Kitabı oku: «Der letzte Ball», sayfa 2
3.
Das Nickerchen war wohltuend gewesen, wenn auch unnötig. Er hatte eigentlich an Deck gehen und sich die Stadt noch einmal von der Seeseite anschauen wollen, war aber dann über dem Cognac ein wenig weggedöst. Dieser Ohrensessel lud aber auch geradezu dazu ein, die Sorgen des Alltags gegen einen sanften Schlummer der Vergessenheit einzutauschen. Dazu hatte ihn ein gedämpftes Brummen in den Schlaf versetzt, ein Brummen, das noch immer zu vernehmen war, und es schien ihm, als würde der Boden unter ihm vibrieren. Er tat dieses Gefühl der ihn stetig umgebenden, zittrigen Bewegung als Einbildung ab, als Überbleibsel seines wohltuenden Schlafes. Nun schloss er seine Kabine von außen ab, um erst einmal das Schiff zu erkunden. Ein kleiner Aperitif später an der Bar konnte nicht schaden und dann hätte er immer noch genügend Zeit, um sich vor dem Ablegen die Genoveser Bucht anzusehen.
Er ging den Gang hinab und beschloss, einfach seiner Lust und Laune zu folgen. Daher ging er nach rechts und fand hinter züchtig von roten Kordeln zurückgehaltenen Samtvorhängen einen Raum, der ihn an die Speisesäle der luxuriösesten Restaurants, in denen er mit Rimet diniert hatte, erinnerte. Säulen verzierten die hohen Wände, der Boden war wieder mit orientalischen Teppichen belegt, die Decke war mit einer Himmelsszene bemalt, in der kleine Engelchen frohlockend umherflatterten und in römischen Gewändern gekleidete Damen und Herren auf Diwanen Trauben verspeisten. Ein Ober deckte die Tische ein und verbeugte sich artig, als er Fischer hineintreten sah. In der Mitte des Saales führte eine breite Marmortreppe auf das nächste Deck hinauf und wie in Trance stieg Fischer nach oben, um festzustellen, dass das nächste Stockwerk mit demselben Pomp ausgestattet war, allerdings hier in diesem oberen Speisesaal die Farbe Grün vorherrschte. Die Tische waren in noch breiteren Abständen verteilt und die jeweiligen Außenwände wurden von einem Kamin verdeckt. Über dem Kamin auf der linken Seite prunkte ein wuchtiges Ölgemälde, welches einen stolzen Reiter in einer wilden Regennacht darstellte. Unter dem goldenen Rahmen befand sich ein Messingschild, auf dem der Name des Mannes stand: Conte Verde – der grüne Graf. Dies war offensichtlich der Saal für die besonders ehrenwerten Gäste, dachte sich Fischer und durchquerte den Raum, um an eine Treppe zu gelangen, die nach ein paar wenigen Stufen in einen weiteren Saal führte. Hier herrschten dezente, matte Farben vor, die schweren Wollteppiche, die auf dem blanken Parkett lagen, waren beige und an der Pforte, wieder hinter einem Vorhang, stand ein Steinengelchen, das eine Harfe spielte. Fischer befand sich im Musiksaal. Ein paar wenige Sitzecken standen an den Außenwänden des großen Saales, an dessen Ende, vor einem roten Vorhang, auf einer Bühne ein großer, schwarz glänzender Flügel prunkte. Am Boden der Bühne, auf Augenhöhe des Zuschauers, stand eine kleine Staffelei, in die ein Foto eines imposanten Mannes eingespannt war. Beim Näherkommen sah Fischer, dass das Plakat die kommenden Abende bewarb, an denen Fjodor Iwanowitsch Schaljapin seine Sangeskünste zum Besten geben sollte. Etwas kleiner darunter fand man noch den Namen von Marthe Nespoulos, ebenfalls eine Opernsängerin. Fischers anfängliche Sorge, dass die 16 Tage der Überfahrt ihm aufs Gemüt schlagen könnten, löste sich nach und nach in Luft auf. Er ging langsam, wie verzaubert, zurück in den Speisesaal, von dort aus wieder deckab in den ersten Speisesaal, den er durchquert hatte. Ihn überkam das Gefühl, dass er nun das ganze Schiff für sich entdecken wollte, wie ein Marco Polo, noch bevor die breite Masse auf das Schiff strömen würde. Beflügelt vom eigenen Unternehmungsgeist verließ er den Saal durch eine der hinteren Türen. Er musste sich, auch das stand auf seiner Agenda, noch unbedingt merken, was an Bord Backbord und was Steuerbord genannt wurde. Für ihn gab es zunächst nur rechts und links, aber bevor er zu lange über die Problematik sinnieren konnte, befand er sich in einem weiteren Flur, der Badezimmer für Damen anzeigte, die er fluchtartig mit einer Treppe nach unten zu umgehen versuchte.
Urplötzlich und unvermittelt überkam ihn eine seltsame Angst, nicht fassbar zunächst, eher wie ein Klumpen in der Magengegend, aber trotz des ihn umgebenen Pomps hatte er das Gefühl, von der samtigen Haut der Wände und Teppiche berührt und im Bauch des Wals erdrückt zu werden. Er musste wieder hoch, und zwar schnell. Er stürzte über die in der Mitte des Schiffes liegende Treppe zwei Stockwerke hoch, bis er, vorbei an weiteren Kabinen der ersten Klasse, eine Tür fand, hinter der ihm milchiges Tageslicht entgegenleuchtete. Dann stürzte er an die Reling und blickte hinaus aufs Mittelmeer, das in beruhigender Beständigkeit vor ihm schaukelte und gleichzeitig absolute Ruhe ausstrahlte. Er atmete tief durch und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Die Schiffsbesichtigung musste verschoben werden, das war ihm klar. So machte er sich auf den Weg zu seiner Kabine, diesmal allerdings an der Reling entlang, bis er am Bug eine Treppe nach unten fand, die ihn auf sein Deck führte. Schnell wollte er noch einen Blick auf die Genoveser Küste werfen, fand aber zu seiner anfänglichen Beunruhigung auf der anderen Seite (war es die Backbord- oder Steuerbordseite?) ebenfalls nur Meer vor sich. Erst jetzt wurde ihm klar, was es mit dem durchdringenden Brummen, das ihn seit dem Aufwachen begleitet hatte, auf sich hatte: Das Schiff hatte abgelegt. Er fühlte sich ein wenig betrogen, dabei allerdings auch schuldbewusst, so als ob er vorzeitig ejakuliert hätte. Es schien ihm, als habe er einen essentiellen Teil der vor ihm liegenden Reise verpasst. Aber Fischer wäre nicht Fischer, wenn er den Ärger über die verpasste Abfahrt nicht kurz und schnell abschütteln konnte. Er nahm einen tiefen Luftzug, mit dem er seine Lungen mit einer Prise Meersalz füllte und ging wieder ins Schiffsinnere. Dort angekommen sah er eine Familie an einer Treppe stehen. Trotz der sommerlichen Temperaturen hatten Mann, Frau und Kinder Mäntel an und ihre Blicke schienen leer und ausgemergelt. „Emigrati“ stand auf einem schlichten Metallschild, das über der Tür, durch die die Menschen stiegen, hing. Schnell marschierte Fischer in die entgegengesetzte Richtung, um zu seiner Kabine zu gelangen. Er hatte einen Plan, seiner seltsamen Stimmung Herr zu werden. Den Gang hinablaufend kam er an weiteren Gängen vorbei, lief nun entschlossen zu seiner erdachten Rettung, als er, nachdem er einen Quergang passiert hatte, plötzlich innehielt und sich langsam umdrehte. Vorsichtig schob er seinen Kopf um die Ecke. Er schluckte. Hielt den Atem still.
Moritz Fischer war in einem fürchterlichen Konflikt gefangen. Er wollte sich die Schweißtropfen, keineswegs durch körperliche Anstrengungen verursacht, vom Gesicht wischen, müsste dazu aber in sein Revers greifen, was ihn dazu bewegen würde, sich zu bewegen. Das aber wäre möglicherweise fatal, da es zu unerwünschten Geräuschen führen könnte. Das Bild, das sich vor ihm auftat, wollte er keinesfalls durch eine unbedachte Bewegung zerstören. Im Gegenteil, er wollte diesen Moment trotz seiner Unerfülltheit festhalten und sich das Gemälde, das sich vor ihm auftat, an die Wände seiner Erinnerung hängen. Eine recht junge Dame hatte sich einen der mit gold-rotem Samt bezogenen Stühle an die Gangwand gestellt und nestelte an einem Belüftungsschacht herum. Dabei stand eines ihrer Beine so weit ab, dass Fischer, und das war es, was ihm die Schweißausbrüche bereitet hatte, ihren perfekt geformten Unterschenkel sehen konnte, oder besser gesagt, ihre weißen Strümpfe, ja sogar die Strumpfbänder, die diese hielten. Er hatte das Gefühl, er müsse zu diesen Strümpfen gehen, sie zärtlich berühren, sie streicheln und küssen, zart wie ein Hühnerschenkel taten sie sich vor ihm auf. Auf der anderen Seite wollte er keinesfalls diesen Blick loslassen müssen, der ihm solch wunderbare Gefühle bereitete. Und daher stand er noch eine geschlagene Minute an der Ecke des Ganges und starrte auf die Dame, die irgendetwas an eben jener Belüftung zu suchen schien. Endlich war der Zauber gebrochen – sie quiekte (so wunderbar unschuldig aber, dass Fischer noch mehr Selbstdisziplin aufbringen musste, um sie nicht an sich zu reißen, obwohl er noch nicht einmal ihr Gesicht gesehen hatte) und stieg vom Stuhl herab, wobei sie sich umdrehte und etwas verwundert Fischers Kopf um die Ecke lugen sah. Dieser wiederum war sprachlos. Das Geschöpf, das für ihn vorher nur aus einem Unterschenkel bestanden hatte, welchen er zugegebenermaßen zwar vergöttert, aber in keinster Weise in einen Zusammenhang mit einem menschlichen Wesen gebracht hatte, war auf einmal auf der Evolutionsleiter ein paar Stufen nach oben geklettert für ihn. Er hatte es ohne Zweifel mit einem Engel zu tun. Die Dame, die ihn anblickte, hatte lockiges, goldenes Haar, dünne, zerbrechliche weiße Haut, volle, tiefrote Lippen und die schwärzesten Augen, die er jemals gesehen hatte. Sie trug eine weiße Bluse, die an den Ärmeln weit geschnitten war, die es allerdings nicht vermochte, ihren üppigen Busen zu tarnen, der sich gegen den ächzenden Stoff drückte, als sie den Stuhl herabstieg. Dazu trug sie einen schwarzen, knielangen Rock, der Fischer in Ansätzen träumen ließ. Dennoch bemerkte er wohlgefällig ihre ausladenden Hüften. Als er sie mit eingefrorenem Blick ansah, fing sie an zu lächeln und sagte: „Oh.“ Fischer, momentan seiner sprachlichen Fertigkeiten beraubt, wiederholte: „Oh.“ Die Dame, sie mochte Mitte Zwanzig sein, lachte und stellte somit ihre perfekten weißen Zähne zur Schau. Sie deutete zum Schacht und erklärte: „La Chiave.“ Fischer schluckte. Sie schaute ihn erwartungsvoll an und erzählte ihm dann in gebrochenem Italienisch etwas von Zimmer und Schlüssel. Verzweifelt versuchte Fischer herauszufinden, was er tun sollte. Als er ihr antwortete, kam ein Gemisch aus Ungarisch, Italienisch, Spanisch und Englisch heraus: „I kulcs no cammere.“ Sie fing an zu lachen, lauthals. Als sie ihn erneut ansprach, stellte sich heraus, dass sie Spanisch sprach und endlich legte sich der Nebel, der sich über Fischers Hirn verdichtet hatte. Er bot ihr an, ihr zu helfen, immer noch unsicher, immer noch um die Ecke blickend, bis schließlich ein Steward den Gang entlanggetrabt kam und der Dame die Zimmertür öffnete.
„Mein Name ist Smeralda“, hauchte sie ihm noch zu, bevor sie sich zur Tür wandte. „Smeralda Acuna Cortazar“. Und mit diesem, von glockenheller Stimme vorgetragenen Namen hüpfte er jubilierend in sein eigenes Zimmer, das nur ein paar Schritte den Gang hinab lag, bevor ihm klar wurde, dass er vollkommen vergessen hatte, sich ihr selbst vorzustellen.
4.
Fischer hatte versucht, seiner Mutter zu schreiben, war jedoch nur bis zu einer liebevollen Anrede gekommen. Nach der Begegnung mit der unglaublich anziehenden Schönen hatte er ein seltsam schlechtes Gewissen gehabt und sich an den Mahagonitisch seiner Kajüte gesetzt. Unzufrieden wedelte er das Papier durch die Luft, damit die Tinte der zwei Wörter trocknete, legte den angefangenen Brief nieder und machte sich auf den Weg.
Der Dinnersaal war halb gefüllt. Moritz war zunächst in den Saal auf seinem Stockwerk gegangen, doch ein freundlicher älterer Steward nahm sich unauffällig seiner an und führte ihn, ohne große Worte zu verlieren, eine Etage nach oben. Zunächst war Fischer gar nicht klar, weshalb dieser Saal eine ganz andere Atmosphäre ausstrahlte als der untere. Dann fiel ihm das Licht auf. Der Saal funkelte in den verschiedensten Farben. Goldene Töne gingen über in satte grüne, welche wiederum von aquamarinem Glitzern abgelöst wurden. Fischers Blick ging an die Decke des Saales. Ein gewaltiger Glaspavillon krönte die majestätischen Säulen, die den Raum umrandeten. Jetzt sah er, dass das Mosaik der zusammengesetzten Glasstücke dasselbe Bild darstellte, das er schon über dem Kamin gesehen hatte: einen Ritter, dessen Pferd sich im Regen aufbäumte. Die untergehende Sonne schoss ihre Strahlen in einem solchen Winkel durch die gefärbten Gläser, dass die bunten Facetten sich auf den Wänden, den Tischen und Stühlen auf zauberhafte Weise spiegelten und der grüne Graf, seiner ursprünglichen Form beraubt, durch den ganzen Saal ritt.
Erst als er ein Hüsteln vernahm, drehte sich Fischer wieder dem Steward zu, der geduldig neben ihm stand und darauf wartete, den Gast an seinen Tisch zu geleiten. Erst jetzt nahm Fischer den Mann richtig wahr: Er hatte ein dunkles Gesicht, das von einem glatten, schwarzen Schnurrbart sauber in zwei Hälften geteilt wurde. Die Augen blitzten ihn schwarz an, die Nase war gerade und groß und der Mund war von einem matten Rot, das nur südländische Menschen auszeichnete. Der Mann hob seinen weißen Arm in einer zarten, schüchternen Geste, um den Gast zu einem der Tische zu geleiten.
„Signore.“
Aus irgendeinem Grunde mochte Fischer ihn auf Anhieb, spürte eine Zuneigung, die er in all den Jahren, in denen er sie zu den unterschiedlichsten Menschen in seinem Inneren grummeln hören konnte, nie hatte erklären können, die aber nichtsdestoweniger vorhanden war. Eine der Eigenschaften Fischers, die ihn dazu befähigt hatten, als Vermittler für die erste Weltmeisterschaft auf Reise zu gehen, war seine Fähigkeit, Verbindung zu Fremden herzustellen.
„Sie sind kein Italiener?“, fragte er den Steward, als sie gemeinsam auf den mit weißer Tischdecke eingedeckten Tisch zugingen. Als er keine Antwort vernahm, sah er den Mann milde lächeln.
„Ich komme aus Libyen.“
„Ihr Italienisch ist ausgezeichnet.“
Wieder nickte der Mann nur, ob aus Bescheidenheit oder aus anderen Gründen, vermochte Fischer nicht zu erraten. Der Tisch, an dem er nun saß, war groß und rund. Er hatte Platz für fünf weitere Gäste. Ihm gegenüber saß ein hochgewachsener Herr, der deshalb auffiel, weil er eine Augenklappe über dem rechten Auge trug. Er hatte sauber nach hinten geschniegelte, schwarze Haare und einen Bart, dessen besonderes Merkmal die geschwungenen Enden des Schnurrbarts waren. Wie Fischer trug er ein Dinnerjacket, dazu ein weißes Hemd und eine Fliege. Der Mann stand auf und verbeugte sich knapp. „Bojan Tarnoff“, stellte er sich vor. Fischer verbeugte sich ebenfalls und grüßte zurück. Sie setzten sich und nachdem der libysche Ober ihnen roten Wein aus dem Burgund eingeschenkt und Fischer die Nationalität des Mannes herausgefunden hatte, prosteten sie sich mit einem kräftigen „sa znakómstwa“ zu.
Nach kurzer Zeit kam man darauf zu sprechen, was einen auf die Reise auf dem Schiff geführt habe. Fischer erklärte mit der Zurückhaltung eines Bohemians, dass er lediglich zu einem Sportfest in Südamerika eingeladen worden wäre, was den Russen dazu veranlasste, in ausgeschmückter Ausführlichkeit von seiner Mission zu erzählen. Tarnoffs Blick war dabei so intensiv und durchdringend, dass Fischer ganz froh darüber war, dass der Mann eine Augenklappe trug. Zwei Exemplare des Auges, das sich auf ihn heftete, wären schwer erträglich.
„Härr, Fischärr. Sie wissen nicht, was uns alle hiär zusammentreibt. Äs ist aine Sache von außärgewöhnlischär Dringlichkait.“
Fischer nickte demütig und von der kaum verhohlenen Eitelkeit des Mannes fasziniert.
„Äs ist nur aine Fraage där Zait, bis äs zum Zusahmenträffän kommän wird.“
„Zusammentreffen?“
„Där Kulturän.“
„Ahh.“ Fischer tat so, als verstünde er sein Gegenüber.
„Där Kontakt ist noch nicht härgestäält, abär es wird noch in diesäm Jahrzeähnt dazu kommän. Und dann müssän wir vorberaitet sain.“
Wieder nickte Fischer.
„Äs gibt verschiedenste Belegä für außerirdische Kontaktaufnahme. Wir sollten also gewappnät sain.“
„Außerirdisch? Sie meinen wahrscheinlich …“ Ja, was meinte der Mann?
„Außerirdisch. Genau. Himmälssignale. Lichtzaichen. Inskriptionän. Äs gibt einen Haufen Belegä, abär die Wissenschaft schaut immer noch wääg. Unsärä Gesellschaft wird das Zaitalter där Kommunikation ainlaitän.“
„Ihre Gesellschaft.“
Tarnoff zückte eine Karte aus seinem Revers. In weißer, geschwungener Schrift las Fischer: „Gesellschaft für interplanetarischen Frieden und Handel“. Fischer war augenblicklich so verlegen, dass er sich veranlasst sah, dem ihm gegenübersitzenden Mann zuzustimmen, so unsinnig schien ihm die Angelegenheit, der dieser sich verschrieben hatte. Er stammelte etwas von „vorausschauend“ und „weise“, wurde rot, brabbelte weitere Unsinnigkeiten vor sich hin und wurde letztendlich durch das Eintreffen der anderen Tischgäste von seinem Dilemma befreit.
Zu Fischers Erstaunen nahm der Kapitän des Schiffes Platz, ein junger, forscher Mann mit einer energisch wirkenden Stirn und einem Habitus, der auf unbestechliche Zielstrebigkeit hindeutete. Sein Gruß war kurz und militärisch: „Amedeo Pinceti“. Ohne die Hand in einem kräftigen Griff loszulassen, stellte der Kapitän noch seinen ersten Offizier vor, einen gewissen Bruto Cavesi, der trotz seines eher jugendlichen Alters nur wenige Haare auf dem Kopf hatte, die er allerdings kunstvoll mit Haarwichse von steuerbord nach backbord (oder umgekehrt?) gelegt hatte. Der Mann hatte ein etwas unangenehm breites Grinsen, das er anscheinend, selbst wenn er es gewollt hätte, nicht ablegen konnte.
Nachdem man sich (auf Italienisch) begrüßt hatte, bemerkte Fischer, dass er seine normale Fähigkeit, mit anderen Menschen auf angenehme Art und Weise Belanglosigkeiten auszutauschen, kurzzeitig verloren hatte. Er fühlte sich verwirrt, benebelt und fragte sich, woran das wohl liegen konnte, als er die momentane geistige Ermattung an dem Duft festmachte, der ihn betörte. Es duftete in der Tat nach Rosen. Und noch bevor er sich umdrehen konnte, spürte er eine zartgliedrige Hand auf seiner Schulter, die einmal kurz, aber kräftig, als wolle sie eine Begabung konstatieren, zudrückte. Fischer wusste sofort, wer neben ihm stand. Der Kapitän stand auf und rief erfreut: „Ahh, Signorina Cortazar. Bitte setzen Sie sich doch.“ Fischer schluckte. Er wusste, dass er verloren war. Die Person, die sich in den für sie vom ersten Offizier nach hinten gezogenen Stuhl setzte, löste in ihm gleichzeitig Panik und vollkommene Erfüllung aus. Nachdem er sich hustend und stotternd vorgestellt hatte, was, wie er sich vollkommen sicher war, die anderen Herren am Tisch zu einem genüsslichen Lächeln veranlasste, schaute sie ihn mit halbgeschlossenen Lidern an und nickte ihm kurz zu. Fischer bildete sich ein, dass er in diesem Moment ihre Gedanken lesen konnte: „Aber das weiß ich doch, du Dummerchen. Wir kennen uns doch schon.“ Bevor er sich aber weiter in die Auswüchse seiner Anbetung hineinsteigern konnte, wurde er erneut durch den Kapitän gerettet. „Der letzte in unserer Runde. Willkommen, Herr Eisenbeisser.“ Fischer war durchaus erfreut, jemanden am Tisch zu haben, mit dem er sich, was Kommunikation anging, auf sicherem Gebiet bewegen konnte. Der Saal hatte sich inzwischen allgemein gefüllt und die ersten Gläser klirrten.
„Meine lieben Gäste“, so hob Pinceti an, „Lassen Sie mich Sie begrüßen und Ihnen an Bord eine wunderbare Zeit wünschen. Falls Sie sich wundern – als Kapitän dieses Schiffes geselle ich mich gerne zu meinen Passagieren, in abwechselnder Reihenfolge selbstverständlich. Sollten Sie also irgendwelche Fragen an mich haben, zögern Sie bitte nicht, mir umgehend zu sagen, was Ihnen auf dem Herzen liegt. Ich möchte betonen, dass …“ Das plötzliche Innehalten des Schiffsführers ließ auch seine Zuhörer für einen kurzen Moment erstarren. Der Tisch schaute den Kapitän gebannt an, welcher wiederum seinen Blick an die Wand heftete. Sein Gesichtsausdruck hatte eine unschöne Härte angenommen. Alle blickten dorthin, worauf sein Blick gerichtet war: An der Wand hing ein Bildnis Mussolinis, der Kopf mit Tarbusch. Der Duce sah durchaus wohlwollend aus.
Bewegungslos zischte der Kapitän: „Wer hat dieses Bild dort aufgehängt?“ Cavesi schnellte hinauf wie ein braver Schüler und sagte, immer noch grinsend: „Ich, Herr Kapitän. Unser Duce.“ Damit deutete er auf das Bild. Mittlerweile schauten auch die Gäste von den Nachbartischen herüber. „Dort“, sagte der Kapitän sehr langsam, „hängt das Portrait unseres wahren Herrschers“, und nun donnerte jedes einzelne Wort wie eine Kanonenkugel: „Il Principe Vittorio Emanuele Ferdinando Maria Gennaro di Savoia, Principe Ereditario d’Italia.“ Zum ersten und einzigen Male sah Fischer, wie das Lächeln im Gesicht des Offiziers gefror.
„Mit Verlaub, Capitano, aber Herrscher ist unser allseits geliebter Führer, der Duce.“ Nun drehte sich zum ersten Male das Gesicht des Kapitäns zu seinem Untergebenen. „Auf diesem Schiff bestimme immer noch ich, wer oder was an den Wänden hängt. Sie hängen dieses Bild von der Wand, Cavesi! Jetzt! Sofort!“
Cavesi blickte seinem Vorgesetzten nur einen kurzen Augenblick ungläubig in die Augen, dann nahmen seine Gesichtskonturen einen verhärteten Ausdruck an, er stand auf und trottete zur Wand, hob langsam, fast zärtlich seine Hände, um das ihm wertvolle Gemälde abzunehmen. Er war sich einen kurzen Augenblick unsicher, wohin er die Reliquie bringen sollte, blickte an den Tisch, wo ihm Pinceti mit einer Kopfbewegung den Weg nach draußen wies. Ohne sich die Demütigung anmerken zu lassen, trabte der Offizier zum Treppenaufgang, kam geraden Schrittes zurück und setzte sich an den Tisch.
Nachdem sie das Schauspiel schweigend beobachtet hatten, führten die anderen Gäste im Saal ihrerseits ihre Gespräche fort. Um die Stimmung etwas aufzuheitern, sagte Fischer: „Nun, die Welt befindet sich im Wandel. Bolschewisten oder Faschisten. Alle scheinen gute Ideen zu haben, wie der Alltag einer modernen Welt aussehen könnte.“
Pinceti schnaubte verächtlich. Nun meldete sich Eisenbeisser zu Wort: „Ich für meinen Teil muss dem Kapitän zustimmen. Monarchie hat noch nicht ausgedient. Schließlich haben meine Mitreisenden und ich es unserem König zu verdanken, dass wir diese Reise antreten können.“ Fischer wusste, was der Mannschaftskapitän der Rumänen meinte. Er beneidete Eisenbeisser um dessen Fähigkeit, die Wogen zu glätten, ohne jemanden dabei zu verurteilen. „Unsere Majestät, Carol der Zweite, ist seines Zeichens selbst ein großer Fan des Fußballsports. Daher hat er persönlich dafür gesorgt, dass die rumänische Mannschaft an der ersten Weltmeisterschaft teilnehmen kann.“
Cavesi hustete fast dazwischen, offensichtlich nicht in der Lage, sich zurückzuhalten: „Nachdem er gerade aus dem Exil zurückgekehrt ist, weil er sich mit einer jüdischen Metze verlustiert hat.“
Pincetis Gesicht wurde kalkweiß. Doch sein Offizier war noch nicht fertig.
„Jetzt unterwandert der Jude schon die Monarchie. Ist doch unglaublich …“
Pinceti stand auf und legte dabei seine Serviette auf den Tisch.
„Cavesi, was erlauben Sie sich?“
„Selbst auf diesem Schiff hier fuhr diese Negerin mit und hat den Herren die Köpfe verdreht.“
„Wenn ich mich recht erinnere, Cavesi, waren Sie der erste, der Josephine Baker bei jeder Gelegenheit hinterhergestarrt hat. Aber das nur am Rande. Sie verlassen diesen Tisch.“ Die Stimme des Kapitäns, sonst in seiner Ruhe auf natürliche Weise autoritär, hatte nun eine bedrohliche Lautstärke angenommen, die Intensität eines Schiffshorns, das das unerbittliche Kommen des Stärkeren ankündigte.
„Stimmt doch …“, setzte Cavesi kleinlaut nach, stand dann aber auf.
„Ab heute werden Sie Ihre Mahlzeiten in der Kombüse einnehmen.“
Der Offizier schien sichtlich getroffen zu sein, seine Augenbrauen zogen sich für einen kurzen Moment zusammen und offenbarten den Anflug von Aufruhr, es war aber nur ein kurzer Ausrutscher, dann ging der Mann mit breiten Schritten aus dem Saal. Es dauerte eine Weile, bis an den anderen Tischen wieder das Klirren von Besteck auf Tellern zu hören war und das erste leise Flüstern das erneute Aufnehmen von Konversation ankündigte.
„Ich bitte diesen unschönen Zwischenfall zu entschuldigen, meine lieben Gäste. Der schwarze Schürhaken des Faschismus reicht weit, aber ich versuche, so es geht, auf meinem Schiff Tradition als Wert zu erhalten.“ Damit setzte er sich wieder.
Smeralda Acuna Cortazar wandte sich mit einem bezaubernden Blick dem Rumänen zu, als sei nichts geschehen.
„Ich liebe Fußball, wissen Sie? Diese mannhafte Art der körperlichen Ertüchtigung. Das Messen der Kräfte auf eine spielerische und doch kämpferische Art …“
„Unnötig“, befand Bojan Tarnoff. „Die Wält hat dringändärä Problämä.“
Da noch niemand außer Fischer wusste, welche genauen Schwierigkeiten den Mann beschäftigten, wandten sich die anderen nun dem Russen zu. Erst nachdem dieser seine Ideen ausgeführt hatte, bemerkte Fischer – wie er sich eingestehen musste, mit einiger Zufriedenheit – dass die anderen die Ideen, die die Organisation für interplanetarischen Handel und Frieden vertrat, genauso absonderlich fanden wie er. Immerhin schaffte es Eisenbeisser sein Interesse derart zu heucheln, dass es nicht aufgesetzt klang und dennoch das Thema beendete. „Faszinierend, muss ich sagen. Sie haben Recht, Herr Tarnoff. Wer von uns kann schon ausschließen, dass sich da draußen anderes Leben befindet? Wie lange ist es her, dass wir den Kontinent, den wir nun mit diesem Schiff besuchen werden, Amerika, erst entdeckt haben? Dreihundert Jahre? Und nun findet dort dieses Fest für alle Nationen statt, das, wie Sie vielleicht nicht wissen, meine Damen und Herren, von unserem lieben Herrn Fischer hier ins Leben gerufen wurde.“ Nun wandte sich die blonde Schönheit, die ihr rüschenbesetztes, tief ausgeschnittenes Dekolleté dem Fußballer zugewandt hatte, in ihrer vollen Pracht ihrem rechten Sitznachbarn zu. „Sie, Herr Fischer?“ Fischer wurde rot, wurde aber vom Servieren der Suppe gerettet. Es gab eine Sahne-Crevetten-Consommé. Bescheiden wies Fischer das Lob mit dem Hinweis von sich, dass er nur ein ausführendes Organ wäre – nur ein Mitläufer. Danach löffelte die Gruppe schweigend ihre Suppe, als ob die Wucht der vorangegangenen Auseinandersetzung erst verspätet ein stilles Echo fand.
Mittlerweile war die strahlende Sonne draußen einer glühenden Dämmerung gewichen, sodass die Lichtfacetten ihren Ton verändert hatten und nun in einem sanften Leuchten die Gesichter der Anwesenden umspielten. Fischer fiel auf, dass der Ober auch den Platz, an dem Cavesi gesessen hatte, eingedeckt hatte und dort jetzt das Sahnehäubchen auf der Suppe langsam in seinen rosafarbenen Untergrund verfloss.
„Alle sprechen von der Macht des Volkes – aber es ist immer das Volk, das den Preis bezahlt“, nahm unerwartet und plötzlich Eisenbeisser das heikle Thema der Tagespolitik wieder auf. Niemand äußerte einen Einwand, als seien sie alle Verschwörer in einer unsicheren Umgebung. „Ich hoffe“, nahm Fischer das Thema auf, „dass Sie, Herr Kapitän, keinen Ärger bekommen werden.“ Wieder Schweigen. Ein steifes Stück gewalkter Seide drückte sich an Fischers Seite. Eine Hand berührte zart, vorsichtig und kurz die seine. Sein Herz schien stillzustehen. Er hatte die verrückte Idee, dass Smeralda ihn belohnte für sein Mitgefühl.
Die Konversation blieb den Abend über stockend. Eisenbeisser und er tauschten sich noch über moderne Fußballtaktiken aus – dass man statt mit fünf Stürmern nur mit vier spielen könne, um somit in der Verteidigung nicht so anfällig zu sein. Ansonsten beschränkte man sich auf den üblichen Austausch von Belanglosigkeiten. Pinceti schien abwesend zu sein, entschuldigte sich vor dem Dessert und verabschiedete sich in Richtung Deck. Als Fischer endlich seinen Grappa getrunken hatte und sich alleine am Tisch fand, sah er, bevor er sich zum Aufstehen wandte, ein kleines Zettelchen neben sich liegen, auf dem nur eine kurze Information zu finden war: „Zimmer 104“. Verwirrt stolperte er in seine Kajüte, zog sich aus, wusch sein Gesicht, zog sich seinen Pyjama an und legte sich in seine Koje. Von draußen kam immer noch ein Schimmer Sonnenuntergangs durch den Vorhang. Er wälzte sich hin und her. Nach einer halben Stunde stand er auf, zog sich seinen Bademantel an und marschierte den Gang hinab.