Kitabı oku: «Der Brandner Kaspar», sayfa 2

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»G’segen’s Gott.«

Er verbindet mit Sorgfalt den Schädel und merkt in der Pflicht nicht, wie viel auf einen einzigen Zug, grinsend, genüsslich, der Alte aus seiner Flasche heraustrinkt. Im Eifer entgeht ihm auch noch, dass hinter seinem Rücken der Flori einen gewaltigen Zug tut, eh er dem Kaspar die Flasche zurückreicht. Der setzt abermals an, um sich noch mehr zu vergönnen, da schreit schon der Simmerl: »Hö – net a so viel! Der ist kostbar! Und b’suffa bal dich die Herrschaften finden –«

Der Flori macht recht kummervolle Augen her und derbleckt den Jäger im Jammerton: »Simmerl, bedenk doch, wie groß dass der Schwindel vom Kaspar is, vermutlich durch deine eigene Schuld –«

Das ist zu viel. Da fährt er auf und rückt ihm nah auf den Leib: »Du, sei net so frech, du Lauser, und schmatz da net so a Zeugs umanander. Lauf lieber ’nunter zur Gesellschaft und vermeld, dass ich aufg’halten bin, für den Moment!«

Der Flori nickt und heuchelt Gehorsam:

»Weil du wen ang’schossen hast, sag ich.«

Da packt ihn der Simmerl hart am Schlafittl und zieht ihn sich nah vors Gesicht:

»Untersteh dich und sag des! Es is net erwiesen, dass des mei Schuss war! Wehe, du probierst es, dass d’ mich blamierst vor die Herrschaften, Bürschei!«

»Guat«, grinst der Flori und schaut ihn treuherzig an. »Na lüg i was z’amm, und du tust es beichten, hernach.«

Jetzt merkt es sogar der Simmerl, dass man ihn ausspottet, und löst den harten Griff an Floris Gewand, während er drohend erwidert:

»Schau du nur drauf, dass du dei’ eigene Hoffart derbeichtst, und bekümmmer dich net um mein Seelenheil. Schieb ab!«

Wenn zwei so junge Burschen einander nicht grün sind, ist meistens ein Weiberts dran schuld. Der Brandner weiß nur zu gut, wer es ist, sein eigenes Enkelkind nämlich, die Marei, die zusammen mit ihm das klein gewordene Anwesen bewirtschaftet.

Sie kennt den Haller Simon schon, seit sie ein halbertes Kind war, weil der Simmerl sich immer beim Kaspar Rat geholt hat. Erst hat er sie wenig beachtet, aber dann, nachdem er sie auf Ostern beim Kirchgang im von der Mutter ererbten Sonntagsstaat sah, muss es ihn jählings erwischt haben. Von da an ist er weit öfter auf dem Brandnerschen Anwesen erschienen, als es nötig gewesen wäre.

Im folgenden Herbst, zum Kirchtag, hat der Alte sie nach dem Amt zum ersten Mal mitgehen lassen ins Gasthaus zur Post, zum Feiern und Tanzen. Sie ist brav abseits auf der Bank an der Wand gesessen, wo die unverheirateten Töchter abwarten, bis einer sie holt, während die Eltern, die Erwachsenen, die Reichen und Ärmeren, mit ihren Frauen an der langen Festestafel im Saal hocken. Wer nur ein Dienstbot ist, hat überhaupt draußen zu bleiben. Die Ehhalten versammeln sich in der Schwemm oder lungern auf der Stiege herum, hoffend, dass sie jemand für wert hält, mit ihnen zu tanzen.

Es hat damals kein Geriss gegeben ums Marei, überhaupt keines. Die Danzl Maria – so hieß sie nach ihren Eltern, der Kaspar ist der Vater von ihrer verstorbenen Mutter – war noch ein junges, mageres Ding. Eines zwar mit einem bildhübschen, frischen Gesicht, aber doch ›no net bacha‹, nicht fertig gebacken, sodass die Burschen sich lieber um die ausgewachsene Ware gekümmert haben.

Da hat sie der Simmerl vom Hoffen und Warten erlöst. Er hat nur mit ihr getanzt und sie sogar an den Tisch zu den Erwachsenen und den Verheirateten gebracht. Das wurde allseits bemerkt, und fortan galten im Ort er und das Marei als ein sicheres Paar, mit dem man einverstanden sein konnte.

Das Jahr darauf haben die Burschen das inzwischen nicht mehr magere, blühende Marei gar nicht erst aufgefordert, weil sie ihrer unbändigen Tanzlust ohnehin nur mit dem Haller oblag. Die Ratschweiber warteten schon, dass der Simmerl mit ihr zum Stuhlfest beim Pfarrer erscheint, zum Aufgebot. Hoffentlich, denn auf den Brandnerhof gehört eine Jugend. Der Kaspar ist viel zu alt. Er hätte schon längst übergeben an seinen Schwiegersohn und die Tochter. Da waren aber beide gestorben, und das Marei, ihr einziges Kind, wuchs bei dem Großvater auf.

Seit zwei Jahrzehnten werkeln die beiden nun schon recht und schlecht. Einen Knecht oder eine Stalldirn konnten sie sich nicht leisten. Der Kaspar hat das Regieren nie richtig erlernt, weil ja sein ältester Bruder der Hoferbe gewesen wäre, und man hat ihn, den Jüngsten von dreien, das Schlosserhandwerk erlernen lassen, auf dass er später ein Auskommen habe. Er hat es gern ausgeübt und sich als Büchsenmacher schon in jungen Jahren bewährt.

Da waren aber seine beiden Brüder im Tiroler Krieg gefallen, und er blieb allein übrig. Sein Vater hatte einen schweren Stand in den notigen Jahren nach den Napoleonkriegen, die Europa um und um gerührt und gänzlich verarmt hatten. Das Brandnersche Sach ging zurück, der Vater schon musste ein Trumm Land nach dem ändern veräußern, und der Kaspar war dann noch tiefer in die Schulden geraten.

Nur ein geldiger Bauernsohn als Hochzeiter fürs Marei hätte die Rettung sein können, einer, der tüchtig zu arbeiten versteht. Der Simmerl aber, ein vierter Sohn aus der Gegend von Tölz, erbte nichts. Auch seine Leut krebsten nur so schlecht und recht, wie die meisten in diesen Jahren. Er verstand was von Jägerei und von Forstarbeit, aber wenig vom Bauernberuf. Darum tat er beim Kaspar den Mund wegen einer Heirat gar nicht erst auf. So auskömmlich sein Sold beim Prinzen für ihn allein war, zur Rettung des Brandnerschen Erbes langte es auf keine Weiten.

Er kam auf Besuch, saß in der Stube herum, half da und dort bei der Arbeit und gewöhnte sich dem Marei gegenüber eine besitzergreifende Art an, die den Kaspar mehr und mehr ärgerte. Er tat, als sei sie sein Eigentum, bewachte sie und ließ keinen anderen Burschen in ihre Nähe. Weil er sie niemals hitzig bedrängte und das Marei ihn so hinnahm, wie er war, mischte der Kaspar sich weiter nicht ein. Es war recht, wenn er da war, aber wenn er nicht kam, war es auch gut.

Dann aber, und das lag erst ein paar Wochen zurück, lief dem Marei der Florian Högg über den Weg, und alles war anders als vordem.

Der Simmerl schaut dem lachend zu Tal laufenden Flori hinterher: »Frecher Kerle. Den nimm i nimmer zu die Treiber, wenn er so frech ist.«

»Er is a braver Bua, tu ihm net unrecht«, hält der Brandner dawider und spielt weiter den schwindligen Kranken. Der Simmerl hilft ihm vorsichtig auf, hebt ihn, setzt ihn sacht auf einen Baumstumpf, rückt und drückt ihm seinen alten Hut so über den verbundenen Kopf, dass nur noch ein schmaler Streifen weißen Leinens am Ohr hervorschaut.

»So siecht ma nix mehr – und dei’m Enkelkind sagst einfach, du hast dich g’rissen an am Ast im Unterholz, verstanden?«

Der Kaspar schaut forschend, denn da ist wieder der Ton von Anspruch und Anordnung:

»Is dir des gar a so wichtig, was ’s Marei von dir denkt?«

»Frag net so dalkert!«

Der Simmerl geniert sich, seine Empfindung verraten zu haben. Er ist froh, dass sich darüber kein Disputieren ergeben kann, weil von unten das Hornsignal ›Sammeln für Jäger und Treiben‹ ertönt. Er packt seinen Rucksack und das Gewehr:

»Komm, steh jetzt auf, wir müssen ’nunter zur G’sellschaft.«

»Wir zwei? Mitanand? Dass ma fragt, was du g’macht hast mit mir?«

»Was hab i denn g’macht, nix hab i g’macht, Herrschaftszeitn! G’funden hab i di, verbunden hab i di – komm, steh jetzt auf!«

Er schreit, weil sein Gewissen ihn zwickt ob seines Schießens. Sein grobes Betragen spornt den Kaspar erst recht an, ihn zur Strafe weiter zu tratzen. Er wackelt den Kopf, klappert recht hilflos die Augendeckel und haucht:

»I kann leider net aufstehen. Der Schwindel, verstehst. Du müssertst mich tragen.«

»Tragen??!«

»Am Buckel, freundlicherweise, bis abi –«

»Tragen? Mich blamieren vor alle die Leut, wenn ich daherkomm, mit dir huckepack? … Mann Gottes, mach mi net narrisch!«

»Wennst mich so anschreist, krieg ich völlig ’as Zittern«, klagt der Kaspar und sinkt tragisch in sich zusammen. Das wirft den Jäger nun vollends aus dem Gleis.

»Du, i lass dich da liegen«, droht er.

»Des machert beim Marei fei einen mäßigen Eindruck. Solltest dich schon derbarmen –«

Weil der alte Hallodri gar so jammervoll dreinschaut und Miene macht, demütig bittend die alten Hände zu heben, kann der Simmerl nicht anders:

»Alsdann, von mir aus – hopp!«

Das Manöver des Aufsteigens erweist sich als schwierig. Der Kaspar kriecht schlenkernd und wackelnd auf den dargebotenen gekrümmten Buckel hinauf und schlingt die Arme derart fest um den Hals des Helfers, auf dass er nicht hinunterrutsche, dass er dem Simmerl den Adamsapfel zusammenquetscht und der nur röcheln kann:

»Derwürgen brauchst mi fei net!«

Der Söllmann, verwirrt von dem ungewöhnlichen Vorgang, beginnt warnend zu bellen. Der Simmerl hat nun den Alten im Genick. Der macht sich schwer und lässt seine Beine von rückwärts her gegen die Haxen des Lastträgers schlagen. Der Simmerl muss sich noch einmal bücken, um sein Gewehr und den Rucksack aufzuheben. Das ist mühsam genug. Als er sie endlich geangelt hat, wobei der Kaspar ihm mehrmals seitlich hinabgleitet, was besorgte Angriffe des wild kläffenden Söllmann zur Folge hat, kann er sich seine Ausrüstung nicht, wie gewohnt, über die Schultern hängen, weil ja der Kaspar da hinten wie ein Sack auf ihm lastet. Er muss sich Gewehr- und Rucksackriemen, albern genug, von vorn her über den Kopf auf den Nacken ziehen, sodass sie ihm störend und ungewohnt vor der Brust pendeln.

»Glump, varreckt’s«, knirscht er, und der Alte mahnt ihn mit schwacher Stimme zu alledem noch:

»Wackel net so umanand wie der Schwoaf von der Kuh, sonst kann i mich mit mei’m Schwindel net halten und fall abi, sei so freundlich.«

Der wütend-verzweifelte Simmerl packt mit den Pratzen den Kaspar so fest in den Kniekehlen, dass die Rutscherei auf dem Rücken ein End haben muss, der Alte ruft fröhlich: »So passt’s, auf geht’s – hüah, alter Schimmel« – und der Herr Hofjäger in seiner Jagdlivree tappt brav und ergeben mit seiner ächzenden Last bergab, wobei ihm bei jedem Schritt Gewehr und Rucksack auf die Brust schlagen und der unzufriedene Söllmann ihn, unaufhörlich bellend, kämpferisch immer wieder von allen Seiten her anspringt.

»So is es brav«, lobt der Brandner.

»Halt du bloß dei Mäu, ehvor dass i grantig werd«, keucht es zurück.

Der Simmerl hofft inständig, dass ihnen niemand begegnet und dass er den Alten nahe dem Sammelplatz irgendwie ungesehen loswerden kann. Das aber ist ihm nicht beschieden. Keine zweihundert Schritte vor dem Ziel kommt ihm, ausgerechnet, der emsige Senftl entgegen, reißt seine glühenden Augen weit auf und plärrt:

»Ja, gibt’s denn des aa! – I glaub, i träum! – Darf ich mir die ergebenste Frage erlauben, ob Hofjäger neuerdings ’as Hutschpferd machen für alte Krattler?«

»Plärr net a so«, fleht der Simmerl, weil er zwischen den Stämmen erkennt, wie in einiger Entfernung etliche Jäger, Treiber und Gäste aufmerksam werden, herschauen und Miene machen, herüberzuschlendern.

»Er kann net gehn. Er hat an Streifschuss derwischt.«

»So? Wo?«

»Am Ohr.«

»Aha! Und seit wann geht der auf die Ohren«, höhnt der Senftl und sieht missbilligend zu, wie der Simmerl versucht, den Alten vom Rücken zu schütteln. Der aber hält sich dort eisern fest.

»Schwindlig is ihm«, erklärt er verlegen, was den Senftl zu einem spöttischen Lachen veranlasst:

»So? Dem? Dem seine Schwindel kennt a jeds in der Gegend. Dem machst doch du grad den Kasperl. Schau nur, wie der fürizahnt, der Spitzbua, der o’drahte!«

Der Simmerl schielt zur Seite und sieht dicht neben sich das grinsende Antlitz des Brandner über seiner Schulter. Es schwant ihm, dass er wirklich den Kasperl abgibt, und als der Brandner lächelt und säuselt: »So viel schwindlig«, da schmeißt er ihn vom Rücken herunter, um die Blamage los zu sein. Der Söllmann springt daraufhin gleich mit allen vieren in die Höhe, wähnt sich von Feinden umgeben, hat noch jemanden, den er nicht mag, zum Anbellen gefunden, und geht waffend los auf den Senftl.

»Pfeif gefälligst dei’ Raubersviech da z’ruck«, schreit der Spötter geängstigt und flieht ein paar Schritte zur Seite. Da sieht er, wie der Brandner gemächlich die Kirschgeistflasche des Simmerl aus seiner eigenen Rocktasche hebt und sich erneut eine Stärkung genehmigt:

»Ah, brav – und dein’ Schnaps hat er aa scho, der alte Dadädl!«

Der hilflose Simmerl raunt, um zu begütigen und sich zu entschuldigen:

»Wenn’s mein Schuss g’wesen wär, der ihn g’streift hat, muss ich doch …«, doch dieses Bekenntnis bringt ihm nur weiteren Hohn ein:

»Dein Schuss, ja da schau her, aha, soso. Und du ›muaßt‹! Ja, freilich. Du ›muaßt‹ ja auch dem Hirschn hinterherschießen, der dem König gehört, und ihn net amal treffen – net amal des! Der Prinz Carl hat a Wut auf dich, verlangt dringlich nach dir, und wer is net da? Du! Du musst ja zahnluckerte Spitaler spazieren tragen am helllichten Tag!«

»Was sollt i denn machen?«, plärrt der hilflose Jäger zurück.

»Ja, nix mehr«, giftet der Senftl ihn an. »Hast ja scho alles g’macht, was ma verkehrt machen kann, du Prachtexemplar! – Weißt wenigstens, wo der Hirsch ’naus is? Des könnt deine Rettung sein, wennst du des wissertst! –«

Der Simmerl hat keine Idee. Er schlenkert den Arm und deutet vage zur Holzeralm: »No, wo wird er sein. Da nauf is er – vermutlich.«

Darauf antwortet der Senftl ihm gar nicht erst, sondern tritt funkelnden Auges dicht vor ihn hin, sticht ihm, wie es so seine Art ist, den Zeigefinger hart in die Brust und höhnt in übel wollender Sanftheit:

»Freilich, jaja, da ’nauf is er, so wird’s sein. Des meldst jetzt den hohen Herrschaften. Wörtlich und genau in dem Ton. Dann sagst es noch auf Französisch, damit der König von Belgien und sei Töchterl auch eine Freud ham – und dann suchst dir a andere Arbeit – im Fall, dass d’ noch eine findst, im rechtsrheinischen Bayern, du Preisschütz.«

Auf den Kaspar scheinen die beiden vergessen zu haben. Der hat sich inzwischen auf einen Holzstoß gesetzt und genießt schmunzelnd den Zank. Der Söllmann ist still zu seinen Füßen gelagert und horcht erst wieder auf, als von unten das Halali der Hörner das Ende des Jagdtages kündet.

»Malefiz«, sagt der Senftl. »Die Herrschaften dürfen den Ang’schossenen da nicht zu Gesicht kriegen. Das fehlert grad noch, das verdürb ihnen vollends den Tag, und ich wär am End wieder schuld!«

»Ich bring ihn heim«, sagt der Simmerl.

»Naa, du net. Du g’wiss net«, kommt es verächtlich zurück. »Du wärst es bei deiner Geschicklichkeit imstand und kutschierertst ihn pfeilgrad in’ See eini, dass er dersauft. Naa naa, und sowas is a Verwandter zu mir – a Sohn von am meinigen Basl!«

So ist es. Die Mutter vom Simmerl ist der Senftlsippe verwandt. Darum kann er ihn abkanzeln wie einen Abc-Schützen, ohne dass der es wagen darf, sich wirksam zu wehren. Dieserhalb wäre es auch dem Senftl zupass gewesen, wenn eine Hochzeit mit dem Marei hätte stattfinden können, weil so der Brandnerbesitz an die Senftlfamilie gelangt wäre. Wer weiß, am End war die solenne Feindschaft gegen den Kaspar nur die Folge davon, dass daraus nichts werden konnte, weil der Simmerl zu dieser Hochzeit nicht taugte. Zudem hatte der Senftl, der seine Nase in alles steckte, längst erfahren, dass sich zwischen dem Mädchen und dem Futterknecht in seinen Diensten, dem Florian Högg, etwas anspinnt. Auch das ist ihm nicht recht, aber was ist dem Senftl schon recht, was andere tun. –

Er entscheidet: »Den Brandner bringt irgendwer heim, unauffällig und hint ’rum«, und ruft einen Treiber an, der ahnungslos durch den Wald kommt:

»Heda, du – Bursch! – Ja, dich mein ich, hörst du net? – Geh amal zuawi, gefälligst.«

Der Angerufene ist von zarter Gestalt und trägt ein zu großes, schlotterndes Gewand, grobe Stiefel und einen Tegernseer Stopselhut, der ihm fast über die Ohren rutscht. Er zögert und kommt nicht ›gefälligst zuawi‹. Er scheint den Brüller zu fürchten.

Der Kaspar schaut um, erkennt, wer es ist, und widerspricht augenblicklich: »Lass den Burschen in Ruh. Ich brauch neamds, i find scho alloa heim.«

»Nix da! Wenn ich a Anordnung treff, wird die befolgt! – Was is, kommst du jetz her, oder sollt ma dir a schriftliche Einladung schicken? Horch zu, du schaffst mir den Brandner da weg, der is ang’schossen.«

Das trifft die kleine Gestalt wie ein Blitz: »Ang’schossen? Wo is er?«, ruft das Krischperl mit hoher, kindlicher Stimme und läuft eilends herzu.

»No, da flackt er. Und außerdem – hast eppa du den Malefizhirschen gesichtet? Du, oder einer von die anderen Treiber? Was is, krieg i koa Antwort? Kannst du net reden?«

Die kleine Gestalt hört nicht hin. Sie hockt sich neben den Kaspar, sie redet leise und voller Besorgnis mit ihm, und der Söllmann schnüffelt vertraulich an ihr herum. Der Simmerl erkennt es als Erster, wer das Krischperl in Wahrheit ist, und gleich darauf erkennt es der Senftl. Er staunt nur so:

»I glaub, i träum! – ’s Marei! In am Mannderg’wand. Brav, so is’ recht. Als Treiber gehn is verboten für Weiberleut, und sie kostümiert sich als Bua! – Freili, bei uns geht ja alles! In meiner G’moa tut a jeder grad, was er mag. Unsere Erlässe san euch ja Wurscht, euch Bagasch!«

Das Marei richtet sich verlegen auf, stolpert dabei ein wenig in den Stiefeln des Großvaters, das lange, dunkle Haar rutscht ihr unter dem Hut hervor, sie sucht es zurückzustecken, schaut dem Senftl fest ins Gesicht und erwidert bescheiden:

»Wir sind koa Bagasch, Senftl, des wissen Sie genau, und wir befolgen ansonsten auch alle Ihre Erläss’. Bloß grad heut …«

Weil sie, während sie redet, den Simmerl mit einem ganz kurzen Blick streift, argwöhnt der Senftl sofort:

»Ah so, des is a Komplott! Ah so? Hast du mir des eing’rührt, Herr Hofjäger?«

»Der Simmerl kann nix dafür«, wiegelt das Marei tapfer ab. »Des is mir ganz von allein eing’fallen. Weil doch der Gendarm, der Loichinger, der wo die Treiber aufnimmt und einweist, a so schuiklert und kurzsichtig is, hab i mir denkt, probierst es amal, verdienst dir die fuchz’g Kreuzer, den Tag.«

»Du Anten, du freche!«, schreit der Senftl sie an, und er hätte seiner Empörung noch weiterhin Luft gemacht, wäre nicht just in dem Augenblick der Flori gelaufen gekommen, um, ein wenig atemlos, zu vermelden:

»Senftl, an schön’ Gruß vom Prinz Carl, und Sie solltertn glei umi zur G’sellschaft, samt dem Herrn Hofjäger Simmerl! Und nach ’m Brandner hat er auch g’fragt! – Hö, was is denn da g’schehn? – des is ja ’s Marei …«

»Ja, das Marei!«, funkelt der Senftl, »dei Herzi, unbotmäßig, keck und ohne Respekt für die Obrigkeit. Aber des sag i dir, Madl, koan Kreuzer kriegst du für den heutigen Tag, für des sorg i. Und i überleg mir überhaupts noch, ob i net Anzeige mach gegen dich, wegen Verbotesmissachtung, und …«

»Und – was? Gar nix macha Sie!«

Der Flori schiebt sich, fest und bestimmt, mit breiten Schultern zwischen den Schimpfenden und das geängstigte Mädchen. »Aber scho gar nix! Des braucht’s net, dass Sie des Mädel so anplärrn, ham S’ mi verstanden?«

Der Senftl schluckt und bringt gegen diesen Beschützer der Unschuld nur ein mattes: »Ja, wie traust di denn du mit mir reden?«, heraus.

»Nix für ungut«, beschließt der Flori die Zurechtweisung, »aber a so a Schreierei z’wegs einer solchen Lappalie, des is koa G’hörtsi.«

Die Augen des Senftl glühen gefährlich auf, während er Luft holt:

»So, des waar koa G’hörtsi, aha? – Brav, a so mag i ’s! A meiniger Fuaderknecht möcht mir Manieren befehlen, taat mi abkanzeln vor alle Leut – hätt den Fiduz, dass er si auflehnert gegen sein’ eigenen Brotherrn! Was buidst dir denn du ein, Bürschei? Aber pass auf, i sag dir was Schön’s: Du bist ausg’stellt, und zwar auf der Stell!«

Das schlägt ein. Die Kündigung als Quittung für ein mutiges Wort? Das Marei ruft ganz verzweifelt:

»Vom Dienst jagen, mitten unter’m Jahr? Des is net Ihr Ernst, Senftl! Sowas tut ma doch net!«

»I wer’ mi geniern! Ich jag an jeden davon, wenn’s mir so passt! Und weil mir der Kerl, der freche, scho lang nimmer passt – basta und aussi, fort ohne Schaden! Er braucht gar nimmer kemma auf mein Hof! Sein’ restlichen Lohn b’halt i ein, weil er Schulden g’nua hat bei mir. Dir werd i ’s lerna, wiest du reden muaßt mit Respektspersonen!«

Er ist keinem Einwand zugänglich. Auch nicht, als der Simmerl und das Marei gemeinsam ihn bitten, sich noch einmal zu bedenken, es sei nicht böse gemeint gewesen. »Nix, nix, nix«, schreit er und säbelt mit den Händen durch die Luft. »Er ist und bleibt ausg’stellt! Basta damit!«

Da ertönt ein Lachen. Der Kaspar hockt noch auf dem Holzstoß, hat seine Pfeife angezündet, dem Streit zugeschaut, schüttelt tadelnd den Kopf und amüsiert sich. Der Senftl kann nichts anderes glauben, als dass der Schuss den Alten um den Verstand gebracht hat.

»Spinnst jetzt du vollends? Du bist schwer verwundet, rauchst wie a Schlot, beutelst dein’ Belli – und was gaab’s da zum Lachen?«

»Entschuldige schon, Senftl, aber es is gar zu g’spaßig, wie er dir wegen am jeden Schmarren gar a so schön stinkt! Spannst denn du nie, wenn was a Gaudi is und sonst nix? Verstehst net: Das Marei hat sich an G’spaß g’macht! – net mit dir! Mit dem schelchaugerten Loichinger und mit’m Simmerl dazua – und du rumpelst drauf rein, wo’s dich doch gar net betrifft. Da brauchst di net wundern, wenn ma di diam derbleckt.«

»Ja, derblecken, des is alles, auf was sich die Brandnerische Sippe versteht!« Der Senftl mag nicht von seinem hohen Ross herunter und käme sich windig vor, wenn er mitlachen würde. »Derblecken, so wie du damals mein’ Vater!«

»Geh, die uralte G’schicht’!« winkt der Brandner ab. »Des is über fuchz’g Jahr her, dass ich mir mit dem den sellen G’spaß erlaubt hab.«

»Aber vergessen is’ net, deine Untat! Die Leut reden heut noch davon, und des verzeih ich dir nie! Freilich, für dich waar ’s ganze Leben a G’spaß, des is allbekannt«, geht der Senftl ihn immer härter an, sodass der Söllmann sich aufsetzt und zu knurren beginnt. Der Wütende achtet nicht darauf.

»Aber dir wird noch das Lachen vergehn, wenn i Ernst mach und klag alles ein, was du mir schuldest. Dann is’ aus! Dann heißt’s ’naus aus deim Hof, dann stehst auf der Straß, mitsamt dei’m gaudigen Enkelkind da! Dann könnts alle zwoa ’as ganze Jahr Maschkra laufen, als Bettelleut nämlich von einer Ortschaft zur ändern, und schau’n, wo’s ihr bleibts! – Ich bin ganz g’wiss die Langmut und Nachsicht in Person, aber was z’viel is, is z’viel – und wehe, mir reißt die Geduld! Wehe!«

Die Geduld reißt dem Söllmann. Er meint seinen Herrn verteidigen zu müssen, er greift an, packt sich den Senftl, springt an ihm hoch, erwischt sein Gewand, zerrt einen Fetzen heraus vom Gilet und ist vom Brandner kaum mehr zu halten.

Der Gebissene schreit, schlägt um sich, läuft, was die Beine hergeben, bleibt in der Entfernung noch einmal stehen und brüllt, krebsrot im Gesicht, seine Kriegserklärung herüber:

»Des werd’s ihr mir büßen, ihr Krattlergesindel! Simmerl, geh her da! Dass i dich nie mehr derwisch mit dene Leut! Ihr sollt’s alle noch denken an mich!« – und rennt fort.

Dem Simmerl ist dieser Auftritt am ärgsten. Er muss dem Oheim folgen und mag ihm nicht folgen.

Er muss das Marei hier lassen und mag es nicht lassen. Schon gar nicht beim Flori, der sich so ritterlich aufgeführt hat, wo er, der Simmerl, nur schweigend daneben stand. Er möchte sich um den Kaspar kümmern und muss gehorsam zum Prinzen eilen, wenn der nach ihm schickt.

Ihm ist elend zumut. Nach ein paar Schritten schaut er hilflos zurück:

»Sollt i dich nochmals tragen, Kaspar, bis abi?«

»Naa naa, Simmerl, dankschön, i geh gut auf meine eigenen Füß. Ich hab vorhin a bissei Komödi g’spielt und mir a wengerl an G’spaß g’macht mit dir – derfst mir net gram sein.«

»Woher denn. Ich versteh ja an G’spaß«, antwortet der Simmerl traurig. »Was is, geh ma mit’nander, oder kommt’s ihr mir nach?«

»Geh nur voraus, wir säumen net lang.«

Die drei schauen ihm nicht hinterher, wie er trotzig davongeht, ohne sich umzusehen. Sie sitzen versonnen, und jeder überlegt vor sich hin. Der Kaspar setzt die Pfeife umständlich in Brand, ohne wahrzunehmen, was er tut. Nicht die Senftlische Drohung bedrückt ihn, nein, da ist ein dumpfer Schmerz über den Augen, und fließende Farben wechseln vor seinem Blick. Das macht ihn unsicher, das beobachtet er wie ein ungewohntes Naturschauspiel.

Der Flori fragt in das lange Schweigen hinein:

»Kann denn der Senftl euch wirklich ’nausteufeln, so, wie er sagt?«

»Rundum gehört eh schon bald alles sein«, erwidert das Marei bedrückt, »bis ’nauf zur Neureuth, zum Dr. Senger, zum Westerhof, und abi bis in die Grund vom Pfliegelhof. Viel is nimmermehr übrig für uns, im Albachtal.«

Der Kaspar kneift die Augen zusammen, weil das Sirren und Klingen im Schädel, auf das er eine Weile vergessen hatte, wieder lästig anzuschwellen beginnt.

Das Marei meint weiter: »Unser Herr Pfarrer hat neulich amal g’sagt: ›Euer Gütl is bald wie eine Insel im Senftlschen Meer!‹ Und jetzo g’lust’ ihn die Insel halt auch noch. Es is wie verhext, wir werkeln und macha und toa und kommen doch net vom Fleck.«

Der Flori nickt: »Des geht viele Leut so, heutzutag. A jeder is froh, der sei’ Auskommen hat«, und das Marei fragt ihn: »Was hast jetzt du im Sinn, nach dem Nausschmiss?«

»Weiß net. Ich find schon an Platz. Ich könnt wieder im Holz droben arbeiten, da war i schon vor meiner Militärzeit.«

»Die Holzarbeit is net gar leicht«, meint der Kaspar bedächtig. »Die braucht’s G’wöhnen, wennst länger pausiert hast. D’ Holzknecht san hagelbucherne Lackeln, allesamt. Des is aa net jedermanns Sach.«

Der Flori zuckt die Achseln: »Ich werd mir’s net aussuchen können.«

»Ob ’s net in der Schussermühle eppa wen brauchen?«, fällt dem Marei ein. Nahe Kreuth wird Marmor vom Ringberg auf durch Wasserkraft getriebenen neumodischen Säge-, Dreh- und Poliermaschinen verarbeitet: zu Bodenplatten für die Oper und die Glyptothek in München, zu griechischen Säulen, Tischplatten, Vasen, Schmuck und so Glump. Die Werkstätte gehört doch, ja – dem Herrn von Reichenbach, »den kennst du doch. Großvater! Is der net überhaupt heut bei der Jagdgesellschaft dabei? Ob du den amal fragst?«

»Ma kannt ’s ja versuchen.«

Der Brandner erhebt sich und klopft seine Pfeife aus: »Es is ohnehin Zeit. Wir müssen nunter, zum Sammeln ham’s scho geblasen.«

Auf dem Streckplatz sind bald alle beinander. Die Strecke wird auf Tannenzweigen säuberlich ausgelegt, die Hornisten stehen bereit, sie zu verblasen. Man verabreicht allseits den Jagdtrunk. Für die Feinen sind ein Champagner und edle Weine vorhanden, der Prinz, die Zünftigen und die Kenner bevorzugen den Kirschgeist und halten sich an die Spezialitäten, die ein grobes, älteres Frauenzimmer, die Wurzer-Burgl, rundum ausschenkt.

Die ist weithin bekannt und berühmt. Vor Jahrzehnten war sie mit ihrem Geliebten aus dem Zillertal zugewandert. Die beiden hatten sich eine Hütte erbaut, er ging in die Holzarbeit, sie strich mit Hacke und Korb durch die Gegend und sammelte Wurzeln und Kräuter.

Man hielt sie für spinnert, bis Holzknechte die ›geistigen Wässer‹, die sie aus Kräutern, aus Kalmuswurz, Brunnkress und Enzian höllisch scharf zu brennen verstand, zu kosten bekamen und ganz narrisch waren darauf.

Da musste ihr Jörgl bald feste Bänke und Tische vor die Hütte ins Gärtchen zimmern. Sie schenkte aus, Gäste kamen von weither, Hoch und Niedrig saßen selig-gierig beisammen und ließen sich von der Burgl allerlei Wahrheiten sagen, denn dies gewitzte, tüchtige Leut scheute keinen Erlauchten, und neben der Wirkung der Wässer erfuhren jene gleich auch noch, was das Volk denkt.

Bis hinunter nach Preußisch-Berlin drang dann ihr Renommee, als sie dem armen, matten, dürstenden Kronprinzen der Pruzzen im Gärtlein einen reschen Enzian einflößte, gegen das Zetern seiner mitwandernden Höflinge, die Vergiftung und Aussterben des Hohenzollernstammes befürchten zu müssen sich veranlasst sahen.

Zum heutigen Jagdtrunk ist sie samt ihrem Fässchen geladen und trägt zur Erbauung verbal und kulinarisch Erhebliches bei.

Die meisten der Damen sowie jene, denen von Arzt oder Gattin Mäßigung befohlen ist, laben sich, wie die meisten Einheimischen, die Diener, Kutscher und Treiber, am dunklen Bier aus dem Bräuhaus von Tegernsee, das den Wittelsbachern gehört, seit 1817 König Max der Erste – ob der grünen Filzkappe, die er so gern trug, ›Moosmaxl‹ geheißen – das den Benediktinern böse gewaltsam enteignete Kloster samt Brauerei insgeheim aufgekauft und vor dem Verrotten gerettet hatte. Insgeheim hatte er auch verjagte benediktinische Bräumeister heimgeholt, und das Ergebnis, die jährlichen tausend Hektoliter, befriedigte die Erwartungen aller.

Heut ist das Bier so, wie es sein soll, weil es aus den kühlen Kellern von Kaltenbrunn kommt. Oft ist es lack und lau, wenn kein Eis da ist, und oft ist es rar. Man kann davon nicht genügend aufbewahren, wenn der Sommer heiß ist, Durst macht und viele Fremde am Ort sind. Dann geht es aus, und man muss anderes von weit herschaffen, etwa aus Tölz.

»No, Brandner, war die Jagd net ganz nach Ihrem Geschmack, oder was? Sie schauen a bissei dernepft drein«, fragt der Herr Dr. Senger, als er ihn ganz draußen am Rande des Platzes bei den Treibern entdeckt, dort, wo auch Bettelleut lungern und gierig nach Almosen spähen.

»Treibjagden san net mein Fall, Herr Doktor. Was is des gegen a g’scheite Pirsch, wo man ansitzt und lurt und warten muss, bis was daherkommt, und es bleibt fraglich, ob ma zum Schuss kommen kann.«

»Sie ham a Berechtigung? Sie dürfen schießen?«

»Ich hab’s amal g’habt, aber dann is was fürkemma …«

»Was?«

»Ah, nix weiter. A dumme G’schicht. Da hätt einer g’moant, i hätt was erlegt, was eigentlich ihm g’hört hätt – und der hat prozessiert.« »Lassn S’ mich raten, wer’s war – der Senftl?«

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