Kitabı oku: «Schopenhauer», sayfa 7
3. Die Universitätszeit in Göttingen und Berlin
Die Beschäftigung mit den Werken der klassischen Literatur war mit der Schulzeit nicht etwa beseitigt, sondern wurde auf der Universität fortgesetzt und hat ihn durch das Leben begleitet; er durfte sich rühmen, dass er die meisten seiner Freunde, darunter manche Philologen von Fach, an Sprachkenntnis und Belesenheit übertroffen habe. Aber er strebte nach universeller Erkenntnis und bedurfte jetzt der naturwissenschaftlichen und philosophischen Studien.
In Göttingen, wo er sich den 9. Oktober 1809 in der medizinischen Fakultät immatrikulieren ließ und die vier ersten Semester studiert hat (1809 – 1811), hörte er sämtliche Fächer der Naturgeschichte bei Blumenbach, Physik und physische Astronomie bei Tobias Mayer, Chemie bei Strohmeyer, eine Reihe historischer Vorlesungen bei Heeren, Psychologie und Logik bei Gottlob Ernst Schulze, dem Verfasser des »Änesidemus«129, der ihm riet, zuerst und vor allem Kant und Plato zu studieren und erst später Aristoteles und Spinoza.
Dass er diesen »weisen Rat« befolgt hat, müssen wir als die folgenreichste Begebenheit seiner geistigen Bildungsgeschichte bezeichnen. Erst das Studium Kants hat in seiner wissenschaftlichen Laufbahn die philosophische Epoche und Richtung begründet, von welcher letzteren er nie mehr gewichen ist. Als er die kantische Lehre durchdrungen hatte, sah er die Aufgabe vor sich, die zu lösen war. Zu ihrer Lösung hat das Studium Platos ihm den Weg gezeigt. In der Synthese der kantischen und platonischen Weltansicht sollte der Charakter seiner eigenen künftigen Lehre bestehen. Wir können hier nicht kürzer und bündiger, auch nicht seinem Sinn und Ausdruck gemäßer das System kennzeichnen, welches auszubilden und festzustellen das Thema seines Lebens gewesen ist. Noch während er in Göttingen studierte, hatte er sich für die philosophische Laufbahn entschieden und sah das Ziel in der Ferne.
Dafür gibt eine Unterredung, die er mit Wieland auf dessen Wunsch gehabt hat, ein denkwürdiges Zeugnis. Als der achtundsiebzigjährige Dichter ihm die philosophische Laufbahn ausreden wollte, antwortete der dreiundzwanzigjährige Student: »Das Leben ist eine missliche Sache; ich habe mir vorgenommen, das meinige damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken«. Diese Antwort gefiel und imponierte dem greisen Wieland so sehr, dass er den Philosophen von Beruf in ihm erkannte. Als er kurz nachher bei einer Cour am Hofe der Mutter begegnete, begrüßte er sie mit den Worten: »Ich habe neulich eine höchst interessante Bekanntschaft gemacht! Wissen Sie auch mit wem? Mit Ihrem Sohn! Es war mir sehr lieb, diesen jungen Mann kennen zu lernen, aus dem wird noch einmal etwas Großes werden.« Die Erzählung stammt aus der mündlichen Überlieferung des Philosophen. Wahrscheinlich hat dieses Gespräch in den Osterferien 1811, nicht 1810, stattgefunden, da die Antwort, die Schopenhauer gab, längere und tiefere philosophische Studien voraussetzt, als das erste Semester umfassen konnte.130
In denselben Ferien hatte er einen Göttinger Freund als seinen Gast mit nach Hause gebracht: Karl Josias Bunsen, der nachmals als »Ritter Bunsen« und preußischer Gesandter in England ein berühmter Mann wurde. Sechsundvierzig Jahre später haben sich beide Jugendfreunde als Greise am Ende ihrer Laufbahn und ihres Lebens noch einmal in Frankfurt wiedergesehen. Bunsens Name leuchtete längst im Glanze hoher Ehren; Schopenhauer, der damals berühmt zu werden begann, hielt das Ende seiner irdischen Laufbahn für den Anfang seines unvergänglichen Ruhmes und sagte zu Bunsen (wie dieser mir unmittelbar nachher erzählt hat): »Sie haben Ihren Lohn dahin!« Das Wiedersehen war nicht erquicklich gewesen.
Zum Abschiedsgruß von Göttingen schrieb Schopenhauer in das Fremdenbuch der Ruine Hanstein, wo er gern verweilt hatte und sich an das Goethe’sche »Bergschloss« erinnert fühlte, die drei ersten Strophen dieses Gedichts, das im Herbst 1801 auf der Lobedaburg bei Jena entstanden war: »Da droben auf jenem Berge, da steht ein altes Schloss« u. s. f. Unter das Gedicht schrieb er »Worte Goethes des Göttlichen«. Diese seine Zeilen sind vom 5. September 1811.131
Die drei letzten Semester (vom Herbst 1811 bis in das Frühjahr 1813) wurden in Berlin studiert. Die Beschäftigung mit Plato hatte ihn zu den Altertumsstudien zurückgeführt: er hörte bei Böckh eine Vorlesung über Plato und bei dem berühmten Fr. Aug. Wolf, an den er durch Goethe empfohlen war, Vorlesungen über die Wolken des Aristophanes und die Satiren des Horaz, über griechische Literaturgeschichte und griechische Altertümer. Die naturwissenschaftlichen Studien wurden eifrig wiederholt und fortgesetzt: er hörte Vorlesungen über Astronomie und Physik, über Magnetismus und Elektrizität, über Experimentalchemie und Physiologie, über die Anatomie des menschlichen Gehirns und die Gebiete der Zoologie.
Am wenigsten gefördert und befriedigt fühlte er sich durch die philosophischen Vorlesungen bei Fichte und Schleiermacher: er hörte jenen über »die Tatsachen des Bewusstseins« und hat auch einmal in seinem Kolloquium hartnäckig mit ihm disputiert, diesen über die Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, wobei er am Rand seines Heftes gelegentlich wider die Einheit und Zusammengehörigkeit von Philosophie und Religion protestiert hat. Von den Schriften Fichtes hat er mit innerer Zustimmung nur eine gelesen, die in Ansehung der Gegenwart pessimistisch gestimmt war: »Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters«. Er war selbst schon mit dem Ausbau der eigenen Ideen beschäftigt.
4. Die Promotion in Jena
Die akademischen Lehrjahre waren zu Ende. Am liebsten würde er jetzt in Berlin promoviert haben, wenn nicht der Ausbruch der deutschen Freiheitskriege im Frühjahr 1813 ihn von dort vertrieben hätte. Auch in Dresden, wo er gern in Ruhe seine Dissertation geschrieben hätte, war nicht seines Bleibens, denn schon sammelten sich die Kriegswolken, die sich hier in nächster Zukunft entladen sollten. Und da er zu Weimar im Hause der Mutter Verhältnisse vorfand, die ihn abstießen, so ging er in das vom Kriegslärm verschonte Rudolstadt, wo er bis in den Herbst blieb und im Gasthof zum Ritter seine Abhandlung »Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde« verfasste. Damit erwarb er sich von der philosophischen Fakultät zu Jena den Doktorgrad (2. Oktober 1813). Die Schrift enthält bereits den Unterbau seines Systems.132
Nach seiner eigenen Angabe hatte er zum Zweck der Abhandlung eine Reihe kritischer Schriften über die kantische Kritik gelesen, wie Herders Metakritik, Maimons Transzendentalphilosophie, Schulzes Änesidemus, Becks Standpunktslehre, Fries´ neue Kritik der Vernunft. Von Reinhold, Fichte, Schelling, Hegel und Herbart war nicht die Rede. Herders Metakritik wird auf das schärfste getadelt: sie wimmle von zahllosen Fehlern und liefere den Beweis, dass ihr Verfasser den großen Philosophen nicht verstanden habe.133 Noch den 4. November 1813 hatte er dem Buchhändler Frommann in Jena Hegels Logik mit der Bemerkung zurückgeschickt, dass er dieses Buch so wenig lese wie der Absender.134
Während die deutsche Jugend für ihr Vaterland kämpfte, hatte sich Arthur Schopenhauer, als ob er gar nicht dazu gehörte, in ein philosophisches Stillleben nach Rudolstadt zurückgezogen und die Schrift über den Satz vom zureichenden Grunde geschrieben; er hatte der Fakultät in seinem »Curriculum vitae« erklärt, dass er, dank seinem Vater, kosmopolitisch erzogen sei, dass sein Vaterland größer als Deutschland und er berufen wäre, der Menschheit nicht mit der Faust, sondern mit dem Kopfe zu dienen. Dies waren nun freilich keine Gründe »zureichender« Art. In eine Fensterscheibe des von ihm bewohnten Zimmers hatte er eingekritzelt: »Arth. Schopenhauer majorem anni 1813 partem in hoc conclave degit«. Dazu die idyllischen Worte des Horaz »laudaturque domus, longos quae prospicit agros«.
5. Goethes Einfluss
Im Laufe des November kehrte er nach Weimar zurück und lebte unter sehr unerquicklichen Verhältnissen in Pension bei der Mutter. Bisher hatte Goethe ihn unbeachtet gelassen und jenen Empfehlungsbrief an Fr. A. Wolf mehr um der Mutter willen als aus Interesse für den Sohn geschrieben. Nun hatte in der Promotionsschrift des jungen Mannes ein Abschnitt, der vom Grunde des Seins handelte und die durchgängige Anschaulichkeit der geometrischen Beweise verlangte, seine Aufmerksamkeit erregt und seinen Beifall gefunden. Die gleiche Forderung wollte er in den optischen Beweisen seiner Farbenlehre erfüllt haben und hielt den jungen Schopenhauer für fähig und würdig, in dieselbe eingeführt zu werden. In einer Abendgesellschaft der Mutter unterhielt er sich mit ihm und lud ihn für den folgenden Abend zu sich ein. Es war am 6. November, dass Goethe, wie Schopenhauer zu sagen pflegte, ihm zuerst seine Gnade zugewendet hat. Nach den Aufzeichnungen in seinem Tagebuch hatte Goethe schon am 4. November sich mit Schopenhauers Schrift beschäftigt und ihn selbst am 7., 10. und 14. dieses Monats bei sich gesehen. Er schreibt den 24. November an Knebel: »Der junge Schopenhauer hat sich mir als ein merkwürdiger und interessanter Mann dargestellt, Du wirst weniger Berührungspunkte mit ihm finden, musst ihn aber noch kennen lernen. Er ist mit einem gewissen scharfsinnigen Eigensinn beschäftigt, ein Paroli und Sixleva in das Kartenspiel unserer neueren Philosophie zu bringen. Man muss abwarten, ob ihn die Herren vom Metier in ihrer Gilde passieren lassen; ich finde ihn geistreich und das übrige lasse ich dahingestellt.« An demselben Tag schreibt Schopenhauer an F. A. Wolf: »Ihr Freund, unser großer Goethe, befindet sich wohl, ist heiter, gesellig, günstig, freundlich: gepriesen sei sein Name in alle Ewigkeit«.
Die eigentlichen Annäherungen und das Studium der Farbenlehre, worin er Goethes Schüler und Anhänger wird, fallen in die ersten Monate des Jahres 1814, nachdem ihn Goethe am 8. Januar früh in einem Handbillett zu einer Sitzung »um elf Uhr, lieber jedoch um halb elf Uhr« zu sich eingeladen hatte. Er ist in dieser Zeit dem großen Mann so nahe gekommen, dass er sich über seine idealistische und pessimistische Grundansicht offen gegen ihn aussprach. Als er ihm einst erklärte, dass die Sinnenwelt unsere Vorstellung sei, und die Sonne nicht wäre, wenn wir sie nicht sähen, blickte ihn Goethe groß an und sagte: »Vielmehr wären Sie nicht, wenn die Sonne Sie nicht sähe!«
Auch mit seiner pessimistischen Lebensanschauung muss er nicht zurückgehalten haben, wie aus dem Sinnspruch erhellt, den ihm auf seine Bitte, als er Abschied nahm, Goethe ins Stammbuch geschrieben hat:
»Willst du dich deines Wertes freuen,
So musst der Welt du Wert verleihen.
Im Gefolg und zum Andenken mancher vertraulichen Gespräche. Weimar, den 8. Mai 1814.« Es war gerade vier Monate, seitdem ihn Goethe zu Versuchen über die Farbenlehre eingeladen hatte.
Das Stammbuch Schopenhauers bestand aus diesem einzigen Blatt. Kürzer und treffender, als in diesen Goethe’schen Worten geschehen ist, lässt sich der Widerspruch nicht charakterisieren, an welchem der persönliche Pessimismus Schopenhauers zeitlebens gelitten hat: die Menschheit verachten und den Ruhm begehren, der doch in nichts anderem besteht als in der hohen Anerkennung der Menschen!
Dass während seines letzten Aufenthaltes in Weimar (vom November 1813 bis Mitte Mai 1814) ihn der Orientalist Friedrich Majer, der auch zu der Gesellschaft der Mutter gehörte, in das indische Altertum eingeführt, d. h. wohl zum Studium desselben angeregt hat, ist von Schopenhauer selbst in seinen Aufzeichnungen für Joh. Eduard Erdmann bemerkt, aber nicht näher erörtert und in seinem Berliner »Curriculum vitae« gar nicht erwähnt worden, weshalb wir darüber ohne eingehende Kunde sind. Bei der großen Wichtigkeit, welche der Gegenstand alsbald für die Ausbildung seiner Ideen gewinnen sollte, ist die Unkunde in diesem Punkte als eine biographische Lücke zu bezeichnen.135
III. Das Zerwürfnis zwischen Mutter und Sohn
Die nächste Ursache, dass er Weimar für immer verließ, lag in seinen Verhältnissen zur Mutter. Solange er in Hamburg lebte, hatte sie zärtliche und besorgte Briefe an ihn geschrieben, reich an Mitteilungen und interessanten Nachrichten aus ihrem neuen Leben; er hatte es ihrer mütterlichen Liebe und Fürsorge zu danken, dass er das Joch des ihm verhassten Berufes abschütteln und seinem Genius nachleben durfte. In der Nähe aber hatten die schon vorhandenen wechselseitigen Abneigungen sich wieder geltend gemacht, vermehrt und am Ende zu einer Schärfe und Bitterkeit gesteigert, dass nichts übrig blieb als die Trennung. Die Wurzel dieser so unnatürlichen Abneigung war von beiden Seiten die angeerbte Gemütsart.
1. Die ökonomischen Differenzen
Dazu kamen ökonomische Differenzen, die zur Grundverstimmung des ganzen Verhältnisses sehr viel beigetragen haben. Schon von Hamburg aus hatte der Sohn zur Sparsamkeit geraten, da trotz der erlittenen großen Verluste die Mutter in Weimar als reiche Witwe lebte, Equipage und verheiratete Dienerschaft hielt und der Geselligkeit zuliebe übermäßige Ausgaben machte. Auch fürchtete er, dass eine zweite Heirat den Verbrauch des Vermögens beschleunigen könnte, denn die reiche und lebenslustige Witwe, obwohl schon etwas korpulent und schiefen Wuchses, hatte Bewerber genug, unter denen sich auch der jüngste Bruder der Frau von Stein befand. Zwar über diesen Punkt vermochte sie den Sohn zu beruhigen, nicht ebenso über die Art und Weise, wie sie mit dem Geld umging, welches sein Vater erworben und der Familie hinterlassen hatte.
Das Vermögen war keineswegs so groß, wie es nach ihrer Lebensweise den Anschein hatte. Als Arthur mündig geworden war (den 22. Februar 1809), erhielt er als sein väterliches Erbteil den dritten Teil des Ganzen, der 19 000 Taler betrug, wozu er sieben Jahre später von seinem Oheim Andreas außer einigen Ländereien in Ohra noch 2000 Taler geerbt hat. Er hatte als Student 1000 Taler jährlich, was in jener Zeit mehr als genug war, aber für einen Mann, der stets einer vollen unabhängigen Muße genießen wollte, kaum hinreichte. Mutter und Tochter lebten in einem Scheinreichtum, den die letztere, als sie zur Erkenntnis der Lage gekommen war, sehr peinlich empfand, während die Mutter diesen Zustand mit tadelnswerter Leichtfertigkeit gepflegt hat, denn sie liebte den Schein und geriet in Schulden. Hierin war die Vernunft und das Recht auf der Seite des Sohnes.
2. Die persönlichen Differenzen
Was ihn aber der Mutter nicht bloß unbequem, sondern höchst unsympathisch und unleidlich erscheinen ließ, war seine beständige, bittre Tadel- und Spottsucht über das Elend der Welt und die Dummheit der Menschen. Er führte gern Goethes »Kophtisches Lied« im Munde, welches »alle die Weisesten aller der Zeiten« einstimmen lässt:
Töricht auf Bess’rung der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sich’s gehört!136
Nun waren ihm seine Spöttereien in Gotha recht übel bekommen und gaben der Mutter Gelegenheit, diese seine typische Unart mit scharfen Worten zu geißeln. »Du bist kein böser Mensch«, schrieb sie ihm, »Du bist nicht ohne Geist und Bildung, Du hast alles, was Dich zu einer Zierde der menschlichen Gesellschaft machen könnte, dabei kenne ich Dein Gemüt und weiß, dass wenige besser sind, aber dennoch bist Du überlästig und unerträglich, und ich halte es für höchst beschwerlich, mit Dir zu leben: alle Deine guten Eigenschaften werden durch Deine Superklugheit verdunkelt und für die Welt unbrauchbar gemacht, bloß weil Du die Wut, alles besser wissen zu wollen, nicht beherrschen kannst. Damit verbitterst Du die Menschen um Dich her, niemand will sich auf eine so gewaltsame Weise bessern und erleuchten lassen, am wenigsten von einem so unbedeutenden Individuum, wie Du doch noch bist. Niemand kann es ertragen, von Dir, der doch auch so viele Blößen gibt, sich tadeln zu lassen, und am wenigsten in Deiner absprechenden Manier, die im Orakelton gerade heraussagt: ›so und so ist es‹, ohne weiter eine Einwendung nur zu vermuten. Wärest Du weniger, als Du bist, so wärest Du nur lächerlich, so aber bist Du höchst ärgerlich.« »Solch eine ambulante Literaturzeitung, wie Du gern sein möchtest, ist ein langweiliges und gehässiges Ding.«
In diesen Worten konnte der junge Schopenhauer sich spiegeln; er ist geschildert, wie er leibt und lebt. Beherrschen aber konnte er die Unart, welche die Mutter ihm vorhielt, mitnichten, denn sie war der unmittelbarste Ausdruck seiner Willens- und Geistesart. Die Willensart gab den pessimistischen tiefen Grundton, die Geistesart die hellen und scharfen Töne des Witzes und Spottes. So war er und so ist er stets geblieben; er ist mit den Jahren wohl zurückhaltender, »zugeknöpfter«, wie er zu sagen pflegte, klüger vielleicht, aber kein anderer geworden. Und so verhält es sich ja nach seiner Lehre, die aus seiner Selbstergründung hervorging, mit den menschlichen Charakteren überhaupt.
Mutter und Sohn standen so zueinander, dass im Widerstreit mit dem Naturgesetz ihre wechselseitige Anziehung mit der Größe der Entfernung zunahm; in der nächsten Nähe wirkte nur die Repulsion. Arthur sagte oft zu seiner Mutter: »wir beide sind zwei!« Er sollte ihrem Wunsch gemäß das Gymnasium nicht in Weimar besuchen, sondern in Gotha; er sollte in Weimar nicht bei ihr, sondern außerhalb ihres Hauses wohnen. Als er sich für Weimar entschieden hatte, schrieb sie ihm (den 13. Dezember 1807): »Es ist zu meinem Glücke notwendig zu wissen, dass Du glücklich bist, aber nicht ein Zeuge davon zu sein. Ich habe dir immer gesagt, es wäre sehr schwer mit Dir zu leben, und je näher ich Dich betrachte, desto mehr scheint diese Schwierigkeit für mich wenigstens zuzunehmen.« »Auch Dein Missmut ist mir drückend und verstimmt meinen heiteren Humor, ohne dass es Dir etwas hilft. Sieh, lieber Arthur, Du bist nur auf Tage bei mir zum Besuch gewesen, und jedes Mal gab es heftige Szenen um nichts und wieder nichts, und jedes Mal atmete ich erst frei, wenn Du weg warst, weil Deine Gegenwart, Deine Klagen über unvermeidliche Dinge, Deine finsteren Gesichter, Deine bizarren Urteile, die wie Orakelsprüche von Dir ausgesprochen werden, ohne dass man etwas dagegen einwenden dürfte, mich drücken, und mehr noch der ewige Kampf in meinem Innern, mit dem ich alles, was ich dagegen einwenden möchte, gewaltsam niederdrücke, um nur nicht zu neuem Streit Anlass zu geben.« »Höre also, auf welchem Fuß ich mit Dir sein will. Du bist in Deinem Logis zu Hause; in meinem bist Du ein Gast, der immer freundlich empfangen wird, sich aber in keine häusliche Einrichtung mischt. Um diese bekümmerst Du Dich gar nicht, ich dulde keine Einrede, weil es mich verdrießlich macht und nichts hilft; an meinen Gesellschaftstagen kannst Du abends bei mir essen, wenn Du Dich dabei des leidigen Disputierens, das mich auch verdrießlich macht, wie auch alles Lamentierens über die dumme Welt und das menschliche Elend enthalten willst, weil mir das immer eine schlechte Nacht und üble Träume macht, und ich gern gut schlafe.«
Es gibt kein Bild, das der Frau Schopenhauer so sprechend ähnlich sein könnte, wie dieser Brief an ihren Sohn im Augenblick, wo derselbe in ihre Nähe kommt. Scharf und schneidend ist der Ton, den sie gegen ihn anschlägt; es rührt sich kein Laut mütterlicher Zärtlichkeit und Liebe, jedes Wort sucht ihn fernzuhalten und abzuwehren, um die Behaglichkeit und Ruhe ihres eigenen Daseins zu sichern und ihm gegenüber gleichsam zu ummauern. Jedes Wort beweist, dass sie ihn nicht liebt. Und auf der andern Seite ist es sehr erklärlich, dass eine Frau wie Johanna Schopenhauer, die mit Goethe und Wieland auf freundschaftlichem Fuß verkehrt, der Fernow sich geistesverwandt fühlt, die von einer Reihe bedeutender Männer sich umgeben und gefeiert sieht, die bald auch als Schriftstellerin Glück macht, nicht geneigt sein kann, von ihrem Sohn, der das Gymnasium besucht, sich meistern und tadeln zu lassen. Diese beiden Personen, von Natur einander die nächsten, sind und bleiben zwei, wie der Sohn sagte.
Mündig und selbständig, kehrt er nach Jahren zeitweiliger Trennung im November 1813 für längere Zeit in das mütterliche Haus zurück. Als er der Mutter seine Promotionsschrift »Über die vierfache Wurzel« usw. überreichte, hatte sie für ihn keinen Glückwunsch, sondern eine Kränkung in Bereitschaft: »Das ist wohl etwas für Apotheker!« Verletzt erwiderte der Sohn: »Man wird meine Schrift noch lesen, wenn von der deinigen kaum mehr ein Exemplar in einer Rumpelkammer zu finden ist«. Die Mutter replizierte: »Von der Deinigen wird noch die ganze Auflage zu haben sein!« Ein recht charakteristischer Wortwechsel zwischen Mutter und Sohn, wie zwischen zwei literarischen Nebenbuhlern! Noch merkwürdiger ist, dass beide recht hatten. Es kam eine Zeit, wo die Werke Arthur Schopenhauers eingestampft und die seiner Mutter gesammelt, neu aufgelegt und viel gelesen wurden; heutzutage liegen die Werke der Johanna Schopenhauer in der Rumpelkammer, wo sie für immer bleiben, während die ihres Sohnes in Volksausgaben von Hand zu Hand gehen.
Mehr und mehr verbitterten sich damals die Stimmungen von beiden Seiten und durch beiderseitige Schuld. Dass nach der Schlacht bei Leipzig der Sohn imstande sein konnte, von dem nationalen Aufschwung, den Heldentaten und der Siegesfreude der Deutschen teilnahmslos und spöttisch zu reden, musste die patriotischen Gefühle der Mutter auf das äußerste empören.137