Kitabı oku: «Der behauste Mensch», sayfa 2

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Utopie einer besseren Welt

Eine Utopie, ja, gewiss. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn jede große Hoffnung basiert letztlich auf einer Utopie von einer besseren Welt, einem besseren Leben und einem besseren Behaustsein auf unserem blauen Planeten. Und zwar für alle Menschen. Denn letztlich liegt es an der Spezies selbst, ob die Erzählung von der Menschheit ihren Platz in der Erd- und Weltgeschichte als Dystopie oder als Utopie finden wird – unter stillschweigendem Einbezug der Tatsache, dass es eine Fortschreibung der Erd- und Weltgeschichte nur unter utopisch-visionären Gesichtspunkten geben kann. Denn eine dystopische Realität wäre, menschheitlich betrachtet, das Ende von allem, auch das Ende aller Erzählungen. Aber »der Mensch hofft, solange er lebt«, wie wir von Theokrit vor mehr als zwei Jahrtausenden gelernt haben. Und in den Text vom Sinn seiner Existenz, der jedem Menschen eingeschrieben ist, ist auch die Hoffnung miteingeschrieben, in der Bedrohung mehr denn je.

Was für den Menschen generell gilt, gilt auch für den Menschen als Behausten: Er trägt seinen Zweck und damit auch seine Hoffnung in sich. Die Entelechie – der Endzweck – des Behaustseins hat sich über die Zeiten hinweg nicht verändert. Als Behaus­ter ist der Mensch ein im Haus mit seinesgleichen Schutzsuchender und -findender. Dabei gewinnt das englische Sprichwort »My home is my castle« speziell vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie eine vieldimensionale Bedeutung. Die auch digital hochgerüstete Behausung mit ihren technischen Vehikeln sichert einerseits vielen Menschen den Arbeitsplatz durch vernetzte, örtlich und zeitlich grenzenlose Heimarbeit unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer zumindest virtuellen Teilhabe am sozialen Leben, birgt andererseits aber auch die Gefahr, sich dem »Allzeit-Jetzt«, dem »Rund-um-die-Uhr«-Diktat der digitalen Welt auszuliefern, um wenigstens zwei von zahlreichen real sich ergebenden und im konkreten Beispiel einander bedingenden Phänomenen zu erwähnen.

Nicht vernachlässigt werden darf auch die Frage nach einer gesunden Behausung – Gesundheit definiert in einem umgreifenden Sinn des Wortes von den medizinischen Herausforderungen über die psychologischen bis hin zu den sozialen. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die These, dass in unserem zivilisatorischen Gewordensein ein gesundes Leben künftig ausschließlich als Ergebnis – im besten Sinn des Wortes – nachhaltigen Hausens möglich sein wird. Hinzuweisen ist last but not least aber auch auf die Relevanz wissenschaftlicher Forschung und ein damit verbundenes Fortschreiten zur Entlastung menschlichen Lebens auf diesem Planeten. Denn nur wissenschaftliche Erkenntnis im Verbund mit »guter« Technologie liefert uns die Vision eines menschengemäßen zukünftigen Lebens und Hausens. Wie auch immer: Dass die essentielle Schutzfunktion der Behausung unter den Bedingungen einer zunehmenden, quasi apokalyptischen Gefährdung unserer Welt auch weiterhin höchste Relevanz beanspruchen muss, ist das bleibende Vermächtnis nicht zuletzt jener Persönlichkeiten der Geistesgeschichte, die wir in diesem Buch befragen. Und deren Antworten verheißen Hoffnung und Bestärkung – auch im Zweifel und sogar in der Verzweiflung.

Gespräche zur Anthropologie
»Unmöglichkeit, durch Naturgesetze die Natur zu erklären …«

*

Wo Menschen leben können,
leben Menschen
Im Gespräch mit Johann Gottfried Herder

Herr Herder, im Zusammenhang mit der Entwicklung der Natur und der Erde stellen Sie eine höchst interessante Frage – die nämlich, ob wir unseren Wohnplatz, die Erde, uns selbst und nicht den Elementen schuldig sind.

Herder: Wenn diese nach immer fortwirkenden Naturgesetzen periodisch aufwachen und das Ihre zurückfordern, wenn Feuer und Wasser, Luft und Wind, die unsere Erde bewohnbar und fruchtbar gemacht haben, in ihrem Lauf fortgehen und sie zerstören; wenn die Sonne, die uns so lang als Mutter wärmte, die alles Lebende auferzog und an goldenen Seilen um ihr erfreuendes Antlitz lenkte – wenn sie die alternde Kraft der Erde, die sich nicht mehr zu halten und fortzutreiben vermag, nun endlich in ihren brennenden Schoß zöge; was geschähe anders, als was nach ewigen Gesetzen der Weisheit und Ordnung geschehen musste? Sobald in einer Natur voll veränderlicher Dinge Gang sein muss, sobald muss auch Untergang sein; scheinbarer Untergang nämlich, eine Abwechslung von Gestalten und Formen. Nie aber trifft dieser das Innere der Natur, die, über allen Ruin erhaben, immer als Phönix aus ihrer Asche ersteht und mit jungen Kräften blüht.

Das gilt auch für das Wohnen der Menschen, für sein Behaustsein?

Herder: Schon die Bildung unseres Wohnhauses und aller Stoffe, die es hergeben konnte, muss uns also auf die Hinfälligkeit und Abwechslung aller Menschengeschichte bereiten; mit jeder näheren Ansicht erblicken wir diese mehr und mehr.

Konkret ein Wort zu Ihrer Sicht auf den behausten Menschen! Wodurch ist er charakterisiert, was macht ihn wesentlich?

Herder: Jeder liebt sein Land, seine Sitten, seine Sprache, sein Weib, seine Kinder, nicht weil sie die besten auf der Welt, sondern weil sie die bewährten Seinigen sind und er in ihnen sich und seine Mühe selbst liebt. So gewöhnt sich jeder auch an die schlechteste Speise, an die härteste Lebensart, an die roheste Sitte des rauesten Klimas und findet zuletzt in ihm Behaglichkeit und Ruhe. Selbst die Zugvögel nisten, wo sie geboren sind, und das schlechteste, raueste Vaterland hat oft für den Menschenstamm, der sich daran gewöhnte, die ziehendsten Fesseln.

Für das Leben und das Wohnen der Menschen heißt dies konkret was?

Herder: Überall, wo Menschen leben können, leben Menschen, und sie können fast überall leben. Da die große Mutter auf unserer Erde kein ewiges Einerlei hervorbringen konnte noch mochte, so war kein anderes Mittel, als dass sie das ungeheuerste Vielerlei hervortrieb und den Menschen aus einem Stoff webte, dies große Vielerlei zu ertragen … Unter allen … veränderlichen, ziehbaren, empfänglichen Geschöpfen ist der Mensch das empfänglichste: Die ganze Erde ist für ihn gemacht, er für die ganze Erde.

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Johann Gottfried Herder, geboren am 25. August 1744 in Morag, Ostpreußen, gestorben am 18. Dezember 1803 in Weimar, war ein deutscher Dichter, Übersetzer, Theologe, Geschichts- und Kulturphilosoph der Weimarer Klassik. Er war einer der einflussreichsten Schriftsteller und Denker deutscher Sprache im Zeitalter der Aufklärung.

Den Wohlstand seiner Stadt befördern
Im Gespräch mit Niccolò Machiavelli

Herr Machiavelli, Sie gelten als einer der ersten »Consultants«, wie wir heute sagen würden, und sind in Ihrem Wirken mittendrin in einer Epoche, die den modernen Individualismus begründet hat. Dieser Individualismus steckt heute, so sieht es aus, in einer Sackgasse. Was wäre Ihr Rat?

Machiavelli: Es ist notwendig, dass die Menschen, die in irgendeiner Gesellschaftsordnung miteinander leben, häufig zur Selbsterneuerung gebracht werden – gleichgültig, ob aus Anlass äußerer oder innerer Ereignisse. Dies geschieht entweder durch ein Gesetz, das die Menschen, die zur gleichen Gemeinschaft gehören, immer wieder unter Kontrolle hält, oder durch einen wirklich tüchtigen Mann, der aus ihrer Mitte hervorgegangen ist und durch sein Beispiel und sein treffliches Wirken die gleiche Wirkung hervorbringt wie das Gesetz.

Leistung steht im Mittelpunkt unserer Wirtschaftsordnung. Wie war das zu Ihrer Zeit?

Machiavelli: Ein Herrscher soll seine Mitbürger ermuntern, ruhig ihre Arbeit zu verrichten im Handel, in der Landwirtschaft und in jedem anderen Gewerbe, damit sich der eine nicht scheut, seinen Besitz zu mehren aus Furcht, er könnte ihm wieder genommen werden, und der andere sich aus Furcht vor Steuer nicht scheut, ein Handelgeschäft zu eröffnen. Er sollte vielmehr Belohnungen aussetzen für jeden, der solches unternehmen will und der die Absicht hat, in irgendeiner Weise den Wohlstand seiner Stadt oder seines Landes zu fördern.

Gab’s sonst noch Tipps für Ihren »Principe« zur Beförderung der Wirtschaft und des Wohlstands einer Stadt?

Machiavelli: In ihren öffentlichen Magazinen halten gute Herrscher stets einen Jahresbedarf an Getränken, Nahrungsmitteln und Brennholz; außerdem haben sie immer für ein Jahr Arbeitsgelegenheiten in den öffentlichen Gewerbebetrieben, die der Lebensnerv der Stadt sind und von denen das niedere Volk lebt.

Tugend war ein wichtiges Stichwort in Ihren Schriften. In diesem Zusammenhang haben Sie eine sehr pointierte Art, Ihrem Fürsten die Entfaltung menschlicher Potentiale zu empfehlen.

Machiavelli: Die größte Kraftentfaltung zeigt sich immer da, wo der freien Wahl am wenigsten Spielraum bleibt. Es fragt sich also, ob es nicht besser wäre, Städte in unfruchtbaren Gegenden zu bauen; denn dort sind die Menschen gezwungen, tüchtig zu arbeiten, können weniger dem Müßiggang ergeben sein und müssen einiger leben, weil sie wegen der Armut der Gegend weniger Grund zu Zwistigkeiten haben.

Und wenn es doch mal zu Müßiggang kommt?

Machiavelli: Wo aber die günstige Lage eines Landes Müßiggang zur Folge haben könnte, muss man dafür Sorge tragen, dass die Gesetze Pflichten auferlegen, zu denen die günstige Lage nicht zwingt.

In diesem Zusammenhang hatten Sie eine sehr gute Meinung von den Deutschen. Nicht zuletzt deswegen, weil die dem freien Markt abhold waren und Sie daraus eine gewisse Rechtschaffenheit ableiteten.

Machiavelli: Diese Rechtschaffenheit in unserer Zeit findet sich eigentlich nur noch bei den Deutschen. Dies hat zwei Ursachen: Die erste ist die, dass sie nur geringen Handelsverkehr mit ihren Nachbarn unterhalten haben. Sie begnügten sich stets mit den Erzeugnissen ihres Landes und kleideten sich in die Wolle, die ihnen ihre Heimat gibt. Damit war die Ursache zu jedem Verkehr und der Anfang zu jeder Verderbnis beseitigt. Die zweite Ursache ist die, dass diese Städte, die sich noch eine freie und unverdorbene Verfassung erhalten haben, keine Edelleute unter ihren Mitbürgern dulden, noch erlauben, dass einer ihrer Mitbürger ein Leben wie ein Adeliger führt. Ja, mehr noch, sie achten streng auf absolute Gleichheit im Innern und sind die erbittertsten Feinde der Herren und Ritter ihres Landes, da sie den Adel für die Wurzel der Verderbnis und die Ursache jeder staatlichen Unordnung halten.

Herr Machiavelli, 600 Jahre später hat sich die Welt der Deutschen sehr verändert. Wir sind zwischenzeitlich Exportweltmeister und handeln sogar mit Immobilien. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Niccolò Machiavelli, 1469 geboren, 1527 gestorben, war Politiker, Diplomat, Philosoph und Dichter. Er gilt als einer der bedeutendsten Staatsphilosophen der Neuzeit und wird von vielen als Theoretiker der Macht verkannt. Tatsächlich war Machiavelli überzeugter Republikaner und betrachtete die Herrschaft eines »Principe« lediglich als notwendiges Übergangsstadium.

Von der Erde Ökonomie lernen
Im Gespräch mit Novalis

Herr Novalis, Ihre Idee vom Menschen hat nicht zuletzt die Anthro­posophie immer wieder aufs Neue inspiriert. Was ist Ihre Idee vom Menschen?

Novalis: Der Mensch hat gleichsam gewisse Zonen des Körpers. Sein Leib ist die nächste, was ihn zunächst umgibt die zweite, seine Stadt und Provinz die dritte; so geht’s fort bis zur Sonne und ihrem System. Die innigste Zone ist gleichsam das Ich, und diesem steht, als der höchsten Abstraktion, Kontraktion – die höchste Reflektion, Expansion, die Welt entgegen. So der Punkt dem atmosphärischen Raum.

Und der Mensch als Teil der Natur steht wiederum unter deren Gesetzen.

Novalis: Die Natur ist Feindin ewiger Besitzungen. Sie zerstört nach festen Gesetzen alle Zeichen des Eigentums, vertilgt alle Merkmale der Formation. Allen Geschlechtern gehört die Erde; jeder hat Anspruch auf alles. Die Frühern dürfen diesem Primogeniturzufalle keinen Vorzug verdanken. – Das Eigentumsrecht erlischt zu bestimmten Zeiten. Die Amelioration und Deterioration steht unter unabänderlichen Bedingungen. Wenn aber der Körper ein Eigentum ist, wodurch ich nur die Rechte eines aktiven Erdenbürgers erwerbe, so kann ich durch den Verlust dieses Eigentums nicht mich selbst einbüßen.

Die Toten leben ewig in unserer irdischen Behausung? Sie gehören zu unserem Behaustsein dazu?

Novalis: Der Mensch lebt, wirkt nur in der Idee fort, durch die Erinnerung an sein Dasein. Vor der Hand gibt’s kein anderes Mittel der Geisterwirkungen auf dieser Welt. Daher ist es Pflicht, an die Verstorbenen zu denken. Es ist der einzige Weg, in Gemeinschaft mit ihnen zu bleiben.

Unser irdisches Behaustsein ist mit vielerlei Risiken konfrontiert?

Novalis: Mächtige Überschwemmungen, Veränderungen der Klimate, Schwankungen des Schwerpunkts, allgemeine Tendenz zum Zerfließen, sonderbare Meteore sind die Symptome dieser heftigen Inzitation, deren Folge den Inhalt eines neuen Weltalters ausmachen wird. So nötig es vielleicht ist, dass in gewissen Perioden alles in Fluss gebracht wird, um neue, notwendige Mischungen hervorzubringen, und eine neue, reinere Kristallisation zu veranlassen, so unentbehrlich ist es jedoch ebenfalls, diese Krisis zu mildern und die totale Zerfließung zu behindern, damit ein Stock übrig bleibe, ein Kern, an den die neue Masse anschieße und in neuen schönen Formen sich um ihn her bilde. Das Feste ziehe sich also immer fester zusammen, damit der überflüssige Wärmestoff vermindert werde, und man spare kein Mittel, um das Zerweichen der Knochen, das Zerlaufen der typischen Faser zu verhindern.

Ein Wort zum Haushalt?!

Novalis: Der Hof ist eigentlich das große Muster einer Haushaltung. Nach ihm bilden sich die großen Haushaltungen des Staats, nach diesen die kleinern, und so herunter. Wie mächtig könnte nicht eine Hofreform wirken! Der König soll nicht frugal, wie ein Landmann oder ein begüterter Privatmann sein; aber es gibt auch eine königliche Frugalität, und diese scheint der König zu kennen. Der Hof soll das klassische Privatleben im Großen sein.

Welche Rolle billigen Sie der Frau zu?

Novalis: Die Hausfrau ist die Feder des Hauswesens. So die Königin die Feder des Hofs. Der Mann fourniert, die Frau ordnet und richtet ein. Ein frivoles Hauswesen ist meistenteils die Schuld der Frau. Dass die Königin durchaus antifrivol ist, weiß jedermann. Daher begreife ich nicht, wie sie das Hofleben, wie es ist, ertragen kann. Auch ihrem Geschmack, der so innig eins mit ihrem Herzen ist, muss die fade Monotonie desselben unerträglich auffallen.

Krankheiten haben Ihrer Überzeugung zufolge heilsame Wirkungen?

Novalis: Krankheiten sind gewiss ein höchst wichtiger Gegenstand der Menschheit, da ihrer so unzählige sind und jeder Mensch so viel mit ihnen zu kämpfen hat. Noch kennen wir nur sehr unvollkommen die Kunst, sie zu benutzen. Wahrscheinlich sind sie der interessanteste Reiz und Stoff unsers Nachdenkens und unserer Tätigkeit. Hier lassen sich gewiss unendliche Früchte ernten, besonders, wie mich dünkt, im intellektuellen Felde, im Gebiete der Moral, Religion und Gott weiß in welchem wunderbaren Gebiete noch.

Ihr Blick auf das große Ganze der Schöpfung scheint ökologisch geprägt?!

Novalis: Man muss die ganze Erde wie ein Gut betrachten und von ihr Ökonomie lernen.

Ich danke für das Gespräch.

Novalis, geboren am 2. Mai 1772 auf Schloss Oberwiederstedt, gestorben am 25. März 1801 in Weißenfels, eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, war ein deutscher Schriftsteller der Frühromantik und Philosoph. Seinem Roman »Heinrich von Ofterdingen« entstammt die blaue Blume, Sinnbild schlechthin der Romantik.

Die Natur – das Grausamste und Fremdeste
Im Gespräch mit Rainer Maria Rilke

Herr Rilke, im Zeitalter des Klimawandels und einer fortschreitenden Umweltbedrohung lassen Sie uns bitte über das Verhältnis des Menschen zur Natur miteinander sprechen. Zu diesem Themenkomplex haben Sie eine überaus dezidierte Meinung.

Rilke: Da könnte mancher sich auf unsere Verwandtschaft mit der Natur berufen, von der wir doch abstammen als die letzten Früchte eines großen aufsteigenden Stammbaumes. Wer das tut, kann aber auch nicht leugnen, dass dieser Stammbaum, wenn wir ihn, von uns aus, Zweig für Zweig, Ast für Ast, zurückverfolgen, sehr bald sich im Dunkel verliert; in einem Dunkel, welches von ausgestorbenen Riesentieren bewohnt wird, von Ungeheuern voll Feindseligkeit und Hass, und dass wir, je weiter wir nach rückwärts gehen, zu immer fremderen und grausameren Wesen kommen, sodass wir annehmen müssen, die Natur, als das Grausamste und Fremdeste von allen, im Hintergrunde zu finden.

Nun lebt der Mensch aber in der Natur und von ihr. Er ist ein Teil von ihr.

Rilke: Der Umstand, dass die Menschen seit Jahrtausenden mit der Natur verkehren, (ändert daran) nur sehr wenig; denn dieser Verkehr ist sehr einseitig. Es scheint immer wieder, dass die Natur nichts davon weiß, dass wir sie bebauen und uns eines kleinen Teiles ihrer Kräfte ängstlich bedienen. Wir steigern in manchen Teilen ihre Fruchtbarkeit und ersticken an anderen Stellen mit dem Pflaster unserer Städte wundervolle Frühlinge, die bereit waren, aus den Krumen zu steigen. Wir führen die Flüsse zu unseren Fabriken hin, aber sie wissen nichts von den Maschinen, die sie treiben. Wir spielen mit dunklen Kräften, die wir mit unseren Namen nicht erfassen können, wie Kinder mit dem Feuer spielen, und es scheint einen Augenblick, als hätte alle Energie bisher ungebraucht in den Dingen gelegen, bis wir kamen, um sie auf unser flüchtiges Leben und seine Bedürfnisse anzuwenden. Aber immer und immer wieder in Jahrtausenden schütteln die Kräfte ihre Namen ab und erheben sich, wie ein unterdrückter Stand gegen ihre kleinen Herren, ja nicht einmal gegen sie – sie stehen einfach auf, und die Kulturen fallen von den Schultern der Erde, die wieder groß ist und weit und allein mit ihren Meeren, Bäumen und Sternen.

Was schlussfolgern Sie daraus?

Rilke: Der gewöhnliche Mensch, der mit den Menschen lebt und die Natur nur so weit sieht, als sie sich auf ihn bezieht, wird dieses rätselhaften und unheimlichen Verhältnisses selten gewahr. Er sieht die Oberfläche der Dinge, die er und seinesgleichen seit Jahrhunderten geschaffen haben, und glaubt gerne, die ganze Erde nehme an ihm teil, weil man ein Feld bebauen, einen Wald lichten und einen Fluss schiffbar machen kann. Sein Auge, welches fast nur auf Menschen eingestellt ist, sieht die Natur nebenbei mit, als ein Selbstverständliches und Vorhandenes, das so viel als möglich ausgenutzt werden muss …

In diesem Missverhältnis messen Sie der Kunst eine große Bedeutung bei?!

Rilke: Es ist nicht der letzte und vielleicht der eigentümlichste Wert der Kunst, dass sie das Medium ist, in welchem Mensch und Landschaft, Gestalt und Welt sich begegnen und finden. In Wirklichkeit leben sie nebeneinander, kaum voneinander wissend, und im Bilde, im Bauwerk, in der Symphonie, mit einem Worte in der Kunst, scheinen sie sich, wie in einer höheren prophetischen Wahrheit, zusammenzuschließen, aufeinander zu berufen, und es ist, als ergänzten sie einander zu jener vollkommenen Einheit, die das Wesen des Kunstwerks ausmacht.

Herr Rilke, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Rainer Maria Rilke, geboren am 4. Dezember 1875 in Prag, damals Österreich-Ungarn, gestorben am 29. Dezember 1926 in Val-Mont bei Montreux, Schweiz, eigentlich René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke, war ein österreichischer Lyriker deutscher und französischer Sprache. Er gilt als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Moderne; politisch sah er im italienischen Faschismus ein Heilmittel in einem gefährdeten Europa.

Mit der physischen Welt
in gutem Vernehmen
Im Gespräch mit Friedrich Schiller

Herr Professor, Sie sollen beim Bau Ihres Gartenhauses in Jena selbst Hand angelegt haben, waren also Baumeister in eigener Sache, Ihres eigenen umbauten Raums. Lassen Sie uns aber heute nicht über Ihre praktischen Erfahrungen beim Bauen miteinander sprechen, sondern einen großen Blick tun auf die Natur, von der wir heute ­wissen, dass sie durch Gebäudeemissionen Schaden nimmt und ­dadurch eine wesentliche Ursache des Klimawandels forciert. Sind die menschlichen Hervorbringungen Feinde der Natur oder können wir durch unsere Einsicht in die Naturgesetze einen Ausgleich bewirken?

Schiller: Eben der Umstand, dass die Natur im Großen angesehen, aller Regeln, die wir durch unseren Verstand ihr vorschreiben, spottet, dass sie auf ihrem eigenwilligen freien Gang die Schöpfungen der Weisheit und des Zufalls mit gleicher Achtlosigkeit in den Staub tritt, dass sie das Wichtige wie das Geringe, das Edle wie das Gemeine in einem Untergang mit sich fortreißt, dass sie hier eine Ameisenwelt erhält, dort ihr herrlichstes Geschöpf, den Menschen, in ihre Riesenarme fasst und zerschmettert, dass sie ihre mühsamsten Erwerbungen oft in einer leichtsinnigen Stunde verschwendet und an einem Werk der Torheit oft jahrhundertelang baut – mit einem Wort – dieser Abfall der Natur im Großen von den Erkenntnisregeln, denen sie in ihren einzelnen Erscheinungen sich unterwirft, macht die absolute Unmöglichkeit sichtbar, durch Naturgesetze die Natur selbst zu erklären und von ihrem Reiche gelten zu lassen, was in ihrem Reiche gilt, und das Gemüt wird also unwiderstehlich aus der Welt der Erscheinungen heraus in die Ideenwelt, aus dem Bedingten ins Unbedingte getrieben.

Unser Verhältnis zur Macht der Natur ist von Furcht geprägt?

Schiller: Noch viel weiter als die sinnlich unendliche führt uns die furchtbare und zerstörende Natur, solange wir nämlich bloß freie Betrachter derselben bleiben. Der sinnliche Mensch freilich und die Sinnlichkeit in dem Vernünftigen fürchten nichts so sehr, als mit dieser Macht zu zerfallen, die über Wohlsein und Existenz zu gebieten hat.

Sehen Sie einen Ausweg aus diesem natürlichen / kultürlichen Dilemma?

Schiller: Das höchste Ideal, wonach wir ringen, ist, mit der physischen Welt, als der Bewahrerin unserer Glückseligkeit, in gutem Vernehmen zu bleiben, ohne darum genötigt zu sein, mit der moralischen zu brechen, die unsere Würde bestimmt. Nun geht es aber bekanntermaßen nicht immer an, beiden Herren zu dienen, und wenn auch … die Pflicht mit dem Bedürfnisse nie in Streit geraten sollte, so geht doch die Naturnotwendigkeit keinen Vertrag mit dem Menschen ein, und weder seine Kraft noch seine Geschicklichkeit kann ihn gegen die Tücke der Verhängnisse sicherstellen. Wohl ihm also, wenn er gelernt hat zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann!

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Johann Christoph Friedrich Schiller, ab 1802 von Schiller, geboren am 10. November 1759 in Marbach am Neckar, gestorben am 9. Mai 1805 in Weimar, war Arzt, Dichter, Philosoph und Historiker und lehrte in Jena Geschichte. Er gilt als einer der bedeutendsten deutschen Dramatiker, Lyriker und Essayisten. Philosophisch stand er unter dem Einfluss Immanuel Kants; von ihm auch inspiriert, aber mit spezifisch eigenen Akzenten versehen war sein Natur- und Schönheitsbegriff.

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