Kitabı oku: «Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien», sayfa 7

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Das mochte stimmen. Als sehr gescheiter und durchtriebener Mensch zeichnete sich Kotljarewski stets durch scharfe Beobachtung aus, und diese Eigenschaft wusste er vorzüglich bei den politischen Prozessen auszunützen.

„Erinnern Sie sich, was für ein Hitzkopf Sie damals waren? Wie Sie einmal mir beinahe ein Tintenfass an den Kopf geworfen hätten?“

Ich konnte mich dieses Vorfalls noch genau erinnern und merkte sofort, warum er darauf zurückkam. Es handelte sich darum, dass ich während meiner Haft in Kiew im höchsten Grade nervös erregt war, furchtbar heftig und reizbar, und zum Teil aus diesem Grunde, zum Teil als Mitglied der „Buntari“ speziell daran festhielt, dass bei jeder Gelegenheit die Kampfesstellung gegen alles, was Behörde heißt, kundzugeben sei; da kam es einmal zu einem Zusammenstoß zwischen mir und Kotljarewski: er bestand darauf, dass ich das Protokoll unterschreibe, was ich unbedingt verweigerte. In höchster Wut ergriff ich das Tintenfass und war bereit, es ihm an den Kopf zu werfen, wenn er mich nicht in Ruhe ließe. Er bemerkte meine Absicht, bewahrte aber seine Ruhe, rief den Schließer und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Als der Mann sich eiligst entfernte, glaubte ich, der Staatsanwalt lasse die Wache holen, um mich in den Karzer zu sperren. Wie groß aber war meine Verwunderung und Freude, als nach einigen Minuten die Tür sich öffnete und mein Freund Stefanowitsch auf der Schwelle stand, der im gleichen Gefängnis saß, ohne dass ich ihn bisher hätte sehen können. Es war eine ungemein freudige Überraschung für uns, als wir einander erblickten.

„Haben Sie die Güte, Ihren Kameraden zu beruhigen“, wandte sich Kotljarewski an Stefanowitsch, „seine Nerven scheinen überreizt zu sein.“

Schon damals lernte ich die Gewandtheit des Mannes schätzen und sagte ihm jetzt, er habe mich in Kiew gentlemanlike behandelt, was ihm sehr angenehm zu sein schien.

Im Verlaufe des Gesprächs drückte ich ihm meine Verwunderung darüber aus, dass, obgleich ich von Deutschland als gemeiner Verbrecher ausgeliefert sei, man mich nach der Peter-Pauls-Feste gebracht hatte, wo doch bekanntlich nur Staatsverbrecher gehalten werden.

„Auch begreife ich nicht“, fügte ich hinzu, „warum man mich nach Petersburg gebracht hat, während doch die Tat, deren ich angeklagt bin, in Odessa stattgefunden hat, und dem Gesetze nach hat der Prozess dort stattzufinden, wo die Tat begangen wurde.“

Darauf gab mir Kotljarewski keine Antwort. Dagegen versprach er, sich dafür zu verwenden, dass mir die Möglichkeit geboten werde, mich aus eigenen Mitteln zu beköstigen, er würde darüber mit dem Direktor des Polizeidepartements Plehwe sprechen.

Kurz darauf wies mir Oberst Lesnik eine bequemere Zelle im ersten Stockwerk an und behandelte mich auch sonst fortan etwas besser. Zwei Tage nach jenem Verhör teilte er mir mit, dass mein Geld und mein Gepäck aus dem Polizeidepartement eingetroffen seien und ich mir jetzt Lebensmittel und Tabak anschaffen könne. Ich freute mich besonders darauf, dass ich meine Brille erhalten würde.

* * *

Der grausame Arzt

Der grausame Arzt

Doch stellte sich heraus, dass es dazu einer Anordnung des Gefängnisarztes bedurfte. Dieser erschien denn auch bald. Es war ein Greis von 60 bis 70 Jahren und hatte den Rang eines Generals; er war bekannt als roher und geradezu grausamer Patron, wofür er mir alsbald den Beweis lieferte. Er tat mir die Augenlider in die Höhe, streifte mich mit einem drohenden Blick und erklärte kurzerhand, ich hätte durchaus normale Augen und brauche keine Brille. In Wirklichkeit aber leide ich nach Ansicht hervorragender Augenärzte an einer seltenen Anomalie der Augen und muss schon seit dem achtzehnten Lebensjahr eine Brille beim Lesen benutzen.

Die Weigerung des Gefängnisarztes erregte mich aufs äußerste, brachte mich der Verzweiflung nahe. Ich war bereit zu schreien, zu flehen und zu fluchen, nur mit Mühe konnte ich mich beherrschen.

„Ich bitte Sie, Sie irren unbedingt, ich kann wahrhaftig ohne Brille nicht eine Zeile lesen!“ rief ich. „Bedenken Sie doch, was Sie tun: Sie verurteilen mich zu der schlimmsten Folter, indem Sie mir die einzige Zerstreuung rauben, die hier zulässig ist!“ Es half alles nichts, der Mann blieb unerschütterlich und wiederholte stumpfsinnig die Phrase: „Nein, Sie brauchen keine Brille“; damit ging er. Ich ballte krampfhaft die Fäuste, ohnmächtige Wut erfüllte mich. Noch ein Augenblick, und ich hätte die Selbstbeherrschung verloren...

Doch was blieb mir übrig? Ich musste auch das ertragen. Was erträgt der Mensch nicht alles? Aber jedes Mal, wenn ich an diesen Arzt in der Rolle des Henkers dachte, wallte mein Blut auf. Es blieb mir als einziges Zerstreuungsmittel die Zigarette, sie wurde mein Freund und Genosse in der Einsamkeit. Für Gefangene ist überhaupt das Rauchen ein Hochgenuss, man fühlt sich dabei weniger verlassen, verstoßen.

* * *

Eine flüchtige Bekanntschaft

Eine flüchtige Bekanntschaft

Wieder schleppte ich meine Tage in qualvoller Untätigkeit hin ... Da drangen eines Morgens Laute an mein Ohr! Es wurde geklopft, und zwar in meiner nächsten Nähe. „Gilt es mir?“ Ich antwortete sofort mit den bekannten Zeichen durch einige Schläge an die Wand. Es galt mir. Welche Freude! Ich werde erfahren, wer von den Kameraden hier sitzt, werde mit einem Menschen Gedanken austauschen ... „Wer sind Sie? An welchem Prozess beteiligt?“ entziffere ich die Laute. Ich ergreife den Kamm, den einzigen beweglichen harten Gegenstand, der im Gefängnis zulässig ist, und klopfe meinen Namen. Mein Partner ist erstaunt: „Wie kommen Sie hierher?“ fragte er. „Und wer sind Sie?“ klopfe ich, „Kobiljanski“ war die Antwort.

Ich war nicht minder erstaunt, ihm hier, wenn man sich so ausdrücken darf, zu „begegnen“. Persönlich hatten wir uns nicht kennen gelernt, doch wusste ich, dass er wegen Teilnahme an verschiedenen terroristischen Unternehmungen im Jahre 1880 zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt wurde und vor längerer Zeit schon nach den sibirischen Bergwerken auf der Kara deportiert worden war. Wie kam er also nach der Peter-Pauls-Feste? Ich brannte vor Ungeduld, zu erfahren, was geschehen war. Aber ebenso ungeduldig war er, zu erfahren, wie es kam, dass man mich eingefangen. Ich musste nachgeben. Jedoch kaum hatte ich ihm in möglichst kurzen Sätzen mitgeteilt, dass man mich in Deutschland abgefasst und ausgeliefert hatte, wurde ich durch den Ruf unterbrochen:

„Sie klopfen?!“

Ich sprang auf und blickte mich um: vor mir stand Oberst Lesnik in Begleitung einiger Gendarmen; man hatte mich beobachtet, in aller Stille die Tür geöffnet und mich überrascht. Ein Ausweichen gab es nicht, da ich ja auf frischer Tat ertappt wurde.

„Dass Sie es wissen: wenn Sie sich noch einmal unterstehen, Ähnliches zu treiben, so kommen Sie wieder in das Erdgeschoss, und ich entziehe Ihnen die Erlaubnis, zu rauchen und spazieren zu gehen.“ Damit ging er.

Ich fühlte mich in der Lage eines Schulbuben, den man wegen einer Unart abgekanzelt hat. Das Klopfen wird überall in den Gefängnissen verboten, aber es ist ein menschliches Bedürfnis, wie das Sprechen für jeden Menschen. Vorläufig musste ich jedoch die Hoffnung aufgeben, zu erfahren, warum Kobiljanski aus Sibirien zurückgebracht ward. [Später erfuhr ich darüber folgendes: Im Mai 1882 waren einige der politischen Verbrecher aus dem Kerker auf der Kara entsprungen; sie wurden bald wieder eingefangen. Darauf wurden die furchtbarsten Maßregeln in jenem Kerker eingeführt und beschlossen, die „besonders gefährlichen Elemente“ fortzuschaffen. Man wählte nach den blödesten Motiven dreizehn Mann, von denen nur vier an der Flucht teilgenommen, und schaffte sie nach der Peter-Pauls-Feste und später nach Schlüsselburg, wo ein besonderes Gefängnis für politische Verbrecher mit geradezu entsetzlichem Regime eingerichtet wurde. Unter diesen befand sich Kobiljanski, obwohl er nicht an der Flucht teilgenommen hatte. Fast alle diese Unglücklichen fanden in der Schlüsselburger Feste ihren Tod: Butsinski, Gelis, Ig. Iwanoff, Kobiljanski, Jurkowski und Tschedrin. Nur einer lebt noch – Michael Popoff.]

Kurze Zeit nach diesem Vorfall wurde mir zu ungewohnter Stunde mein Anzug gebracht. Ich nahm an, dass es einem Verhör gelte. Doch nein, man schien mich ganz fortschaffen zu wollen: es erschien der Gendarmeriekapitän, der mich von der Bahn hergebracht hatte, mein Gepäck wurde herbeigeschafft.

„Wohin geht es, nach Odessa?“ Der Offizier gab keine Antwort.

„Wahrscheinlich führt man mich zur Bahn“, dachte ich, als ich in Gesellschaft des Kapitäns in der Droschke saß.

Es war einer jener Übergangspunkte während der „weißen Nächte“ in Petersburg, wo man sich nicht klar wird, ob es dämmert oder tagt. Das Wetter war herrlich, und ich fühlte mich erleichtert bei dem Gedanken an die Reise nach Odessa. Doch nein, der Wagen schlägt einen anderen Weg ein, es geht nicht nach dem Bahnhof. Bald hielten wir im Hofe eines gewaltigen Steinbaues, es war das Untersuchungsgefängnis.

* * *

VII. Veränderte Gefängnisordnung

VII. Veränderte Gefängnisordnung

Als der Gendarmerieoffizier mich dem Gefängnisdirektor übergab, deutete er mit dem Finger auf eine Stelle in dem Begleitschein. Jener fixierte mich hierauf scharf: es war klar, dass es sich um die Warnung handelte, mich streng zu überwachen wegen meiner früheren Flucht.

Ich sah sofort, dass die Gefängnisordnung hier minder scharf war: meine Habseligkeiten wurden mir, nachdem sie noch einmal visitiert waren, in die Zelle gebracht. Als ich sie zu Gesichte bekam, sah ich vor allen Dingen nach, ob das verborgene Geld und die Schere noch vorhanden waren, und richtig, ich fand sie! Trotz der eifrigen Untersuchung in der Feste und hier hatte man sie ebenso wenig gefunden wie bei den früheren Visitationen. Die Schere versteckte ich auf alle Fälle wieder, die deutschen Banknoten wollte ich wechseln, um wenigstens einen Teil des Geldes zur Verfügung zu haben. Das war freilich nicht so einfach! Ich begann die Schließer zu beobachten; es waren ihrer drei auf dem Korridor, an dem meine Zelle lag. Am zugänglichsten schien mir der, welcher mein Gepäck untersucht hatte, und ich beschloss, ihn zu kapern. Ich holte das Geld aus dem Versteck und rief den Mann, als er Dienst hatte, in meine Zelle.

„Was wünschen Sie?“ fragte er eintretend und die Türe hinter sich schließend.

„Haben Sie mein Gepäck richtig durchsucht, als man mich hier einlieferte?“

„Ja freilich! Was ist los?“ Er tat ganz erschrocken.

„Ei, nichts Besonderes“, beruhigte ich ihn. „Nur muss ich Ihnen sagen, dass Sie nicht zu suchen verstehen. Da sehen Sie, das Geld war dabei, Sie haben es nicht gefunden.“ Damit hielt ich ihm die Banknoten unter die Nase.

„Das kann nicht sein, ist ganz unmöglich! Ich habe alles durchsucht. Wo hatten Sie es versteckt?“

„Nun, das ist mein Geheimnis. Aber jetzt passen Sie mal auf: es ist deutsches Geld; wenn man es wechselt, gibt es ungefähr 50 Rubel; nehmen Sie es, und wenn Sie abgelöst werden, gehen Sie damit nach einer Wechselstube – es hat deren viel auf dem „Prospekt“ – und lassen es wechseln. Die Hälfte gehört Ihnen, das übrige mir. Einverstanden?“

„Gut, ich besorge es.“ Er nahm das Geld und ging.

„Er beißt an!“ dachte ich bei mir und begann alsbald daraufhin Pläne zu schmieden. Ich wusste aus früherer Erfahrung, dass vor allem geheime Verbindungen mit der äußeren Welt herzustellen sind. Wir Revolutionäre hatten schon wiederholt solche Verbindungen hergestellt, indem die Schließer gegen hohe Belohnung es unternahmen, Briefe hin und her zu befördern? [Im Süden, in Kiew, nannten wir einen solchen Schließer „Brieftaube“.] – Als ich jetzt sah, wie leicht der Mann auf meinen Vorschlag einging, überlegte ich alsbald weitere Schritte. Nach einigen Tagen, sagte ich mir, versuchen wir es mit einem Brief, den er zur Post schafft, dann schicke ich ihn mit einem Auftrag an einen meiner Bekannten; ist erst die Verbindung hergestellt ... wer weiß, vielleicht wird etwas daraus ...

* * *

Ein fehlgeschlagener Plan

Ein fehlgeschlagener Plan

Am Vormittag hatte ich dem Schließer das Geld übergeben, und den ganzen Tag war ich ungemein erregt. Der Mann schaute mehrere Mal durch das Guckloch in der Türe, lächelte und nickte mir zu, was ich in der gleichen Weise erwiderte. Gegen Abend kam er jedoch wieder in meine Zelle und brachte das Geld zurück.

„Nehmen Sie, ich fürchte hereinzufallen ... Sehen Sie, da ist vor kurzem ein Kollege hereingefallen, der hatte zwei Uhren bei sich, die man fand, und er wurde entlassen ... Sehen Sie, der Dienst ist hier nicht schlecht, 25 Rubel bekommen wir monatlich; so etwas findet man nicht leicht wieder. Nein, ich fürchte mich, nehmen Sie es zurück ... ich habe Familie.“

Natürlich drang ich nicht weiter in ihn, weil ich wohl wusste, dass wenn der Mann keine Courage hat, er jedenfalls sich nicht zur „Brieftaube“ entwickeln wird. Da ich aber auf diese Weise keine Möglichkeit mehr hatte, das Geld insgeheim wechseln zu lassen, forderte ich ihn auf, die Scheine dem Verwalter zu übergeben, damit dieser sie zu dem übrigen Gelde lege.

„Sagen Sie ihm. Sie hätten es beim Durchsuchen meiner Sachen gefunden.“

„Nein, das geht nicht, es würde Skandal geben, weil ich nicht gleich ablieferte. Ich will lieber die Wahrheit sagen, dass Sie es mir erst jetzt übergeben haben.“

So waren meine Luftschlösser in Nebel zerronnen. Das Geld wurde dann richtig in Verwahrung genommen, ohne dass man weitere Nachforschungen unternommen hätte.

Meine Bücher wurden mir in einigen Tagen übergeben, und auch die Gefängnisbibliothek durfte ich benützen. Man kann sich denken, wie ich nach der langen Entsagung in der Feste mich in die Lektüre vertiefte. Auch Schreibzeug wurde mir bewilligt. In mancher Beziehung hatte ich es also besser in diesem Gefängnis als in der Peter-Pauls-Feste. Doch gab es auch manche Schattenseiten. Die kleinen Zellen mit den steinernen Fußböden wurden in der Sommerhitze zu wahren Backöfen; in der Zelle war es schwül zum Ersticken und staubig. Auch die Kost stand quantitativ und qualitativ der in der Feste nach. Am schlimmsten aber stand es mit den „Spaziergängen“; man stelle sich einen riesigen Kreis vor, der durch Zäune, die im Zentrum zusammenliefen, in eine Anzahl Sektoren geteilt ist; in diesen „Viehverschlägen“ ließ man uns herumlaufen; man sah dabei nur die Bretterzäune und ein winziges Stückchen Himmel. Allerdings durften wir alle Tage dreiviertel Stunden auf diese Weise Luft schöpfen, aber auf die Dauer wurde es recht fad, in dem „Verschlage“ sich zu „erholen“.

Im Gegensatz zu der unheimlichen Stille in der Peter-Pauls-Feste ging es hier ungemein lebhaft zu. Von allen Seiten hörte man Geschrei und Lärm. Die Fenster des Korridors führten nach der Straße hinaus, und so drang das Geräusch des Straßenlebens oft in die Zelle; man hörte die Wagen vorüberrasseln und das Schreien der Straßenverkäufer, oder ein Leierkastenmann gab seine Melodie zum Besten. Zuweilen träumte man sich in die Freiheit zurück und fühlte umso schwerer die Last des Kerkerlebens.

* * *

Besuch des Ministers

Besuch des Ministers

Eines Tages ging es besonders lebhaft auf den Korridoren zu; es wurde geputzt, gereinigt, ausgebessert; man schien sehr hohen Besuch zu erwarten. In der Tat erfuhr ich alsbald, dass der Justizminister Nabokoff das Gefängnis visitieren würde. Bald darauf erschien er denn auch in meiner Zelle, von einer zahlreichen Suite begleitet. Als ihm mein Name genannt wurde, begrüßte er mich und sagte:

„Ich habe Ihre Aussagen gelesen; – sie haben mir sehr gefallen, weil sie wahrhaftig zu sein scheinen. Ich würde wünschen, dass Sie vor Gericht auch so aussagen.“

Ich antwortete ihm das gleiche, was ich bereits oben über meine Aussagen bemerkt habe, nämlich, dass es mir dabei nur auf die Feststellung der historischen Wahrheit ankomme.

Er ging, kehrte jedoch noch einmal wieder und stellte ein paar gleichgültige Fragen, aber es sah aus, als wollte er eigentlich von ganz anderen Dingen reden. – Beim Sprechen beugte er sich etwas vor und hielt die Hand ans Ohr; sein ganzes Benehmen war schlicht und einfach.

* * *

Staatsgeheimnis

Staatsgeheimnis

In der Suite befand sich auch Kotljarewski; er blieb einen Augenblick zurück und sagte mir, dass er mit mir sprechen wolle, wenn der Minister fort sei; nach einiger Zeit wurde ich denn auch zu ihm in einen Raum geführt, der als Schulzimmer diente.

„Ich habe kein Verhör mit Ihnen anzustellen, sondern ich möchte einfach mit Ihnen plaudern, alte Erinnerungen auffrischen“, sagte Kotljarewski. Wir setzten uns auf eine der Schulbänke und waren bald in eifriges Gespräch vertieft.

An eine Bemerkung meinerseits anknüpfend, kam Kotljarewski auf die Frage zu sprechen, die ich bei unserer ersten Unterredung an ihn gerichtet hatte, warum man mich in die Peter-Pauls-Feste gesperrt hatte?

„Ja, sehen Sie, da kamen höchst wichtige Staatsinteressen in Erwägung“, meinte er. „Die Sache ist die: werden Sie vor ein gewöhnliches Gericht gestellt und nur wegen des Attentats gegen Gorinowitsch angeklagt, so werden Sie zu acht bis zehn Jahren nach Sibirien verdonnert. Das aber war nicht genehm in höheren Kreisen.“

Er betonte die letzten Worte scharf.

„Aber man kann doch gar nicht anders handeln!“ rief ich verwundert; „Deutschland hat doch an meine Auslieferung bestimmte Bedingungen geknüpft.“

„Na, das ließe sich schon machen! Wir sind jetzt mit Bismarck gut Freund; er würde uns schon den kleinen Gefallen erweisen. Man könnte ja zur Not die Sache so darstellen, dass Sie nach der Auslieferung ein Staatsverbrechen begangen haben. Da fällt mir übrigens ein: die Deutschen haben alle Notizen, die Sie sich im Freiburger Gefängnis gemacht haben, hergeschickt.“

Ich war im höchsten Grade erstaunt. Es fiel mir ein, dass ich in der Tat aus Langeweile in Freiburg dies und jenes niedergeschrieben hatte, Notizen, Pläne usw., aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie diese Blätter in die Hände der russischen Regierung gelangt sein konnten, da ich alle Manuskripte bei der Abreise vernichtet hatte. Wahrscheinlich verhielt sich die Sache so: während man mich spazieren gehen ließ, durchstöberte man meine Papiere und entwendete einzelne Blätter, die dann nach Russland geschickt wurden. Immerhin schien es mir unmöglich, dass man auf Grund solcher Aufzeichnungen eine neue Anklage konstruieren und den Auslieferungsvertrag mit Deutschland abändern könnte. Als ich dieses sagte, erwiderte mir Kotljarewski:

„Seien Sie unbesorgt, das bringt man schon fertig! Nichts wäre leichter, als eine Einwilligung Deutschlands zu erlangen, und dann würde man Sie nach Gebühr aburteilen. Leute, die weniger auf dem Kerbholz hatten als Sie, Malinka, Drebjasgin, Maidanski, sind längst hingerichtet. Und Sie? Aus dem Gefängnis sind Sie durchgebrannt, als man Sie wegen des Attentats gegen Gorinowitsch endlich erwischt hatte; dann haben Sie noch volle acht Jahre allerlei angestiftet, haben noch mit Stefanowitsch die Tschigiriner Verschwörung angezettelt usw. usw. Und diese vielen Geschichten sollen Ihnen jetzt nicht mehr als einige Jahre Zwangsarbeit einbringen? – das passte der Regierung nicht in den Kram! – Als man Sie also ausgeliefert hatte, wurde in den Höheren Kreisen eine besondere Beratung abgehalten. Ich war natürlich nicht dabei, ich zähle nicht zu den Auserwählten, aber man hat mir erzählt, was es dort gab. Anfangs waren alle einig, eine Änderung des Auslieferungsvertrages herbeizuführen, damit man Sie vor ein Ausnahmegericht stellen könne. Dann – Sie können es sich ungefähr denken – hätte man kurzen Prozess mit Ihnen gemacht! Aber einer von den Hauptpersonen kamen Bedenken, dieser Herr meinte: „Gut, Deutschland wird uns den Gefallen tun; ist das aber ein Vorteil für uns? Jetzt hat man den Deutsch abgefasst; morgen kann in irgendeinem anderen Lande ein noch viel besserer Fang gemacht werden. Dann dürfte es aber schwer werden, die Auslieferung des Betreffenden zu erlangen; die Presse wird Lärm schlagen, man wird behaupten, Russland respektiere die Verträge nicht, und wird sich auf das Beispiel mit Deutsch berufen? Diese Ansicht gewann die Majorität, und nur deshalb hat man beschlossen, die Anklage gegen Sie nur wegen des Attentats gegen Gorinowitsch zu erheben. Aus diesem Grunde nun hatte man Sie in der Peter-Pauls-Feste gelassen, bis der Beschluss feststand.“

Es ist möglich, dass Kotljarewski mir dieses „Staatsgeheimnis“ verriet, um mir die Zunge zu lösen: vielleicht aber hat er in der Tat dabei keine Hintergedanken gehabt, sondern aus freien Stücken aus der Schule geschwatzt. Im weiteren Verlaufe des Gesprächs berührte er die verschiedensten Dinge. Als unter anderem die Rede von den politischen Verfolgungen in Russland war, wies ich darauf hin, dass so oft absolut harmlose Menschen zu grausamen Strafen verurteilt werden.

„Was wollen Sie“, erwiderte er, „wo Bäume gefällt werden, gibt es Späne. Schon die alten Römer wussten: summa jus, summa injuria. Übrigens bin ich persönlich gegen die Todesstrafe. Ich sage mir: in einem großen Staate sind politische Verbrechen unvermeidlich; unter einer Bevölkerung von vielen Millionen muss es stets ein paar tausend Unzufriedene geben. Natürlich muss man gegen die Wühler vorgehen. Aber eine starke Regierung kann sie unschädlich machen, ohne zur Todesstrafe greifen zu müssen.“

Bei diesem Thema angelangt, fragte er dann scheinbar nebenbei, wie viel Terroristen nach meiner Meinung wohl noch in Russland vorhanden sein können? Ich antwortete, dass ich darüber nichts wisse, da ich selbst nicht der terroristischen, sondern der sozialdemokratischen Partei angehöre.

„Freilich, aber als ‚befreundete Macht’ werden Sie doch wohl annähernd über die Stärke der Terroristen orientiert sein. Ich glaube nämlich, dass es nur noch ganz wenige sein können“, meinte er.

In jener Zeit waren in der Tat nur noch sehr wenige aktive Terroristen in Russland übrig geblieben. Ich wollte aber Kotljarewski in seiner Meinung über die „befreundete Macht“ nicht bestärken und sagte ihm, dass meiner Schätzung nach „kaum einige tausend Terroristen vorhanden sein könnten, nicht mehr“.

„Wo denken Sie hin“, rief er, „das ist ganz unmöglich! Ich rechne höchstens ein paar hundert; in der letzten Zeit haben ja Massenverhaftungen stattgefunden.“

Ich widersprach ihm, was ihn zu ärgern schien.

Zu jener Zeit, das heißt im Sommer 1884, waren in dem Untersuchungsgefängnis eine Anzahl Personen inhaftiert, die verschiedener „Staatsverbrechen“ beschuldigt waren. Eines dieser „Verbrechen“, das die Verhaftung zahlreicher Personen in Petersburg, Moskau, vielen kleineren Städten und selbst in Sibirien veranlasst hatte, nannte Kotljarewski „die Affäre der alten Hosen“. Auf meine Frage erzählte er mir folgendes über diese Haupt- und Staatsaktion:

„Bei einer Haussuchung hatte man einen Zettel gefunden, auf dem die Namen jener Personen verzeichnet waren, die behilflich waren, die politischen Gefangenen mit Kleidern, Wäsche und ähnlichem zu versehen.

„Daraufhin hat man unzählige Personen verhaftet und versucht nun, einen großen Prozess anzuzetteln wegen des ‚Geheimbundes’ unter dem Namen ‚Das rote Kreuz der Narodnaja Wolja’“, fuhr Kotljarewski fort, wobei er offenbar auf die Gendarmerie anspielte. „Gendarmerie und Staatsanwaltschaft liegen sich nämlich oft in den Haaren und fechten manche Intrige gegeneinander aus. – Eine nette Verschwörung in der Tat, bei der es sich darum handelt. Gefangene mit gebrauchten Kleidern und Wäsche zu versehen! Ich nenne daher diesen Prozess ‚die Affäre der alten Hosen’. Ich habe mich jetzt damit zu befassen und versuche die Geschichte auf administrativem Wege zu erledigen.“ [Eine solche Erledigung könnte für die Beteiligten immerhin noch schlimm genug ausfallen. – „Auf administrativem Wege“ kann nämlich die Gendarmeriebehörde in Russland Leute einkerkern und für viele Jahre in die Verbannung nach Sibirien oder den „entlegenen Gouvernements“ schicken. Anmerkung des Übersetzers.]

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