Kitabı oku: «Die letzte Seele», sayfa 4

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„Rattenscharf ist vielleicht nicht unbedingt der richtige Ausdruck“, begann er, und sein Gehirn suchte fieberhaft nach einer Fortsetzung, „aber es kommt dem schon ziemlich nah.“ Was is ’n das für ’n Schwachsinn, den ich da verzapfe? Sie muss mich konfus gemacht haben! Wenn ich so weitermache, muss ich’s bald mit roten Rosen und einem schicken Essen versuchen, um überhaupt noch mal zustechen zu können. Verdammt und zugenäht, wenn’s schon so weit gekommen ist, bin ich echt tief gesunken.

„Was ich damit sagen wollte, ist …“

Da fiel ihm Jeannine ins Wort. Sie sprach schnell und betont, ohne hastig oder erregt zu klingen. „Ist das wahr? Hast du dieses Gefühl wirklich gehabt? Das wäre ja geradezu fantastisch!“

„Wie … wieso?“ stotterte Thomas.

„Ganz einfach. Weil auch ich dieses Gefühl hatte. Schon die ganze Zeit. Mein Herz scheint einen Tick schneller zu schlagen, und meine Haut ist empfindlicher, elektrisierter als sonst.“

„Wie bei mir, genau wie bei mir!“, jubelte Thomas. Dabei dachte er: Mit der hast du leichtes Spiel, die ist ja noch blöder als ein Sack Stroh!

„Und weißt du, was noch komisch ist? Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass ich hierher gelenkt würde. Denn eigentlich wollte ich ins Kino. Jetzt bin ich froh, es nicht getan zu haben.“

„Bei mir war es genauso!“, log Thomas, ohne rot zu werden. Das verspricht ja ein interessanter und vor allem befriedigender Abend zu werden. Die habe ich schon in der Tasche. Die habe ich schon so gut wie geknallt.

Auch Paul machte sich seine Gedanken. Allerdings waren die lange nicht so euphorisch. Er sah seine Chancen bei Jeannine (falls er je welche gehabt hatte, auch das war mehr als zweifelhaft, wenn man bedachte, wie schnell sie sich dem ersten Dahergekommenen an den Hals warf) mehr und mehr schwinden.

Immer noch wanderten die Blicke zwischen Jeannine und Thomas hin und her. Sie schienen sich prächtig zu verstehen. Dass dieser verfluchte Scheißkerl auch immer bekam, was er wollte! Zum Kotzen! In Paul keimte leise Wut auf, die schnell stärker wurde. Am liebsten hätte er ihm den Barhocker über den Schädel gezogen. Er liebäugelte mit dem Gedanken. Was ihn davon abhielt, war eine einfache Überlegung: Thomas war nicht nur ein Aufreißer, er war auch ein Schlägertyp. Außerdem war er drei Jahre älter und zwanzig Zentimeter größer. Vom Kampfgewicht mal ganz zu schweigen.

Paul hatte zwei Möglichkeiten: Entweder zog er ihm den Barhocker so über den Schädel, dass kein Quäntchen Gras mehr wuchs und Thomas nie wieder aufstand. Aber was hatte er damit erreicht? Nichts. Außer einen Mord am Hals. Und was darauf steht, weiß ja jeder. Aber hinter Gitter zu gehen wäre immer noch besser, als den Freunden von Thomas in die Hände zu fallen. Paul hatte mit denen nichts am Hut und war auch froh darüber. Das waren üble Zeitgenossen, jeder Zentimeter ihrer Haut tätowiert. Und sie waren ausnahmslos noch größer als Thomas. Wenn die ihn zu fassen kriegten, würden sie mit seinen Eiern Billard spielen und seine Innereien zum Trocknen an die frische Luft hängen.

Oder aber (und das war die zweite Möglichkeit), er schlug sich alle Hoffnungen, die Jeannine betrafen, aus dem Kopf und verpisste sich. Das hatte den Vorteil, weder hinter Gittern zu wandern noch die eigenen Därme an eine Wäscheleine gehängt zu sehen.

Paul entschied sich schweren Herzen für Letzteres. Und wenigstens das wollte er mit einem letzten Fünkchen Selbstachtung hinter sich bringen. Er zündete sich lässig eine Zigarette an, trank zügig aus, klopfte Thomas auf die Schulter (wobei er innerlich fast explodierte) und machte sich bereit, aufzustehen. Nun aber sprach Jeannine wieder, und er hielt abrupt inne.

„Ist es nicht erstaunlich, wie klein die Welt ist? Dass wir beide uns hier treffen, das kann kein Zufall sein. Das ist Bestimmung.“

Thomas nickte begeistert. Für ihn war die Sache geritzt. Die lag schon so gut wie auf dem Rücken. Es war zwar fast ein wenig zu leicht gewesen. Aber was soll’s, einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul.

„Da wir beide das gleiche Schicksal haben …“

Jetzt ist es gleich soweit. Gleich springt sie mir an den Hals und schiebt mir ihre Zunge in den Mund.

„… wäre es klug, damit es uns schneller findet …“

Ja, ja, ja, ja …

„… uns auf die Suche nach ihm zu machen.“

Häh, wie?

„Ich für meinen Teil habe ihn bereits gefunden.“

Ach so. Ich dachte schon. Ganz schön gerissen, das Luder. Hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Aber jetzt kommt sie gleich gekrochen. Jetzt hab ich sie.

Sie ließ eine Sekunde verstreichen.

Und noch eine.

„Ich wünsche dir also viel Erfolg bei deiner weiteren Suche.“

Thomas klappte vor Erstaunen der Unterkiefer runter.

„Aber, ich dachte … ich dachte … dass wir beide, du und ich …“

„Oh, pardon, das tut mir leid“, flötete Jeannine mit weicher Singsangstimme. „Aber aus uns kann leider nichts werden. Denn ich habe mein Herz bereits verloren.“ Und jetzt sah sie Paul direkt in die Augen und sagte: „Lass uns gehen, Paul, ich hab eine irrsinnige Lust zu tanzen.“

Paul konnte nur verlegen stottern: „Ah … ja … äh … gut … ja, okay.“

Thomas war noch nicht mal dazu in der Lage. Sein Gesicht sprach Bände.

Jeannine griff nach Pauls Hand. Sie war angenehm warm und weich, bemerkte Paul, der noch immer nicht glauben konnte, was geschehen war. War das wirklich passiert oder hatte er einfach nur zu viel getrunken? Die Zweifel überwogen. Aber war es nicht so, dass sie hier war, bei ihm? Und tanzte sie nicht mit ihm?

Aus den Boxen dröhnte ein langsamer Song. Sie tanzten. Paul war noch immer etwas auf Abstand bedacht. Nicht, dass er Jeannine nicht leiden konnte, im Gegenteil. Er war verrückt nach ihr. Er hatte nur panische Angst davor, die herrliche Situation durch irgendetwas Saublödes zu zerstören. Und das wollte er wahrlich nicht.

Jeannine hielt nichts von dieser Vorsicht. Sie drückte ihn näher an sich heran und legte ihre Hand einfach so, als wäre es die normalste Sache von der Welt, auf seinen Arsch. Auch dieser Griff war warm und weich. Paul wurde heiß und kalt zugleich, und er bekam eine hammerharte Erektion. Er wollte vor ihr zurückweichen, wollte seine Erregung verbergen, aber sie hielt ihn noch etwas fester. Es war erstaunlich, wie butterweich er in ihren Armen geworden war. Er sog tief Luft ein. Seine Gedanken liefen Amok und drehten sich nur um ihre Hand auf seinem Hinterteil. Er wollte diese Hand überall auf seinem Körper spüren. Bedauerlicherweise war jetzt aber noch nicht die Zeit dafür. Aber er konnte das Warten überbrücken, indem er sie einfach auch ein Stückchen an sich heranzog.

Es überraschte ihn, mit welcher Selbstsicherheit er es tat. Kein Gedanke an Schüchternheit oder Verlegenheit. Er tat einfach, was ihm in den Sinn kam. Zielsicher wanderte seine Hand auf ihren Po, und diesmal war sie es, die überrascht die Luft einsog. Da sie nun nah aneinandergeschmiegt tanzten, spürte sie die Härte an ihrer Scham. Einen Moment befürchtete er, dass sie ihn zurückweisen würde. Aber sie tat nichts dergleichen.

Langsam näherte ihr Gesicht sich dem seinen. Am Anfang bemerkte er es gar nicht. Es waren immer nur Millimeter. Aber mit der Zeit entging es auch ihm nicht. Er beobachtete sie genau und prägte sich jeden ihrer Gesichtszüge ein: die blonden Wimpern, das zierliche Näschen, die vollen Lippen, den kleinen Leberfleck. Ihr Atem roch schwach nach Alkohol und Zigaretten, aber das störte ihn nicht. Es war ohnehin nur schwach. Eigentlich überwog ein Duft nach roten Rosen oder irgendwelchen anderen Blumen, die Paul im Moment nicht erraten konnte. Er war zu keinem Gedanken mehr fähig. Seine Beine waren weich, und er hing in ihren Armen. Es grenzte an ein Wunder, dass er nicht einfach nach hinten wegkippte.

Mit einem Mal spürte er ihre warmen, weichen Lippen auf den seinen. Und in diesem Moment war ihm, als müsse er ohnmächtig werden. Alles drehte sich. Selbst der Boden erschien ihm nicht mehr real, sondern wie eine neblige Erscheinung. Trotzdem erwiderte er den Kuss. Ihr Geschmack erinnerte ihn an Marzipan. Paul wollte, dass dieser Moment nie enden möge, und im Stillen betete er sogar dafür.

Plötzlich spürte er, wie sie ihre Zunge tief in seinen Mund bohrte. Und er erwiderte es. Seine Haut kribbelte und brannte, und seine Erregung wuchs augenblicklich in unbekannte, bis dahin nie erlebte Höhen. Sein Schwanz pulsierte in seiner Hose.

Wie lange dauerte dieser Kuss nun schon?

Paul wusste es nicht.

Und Jeannine auch nicht.

Die Zeit schien still zu stehen. Sie hörten die Musik nicht mehr. Sie spürten nichts mehr von dem, was um sie herum geschah.

Minuten mussten vergangen sein. Oder waren es nur Sekunden? Sie hatten keinen blassen Schimmer.

Irgendwann spürte Jeannine, dass der Druck auf ihre Lippen nachließ. Sie öffnete ihre Augen und sah Paul überrascht an. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihre Augen während des Kusses geschlossen hatte. Er schien ihre Blicke zu spüren und öffnete ebenfalls die Augen.

Sie standen einander gegenüber, hielten sich an den Händen und sahen sich in die Augen. Strahlten sich an.

Und da tat Paul etwas, was ihn selbst überraschte. Auch Jeannine war überrascht, aber auf angenehme Weise. Er zog sie wieder an sich, umfasste ihre Taille und küsste sie ….

Diesmal kam der Übergang in die wirkliche Welt überraschend. In der einen Sekunde war Paul noch dort und einfach nur glücklich, und in der nächsten befand er sich schon wieder hier, einsam, allein und unglücklich. Es geschah so schnell, dass er sich erschrocken umsah.

Er war noch immer in der Küche, lag wieder auf den Fliesen, und sein Kopf schmerzte. Vorsichtig tastete er seinen Hinterkopf ab und fuhr zusammen, als er die Beule berührte. Sie tat verdammt weh, und wenn er mit den Fingern darüberfuhr, war es kaum auszuhalten. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) berührte er sie noch ein paar Mal. Er wollte durch den Schmerz sicherstellen, dass er zurück in seiner Welt, zurück in der Realität war.

Mühsam richtete er sich auf. Er musste sich mit den Händen abstützen; viel zu wacklig waren seine Beine. Paul brauchte drei Versuche, bis es ihm gelang, einigermaßen still zu stehen.

Seine Lunge dürstete nach Rauch. Ist es nicht erstaunlich, fragte er sich selbst, da hast du mehr als zehn Jahre nicht gequalmt und bis gestern Abend keine von den Scheißdingern angefasst, und jetzt fiept deine verdammte Lunge nach dem Dreck, als hättest du nie aufgehört!

Langsam trottete er ins Schlafzimmer. Obwohl hier nun schon seit geraumer Zeit gelüftet wurde, schlug ihm ein ekelhafter Gestank nach Erbrochenem entgegen. Zielbewusst lief er zu dem Wäscheberg, wo er seine Klamotten von gestern Abend vermutete und hielt sich mit der Linken die Nase zu. Endlich fand er sein Holzfällerhemd. Es stank nach Kotze, Alkohol und kaltem Rauch. Er fingerte in der Brusttasche herum, fand die Schachtel, nahm sie und stürmte aus dem Zimmer.

Wenig später saß er auf der Terrasse. Der Wind wehte ihm ins Gesicht und bewegte die letzten Fetzen seines kahler werdenden Haupthaars. Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt, auf dem im Sommer immer das Essen serviert wurde. Jeannine hätte einen Schreikrampf bekommen, hätte sie es gesehen, und … nein, nein, bloß nicht dran denken!

Die Stereoanlage dudelte CDs, die er seit unzähligen Jahren nicht mehr gehört hatte: Kiss, Led Zeppelin, Ozzy Osbourne … Er konnte sich kaum noch an die Namen erinnern, hielt es aber für eine gute Idee, einfach mal wieder reinzuhören. Der Lautstärkeregler war aufgedreht bis zum Anschlag. Auch das war durchaus nicht üblich. Aber wer sollte sich beschweren? Seine Frau etwa? Die war aus dem Haus. Die Nachbarn? Die wohnten anderthalb Kilometer weiter die Straße rauf.

In der Linken hielt er eine Flasche Jim Beam und in der Rechten ein Bier. Er brauchte Letzteres, um Ersteres runterzuspülen. Auf dem Tisch neben seinen Füßen lag eine noch fast volle Schachtel Marlboro. Anfangs ekelte er sich vor dem Geschmack, aber nach und nach lernte er ihn wieder lieben. Manche Dinge ändern sich nie. Gott sei Dank.

Er fühlte sich sogar einigermaßen wieder wie ein Mensch. Teils lag das daran, dass er schon wieder einiges intus hatte, teils aber auch daran, weil er Dinge tat, die er seit Jahren nicht mehr getan hatte.

Paul vermisste seine Frau. Er vermisste auch seine Kinder. Die wahrscheinlich sogar noch mehr als Jeannine. Aber er war, im Moment jedenfalls, so euphorisch, dass er ernsthaft versuchte (und diesmal gelang es ihm sogar) einige Zeit mal nicht an sie zu denken.

Der Mond war hell. Er schien ein Gesicht zu haben, und dieses Gesicht schien ihn zu verhöhnen. Das hast du nun davon, stand darin geschrieben. Du hast nur die Quittung bekommen. Du hast dich zu viel von deiner Arbeit ablenken lassen. Jetzt sind die, die dir auf der Welt am liebsten sind, weg!

Dieses vermaledeite Mondgesicht war schonungslos offen. All das hatte Paul schon gewusst. Das war nichts Neues für ihn. Es bedeutete nur noch mehr Schmerz. Er wollte, dass der Mond aufhörte, dass er endlich schwieg. Aber er dachte gar nicht daran, er verhöhnte ihn weiter.

Paul schrie ihn an, warf einen Schuh nach ihm und trat mit den Füßen in seine Richtung. Was auch immer ihm in den Sinn kam, er schrie es heraus. Was auch immer er fassen konnte, er schleuderte es nach ihm.

Langsam ging sein Spott über in schallendes Gelächter, und Paul fragte sich ernsthaft, ob er auf dem Weg war, den Verstand zu verlieren. Es war offenbar unmöglich, hier draußen zu sitzen. Also griff er nach den Getränken, vergaß auch die Kippen nicht und raste wie eine V1-Rakete ins Haus.

Hier war es wesentlich kühler. Er schwitzte dennoch ein wenig, glaubte aber nicht, dass das nur von dem Sprint kam. Vielmehr hatte ihn die Diskussion mit jemandem, der normalerweise nur blöd rumhängt und kein Wort sagt, geängstigt. In seinen Büchern hatte er es oft beschrieben, wie es wohl sein mochte, wenn jemand langsam den Verstand verlor. Jetzt musste er zugeben, dass die Sache gar nicht mehr so spaßig war, wenn er selbst derjenige war, bei dem das Geschirr im Oberstübchen zersprang.

Und noch immer drang diese Stimme zu seinen Ohren.

Er drehte sich um und knallte die Terrassentür zu. Er tat es mit einer solchen Wucht, dass die Scheibe vibrierte und um ein Haar zersplittert wäre. Aha, dachte er, wäre ja nicht das einzige, was hier zersplittert.

Nun war es ruhiger. Aber noch immer nicht ruhig genug. Wenn er genau hinhörte, war der vermaledeite Mond immer noch zu hören. Also überlegte er nicht lange und ließ das Rollo herunter. Und da er nun schon mal dabei war, tat er das gleich im ganzen Haus.

Es dauerte keine drei Minuten, und Paul stand in tiefer Schwärze. Irgendwo (und das war noch gar nicht so lange her!) hatte er eine solche Finsternis schon einmal gesehen. Momentan fiel es ihm aber partout nicht ein, wo. Die Dunkelheit erfüllte ihren Zweck, denn der Mond war nun nicht mehr zu hören. Paul hatte endlich Zeit, zu verschnaufen. Darüber nachdenken, was er da eben getan hatte, wollte er lieber nicht.

Langsam beruhigte er sich. Atmung und Herzschlag normalisierten sich. Und obgleich der Mond gewiss noch immer auf sein Haus schien, gewann er den Eindruck, dass von ihm nun keine Gefahr mehr ausging.

Zehn Minuten später war er wieder so klar im Kopf, dass er alles für ein Hirngespinst hielt. Liegt bestimmt am Stress der letzten Tage, sagte er sich. Er kicherte sogar schon wieder über seine eigene Einfältigkeit.

Obwohl die Angst weniger geworden war, verkniff er es sich, die Rollläden wieder zu öffnen. Stattdessen schaltete er alle Lampen an. Und das waren eine ganze Menge. Als er endlich damit fertig war, war das Haus hell erleuchtet. Sogar im Keller und auf der Terrasse brannte Licht.

Plötzlich verspürte er eine ungeheure Lust auf einen Drink. Wo war die Flasche? Er brauchte nur einen Moment zu überlegen, da fiel es ihm wieder ein: Er hatte sie auf dem Wohnzimmertisch abgestellt. Schnellen Schrittes kehrte er dorthin zurück. Sie stand noch genau da, wo er sie zurückgelassen hatte. Er hatte sogar noch ein Bier. Auch das freute ihn ungemein.

Paul ließ sich auf die Couch fallen, und da er endlich zur Ruhe kam, bemerkte er, dass die Stereoanlage noch immer mit voller Lautstärke spielte. Konnte er das die ganze Zeit überhört haben?

Zwischen der Minibar, die sich mittlerweile auf dem Couchtisch angehäuft hatte, lag zwischen Flaschen und Kippen die Fernbedienung. Sie klebte. Ich muss wohl irgendwann in letzter Zeit Bier oder so was drüber gekippt haben, dachte er. Dennoch war sie funktionstüchtig. Er ließ Alice Cooper mit „Schools out For Summer“ mitten im Lied ersterben. Die Musik dröhnte noch kurz nach. Paul nahm an, dass das an der ungewohnten Lautstärke lag. Er schüttelte den Kopf, und das Klingeln und Dröhnen und Summen und Pfeifen in seinen Ohren ließ nach.

Die plötzliche Stille war seltsam. Sie tat fast weh. Irritiert fingerte er nach der anderen Fernbedienung für den Fernseher. Obwohl er wusste, wo sie war, fand er sie nicht. Seine Finger fuhren suchend umher und kippten ein Bier um, worauf Paul ein Klagegeheul anstimmte, das aber in der gleichen Sekunde in ein triumphales Gebrüll überging, dem Gebrüll eines männlichen Gorillas im Dschungel nicht unähnlich. Sein animalisches Verhalten war durchaus verständlich. Nicht auszudenken, wenn etwas von diesem lebensnotwendigen Alkohol verschüttet werden würde!

So tief bin ich also schon gesunken. Ein verschüttetes Bier ist für mich schlimmer als alle Seuchen zusammen. Was ist nur aus mir geworden? Ich stehe kurz davor, ein hemmungsloser Alkoholiker zu werden. Liegt das nur daran, dass sie mich verlassen hat? Nein, nein, diese Gedanken will ich nicht denken! Schluss damit! Schluss, sage ich! Nie mehr! Schert euch davon!

Schließlich fand er die Fernbedienung und schaltete ein. Mit zunehmendem Verdruss zappte er durch die Kanäle. Es kam nichts, was ihn hätte interessieren können. Also gab er schnell wieder auf und schaltete aus. Da sich die Suche nach Abwechslung durch den Fernseher als aussichtslos entpuppte, widmete er sich wieder dem, wovon er sich mehr erhoffte. Kaum zwei Stunden später war die Flasche Whiskey leer, und Paul fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Sein Haus war noch immer hell erleuchtet.

Kapitel 2

2. Kapitel

Nur mühsam öffnete Paul die Augen, erst das eine, dann das andere. Verschlafen blinzelte er ins Licht. Sein Kopf fühlte sich an wie ein Sandsack, den man zu Boxtraining benutzt hat. Irgendwie kam er ihm auch größer vor, als müsse er die Arme ausstrecken, wenn er die Ohren berühren wollte. Allerdings war das kein Grund zur Sorge. Das war immer so, wenn er einen über den Durst getrunken hatte.

Ungläubig glotzte er auf die leeren Flaschen vor sich.

„Habe ich wirklich so viel getrunken? Das muss aufhören!“

Die Luft stank nach Alkohol, kaltem Qualm und Bierfürzen. Genauso mühsam, wie er die Augen geöffnet hatte, versuchte er sich aufzurichten. Seine Augen suchten das Zimmer ab; er wollte unbedingt wissen, wie spät es war. Die Uhr an der Wand, die zu jeder halben und vollen Stunde ein „Kikeriki“ von sich gab, zeigte, dass es gleich halb elf war.

Obwohl er nicht wusste, was für Wetter war, wusste er, dass der Tag schön werden würde. Er fühlte sich gut, viel besser als gestern. Also stand er auf und öffnete die Rollläden. Das hereinschießende Tageslicht war greller als erwartet. Es verschlimmerte seinen Kopfschmerz augenblicklich um ein Vielfaches.

Paul ging in die Küche, setzte Kaffee auf, warf zwei Schmerztabletten ein, überlegte kurz, nickte zustimmend und schluckte noch zwei. Bis der Kaffee durchgelaufen war, blieb ihm noch etwas Zeit. Er ging duschen.

Paul duschte so, wie er es immer bevorzugt hatte: abwechselnd heiß und kalt. Als er sich wenig später mit einem Handtuch abtrocknete, fühlte er sich besser. Seine Haut war eiskalt, und er war herrlich erfrischt. Selbst die schlechten Gedanken und negativen Gefühle waren wie weggespült.

Er streifte den Morgenmantel über und ging zurück in die Küche. Er war ein Geschenk von Jeannette zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag gewesen. Paul bemerkte es erst, als er ihn übergestreift hatte und wappnete sich für eine neue Schmerzwelle. Glücklicherweise blieb sie aus. Der Tag wurde mit jeder Sekunde besser.

Leichten Fußes tippelte er weiter. Er war noch immer über seine ausgelassene Fröhlichkeit erstaunt. Die bittere Pein der letzten Tage schien meilenweit entfernt zu liegen. Er beschloss, dass es gut so war. Und dass so bleiben sollte.

Der Kaffee war heiß und kräftig, puschte ihn noch mehr auf. Und obwohl alles in bester Ordnung schien, wusste er, dass etwas fehlte. Eine innere Stimme tadelte ihn. „Natürlich fehlt was, du Trottel! Schließlich ist sie …“

Weiter kam die Stimme nicht. Paul würgte sie ab, noch ehe sie weitersprechen konnte. Er kicherte, als er erkannte, dass es gar nicht das war, was fehlte. Ihm fehlte etwas anderes: die Zeitung!

Kichernd lief er zum Briefkasten. Wenn ihn in diesem Moment jemand gesehen hätte, hätte er ihn für reif für die Irrenanstalt gehalten: Paul hüpfte wie ein Kaninchen im Morgenmantel über die Wiese und kicherte und gackerte unaufhörlich vor sich hin.

Er öffnete den Briefkasten und wunderte sich, dass er nicht nur eine, sondern gleich drei Tageszeitungen darin fand. Er klemmte sie unter den Arm und hüpfte auf die gleiche Weise zurück. Erst als er wieder am Küchentisch saß, ging ihm ein Licht auf: Er war offenbar schon drei Tage lang nicht mehr am Briefkasten gewesen.

Nachdem er die Zeitungen durchgeblättert hatte (er fand nichts, was ihn interessiert hätte, nur bei den Todesanzeigen ertappte er sich, dass er sie aufmerksam las), donnerte er sie achtlos in den Müll. Er war beschämt darüber, dass er so etwas wie Schadenfreude empfand. Was, zum Teufel, war nur mit ihm los? Warum fand er heute alles so urkomisch? Er hatte sich doch nicht etwa eine Alkoholvergiftung eingehandelt? Nein, an diese Erklärung glaubte er nicht. Dann würde er nicht so putzmunter herumturnen. Aber wenn es das nicht war, was war es dann? Er dachte nur kurz darüber nach. Erstens, weil er für konzentriertes Nachdenken gar nicht ernst genug war, und zweitens, weil er heilfroh war, nach den Tagen des Schmerzes und der Trauer etwas überdreht zu sein. Das hatte er sich, seiner Meinung nach, redlich verdient. Außerdem tat es den Menschen, die da abgenippelt waren, garantiert nicht mehr weh. Bei diesen Gedanken begann er wieder zu kichern, und aus dem Kichern wurde lautes Lachen. Paul lachte so laut, dass er um ein Haar das Schrillen des Telefons überhört hätte.

Während er noch von Lachsalven geschüttelt wurde, näherte er sich dem Ruhestörer. Aber er musste sich erst beruhigen. Paul biss sich beherzt auf die Zunge. Es tat höllisch weh.

„Ja, bitte?“

Einen Moment blieb die Leitung stumm. Dann meldete sich doch eine Stimme: „Paul, bist du es?“

Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren. Die Stimme war ihm bekannt, aber momentan war es ihm unmöglich, ihr ein Gesicht zuzuordnen.

„Paul, antworte endlich!“

Noch immer hatte es nicht Klick gemacht. Wer konnte das sein? Vielleicht war es besser, aufzulegen …

„Hallo, Hallihallohallöle! Wenn du mich hören kannst, antworte mir gefälligst! Ich weiß, dass du am Telefon bist. Ich höre dich doch atmen!“

Noch immer blieb die Erkenntnis aus. Paul kratzte sich am Hinterkopf. Sein Brummschädel war abgeklungen. Er wusste, zu wem die Stimme gehörte. Er wusste es, also, warum zum Geier fiel es ihm nicht ein?

Die Stimme sprach weiter. Diesmal schien sie nicht zu Paul zu sprechen, sondern mit jemandem, der sich im gleichen Zimmer befand wie der Anrufer. „Okay, ich leg jetzt auf und versuch es später noch mal. Vielleicht ist dann ja die Verbindung besser.“

„Bestimmt hast du recht.“ Der Verdacht mit der zweiten Person war also richtig.

„Ich kann ihn atmen hören. Aber sonst bleibt alles tot. Scheiß Telefonleitung. Wahrscheinlich komm ich gar nicht zu ihm durch.“

Der Anrufer hatte aufgelegt.

Paul stand da wie ein Ölgötze. Er hielt den Hörer an sein Ohr und überlegte angestrengt, wer zum Kuckuck ihn da hatte sprechen wollte. Allmählich verkalke ich, dachte er trübsinnig. Er steckte das Mobilteil in die Station. So konnte er wenigstens sicher sein, dass der Akku geladen war.

Er griff in die Hemdtasche. Statt der Kippen fühlte er nur den samtigen Stoff. Da dämmerte ihm, dass er ja immer noch den Morgenmantel trug. So fängt es an, dachte er. Kann nicht mehr lange dauern, und ich krabbele sabbernd über den Boden und muss gewickelt werden wie ein Kleinkind.

Endlich fiel ihm ein, wo er die Zigarettenschachtel zuletzt gesehen hatte. Keine fünf Minuten später (er qualmte in aller Ruhe) klingelte das Telefon erneut. Obwohl er auf keinen Fall rangehen wollte, näherte er sich dem Apparat mit langsamen Schritten.

Es läutete ein zweites und dann ein drittes Mal.

„Wann schaltet sich gleich noch mal der Anrufbeantworter an?“ fragte er die Wand, an die er sich gerade lehnte.

Es läutete unaufhörlich weiter. Und mit einem Mal (obwohl sein Gehirn noch gar keinen Befehl an seine Hand gegeben hatte) griff er nach dem Hörer.

„Hier Paul. Wer da?“

„Hi, Paul. Ich bin’s.“

Da war sie wieder, diese Stimme. Und er hatte noch immer keinen Schimmer, zu wem sie gehörte. In der ersten Sekunde war er drauf und dran, wieder zu schweigen. Aber er schüttelte den Gedanken ab und entschloss sich stattdessen, einfach mitzuspielen und zu gucken, wohin es ihn führte.

„Du? Das ist aber eine Überraschung, dass du mal anrufst!“ Da er nach wie vor keinen Verdacht hatte, musste er improvisieren. „Wir haben uns ja eine halbe Ewigkeit nicht gesehen!“ So was kam immer gut, da machte er nichts falsch.

Die Leitung war still.

„Äh … nun, genaugenommen waren es nur zehn Tage. Ist bei dir alles in Ordnung? Ich frage nur, weil … na ja, weil du so komisch klingst.“

Autsch, das war nach hinten losgegangen.

„Ich bin nur … Sagen wir’s mal so: Ich bin noch nicht ganz munter, okay?“ Fieberhaft sinnierte er weiter und entschied sich schließlich, mit offenen Karten zu spielen. „Hab wohl gestern etwas zu lange gearbeitet. Du wirst bestimmt lachen, aber momentan fällt mir noch nicht mal dein Name ein. Typischer Fall von Blackout.“

„Mensch, Alter, du brauchst einen Urlaub und einen verdammt guten Seelenklempner! Und am besten beides schon gestern. Wenn es schon so weit gekommen ist, dass du noch nicht mal mehr die Namen deiner besten Freunde weißt, solltest du kürzer treten. Du arbeitest zu viel.“

Wie recht du hast, großer Unbekannter, wie recht du hast.

„Du scheinst wirklich nicht zu wissen, wer ich bin, oder?“

Paul spürte, wie sein Gesicht vor Scham rot anlief. Reiß dich zusammen! Das ist nur ein Telefongespräch! „Nein“, gab er kleinlaut zu, „ich weiß leider nicht, wer du bist.“

„Gib zu, du verarscht mich!“

„Gott bewahre. Ich hab keinen blassen Schimmer.“

„?“

„.“

Der Anrufer schwieg. Er schien zu überlegen, ob Paul ihn verschaukeln wollte.

„Du hast wirklich keine Ahnung?“

„Nicht die Bohne.“

„Das ist traurig, Paul. Das ist verdammt traurig. Aber okay, ich helfe dir auf die Sprünge. Ich höre auf den klangvollen Namen Hackl. Jerome Hackl. Und? Klingelt es bei dir?“

Ja, da klingelte etwas, aber lange nicht so, wie es sich dieser Jerome wohl vorstellte. Pauls rechte Gehirnhälfte versuchte angestrengt, mit der linken zu kommunizieren. Hastig blätterte sie die Bilder in seinen Erinnerungen durch. Jerome? Jerome? Wo versteckst du dich? Wie von Sinnen raste er durch sämtliche Kapitel seines Lebens. Schließlich gelang es ihm, ein Bild von Jerome zu finden. Es lag begraben unter Tonnen von Staub. Es war der Staub, der übrig geblieben war, als Jeannine, dieses Aas, alles zum Einsturz gebracht hatte. Jetzt, da er wusste, wer er war, fiel ihm auch der Rest ein.

„Hi, Jerome“, diesmal klang die Überraschung echt. „Tut mir leid, das Ganze. Du weißt schon.“

„Ja, ja, vergiss es. Ist bei dir alles in Ordnung?“

Sollte er sagen, dass überhaupt nichts in Ordnung war? Dass auch nicht das kleinste bisschen in Ordnung war? Meine Frau hat mich verlassen und hat die Kinder mitgenommen! Ich verkalke langsam, und wenn du wüsstest, wie lange ich rumgerätselt habe, ehe ich wusste, wer du bist, würdest du sofort auflegen und nie wieder ein Wort mit mir sprechen! Und zu allem Überfluss glaube ich noch, den Verstand zu verlieren! All das ging ihm durch den Kopf. Aber er sagte es nicht. Stattdessen packte er diese Gedanken bei den Eiern, schüttelte sie ordentlich durch und schmiss sie in eine dunkle Kammer irgendwo tief im Hirn, wo sie bis auf weiteres vergammeln konnten.

„Mit mir ist alles bestens. Und selber?“

„Jau, Patrizia und den Kindern geht’s prächtig.“

„Na, das ist ja prima.“

Der Neid veränderte seine Stimme um eine Nuance. Hatte Jerome die Veränderung bemerkt? Wusste er etwa, was vorgefallen war? Nein, das war absurd. Oder vielleicht doch? Hatte dieses Luder von einer Frau bei ihm angerufen, damit er wiederum bei ihm anrief, um zu erfahren, wie’s ihm ging? Nein, das war lächerlich. Sie hat mich verlassen, da interessiert es sie bestimmt einen feuchten Scheiß, wie es mir geht. Das ist nur Wunschdenken meines verletzten Egos.

„Könnt ihr beiden es heute Abend nun einrichten?“

Was, zum Teufel, stand heute Abend auf dem Programm? Er wusste es nicht mehr und wappnete sich für eine neuerliche Attacke, bei der seine Erinnerungen durcheinandergewirbelt würden wie die Blätter in einem Herbststurm.

„Du hast es nicht vergessen, oder? Du weißt noch, dass wir heut Abend 'ne Party geben, ja? Patrizia wollte, dass ich euch anrufe und euch noch mal daran erinnere. Sie hofft, ihr könnt es einrichten. Und ich sagte, natürlich können sie es einrichten, schließlich bist du einer meiner engsten Freunde. Aber sie sagte, ruf trotzdem an. Also rief ich an. Kennst sie ja.“

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