Kitabı oku: «Wirklichkeiten», sayfa 4

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Newton sah als Mensch und gläubiger Christ in der Natur ein Mittel für die Zwecke Gottes. Aber als der Mathematiker und Physiker, als der er zu den unsterblichen Begründern der Naturwissenschaft gehört, sah er in der Natur das von Gott geordnete Gebiet einer undurchdringlichen Gesetzlichkeit und in der Erfahrung und Rechnung das Mittel, diese Gesetzlichkeit in das Bewußtsein der Menschheit zu heben. Die Natur hat in der Übertragung der Bewegung nach mathematisch formulierten Gesetzen ihre eigene Realität; nur aus dieser ist sie zu erkennen, nicht aus Hypothesen über die Wechselwirkung, sei es durch Ätherstöße oder Fernwirkung, sei es durch eine Weltseele. Darüber wollte Newton keine Hypothesen bilden, weil die Aufgabe der Naturwissenschaft allein darin besteht, den Stoff der sinnlichen Erfahrung in der Form des Gesetzes zum allgemeingültigen Objekt, zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen. Physik wollte er, keine Metaphysik, sofern es sich um Naturwissenschaft handelt. Aber wo er nicht Naturforscher ist, sondern Mensch, da kann das Erkennen nicht genügen, da fühlt er auch, und da glaubt er an die göttliche Macht, die in den Dingen waltet. Doch nicht in der Art Platons. Die Weltseele bewegt nicht mehr die Körper. Die Körper bewegen sich, selbst. Dies ist der Unterschied: Die Realitäten sind gesondert. Die Natur ist selbständig. Das Gesetz der Wechselwirkung ist ein mathematisches Gesetz in den Dingen selbst. Was wir darüber hinaus von der Wechselwirkung glauben, geht die Naturwissenschaft nichts an.

Diesen Standpunkt hat Newton in seinen naturwissenschaftlichen Schriften überall streng innegehalten. Er hat darin durch sein Forschen und seinen Glauben nach einem Prinzip gehandelt, das hundert Jahre nach ihm Immanuel Kant der Menschheit zum klaren Bewußtsein gebracht hat als die Methode, wodurch Kultur überhaupt möglich wird, weil sie Grenzen und Rechte bestimmt für Erkenntnis und Glauben. In Raum und Zeit herrscht die Notwendigkeit des Gesetzes, unberührbar von unserem Wollen und Fühlen, und soweit reicht Erkenntnis; aber wo Erkenntnis nicht mehr hinreicht, ist Freiheit; und um dieser Freiheit willen ist der Mensch.

Ursprünglich sollte die Bewegung durch die Weltseele erklärt werden. Als die mechanische Naturauffassung im siebzehnten Jahrhundert ihre wissenschaftliche Festigkeit erhielt, schien es, als sei nun die Bewegung die einzige Realität, als gäbe es nur Natur; die mechanische Naturauffassung wurde zur naturalistischen Weltansicht, zum Materialismus; jetzt sollte die Weltseele, d.h. die Tatsache des Bewußtseins, durch die Bewegung erklärt werden. Aber auch dies ist nicht möglich. Aus der seelenlosen Mechanik der Atome kann kein Bewußtsein entspringen. Es bleibt nur übrig, daß beide, Bewegung und Empfindung, Naturgeschehen und Einheit des Bewußtseins, in derselben Tatsache gegeben sind, in der Realität des Gesetzes, daß sich Bestimmungen, Ordnungen, Synthesen in Raum und Zeit vollziehen, und daß dieselben Bestimmungen und Synthesen unter Umständen ihrer Realität sich bewußt sind. Diesen Gedanken, dessen Folgen wir zunächst nur in kurzer Übersicht entwickeln, werden die nachstehenden Aufsätze im einzelnen zu erläutern versuchen. Hiermit erreichen wir den Gesichtspunkt, von welchem aus sich die spiritualistische wie die materialistische Weltauffassung überwinden läßt. Das naive Bewußtsein kennt nicht die Trennung der unbewußten Natur von dem bewußten Geiste; aber es kennt damit auch nicht die Gesetzlichkeit der Natur und den Weg zu ihrer Beherrschung. Diese Trennung mußte von der Wissenschaft erst vollzogen werden, um in der Natur ein Gebiet zu gewinnen, in welchem Erkenntnis möglich ist, und daraus zu lernen, daß die Natur und Erkenntnis dieselbe gesetzliche Notwendigkeit bedeuten. So ergibt sich die Natur als eine unzählige Mannigfaltigkeit in einander greifender Systeme, in denen sich gesetzmäßig der Inhalt gestaltet, so daß wir zugleich den Inhalt erleben und das Gesetz erkennen.

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Jene Systeme und Systeme von Systemen bezeichnen wir als Körper, ob sie nun im speziellen Atome, Molekeln, Stoffe, Planeten, Sonnensysteme, Organismen, Pflanzen, Tiere oder Menschen heißen. Sie bestimmen sich gegenseitig als Einheiten, und in diesen Einheiten liegt es, daß die Natur sich selbst erleben kann, während die gesetzliche Bestimmtheit der Natur dadurch nicht geändert wird.

Alles dies könnte mechanisch ganz ebenso vor sich gehen, ohne daß bewußte Wesen existierten, ohne daß irgend etwas da wäre, was man Seele oder Geist nennt. Innerhalb der Natur liegt zu letzterem keine Nötigung vor. Die reale Einheit der Systeme ist durch das Gesetz bedingt, wodurch ihre Elemente gegenseitig auf einander bezogen werden. Die Molekeln führen ihre Schwingungen aus, die Energie der Raumteile vollbringt ihren ewigen Wandel, die komplizierten Energiegefühle der Zellen bauen sich zu Organismen auf, im Nervensysteme der Tiere, im Gehirn der Menschen gestaltet sich ein Mechanismus, der die fernsten Wirkungen in Raum und Zeit verbindet und aufspeichert, der in der Wechselwirkung der Gehirne jenes umfassende System herstellt, das wir die Kulturentwickelung der Menschheit nennen. Das ist die Auffassung der Welt, wie sie uns theoretisch als Naturerkenntnis zugänglich ist.

Aber dieses Geschehen in Raum und Zeit besteht nicht bloß in der Einheit des Gesetzes, sondern auch als erlebte Einheit im Bewußtsein individueller Geister. Es ist nämlich unter jenen Systemen eines, von dem ich die unmittelbare Erfahrung habe, daß jene Zusammenhänge in ihrer Einheit erlebt werden, daß sie den Charakter der Bewußtheit besitzen. Dieses System ist mein Leib. Alles, was mit diesem in gesetzliche Beziehung tritt, wird erlebt als mein Ich. Daher weiß ich, daß es Einheiten gibt, in denen die Natur sich selbst erlebt, und daher ist der Begriff einer Weltseele zum mindesten der Natur nicht widersprechend. Nur freilich wie weit dieses Selbsterleben sich ausdehnt, das weiß ich nicht. Ich muß annehmen, daß überall, wo dieselben Einheitsbeziehungen bestehen, auch dieselben Erlebnisse sich einstellen, und ich darf daher erwarten, daß, je näher eine Organisation der meinigen steht, um so ähnlicher auch ihre Seele, ihr Erlebnis dem meinigen ist. Bis wohin sich die Ähnlichkeit erstreckt, läßt sich nur aus dem Verhalten der Systeme schließen. Wenn aber Gründe sich finden sollten, weshalb ich jeder Einheitsbeziehung in der Natur Bewußtheit zuschreiben zu müssen glaubte, so hindert mich nichts daran. Ein menschenähnliches Bewußtsein werden wir dort voraussetzen, wo ähnliche gesetzmäßige Systeme vorhanden sind, also Nervensysteme und Gehirne wie bei uns; denn die Erfahrung lehrt, daß die Einheit unseres Ich nur erlebt wird, insofern die Einheit des Gehirns intakt ist.

Prinzipiell jedoch darf man annehmen, daß überall, wo einheitliche Systeme in der Natur existieren, auch diese Einheiten sich erleben. Nicht nur die Tiere und Pflanzen mögen daher individuelles Bewußtsein besitzen, ebenso wie jede Zelle, auch die Planeten und Sonnensysteme können bewußte Wesen sein, ja selbst jede einfachste physische Wechselwirkung, insofern die Einheit des gesetzlichen Zusammenhangs ihrer Teile vorhanden ist, braucht vom Selbsterlebnis nicht ausgeschlossen zu sein. Entsprechend der komplizierten Wechselwirkung einfacher Systeme in immer höheren Systemen kann man sich auch die Grade des Bewußtseins und die Mannigfaltigkeit des Erlebnisses in unzähligen Stufen geordnet denken.

Das »Erleben« ist somit aufzufassen als die Wechselwirkung selbst, die an einem System, im Zusammenhang mit andern stattfindet. Ich erfahre es nur an dem System, das mein Leib bildet, und zwar erfahre ich es als Tatsache, daß Veränderungen in dem Zustande vor sich gehen, den ich mein Ich, mein eigenes Bewußtsein nenne. Insofern ist Bewußtsein die einzige Form der Existenz, die wir kennen; denn alle Veränderungen der Dinge können wir allein durch solche Angaben beschreiben, wie sie in unserem Bewußtsein enthalten sind, aus Anschauungen des Raumes und der Zeit, Begriffen der Größe, der Qualität, der Abhängigkeit, Empfindungen der Härte, der Farbe, der Wärme usw. Aus diesen Daten des Bewußtseins erst sondert sich im Verlauf der Erfahrung des einzelnen und im Verlauf der Geschichte des menschlichen Denkens eine Gruppe, ein System von Tatsachen heraus, die wir die Natur nennen, weil sie eine Gesetzlichkeit für sich bildet.

Dadurch tritt Natur als eine Realität besonderer Art derjenigen Realität gegenüber, die in unserem Ich als gesetzlich unbestimmt, oder wenigstens für uns nicht bestimmbar, übrig bleibt, und die wir als unser Gefühl bezeichnen. Das Gefühl unterscheidet uns als individuelle Geister innerhalb des Gesamtzusammenhanges der Welt. So trennt sich also innerhalb des Bewußtseins erst das gesetzliche Geschehen der Natur von dem subjektiven Gefühl, und erst in diesem Gegensatze, in welchen das Erlebnis sich spaltet, zeigt sich der gesetzliche Inhalt in Raum und Zeit als Körperwelt neben und zusammen mit jenem Gebiete, das als Vorstellungswelt und Seele seine individuelle Beschaffenheit beibehält. Aber so wenig wir aufhören, Bewußtsein zu haben, weil wir einen Körper besitzen, ebensowenig brauchen wir andern räumlich-zeitlichen Einheiten die Seele abzusprechen. Nur dürfen wir mit diesem Zugeständnis keinen Mißbrauch treiben. Wir dürfen nie vergessen, daß wir aus der Annahme einer Beseelung der Natur absolut keine wissenschaftliche Erklärung der Natur gewinnen können. Denn alles, was die Erkenntnis zu leisten vermag, leistet sie lediglich unter der Voraussetzung der widerspruchslosen Gesetzlichkeit, und diese ist allein in der räumlich-zeitlichen Wechselwirkung anzutreffen. Diese ist ja eben deswegen als Natur vom seelischen Erlebnis abgesondert worden. Es können immer nur andere als naturwissenschaftliche Rücksichten sein, die den Gedanken einer Weltseele nahezulegen vermögen.

Einheitliche Systeme der Natur, wie Molekeln, Organismen, Planeten, mit Bewußtsein begabt zu denken, mag ein berechtigter Analogieschluß sein. Dann müssen wir uns diese Systeme auch stets als individuelle Seelenwesen vorstellen. Es liegt ja im Begriff des Individuums, daß es nur durch die Wechselwirkung mit anderen Individuen existiert, sowohl als physisches System wie als damit identische psychische Einheit. Dürfen wir nun diesen Schluß auch auf das Ganze der Welt übertragen? Dürfen wir von einer Weltseele sprechen in dem Sinne, daß es ein Bewußtsein des Universums gibt?

Das ist eine Frage, deren Beantwortung unmöglich ist, weil schon die Voraussetzung der Totalität des Weltalls jede Erfahrung übersteigt. Die Grenzen, innerhalb deren unsere Begriffe Recht und Geltung besitzen, sind überschritten, weil sie durch keine Anschauung mehr bestätigt werden können. Die Frage kann nur noch so gestellt werden: Gibt es Interessen der Menschheit, die den Glauben an eine Weltseele erfordern? Solche Interessen können Motive des Willens oder des Gefühls sein. Ihnen nachzugehen ist eine Aufgabe für sich. Diesen Fragen ist überhaupt nicht beizukommen, indem man von der Natur ausgeht und sie zum Universum erweitert; denn dann bleibt man immer in den Grenzen von Raum, Zeit und Notwendigkeit. Dann besteht jeder Schritt nur darin, daß man weiß, dies muß so sein, weil jenes ist, und jenes wieder, weil ein anderes ist, jeder Zustand ist bedingt durch einen anderen; man gelangt stets auf einen unendlichen Prozeß, der zuletzt ins Unbestimmte verschwimmt. Alles was ist, ist dann zwar bestimmt durch ein anderes, aber daß überhaupt etwas ist, bleibt vom Standpunkte der Naturerfahrung aus ein Zufall.

Daß überhaupt etwas ist, wissen wir nicht aus der Erkenntnis, sondern aus dem Selbstgefühl, daß wir selbst sind. Und nur von hier aus können wir den unverrückbaren Standpunkt gewinnen, von dem aus das Ganze der Natur jetzt als das Mittel erscheint zu dem Zwecke, daß überhaupt etwas sein soll, nämlich Verwirklichung des Guten durch die Freiheit sittlicher Persönlichkeiten. Nur von dem Weltzweck aus, der in der Forderung des Sittengesetzes gegeben ist, könnte man fragen, ob die Weltseele nötig sei zu vermitteln zwischen der Idee des Guten und der Natur, wie einst Platon es glaubte. Und dann könnte man doch das Wort »Weltseele« nur verstehen als Symbol eines Vernunftgesetzes, als eine Versinnbildlichung unseres Glaubens an den Willen Gottes, in welchem Gesetz und Freiheit zusammenfallen.

Ins Inn're der Natur

Daß »Natur« ein vieldeutiges Wort ist, weiß jedermann; trotzdem läßt sich eine mächtige, in der Gegenwart lebendige Bewegung im Grunde auf eine mangelhafte Unterscheidung der Bedeutungen dieses Wortes zurückführen. Schon vor mehr als zweihundert Jahren hat der berühmte Chemiker Robert Boyle in einer kleinen Schrift »Über die Natur selbst« sich über die Fehlschlüsse beklagt, die aus dem Mißbrauch des Wortes »Natur« hervorgehen. Er könnte es, wenn er heute lebte, in noch viel ausgedehnterem Maße tun, nachdem der von ihm vertretene Begriff des Naturmechanismus eine vertiefte, durch die wissenschaftliche Forschung gerechtfertigte Bedeutung gewonnen hat. Denn neben der exakten Bestimmung, wonach Natur den Inbegriff dessen umfaßt, was der Notwendigkeit erkennbarer Gesetze unterliegt und somit den Gegenstand der Naturwissenschaft ausmacht, verstehen wir andrerseits unter Natur auch immer noch jenes unbestimmte Etwas, das uns wie ein ursprünglich Gegebenes entgegentritt, wenn wir gegenüber den Verfeinerungen der Kultur auf unser innerstes Wesen zurückzugehen versuchen. In diesem Sinne ist »Natur« das Losungswort für alle Bestrebungen, die irgend eine wirkliche oder scheinbare Stockung im Kulturleben durch eine Besinnung auf die unmittelbare Erfahrung des Menschen zu beseitigen wünschen. Natur ist also dann – im Geiste Rousseaus – der direkte Gegensatz zur Kultur, die als eine Entartung des Natürlichen erscheint; und damit kehrt sich der Sinn des Wortes genau in das Gegenteil dessen, was die Wissenschaft mit Natur bezeichnet. Im wissenschaftlichen Sinne bedeutet die Natur nämlich jenes Gebiet der Naturgesetzlichkeit, das nur im Fortschritt der Erkenntnis von uns erobert wurde und demnach selbst ein Erzeugnis der Kultur ist.

Hieraus entsteht nun eine gefährliche Verwirrung, wenn nicht philosophische Besinnung darauf hinweist, daß Natur im Leben und Natur in der Wissenschaft zwei verschiedene Dinge anzeigen; das eine Mal den unergründlichen Mutterschoß des Daseins, aus dem immer neue Kräfte verjüngend und schöpferisch emporsteigen; das andere Mal die feste Fügung der Notwendigkeit im Raum und Zeit, in der ein ewiges Gesetz alles Werdende in unverrückbare Bahnen zwingt.

Wer im gewöhnlichen Sinne von Natur als dem ursprünglichen Quell aller Gestaltung spricht, der will eben damit ein Gebiet hervorheben, das er sich unabhängig denkt von jeder menschlichen Satzung, unabhängig von der Willkür der Individuen, von den Regeln der Konvention, von den Gesetzen des menschlichen Denkens, kurzum von allem, was als Resultat einer kulturhistorischen Entwickelung zu betrachten ist. Was er sich unter Natur vorstellt, ist ein unbestimmtes Weben und Walten des Alls. Daß es hierin ein gesetzliches Geschehen gibt, wird wohl stillschweigend vorausgesetzt, aber in welcher Beziehung dieses zum Bewußtsein der Menschheit steht, wird nicht näher erwogen. Natur soll gerade das bedeuten, was allem menschlichen Schaffen und Denken übergeordnet ist, die Weltgestaltung selbst. Nicht bloß die Sonnen- und Weltsysteme, die sich im unendlichen Raume ballen, nicht bloß auf Erden der Kreislauf der Gewässer, das Rauschen des Windes, das Zerbröckeln der Gesteine, nicht bloß das Wachsen der Zellen, die Entwickelung der Organismen, die Wechselwirkung alles Lebendigen, nicht bloß diese unabsehbaren Prozesse des Werdens und Vergehens werden als Natur bezeichnet, sondern auch der innerste Grund des Menschendaseins selbst. Das unbewußte Spiel der Triebe und Regungen in der Menschenseele, das Auf- und Niederwogen der Gefühle, das Aufbrausen der Leidenschaften, ebenso der Wechsel der Vorstellungen, der unwillkürliche Verlauf der Gedanken, die Macht der Einbildungskraft und die Schöpfertat des Genius heißen natürlich, werden betrachtet als der Ausdruck der im Inneren der Dinge waltenden Urkraft, der Natur. Mit diesem Namen wird alles zusammengefaßt, was im Wechsel der Zeit zur Fülle des Lebens sich gestaltet, was Himmel und Erde umspannt und als Leid und Lust im Menschenherzen flutet, ja endlich auch der Urgrund des Lebenswillens selbst, der in den sozialen Beziehungen der einzelnen und der Völker sich verwirklicht. So gilt Natur als das Weltgeschehen selbst, als eine ursprüngliche, ja als die einzige, allumfassende Realität, wenigstens als eine Macht, die in allen Gestaltungen der Wirklichkeit das im letzten Grunde Bestimmende darstellt. Und als solche übergeordnete Gewalt soll sie die rettende Zuflucht bilden, wohin die Menschheit sich drängt, wenn die Widersprüche des zivilisierten Lebens sich zuspitzen und häufen, um aus dem ewigen Jungbrunnen der Natur Erquickung und neue Säfte zu gewinnen.

Nun aber kommt die Wissenschaft von der Natur und erklärt sie als ein großes Uhrwerk, das unter dem eisernen Gesetze der Notwendigkeit sein gefühlloses Räderspiel abrollt. Und die Wissenschaft ist die mächtige geistige Führerin des Jahrhunderts, das ihr seinen eigenartigen Charakter verdankt. Die Naturwissenschaft schreitet einher als Siegerin im Kampfe der Geister. Ihr Fuß ruht auf dem unerschütterlichen Grunde mathematischer Gesetze, mit dem Szepter der Rechnung lenkt sie die Bewegungen der Körper bis in die fernsten Räume und Zeiten. Ihre unerschöpflichen Hilfsmittel entnimmt sie dem breiten, fruchtbaren Boden der Erfahrung, und ihr Haupt schmückt die Strahlenkrone des Erfolges, in welche die alles überwindende Technik immer herrlichere Edelsteine einfügt. Kein Wunder, daß ihren Worten gläubig gelauscht wird. Und diese Worte sagen: »Was ich euch gebe als das Resultat der Forschung, als das Eigentum, worüber ihr als Herren schaltet, das kann ich euch nur geben, weil es der Erkenntnis unterworfen ist; und es ist der Erkenntnis unterworfen, weil es Gesetzen gehorcht, die den Umlauf der Sonnen ebenso unveränderlich bestimmen wie den Zerfall der Molekeln in eurem Nervensystem, wenn eine Empfindung euch durchzuckt. Es ist der Zwang des Gedankens, der die Natur unter dem Gesetz der Wechselwirkung zu einem Mechanismus macht, und zu diesem Mechanismus gehört euer eigen Leib und Leben, sofern ihr diese erkennen wollt.«

Dies sagt die Naturwissenschaft, und sie sagt es mit Recht; aber sie sagt auch nicht mehr. Die Natur ist ein Mechanismus, zu welchem der Mensch ebenfalls gehört, sofern er sich als Gegenstand der Forschung betrachtet. Dabei soll das Wort Mechanismus immer den allgemeinen Sinn haben: ein System; d.h. eine gesetzliche Verbindung von Elementen zu einer Einheit, deren Realität sich nicht etwa auf die einzelnen Elemente allein, sondern gerade auf die Art ihres Zusammenschlusses zu einer besonderen Wirkungsweise gründet. In diesem Sinne ist eine Maschine so gut ein System wie ein Organismus. Ihr Bestehen beruht auf der Wechselwirkung von Teil und Ganzem, nur darf diese nicht gedacht werden als eine Bestimmung aus bewußtem Willen, sondern als eine Beziehung durch gesetzliche Notwendigkeit (vergl. Abschn. XIV). Jedoch nun entsteht die Verwirrung durch den Doppelsinn des Wortes »Natur«. Natürlich gilt für gewöhnlich als die umfassende Realität, als die Weltgestaltung selbst. So wäre denn diese Weltgestaltung ein Mechanismus, in welchem jede kleinste Veränderung von Ewigkeit her gesetzlich bestimmt ist, und in diesen Mechanismus gehörte das ganze Menschenleben mit seinen Freuden und Schmerzen, mit der Kraft des ethischen Charakters und der Gewalt des ästhetischen Genies, mit der sittlichen Forderung der Willensfreiheit und allen Gütern des Ideals? Das kann nicht sein!

Es gibt eine Realität in den Tiefen des Menschenlebens, die keiner Naturwissenschaft zugänglich ist, und an welcher der Glaube an die Freiheit der Bestimmung nicht rütteln läßt. Und keiner ernsten Wissenschaft fällt es ein, diese Freiheit stürzen zu wollen. Es ist lediglich ein Mißverständnis über die Bedeutung des Wortes Natur, wenn man der Naturwissenschaft einen derartigen Übergriff unterlegt. Die Natur, deren Erkenntnis von der Wissenschaft erreicht wird, ist eben nicht jenes allumfassende Weltgeschehen, sondern sie ist nur ein Teil davon; derjenige Teil, worin Notwendigkeit und Mechanismus herrschen, weil diese das Gesetz des Denkens, die Form unserer Erkenntnis bedeuten.

Aus dem Mißverständnis aber entsteht schwere Schädigung. Die einen meinen, wenn die Wissenschaft die Natur, das heißt jetzt das Weltgeschehen selbst, zum Mechanismus macht, so ist jene vom Übel und muß gestürzt oder umgewandelt werden. Denn hätte sie recht, so gäbe es keine Freiheit, also keine Sittlichkeit, keine Kunst, keine Religion; dann aber ist es besser, wir haben keine Erkenntnis, als daß wir die heiligsten Güter des Lebens aufgeben sollen. Oder – die Wissenschaft ist im Irrtum – und das ist sie, da die Freiheit eine Tatsache ist – also muß sie erst recht umkehren. Und so erhebt sich in vielen Gemütern, welche die sogenannte naturwissenschaftliche Weltanschauung, richtiger die materialistische Auffassung, nicht befriedigen kann, ein Widerspruch gegen die wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt, der um so gefährlicher ist, als er im Gegensatz zur ernsten Forschung nunmehr zu wüstem Aberglauben und kulturwidrigem Mystizismus führt.

Andre wieder meinen, es kann nicht zweierlei Welten geben, eine Welt der Notwendigkeit und eine Welt der Freiheit. Nun lehrt uns das einzig Untrügliche, was wir haben, die wissenschaftliche Erkenntnis, daß die Welt der Notwendigkeit besteht. Folglich muß der Glaube an die Freiheit eine Täuschung sein. Wir wollen uns aber nicht in Illusionen wiegen, wir wollen der Wahrheit ins Gesicht schauen, sehe sie aus, wie sie wolle. Also fort mit dem Glauben an die Freiheit und alles, was damit zusammenhängt; wir sind Sklaven und müssen tun, was die Natur gebietet; sehen wir zu, wie wir uns damit abfinden!

Beide Parteien haben unrecht. Es ist ein Irrtum, daß die Natur, die Gegenstand der Erkenntnis ist, alle Realität des Daseins umfasse. Es ist aber auch ein Irrtum zu glauben, daß die volle Geltung der Naturgesetze dadurch Einbuße erleide, daß es ein Reich der Freiheit gibt.

Man wird vielleicht einwenden, dies sei eine willkürliche Aufstellung. Denn wenn einmal alles, was der Erkenntnis unterliegt, dem Gesetze der Notwendigkeit gehorcht, so ist ja gar keine Schranke gezogen, wieweit dieses Gebiet reicht; man kann es doch nicht von der subjektiven Willkür oder vom Zufall abhängig machen, wie weit man in der Erkenntnis gehen will. Es muß demnach die Möglichkeit zugestanden werden, daß alles Seiende erkennbar, also auch mechanischen Gesetzen unterworfen sei. Und so müsse es entweder im Grunde der Dinge keine Freiheit geben, oder die Erkenntnis sei nur eine subjektive Gedankenbildung, der keine Bestimmung über das Wirkliche zukomme.

Hier sind wir an der Stelle, wo die Philosophie einzusetzen hat. Wer sagt uns denn, was das Wirkliche ist? Wer sagt uns, daß es nur eine Art der Gesetzlichkeit, die Naturgesetzlichkeit, gibt? Ist nicht das Gesetz des Gewissens: Du sollst! auch eine Bestimmung, welche Wirklichkeit bedingt? Die Möglichkeit zu untersuchen, wie Notwendigkeit und Freiheit neben einander bestehen können, ist eine Aufgabe der Philosophie. Der Lösung dieser Schwierigkeit vermögen wir uns zu nähern, wenn wir den Begriff der Natur richtig fassen. Es handelt sich um die Frage: Wie ist es möglich, daß ein Gebiet von Erscheinungen existiert – die Natur –, in welchem das gilt, was wir Naturnotwendigkeit nennen? Haben wir hierüber Aufklärung gewonnen, so läßt es sich vielleicht dann verstehen, wie es möglich ist, daß Sittlichkeit, Kunst und Religion davon unabhängig Bestand haben können.

Zunächst gilt es, vor einem Versuche zu warnen, der einen Ausweg zu versprechen scheint, aber nur ein Irrweg ist. Wir sollen den Begriff der Natur recht erfassen. Nun wohl, wir hören ja so oft das Wort vom »Innern der Natur«, das uns ewig verschlossen bleibe. Könnten wir nur da hinein dringen, würden wir dort nicht vielleicht jene gesuchte Freiheit finden? Sollte sich das Geheimnis des Widerspruchs dort nicht lösen? In den Gedichten des Herrn von Haller, sechste Auflage, Zürich 1750, unter der Überschrift: »Die Falschheit menschlicher Tugenden, an Herrn Professor Stähelin, April 1730« lesen wir den oft ungenau zitierten Spruch:

»Ins innre der Natur dringt kein erschaffner Geist,

Zu glücklich, wenn sie noch die äußre Schale weis't,«

Haller schließt damit den Abschnitt, in welchem er den gelehrten Eigensinn des Naturforschers verspotten will, der angeblich unlöslichen Problemen, dem Begriff des Körpers dem Wesen der Anziehung, der Fortpflanzung des Lichts, der Übertragung der Bewegung usw. nachsinnt, und er läßt nur noch die beiden Zeilen darauf folgen:

»Du hast nach reifer Müh und nach durchwachten Jahren,

Erst selbst, wie viel uns fehlt, wie nichts man weiß, erfahren.«

Gegen diese Schlußbemerkung kann niemand etwas einwenden. Es ist eine Tatsache, daß, je weiter die Forschung fortschreitet, nicht nur der einzelne mehr und mehr die Mängel seines Wissens erkennt, sondern, daß für die Wissenschaft überhaupt immer neue Probleme sich eröffnen. Die Erkenntnis ist niemals abgeschlossen. Die Natur bietet sich uns als Erfahrung dar, und diese ist keine fertige Tatsache, der wir uns eines schönen Tages bemächtigen könnten, sondern eine unendliche Aufgabe. Aber gerade in diesem Umstande, daß sich die Natur uns enthüllt als das Produkt der fort und fort schaffenden Tätigkeit der Forschung, gerade darin liegt der Beweis, daß es nicht berechtigt ist, von einem »Innern« der Natur zu reden gegenüber einer »äußern Schale«, die allein uns zugänglich sei. Denn was wir als Naturerfahrung durch unsre Arbeit gewinnen, das ist freilich immer nur ein Bruchstück, aber es ist nicht eine Schale, ein äußerer Bestandteil, hinter welchem noch ein unerreichliches Innre stecke. Was unsre Erkenntnis umfaßt, daß ist in diesem Augenblick wirklich die volle Natur, nur daß die Natur selbst etwas Unerschöpfliches ist, das mit der Arbeit des Geistes zugleich wächst und uns deswegen zwar stets neue, aber nicht hoffnungslose Probleme stellt. Die Tatsache, daß die Naturerkenntnis etwas Unvollendbares ist, wird durch das Bild von dem Innern und der Schale nicht getroffen, wohl aber werden dadurch neue irreführende und schwerwiegende Mißverständnisse heraufbeschworen. Naturwissenschaft und Philosophie, damit die ganze Gestaltung unseres Weltbildes, sind daran interessiert, daß wir eine zutreffende Auffassung darüber gewinnen, inwieweit wir überhaupt zu dem Ausdruck »Inneres und Äußeres« inbezug auf die Natur berechtigt sind.

Goethe ärgerte sich ganz besonders über den Hallerschen Spruch. Sein Gedicht »Allerdings« ist so bezeichnend, daß wir es hierher setzen müssen.

»Ins Innre der Natur –«

O du Philister! –

»Dringt kein erschaffner Geist.«

Mich und Geschwister

Mögt ihr an solches Wort

Nur nicht erinnern;

Wir denken: Ort für Ort

Sind wir im Innern.

»Glückselig, wenn sie nur

Die äußre Schale weist!«

Das hör' ich sechzig Jahre wiederholen;

Ich fluche darauf, aber verstohlen;

Sage mir tausend tausendmale;

Alles gibt sie reichlich und gern;

Natur hat weder Kern

Noch Schale,

Alles ist sie mit einem Male;

Dich prüfe Du nur allermeist,

Ob Du Kern oder Schale seist.

Worauf Goethe »verstohlen flucht«, das ist der künstliche Gegensatz, der mit jener »philiströsen« Auffassung aus dem Leben des Menschen fälschlich in die Natur hineingetragen wird. In unserm Selbstgefühl erleben wir die Gewißheit, daß die sittliche Persönlichkeit des Menschen ein Selbstzweck ist, daß die Handlungen der Menschen sich nach einer Gesetzlichkeit bestimmen, die in der unwiderstehlichen Forderung »Du sollst« unserm Willen ein Ziel setzt. Auf der andern Seite sehen wir unser Leben Bedingungen unterworfen, die von unserm Willen unabhängig sind; wir erkennen unser individuelles Dasein eingeschlossen in das Geschehen, in welchem die Körper im Räume sich naturnotwendig gestalten. Diese gegenseitige Abhängigkeit aller Vorgänge in Raum und Zeit ist, wie schon oben gesagt, das, was wir Natur nennen, und insofern gehören wir selbst zur Natur. Da wir uns aber bewußt sind, uns selbst als vernünftige Wesen Zwecke zu setzen, so entsteht leicht der Irrtum, daß wir auch in dieser freien Tätigkeit mit zur Natur gehörten. Dann müßten wir also erwarten, daß in der Natur gleichfalls eine solche Gesetzgebung des Willens vorhanden sei; wir müßten erwarten, daß es eine Stelle in der Natur gebe, an welcher nicht mehr jeder Vorgang notwendig durch andre bedingt ist, sondern wo in den Dingen, ähnlich wie der Wille im Menschen, eine Freiheit der Bestimmung vorhanden ist, derzufolge sie für sich selbst fordern, in einer bestimmten Weise zu sein, also auch anders zu sein, als aus den Mechanismus des Naturgeschehens allein folgen würde. Soweit aber die Erfahrung fortschreitet, gelangen wir niemals an eine solche Stelle, an welcher die kausale Bedingtheit der Natur aufhörte; und wir können auch an keine solche gelangen, weil die Möglichkeit der Naturerkenntnis eben darauf beruht, daß wir die unmittelbare sinnliche Erfahrung in gesetzlichen Beziehungen festlegen. Wohin auch die Naturerkenntnis vordringe, immer finden wir die Notwendigkeit des Geschehens, weil sie die Voraussetzung dazu ist, daß der Inhalt unsrer Erfahrung den Charakter der Naturgesetzlichkeit annimmt.

Da nun die Natur für jeden Standpunkt unsrer Erfahrung in zwei Teile zerfällt, in einen solchen, den unsre Erkenntnis durch Beobachtung und Rechnung bereits in klare Gesetze aufgelöst hat, und in einen solchen, der dieser Analyse noch als Aufgabe harrt, so liegt es nahe, in diesem noch nicht erkannten Teile der Erscheinungen jene geheimnisvolle Stelle zu suchen, wo die Zweckbestimmungen in die Natur eingreifen. Es entsteht die Vorstellung von zielstrebenden Kräften, von inneren Bildungstrieben, von unzugänglichen organischen Gewalten, die in der Natur ebenso tätig seien, wie im Leben der Menschheit die Selbstbestimmung der Vernunft auftritt. Diese mystische Region nennt man das »Inn're der Natur«. Im Gegensatz zu diesem Innern heißt dann die bereits erkannte Natur das »Äußere«. Durch den weiteren Fortschritt der Erkenntnis wird nun jenes angebliche Innere in ein Äußeres verwandelt, ohne aber den vermuteten Kern zu zeigen; und da die Erkenntnis nie zu Ende gelangt, so ist es selbstverständlich, daß »ins Inn're der Natur kein erschaffener Geist« dringt.

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