Kitabı oku: «Der behauste Mensch», sayfa 3
Weltgeschichte ist die Geschichte der Stadtmenschen
Im Gespräch mit Oswald Spengler
Nicht nur in puncto Ihrer zyklischen Geschichtstheorie haben Sie eine besondere Sicht auf die Weltgeschichte, Herr Spengler.
Spengler: Es ist eine ganz entscheidende und in ihrer vollen Bedeutung nie gewürdigte Tatsache, dass alle großen Kulturen Stadtkulturen sind. Der höhere Mensch … ist ein städtebauendes Tier. Dies ist das eigentliche Kriterium der »Weltgeschichte«, das sie von der Menschengeschichte überhaupt aufs Schärfste abhebt – Weltgeschichte ist die Geschichte des Stadtmenschen … Daraus folgt aber, und das ist wesentlicher als alles andere: Alle politische, alle Wirtschaftsgeschichte kann nur begriffen werden, wenn man die vom Lande sich mehr und mehr absondernde und das Land zuletzt völlig entwertende Stadt als das Gebilde erkennt, welches den Gang und Sinn der höheren Geschichte überhaupt bestimmt.
Eine Entwicklung, die Sie freilich höchst kritisch sehen.
Spengler: Mit der Zivilisation tritt das Klimakterium ein. Die uralten Wurzeln des Daseins sind verdorrt in den Steinmauern ihrer Städte. Der freie Geist – ein verhängnisvolles Wort! – erscheint wie eine Flamme, die prachtvoll aufsteigt und jäh in der Luft verlodert … Und zuletzt beginnt die riesenhafte Weltstadt, die Stadt als Welt, neben der es keine andere geben soll, die Vernichtungsarbeit am Landschaftsbilde …
Nicht von ungefähr sprechen Sie von der »Todessymbolik« der Stadt.
Spengler: Der Steinkoloss »Weltstadt« steht am Ende des Lebenslaufes einer jeden großen Kultur. Der vom Lande seelisch gestaltete Kulturmensch wird von seiner eigenen Schöpfung, der Stadt, in Besitz genommen, besessen, zu ihrem Geschöpf, ihrem ausführenden Organ, endlich zu ihrem Opfer gemacht. Diese steinerne Masse ist die absolute Stadt. Ihr Bild, wie es sich mit seiner großartigen Schönheit in die Lichtwelt des menschlichen Auges zeichnet, enthält die ganze erhabene Todessymbolik des endgültig »Gewordenen«. Der durchseelte Stein gotischer Bauten ist im Verlauf einer tausendjährigen Stilgeschichte endlich zum entseelten Material dieser dämonischen Steinwüste geworden.
Allerdings, und da ist Ihre geradezu prophetische Weitsicht bemerkenswert, sahen Sie schon zu Ihrer Zeit die Entwicklung der Stadt noch nicht an ihrem Ende angelangt.
Spengler: Die Weltstädte der westeuropäisch-amerikanischen Zivilisation haben noch bei Weitem nicht den Gipfel ihrer Entwicklung erlangt. Ich sehe – lange nach 2000 – Stadtanlagen für zehn bis zwanzig Millionen Menschen, die sich über weite Landschaften verteilen, mit Bauten, gegen welche die größten der Gegenwart zwerghaft wirken, und Verkehrsgedanken, die uns heute als Wahnsinn erscheinen würden.
Herr Spengler, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Oswald Spengler, geboren am 29. Mai 1880 in Blankenburg im Harz, gestorben am 8. Mai 1936 in München, war ein deutscher Geschichtsphilosoph, Privatgelehrter und Schriftsteller, der in seinem Hauptwerk »Der Untergang des Abendlandes« eine zyklische Geschichtstheorie entwickelte als Gegensatz zur vorherrschenden linearen Geschichtsschreibung.
Zusammenhängenden Wohnsitzen abhold
Im Gespräch mit Tacitus
Ihre Beschreibung meiner Vorfahren, Herr Tacitus, ist berühmt, berüchtigt, eindrucksvoll und tendenziös. Eine generelle Charakteristik der Germanen vielleicht vorab?!
Tacitus: Die Germanen möchte ich für die ureingeborenen Bewohner dieses Landes halten, für ein Volk, das sich wohl kaum mit später zugezogenen Fremdenrassen versippt hat … Daher auch ein und derselbe Körperschlag durch diese ganze, doch so zahlreiche Menschenmasse: das blaue, trotzige Auge, das rotblonde Haar, der gewaltige Wuchs. Eine Kraft allerdings nur zum stürmenden Angriff geschaffen; der anhaltenden Anstrengung, der Arbeit ist sie nicht in gleichem Maße gewachsen.
Ein Wort zum Land und was die Germanen daraus machen?
Tacitus: Das Land bietet im Einzelnen verschiedene Gestaltungen, aber der allgemeine Charakter ist schauriger Urwald und düsterer Moorgrund … Der Boden ziemlich ergiebig. Obstbäume gedeihen nicht. Das Land ist reich an Vieh, dieses aber meist von kleinem Schlag. Selbst dem Hornvieh fehlt das gewohnte stattliche Wesen und der Stolz des Hauptes. Eine zahlreiche Herde – das ist die Freude des Germanen, das Vieh sein einziger und geliebtester Reichtum.
Was wissen wir denn über die »behausten« Germanen zu Ihrer Zeit?
Tacitus: Dass die Völker germanischen Stammes keine Städte haben, ja, überhaupt zusammenhängenden Wohnsitzen abhold sind, ist allbekannt.
Was lässt sich über die Wohn-Gewohnheiten meiner Vorfahren sagen?
Tacitus: Jeder wohnt für sich und von den Nachbarn entfernt, wie gerade ein Quell, ein Feld, ein Gehölz zur Siedlung ladet. Der germanische Weiler bildet nicht die geschlossenen Häuserreihen des römischen Dorfes; jeder stellt sein Haus nach allen Seiten frei, vielleicht zum Schutz gegen Feuersgefahr, vielleicht weil man es überhaupt nicht besser versteht.
Mit welchen Materialien und wie wird denn gebaut?
Tacitus: Steinbau und Ziegeldach sind unbekannt; alles ist von Holz, plump und ohne Rücksicht auf Auge und Schönheit. Nur werden einzelne Teile des Baus mit einer feinen glänzenden Lehmart übertüncht und erinnern so einigermaßen an Malerei und Farbenornamentik.
Mit den »Kellern« der Behausungen hat es eine besondere Bewandtnis?!
Tacitus: Unterirdische Höhlen graben sie sich, belasten die Wölbung noch mit einer dichten Dungschicht und schaffen sich so eine Zuflucht für den Winter und einen Bergungsort für Lebensmittel. Ein solcher Bau macht die Strenge der Winterkälte erträglicher.
Die germanische Wirtschaft kommt völlig ohne Geldmittel aus …?
Tacitus: Geldgeschäft und Wucherzins sind unbekannte Dinge und darum gewissenhafter gemieden, als wenn sie gesetzlich verboten wären.
Die Allmende gehörte zu den germanischen Selbstverständlichkeiten?!
Tacitus: Die Feldmarkung, je nach der Anzahl der Bebauer größer oder kleiner, gehört der ganzen Gemeinde als Gesamtbesitz, und diese verteilt die Grundstücke unter ihre Mitglieder nach Maßgabe des Ranges.
Und auch mit dem Ackerbau hatte es eine besondere Bewandtnis …
Tacitus: In den Wettkampf mit der Ertragfähigkeit und Ausdehnung des Bodens seine Arbeit einzusetzen, Obstpflanzungen anzulegen, Wiesland auszuscheiden, einen Garten zu bewässern, versteht der Germane nicht; nur seine Aussaat an Getreide soll ihm die Erde leisten.
Herr Tacitus, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Publius Cornelius Tacitus, geboren um 58 n. Chr., gestorben um 120, war ein bedeutender römischer Historiker und Senator. Zu seinen bedeutendsten Schriften gehört »De origine et situ Germanorum liber« über Geografie und Kultur der Germanen, seinen Landsleuten nicht zuletzt als Gegenbild der eigenen korrupten und dekadenten Gesellschaft vor Augen gehalten.
Gespräche zur Architektur
»Dauer und Festigkeit«
*
Die schönste Baukunst auf Erden
Im Gespräch mit Jacob Burckhardt
Herr Professor Burckhardt, lassen Sie uns über den großen Michelangelo Buonarroti als Architekten miteinander sprechen, bitte.
Burckhardt: Michelangelo hat sich nicht zur Architektur gedrängt. Seine dämonisch gewaltige Formenbehandlung in der Skulptur und Malerei brachte die Bauherren darauf, von ihm auch Rat, Entwurf und Leitung für die Gebäude zu verlangen. Der erste Auftrag (1514 durch Leo X.) war eine Fassade für S. Lorenzo in Florenz; sein Plan wurde allen andern, auch demjenigen Raffaels, vorgezogen. Man bewahrt eine Skizze desselben noch im Palazzo Buonarroti, den er selbst viele Jahre bewohnte und den sein Neffe, der als Dichter bekannte Michelangelo Buonarroti der Jüngere, zu einem Museum für das Andenken des Oheims eingerichtet hat.
Ab wann, mit welchem Bauwerk begann Michelangelos Wirkungsgeschichte als Architekt?
Burckhardt: Ganz frei gestaltend treffen wir ihn erst in der berühmten Grabkapelle der Mediceer (sog. Sagrestia nuova) am rechten Querschiff derselben Kirche. Keinem Künstler ist je freiere Hand gelassen worden; man kann kaum entscheiden, ob er die Kapelle für seine Denkmäler baute oder die Denkmäler für die Kapelle meißelte (um 1529). Als Ganzes ist sie ein leichtes, herrliches Gebäude, welches das Prinzip brunelleschischer Sakristeien auf das Geistvollste erweitert und erhöht darstellt. Es ist nicht bloß die reinere und vollständigere Handhabung einer unteren und einer oberen Pilasterordnung, was hier den ganzen Fortschritt des 16. Jahrhunderts im Verhältnis zum 15. klarmacht, sondern vor allem ein höheres Gefühl der Verhältnisse. Man übersieht daneben einzelne schon überaus bedenkliche Füllformen, z. B. die Nischen über den Türen u. dgl.; man rechtfertigt die Schrägpfosten der oberen Fenster vielleicht sogar durch altetruskische Vorbilder und die Ausfüllung der beiden Grabnischen mit einer spielenden Architektur durch den Vorteil, dass die Figuren um so viel größer scheinen.
Worin besteht denn das Besondere seiner Architektur?
Burckhardt: Seine wahre Größe liegt hier wie überall in den Verhältnissen, die er nirgends, auch nicht von den antiken Bauten, kopiert, sondern aus eigener Machtfülle erschafft, wie sie der Gegenstand gestattet. Sein erster Gedanke ist nie die Einzelbildung, auch nicht der konstruktive Organismus, sondern das große Gegeneinanderwirken von Licht- und Schattenmassen, von einwärts- und auswärtstretenden Partien, von oberen und unteren, mittleren und flankierenden Flächen. Er ist vorzugsweise der im Großen rechnende Komponist. Vom Detail verlangt er nichts als eine scharfe, wirksame Bildung. Die Folge war, dass dasselbe unter seinen Händen ganz furchtbar verwilderte und später allen Bravourarchitekten für die größten Missformen zur Entschuldigung dienen konnte …
Zu seinen Spätwerken gehört die Porta Pia.
Burckhardt: Ein verrufenes Gebäude, scheinbar reine Kaprice; aber ein inneres Gesetz, das der Meister sich selber schafft, lebt in den Verhältnissen und in der örtlichen Wirkung der an sich ganz willkürlichen Einzelformen. Diese Fenster, dieser starkschattige Torgiebel usw. geben mit den Hauptlinien zusammen ein Ganzes, das man auf den ersten Blick nur einem großen, wenn auch verirrten Künstler zutrauen wird. Innerhalb der Willkür herrscht eine Entschiedenheit, welche fast Notwendigkeit scheint.
Zu erwähnen wären sicher viele weitere Großwerke wie der Umbau der Diokletiansthermen zur Kirche S. Maria degli Angeli oder sein Beitrag zu den kapitolinischen Bauten. Aber lassen Sie uns abschließend auf den Petersdom zu sprechen kommen.
Burckhardt: Erst als Greis erhielt Michelangelo durch Paul III. den Auftrag zur Vollendung der S. Peterskirche, von welcher hier im Zusammenhang die Rede sein muss. Ohne auf die Geschichte des Baues im Einzelnen einzugehen …
Nach der Zwischenherrschaft des jüngern San Gallo trat Michelangelo ein. Es bedurfte seines ganzen schon gewonnenen Ruhmes und seiner Verzichtung auf jeden Lohn, um seinem Entwurf den Sieg zu sichern. Eine der Freskoansichten des damaligen Roms in der vatikanischen Bibliothek stellt den Bau ungefähr so dar, wie er ihn haben wollte: ein gleicharmiges Kreuz, dessen vorderer Arm in der Mitte der Fassade eine nur viersäulige, aber in riesigem Maßstab gedachte Vorhalle aufweist. Die Kuppel hätte diesen vorderen Arm des Kreuzes ebenso völlig beherrscht als die gleich langen drei übrigen Arme. – Von dem jetzt vorhandenen Gebäude hat Michelangelo zunächst die Außenseiten der hinteren Teile des Unterbaues mit Pilastern und Attika zu verantworten. Sie sind eine bizarre, willkürliche Hülle, die Bramantes Entwurf schmerzlich bedauern lässt; die vier Ecken zwischen den halbrund heraustretenden Tribünen sind durch schräge Wände abgestumpft; die Fenster zeigen eine Bildung, die an Kaprice mit der Porta Pia wetteifert … Viel gemäßigter verfuhr Michelangelo im Innern, dessen Organismus (Pilaster, Nischen, Gesimse, auch wohl die Angabe des Gewölbes) wenigstens soweit ihm angehört, als nicht späterer, zumal farbiger Schmuck einen neuen Sinn hineingebracht hat … Das hier ausgesprochene System ist es, welches einen so ungeheuren Einfluss auf den Innenbau der ganzen katholischen Welt ausgeübt hat und als Kanon in tausend Variationen nachgeahmt wurde. Als einfaches Gerüst ist diese Bekleidung großartig gedacht; das Vor- und Zurücktreten des Gesimses ist verhältnismäßig sparsam gehandhabt, sodass dem Letzteren seine herrschende Wirkung bleibt; die Pilaster sind ebenfalls noch einfach; erst die Nachahmer wollten durch Vervielfältigung der Glieder die Wirkung überbieten. Die Kassettierung der großen Tonnengewölbe, zwar erst beträchtlich später, aber doch wohl nach der Absicht des großen Meisters ausgeführt, ist in ihrer Art klassisch zu nennen und unbedenklich als das beste Detail der ganzen Kirche zu betrachten, während die Einzelbildung der Pilaster und Gesimse doch nur von mittlerm Werte ist.
Die Kuppel Michelangelos, an Form und Höhe derjenigen der frühern Baupläne gewaltig überlegen, bietet vielleicht von außen die schönste und einfachste Umrisslinie dar, welche die Baukunst auf Erden erreicht hat.
Außer meinem Dank für das Gespräch, Herr Professor, wäre diesem Urteil nichts mehr hinzuzufügen.
Jacob Christoph Burckhardt, geboren am 25. Mai 1818 in Basel, gestorben am 8. August 1897 ebenda, war ein Schweizer Kulturhistoriker mit Schwerpunkt Kunstgeschichte; er lehrte an den Universitäten Zürich und vor allem Basel. Friedrich Nietzsche, der als Deutschlands jüngster Universitätsprofessor von Leipzig nach Basel gekommen war, würdigte ihn als »unseren großen, größten Lehrer«. Herausragend: Burckhardts Studien zur Geschichte der Renaissance in Italien.
Der überbaute Raum
ist das Wesen des Hauses
Im Gespräch mit Carl von Clausewitz
Herr von Clausewitz, Sie als Theoretiker der Kriegsführung äußern sich zur Architektur? Was ist denn Ihr »Approach«, wie wir in unserer heutigen Diktion fragen würden?
v. Clausewitz: Wenn es einen Gedanken gibt, der würdig ist, in der Architektonik zu herrschen, so ist es der historische … Darum … sollte die Architektonik sich als den Träger des historischen Prinzipes ansehen, die Geschlechter aneinander erinnern, den Nachhall ihres Daseins zu einer festen Form kristallisieren. Für alles, was öffentliche Gebäude heißt, ist dieser Gedanke längst anerkannt: Selbst große Familien haben ihre historischen Erinnerungen an Schlösser und Häuser geknüpft und diesen mehr oder weniger den dazu geeigneten architektonischen Charakter zu geben gesucht. Warum sollte der Bauherr eines schlichten Wohnhauses nicht denselben Gedanken haben?
Gute Frage, was aber ist denn der spezifisch historische Charakter von Wohnhäusern?
v. Clausewitz: Offenbar Dauer und Festigkeit … Außer dem Eindruck von Dauer und Festigkeit gibt es aber noch ein anderes Merkmal des historischen Charakters: nämlich, dass der Bau seine reale und keine fingierte Bedeutung an sich trage. Ein altes Schloss, im 14. oder 15. Jahrhundert gebaut, mit Gräben und Türmen, also neben der Eigenschaft des Wohnlichen mit der der Verteidigungsfähigkeit versehen, ist durchaus historisch. Eine Nachahmung solcher Bauart im 18. Jahrhundert würde es nicht sein; ebenso wenig, wenn jemand sein Haus in Form eines Tempels oder einer Moschee erbaut. Das Familienhaus soll kein Schauspieler, sondern eine wirkliche Person sein. Ein entlehnter Charakter eignet sich dagegen zuweilen für öffentliche Gebäude, weil sich hier oft eine Verwandtschaft zwischen dem wahren Zweck des Gebäudes und dem entlehnten Charakter in vielen und starken Zügen ausspricht, während bei Privathäusern es nur das zufällige Gedankenspiel des Bauherrn sein würde.
Lassen Sie uns auf die Frage nach dem Zweck von Wohnhäusern zu sprechen kommen!
v. Clausewitz: Der Zweck ist der oberste, leitende Gedanke bei jedem Bau und muss also in ihm sogleich erkannt werden. Bei öffentlichen Gebäuden aber, die gänzlich als wahre Kunstwerke, also mit einem poetischen Charakter auftreten, tritt dieser Hauptgedanke offenbar mehr in den Hintergrund, und die verschiedenen leitenden Ideen bilden sich, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu einer Gruppe. Beim Privathause, wenn es nicht ein wahres Denkmal sein soll … ist das nicht der Fall: Der Zweck herrscht allein und alles … und so entsteht der Charakter des Schlichten und Nützlichen. Ein kleines Privathaus mit vielen vor- und zurücktretenden Teilen muss einem missfallen, weil es etwas Launiges hat, das Gefühl der Unzweckmäßigkeit wird durch keinen anderen Gedanken verdrängt. Je kleiner ein Privathaus ist, umso einfacher müssen die Linien seiner Umfassungsmauer sein, umso mehr muss es sich dem wahren Würfel nähern. Wie dieser Gedanke des Nützlichen und Schlichten uns auch ästhetisch beherrscht, sehen wir aus der Bemerkung, dass zu wenig Tiefe überhaupt einen ungemütlichen Eindruck macht, dass aber das kleine Haus viel mehr verhältnismäßige Tiefe verträgt und erfordert als das große, dass sich also der ästhetische Eindruck nicht bloß nach den geometrischen Verhältnissen richtet.
Und schließlich Ihre Ansichten zu Wesen, Ziel und Kosten?!
v. Clausewitz: Der innere, der überbaute Raum ist das Wesen des Hauses, und es wird unserem Verstande immer Vergnügen machen, diesen zu den angewandten Mitteln, das heißt zu den Umfassungsmauern, unvermutet groß zu finden. Ich behaupte, dass dieser ökonomische Gedanke einen bestimmten Einfluss auf den ästhetischen Eindruck hat. Verzierungen also, die auf seine Kosten geschehen, sind bei kleinen Häusern gefährlich, sie stören mehr als sie fördern.
Ganz anders aber ist es mit den äußeren Zierraten der Wände; diese geschehen nicht auf Kosten des Wesens. Man würde uns ganz falsch verstehen, wenn man glaubte, wir setzten den Begriff des Nutzvollen und Schlichten in dem geringsten Aufwand der Kosten zur Erreichung des Zwecks. Die Kosten des Baues sind etwas, was in der ästhetischen Welt gar nicht vorhanden ist. Es wäre lächerlich, zu sagen, ein kleines nutzloses Privathaus, vom edelsten Marmor aufgeführt, sei weniger schön als vom gemeinen Stein. Die Mittel, welche angewandt sind und die wir mit dem Zweck vergleichen, sind nicht das Geld, die Kräfte, die Zeit; alle diese Dinge sind verschwunden. Es sind die Massen, die vor unseren Augen stehen. Eine feine Kuppel kann tausendmal so viel kosten als ein unförmliches Bohlendach und doch schlichter erscheinen.
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Carl Philipp Gottlieb von Clausewitz, geboren am 1. Juli 1780 in Burg bei Magdeburg, gestorben am 16. November 1831 in Breslau, war ein preußischer Generalmajor, Heeresreformer, Militärwissenschaftler und -ethiker. Sein Hauptwerk »Vom Kriege« hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des Kriegswesens in allen westlichen Ländern und wird bis heute an Militärakademien gelehrt. Seine Theorien über Strategie, Taktik und Philosophie finden auch im Bereich der Unternehmensführung sowie im Marketing Anwendung. Dass er ein fulminanter, tiefgründiger Kritiker des Zeitgeistes war, zeigt nicht zuletzt seine Auseinandersetzung mit der Architektur.
Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine
Im Gespräch mit Johann Wolfgang von Goethe
Herr Geheimrat, Sie haben eine sehr präzise Vorstellung von der Ethik des Bauens, um es ein bisschen hochtrabend zu formulieren.
Goethe: Der Bauende soll nicht herumtasten und versuchen. Was stehen bleiben soll, muss recht stehen und wo nicht für die Ewigkeit doch für geraume Zeit genügen. Man mag doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine.
Ihr Beispiel für hohe Baukunst ist das Straßburger Münster. Da gibt es bei Ihnen einen Vorher-Nachher-Effekt.
Goethe: Als ich das erste Mal nach dem Münster ging, hatt’ ich den Kopf voll allgemeiner Erkenntnis guten Geschmacks. Auf Hörensagen ehrt’ ich die Harmonie der Massen, die Reinheit der Formen, war ein abgesagter Feind der verworrenen Willkürlichkeiten gotischer Verzierungen. Unter der Rubrik Gotisch, gleich dem Artikel eines Wörterbuchs, häufte ich alle synonymische Missverständnisse, die mir von Unbestimmtem, Ungeordnetem, Unnatürlichem, Zusammengestoppeltem, Aufgeflicktem, Überladenem jemals durch den Kopf gezogen waren. Nicht gescheiter als ein Volk, das die ganze fremde Welt barbarisch nennt, hieß alles gotisch, was nicht in mein System passte, von dem gedrechselten, bunten Puppen- und Bilderwerk an, womit unsere bürgerlichen Edelleute ihre Häuser schmücken, bis zu den ernsten Resten der älteren deutschen Baukunst, über die ich, auf Anlass einiger abenteuerlichen Schnörkel, in den allgemeinen Gesang stimmte …
Ihr Eindruck dann, als Sie dieses Bauwerkes zum ersten Mal ansichtig wurden?
Goethe: Mit welcher unerwarteten Empfindung überraschte mich der Anblick, als ich davortrat. Ein ganzer, großer Eindruck füllte meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelheiten bestand, ich wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und erklären konnte. Sie sagen, dass es also mit den Freuden des Himmels sei, und wie oft bin ich zurückgekehrt, diese himmlisch-irdische Freude zu genießen, den Riesengeist unserer älteren Brüder in ihren Werken zu umfassen. Wie oft bin ich zurückgekehrt, von allen Seiten, aus allen Entfernungen, in jedem Lichte des Tags zu schauen seine Würde und Herrlichkeit. Schwer ist’s dem Menschengeist, wenn seines Bruders Werk so hocherhaben ist, dass er nur beugen und anbeten muss.
Erwin von Steinbach, der Erbauer, galt Ihnen als Genie. Warum? Sie haben einen fiktiven Dialog mit dem Baumeister zu Papier gebracht. Lassen Sie uns daran teilhaben.
Goethe: Wie oft hat die Abenddämmerung mein durch forschendes Schauen ermattetes Auge mit freundlicher Ruhe geletzt, wenn durch sie die unzähligen Teile zu ganzen Massen schmolzen und nun diese, einfach und groß, vor meiner Seele standen und meine Kraft sich wonnevoll entfaltete, zugleich zu genießen und zu erkennen. Da offenbarte sich mir in leisen Ahnungen der Genius des großen Werkmeisters. Was staunst du?, lispelt er mir entgegen. Alle diese Massen waren notwendig, und siehst du sie nicht an allen älteren Kirchen meiner Stadt? Nur ihre willkürlichen Größen hab ich zum stimmenden Verhältnis erhoben. Wie über dem Haupteingang, der zwei kleinere zu Seiten beherrscht, sich der weite Kreis des Fensters öffnet, der dem Schiffe der Kirche antwortet und sonst nur Tageloch war, wie hoch drüber der Glockenplatz die kleineren Fenster forderte. Das all war notwendig, und ich bildete es schön … Und so schied er von mir … Deinem Unterricht dank ich’s, Genius, dass mir’s nicht mehr schwindelt an deinen Tiefen, dass in meine Seele ein Tropfen sich senkt der Wonneruh des Geistes, der auf solch eine Schöpfung herabschauen und gottgleich sprechen kann: Es ist gut!
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Johann Wolfgang von Goethe, geboren am 28. August 1749 in Frankfurt am Main, gestorben am 22. März 1832 in Weimar, Politiker, Minister, Naturforscher, Theaterintendant, gilt als Deutschlands bedeutendster Dichter.