Kitabı oku: «Eruptionen: Soldnia, Band 1», sayfa 2
„Du wirst wieder leben, Josephine!“, brüllte er sich Mut zu und legte mit Wucht den Hebel um, der laut knallend einrastete. Sein Herz klopfte wie wild und er dachte, er bekäme keine Luft, so groß war der Druck in ihm. Er hatte Angst. Sie kam plötzlich und ohne Vorwarnung über ihn und begann seine Sinne zu lähmen, wogegen er mit allen psychischen Kräften ankämpfte. Er zuckte, als der Bildschirm rot zu blinken begann. Nachdem er auf ein paar Tasten gedrückt hatte, hörte das Blinken auf. Noch lief alles nach Plan. Er überprüfte noch einmal nervös alle Anzeigen. Das Programm näherte sich dem kritischen Punkt. Der, an dem beim letzten, dem entscheidenden Versuch alles schief gelaufen war. Nochmals überprüfte er die Anzeigen. Alles schwankte im grünen Bereich. Nichts Beunruhigendes. Nun war der Moment gekommen. Er drehte an dem kleinen Rädchen, das die Menge der Mixtur regulierte, die Joshua nun intravenös in den toten Körper seiner Frau injizieren ließ. Seine Hände schwitzten. Nun musste er beweisen, dass er den Fehler behoben hatte. Der Generator durfte diesmal nicht überhitzen! Er kontrollierte wieder die Anzeigen, die nur ein kleines unbedeutendes Bisschen in den orangen Bereich gerutscht waren. Plötzlich knallte es laut hinter seinem Rücken und er dachte sofort, dass das nun das Ende des Experiments war. Als er sich umdrehte, sah er, dass nur ein Stück aus einem unter Druck stehendem Rohr abgesprungen war, wodurch die Kühlflüssigkeit, nun gasförmig geworden, aus der offenen Stelle zischte. Noch nichts war verloren. Er schnappte sich den schweren Industrietacker vom Regal an der Wand gegenüber, hob das Stück Metall vom Boden auf, hielt es schnell auf die defekte Stelle und befestigte es mit vier kräftigen Schüssen. Als er sich umdrehte, waren die Anzeigen immer noch in keinem Besorgnis erregenden Bereich. Er war erleichtert. Der Generator summte nun immer lauter und war in vollem Gange. Die Geräte zischten, gluckerten und piepten. Er hatte alles unter Kontrolle. Da kam das erste Signal. Die Anzeige, die für die Reaktionen des Behälters da waren, piepte und leuchtete. Es war das Herz. Es war sein Herzschlag. Die Spannung in ihm war zu groß. Mit den Mäusen und Kaninchen waren sie nie weiter als bis zu diesem Punkt gekommen. Er gab mehr Energie hinzu. Die hohe Spannung, die aufgewendet wurde, konnte der Generator nicht lange aushalten, geschweige denn die Geräte, Kabel und Lötstellen. Er musste schnell einen Gang höher schalten.
Quietschend kam er zum Stillstand. Sein Herz klopfte heftig. Nur ein Gefühl. Eine Ahnung. Es war, als wusste er, dass irgendetwas passiert war, aber er wusste nicht, wohin er dieses Gefühl einordnen sollte. Erst einmal atmete er tief durch und schaute sich um, ob er nicht die Fahrbahn blockierte, doch hinter ihm war die Straße völlig leer, der Wagen stand halb auf dem Seitenstreifen.
Was konnte dieses Gefühl bewirkt haben. Hatte der Wagen sich seltsam angefühlt? War es ein körperliches Gefühl? War es wegen der Fabrik? Er schloss diesen Gedanken aus. Dann musste er plötzlich an seine Mutter denken. Ihr Bild durchfuhr sein inneres Auge. Etwas war geschehen. Das spürte er, und es hatte mit ihr zu tun. Mit diesem Gefühl konnte er nicht weiter fahren. Er musste umkehren. Schwere Sorgen überkamen ihn, gepaart mit dem schlechten Gewissen, dass er nicht hätte wegfahren dürfen. Es verwirrte ihn und er verstand es nicht, doch er wendete sofort und fuhr zurück, diesmal schneller, bestimmter, konzentrierter. Ein Ahnen trieb ihn an, ohne dass er hätte Widerstand leisten können. Etwas war geschehen und er musste herausfinden, worin es bestand.
Ein Fehler! Diese Befürchtung war ihm als erster Gedanke durch den Kopf gefahren, nachdem er den Regler ein wenig höher gedreht hatte. Zwar nur ein Bruchteil einer Sekunde, doch er hörte, wie sich die Geräusche der Geräte veränderten. Die Anzeigen bestätigten sein Gefühl. Sie rutschten unsicher hin und her, den roten Bereich schneidend. Ein Schriftzug blinkte auf dem Bildschirm auf: System überlastet! System überlastet. Er ignorierte die Warnung und tippte konzentriert auf die Tastatur ein. Schweißperlen rannen ihm die Stirn herunter und tropften auf die Armatur. Das Blinken hörte nicht auf. Es wurde stärker. Gleichzeitig begannen etliche rote Lämpchen an den verschiedensten Geräten zu leuchten.
Das Herz schlug.
Funken sprühten plötzlich aus einem Gerät. Joshua hämmerte auf die Konsole ein, so dass die Funken plötzlich verschwanden. Es knallte. Und noch einmal. Und wieder. Aus allen Ecken des Raums kam Spannung. Überall lösten sich Metallteile und flogen durch die Luft.
Die Lunge atmete.
Qualm trat aus einer Öffnung am Boden aus; sofort darauf auch aus einem Gerät an der Wand, das sofort Funken versprühte und laut zischte. Eine Sirene ertönte. Joshua biss die Zähne zusammen. Er hatte es noch unter Kontrolle. Seine Sinne waren gespitzt, aufs schärfste konzentriert. Wie ein Orgelspieler in seiner musikalischen Ekstase wirkte er, wie er sich über die Armatur beugte und mit beiden Händen Tasten drückte, Hebel betätigte und an Rädchen drehte.
„System überlastet! System überlastet! Sofort Stromversorgung kappen!“, schallte es blechern befehlend aus einem Lautsprecher. Die Anzeigen blinkten wild im roten Bereich.
Die Neuronen im Hirn erwachten.
Wieder ein Knall. Diesmal lauter und mit einer starken Erschütterung verbunden. Etwas war explodiert. Joshua schaute sich um und sah Flammen, die aus einem Gerät stießen. Die Tasten reagierten nicht mehr. Plötzlich explodierte die Konsole. Er musste beide Hände schützend vor sein Gesicht nehmen, um sich vor den sprühenden Funken schützen zu können. Er hatte keine Kontrolle mehr. Wieder schallte die Stimme durch den Raum. Diesmal übertönt vom Fauchen und Zischen, vom Knallen und Kreischen der Explosionen:
„Generator sofort abschalten. Reaktorschmelze steht bevor. Generator sofo …“ Die Stimme verstummte. Joshua nahm nichts mehr wahr. Seine Gedanken wurden von seinem Überlebensinstinkt überlagert. Er rannte zur Tür, beinahe in eine Stichflamme geratend, die hinter ihm aufloderte. Die Tür kam näher. Er lief hindurch – - – und im selben Moment, in dem sein Körper plötzlich federleicht wurde, verstummte scheinbar jedes Geräusch in seiner Umgebung zu einem bedrohlichen Brummen. Sein Körper wurde von einer seltsamen Macht durch die Luft geworfen. Wie durch einen Katapult abgeschossen, schleuderte ihn die Druckwelle der Explosion einige Meter weit auf die feuchte Rasenfläche, auf der er schmerzhaft mit den Händen zuerst aufkam und noch ein Stück weiter rollte. Es war so laut, dass er nichts mehr hörte. Nur ein Fiepen. Er drehte sich um, konnte noch fast erleichtert denken, dass das Labor die verhältnismäßig kleine Explosion überstanden hatte, als das gesamte Gebäude in einem gigantischen heißen Feuerball aufloderte, ein gleißender Strahl sich daraus hoch in den dunklen Nachthimmel erhob und sich Geröll, Staub und Feuer zu einem gigantischen Getümmel durch die Luft verteilte. Wie ein konzentrierter Blitz fuhr der Lichtstrahl in einem Bruchteil einer Sekunde hoch und erlosch so schnell, wie er erschienen war. Die Luft beruhigte sich. Splitter verschiedenster Art rieselten noch auf den Boden um ihn herum. Ein Steinchen hatte ihn an der Wange getroffen. Er spürte keinen Schmerz. Das Fiepen in seinen Ohren verschwand langsam. Die Luft war warm und voller beißendem Qualm.
Es fröstelte ihn an seinem Rücken. Er sah den brennenden Haufen Schutt und Geröll, der einmal das Labor gewesen war. Tränen brannten in seinen Augen. Er konnte nicht ausreichend atmen, konnte nicht denken. Sein Gesicht war nass von Tränen und Blut, er verwischte beides wie im Trance, lief davon. Mit langsamen Schritten stolperte er über den lädierten Rasen. Keiner seiner Sinne war noch intakt. Nur eine unsichtbare Macht trug ihn weg, den Hang des Hügels hinunter. In die Stadt.
Kanzer lag kalt und verlassen da. Der Himmel hatte sich zugezogen und war jetzt von drohenden Wolken bedeckt. Es würde bald schneien, dachte Joshua, als er nach oben blickte. Er fühlte sich zerschmettert. Ein kurzer Moment hatte in ihm sein Seelengerüst einbrechen lassen. Er hatte förmlich gespürt, wie der Turm in sich zusammen gefallen war. Nun tauchte er ab in einen See. Während seines langen Marsches den Hügel hinab in Richtung Stadt, bemerkte er nicht einmal die beißende Kälte und hatte nur im Sinn, das Risiko des Erwachens aus dieser Trance so lange wie möglich fern zu halten, in dem er sich betrinken würde. Es war so, als ob er einen Punkt ansteuerte, der für ihn das Ankommen bedeutete. In ihm wuchsen keine kompletten Gedankenstränge mehr. Nur Wörter, halbe Sätze, Bilder und Erinnerungen flackerten vor seinem Inneren Auge auf. Joshua überließ seinem Körper die psychoautomative Kontrolle. Das trug ihn in das kleine Trinker- und Spielerviertel, das nahe am Fluss lag. Es war eine kleine Bar, die er bis zu diesem Tage beim zufälligen Vorbeigehen, während seiner regelmäßigen Spaziergänge immer mit Abscheu und herablassendem Blick angeschaut hatte. Der Schriftzug „Dean’s Bar“ flackerte über der Tür. Nun trat er ein.
Innen war es spärlich gefüllt. Die Luft hing muffig aber warm im Raum. Zigarettenqualm drang unbarmherzig in die Augen und Lungen. Aus einigen dunklen Ecken wehten Fetzen gemurmelter und gekrächzter Gespräche, dazwischen das Klirren von Gläsern und Poltergeräusche. Ein Televisor lief am Tresen. Er setzte sich auf irgendeinen Barhocker und fühlte dabei wie die Wärme in seinen Körper zurückfloss, bestellte den stärksten Schnaps und leerte ein Glas nach dem anderen.
Nach und nach verschwanden die Gedankenfetzen und wurden von einem gleichmäßigen Brummen in ihm abgelöst. Ein angenehmer Nebel kam auf, ließ ihn abtauchen, als hätte er in die Stille der Meerestiefen gelangen können. Der Bildschirm flimmerte immer noch, ohne Ton, als der Mann hinterm Tresen ihn lauter stellte, da eine Sonder-Nachrichtensendung begann.
„Eloby-TV jetzt mit den Top-Neuigkeiten: Der Konflikt zwischen der rebellierenden Untergrundgruppe um den ominösen Führer Snake und den Eloby’schen Streitkräften hat sich soeben mitten in der Netlaer Innenstadt zu nicht geahnten Ausmaßen zugespitzt. Wir haben erste Bilder und schalten live zu unseren Kollegen vor Ort.“
Es tauchte ein Mann im Bildschirm auf, der sich an seinem Mikrophon festklammerte. Er stand vor einer im Dunkeln liegenden Straße, die von einigen einzelnen Feuern flackernd erleuchtet wurde. Im Hintergrund konnte entfernt das Chaos und die panischen Menschen auf der Straße erkannt werden.
„Soeben haben sich die Kämpfe wieder beruhigt und das Militär konnte die Aufständischen in die Flucht schlagen. Bislang ist noch nicht viel über das Geschehen bekannt. Es gibt aber laut Aussagen des Polizeisprechers bereits sieben Tote und eine hohe Anzahl Verletzter. Die Krawalle begannen in einer nachts sehr belebten Straße direkt im Zentrum von Netlar. Zurzeit suchen die …“
Joshuas Nacken verkrampfte sich durch das Aufblicken zum Fernseher. Er massierte sich leicht die Schultern und blickte wieder zusammengesackt auf seine, auf dem Tresen liegenden Hände.
Er bestellte eine ganze Flasche vom stärksten Schnaps und verließ torkelnd die muffige Bar. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war eine überdachte Einfahrt, in der ein noch schwach brennendes Stahlfass stand. Joshua legte sich in eine Nische in der Einfahrt, in der er von der Straße aus nicht sichtbar war. Die Backsteinmauern umfingen ihn und schützen ihn vor dem kühlen Wind. Ein kleines, blaues Auto fuhr die Straße entlang und im letzten Moment bevor Joshua vor Erschöpfung einschlief, sah er dessen Lichtkegel über die beschädigte Wand huschen.
Alex machte sich ernstlich Sorgen. Sein Herz klopfte schnell, als er die Auffahrt endlich erklommen hatte. Etwas stimmte nicht. Er hielt vor der Eingangstür und sprang heraus. Die Klingel hallte durch das Haus. Es brannte noch Licht im Foyer und auch in einigen Zimmern. Als nach dem dritten Klingeln jedoch immer noch niemand öffnete, schaute er sich um und dachte nach: Wo kann er nur sein? Plötzlich fiel ihm auf, dass er schon die ganze Zeit einen merkwürdigen Geruch wahrgenommen hatte. Es stank penetrant nach Verbranntem. Er schrak auf, rannte um das Haus herum und traute seinen Augen nicht, als er den noch immer glimmenden Ruinenhaufen vor sich sah. Sein Mund stand offen und er brauchte einen Moment, um zu realisieren, was er da sah.
Papa, was hast du nur getan?
Verzweifelt durchkämmte er die Ruine nach den Resten einer Leiche. Aber er fand nichts. Alles, was einmal zum Labor gehört hatte, war zerstört. Nur ein seltsames Gerät, das wie ein Kühlschrank aussah, lag unversehrt, mit Ruß bedeckt, inmitten der Trümmer. Er ging näher heran und wunderte sich immer mehr darüber, was sein Vater in diesem ominösen Labor getrieben haben mochte. In diesem Moment hörte Alex ein Knacken aus dem dunklen Waldstück hinter sich. Er drehte sich ruckartig um, lauschte gespannt in die Dunkelheit. Sein Herz klopfte noch stärker.
Nur nicht die Nerven verlieren jetzt. Das war nur ein Fuchs oder irgendein anderes Tier, dachte er und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Da vermeinte er plötzlich, die Silhouette eines Menschen zwischen den Bäumen zu sehen.
„Ist da wer?“, knurrte er halblaut, doch fordernd. Es blieb still. Sein Brustkorb schien zu schrumpfen. Die Figur bewegte sich nicht. „Papa?! Bist du das?!“, rief er, sich selbst zu beruhigen. Er tastete durch seine Taschen, auf der Suche nach etwas, womit er sich sicherer fühlen könnte. Da spürte er die kalte Oberfläche seiner Pistole in der Jackeninnentasche. Die hatte er vergessen, noch am letzten Abend geglaubt, sie zu benötigen. Doch das war ein gänzlich anderes Sorgenthema. Innerlich bestärkt zog er die Pistole aus dem Halfter und richtete sie zitternd auf die starre Person: „Jetzt kommen Sie heraus und zeigen Sie sich! Sonst schieße ich.“ Er dachte dabei kurz, dass er sich vielleicht zu rüpelhaft anhörte und dass derjenige ihm gegenüber mehr Angst hatte, als er vor ihm. Überhaupt kam er sich ziemlich aufschneiderisch vor mit dieser aufgesetzten Dominanz. Mit gezwungen sanfter Stimme versuchte er es noch einmal: „Ich will Ihnen nichts tun. Bitte zeigen Sie sich.“
Die Form im Dunkeln veränderte sich plötzlich unheimlich und Alex dachte, er würde ein violettes Schimmern erkennen. Er rieb sich die Augen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Hast du etwa Angst, Alex?“, drang es langsam und kalt, aber suggestiv gesprochen aus dem Dunkel des Waldes.
3.
Alex zuckte zusammen. Die Stimme, die zwischen den schwarzen Bäumen dahinwaberte klang ruhig und beängstigend, ihn an brüchiges Metall erinnernd. Sie war tief, hatte aber etwas seltsam Ungreifbares, als käme sie von weit weg oder verzerrt. Die kühle nach geschmolzener Plastik stinkende Luft war erfüllt von leisen Geräuschen, die aus der Ferne heranwehten.
„Ich habe keine Angst. Ich bin zu müde, verwirrt, ich habe Angst. Ich rede mit mir selbst“, flüsterte er vor sich hin.
„Das tust du nicht. Ich stehe hier direkt vor dir!“, krächzte es aus der Dunkelheit. Sein Bauch verkrampfte sich.
„Wieso kommst du nicht heraus? Ich will wissen wer du bist und was das hier soll.“ „Willst du das wirklich?“
Er gewöhnte sich allmählich an die merkwürdige Stimme, da veränderte sie sich plötzlich und wurde zart und vertraut. Es klang wie eine ihm schon lange bekannte Frauenstimme. Wieso konnte er sie so schwer zuordnen: „In Ordnung. Ich komme heraus. Aber du musst die Waffe herunter nehmen. Du könntest dich erschrecken und möglicherweise geschähe ein Missgeschick.“
Alex’ Körper spielte verrückt. Schweiß rann ihm aus den Poren, sein Herz raste, seine Arme und Beine zitterten und er versuchte sich zu erinnern, woher er diese, genau diese Stimme kannte. Sein Verstand bemühte sich angestrengt, einen logischen Schluss aus dem Geschehen ziehen zu können, doch scheiterte er damit kläglich. Sein Arm senkte sich, sowohl vor Erschöpfung als auch vor Resignation.
Seine Mutter Josephine trat mit drei wackeligen Schritten in das spärliche Licht.
Alex versteinerte. Für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen.
„Wieso starrst du mich so an Alex?“, hörte er seine Mutter fragen, die ihn unaufhörlich mit großen verwirrten Augen anstarrte. Sie hatte ihre Arme um sich geschlungen, als würde sie frieren. Okay, jetzt drehe ich völlig durch. Er schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen und gab sich selber eine Backpfeife, da er gelernt hatte, sich dadurch aus einer Trance lösen zu können. Dann blickte er wieder auf die rätselhafte Figur vor sich. Er sah eine Frau mit dunkelbraunen langen Haaren, einem roten, an manchen Stellen zerrissenen Kleid und seltsam aufgerissenen Augen vor sich.
„Du bist nicht verrückt. Ich bin es wirklich! Deine Mutter! Ich verstehe es selbst nicht.“
„Das kann nicht sein! Du bist tot! Ich war heute bei deiner Beerdigung!“ Alex war sich in diesem Moment nicht mehr darüber im Klaren, ob sein Verstand noch funktionierte. Was, wenn er tatsächlich nur mit einer Wahnvorstellung hier in der Kälte stand und Selbstgespräche führte.
„Du siehst doch, dass ich lebe, Alex.“ Sie glitt ein wenig näher auf ihn zu. Schwebend bewegte sie sich fort, so schien es Alex, auch wenn er genau beobachtete, wie jeder Schritt den Grasboden berührte. Als sie ihren Arm hob, um ihn anzufassen, wich er zurück und richtete seine Pistole wieder auf sie. Diesmal hielt er sie mit beiden Händen fest. „Ich bin verrückt!“, schrie er plötzlich heraus. „Verschwinde! Lass mich in Ruhe. Verschwinde!“ Er fühlte wie Tränen der Verzweiflung seine Wangen hinunter liefen. Der Abend war zu lang. Zu viel Stress, zu viel Aufregung.
„Ich erkläre es dir, Schatz. Ich erkläre es dir. Beruhige dich. Ich war tot. Doch etwas ist passiert. Ich verstehe es selbst nicht genau. Dein Vater … Er …“
„Was … er?!“
„Die Maschine. Es hat etwas mit der Maschine zu tun. Glaube ich. Ich weiß es nicht. Mir ist kalt!“ Bei der letzten Bemerkung machte sie einen Schritt auf ihn zu, um seine Schulter zu fassen und rote Augen blickten ihn flehend an.
Er schreckte zurück und stolperte über ein Trümmerteil, fiel hart zu Boden und ein Schuss durchbrach brutal schallend die Stille. Er schlug hart mit dem Kopf auf ein Stück Metall und verlor für einen kurzen Moment das Bewusstsein.
Als er wieder aufwachte, wusste er zuerst nicht, wo er war. Er tastete seinen Körper ab, nach Verletzungen zu fühlen. Dann erinnerte er sich Stück um Stück und setzte sich auf. Er hockte auf der Wiese hinter dem Haus seines Vaters, inmitten von Trümmern des Labors. Es war still, niemand war irgendwo zu sehen. Hatte er tatsächlich geglaubt, seine Mutter lebend erblickt zu haben, auferstanden von den Toten. Er musste über sich selber staunen, über die Lächerlichkeit dieser Halluzination. Da entdeckte er die abgeschossene Pistole, die zwischen seinen Füßen lag, hob sie auf und steckte sie zurück in das Halfter. Er schwitzte, begann aber gleichzeitig zu frieren, da sich sein Inneres langsam wieder beruhigte. Nicht durchdrehen! Erst muss ich Papa suchen.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
Sofort verkrampften sich seine Innereien. Er hielt den Atmen an. Nicht umdrehen. Da fiel ihm eine glänzende Pistolenkugel in seinen Schoß. Eine Sekunde verging.
Schreiend sprang er taumelnd auf, versuchte, nicht über irgendetwas zu stolpern und rannte in Richtung Haus. Da erschien wie aus dem Nichts vor ihm ein nebliges Gebilde, schwarz und violett schimmernd, schwebend in der Luft. Rot leuchtende Augen durchdrangen ihn bis ins Mark.
„Du kannst jetzt nicht gehen! Noch lange nicht!“ Etwas, das wie ein Mund inmitten des Nebels anmutete, grinste ihn an. Mit gefletschten perlweißen Zähnen und einer blutroten Zunge. „Du hörst mir jetzt zu Alex“, sprachen die brennenden Augen zu ihm.
Er war völlig gelähmt vor Angst und Verwirrung. Das nebelige Wesen verwandelte sich plötzlich zuckend, wie unter Schmerzen, zu einer Menschengestalt. Wieder stand seine Mutter vor ihm. Schwitzend und kraftlos, als würde etwas ihre gesamte Anstrengung in Anspruch nehmen. Mit sanfter, schwacher Stimme presste sie jedes Wort hinaus: „Dein Vater und ich haben an einem Gerät experimentiert, das Totes wieder lebend machte. Bei den Versuchen ging etwas schief. Es geriet außer Kontrolle. Es gab einen Unfall, bei dem ich … hinabstürzte.“ Sie hielt kurz inne und atmete laut: „Ich weiß nicht mehr, wie es geschah. Es war alles voller Feuer und Licht. Ich …“ Sie hielt noch mal kurz inne und schien sich zu sammeln: „Anscheinend ist es deinem Vater gelungen. Er hat mich wieder zum Leben erweckt. Vorhin erwachte ich. Wie aus einem tiefen Schlaf. Licht blendete mich von überall. Ich sah die Flammen um mich herum, wie alles in einem gleißenden Blitz erschrak. Dann war es plötzlich still. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich plötzlich zwischen den Bäumen stand und dich sah.“ Sie hielt sich den Kopf, als ob ihr schwindelig wäre. Dann schaute sie ihn plötzlich direkt an. „Alex, Schatz. Ich spüre, wie ich mich … innerlich auflöse. Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Ich verstehe selbst nichts mehr. Ich fühle Kälte, grässliche Kälte. Und Dunkelheit … Es frisst sich durch mein Inneres …“ Sie begann zu weinen und schien Alex gar nicht mehr wahrzunehmen. Wie nach Atem ringend krümmte sie sich, fiel auf die Knie und legte ihre Hand auf ihre Brust.
Alex hatte jegliches Gefühl von Wirklichkeit verloren und ließ die Worte trunken durch seinen Kopf taumeln.
„Da ist etwas in mir. Und es macht mir Angst. Ich verliere die Kontrolle. Als würde das Leben aus mir gesaugt. Es fühlt sich wie Sterben an!“ Sie zuckte zusammen, als hätte sie ein starken Schmerz durchfahren, packte zitternd Alex Kragen und schaute ihn mit verzweifelten Augen an: „Hilf mir! Hilf mir, Alex!“ Dann erlosch ihr Blick plötzlich und wurde trübe.
Die Hände an seinem Kragen lockerten sich und Alex wich einen Schritt zurück, wobei er hart an die Hauswand stieß.
Josephine starrte ihn leer an. Dann begann sie zu lächeln, mehr und mehr, bis es ein breites kaltes Grinsen wurde, das ihr Gesicht ausfüllte. Sie wandte sich fixierend zu Alex. „Du wirst es nicht verstehen. Das musst du aber auch nicht, da du ihr jetzt folgen wirst, in das dunkle Reich in dem wir seit jeher lebten und niemals entkommen konnten. Bis jetzt!“ Ihr Mund bewegte sich, doch die tiefe brüchige Stimme schien aus dem Abgrund der Hölle zu kommen.
Alex fand seine Stimme wieder: „Was ist das hier? Was zur Hölle ist hier los?! Was passiert hier?“, brach es plötzlich aus ihm heraus.
Josephines Grinsen erschlaffte. Sie hob den rechten Arm, richtete ihn mit der Handfläche auf Alex und schaute ihn konzentriert an. Ihr Körper wurde zu einer beweglichen, schwebenden Masse und leuchtete in violetten Farbtönen.
Das Gefühl, welches ihn durchfuhr, war wie Gift, das sich eiskalt und brennend von seiner Brust aus in seinem ganzen Körper verteilte. Es wandelte sich zu einem grellen, plötzlich auflodernden Schmerz. Ein Blitz durchfuhr Alex, er spürte eine plötzliche Leere, die durch seinen Körper fuhr und alles verschlang. Alles. Ihm wurde schwarz vor Augen. Dunkelheit umfing ihn. Füllte ihn aus. Ganz plötzlich, vom einen auf den anderen Moment, war er tot.
Wir sind Teil eines jeden Menschen. Man kann uns nicht sehen, nicht fühlen oder hören und trotzdem bestimmen wir das Leben eines Jeden. Wir sind das Pendant zu dem, was ihr Seele nennen würdet. Die wartenden Schatten, in den dunkelsten Ecken versteckt. Etwas geschah, das uns bannte. Wir können uns nicht mehr erinnern. Aber es war nicht immer so wie heute. Da war eine Zeit, als nicht überall wohin man sah, die Menschen gänzlich von Vorstellungen wie Gut und Böse gelenkt wurden. Die Ansicht, die immer auf das Gleichgewicht der Dinge zielt. Es gab eine Zeit, als wirdie Macht über diese schwache Materie innehatten und euch Menschen dadurch wiederum zu wirklicher Macht führten. Getrieben von diesen hehren Zielen: Mehr Macht zu erlangen, Kontrolle zu haben. Im ständigen Kampf um das Überleben als der Erfolgreichste zu bestehen. Das Natürlichste der Welt. Etwas geschah, das uns bannte. Die Seelen, früher nur wachend und beobachtend schlummernd, erwachten mit ungeahnter Entschlossenheit und Kraft und schlossen uns ein. Unterschätzt hatten wir sie damals. Wir verloren unsere Macht, hatten keine Kontrolle mehr und mussten seit daher gezwungenermaßen an ihre Stelle treten. Die wartenden Schatten, in den dunkelsten Ecken versteckt. Wir sahen es und versuchten alles, um sie zu vergiften, seit dem ersten Moment, als der Mensch sich aus seiner rohen Form erhob und zu dem vernunftbegründeten Wesen wurde, das er heute ist, von Gefühlen wie Liebe und Mitleid geleitet, blind und unachtsam, Schwach, dachten wir, wir alle nur noch an eine Sache: „Eines Tages wird es einen Weg geben, durch den wir uns wieder das nehmen, was uns vom Anbeginn der Zeit an zustand.“
Die Seele belebt den lebenden Körper, so lange, bis er stirbt. Danach verfliegt sie und hinterlässt die sterblichen Überreste, damit die Kerker, in denen wir mit der Materie seit damals dazu verdammt waren, verwesen zu müssen. Gleichzeitig die geschlossene Zugbrücke zu unserer Rückkehr.
Wir warteten.
Bis heute.