Kitabı oku: «Die Rechte des Verletzten im Strafprozess», sayfa 7

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Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › XIII. Weitere Gesetze

XIII. Weitere Gesetze

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Diese wesentlichen Entwicklungslinien im Bereich der Verletztenrechte wurde natürlich auch von weiteren Gesetzen umrahmt, in denen ebenfalls Vorschriften zum Schutz des Verletzten enthalten waren. Dazu gehört bspw. das sog. „Zeugenschutzharmonierungsgesetz“ vom 11.12.2001[1], in dem besondere Zeugenschutzmaßnahmen, etwa das Verschaffen einer Tarnidentität, geregelt war. Das „Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten“ vom 24.10.2006[2] sah bessere Möglichkeiten zu Gunsten des Verletzten vor, Ersatz für materielle Schäden zu erhalten. Das „3. Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes“ vom 25.6.2009[3] erweiterte den Anwendungsbereich dahingehend, dass Verletzte von im Ausland erlittenen Gewalttaten in Umsetzung der EU-Richtlinie 2004/80/EG bessergestellt wurden.

Anmerkungen

[1]

BGBl. I, 3510 v. 17.12.2001.

[2]

BGBl. I, 2350 v. 30.10.2006.

[3]

BGBl. I, 1580 v. 30.6.2009.

Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten

Inhaltsverzeichnis

I. Begriff Verletzter – Opfer

II. Situation des Verletzten nach der Straftat

III. Verletztenanwalt – Strafverteidiger – Fachanwalt

IV. Mandatsübernahme – Aufklärung der Mandantschaft – Glaubhaftigkeitsgutachten

V. Betreuung der Mandanten – Hilfsorganisationen

VI. Verhalten des Verletzten während der Hauptverhandlung

VII. Umgang mit den Medien

VIII. Kosten – Rechtsanwaltsvergütung

Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten › I. Begriff Verletzter – Opfer

I. Begriff Verletzter – Opfer

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Die Suche nach einem einheitlichen Rechtsbegriff des Verletzten ist bislang erfolglos geblieben. Unterschieden wird zwischen dem engen Verletztenbegriff, der gewissermaßen das Spiegelbild des Rechtsgutträgers darstellt, und einem weitergehenden Verletztenbegriff, wonach Verletzter jede natürliche oder juristische Person sein kann, deren Interessen bzw. Rechtsgüter zumindest mittelbar durch die Straftat betroffen sind bzw. in die eingegriffen wird.[1] Zum Teil wird dieser weite Verletztenbegriff aber wieder dahingehend eingeschränkt, dass die verletzte Norm jedenfalls auch dem Schutz des Betroffenen dienen muss.[2] Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Verletzter ist, wer durch die Straftat in seinem persönlichen Rechtskreis betroffen ist.[3]

Die Begriffe „Verletzter“ und „Opfer“ werden dabei weitgehend synonym gebraucht, wobei der Begriff „Opfer“ stark viktimologisch geprägt und emotional aufgeladen ist. Zudem weist er mehr in die Richtung von prozessualen Abwehrrechten und gerichtlicher Fürsorgepflicht bzw. unterstreicht die besondere staatliche Verantwortung, Eingriffe in die Sphäre des Verletzten möglichst gering zu halten und auf ein absolutes Mindestmaß zu reduzieren[4]. Trotzdem muss der Verletzte, der in seiner Zeugeneigenschaft für Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung als zentrales Beweismittel des Strafverfahrens und Quelle für die Erforschung der Wahrheit fungiert, prozessual in dieser Zeugenrolle bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verbleiben.

Obwohl der Gesetzgeber zwischenzeitlich in mehreren sogenannten „Opferschutzgesetzen“ insbesondere die Bestimmungen der StPO sowie des GVG umfangreich ergänzt und erweitert hat, findet sich dort der Begriff des „Opfers“ – mit Ausnahme im Zusammenhang mit dem sog. „Täter-Opfer-Ausgleich“ – nicht. Stattdessen wird weitgehend vom „Verletzten“ gesprochen. Angesichts einer ohnehin emotional sehr aufgeladenen Debatte, die bedauerlicherweise zum Teil die erforderliche Objektivität und Sachlichkeit vermissen lässt, sofern es um die Begründung bzw. Rechtfertigung von Teilhaberechten des Verletzten am Strafprozess geht, tut eine Objektivierung und Versachlichung not, da auf diese Weise der einzelne Betroffene aus dem normativ und emotional aufgeladenen Kontext der Opferstellung herausgelöst und der Blick auf den eigentlichen Kern des Strafrechts, nämlich den Schutz von Rechtsgütern[5], fokussiert werden kann.

Mit Blick auf die europäische Ebene ergibt sich aus der sog. „EU-Opferschutzrichtlinie“[6] in Art. 2 Ziff. 1 lit. a ein Opfer- bzw. Verletztenbegriff, der zumindest im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung mittelbare Auswirkung auf das deutsche Strafverfahrensrecht und auch dessen Sprachgebrauch entfaltet. Demnach können „Opfer“ alle natürlichen Personen sein, die eine körperliche, geistige oder seelische Schädigung oder einen wirtschaftlichen Verlust, der direkte Folge einer Straftat war, erlitten haben. Aber auch Familienangehörige einer Person, deren Tod eine direkte Folge einer Straftat ist und die durch den Tod dieser Person eine Schädigung erlitten haben, fallen darunter[7]. Eine zusätzliche Erweiterung erfährt der Begriff der Familienangehörigkeit durch Art. 2 Ziff. 1 lit. b, wonach nicht nur der Ehepartner des Opfers erfasst ist, sondern auch diejenige Person, die mit dem Opfer stabil und dauerhaft in einer festen intimen Lebensgemeinschaft zusammenlebt und mit diesem einen gemeinsamen Haushalt führte, sowie darüber hinaus Angehörige in direkter Linie, die Geschwister sowie die Unterhaltsberechtigten des Verletzten. Damit werden von der „EU-Opferschutzrichtlinie“ auch gleich- bzw. verschiedengeschlechtliche nichteheliche Lebenspartner erfasst[8].

Anmerkungen

[1]

M-G/S StPO § 406d Rn. 2; Pfeiffer StPO § 406d Rn. 1; HK-StPO/Kurth/Pollähne § 406d Rn. 2; BeckOK-StPO/Weiner § 406d Rn. 1.

[2]

SK-StPO/Velten Vor § 406d Rn. 5; KMR-StPO/Stöckel § 406d Rn. 11.

[3]

vgl. dazu Jung ZStW 1981, 1147-1176 m.w.H.

[4]

Jung ZStW 93 (1981), S. 1147.

[5]

Vgl. dazu auch Zöller in FS Paeffgen S. 719, 722 f.; Anders ZStW, 124 (2012), S. 378 f.

[6]

Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des

Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ABl. L315, 57 v. 14.11.2012).

[7]

Vgl. dazu auch die Erwägungsgründe 16 ff. der Richtlinie sowie Zöller in FS Paeffgen S. 722 f.

[8]

Bock ZIS 2013, 201, 205; Daimagüler Der Verletzte im Strafverfahren, Rn. 898.

Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten › II. Situation des Verletzten nach der Straftat

II. Situation des Verletzten nach der Straftat

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Durch eine Straftat wird nicht nur in Persönlichkeitsrechte des Verletzten eingegriffen. Oft sind auch die weiteren Tatfolgen für die betroffene Person ganz erheblich: So sind bei bestimmten Betroffenen große persönliche Verunsicherung sowie tiefgreifende psychische Destabilisierung bis hin zu lebenslang bleibenden Schäden festzustellen. Eine Linderung oder Bewältigung dieser Viktimisierungsfolgen[1] hängt oft nicht so sehr von der strafrechtlichen Bedeutung und Bewertung des Geschehens ab, sondern von verschiedenen psychischen und sozialen Faktoren in der Person des Betroffenen selbst bzw. seiner konkreten Lebenssituation.[2] So lösen die Folgen eines Wohnungseinbruchs, insbesondere bei gleichzeitigem Vandalismus, bei den Betroffenen oft große Unsicherheit und Ängste aus, die kaum oder nur schwer überwunden werden können. Vor allem aber sind es Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Gewaltdelikte, deren traumatische Folgen oftmals nur aufgrund ebenso schneller wie intensiver Beratung und Unterstützung sowie einer umfassenden Aufarbeitung beseitigt oder zumindest möglichst gering gehalten werden können. Während die materiellen Schäden zumeist zeitnah kompensiert werden können, dauern die psychischen Schäden noch längere Zeit an und können auch das soziale Umfeld, allen voran die weiteren Familienangehörigen des Betroffenen, nachhaltig beeinflussen. Dieser besonderen Situation des Verletzten muss daher seitens aller Verfahrensbeteiligter in ihrem Handeln außerhalb und innerhalb des Strafprozesses Rechnung getragen und auch in die jeweiligen taktischen Überlegungen mit einbezogen werden. Dies gilt natürlich vor allem für den Strafverteidiger, aber nicht zuletzt auch für den anwaltlichen Beistand des Verletzten.

Die traumatischen und posttraumatischen Belastungsstörungen sind in vielen Fällen nur mit intensiver Betreuung durch Beratungsstellen, Therapieeinrichtungen und medizinischer Behandlung aufzufangen. Die Beratung von Betroffenen, Zeugenbetreuung und finanzielle Unterstützung sind Aufgabenbereiche, denen sich staatliche und private Einrichtungen angenommen haben.[3]

Anmerkungen

[1]

Vgl. dazu aber auch kritisch Kölbel/Bork Sekundäre Viktimisierung als Legitimationsformel, 9 ff., 38 f., 75 ff.; Volbert Ambivalenzen der Opferzuwendung, S. 197 ff.; Kölbel Ambivalenzen der Opferzuwendung, S. 213 ff.; Tolmein Ambivalenzen der Opferzuwendung, S. 233 ff.; Pfäfflin StV 97, 95 ff.; Haverkamp Forum Kriminalprävention, 46, 48 a.E. sowie Fn. 50; Maaß Der Schutz besonders sensibler Zeugen, S. 17 ff.

[2]

So auch Haupt/Weber u.a. Handbuch Opferschutz; Kölbel/Bork Sekundäre Viktimisierung als Legitimationsformel.

[3]

Vgl. hierzu auch Anhang 1 mit einer Liste von staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen und Hilfsorganisationen sowie Anhang 2 mit Zeugenberatungsstellen.

Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten › III. Verletztenanwalt – Strafverteidiger – Fachanwalt

III. Verletztenanwalt – Strafverteidiger – Fachanwalt

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Anwaltliche Vertretung steht auch dem von einer Straftat Betroffenen zu. Neben der freien Wahl eines Rechtsanwalts, die natürlich mit finanziellen Belastungen verbunden ist – zumindest sein kann –, hat der Verletzte in bestimmten Fällen von Gesetzes wegen den Anspruch auf einen Rechtsanwalt, der ihm auf Staatskosten beigeordnet wird. Dieser Verletztenanwalt hat sich vorrangig der Interessen des von einer Straftat Betroffenen anzunehmen, kann schon in einem frühen Verfahrensstadium prozessuale Rechte des Verletzten wahrnehmen und auf diese Weise neben der Betreuung seines Mandanten und seiner Angehörigen auch inhaltlich auf das Ermittlungs- und Strafverfahren Einfluss nehmen. Mit der Hervorhebung der Rolle als anwaltlicher Vertreter des Verletzten steigt die Verantwortung für den Verletzten – aber auch für das Prozessgeschehen. Die Zeiten, in denen beispielsweise der Nebenklägervertreter nur mehr oder weniger schmuckes Beiwerk des Strafprozesses war und sich meistens nur mit kurzen Worten den Anträgen und Ausführungen der Staatsanwaltschaft angeschlossen hat, gehören mit den neuen Rechten – aber auch Pflichten – der Vergangenheit an. Insbesondere die Aufgaben, die dem anwaltlichen Vertreter im Adhäsionsverfahren angetragen sind, erfordern viel Engagement, zusätzliches Fachwissen und taktisches Verständnis.

Hinweis

Wie der Strafverteidiger, der bei der Verteidigung seines Mandanten auch die Belange des Verletzten in seine Überlegungen mit einzubeziehen hat, ist der Verletztenanwalt seinerseits gut beraten, die Rechte des Verletzten maßvoll und auf Augenhöhe wahrzunehmen und diese nicht durch überzogenes Handeln und Auftreten vor Gericht zu schmälern oder gar zu verspielen.

Verantwortungsbewusstes Verhalten gegenüber dem Mandanten und dessen fach- und sachkundige Interessenvertretung im Strafprozess gilt sowohl für den Verteidiger als auch für den Verletztenanwalt. In beiden Fällen wird eine zusätzliche Qualifikation als „Fachanwalt für Strafrecht“ dringend angezeigt sein. Dass die Fachanwaltsbezeichnung auch einem Rechtsanwalt zu verleihen ist, der überwiegend als Verletztenanwalt auftritt, hat der Anwaltsgerichtshof beim BGH bereits vor Jahren entschieden[1]. Bei der derzeitigen Entwicklung und Fortschreitung der Opferrechte wurde bereits mehrfach die Frage aufgeworfen, ob man nicht einen „Fachanwalt für Opferrechte“ brauche.[2] Diesem Ansinnen ist jedoch nach hiesiger Auffassung entgegenzutreten, jedenfalls dann, wenn diese Diskussion in Bezug auf die Vertretung des Verletzten im Strafverfahren geführt wird. Anders als beispielsweise im Zivilrecht, bei dem es verschiedene Fachanwaltstitel gibt, die ein eigenständiges Rechtsgebiet innerhalb des Zivilrechts darstellen und sich vergleichsweise trennscharf voneinander abgrenzen lassen[3], besteht auf dem Gebiet des Strafrechts hingegen zu Recht ein einheitlicher Fachanwaltstitel, nachdem das gesamte Strafrecht insgesamt mit- und ineinander verzahnt ist und einzelne Bereiche kaum sinnvoll voneinander getrennt und abgegrenzt werden können. Mit der gleichen Berechtigung müsste andernfalls auch ein Fachanwalt für Betäubungsmittelstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht oder Sexualstrafrecht eingeführt werden. Im Rahmen der Diskussion ist zweifelsohne zutreffend, dass die anwaltliche Vertretung des Verletzten auch fundierte Kenntnisse außerhalb des Strafrechts erforderlich macht, so etwa im Bereich der Traumatologie, der Psychologie, des Familienrechts, des Sozialrechts oder auch der Mediation. Jedoch ist auch für den Verteidiger mehr als nur ein Blick über den Tellerrand erforderlich, um den eigenen Mandanten umfassend und sachgerecht beraten zu können. So sind je nach Mandat beispielsweise auch umfassende Kenntnisse im Bereich des Ausländer-, Beamten- oder Steuerrechts erforderlich. Letztlich scheint die Diskussion seitens der Befürworter eines entsprechenden Fachanwaltstitels möglicherweise auch allein aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus geführt zu werden, was jedoch keinesfalls einen auch nur ansatzweise legitimierenden Grund darstellen kann. Angezeigt erscheint indes die Forderung, im Rahmen der strafrechtlichen Fachanwaltsausbildung die Vertretung der Opferinteressen sowie den Blickwinkel des Verletzten deutlich stärker als bislang zu betonen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass es keineswegs der Fachanwalt für Strafverteidigung, sondern der Fachanwalt für Strafrecht ist, der in § 1 FAO erfasst ist.[4]

Anmerkungen

[1]

BGH Beschl. v. 8.11.2004 – AnwZ (B) 84/03 (AnwGH Baden-Württemberg).

[2]

Vgl. Barton StraFo 2011, 162; Peter StraFo 2013, 199ff.; vgl. auch Doering-Striening Opferrechte – Handbuch für den Opferanwalt; Kölbel/Bork Sekundäre Viktimisierung als Legitimationsformel.

[3]

Etwa Arbeitsrecht, Familienrecht oder Erbrecht.

[4]

Vgl. dazu auch Pollähne StV 2016, 673 f.; Peter StraFo 2013, 199 ff.; Doering-Striening Opferrechte – Handbuch für den Opferanwalt; Daimagüler Rn. 6; Burgsmüller Opfer im Blickpunkt, S. 176 f.; Barton Opfer im Blickpunkt, S. 36 f.

Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten › IV. Mandatsübernahme – Aufklärung der Mandantschaft – Glaubhaftigkeitsgutachten

IV. Mandatsübernahme – Aufklärung der Mandantschaft – Glaubhaftigkeitsgutachten

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Mit der Übernahme des Mandates nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Verletzten oder/und seinen Angehörigen wird zivilrechtlich ein Dienstvertrag gem. § 611 BGB geschlossen, dessen Inhalt eine Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB darstellt. Die Vorschriften des BGB finden daher Anwendung. Allerdings gelten für den die Verletzteninteressen vertretenden Rechtsanwalt als unabhängigem Organ der Rechtspflege zusätzliche Regelungen, die sich aus dem anwaltlichen Berufsrecht ergeben. Die Bundesrechtsanwaltsordnung und die dort geschaffene Berufsordnung muss stets Grundlage allen anwaltlichen Handelns sein. Über diese berufsrechtlichen Rahmenbedingungen hat der Verletztenanwalt selbstverständlich vollumfassend im Bilde zu sein – auch um im Gespräch mit dem Mandanten diesem die Möglichkeiten und Grenzen seiner Interessenvertretung aufzeigen zu können.[1] Darüber hinaus können die „Thesen zur Strafverteidigung“[2] nicht nur dem Strafverteidiger, sondern auch dem Verletztenvertreter hier zumindest in weiten Zügen eine gewichtige Orientierungshilfe bieten. Ebenso wenig wie der Strafverteidiger darf auch der Verletztenanwalt Ermittlungsorgane, Gerichte und die übrigen Verfahrensbeteiligten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen täuschen, den Sachverhalt zugunsten des Verletzten wissentlich verdunkeln, Beweismittel verfälschen oder vernichten oder sonst das Ermittlungsverfahren unrechtmäßig beeinflussen. Die Thesen 19 ff. der „Thesen zur Strafverteidigung“ gelten für den Verletztenanwalt daher sinngemäß. Die Vorschriften der Begünstigung (§ 257 StGB), der Strafvereitelung (§ 258 StGB) und des Parteiverrats (§ 356 StGB) gelten selbstverständlich in gleichem Umfang wie für den Strafverteidiger.[3] Bei Interessenkollision scheidet eine Mandatsübernahme aus[4]. Im Gegensatz zum Strafverteidiger kann der Verletztenanwalt allerdings in einer Angelegenheit mehrere Mandanten vertreten, sofern sich dort keine Interessenkollision ergeben sollte. § 146 StPO mit dem Verbot der Mehrfachverteidigung gilt für den Verletztenanwalt nämlich nicht. Dass der Rechtsanwalt nicht auf Verletzte zugehen und um Mandate unzulässigerweise werben darf, ergibt sich aus der Berufsordnung.

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Der Auftrag zur Mandatsübernahme kann allerdings auch von Dritten, insbesondere von Angehörigen, kommen. Die schriftliche Vollmacht und der Umfang der Vertretung sind sorgfältig zu fassen. Bei der Vertretung eines von einer Straftat Betroffenen empfiehlt es sich, die Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht gleichzeitig mit der Vollmacht unterzeichnen zu lassen.

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Wenn nach entsprechender Aufklärung des Mandanten das Mandat erteilt wird, sollte durch den Rechtsanwalt eine zeitnahe schriftliche Mandatsbestätigung erfolgen, in der nochmals der konkrete Umfang der Mandatierung beschrieben ist. Mandatsbedingungen ergänzen die Vollmacht und sind ebenfalls vom Mandanten zu unterschreiben. Es ist immer wieder erstaunlich, dass Rechtsanwälte, die den qualitativen Unterschied zwischen dem Zeugenbeweis und dem Urkundenbeweis kennen sollten, so wenig Gebrauch von einer Urkunde als Mandatsgrundlage machen.

→ Muster 1 ff., Rn. 521: Vollmacht, Entbindung von der ärztlichen und anwaltlichen Schweigepflicht

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Eine umfassende Aufklärung der Mandantschaft, also des Verletzten, sowie erforderlichenfalls auch der Angehörigen, des Betreuers und anderer in Betracht kommender Personen oder Institutionen wie etwa Hilfsorganisationen usw. gewährleistet die spätere Interessenvertretung des Betroffenen, die seiner Stellung im Strafprozess sowie seinen berechtigten Ansprüchen und Erwartungen entspricht. Es ist anzuraten, den Inhalt eines solchen Aufklärungsgesprächs schriftlich festzuhalten, damit später keine Missverständnisse aufkommen können. Der wesentliche Inhalt eines solchen Gesprächs, an dem auch die oben erwähnten Personen zugegen sein können, weil dieses noch nicht das Prozessverhalten, den Inhalt der Akten und die Vorbereitung der Zeugenaussage umfasst, sollte – unabhängig von individuellen Besonderheiten – folgende Themenkreise umfassen:


Person und Persönlichkeit des Mandanten;
sein soziales Umfeld, wie Familie, Beruf, Freundeskreis etc.;
seine mögliche Beziehung zu dem Täter und seinem Umfeld sowie
die erforderliche Abschirmung und den notwendigen Schutz;
die Folgen der Tat, körperlicher und seelischer Art sowie
die ausreichende Versorgung und Betreuung;
die Bereitschaft zur eventuell notwendigen Beweissicherung;
Glaubhaftigkeitsgutachten;
Stellung und Rechte im Ermittlungsverfahren und im Prozess;
Strafantragsfristen;
Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren;
Hinweis auf einen möglichen Täter-Opfer-Ausgleich;
je nach Fallsituation: Der Umgang mit den Medien;
Ziel der anwaltlichen Vertretung;
Kosten des Verfahrens und Anwaltskosten;
Einschaltung von Hilfsorganisationen, Opferschutzverbänden etc.;
Verhalten im Ermittlungsverfahren;
Klarstellung des Mandatsverhältnisses zwischen Verletztem und Anwalt.

→ Muster 2, Rn. 524: Checkliste für das Gespräch mit dem Verletzten

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Die weitergehenden inhaltlichen Gespräche mit dem Mandanten, die konkrete Sachverhaltsschilderung und die persönliche Beratung sollten hingegen – je nach der Einzelfallsituation – allein mit diesem unter Beachtung der Verschwiegenheitspflicht geführt werden, da die Anwesenheit Dritter deren Zeugenstellung begründen oder beeinträchtigen könnte. Es ist auch hier zu empfehlen, die Inhalte zu dokumentieren, aber in den Akten des Rechtsanwalts zu belassen, damit diese nicht durch Beweisanträge der Verteidigung oder Maßnahmen der Staatsanwaltschaft in den Prozess eingeführt werden können.

Möglicherweise ist es angesichts der individuellen Verletzungsfolgen und dem Leiden des Betroffenen für den anwaltlichen Berater sehr schwer, die für eine sachgerechte Interessenvertretung notwendige Distanz zum Mandanten zu wahren. Hier gilt aber Ähnliches wie im Verhältnis zwischen Strafverteidiger und Beschuldigten.

Hinweis

Nur mit ausreichender Distanz zum Verletzten und dem Geschehen ist der Verletztenanwalt in der Lage, glaubhaft seine Stellung als Interessenvertreter des Verletzten den übrigen Verfahrensbeteiligten gegenüber darzustellen und damit seiner anwaltlichen Pflicht gegenüber dem Mandanten zu genügen.

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Ist der Mandant der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, ist die Einschaltung eines versierten Dolmetschers – und gerade bei ausländischen Mandanten darüber hinaus oftmals die zusätzliche Auseinandersetzung mit dem kulturellen Hintergrund und dem persönlichen Umfeld des Verletzten – von besonderer Bedeutung. Auch die Einschaltung der Konsulate kann hier zur Unterstützung in Betracht kommen. Oft sind Dolmetscher in der Lage, insoweit weiterzuhelfen. Aber auch Kulturvereine, Religionsgemeinschaften oder das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg können Erkenntnisse vermitteln, die erforderlichenfalls durch Stellung entsprechender Beweisanträge in den Prozess eingebracht werden können.

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In schwierigen Verfahren, insbesondere in Sexualstrafverfahren oder in Fällen von Kindesmissbrauch, ist die Mandantschaft frühzeitig darüber aufzuklären, dass das spätere Einholen eines Glaubhaftigkeitsgutachtens in Betracht und dieser Gutachtenerstattung im weiteren Verlauf regelmäßig eine besondere Bedeutung zu kommen kann. Spätestens, wenn während des Ermittlungsverfahrens oder in der Hauptverhandlung von Amts wegen oder auf Antrag eines Prozessbeteiligten tatsächlich ein Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt werden soll, ist dies ausführlich mit dem Mandanten zu besprechen. Einem solchen Antrag gehen oft Fragen voraus, die den persönlichen Lebensbereich betreffen und dem Verletzten oder einem nahen Angehörigen zur Unehre gereichen können. Die Beachtung der Voraussetzungen von § 68a StPO ist eine der wesentlichen Aufgaben des Verletztenanwalts. Nur wenn es unerlässlich ist, solche Fragen zu beantworten, wird dieser ausnahmsweise eine Beantwortung zulassen. Dass für solche Fälle im Prozess ein Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit gestellt werden kann, muss der Rechtsanwalt, aber auch sein Mandant selbstverständlich wissen. Da im Gegensatz zum Angeklagten der Verletzte als Zeuge zur Sache aussagen muss – und dies wahrheitsgemäß –, hat der Verletztenanwalt eine gegenüber dem Strafverteidiger eingeschränktere Stellung im Strafprozess. Umso wichtiger sind daher fundierte Kenntnisse über die prozessualen Rechte des Verletzten.

Im persönlichen Gespräch mit dem Mandanten kann der Verletztenanwalt oftmals frühzeitig erkennen, ob und inwieweit die Aussage seines Mandanten glaubhaft ist. Vor falschen Angaben ist der Mandant daher ebenso zu warnen wie vor Übertreibungen oder gar Falschaussagen. Gerade Übertreibungen führen oft zu Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Anzeigenden und zu dessen Unglaubwürdigkeit. Eine möglichst sachliche Schilderung des Geschehens erleichtert auch dem Verletzten seine Aussage. Darauf kann und soll der Betroffene vorbereitet werden. Schließlich muss der Verletzte wissen, dass bei Glaubhaftigkeitsgutachten der Sachverständige auch als Zeuge zu den im Rahmen der Exploration gemachten Angaben in Betracht kommen kann. Eine Anwesenheit des anwaltlichen Vertreters bei der Exploration wird von den Sachverständigen regelmäßig nicht akzeptiert werden. Sie ist aber auch nicht anzuraten, um sich nicht dem Vorwurf einer versuchten Einflussnahme auszusetzen.

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Der Mandant, der sich weigert, ein Glaubhaftigkeitsgutachten über seine Aussage erstellen zu lassen, muss wissen, dass dies prozessentscheidend werden kann – und regelmäßig auch sein wird. Fundierte Kenntnisse über die Erstellung von Glaubhaftigkeitsgutachten sowie die höchstrichterlichen Anforderungen an solche Gutachtenerstattungen sollte der Verletztenanwalt daher unbedingt besitzen und seinen Mandanten darüber aufklären – ihn dabei allerdings nicht in unzulässiger Weise beeinflussen. Die weitergehende Auseinandersetzung mit der Auswahl des Sachverständigen und dem Inhalt des Gutachtens setzt voraus, dass sich der anwaltliche Vertreter des Betroffenen rechtzeitig über die Person des Gutachters und seine bisherigen Gutachtenerstattungen kundig macht.[5] Ferner sollte er dessen fachliche Kompetenz er- bzw. hinterfragen und erforderlichenfalls Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft bzw. im Rahmen der Hauptverhandlung auch mit dem Gericht halten. Erforderlichenfalls sind Gegenvorstellungen zu erheben.