Kitabı oku: «Nur dämlich, lustlos und extrem?», sayfa 8

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»Der Steppenwolf ist eine schöne Beschreibung der Zerrissenheit des modernen Menschen«

Jan (25)

Künstlername Steppenwolf, studiert Soziale Arbeit und schreibt Rap-Texte

Jan, du bist letztes Jahr in Vaihingen an der Enz in einem Jugendzentrum bei einer Benefizveranstaltung aufgetreten. Kannst du was darüber erzählen, wie das zustande gekommen ist?

Meine Kommilitonin Helene arbeitet dort im Jugendhaus, und wir beide sind auf die Idee gekommen, das Konzert zu organisieren. Hip-Hop ist dort ein großes Thema, und vor mir ist noch ein weiterer Act, Eddi, der aus Vaihingen selbst kommt, und eine Tanzgruppe aus dem Jugendhaus aufgetreten. Wir wollten die Gage einem guten Zweck zukommen lassen. Ich habe in Paternoster, einem südafrikanischen Fischerdörfchen in der Nähe von Kapstadt, drei Monate lang von meinem Studium aus ein Praktikum absolviert, und daher lag es nahe, diesem wunderbaren Dörfchen den Erlös zukommen zu lassen. Die Leute dort haben bisher vom Fischfang gelebt, aber weil die Meere überfischt sind, wird ihnen Schritt für Schritt die wichtigste Einkommensquelle entzogen. Deshalb ist die Idee, den Leuten und Kindern dort zu helfen und eine Zukunftsperspektive zu bieten. Es werden Workshops im Kidshouse angeboten, beispielsweise Sport, Gärtnern oder Lesen und Schreiben. Da kommen die Kinder nach Schulende hin und können mitmachen. Alle drei Monate wechseln dann die Volontär*innen, die das Projekt begleiten.

Als du aus Südafrika zurückgekommen bist, warst du ein bisschen ein anderer Mensch. Welche Erfahrungen hast du dort gemacht, dass es dir wichtig war, bei dieser Veranstaltung dabei zu sein?

Das stimmt. Die Kids und auch die Kolleg*innen dort hatten echt einen großen Einfluss. Im Vergleich zu den Kindern hier in Deutschland waren die Kids dort viel wilder, lebensfroher und natürlicher. In Paternoster war der Community-Gedanke sehr ausgeprägt: Du kriegst was, gibst aber auch was zurück. Eine materielle Kleinigkeit zurückzugeben, war somit eine Herzensangelegenheit. Wenn im Ort ein Fischer auf dem Meer stirbt, versammelt sich das ganze Dorf und fackelt riesige Feuer ab. Die Menschen dort im afrikanischen Dorf sind uns menschlich betrachtet teilweise weit voraus, und trotzdem geht es vielen materiell schlecht.

Die Menschen dort im afrikanischen Dorf sind uns menschlich betrachtet teilweise weit voraus, und trotzdem geht es vielen materiell schlecht.

Was passiert dort mit dem Geld?

Eine Hauptaufgabe während meines Praktikums dort war Mobile Jugendarbeit. Ich war zuständig für die sogenannten Troublemakers. Es war schon teilweise kritisch, dass wir überhaupt irgendwas anbieten konnten. Da wurde oft gestört, die haben manchmal echt richtig fett Scheiße gebaut und sich massiv geprügelt. War schon schwierig. Die Gage wird dafür verwendet, dass die Troublemakers miteinbezogen werden können. Die waren sehr begeistert von Rap und Graffiti, und die Idee war, dass aus Kapstadt Künstler kommen und sich ein Angebot entwickelt, dass sich an ihren Interessen orientiert.

Apropos finanzielle Schwierigkeiten. Dein zweites Tape heißt Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Was drückt der Titel genau aus?

Das Leben ist ja ganz angenehm, aber eigentlich macht man jeden Tag nur einen monotonen Scheiß. Man kann sichs eigentlich ganz nett machen, aber das alltägliche Leben kann einen manchmal ziemlich frusten. Irgendwie steht immer das Materielle im Mittelpunkt. Das ist die Ideologie, die hinter der Wirtschaftsordnung steht: Immer mehr, mehr, mehr, besser und besser. Das ist ein Grundübel unserer Gesellschaft.

Immer mehr, mehr, mehr, besser und besser. Das ist ein Grundübel unserer Gesellschaft.


In einem anderen Track geht es um eine ähnliche Thematik. Eine Zeile geht: »Raubtierkapitalisten vergiften demokratische Prozesse, Geld schafft Gesetze, der Fiskus unterworfen mit der Globalisierung, die letzte Stimme des Volkes gestorben.« Wen meinst du mit Raubtierkapitalisten?

Große multinationale Firmen, die dafür sorgen, dass kleine Firmen keine Chance mehr haben, bzw. Personen, die hinter den Firmen stehen und kein anderes Interesse haben, als möglichst viel Profit rauszuholen, und dabei alle Folgen außer Acht lassen. Das kann man in allen Bereichen beobachten. Da findet eine problematische Entwicklung statt: Die Konzerne werden immer größer, schlucken die Kleinen und bereichern sich durch ihre Macht, Firmen wie Nestle oder Betriebe in der Landwirtschaft oder auch im Bäckereihandwerk beispielsweise. Greenwashing ist auch so ein Phänomen. Nestle oder McDonalds machen auf ökologisch, weil sich ein Trend entwickelt. Sie verpassen sich einen ökologischen Anstrich, ohne dass irgendetwas daruntersteckt.

Und was müsste passieren, damit das Volk seine Stimme wiederbekommt?

Die Leute müssen empowert, befähigt werden, ihre Interessen auszudrücken, um diese in demokratische Prozesse einbeziehen zu können. Sozial schwache Schichten sollten viel mehr gestärkt werden, damit sie ihre Stimme wieder zurückbekommen. Hilfe zur Selbsthilfe. Die Schwächsten haben sie gar nicht mehr. Das zeigt sich dann in den sozialen Netzwerken. Lies dir mal die Facebook-Kommentare durch! Da wird einfach nur Hass rausgeschrien. Die sind frustriert, weil sie keine Möglichkeit haben, sich produktiv und konstruktiv in der Gesellschaft zu beteiligen. Die Wirtschaftsordnung müsste dahingehend geändert werden, dass nicht wenige Riesenkonzerne den kompletten Markt kontrollieren. Der Neoliberalismus muss mehr eingeschränkt werden, dass nicht nur die individuellen Interessen, wie Profit zu erwirtschaften, im Vordergrund stehen. Das hat viele negative Folgeerscheinungen. Und der Geldfluss innerhalb der Gesellschaft sollte gerechter gestaltet werden, beispielweise mit effektiven Besteuerungen von Spitzenverdienern und Großkonzernen.

Steppenwolf, wie bist du eigentlich zu deinem Künstlernamen gekommen?

Durch das gleichnamige Buch von Hermann Hesse. Da geht es um Harry Haller, er ist 46 und eine verloren wirkende Existenz. Er hat das Leben durchlebt, ist verzweifelt und fragt sich, wieso er noch weiterleben soll. Er sagt, dass er zwei Teile in sich hat: zum einen den Wolf, zum anderen den Menschen, er sozusagen aus dem Gegensatz zwischen Animalischem und Menschlichem besteht. Er fasst den Entschluss, sich zu seinem 50. Geburtstag umzubringen. Hesse ging es nach eigenen Angaben darum, ein Buch der Heilung zu schreiben. Der innere Prozess bei Harry Haller wird gezeigt. Und der beschreibt, wie er sich erholt und seinen Weg aus der Sinnkrise findet. Ich finde, der Steppenwolf ist eine schöne Beschreibung der Zerrissenheit des modernen Menschen.

Warum Rap-Texte und kein Schlager?

Ist das ’n Witz? Ich bin damit aufgewachsen, das war damals das Geilste! Rap ist eh die beste Form: Rap bringt Musik und Poesie zusammen. Besser gehts gar nicht. Und dann kannst du noch, was du selbst erlebt hast, in die eigenen Texte reinstecken. Hip-Hop ist ein Medium, das von jedem genutzt werden kann. Du kannst deine Gedanken aufschreiben und zu Reimen verarbeiten. Dann noch einen Beat dahinter, und du kannst sagen, was du willst, egal ob reich oder arm, egal welche Hautfarbe. Aber Rap hat sich schon gewandelt, das ist echt schade. Es gibt so viel beschissenes Zeug, was da heute verherrlicht wird. Materialismus, Sexismus, Homophobie, Gewalt, was weiß ich. Zurück zum Ursprung, zurück zum Protest!

Der Geldfluss innerhalb der Gesellschaft sollte gerechter gestaltet werden, beispielweise mit effektiven Besteuerungen von Spitzenverdienern.

Das hört sich schon auch wütend an, was du textest …

Ja. Wenn man jung ist, lässt man sich nicht so in die gesellschaftlichen Schranken weisen. Je älter man wird, desto mehr wird man ein Teil des gesellschaftlichen Zahnwerks, und man lässt sich nach und nach in die Ketten der Gesellschaft legen. Die junge »Scheißdrauf-Haltung« geht im Alter verloren. Das läuft meistens so, dass man selbst Verantwortung übernimmt, heiratet oder Kinder bekommt. Da geht das einfach nicht mehr. Alles andere macht auch nicht wirklich Sinn, das ist schon paradox. Wenn du 37 bist, allein unterwegs, säufst dir einen rein und versinkst in Weltschmerz, dann hat das schon etwas Lächerliches. Das ist mit 18 anders, da ist dir das einfach scheißegal. Das ist so in der Jugend verankert. Jeder Mensch, der einigermaßen vernünftig denkt, findet dieses Leben in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter absurd, meiner Ansicht nach. Und er fragt sich: Was soll ich eigentlich in dieser Welt machen?


Textauszug Prosatariat – Steppenwolf

hellwach nachts am schreibtisch, feile eifrig

an zeilen über die gesellschaft, die zeit tickt

weiter alles schreitet hier voran, nur der geist nicht

stufenweise steigt die versuchung, die nur das geld schafft

denn jeder will ein stück vom kuchen

materielles wird zum wesen um sein pures glück zu suchen

so verbluten kontinente korrupte konten

verbuchen dividende, auf kosten von zu vielen menschenleben

wir sind gebrandmarkt von ’nem lebensstandard,

der darauf basiert, dass die dritte welt unsre mittel stellt,

für uns anschafft, langsam krepiert,

trotzdem denken leute hier, wir würden standhaft regiert,

ausradiert, ist politischer diskurs,

raubtierkapitalisten vergiften die demokratischen prozesse,

geld schafft gesetze, der fiskus unterworfen

mit der globalisierung die letzte stimme des volkes gestorben

wurde überworfen, ermordet, von dem kapital

radikal wird die anwort ausfallen,

das ist klar das rad der geschichte ist nicht aufzuhalten

in der tat ist das proletariat gerade aufgespalten

über alle erdteile zerstreut,

im westen vergeuden sie ihre zeit während der rest für uns knechtet,

in ländern ohne zukunftsperspektive voller leid, ey es reicht,

also lasst uns kämpfen für’s gerechte

das geht an …

bandarbeiter maurer oder krankenschwestern

alle bauarbeiter schweißer oder landschaftsgärtner

maler und lackierer mechaniker oder kassenkraft

nach wie vor sind wir gefangen in nem klassenkampf

Welche Themen greifst du in deinen Texten sonst noch so auf, hast du ’ne spezielle Message?

Auf jeden Fall keine direkte Handlungsempfehlung. Das wäre das Lächerlichste überhaupt, wenn man in seine Texte so was reinpackt wie: Drogen sind scheiße. Es ist vielmehr eine Beschreibung, wie das Leben an mir vorbeizieht. Jeder muss seine Erfahrungen machen. Man hört sich das vielleicht an, denkt darüber nach und findet vielleicht die gleichen Sachen ansprechend, die mir im Kopf herumgehen. Aber das ist wahrscheinlich der Ausnahmefall, dass sich jemand ein Buch durchliest oder einen Track anhört und dann von heut auf morgen alles radikal ändert. Ich geb eher Anregungen und Impulse, statt ’ne Message rüberbringen zu wollen. Wir können uns alle richtig viel aus Musik rausholen, und es wäre gut, wenn die Musik jeder oder jedem Einzelnen hilft, seinen oder ihren Weg zu finden, der auch wirklich zu den einzelnen Personen passt und nicht die große Message für alle ist.

Angenommen, du könntest dir deine Welt texten, so wie sie dir gefällt. Wie würde sie aussehen?

Im Endeffekt würden die meisten Menschen mit gesundem Menschverstand sich eine Welt ausmalen, die gerecht ist, die fair ist, in der jedes Individuum ohne Einschränkungen wegen seines Geschlechts, seiner Hautfarbe oder seines Alters leben kann – die besten Rahmenbedingungen für die Selbstverwirklichung halt. Nachteil: Vermutlich hätte aber auch jede*r den höchsten moralischen Zwang überhaupt. Momentan ist es so, dass es viel zu kritisieren gibt, was natürlich viele Möglichkeiten mit sich bringt, sich künstlerisch auszudrücken. Da würde viel kreatives Zeug wegfallen, wenn alles perfekt wäre; dann könntest du höchstens irgendwelche Texte schreiben, wie supertoll die Welt ist … klasse. Man muss sich schon auch noch reiben können zwischen den Polen gut und schlecht. Meine Welt wäre schon eine utopische, in der sich alle theoretisch selbstverwirklichen können und es allen einigermaßen gut geht. Ist dann nur noch die Frage offen, ob man die Kunst überhaupt noch braucht oder nicht.

Da würde viel kreatives Zeug wegfallen, wenn alles perfekt wäre.

Eine Textzeile von dir geht: »23, mal langsam Zeit, erwachsen zu werden, doch ich hab immer noch nicht viel übrig für die Machenschaften der Erde.« Was denn für Machenschaften?

Die üblichen Machenschaften, die ab einem gewissen Alter von dir erwartet werden: Familie, Kinder, Job, schöner Garten, sich in die Gesellschaft nahtlos einfügen. Zusammengefasst bin ich theoretisch alt genug, um erwachsen zu sein, aber ich hab ehrlich gesagt keinen Bock, mir das Korsett des Erwachsenseins überstülpen zu lassen.

Es wäre gut, wenn die Musik jeder oder jedem Einzelnen hilft, seinen oder ihren Weg zu finden.

Ich hab ehrlich gesagt keinen Bock, mir das Korsett des Erwachsenseins überstülpen zu lassen.

Gibts außer Rap noch ein anderes Medium in deinem Leben, das man als politische Ausdrucksform von dir bezeichnen könnte?

Ich schreibe gerade Gedichte, das macht übelst Bock. Was ich denk, bring ich auf Papier, und dann bastele ich aus dem Schub, der da aus mir rausgekommen ist, ein Gedicht … allerdings ohne Reimform, ohne Formzwang. Ich sehe da einen Sinn drin, das ist eine Beschäftigung, die mir Spaß macht. Und vielleicht können die wenigen Leute, die das lesen, etwas herausziehen und sich im besten Fall ein Stück weit in den Gedichten wiederfinden.

Was hältst du davon, dich in Parteipolitik zu engagieren, um so deinen Gedanken Luft zu machen?

Ich folge da Winston Churchill, der meinte, dass Demokratie die schlechteste aller Staatsformen ist, abgesehen von allen anderen, die bisher ausprobiert worden sind. Demokratie hält das Land zusammen, aber ganz optimal ist das alles nicht. Eine größere Wirtschaftskrise, und das Ganze gerät ins Wanken. Wir können halbwegs in Frieden leben, Kunst machen, und bis es was Besseres gibt, ist die liberale Demokratie der Status Quo, den wir eben haben. Für mich wäre Parteipolitik aber nichts Ewiges, dann müssten die Debatten schon in Rap-Battles ausgetragen werden. [lacht]

»Es ist wichtig, dass man sich für sich und seine Weltvorstellung einsetzt, obwohl es vielleicht gegen den Strich von anderen läuft«

Lorena (17)

Schülerin eines Gymnasiums, spielt Theater in einem Spielclub des Jungen Ensembles Stuttgart

Lorena, du bist im Spielclub JES Open 1 des Jungen Ensembles Stuttgart. Wie bist du eigentlich dazu gekommen?

Ich komme eigentlich aus Schwäbisch Hall, spiele, seit ich zwölf bin, Theater und habe das Glück, dass meine Tante in Stuttgart wohnt. Ich hatte auch mal Lust, ein bisschen weiter rauszukommen mit dem Theater, habe nach einem Spielclub in Stuttgart geschaut und bin auf das JES gestoßen. Dort habe ich mich beworben und wurde glücklicherweise genommen.

Welche Art von Theater spielt ihr denn in Schwäbisch Hall?

Da gibt es die Freilichtspiele, und die letzten Stücke, bei denen ich vom Jugendensemble aus mitgemacht habe, waren Stückentwicklungen zu Faust, über das Thema Liebe und was mein Herz begehrt. In der jetzigen Produktion, die wir leider aufgrund Corona nicht aufführen können, hätten wir Homo empathicus gespielt. Das ist ein Stück, in dem die Geschlechter privat sind, wo alle vegan leben und so. Das ist auf eine leichte Art politisch.

Das Theaterstück, bei dem du jetzt in Stuttgart mitspielst, trägt den Titel Deutschland, meine Hood. Das hört sich für mich auch politisch an …

In dem Stück geht es um Nachbarschaft, aber auch über Deutschland, und es wird unter anderem spielerisch mit Klischees umgegangen. Beispielsweise gibt es eine Szene, da stellen wir Autofahren dar, indem wir in Einkaufswägen sitzen und rasen. Einer kommt dann mitten in die Szene rein und sagt: »Ich habe mein Deutschland verloren.« Das bringt das Ganze auf eine ganz andere Ebene, weil man sich dann ja fragt: »Was bedeutet es eigentlich, deutsch zu sein? Wie lebt man das aus? Und ist das überhaupt was Großes?«


Gibt es die Frage »Was ist eigentlich Deutschland?« auch in deinem Alltag? Meinst du, andere Jugendliche stellen sich diese Frage, was Deutschland für sie ist?

Darüber habe ich tatsächlich vor dem Theaterstück noch gar nicht nachgedacht. Für mich war das was Normales, deutsch zu sein. Wenn ich in Frankreich war, haben die Franzosen immer gesagt, sie sind Franzosen, und haben dabei gelächelt über das ganze Gesicht. Ich habe gesagt, ich bin Deutsche, und das war dann halt so, aber ich habe nicht über das gesamte Gesicht gelächelt. Ich war nicht besonders stolz drauf. Aber ich habe jetzt für mich gefunden, dass man trotzdem stolz drauf sein kann, weil Deutschland ein tolles Land ist, abgesehen von der Geschichte, die andere Länder in gewisser Weise ja auch haben, auf die eben nur der Fokus nicht so groß gerichtet ist. Ich glaube, ehrlich gesagt, dass sich meine Freunde oder die Menschen in meinem Umfeld das gar nicht so oft fragen.

Konntet ihr eure Ideen in das Theaterstück miteinbringen?

Ja, total. Das Thema wurde zwar von den Leitern vorgegeben, aber wir haben auch eigene Texte geschrieben und danach über das diskutiert, was wir produziert bzw. kreiert haben.

Das Theaterstück spielt ihr ja mit anderen Spielclubs zusammen, unter anderem dem Club Kultür mit Spieler*innen türkischer Herkunft. Wie findest du die Zusammenarbeit?

Superspannend, denn sie leben ja auch in Deutschland, haben aber eine andere Kultur dahinter. Ich finde das auch total spannend, wie sie mit der Sprache jongliert haben. Weil sie manche Szenen auf Deutsch–Türkisch spielen, also beide Sprachen benutzen, man aber nicht das Gefühl hat, dass man die Szene nicht versteht, weil sie gerade Türkisch sprechen und ich kein Türkisch kann. Sie haben so jongliert, dass man sie auf beiden Sprachen verstehen kann, auch wenn man nur eine Sprache davon spricht. Auch ihre Sichtweise war was Neues, Interessantes.

»Was bedeutet es eigentlich, deutsch zu sein? Wie lebt man das aus? Und ist das überhaupt was Großes?«

Wenn du mal über euer Thema nachdenkst, gibt es da was, das du als was Politisches bezeichnen würdest?

Ich glaube schon, dass Theater politisch ist, aber es kommt natürlich drauf an, was für Theater gespielt wird. Es gibt ja auch unterhaltsames Theater, das eher nicht so politisch ist. Aber das klassische, konventionelle Theater ist ganz oft dafür da, Denkstöße an die Zuschauer zu liefern, die man davor vielleicht nicht hatte, weil man ja mit Theater die Sachen ganz anders darstellen kann. Da legt man mal Gefühle offen, was man im Alltag vielleicht nicht so machen würde, weil man Angst hat, verletzt zu werden, wenn man sich so verletzlich zeigt. Im Theater kann man sich hinter der Rolle verstecken oder auch ganz andere Sichtweisen darstellen. Z. B. war ich in einem Theaterstück, da wurde Faust gespielt. Da gibt es ja die Szene, wo Mephisto und Faust den Vertrag machen. Da haben sie auf Putin angespielt, das fand ich ganz spannend. Es hat mich dazu angeregt, ein bisschen mehr darüber zu recherchieren und mich in der Sache schlau zu machen. Das hat ja dann auch wieder politische Auswirkungen.

Aber das klassische, konventionelle Theater ist ganz oft dafür da, Denkstöße an die Zuschauer zu liefern, die man davor vielleicht nicht hatte.


Würdest du anderen Jugendlichen empfehlen, Theater zu spielen, vielleicht auch, um sich so mit Politischem auseinanderzusetzen?

Ich würde jedem Menschen empfehlen, Theater zu spielen. Das ist einfach eine Chance, sich selbst besser kennenzulernen und sich klar zu werden, was man eigentlich denkt. Ich glaube, dass es ganz viel mit der Persönlichkeit macht, wenn man Theater spielt, und dass es bestimmt auch politisch hilfreich ist. Ich hätte mich nie gefragt, wie es denn ist, Deutsche zu sein, oder was Deutschland für mich ist, wenn ich nicht bei diesem Theaterstück mitgespielt hätte.

Ich glaube, dass es ganz viel mit der Persönlichkeit macht, wenn man Theater spielt, und dass es bestimmt auch politisch hilfreich ist.

Schreibst du auch selbst Texte für das Theater?

Ja. In den Texten geht es um Dinge, die mir auffallen. Ich habe manchmal einfach das Gefühl, dass man sein Glück davon abhängig macht, ob man ein teures Haus, ein teures Auto zu Hause hat. Ich möchte das eigentlich überhaupt nicht. Man kann glücklich sein, ohne solche Gegenstände zu haben. Das fängt bei einem selbst an. Ich fand das schon sehr deutsch, schnelle Autos zu haben und sich dann irgendwie toll zu fühlen. Darum geht es in dem Text, den ich für das Theaterstück Deutschland, meine Hood geschrieben habe.

Eine Kritik daran, dass man nur durch materielle Dinge glücklich sein kann?

Ja, so einen Status damit aufbaut. Ich glaube, ich war mit meinem Text ein wenig provokativ. Das war mir nicht klar. Als wir über den Text gesprochen haben, den ich geschrieben habe, war da eine Mitspielerin, die das anders gesehen hat. Bei ihr hat das auch richtig was ausgelöst, mit dem ich gar nicht gerechnet habe. Das macht es ja so spannend, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Weil wenn man immer gleicher Meinung ist, ist das zwar schön, aber man lernt halt nicht viel. Beim Diskutieren bekommt man einen Einblick in andere Meinungen.

Dann mal weg vom Theater. Du hast mir vorab schon geschrieben, dass du dich nicht unbedingt als politisch aktiv betiteln würdest. Woran machst du das fest?

Ich habe eine Klassenkameradin in meinem Kurs, die ich als politisch aktiv betiteln würde, weil sie sich in einer Partei engagiert und auch den Durchblick hat, wie das deutsche System und das EU-System funktionieren, wann die nächsten Wahlen sind und wie die Minister alle heißen. Ich weiß natürlich auch, wie die Bundeskanzlerin heißt, aber ich bin nicht so breit aufgestellt, dass ich weiß, wie das alles miteinander verknüpft ist. Deswegen hätte ich mich nicht als politisch betitelt. Aber andererseits: Theater ist schon auch etwas sehr Politisches.

Du hast mir auch geschrieben, dass du Vegetarierin bist. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?

Ich mache das eher aus umwelttechnischen Gründen. Ich kann auch anfangen, kurz zu duschen, aber man kann viel mehr Wasser sparen, wenn man kein Fleisch isst. Das ist der effektivste Weg, etwas zu ändern. Also klar, vegan ist noch effektiver, aber auch schwieriger zu Hause umzusetzen.

Auch wegen Tierwohl und Massentierhaltung?

Ja, obwohl ich auch gelernt habe, nur sehr vorsichtig mit meinen Argumenten um mich zu werfen. Mein Onkel ist Metzger. Am Anfang war es sehr komisch, in meiner Familie vegetarisch zu sein, weil man da ein bisschen der Außenseiter ist. Obwohl sie Rücksicht auf mich nehmen. Und anfangs hatte ich noch keine überzeugenden Argumente und konnte deshalb leicht widerlegt werden. Was ich auch sehr interessant finde: In meinem Kurs sind drei oder vier, die normal essen, der Rest isst vegetarisch. Das sind zwei Drittel meines Kurses. Das kenne ich sonst nicht so, sonst ist es ja eigentlich andersrum. Manchmal habe ich das Gefühl, es wird ein bisschen persönlich, wenn man erzählt, dass man Vegetarier ist. Weil man ja den Lebensstil von anderen angreift, wenn man sagt, ich mach das nicht so wie du, weil ich das nicht für gut empfinde. Wenn wir in unserem Kurs darüber diskutieren, dann ist es genau andersrum, weil wir ja so viele Vegetarier sind. Man probiert trotzdem, dass das nicht so hochkommt und so verletzlich wird, weil man das ja selbst von den Diskussionen kennt und weiß, wie blöd das sein kann, wenn man nur auf die Minderheit eingeht. Schlussendlich muss jeder das tun, was er für richtig und gut hält.

Die Fridays-for-Future-Demos sind auch immer wieder Thema, gerade unter Jüngeren. Was hältst du davon?

Zwei Freundinnen von mir in Schwäbisch Hall organisieren das dort. Das finde ich wirklich mutig. Bei der ersten Demo waren sie sehr unsicher, weil sie dachten, dass sie zu zehnt am Rathaus stehen und demonstrieren würden. Dann kamen aber 300 Leute. Da waren alle total beeindruckt, und dann ist es immer größer geworden. Ich finde es gut, dass es Fridays for Future gibt, weil es nicht so was Parteiisches ist, wo man sagt, dahinter steckt die und die Partei, obwohl es natürlich auch Parteien gibt, die das eher unterstützen als andere. Fridays for Future ist für mich ein Rahmen, der ein bestimmtes Thema für wichtig erklärt, aber dabei frei ist und sich nicht einer Partei zuordnet.

Ich kann auch anfangen, kurz zu duschen, aber man kann viel mehr Wasser sparen, wenn man kein Fleisch isst.

Bei der ersten Demo waren sie sehr unsicher, weil sie dachten, dass sie zu zehnt am Rathaus stehen würden. Dann kamen aber 300 Leute.

Wenn jeder denken würde, wenn ich was mache, dann bringt das was, dann würde die Welt ganz anders aussehen.

Könntest du dir denn für die Zukunft vorstellen, in eine Partei einzutreten?

Ich habe mir schon mal die Grüne Jugend angeschaut, und ich finde, dass die am ehesten meinen Wertvorstellungen entsprechen. Ich fands auch ganz schön, da mit anderen Jugendlichen zu sein, aber dann müsste ich ja bei den Grünen Mitglied sein, und was heißt das denn, wenn ich da Mitglied bin? Heißt das dann, dass ich immer die Grünen wählen soll? Die Grüne Jugend unterscheidet sich ja auch von den Grünen, also den Abgeordneten, und ist ja ziemlich frei. Aber für mich persönlich ist es trotzdem so: Dann gehöre ich zu einer Partei, und das will ich in meinem Alter noch nicht. Meine Meinungen ändern sich einfach noch zu oft. Es gibt Dinge, die sind ganz tief verankert, wie die vegetarische Ernährung. Aber bei manchen Dingen ist meine Meinung noch nicht fest. Ich wollte mir da selbst nicht die Freiheit nehmen.

Gibt es Gegenwind von deinen Freund*innen oder finden die gut, was du machst?

Ich glaube, da ich Theater spiele, habe ich sehr offene Freunde, die einfach auch Mitgefühl haben. Das ist jetzt auch wieder provokativ, weil die anderen Menschen das natürlich auch haben, aber meine Freunde haben Mitgefühl, sie sehen was und sie handeln. Und nicht: Ich sehe es, finde, dass es blöd ist, glaube aber, wenn ich allein was mache, dann bringt das nichts. Obwohl es ja genau da anfängt. Wenn jeder denken würde, wenn ich was mache, dann bringt das was, dann würde die Welt ganz anders aussehen.

Du hast vorhin angedeutet, das Theaterspielen macht auch was mit deiner Persönlichkeit …

Ja, ich habe vor fünf oder sechs Jahren angefangen, Theater zu spielen. Davor war ich eher introvertiert und schüchtern. Wenn jemand was gesagt hat, dann habe ich das halt gemacht, habe alles geglaubt. Durch das Theater bin ich viel offener geworden, und ich habe meinen Körper besser kennengelernt und bin da auch noch dabei. Auch durch die ganzen Wörter, die man im Theater benutzt. Wörter zu finden, die meine Wünsche beschreiben oder wie ich mich fühle zu manchen Themen, und diese Wörter dann wieder zu benutzen. Wie ich mit Mitmenschen umgehe oder einfach im Miteinander mit Menschen helfend umzugehen. Obwohl ich es noch nie aus der Perspektive gesehen habe, kann mir das Theaterspielen sicher auch helfen, mir politisch ein Wort zu schaffen. Ich glaube, dass es den Menschen einfach guttut, mehr über sich kennenzulernen. Ich habe auch das Gefühl, dass ich, obwohl ich auch sehr stur sein kann, durch das Theaterspielen viel kritikfähiger geworden bin. Obwohl ich noch viel Raum nach oben habe, glaube ich, dass ich vor dem Theaterspielen nicht so selbstkritisch war und manches eher persönlich genommen habe.

Du hast auch politisches Interesse entwickelt durch das Theaterspielen?

Ja. Ich glaube, Interesse entwickeln an Politischem muss klein anfangen: bei jedem einzelnen Menschen. Bei sich, dass man merkt, dass man als Mensch was verändern kann. Weil, wenn ich das Gefühl habe, ich kann sowieso nichts verändern, dann ist es ganz egal, ob es einen Jugendrat gibt oder dass man wählen kann. Man muss einfach die Jugend dazu ermutigen, dass sie etwas verändern kann und dass ihre Ideen gehört werden. Manchmal habe ich das Gefühl, die Ideen der Jugend werden als naiv abgestempelt oder: »Der hat noch nicht den Breitblick dafür« oder: »Weil ich so viel mehr Lebenserfahrung habe, weiß ich das besser«. Ich glaube, man sollte das Gegenteil machen und nicht sagen: »Jetzt werde erst mal älter und weiser, dann kannst du auch mal mitreden, dann nehmen wir deine Vorschläge ernst.«

Sich klarmachen, dass man was verändern kann, sagst du …

Ja. Ich glaube, dass Veränderung nicht schadet. Was ich schön fände, ist, wenn man bewusster mit seinen Mitmenschen umgeht und auch an seine Mitmenschen denkt. Dass man an andere denkt, bewusster mit allem umgeht und dass man zuhört, sich gegenseitig wahrnimmt und wertschätzt. Auch genau mit den Unterschieden, die wir alle haben. Das sagt auch Augusto Boal, dass die Dialoge, von denen man denkt, es wären Dialoge, eigentlich nur zwei parallellaufende Monologe sind, weil man sich gegenseitig nicht genug wertschätzt und sich nicht zuhört. Das habe ich ihm nicht geglaubt, als ich das gelesen habe, aber in meinem Alltag habe ich dann doch festgestellt, wie oft eigentlich Monologe stattfinden und keine Dialoge. Wir betiteln es als Dialog, obwohl das nicht richtig ist. Alles in allem: Es ist wichtig, dass man sich für sich und seine Weltvorstellung einsetzt, obwohl es vielleicht gegen den Strich von anderen läuft.

Interesse entwickeln an Politischem muss klein anfangen: bei jedem einzelnen Menschen.

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