Kitabı oku: «Nur dämlich, lustlos und extrem?», sayfa 6
»Wenn man stickert, kann man seiner Meinung einfach Ausdruck verleihen, ohne dass man was dazu sagen muss«
Laura (23)
Studentin, verteilt Sticker
Da haben wir »Refugees-Welcome«-Sticker verteilt, um öffentlich zu zeigen, dass es auch Stimmen für die Aufnahme von Geflüchteten gibt.
Laura, ich habe gehört, dass du stickerst. Wie kann ich mir das vorste1llen?
Ich habe eigentlich immer Sticker dabei, sodass ich beispielsweise irgendwelche rechten Sticker überkleben kann, wenn ich welche sehe. Aber ich habe auch schon Sticker-Aktionen mit Freunden gemacht. Beispielsweise sind wir nachts durch die Stadt gelaufen und haben da großflächig Sticker verteilt. Auch in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hab ich mit Freunden bzw. mit meiner Schwester Sticker verteilt. Vor allem in dem Zeitraum, als bei uns eine Unterkunft für Flüchtlinge eröffnet wurde. Da gab es Gegenwind, und daher haben wir »Refugees-Welcome«-Sticker verteilt, um öffentlich zu zeigen, dass es auch Stimmen für die Aufnahme von Geflüchteten gibt.
Wie bist du auf die Idee gekommen zu stickern? Wie hat das angefangen?
Auf einem Konzert oder Festival, auf dem ich mal war, lagen ganz viele Sticker rum und man konnte die einfach mitnehmen. Ich habe auch davor schon von meiner Lieblingsband mal T-Shirts gekauft und da lagen auch ein paar Sticker dabei, auch schöne Sticker von der Band. Da dachte ich, die behalte ich lieber mal, vielleicht kann ich die auf meinen Schrank kleben oder so. Ich habe angefangen, die zu sammeln, hauptsächlich, um Werbung für die Band zu machen. Da war ich so etwa 17.
Sind das nur Sticker, die irgendwo rumliegen, oder bekommst du deine Sticker noch von woanders her?
Nee, beispielsweise bei Demos kann man welche mitnehmen. Da schmeißt man in ein kleines Kässchen ein bisschen Geld rein, damit das Sticker-Drucken finanziert werden kann. Ansonsten gibt es auch Internetseiten, auf denen man Sticker bestellen kann. Da habe ich auch schon welche bestellt.
Kannst du mir Beispiele nennen, was konkret auf den Stickern draufsteht?
Als die Identitäre Bewegung in Stuttgart vor zwei Jahren relativ groß war, da gab es Demo-Sticker, wo draufstand: »Die Identitäre Bewegung zerschlagen«. Da war dann dieses IB-Zeichen mit so einer Faust versehen, die auf das Zeichen schlägt und es zerbricht. Daneben gibts beispielsweise von der Links-Jugend einen Sticker zum Thema Feminismus, wo eine Vulva drauf abgebildet ist mit dem Spruch »Viva la Vulva«. Das ist mein Lieblings-Sticker.
Was gefällt dir daran so gut?
Zum einen, weil der lila ist, diese Zeichnung der Vulva selbst und dann diese schwungvolle Schrift, in der das geschrieben ist. Der sieht einfach optisch schön aus, und dann dieses Stigma, was oft noch sehr mitschwingt, dieses Schambehaftete. Wenn man den so plakativ irgendwo hinklebt, kann man drauf aufmerksam machen, dass man auch ein bisschen zelebriert, was der weibliche Körper alles kann.
Hast du auch Klamotten oder Tattoos, auf denen politische Aufdrucke sind?
Ich habe ganz viele T-Shirts mit politischen Aufdrucken. Mein erstes politisches T-Shirt war ganz plakativ mit dem Motiv »FCK NZS«. Dann habe ich solche Aufnäher auf meiner Jacke drauf, und auch auf meinem Rucksack habe ich einen. Tattoos habe ich auch. Zum einen ein Band-Tattoo. Es ist ein Zitat von einer Band, aber eher bisschen unterschwellig, wo man drüber nachdenken muss. Es ist von der Band Heisskalt und heißt »Offene Arme – der gewaltigste Protest, den wir haben«. Das ist in der Innenseite meines Oberarms. Auch so ein bisschen bunt. Und dann hab ich noch ein Anarchie-Zeichen auf dem Rippenbogen tätowiert.
»Offene Arme – der gewaltigste Protest, den wir haben«.
Was ich damit ausdrücken möchte: eigentlich den Leuten das so ins Gesicht drücken sozusagen. Das ist ja wie mit den Stickern: Die sind relativ unauffällig, wenn die an irgendeinem Laternenpfosten kleben, aber es sind trotzdem Blickfänger, worüber man dann nachdenkt. Wenn ich durch irgendeine Stadt laufe und da Sticker sehe, dann weiß ich: Okay, es sind auch mehr linke Menschen hier oder eben viele Rechte oder so. Und: Man hat oft das Gefühl, dass man sich nicht so richtig traut, was zu sagen, gerade in ’nem Dorf, wenn da viele ältere Leute wohnen, die immer wieder solche Parolen raushauen. Wenn man dann immer mit solchen T-Shirts rumläuft, dann wird man gar nicht mehr so damit konfrontiert. Die Leute wissen schon, dass sie mit mir da gar nicht drüber diskutieren brauchen. Das macht es ein bisschen einfacher.
Wem möchtest du denn allgemein mit den Stickern was sagen?
So Leuten wie beispielsweise damals bei mir im Dorf, die nicht wollten, dass da eine Asylunterkunft eröffnet wird, denen will ich zeigen: Hey, es gibt auch Leute, die das okay finden. Vielleicht aber auch denen, die rechte Sticker verteilen, dass man denen zeigt, dass es Leute gibt, die das nicht okay finden, und so ein bisschen dagegenhält.
Denen, die rechte Sticker verteilen, dass man denen zeigt, dass es Leute gibt, die das nicht okay finden.
Wo stickerst du genau? Nur draußen?
Hauptsächlich an Laternen, teilweise an Schildern, beispielsweise Fußgängerzone-Schilder. Aber ich versuche es schon so zu machen, dass man trotzdem weiß, was das Schild bedeutet, also klebe ich das an die Ecken der Schilder. Oder auch auf Mülleimer. Da gibt es in Fußgängerzonen auch solche, wo oben noch eine Platte drauf ist, das heißt, bevor man was reinwirft, schaut man oben drauf. Das ist ein ganz guter Platz.
Und auf deinen eigenen Sachen bei Dir zu Hause?
Da auch. Ich hab einen Rollcontainer, der ist vollgestickert. Früher auch mein Ordner, den ich mit in die Schule genommen habe, und auf meinem Handy ist hinten ein Sticker.
Und wie ist das so beim Stickern? Was geht dir da durch den Kopf, wenn du das machst?
Hoffentlich beobachtet mich niemand dabei! [lacht] Ich schaue schon, dass ich es hauptsächlich mache, wenn es dunkel ist oder wenn nicht viele Leute unterwegs sind. Es ist nicht so, dass ich tagsüber, wenn viel in der Innenstadt los ist, mega viel sticker. Schon eher, wenn ich unbeobachtet bin.
Das Stickern ist ja nicht so ganz legal …
Also ich weiß schon, dass das nicht legal ist, aber ich finde, es gibt so viele Dinge, bei denen man denkt, das könnte ruhig legal sein. Ich sehe das Problem nicht so ganz, warum das verboten ist. Diese Sticker sind ja meistens bunt, und wenn man die an eine Laterne klebt, dann finde ich nicht, dass das die Stadt dreckig macht.
Und warum machst du es trotzdem, obwohl es illegal ist? Du könntest ja auch was anderes machen.
Vor allem, weil ich mir denke, es gibt viele, vor allem auch rechts denkende Menschen, die auch ihre Sticker verteilen. Klar könnte man sagen, dann mach ich die Sticker nur weg, aber die stickern halt auch nach. Wenn die auch noch andere Sticker sehen, dann sind die angepisst deswegen und denken: Oh nee, jetzt sind hier auch noch links denkende Menschen. Mich regen Sticker auch zum Nachdenken an. Wenn andere Leute die Sticker sehen, werden die auch darüber nachdenken, denk ich.
Wissen die Menschen aus deinem Umfeld, dass du stickerst?
Ja, die meisten in meinem Freundeskreis stickern selbst. Und meine Familie weiß es auch. Die haben damit mittlerweile auch nicht mehr so ’n großes Problem, wobei die das nie krass gestört hat, weil sie wussten, dass ich vorsichtig bin und das nicht offensichtlich mache.
Wie war die Reaktion, als sie mitbekommen haben, dass du das machst?
Dadurch, dass ich mittlerweile in einem Freundeskreis bin, wo das normal ist, weiß ich gar nicht mehr, wie das am Anfang war. Meine Schwester beispielsweise hat das parallel angefangen. Als wir im Freundeskreis darüber gesprochen haben, dann meinten die so: »Wenn du noch Sticker hast, dann kannst du mir ja welche geben, dann können wir zusammen stickern.« Das war eigentlich eher ein offener Umgang damit, von Anfang an.
Hattest du deshalb auch schon mal Diskussionen?
Ja, mit einem Kumpel, der aber eigentlich alles hinterfragt. Der hat mich dann in die Enge getrieben sozusagen. Der meinte: »Das muss ja dann auch wieder jemand wegmachen«, und warum ich das unbedingt machen muss. Er wollte mich damit auch zum Nachdenken anregen, ob das wirklich sein muss. Aber sonst krasse Diskussionen eigentlich nicht.
Und wie war die Situation in der Diskussion mit dem Kumpel für dich?
Stressig, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich rechtfertigen muss, warum ich das mache. Davor musste ich noch nie darüber mit jemandem diskutieren, auch nicht mit meinen Eltern. Ich bin aber auch nicht zu denen hingerannt und hab gesagt: »Hey, ich sticker jetzt, was haltet ihr davon?« Sondern die haben die Sticker bei mir liegen sehen und dann auch welche im Ort. Aber das ist ja eher ein stiller Protest. Deshalb war das für die nicht so das Problem. Ich glaube, für sie wars besser, als wenn ich schon mit 17 auf krasse Demos gegangen wäre.
Was glaubst du, wäre ihr Problem mit den krassen Demos gewesen?
Wahrscheinlich, dass mir was passiert. Dadurch, dass ich aus einem kleinen Dorf komme, das über eine Stunde von Stuttgart weit weg ist. Irgendwann hab ich auch angefangen, auf Demos zu gehen, und bin dann nach Stuttgart reingefahren. Da haben meine Eltern schon gesagt: »Muss das wirklich sein? Pass auf dich auf!« Man kriegt halt in den Medien oft mit, dass Demos eskalieren können, dass es dann Polizeikessel gibt und man in Gewahrsam genommen wird. Und nachdem ich auf meiner ersten großen Demo war – da war ein AfD-Parteitag 2016 –, da gings schon morgens um 7 Uhr los, dass Straßenbarrikaden auf der Autobahn errichtet wurden. Meine Freundin und ich sind erst um 11.30 Uhr hin, da war dann das Größte schon vorbei. Aber als ich erzählt habe, dass wir auch in einem Polizeikessel gelandet sind und dass uns gedroht wurde, dass wir alle in Gewahrsam genommen werden, wenn wir jetzt nicht den Platz verlassen, da haben sie dann schon gesagt: »Oh Gott, nicht dass das passiert!«, und: »Nicht, dass du später Stress bekommst im Beruf!« Da haben sie sich schon Sorgen gemacht, aber so weit kam es zum Glück nie. Klar, Personenkontrollen vor den Demos, aber nicht, dass ich in Gewahrsam genommen wurde. Da hatte ich immer Glück.
Was hat für dich das Stickern mit Politik zu tun?
Das ist eine Art, seine politische Meinung zu äußern, denn auf den Stickern sind ja Aussagen drauf. Wenn man die verteilt, ist das im Prinzip, wie wenn man seine politische Meinung äußert, aber halt ein bisschen anonymer, als wenn ich auf Facebook poste.
Das ist eine Art, seine politische Meinung zu äußern, denn auf den Stickern sind ja Aussagen drauf. Wenn man die verteilt, ist das im Prinzip, wie wenn man seine politische Meinung äußert, aber halt ein bisschen anonymer.
Stellt das für dich eine spezielle Art von Politik dar? Und fällt dir ein Wort ein, wie du diese Form von Politik bezeichnen könntest?
Stiller Protest. Das trifft es ganz gut, weil man ja nichts sagen muss. Man kann nachts durch die Straßen laufen und die Sticker kleben, und am nächsten Morgen kommt vielleicht ein Bericht in der Zeitung. Ich weiß nicht, wie viele Leute, die selbst nicht stickern, auf diese Sticker achten, aber ich finde schon, dass man damit Menschen erreicht.
Es gibt ja auch Partei- oder Gremienarbeit. Wie unterscheidet sich das Stickern davon?
Zum einen bestehen Parteien und Gremien aus mehreren Menschen, das kann man nicht einfach allein machen. Und man macht sich in Parteien und Gremien auch angreifbar, wenn man eine andere Meinung hat als die Mehrheit. Man muss sich dann rechtfertigen für die eigene Meinung. Und wenn man stickert, kann man seiner Meinung Ausdruck verleihen, ohne dass man was dazu sagen muss.
Seit wann interessierst du dich überhaupt für Politik?
Das war Ende 2014, als diese Pegida-Bewegung so stark wurde. Da war meine damalige Lieblingsband auf Tour mit einer anderen Band. Diese andere Band hat dann ein Video veröffentlicht, auf dem sie ein Statement rausgehauen haben, dass sie das total scheiße finden, was Pegida macht, dass es menschenverachtend ist. Meine damalige Lieblingsband hat das geteilt, und dann habe ich mir das angeschaut. Ich habe das zwar schon in den Medien mitbekommen, auch meine Eltern schauen jeden Abend die Nachrichten, aber ich habe da nie so richtig zugehört. Aber nachdem ich dieses Video gesehen habe, habe ich gedacht: Okay, es ist schon nicht so cool, und habe mich dann mehr damit beschäftigt, was da eigentlich so abgeht, und habe dann auch vermehrt angefangen, Deutschpunk zu hören, wo es ja in den Texten oft um solche Strukturen geht, um das dann aufzudecken und zu kritisieren. Anfang 2015 bin ich das erste Mal auf eine Anti-Pegida-Demo gegangen. Da waren die ganze Zeit im Fernsehen die krassen Aufmärsche in Dresden und so zu sehen, da hatte ich das Gefühl, dass ich was machen und meinem Protest Ausdruck verleihen will.
Wie informierst du dich normalerweise über Politik?
Hauptsächlich übers Internet. Ich habe das Antifaschistische Aktionsbündnis (AABS) auf Facebook abonniert. Die halten einen immer auf dem Laufenden, was Demos und Aktionen angeht. Die veranstalten auch einmal im Monat ein Treffen. Da war ich, als ich nach Stuttgart gezogen bin, am Anfang drei, vier Mal. Da bekommt man auch immer viele Infos, und es gibt auch Arbeitsgruppen zu bestimmten Themen. Da war ich zwar nie dabei, aber so kriegt man trotzdem immer mit, was passiert. Z. B. wenn sich die Identitäre Bewegung Samstag morgens auf dem Schlossplatz versammelt oder so.
Setzt du selbst auch politische Beiträge ins Internet?
Ja, schon. Hauptsächlich über Instagram. In meiner Story teile ich viel, aber auch in meinem Beitragsfeed habe ich ein paar politische Sachen drin. Auf Facebook bin ich nicht so krass aktiv, aber manchmal teile ich da Sachen, aber eher musikbasierte Dinge, z. B. wenn ein Lied gerade über ein aktuelles Thema geschrieben wurde.
Machst du neben dem Stickern und Demos besuchen noch andere politische Sachen? Bist du beispielsweise in einer Gruppe?
Nee, das nicht. Wir haben bei uns im Landkreis versucht, was aufzubauen, das ist jetzt aber auch schon zwei bis drei Jahre her. Das war mit meinem Freundeskreis und noch ein paar Freunden von Freunden. Wir wollten eine Gruppierung aufbauen, um Strukturen in und um unsere Kreisstadt herum aufzudecken oder auch mal eine Demo zu organisieren. Es wurde dann auch eine organisiert, als die AfD mal da war. Aber dadurch, dass viele weggezogen sind, ist das dann leider im Sande verlaufen. Aber ansonsten: So richtig in einer Gruppe bin ich nicht. Wie gesagt, beim Antifaschistischen Aktionsbündnis war ich ein paar Mal, aber auch nicht regelmäßig.
Und mal nach vorn geblickt: Denkst du, du wirst dich auch weiterhin politisch engagieren?
Ja, auf jeden Fall. Die Frage ist, wie und in welchem Ausmaß. Auf Demos war ich früher viel öfter, das reicht jetzt zeitlich oft nicht mehr. Aber gerade so das Stickern auf jeden Fall. Die Sticker kriegt man eh auf Demos oder Konzerten oder wenn man sie irgendwo bestellt. Die T-Shirts, die ich habe, werde ich auf jeden Fall weitertragen. An meiner Hochschule wurde letztes Semester ein Typ mit einem Shirt von der Identitären Bewegung gesehen. Da haben wir dann auch gleich eine Art Arbeitsgruppe eröffnet, wo wir überlegt haben, dass wir da eine Stickeraktion an der Hochschule starten könnten. Da tauchen auch immer wieder rechte Sticker auf. Und wir wollen vielleicht noch ein Plakat machen oder so, vielleicht über den E-Mail-Verteiler fordern, dass sich die Hochschule positionieren soll, weil das einfach eine gute Möglichkeit ist, den Leuten zu sagen, dass das nicht okay ist.
Hast du schon mal darüber nachgedacht, in eine Partei einzutreten?
Nee, eigentlich nicht. Das würde mich viel zu sehr stressen. Tatsächlich habe ich mal überlegt, der Partei Die Partei beizutreten, aber ich glaube, ich bin zeitlich zu unflexibel dafür. Ich rede auch nicht so gerne vor Leuten, deshalb glaube ich nicht, dass ich die Richtige für eine Partei wäre.
Was würdest du anderen Leuten sagen, weshalb es sich lohnt, sich politisch zu interessieren und/oder zu engagieren?
Weil ich wichtig finde, dass man weiß, was so passiert, und man kann sich ja nur einmischen, wenn man weiß, was gerade abgeht. Man kann ja nicht einfach nur alles immer hinnehmen. Wenn man sich nicht dafür interessiert, dann hat man auch kein Mitspracherecht. Gerade bei Wahlen: Wenn man sich gar nicht dafür interessiert, wer sich überhaupt zur Wahl stellt, wer welche Meinung vertritt usw., dann hat man danach eigentlich nicht das Recht, sich zu beschweren.
Man kann ja nicht einfach nur alles immer hinnehmen. Wenn man sich nicht dafür interessiert, dann hat man auch kein Mitspracherecht.
Dann hat man danach eigentlich nicht das Recht, sich zu beschweren.
Wenn du das, was dir am allerwichtigsten ist, auf einen Sticker zeichnen, also den perfekten Sticker gestalten würdest, wie würde der dann aussehen?
Es würde »Habt euch lieb« draufstehen. Und wahrscheinlich wäre er bunt, vielleicht mit einem Regenbogen und noch irgendein Tier dazu. Ich liebe Otter, vielleicht also ein Otter dazu.
Wenn Menschen durch deinen perfekten Sticker richtig wachgerüttelt werden würden, was würde dann passieren?
Dass die Leute nicht mehr so viel Hass in sich tragen. Das wäre ziemlich schön. Wenn man das liest, dann fängt man vielleicht kurz an zu lächeln.
Glaubst du, du kannst was daran machen, dass sich was verbessert?
Ich hoffe es, denn sonst wäre ja alles voll für den Arsch, was ich mache. Ich weiß schon, nachdem ich mich für Politik interessiert habe und alles viel mehr hinterfragt habe und auch angefangen habe, das zu kritisieren und darüber zu sprechen, dass ich Freunde und Menschen in meinem Umfeld zum Umdenken bewegen konnte. Ich denke, wenn ich das schon bei ein paar Leuten geschafft habe, warum soll ich das nicht auch bei anderen schaffen?
»Ich find, dass Tattoos schon ’ne Form von Politik sind«
Nico (27)
Arbeitserzieher, hat die Beine voller Tattoos
Ich versuch schon, damit ein Statement nach außen zu tragen.
Was für coole Tattoos! Kannst du mir was dazu erzählen?
Vielleicht wie ich zu meinem ersten Tattoo gekommen bin? Das war vor einem Jahr. Ich war erst planlos, wusste nicht, was ich mir stechen lassen wollte; ich wusste nur, ich will mir ein Band-Tattoo stechen lassen. Dann hab ich meine Gedanken sortiert und mir Casper stechen lassen, weil der, also seine Musik und der Künstler selbst, mir durch ’ne schwere Zeit geholfen hat. Und irgendwie wurde es dann mehr und mehr zum Selbstläufer: Es kam noch ’ne Band dazu, dann noch eine, und irgendwann wurde mein Bein voller und voller und voller. Ich hab mich aber schon bewusst dafür entschieden, da ich im sozialen Bereich arbeite, dass ich bestimmte Tattoos nicht offen tragen kann wie das Casper-Tattoo. Bands wie Green Day oder die Toten Hosen sind ja gesellschaftlich sehr anerkannt. Aber mit ’ner 666 in Bezug auf Iron Maiden sollte man in ’ner kirchlichen Einrichtung nicht rumlaufen. Auch nicht mit dem Bad-Religion-Logo, das ich mir auch noch stechen lass. Das sollte man nicht immer sehen. Aber ich versuch schon, damit ein Statement nach außen zu tragen.
Kannst du das konkretisieren? Welche Aussage dahintersteckt?
Man hört oft das Klischee, dass die Punks oder die Metalheads, ganz krass gesagt, eh nur aggressive, trinkende Leute seien, die am Bahnhof Bier saufen, Bullen anpöbeln, Passanten anpöbeln und irgendwelche Leute verprügeln. Hab ich schon alles gehört. Und natürlich, dass jeder Tätowierte kriminell und asozial ist und sich Cannabis spritzt. Da denkt man dann so: Willkommen im 21. Jahrhundert! Das ist dann doch sehr überraschend, wie Tattoos einerseits gesellschaftlich anerkannt sind, aber andererseits irgendwie auch nicht. In meiner Generation heißt es: »Alles cool, du hast Tattoos.« Aber der ein oder andere Ältere über 40, der gesellschaftlich doch irgendwie gefestigter ist und ’nen bürgerlichen Job hat, ist da eher abgeneigt: »Du hast Tattoos, was sagt denn dein Chef dazu?« – »Nix, der feiert das.« Also bis jetzt hatte ich noch nie Probleme mit meinen Tattoos. Gut, wie das mit meinem neuen Arbeitgeber ist, weiß ich noch nicht. Da bin ich erst seit drei Wochen als Arbeitserzieher. Und wie es da ist, mit kurzer Hose zu arbeiten? Dazu kam es bisher noch nicht. Aber bis jetzt hab ich immer positive Resonanz bekommen, vor allem auch auf Konzerten oder im Freundeskreis. Die finden das Gesamtkunstwerk sehr respektabel. Oftmals haben mich auch schon kleine Kinder angesprochen, z. B. auf dem Kesselfestival, warum ich mir Feine Sahne Fischfilet auf den Oberschenkel tätowiert hab. Das Kind hat mich gefragt, ob ich gerne Fischfilet esse, mit Sahne. [lacht] Das fand ich total witzig. Ich habe dem dann erklärt: »Äh, nee, das ist ’ne Punkband«, und das Kind so: »Oh ja, die muss ich mir auch mal anhören«, und hat die Mama dazugeholt. Ja, vor allem Kinder finden es voll faszinierend, dass ich mir Tattoos stechen lass. Für die ist das jedes Mal, wenn sie ein neues Tattoo sehen, voll faszinierend. Und für mich ist es ganz klar ein politisches Statement, wenn ich mir Feine Sahne Fischfilet tätowieren lass oder Die Toten Hosen, Green Day … Das sind alles politische Bands. Vor allem auch Radio Havanna, mein neuestes Tattoo, das ist für mich eine politische Band, die auch für die Sache einstehen und die Sache verteidigen, meistens.
Für mich ist es ganz klar ein politisches Statement, wenn ich mir Feine Sahne Fischfilet tätowieren lass oder Die Toten Hosen, Green Day … Das sind alles politische Bands.
Feine Sahne Fischfilet und Die Toten Hosen sagen mir was, aber wer oder was ist Radio Havanna?
Radio Havanna ist ’ne Punkband aus Berlin, die haben auch ’ne Kampagne ins Leben gerufen namens »Faust hoch« gegen Nazis, gegen Rechtspopulisten und was da mit der AfD und teilweise auch mit der CDU und CSU in Bayern zusammenhängt. Darüber klären sie die Jugendlichen auf. Im Prinzip ein Analogiestück zu »Kein Bock auf Nazis«, was vielleicht ein Begriff ist. Die arbeiten auch mit vielen Bands zusammen. »Faust hoch« arbeitet zusammen mit »Kein Bock auf Nazis«. Die tauschen gegenseitig Kontakte aus, klären bei Konzerten auf, dass man auch gewaltfrei auf die Straße gehen kann. Weil mit Gewaltanwendung, man hat es in Hamburg gesehen, da wurde die ganze antifaschistische Szene in den Schmutz gezogen, bloß weil ein paar Hansel randalierend durch Hamburg gezogen sind. Und damit wollen die halt sagen: Geht friedlich auf die Straße! Das macht den Ruf der Antifaschisten nicht so platt, als wenn ein paar Chaoten durch Hamburg ziehen und irgendwelche Polizisten verprügeln, Familienkutschen anzünden und meinen, sie gehen damit gegen den Kapitalismus vor und stehen als Antifaschisten da.
Wem möchtest du mit deinen Tattoos was sagen?
In der Punk- und Metal-Szene, dass ich halt zu ihnen gehöre. Das ist wie ein Erkennungscode. Den erkennen im Prinzip nur Leute, die diese Musik hören. Klar, Die Toten Hosen, das kennt man mit dem Adler, aber ein Heisskalt-Tattoo – das sind die zwei Möhren – das erkennen wirklich nur die Wenigsten. Leute, die sich mit der Musik auskennen, die haben mich schon öfter angesprochen: »Wirklich coole Idee! Ist das ein Heisskalt-Tattoo?«, und dann kommt man auch direkt ins Gespräch.
Gibt es noch eine ganz persönliche Bedeutung nur für dich?
Die Frage hab ich schon öfter gehört. Ich lass mir nicht jede x-beliebige Band tätowieren, so: »Hab ich im Radio gehört, geil, lass ich mir stechen …«, sondern ich muss mit jeder Band, die ich mir tätowier, ’ne sehr persönliche Geschichte verbinden. Jedes Tattoo bzw. jede Band hat ’ne Bedeutung, z. B. bei Green Day, da hat es mit American Idiot angefangen. 2004, als das Album rausgekommen ist, war ich zwölf oder 13 Jahre alt und hab die Texte überhaupt nicht verstanden, weil ich erst ab der fünften Klasse Englisch hatte und mein Schulenglisch deshalb katastrophal war. Aber ich fand die Musik geil, ich fand die Musik richtig cool. Irgendwann hab ich mich dann näher mit der Band befasst, bin auf ältere Lieder gestoßen und hab dann mal mit Google-Übersetzer die Texte übersetzt. Bei dem Lied »Jesus of Suburbia« heißt es: »nobody is perfect«, und das war für mich ein Schlüsselmoment: Boah, ja, niemand ist perfekt! Das war für mich der Moment, weil ich viel Mobbing in der Schule erlebt hab, wo ich mir gesagt hab: In Bezug auf diese Gesellschaft zieh dein eigenes Ding durch! Ähnlich auch bei den Toten Hosen. Das war die erste Band, die ich live gesehen hab. Inzwischen war ich auf vielen Konzerten und hab über die Hosen viele Freunde kennengelernt. Bei Green Day ist es der Blick auf die Gesellschaft, bei den Hosen ist es Freundschaft und Zusammenhalt, und bei Casper hat es viel zu tun mit Selbstzweifeln, mit sehr ruhigen Texten. Casper ist ein Hip-Hopper. Da gehts viel um Depressionen aufarbeiten. Casper oder auch Linkin Park sind Bands, die mir durch ’ne schwere Zeit geholfen haben. Ich hab mir schon mit 16 oder 17 Jahren geschworen: Ich lass mir von Linkin Park was stechen. Das Logo war mir zu langweilig, deshalb hab ich mir den Sprayer vom Meteora-Album stechen lassen. Oder Iron Maiden, das ist ’ne Band, an der man im Jugendalter auch nicht vorbeikommt. Silverstein ist ’ne Emo-Band; die Lieder handeln viel von Selbstzweifeln, dem Kampf gegen die »inneren Dämonen«, Depression, Liebeskummer, Herzschmerz und so scheiß Dinge. Das hab ich mit 15, 16, 17 viel gehört und hör ich immer noch gern, weil es doch ’ne schöne Zeit war, so unbeschwert vor sich hin zu pubertieren. Bei Heisskalt ist es eigentlich dasselbe wie bei Casper, sehr melancholische Texte, sehr ruhig. Geht auch darum, dass man trotzdem wieder aufstehen kann. Rise Against auch, da ist es eher so wie bei Green Day, dass man zu sich selbst stehen kann und niemals aufgeben soll. Bisschen ist es schon klischeehaft. Architects ist auch ’ne Band, mit der ich sehr viel verbinde. In ihrem vorletzten Album All Our Gods Have Abandoned Us sagt schon der Titel, worum es geht: All unsere Götter haben uns verlassen. Der Gitarrist hat das Album während seines Krebsleidens geschrieben und ist dann am Ende leider verstorben. Er hat das Album noch geschrieben, mit Depressionen. Er beschreibt, dass er völlig den Glauben an Gott verloren hat und wie ihn die Krankheit auffrisst. Da gibt es ein Zitat: »Hope is a prison«, also »Hoffnung ist ein Gefängnis«, inzwischen kann ich besser Englisch als vor 12, 13 Jahren. [lacht] Das war für mich einfach so: Man kann hoffen so viel man will, aber bei manchen Sachen bringt das Hoffen und Bangen einfach nichts, man ist einfach gefickt bei Sachen wie Krebs und psychischen Erkrankungen. Also ich habe kein Krebs, aber wenn man Depressionen hat, verbindet man damit viel. Und so ist das bei den Architects.
Das ist wie ein Erkennungscode.
Inzwischen spielen sie in der Porsche-Arena und rufen dazu auf, Porsches zu verbrennen. Das ist dann doch irgendwie peinlich.
Und Feine Sahne …?
Feine Sahne Fischfilet war eher so ’ne spontane Sache, weil ich die einfach cool find und provozieren wollte. Inzwischen sind die auch ziemlich groß geworden. Ich hab die vor fünf, sechs Jahren noch in Herrenberg im Juz gesehen, für 5 Euro Eintritt. Inzwischen spielen sie in der Porsche-Arena und rufen dazu auf, Porsches zu verbrennen. Das ist dann doch irgendwie peinlich. Man kann sich ja treu bleiben, aber dann sollte man nicht in ’ne Riesenhalle gehen, wo Porsche der Hauptsponsor ist. Oder ZSK ist ’ne Band aus Berlin, die hat mich damals auf den Punk gebracht und zu dem geformt, was ich jetzt bin. Das ist Deutschpunk. Die haben sich auch mega gefreut, hab mit denen auch schon gesprochen. Die fanden es richtig cool. Zu jeder Band gibt es auch ’ne Geschichte. Die eine ist eher amüsant, wie mit Schmutzki, das ist ’ne Stuttgarter Punkband. Denen hab ich damals total besoffen versprochen: »Ich lass mir euer Logo stechen.« Und ein paar Tage später bin ich zum Tätowierer gegangen und habs mir stechen lassen. Ich war tatsächlich der Erste mit ’nem Schmutzki-Tattoo. Inzwischen gibt es sogar schon ein paar Nachahmer. Ich bin sogar in ’nem Club mal angesprochen worden, ob ich der Typ mit dem Schmutzki-Tattoo sei. Ich: »Ja.« Da zeigt er mir seinen Fuß und hat da dasselbe, also das Logo an derselben Stelle: Der hat das auch gemacht und war auch total besoffen, eigentlich wie ich. [lacht] Bei dem Casper-Tattoo hab ich ein Mädel kennengelernt, wir haben uns zufällig dasselbe stechen lassen. Wir kannten uns überhaupt nicht. Sie lag neben mir beim Tätowieren, und dann sind wir ins Gespräch gekommen und in Kontakt geblieben. Das ist jetzt eine meiner besten Freundinnen. Wir sind über Casper, über die Musik in Kontakt gekommen. Die Gespräche wurden doch recht schnell persönlich, weil, wenn du dir Casper tätowieren lässt, kennst du auch seine Texte.
Du hast alle Tattoos an einem Bein, richtig?
Nein, inzwischen ist mein linkes Bein voll und ich bin jetzt aufs rechte übergegangen. Also am linken sind noch ein paar Stellen frei, aber die hab ich schon verplant für Tattoos wie Bad Religion, die ich nicht offen tragen kann auf der Arbeit, weil ich ja nicht weiß, wieweit mein Chef damit konform geht. Bei ’nem kirchlichen Träger ist es ein bisschen kritisch, mit ’nem durchgestrichenen Jesuskreuz rumzulaufen. Obwohl Bad Religion per se ja nicht gegen Religion sind, die haben bloß was gegen das Machtgehabe der Kirchen.