Kitabı oku: «Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien», sayfa 8

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Der Schriftsteller als Zellennachbar

Der Schriftsteller als Zellennachbar

Außer vielen Gefangenen, die in diesen Hosenprozess verwickelt waren, saßen damals im Untersuchungsgefängnis eine Anzahl bekannter Schriftsteller: Protopopoff, Kriwenko, Stanjukiewitsch, Erthel. Der erstgenannte war mein Zellennachbar, und bald „klopften“ wir. Freilich war es nicht ohne Missverständnis abgelaufen. Nachdem ich ihm meinen Namen genannt hatte, hörte er plötzlich auf, mir zu antworten. Ich wusste mir keinen Vers darauf zu machen. Es vergingen dann mehrere Tage; ich hörte ihn auf und ab gehen in der Zelle, vernahm seine Stimme, wenn er mit dem Schließer sprach, aber meine Signale ließ er unbeantwortet. Ich schloss, dass er sich fürchte, abgefasst zu werden, obwohl das Gefängnispersonal hier nicht besonders gegen diesen Brauch einzuschreiten schien, und gab meine Versuche auf. Nach längerer Zeit aber meldete er sich wieder: „Warum verheimlichen Sie mir Ihren Namen?“ fragte er. Ich antwortete sofort, dass ich von Anfang an meinen Namen genannt hätte, und wiederholte ihn nun, worauf er sich eiligst entschuldigte: „Ich habe Sie für einen Spion gehalten, weil ich den Namen nicht entziffern konnte; es schien mir, als hätten Sie absichtlich so undeutlich geklopft, um Ihren Namen zu verbergen.“

Jetzt kamen wir bald ins Gespräch. Wir hatten gemeinsame Freunde und waren daher dem Namen nach einander bekannt. Naturgemäß hatten wir das Bedürfnis, einander auch von Angesicht kennen zu lernen, und griffen zu diesem Zwecke zu folgender List: Aus den Fenstern unserer Zellen, die im fünften Stockwerk lagen, konnte man die „Viehverschläge“ sehen; da wir aber zu gleicher Zeit den „Spaziergang“ machten, so mussten wir nach Übereinkunft jeder einen Tag den Spaziergang aussetzen, und damit der in der Zelle Verbliebene den anderen erkenne, wurde ein Zeichen verabredet. Auf diese Weise lernten wir einander auch äußerlich kennen. Nun sollten wir noch unsere Stimmen gegenseitig hören; auch das wurde erreicht. Wir wussten nämlich, dass in diesem Gefängnis die politischen Gefangenen nicht nur miteinander sprechen, sondern sogar einander kleine Gegenstände durch die Röhren der Wasserklosetts zustecken. Die Leitung war nämlich so eingerichtet, dass je zwei Zellen in allen sechs Stockwerken miteinander verbunden waren; auf diese Weise konnten sich also je zwölf Gefangene miteinander in Verbindung setzen und bildeten einen „Klub“. Wir hatten denn auch bald die Sache ausgetüftelt. Wir ließen gleichzeitig jeder in seiner Zelle das Spülwasser ablaufen; auf diese Weise entstand ein Hohlraum in der Leitung, der wie ein Sprachrohr wirkte; wenn wir in der Klosettöffnung sprachen, so konnte man die Stimme vorzüglich in der Nachbarzelle hören, und infolge der Spülung wurden wir durch den Geruch nicht im mindesten belästigt.

* * *

VIII. Neue Befürchtungen

VIII. Neue Befürchtungen

Meine Stimmung während der Haft im Petersburger Untersuchungsgefängnis war zweifellos im Allgemeinen besser denn früher. Im Freiburger Kerker war ich in beständiger Aufregung gewesen, sehnte mich nach der Freiheit, die ich zu erreichen hoffte. In der Peter-Pauls-Feste war ich niedergedrückt und verzweifelt; jetzt war mir alles gleichgültig: „Also Zwangsarbeit im sibirischen Bergwerk! Ob es zehn Jahre werden oder fünfzehn, das bleibt sich schließlich gleich“, dachte ich. Die Zukunft war verloren, das Leben hin. Es ist recht schwer, sich mit diesem Gedanken auszusöhnen, besonders wenn man sich körperlich stark und gesund fühlt, aber man fügt sich auch darein.

Zuweilen allerdings regten sich plötzlich Hoffnung, Träume von unerwartetem Glück in ferner Zukunft; dann jagten wohl die Gedanken in wilder Hast lieblichen Gaukelbildern nach ... Aber ich hatte in Freiburg gar zu bittere Enttäuschungen erlebt und verscheuchte daher jetzt diese lockenden Träume, sobald sie auftauchten. Ich geriet in solchen Augenblicken geradezu in Wut und fluchte den trügerischen, verräterischen Gaukelbildern meiner Phantasie ... „Possen!“ rief ich mir selbst zu; „im Gegenteil, das Schicksal wird dir sicher noch unerwartet einen bösen Streich spielen!“ Ich suchte mich also auf das Schlimmste gefasst zu machen.

Wochen waren vergangen, seit man mich in das neue Gefängnis gebracht, und während der ganzen Zeit hatte man mich nicht ein einziges Mal verhört; ich wusste gar nicht, wie meine Sache eigentlich stand. „Vielleicht ist man in ‚höheren Kreisen’ abermals anderen Sinnes geworden und sucht nach einem neuen Mittel, um mich als ‚Staatsverbrecher’ zu behandeln“, dachte ich zuweilen, wenn mir das Gespräch mit Kotljarewski einfiel. – „Warum verhört man mich nicht? Warum stellt man mich nicht vor Gericht? Warum schafft man mich nicht nach Odessa? Sicher geht da wieder etwas vor.“

„Machen Sie sich bereit, man holt Sie!“ sagte mir an einem wunderschönen Julimorgen der Schließer, als ich gerade vom Spaziergange zurückgekehrt war und mich in besonders guter Stimmung befand.

Eine Lohndroschke erwartete mich an der Tür, und ich stieg mit den Gendarmen ein. Natürlich war von diesen Begleitern nicht zu erfahren, wohin die Fahrt ging. Diese Ungewissheit fiel mir, obgleich sie nicht sehr lang dauerte, schwer, machte mich nervös. Nach einer halben Stunde ungefähr hielt der Wagen in einem Hofe. Ich wurde in eine winzige Zelle, mit einem kleinen Fenster, dessen Scheiben weiß angestrichen waren, geführt.

* * *

Der Gendarmerie-Oberst

Der Gendarmerie-Oberst

Als ich auf und ab wanderte, bemerkte ich an dem Guckloch an der Tür einen Offizier, der mich unablässig beobachtete.

„Darf man zu Ihnen?“ fragte er schließlich, zögernd das Guckfensterchen öffnend.

„Eine sonderbare Frage! Ich bin hier nicht bei mir, sondern bei Ihnen!“

Die Tür ging auf, und verbindlichst lächelnd trat ein junger Mann in der Uniform eines Gendarmerieobersten ein.

„Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Oberst Iwanoff“; er machte eine Verbeugung und schlug klirrend die bespornten Hacken aneinander.

„Ich verstehe Sie wirklich nicht! Wollen Sie mir, bitte, sagen, wo ich mich eigentlich befinde? Wozu man mich hergeführt hat?“

„Hier ist das Büro der Gendarmerieverwaltung; man hat Sie hergebracht, um Sie zu verhören, und wird Sie wohl bald zum Staatsanwalt führen. Ich dagegen möchte nur mit Ihnen plaudern und alte Erinnerungen auffrischen; wir haben viele gemeinsame Bekannte.“

„Woher kennen Sie mich denn?“ fragte ich verwundert.

„Aber ich bitte Sie“, rief er lächelnd, „es gibt wohl in ganz Russland kaum einen intelligenten Menschen, der Sie dem Namen nach nicht kennen würde!“

Der Herr schien sich selbst also der „Intelligenz“ zuzuzählen, jener Schicht der russischen Gesellschaft, die gerade zu jener Zeit in den besten russischen Zeitschriften gegen die reaktionäre Strömung sich verteidigen musste. In Anbetracht der russischen Pressverhältnisse war es sogar üblich, wenn man von den Revolutionären sprach, sie harmlos als „die Intelligenz“ zu bezeichnen.

„O, wir haben viele gemeinsame Bekannte“, fuhr der Oberst fort. „Ich habe alle Ihre Genossen gekannt: Malinka, Drebjasgin, Maidanski. Ich war früher Gendarmerieadjutant in Odessa und habe sie dort alle kennen gelernt. Das waren wirklich prächtige Menschen!“

Jetzt begriff ich, warum dieser Herr trotz seiner Jugend bereits Oberst in dem Gendarmeriekorps der Hauptstadt war. Die großen politischen Prozesse gegen Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre boten vielen Gendarmerieoffizieren und Staatsanwälten Gelegenheit, schnell vorwärts zu kommen. Leben und Freiheit der „Staatsverbrecher“ waren der Preis, um die sie Karriere machten. Wahrscheinlich hatte auch dieser Herr keine geringe Rolle bei der Verurteilung meiner Genossen zum Tode und zu Zwangsarbeit gespielt, derselben Menschen, denen er jetzt Lob spendete! Vielleicht war er der Urheber des genialen Gedankens, mit Hilfe des Verräters Kurizin den Opfern Fallen zu stellen. [Kurizin war infolge des Attentates gegen Gorinowitsch verhaftet worden und wurde zum Verräter, was jedoch die übrigen Verhafteten nicht wussten. Man schloss ihn mit den Verhafteten in eine Zelle, damit er sie aushorche. Auf diese Weise hat er einige Leute den Henkern ausgeliefert, andere mussten seinen Verrat mit vielen Jahren Zwangsarbeit in Sibirien büßen. Soviel ich weiß ist er jetzt irgendwo als Tierarzt angestellt.]

Die Unterhaltung mit dem liebenswürdigen Obersten kam nicht recht in Fluss, und ich war froh, als man mich rief.

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Verhör in Bezug auf die Ermordung des Generals Mensenzeff

Verhör in Bezug auf die Ermordung des Generals Mensenzeff

Ich wurde in ein komfortabel eingerichtetes Zimmer geführt, wo Staatsanwalt Kotljarewski auf einem Fauteuil vor einem großen Tische saß und in Akten blätterte.

„Ich habe hier einige Schriftstücke, die sich auf Sie beziehen“, erklärte er mir und begann vorzulesen.

„Anfangs August 1878“, las er, „hat die Witwe des ermordeten Barons Heyking, Adjutant des Gendarmeriekorps, in der Nähe der Wohnung des Generals Mesenzeff zwei junge Leute bemerkt, die dem General auflauerten ...“ [Mesenzeff, General der Gendarmerie, ist am 17. August 1878 von den Revolutionären auf offener Straße in Petersburg getötet worden.] Einen dieser jungen Leute nun wollte die Baronin in mir wiedererkannt haben. Am nächsten Tage will sie die beiden abermals auf der Lauer gesehen haben, als sie mit ihrem Cousin, dem Baron Berg, spazieren ging. – Dann kam ein Schriftstück, in dem der Baron Berg die Aussagen der Dame bestätigte.

Es gab eine Zeit – im Jahre 1878 und 1879 –, wo meine Person die Phantasie zahlreicher Menschen aufs lebhafteste beschäftigt haben muss, und viele gaben sich dazu her, mir die Urheberschaft oder die Teilnahme an Vorgängen, die damals an allen Enden Russlands vorkamen, anzudichten. Diese Phantasien fanden den Weg auch in die Presse, und ich selbst war zuweilen erstaunt, wenn ich in den Zeitungen las, was ich alles zuwege gebracht haben sollte; ich kam mir vor wie der leibhaftige Rinaldo Rinaldini (Rinaldo Rinaldini ist eine literarische Figur aus Christian August Vulpius’ Roman Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann, der 1799 in Leipzig in drei Bänden erschien). So weiß ich mich zu erinnern, dass am 25. Mai 1878, als ich noch im Kerker saß, in Kiew eine reiche Gutsbesitzerin ermordet wurde; es handelte sich wohl um einen Raubmord. In der darauffolgenden Nacht wurde Baron Heyking erschossen, und in der Nacht vom 27. auf den 28. Mai floh ich mit zwei Genossen aus dem Gefängnis. Bald konnte ich in den Zeitungen lesen, dass nach Ansicht besonders scharfsinniger Leute sowohl die Gutsbesitzerin als der Baron Heyking von keinem anderen umgebracht sein können als von mir selbst! Danach hätte ich also zweimal das Gefängnis verlassen müssen, um in den beiden Nächten zwei Menschen umzubringen, wäre jedes Mal wieder in den Kerker zurückgekehrt, um schließlich in Gesellschaft zweier Kameraden zu verduften.

Auf dem gleichen Niveau absoluten Unsinns befand sich die Aussage über meine Teilnahme an dem Attentat gegen General Mesenzeff. – Nachdem Kotljarewski mir die Schriftstücke verlesen, fragte er, was ich dazu zu sagen hätte.

„Es scheint, dass die Regierung den Plan nicht aufgibt, mich in Sachen zu verwickeln, die im Auslieferungsvertrag nicht erwähnt sind“, sagte ich. „Ich weigere mich also, irgendwelche Fragen zu beantworten, die sich auf andere Anklagen beziehen.“

„Nun, wenn Sie die Aussage verweigern, lassen wir das“, meinte in aller Seelenruhe Kotljarewski und klappte seine Akten zusammen. „Ich kann Ihnen übrigens sagen, dass ich den Aussagen dieser Herrschaften gar keine Bedeutung beimesse. Soviel ich weiß, waren Sie bereits im Auslande, als Mesenzeff ermordet wurde.“

Ich bejahte. Er schien große Lust zu haben, mich trotzdem noch zu Aussagen in dieser Angelegenheit zu bewegen, da ich aber darauf nicht einging, begann er bald über gleichgültige Dinge zu plaudern. Unter anderem wollte er auch unsere sozialistische Propaganda und unsere Anschauungen erörtern, als ich ihm aber einige Schnitzer nachwies, gestand er, dass ihm unsere Schriften unbekannt waren.

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Begegnung mit Herrn Bogdanowitsch

Begegnung mit Herrn Bogdanowitsch

Während wir sprachen, tauchte auf einmal Herr Bogdanowitsch, der mich in Freiburg rekognosziert hatte, aus einem Nebenzimmer auf. Er begrüßte mich und setzte sich an den Tisch. Wir begegneten uns jetzt ohne allen Groll, als ob wir niemals das scharfe Rencontre miteinander gehabt hätten.

„Sagen Sie, bitte“, wandte ich mich an ihn, „die Sache ist ja nun schon vorbei, wann haben Sie mich in Kiew gesehen? Ich kann mich dessen wirklich nicht erinnern.“

Lachend erklärte er mir, er habe mich einmal im Gefängnis gesehen. Aber an seinem Tone merkte ich, dass er flunkerte. Die Sache verhielt sich wahrscheinlich so, dass er mich in Freiburg einfach auf die Beschreibung Kotljarewskis hin erkannt hatte. Ich war neugierig zu wissen, wann eigentlich die badischen Behörden erfahren hatten, mit wem sie es zu tun haben. Als ich danach fragte, erklärte mir Bogdanowitsch:

„Dass Sie nicht Buligin heißen, erfuhren die Badenser einige Wochen vor der Auslieferung. Damals wurde die Überwachung verschärft, man stellte eine Schildwache vor das Gefängnis. Und dass Sie Deutsch sind, wurde etwa zehn Tage vor meiner Ankunft mitgeteilt.“

Jetzt war mir klar, warum man mir, wie ich erzählte, eine andere Zelle im Gefängnis anwies und warum der Staatsanwalt v. Berg mir die Erlaubnis, russisch zu sprechen, verweigerte, als ich Besuch erhielt.

Beim Abschied fragte ich Kotljarewski, ob man mich wohl bald vor das zuständige Gericht stellen würde. Er tat, als wenn er selbst erstaunt sei, dass man mich so lange in Petersburg behalte.

Das war meine letzte Begegnung mit diesem Herrn. Später erfuhr ich in Sibirien von den eintreffenden Genossen, dass er sich bei den politischen Prozessen geradezu niederträchtig benahm und den größten Hass der Verfolgten gegen sich wachgerufen habe. Man erzählte, dass selbst der vorgesetzten Behörde sein Treiben zu bunt wurde, weshalb man ihm die politischen Prozesse entzog. Vor einigen Jahren war er Vorsitzender des Gerichtshofs in Wilna, wo er jetzt ist, weiß ich nicht zu sagen.

Nach dem geschilderten Verhör war ich umso mehr überzeugt, dass die Regierung sich noch nicht dazu bequemt hatte, mir keinen anderen Prozess als den wegen des Attentats gegen Gorinowitsch aufzuhalsen. Jeden Tag erwachte ich mit dem Gedanken, was wohl Neues noch angezettelt werde, ob man mich nicht wieder einem ähnlichen Verhör unterziehen werde. Aber es verging Tag auf Tag, ohne dass irgendetwas unternommen wurde. Es wurde Juli und August, und ich saß noch immer in meiner Zelle.

* * *

Abreise

Abreise

Erst am Ende des Monats August erschienen abermals Gendarmen, und ich erhielt Befehl, mich reisefertig zu machen – man hatte sich endlich entschlossen, mich nach Odessa zu bringen. Als der Wagen durch die Straßen rollte, nahm ich mit Wehmut Abschied von meinem lieben Petersburg, das ich nie wieder zu sehen hoffte...

* * *

IX. Ein Hoffnungsstrahl

IX. Ein Hoffnungsstrahl

Die Reise nach Odessa ging ohne besondere Ereignisse vonstatten. Die Ortsveränderung, die Eisenbahnfahrt, der Anblick von Menschen, ihre Gespräche, das Getriebe auf den Bahnhöfen, alles das wirkte natürlich belebend auf mich ein. Aber die Gegenwart dreier Gendarmen ließ mich nicht für einen Augenblick vergessen, dass ich ein Gefangener sei, der dem Gerichte zugeführt wird. Der Gedanke an die Flucht verließ mich daher nicht, und einmal schien es allerdings, dass die Umstände günstig seien. Es war Nacht; wir befanden uns bereits in der Nähe von Odessa. Ich war eingeschlummert, und als ich erwachte, sah ich, dass alle drei Gendarmen in tiefsten Schlaf verfallen waren. Mein Herz begann in tollen Schlägen zu hämmern. Mein erster Gedanke war, die Schere aus dem Versteck hervorzuziehen, den Bart abzuscheren, dann über die schlafenden Wächter hinwegzuschreiten, auf die Plattform zu gelangen und vom Zuge zu springen. Aber in demselben Augenblick erwachte einer der Gendarmen, er weckte die beiden anderen durch Rippenstöße, schimpfte sie aus, dass keiner wache. Ich stellte mich schlafend und hörte die Szene mit an.

In Odessa erwartete mich ein Gefängniswagen mit vergitterten Fenstern. Anfangs wurde ich in einem Gefängnis für politische Gefangene untergebracht, das von Gendarmen bewacht wurde. Als man meine Sachen visitierte, fiel plötzlich die Schere zu Boden. Das setzte den Verwalter, einen gewesenen Gendarmen, in nicht gelindes Erstaunen. „Schöne Ordnung scheinen sie in Petersburg zu haben!“ rief er. „Eine Schere selbst lassen sie dem Gefangenen!“

Er glaubte, ich hätte sie offen in meinem Gepäck geführt, und ich ließ ihm natürlich den Stolz, schlauer zu sein als seine Kameraden in der Hauptstadt.

Es ging in diesem Gefängnis ähnlich zu wie in der Peter-Pauls-Feste; ebenso groß, ziemlich düstere Zellen, ebenso erträgliche Kost, die gleiche streng formalistische Haltung der Gendarmen und die gleiche ununterbrochene Stille ringsum. Um auch hier sofort die Lage infolge der Auslieferungsbedingungen von Seiten Deutschlands zu pointieren, drückte ich bei der Ankunft mein Erstaunen darüber aus, dass man mich in ein Gefängnis für Staatsverbrecher bringe. Ob dieser Protest oder eine Instruktion aus Petersburg es bewirkte – man brachte mich nach einigen Tagen in das Kriminalgefängnis.

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Ein unerhörtes Regime

Ein unerhörtes Regime

Es war Abend. Ich werde diesen Abend wohl nie im Leben vergessen. Man führte mich in eine Zelle, und als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, konnte ich anfangs nichts sehen. Die Zelle war finster, und nur durch das kleine Fenster in der Tür fiel ein schwacher Lichtstrahl von einer Lampe, die sich außerhalb befand. Als sich das Auge so an die Dunkelheit gewöhnt hatte, begann ich mein neues Quartier zu mustern; die Zelle war kreisrund, weder Pritsche, Stuhl oder Tisch waren vorhanden, am Boden lag etwas Stroh, der „Kübel“ stand daneben und ein hölzerner Wassereimer – sonst nichts. Ich war höchst erstaunt und glaubte, es handle sich um ein Missverständnis. Ich ging zur Tür und bemerkte durch das Guckloch, dass zwei Soldaten mit dem Gewehr im Arme Wache standen, während auf einer Bank in der Nähe ein Gendarm und ein Polizeidiener saßen. Ich hatte schon manches Gefängnis gesehen, aber diese Einrichtung war mir neu.

„Hören Sie, was ist denn das? Wo ist die Bettstelle, die Matratze?“ fragte ich, den Kopf durch das Fensterchen steckend.

„Weiß nicht!“ gab der Gendarm roh zur Antwort.

„So rufen Sie den Verwalter!“

Er rührte sich nicht. – Nach einiger Zeit erschien der Vertreter des Verwalters.

„Sagen Sie mir, was das zu bedeuten hat?“ fragte ich, auf die Einrichtung der Zelle deutend.

„Ich weiß gar nichts“; antwortete er, „wir haben alles nach Befehl gemacht; wenden Sie sich an den Vertreter der Staatsanwaltschaft, der morgen hier sein wird.“

Ich fühlte mich furchtbar niedergedrückt. Selbst auf und ab gehen konnte ich anfangs in dieser tollen Zelle nicht. „Was fange ich an, wie soll ich mich verhalten, wenn man dieses Regime nicht ändert?“ überlegte ich, auf dem Boden sitzend, den Kopf in die Hände gestützt. Schließlich übermannte mich die Müdigkeit, ich streckte mich, ohne mich zu entkleiden, auf das Stroh hin. Kaum aber war ich eingeschlafen, als ich wieder aufsprang: Mäuse waren in das Stroh gekrochen und krabbelten darin herum. Ich begann auf und ab zu laufen. Jetzt fühle ich, dass die Luft zum Ersticken war, der „Kübel“ strömte Gestank aus; der Raum, wo die vier Wächter sich aufhielten, war winzig klein, und die verdorbene Luft drang in die Zelle. Ich wollte lüften, aber das war unmöglich, weil das Fenster hoch oben an der Decke war und nicht geöffnet werden konnte.

Ungeduldig erwartete ich den Tag, weil ich hoffte, man würde mich jetzt wenigstens Luft schöpfen lassen. Die Stunden schleppten sich endlos dahin. Wieder warf ich mich auf das Stroh, um bald wieder wegen der Mäuse aufzuspringen. Endlich dämmerte der Tag.

„Führen Sie mich an die Luft!“ wandte ich mich an den Gendarmen, der hier die Rolle des Schließers zu spielen schien.

„Habe keinen Befehl“, war die Antwort.

Gegen Mittag erschien der Vertreter des Staatsanwalts. Ich wies ihn auf die furchtbare Lage, in die man mich versetzt hatte, und forderte Remedur; er hörte mich an, versicherte aber, er könne nichts ändern.

„So erklären Sie mir gefälligst, was im Wege steht, mir eine Bettstelle zu gewähren?“

„Sie könnten sie an das Fenster stellen, um zu entfliehen.“

„Aber bitte, überlegen Sie doch nur, was Sie da sagen; vier bewaffnete Leute überwachen mich; wenn ich auf ein Bett steige, gelange ich noch immer nicht an das Fenster, ohne dass einer der Wächter mich bemerkt, dann bin ich doch erst am Fenster im fünften Stockwerk, unter welchem eine Schildwache auf und ab geht, des Weiteren hätte ich noch eine haushohe Mauer zu übersteigen, an deren Außenseite abermals eine Schildwache postiert ist. Sie müssen doch einsehen“, suchte ich den Mann zu überzeugen, „dass unter diesen Umständen ein Fluchtversuch absolut ausgeschlossen ist.“

„Wer kann das wissen!“ rief er; „Sie sind schon mehrmals entwischt.“

„Nur zweimal im ganzen“, korrigierte ich.

„Das reicht gerade. Nun, ich kann nicht.“

Damit ging er.

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