwo auf Fortbildung unterwegs ist, und der Albert keine Ruhe geben wollte, hat er schließlich zugestimmt.
Und so sitzen sie nun also nebeneinander auf der alten Couch, auf die sie der Kevin verbannt hat. Am Anfang haben die beiden nämlich noch bei jedem Handgriff, den der Bub getätigt hat, allerhand Zwischenfragen gestellt. Ob’s schon funktioniert, was er grad macht, wie lang es noch dauert und Ähnliches. Bis er sie höflich gebeten hat, ihn in Ruhe zu lassen, sonst werde das nix. Dem Albert fällt das Stillsitzen besonders schwer, immer wieder reckt er den Hals, um dem Fachschüler über die Schulter zu schauen. Der hat das Mobiltelefon mit seinem Rechner verbunden und die Video-Datei in ein dementsprechendes Programm geladen. Auf dem Bildschirm sind jetzt verschiedenfarbige Tonspuren zu sehen, in die der Bub die Aufnahme zerlegt hat.
„Was machst jetzt?“, kann sich der Albert nicht zurückhalten.
„Geht’s? Hört man was?“
„Ich bitte um Ruhe“, murmelt der Kevin, „hab’s gleich. Muss nur noch schauen, ob ich das komische Geräusch da rausfiltern kann. Was ist denn das? Wart, ich dreh’s einmal lauter.“
Aus den Lautsprechern tönt jetzt ein langgezogenes „Tschagummtschagumm“, so eine Art Schmatzgeräusch.
„Auweh“, sagt der Onkel Franz, „ich fürcht’, das bin ich. Also ich und meine Essigwurscht.“
Der Albert wirft ihm einen tadelnden Blick zu.
„Ich hab’s ja g’sagt. Was musst’ auch immer essen. Jetzt hast womöglich die ganze Aufnahme ruiniert.“
„Nein, nein, geht schon“, beruhigt ihn der Bub, „das krieg ich raus. So, jetzt. Jetzt versteht man was.“
Bevor sie gegangen sind, hat der Onkel Franz dem Rachbauer Kevin noch das Versprechen abgenommen, niemandem von der Sache zu erzählen. Er steckt dem Großneffen auch sonst öfter mal etwas Taschengeld zu, diesmal ist es ein bisserl mehr geworden. Elektronik ist teuer. Und Gott sei Dank auch das Einzige, was den Buben interessiert. Trotz des halbwegs brisanten Bild- und Tonmaterials, das er für die beiden Hobby-Detektive bearbeitet hat, stellte er keinerlei Fragen über Herkunft und Sinn des Ganzen. Scheinbar interessiert ihn tatsächlich nur die technische Seite daran, die Tatsache, dass er in der Lage gewesen ist, die ihm gestellte Aufgabe zu lösen. Das sowie das Bestechungsgeld des Onkels lassen also hoffen, dass der Bub die Sache für sich behalten wird.
Im Gastgarten vom Bürgerbräu auf dem Stadtplatz, wo sich die beiden nun auf ein Bier niedergelassen haben, ist gerade nichts los. So können sie die Aufnahme mit dem jetzt gefilterten Ton noch einmal in Ruhe und unbeobachtet analysieren. Der Kevin hat ganze Arbeit geleistet, man versteht nun beinahe jedes Wort. Und was sich daraus offenbart, ist durchaus interessant. Der Kirov Wickerl, vulgo Boris, fordert in einem seltsamen, pseudorussischen Akzent Geld, das ihm der Haslinger noch schulden würde. Aus irgendwelchen gemeinsamen Anlagegeschäften, die wohl schiefgegangen sind. Das, was ihm der dann übergibt, ist anscheinend viel zu wenig. Daraufhin zieht Kirov sein Messer, droht es zu benutzen und beschimpft den Bauern. Der beteuert, nicht mehr aufbringen zu können. Dann müsse er eben jetzt endlich Hof und Grund an die Russen verkaufen, schreit ihn der andere an, dann könne er auch seine Schulden bezahlen. „An die russische Immobilienmafia, niemals!“, schreit der Haslinger zurück. „Eher bring ich mich um!“
Das könne er ruhig machen, gibt Kirov zur Antwort, aber vorher solle er noch den Kaufvertrag unterschreiben. Den Nachbarbauern habe man auch schon bald so weit. Den Russen sei jedes Mittel recht, er solle bloß aufpassen.
„Ich glaub’s ja nicht, jetzt schauen die Pensionisten auch schon You-Tube-Videos. Was gibt’s denn Interessantes?“
Plötzlich ist der Hausleitner wie aus dem Nichts hinter den beiden aufgetaucht. Der Albert steckt sofort das Handy weg.
„Ach, nix. Nur so ein Ding, so ein Film, den mir der Ding geschickt hat, der …“
Der Polizist lacht. „Ja, passt schon, geht mich eh nichts an, bin ja nicht deine Frau. Aber, darf ich mich hersetzen? Ich hab jetzt Dienstschluss, da wär so eine Halbe grad recht.“
Eine Antwort wartet der Polizist gar nicht erst ab und zieht sich vom Nachbartisch einen Stuhl heran. Dann gibt er der Kellnerin ein Zeichen, die serviert ihm kurz darauf ein Krügerl Bier.
„Prost, meine Herren! Auf die Feierabend-Halbe hab ich mich heut besonders gefreut. Nach der ganzen trockenen Protokoll-Schreiberei.“
Die drei stoßen an und trinken. Nachdem sich der Hausleitner den Schaum aus dem Polizisten-Schnauzer gewischt hat, beginnt er wie gewohnt, indiskret Amtsgeheimnisse auszuplaudern. Nur ab und zu muss ihn der Onkel Franz mit geschickt gestellten Zwischenfragen zum Weiterreden ermuntern.
„Stellt euch vor, der Birnbacher hat die letzten Tage ständig angerufen, dass wir endlich was unternehmen sollen. Wegen dem Verschwinden seiner Frau. Was wir denn noch tun sollen, hab ich ihn gefragt, wir haben ja mittlerweile eh ihre Personenbeschreibung an alle Dienststellen weitergegeben. Ich glaub nach wie vor, dass sie ihm davon ist, dem alten Grantler. Er hat aber gemeint, wir sollen seinen Nachbarn befragen. Der hätte vielleicht was zu tun mit dem Ganzen. Kann ich mir zwar nicht vorstellen, hab ich gesagt, aber damit er eine Ruh gibt, bin ich dann halt hin zum Hof vom Haslinger. So, und das war jetzt ein bisserl komisch. Keiner daheim, die Türen sperrangelweit offen. Zuerst bin ich einmal rund ums Haus, hab ihn ein paar Mal gerufen, nix. Im Stall war ich, im Schuppen, überall. Dann bin ich also doch ins Haus rein, in die Stube. Auch da keine Spur vom Haslinger. Dafür hat’s ziemlich wild ausgeschaut. Ein Stuhl umgeschmissen, Laden herausgezogen, allerhand Zeug verstreut. Und auf dem Boden ein paar dunkle Tropfen, womöglich Blut. Nicht viel, aber genug, dass ich jetzt seitenweise Protokoll schreiben hab müssen. Hab nämlich dann dummerweise meinen Chef angerufen. Der hat gemeint, da könnt was passiert sein und hat mir gleich ein paar Kollegen geschickt. Mit denen hab ich dann noch das ganze Haus durchsuchen müssen, vom Keller bis zum Dach. Aber nix, keiner da. Der Chef sagt, das muss sich die Kriminalgruppe anschauen. Wenn ihr mich fragt, viel Lärm um nichts. Die paar Tropferl auf’m Boden, das kann Nasenbluten auch gewesen sein und beim Haslinger, dem Chaoten, schaut’s sicher immer so aus. Der taucht bald wieder auf, sag ich, aber der Chef ist anderer Meinung. Was soll man machen, der Ober sticht den Unter, wie ich immer sag. Jetzt müssen wir halt den Kürbisbauern auch noch suchen. Als ob ich nicht schon genug Arbeit hätt.“
Der Onkel Franz und der Albert schauen sich bedeutungsvoll an. In ihren beiden Köpfen spielt sich wohl gerade dasselbe ab. Das Streitgespräch des Mostbauern mit seiner Frau, die neuen Informationen vom Handy-Video und der Bericht vom Hausleitner eben ergeben zusammen allerhand Stoff für Mutmaßungen. Sollten die ominösen Immobilien-Russen die vom Kirov Wickerl angedrohten Konsequenzen gezogen haben? Sollte hier tatsächlich derart massives Interesse am Grund der beiden letzten Bauern im Speckgürtel der Stadt bestehen, dass man auch vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt? Und wenn ja, haben dann diese Leute auch etwas mit dem Verschwinden der Birnbacherin zu tun? Und vor allem, soll man diese Gedanken dem Hausleitner mitteilen? Diesmal neigt der Onkel dazu, der Albert eindeutig nicht, das steht ihm ins Gesicht geschrieben. Zusätzlich steigt er seinem Spezi unterm Tisch auch noch dezent auf den Fuß. Das alles kriegt der redselige Polizist nicht mit. Nachdem er genussvoll sein Krügerl geleert hat, begleicht er seine Zeche und verabschiedet sich.
„Servus Franzl, bis bald einmal beim Egger-Wirt, wenn der wieder offen hat, und dir, Albert, noch viel Spaß mit deine Filmerl. Pass halt auf, dass dich deine Frau nicht damit erwischt.“
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