Kitabı oku: «Schopenhauer», sayfa 5

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III. Abstammung. Erste Jugend- und Wanderjahre
1. Die Vorfahren

Die Voreltern Schopenhauers waren nach Danzig eingewanderte Holländer, wie die Kants eingewanderte Schotten. Während das ostpreußische Ordensland erst ein weltliches von Polen abhängiges, dann unter dem großen Kurfürsten ein souveränes preußisches Herzogtum geworden, mit den brandenburgischen Landen vereinigt, zum preußischen Staat, unter seinem Nachfolger zum Königreich Preußen herangewachsen war, blieb das westpreußische seit dem Thorner Frieden (1466) in der Abhängigkeit von Polen. Infolge der ersten Teilung des polnischen Reiches (1772) wurde Westpreußen mit Ausnahme von Danzig und Thorn eine preußische Provinz; infolge der zweiten Teilung (1793) wurde auch Danzig eine preußische Stadt, die den 3. April von preußischen Soldaten besetzt wurde und den 7. Mai dem König huldigte.

Johann Schopenhauer, der Urgroßvater des Philosophen, war am Anfang des 18. Jahrhunderts aus Holland nach Danzig gekommen, wo er sich als Kaufmann niedergelassen und die städtische Domäne Stutthof, fünf Meilen von der Stadt entfernt, gepachtet hatte. (Hier hatten im März 1716 Peter der Große und seine Gemahlin als Gast Schopenhauers einige Tage gewohnt.) Sein Sohn Andreas war Danziger Bürger geworden (1745) und ländlicher Gutsbesitzer in dem eine Viertelmeile von der Stadt gelegenen Dorfe Ohra. Aus seiner Ehe mit A. R. Soermans, der Tochter des niederländischen Ministerresidenten, sind vier Söhne hervorgegangen, deren ältester Heinrich Floris war, der Vater des Philosophen. Die weiteren Familiennachrichten lauten recht unheimlich: die Mutter des Heinrich Floris wurde gerichtlich für geisteskrank erklärt und entmündigt; einer seiner Brüder sei von Geburt blödsinnig gewesen, ein zweiter es durch Ausschweifungen geworden, und er selbst habe zuletzt an so schweren Gedächtnisstörungen gelitten, dass sein plötzlicher Tod wahrscheinlich eine Tat des verdunkelten Geistes war.

2. Heinrich Floris Schopenhauer

Mit allen Eigenschaften ausgerüstet, die zur kaufmännischen Laufbahn befähigen und treiben, hatte er durch Reisen im Ausland, namentlich in Frankreich und England, sich die dazu nötige Weltbildung erworben und in dem großen Handlungshaus Bethmann zu Bordeaux seine Schule gemacht;118 dann hatte er mit seinem Bruder Johann Friedrich einen Großhandel in Danzig gegründet und war ein wohlhabender hanseatischer Kaufherr geworden von ausgeprägt patrizischer und reichsstädtischer Gesinnung, von englischen Sitten und Lebensformen, die er allen andern vorzog. Er las täglich die Times und fühlte sich dann über den Weltlauf orientiert.

Bei seiner Gesinnungsart von unbeugsamer Willensstärke und oft eigensinniger Härte konnte er es nicht ertragen, dass Danzig, welches unter polnischer Herrschaft die Freiheiten der Hansestadt bewahrt hatte, nunmehr eine preußische Provinzialstadt werden sollte. Den polnischen Hofratstitel hatte er sich gefallen lassen, ohne ihn je zu brauchen; aber gegen die preußischen Gefälligkeiten, die man ihm erzeigen wollte, verhielt er sich schroff ablehnend. Selbst die Auszeichnung, die dem Danziger Kaufmann bei seiner Durchreise durch Potsdam Friedrich der Große erwiesen, indem er ihn zu sich einlud und in der Früh des Morgens ein zweistündiges Gespräch mit ihm führte, hatte nicht vermocht ihn zu gewinnen. Aus freien Stücken hatte der König ihm und seinen Nachkommen durch ein Patent vom 9. Mai 1773 volle Niederlassungsfreiheit in den preußischen Staaten verliehen.

3. Johanna Schopenhauer

Den 16. Mai 1785 begründete Heinrich Floris durch seine Heirat mit Johanna Henriette Trosiener, der Tochter eines Danziger Ratsherrn, seinen Hausstand: sie war neunzehn alt, klein, anmutig, nicht schön, er noch einmal so alt, hochgewachsen und hässlich mit seinem breiten Gesicht, der aufwärts gestülpten Nase und dem hervorspringenden Kinn. Die junge Frau hatte den ersten schmerzlichen Liebestraum bereits erlebt, aber sie war nicht empfindsam oder gar zur Schwermut geneigt, sondern weltdurstig, phantasievoll und zu heiterem, geselligem Lebensgenuss wie geschaffen. Gewiss sind es diese Eigenschaften gewesen, welche die Wahl des ernsthaften Handelsherrn auf sie gelenkt hatten. Ohne erotische Zuneigung, aber auch ohne jedes Bedenken hatte sie die Hand des so viel älteren, charakterfesten und angesehenen Mannes ergriffen, der ihr hohe Achtung einflößte und ein glänzenderes Los, als sie erwarten konnte, zu bieten hatte. An seiner Seite konnte sie nun die Welt kennen lernen und genießen.

In dem Hause Schopenhauer herrschte ein düsterer, in dem Hause Trosiener ein lebensfroher Geist. Einen Zug hatte Heinrich Floris mit seinem Schwiegervater gemein: das heftige ungestüme Wollen. Es heißt, dass der Ratsherr Trosiener bisweilen solche Ausbrüche unbezähmbarer Heftigkeit gehabt habe, dass alles in Schrecken vor ihm floh.

Auf dem reizenden Landsitz ihres Mannes zu Oliva, in herrlicher Waldes- und Meeresgegend, mit der Aussicht auf die Leuchttürme von Hela und Danzig, umgeben von einem nach englischer Art eingerichteten Garten, in einem künstlerisch ausgestatteten Heim lebte Johanna Schopenhauer damals goldene Tage, an die sie nach einem halben Jahrhundert, am Ende ihres langen schicksalsreichen Lebens noch mit Entzücken zurückdenkt. Die Wochentage verflossen still und einsam, am letzten Wochenabend kam der Gatte mit befreundeten Gästen und brachte Leben und Geselligkeit mit sich.119

Wie grundverschieden ihre Gemüter geartet waren, so stimmten doch die Gatten in einer Neigung völlig überein: in der Lust zu reisen. Es sind für die Frau in ihrer zwanzigjährigen Ehe wohl die schönsten Jahre gewesen, die sie an der Hand ihres weltkundigen Führers auf großen Reisen zugebracht hat. In den Lebenserinnerungen, die sie kurz vor ihrem Tod aufgezeichnet, ist ein Kapitel mit den Worten Goethes überschrieben:

»Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken,

Und Welt und ich, wir schwelgten im Entzücken;

So duftig war, belebend, immer frisch,

Wie Fels, wie Strom, so Bergwald und Gebüsch.«120

Heinrich Floris pflegte über das Schicksal der Seinigen in der besten Absicht Entschließungen zu fassen und Entscheidungen zu treffen, ohne deren eigene Art und Beschaffenheit mit in Rechnung zu ziehen. Noch bevor er wusste, ob ihm ein Sohn beschieden sei, hatte er schon beschlossen, dass derselbe Großhändler werden, Arthur heißen (da dieser Name in den fremden Sprachen unverändert bleibe) und in England geboren werden soll, um als Engländer auf die Welt zu kommen. Dieses Land galt ihm als das gelobte. Er wusste, dass die Selbständigkeit seiner Vaterstadt sich zu Ende neige, und fasste deshalb wohl den Plan auch seiner Übersiedlung nach England. Also nicht obgleich, sondern weil seine Frau sich im ersten Stadium ihrer Schwangerschaft befand, trat er den 24. Juni 1787 die große Reise an, die durch Holland nach Havre und von dort nach London führte. Schon hatte das Ehepaar sich hier häuslich niedergelassen und alle Einrichtungen für die bevorstehende Katastrophe vorbereitet, als der besorgte Gatte fand, dass diese in der Heimat und in dem eigenen Hause besser durchzumachen sei als in der Fremde. Nun wurde in der ungünstigsten Jahreszeit, unter den größten Beschwerden die Reise nach Danzig schleunigst zurückgelegt, wo sie am letzten Tage des Jahres eintrafen und Freitag den 22. Februar 1788 Arthur Schopenhauer geboren wurde.121

4. Arthurs Kindheit und Knabenalter

Die fünf ersten Jahre verflossen in ländlicher Stille, teils in Oliva, teils in Stutthof, jener Danziger Domäne, deren Pächter nunmehr sein Großvater Trosiener war. Die Gewalten der französischen Revolution waren entfesselt, und die hoffnungsvollen Tage von 1789 längst vorüber. Damals war Heinrich Floris selbst nach Oliva geritten, um seiner Frau triumphierend die Botschaft von der Erstürmung der Bastille zu bringen. Man hatte sich für die französischen Freiheitsfeste begeistert, ohne zu ahnen, dass eine der nächsten Folgen dieser Revolution die zweite Teilung Polens und der Untergang der letzten Freiheit Danzigs sein würde.

Noch bevor ein preußischer Soldat den Boden seiner Heimat betrat, verließ Heinrich Floris mit Weib und Kind seine Vaterstadt und hat sie nie wiedergesehen. Um seinen republikanischen und patriotischen Gefühlen Genüge zu tun, brachte er die schwersten Opfer; die Auswanderungssteuer allein kostete den zehnten Teil des Vermögens. Er eilte nach Hamburg, um dort nicht als Bürger, sondern nur als Beisasse zu leben. Welche seltsame Fügung, dass sein einziger Sohn, der das Andenken dieses Vaters in heiligen Ehren hielt, zwei Menschenalter später den »Volksdank für preußische Krieger« zu seinem Universalerben eingesetzt hat!

In demselben Frühjahr, wo Arthur Schopenhauer als Kind aus seiner Vaterstadt auswanderte, verließ die Nähe Danzigs Johann Gottlieb Fichte, der in Krockow einige Zeit als Hauslehrer verweilt und seiner ersten, soeben erschienenen Schrift, für deren Verfasser Kant gehalten worden war, den Anfang seiner Berühmtheit zu danken hatte.

Nach der Geburt der Tochter Adelaide Lavinia, genannt Adele, Arthurs einziger Schwester (den 12. Juni 1797), brachte der Vater seinem Erziehungsplan gemäß den Sohn nach Havre in das ihm befreundete Handlungshaus Grégoire de Blésimare, um die französische Sprache und Sitten zu erlernen. Hier wurde er mit dem Sohne des Hauses und gleich diesem erzogen. Voll der angenehmsten Erinnerungen an diesen Aufenthalt und seinen Freund Anthime kehrte Arthur nach zwei Jahren in das elterliche Haus zurück, und zwar zur Freude des Vaters dergestalt französisiert, dass er die deutsche Sprache fast verlernt hatte und ihre harten Laute peinlich empfand.

In dem Runge’schen Privatinstitut zu Hamburg wurde er fast vier Jahre lang unterrichtet und für den kaufmännischen Beruf vorbereitet. Schon jetzt nahmen seine Wünsche eine Richtung, die den väterlichen zuwiderlief: er sehnte sich nach der wissenschaftlichen und gelehrten Laufbahn und suchte durch unablässige Bitten die Erlaubnis des Vaters dafür zu gewinnen. Dieser aber, der den Sohn zu lieb hatte, um einen harten Zwang auf ihn auszuüben, und doch die gelehrte Profession für das Handwerk ohne goldenen Boden ansah, nahm zur List seine Zuflucht: er versprach ihm eine große und herrliche Reise, wenn er auf die gelehrten Studien verzichten und dem Gymnasium das Comptoir vorziehen wollte; er lockte ihn mit den Reichen der Welt, und dieser Anblick wirkte auf den jungen Arthur, wie in der Volkssage die Helena auf den Faust.

Die Reise begann im Mai 1803 und dauerte bis gegen Ende des folgenden Jahres. Der erste längere Aufenthalt war London. Als dann die Eltern durch England und Schottland reisten, wurde der Sohn während der drei Sommermonate in der Pension des Rev. Lancaster zu Wimbledon bei London zurückgelassen, um sich in der Sprache und den Sitten der Engländer einheimisch zu machen. Er hat sich hier lange nicht so wohlgefühlt, wie in Havre; die englischen Sitten haben ihn weniger angemutet als die französischen, und besonders ist die englische Bigotterie ihm zuwider geworden und zeitlebens geblieben. Dagegen hat er die englische Sprache sehr gut erlernt und liebgewonnen, er hat später durch fortgesetzte Übung sich den Gebrauch derselben in einem Grad angeeignet, dass er im Gespräche mit Engländern stets für einen Engländer galt, und erst nach einiger Zeit gemerkt wurde, dass er es nicht sei. Übrigens hatte er sich in Wimbledon, wie aus den abmahnenden Briefen der Mutter hervorgeht, zu viel mit dichterischen Werken, namentlich den Tragödien Schillers beschäftigt.

Der zweite längere Aufenthalt war Paris. Hier diente ihnen ein merkwürdiger Mann, einer der genausten Kenner der Stadt und ihrer Geschichte, zum täglichen Führer: der bekannte Schriftsteller Louis Seb. Mercier, der Verfasser des bändereichen »Tableau de Paris«. Dass diesem Manne ein interessanter Moment unserer großen Literatur zu danken war, ahnten weder die Reisenden noch er selbst. Vor zwanzig Jahren hatte Mercier ein dramatisches Porträt Philipps II. veröffentlicht und in dem »Précis historique«, der vorausging, den Untergang der Armada in poetischer Prosa verherrlicht. Schiller, noch in der Dichtung seines Don Carlos begriffen, hatte jenen Prosahymnus in Verse übertragen, welche er »Die unüberwindliche Flotte« nannte. Ohne dieses Gedicht, deren eigentlicher Urheber Mercier ist, wäre der Medina Sidonia und mit ihm eine der schönsten und gelungensten Szenen nicht in das Trauerspiel unseres Don Carlos gekommen. Noch heute lesen wir die lebendige Schilderung mit Vergnügen, welche Johanna Schopenhauer von der Person Merciers gegeben hat.122

Nachdem man zwei Monate in Paris verweilt hatte, wurde gegen Ende Januar 1804 die Reise fortgesetzt, sie ging in das südliche Frankreich und dann von Lyon nach Genf, Savoyen und der Schweiz. In den Erzählungen der Mutter, obwohl sie den Sohn nicht nennt, erkennen wir die unvergänglichen Eindrücke, die seine Phantasie damals empfangen hat. Einer der grausigsten war der Bagno in Toulon, worin sechstausend Galeerensklaven das freud- und hoffnungsloseste Dasein führten: ein Stück Dantescher Hölle auf Erden! In Lyon erinnerten einige der öffentlichen Plätze an die schrecklichsten Gräueltaten der Revolution, die vor wenigen Jahren hier geschehen waren, und jetzt sprach man darüber leichtfertig und geschwätzig, wie über amüsante Begebenheiten. Von einer ungeheuren Wirkung war in St. Férioles das Getöse der unterirdischen Gewässer, die in den Kanal von Languedoc herabstürzten. Doch der erhabenste aller Eindrücke war der Anblick des Montblanc in Chamonix, der das Herz des jungen Arthur so mächtig ergriff, dass er den Vater bat, ihn dort länger bleiben zu lassen. Wie oft hat später der Philosoph in seinen Schriften den Montblanc, wann sein Gipfel sich plötzlich entschleiert und im Morgenlicht strahlt, mit dem Genie in seiner Schwermut und in seiner Heiterkeit verglichen!123

Der letzte mächtige Eindruck der Schweiz war der Rheinfall bei Schaffhausen. Man reiste durch Schwaben, Bayern und einen Teil Österreichs, besuchte Wien und Pressburg und auf der Rückreise Dresden und Berlin. Hier trennte sich die Familie, der Vater kehrte nach Hamburg zurück, Mutter und Sohn gingen nach Danzig, wo Arthur den 20. November 1804 konfirmiert wurde und seine Vaterstadt zum letzten Mal sah. Es war schon ein weiter Gesichtskreis, den jetzt die äußere Weltkenntnis des siebzehnjährigen Jünglings umfasste.

Der Vater hatte sein Versprechen erfüllt; nun war die Reihe am Sohn. In den ersten Tagen des Jahres 1805 trat er bei dem Senator Jenisch zu Hamburg in die kaufmännische Lehre, ganz im Widerstreit mit seiner innersten Neigung. Die Befriedigungen, welche seiner Phantasie und Wissbegierde die Reise in vollem Maß gewährt hatte, waren wirklich nicht geeignet, den Drang nach weiterer Erkenntnis zu hemmen. Vielmehr hatten sie denselben, wie es nicht anders sein konnte, verstärkt.

Da änderte sich durch den plötzlichen Tod des Vaters im April 1805 mit einem Mal die Lage der Familie. Von einem Speicher war oder hatte sich der unglückliche Mann, den in der jüngsten Zeit Geistesstörungen heimgesucht hatten, in den Kanal herabgestürzt und ein jähes Ende genommen. Die Frau mit ihren beiden unmündigen Kindern war nicht imstande, das Geschäft des Mannes fortzuführen, sie löste es auf und wählte Weimar zu ihrem künftigen Aufenthaltsort; Arthur aber musste in Hamburg zurückbleiben, um seine kaufmännischen Lehrjahre zu vollenden.

IV. Die Grundzüge seines Charakters
1. Anerzogene und angeerbte Gemütsart

Wir dürfen diesen ersten Abschnitt seiner Jugendgeschichte nicht beschließen, ohne eine deutliche Vorstellung von der ihm angeborenen und anerzogenen Gemütsart mitzunehmen, die gleichsam die Basis seiner Persönlichkeit, den Grundbass seines Lebens ausmacht.

Er hat mit fünf Jahren seine Vaterstadt und Heimat verloren und nie eine zweite gefunden: so hatte es der väterliche Wille gefügt. Er hat der väterlichen Absicht und Führung gemäß im Ausland und auf Reisen eine fremdländische und kosmopolitische Erziehung empfangen, deren Vorteile er stets als eine Wohltat gepriesen hat, die er dem Vater nicht genug danken könne: daher kann man sich nicht wundern, dass ihm die Heimats- und Vaterlandsgefühle, die volkstümlichen und nationalen Sympathien und Antipathien völlig gefehlt haben, dass er diesen Mangel nicht als eine Entbehrung, sondern als einen Vorzug empfunden, den er seine »liberale Bildungsart« nannte, dass ihm das deutsche Vaterland nie mehr bedeutet hat, als die deutsche Sprache und Literatur, soweit beide ihm und seiner Geistesart homogen waren. Es hat vielleicht nie jemand gegeben, der den Wert und die Macht der Literatur so hochgehalten und so überschätzt hat wie er.

Noch tiefer liegen die angeborenen Charakterzüge, die bis in die Wurzeln seines Daseins hinabreichen. Seine eigene Vererbungslehre, nach welcher die Willensart väterlicher, die Geistesart mütterlicher Herkunft sein soll, scheint sich an ihm selbst bestätigt zu haben, und seine unablässige Selbstergründung ist wohl der erste und nächste Weg gewesen, der ihn zu dieser Lehre geführt hat. Das heftige, ungestüme Wollen, diese so hervorstechende Eigenschaft sowohl seines Vaters als seines Großvaters Trosiener, war auch sein unveräußerliches Erbteil.

2. Das väterliche Erbteil

In der väterlichen Familie waren Geisteskrankheiten einheimisch: eine wahnsinnige Großmutter, zwei wahnsinnige Oheime, ein von Anwandlungen des Wahnsinns heimgesuchter Vater, der wohl zuletzt dem Schicksal der Geistesumnachtung erlag! Etwas von dieser Belastung war auf den Sohn übergegangen und gehörte zu seiner väterlichen Mitgift: er trug die Disposition zu Wahnideen in sich, woraus die unerklärlichen und schrecklichen Angstgefühle hervorgingen, die ihn plötzlich ergriffen und mit unbezwinglicher Gewalt bemeisterten. Überall sah er sich von Gefahren umgeben, die auf ihn lauerten, die schlimmsten sah er in den Menschen: daher seine unwiderstehliche Menschenscheu, die eine beständige Quelle der Furcht und feindseligen Erregung, des Argwohns und Misstrauens war, Stimmungen, die nicht etwa durch Gewohnheit geschwächt, sondern durch die Lebhaftigkeit seiner Einbildungskraft ins Maßlose gesteigert wurden. Es gibt nichts Fürchterlicheres als die Furcht, hat Bacon gesagt. Die Tapferkeit befreit uns vom Schicksal, die Furcht macht uns zu seinem Sklaven. Wenn dieser Affekt herrscht, so reicht er hin, um uns die Welt als Hölle erscheinen zu lassen: daher derselbe von Seiten der Gemütsbeschaffenheit auch der zureichende Grund ist, um eine pessimistische Weltansicht hervorzurufen.

Als Arthur Schopenhauer, noch ein sechsjähriges Kind, einmal im Hause zurückgeblieben war, während die Eltern einen längeren Spaziergang machten, geriet er plötzlich außer sich vor Angst, dass sie nie wiederkehren würden und er für immer verlassen sei. Als er, ein siebzigjähriger Greis, jemand über die Schienen der Eisenbahn gehen sah, rief er ihm zu, dass er sich in Acht nehmen möge. »Wenn ich so ängstlich wäre wie Sie«, sagte jener, »so hätte mich längst der Teufel geholt.« »Und mich auch«, erwiderte Schopenhauer, »wenn ich es nicht wäre.« Er schlief eine zeitlang mit Waffen und pflegte seine Habseligkeiten in die verborgensten Winkel zu verstecken, weil er fortwährend Raub und Diebstahl vor Augen sah; aus Neapel vertrieb ihn die Furcht vor den Blattern, aus Verona die Furcht vor vergiftetem Schnupftabak, aus Berlin die Furcht vor der Cholera; er vertraute seinen Bart nie einem fremden Schermesser an und führte stets einen ledernen Becher mit sich, um nicht aus fremden Gläsern zu trinken.124

Unter den Heroen des Geistes hat wohl keiner in solchem Grad, wie Arthur Schopenhauer, jene Worte des Goethe’schen Faust erlebt und erlitten:

Du bebst vor allem, was nicht trifft,

Und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen!

Seine Menschenscheu und sein darauf gegründetes Misstrauen mögen ihm bisweilen zu einer nützlichen Schutzwehr gedient haben, aber sie haben ihm auch schlimme Früchte getragen. Eine der schlimmsten lag darin, dass dieser geniale Denker, der dunkle und labyrinthische Gegenden der menschlichen Natur zu erleuchten gewusst hat, in konkreten und praktischen Fällen oft eine erstaunliche, seinen eigensten und teuersten Interessen verderbliche Menschenunkenntnis an den Tag gelegt hat, denn grundloses Misstrauen paart sich leicht mit grundlosem Vertrauen, und maßlose Affekte sind vor dem Richterstuhl der Vernunft grundlos. Der Ausspruch des Herzogs im Goethe’schen Tasso passte auf ihn wie bestellt:

Die Menschen fürchtet nur, wer sie nicht kennt,

Und wer sie meidet, wird sie bald verkennen.

Wenn er solche Worte, wie die angeführten, in seinem gefeierten Dichter las, so musste die innere Stimme ihm zurufen: »de te fabula narratur

Nehmen wir nun an, dass aus der ihm angeborenen Willensart eine Lebensanschauung und Weltansicht erwuchs, so konnte dieselbe nicht anders als schwermütig ausfallen, sich düster färben und pessimistisch gestalten. Freilich gehörte dazu das Bedürfnis nach einer Weltansicht, der mächtige Drang nach Vorstellungen und Ideen, der Vergrößerungsspiegel der Phantasie; sonst entstand nur ein elender, von den unseligsten Affekten gequälter, von seinen Wahnideen bis zur Verdunkelung beherrschter Mensch!

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