Kitabı oku: «Phantastica», sayfa 3
4. Toleranz und Gewöhnung.
Den eben vorgeführten Problemen gleichwertig ist das der Gewöhnung, das bereits seit frühester medizinischer Zeit die Denker beschäftigt hat. Die Gewöhnung umfasst körper[21]lich reaktive Ereignisse, die bisher keinerlei Möglichkeit einer begründeten, zuverlässigen Erklärung zuließen. Es handelt sich um die Tatsache, dass in jeder Leistungssphäre des tierischen Körpers ein von außen kommender Einfluss, der an sich geeignet ist, eine bestimmte funktionelle Reaktion auszulösen, bei wiederholter Einwirkung, unter sonst gleichbleibenden Bedingungen seiner Form und Masse, allmählich an Wirkung evtl. bis zum Versagen verliert.
Allenthalben im körperlichen Leben begegnet man diesem Ereignis. Wenn durch Druck auf eine Hautstelle, z. B. beim Rudern, Schmerzen und örtliche Veränderungen entstanden sind, so wird, falls sich die wirkende Ursache häufig wiederholt, nach und nach eine Abstumpfung derart eintreten, dass die gleiche Summe der mechanischen Leistung kaum noch empfunden wird und weiterhin örtliche Veränderungen ausbleiben. Dies kann, braucht aber nicht einmal die Folge von Schwielenbildung zu sein. Die sensiblen Nerven können, auch ohne dass eine Schwiele sie schützt, gegen die bezeichnete Art von Insult eine mindere Empfindlichkeit erlangt haben. So sah ich wiederholt, dass Gärtner, die speziell mit Kakteen arbeiteten, bei der Hantierung mit Mamillarien oder Echinokakteen an den Händen viele eingedrungene Stacheln trugen, ohne sonderlich dadurch belästigt zu werden, während bei einem nicht daran Gewöhnten schon ein einzelner infolge seiner Stechwirkung das lebhafte Bedürfnis nach Entfernung erregt.
Ähnliches an den Funktionen von Sinnesnerven zu sehen, bietet sich oft, besonders im praktischen Betriebsleben, Gelegenheit. So wird das Stampfen von schweren Maschinen, das Fallen des Dampfhammers, die Arbeit von vielen Klöppelmaschinen von den berufsmäßig solchen Geräuschen Ausgesetzten ebensowenig unangenehm empfunden als das Abschießen oder die Detonation krepierender Projektile von [22] Soldaten im Kriege schließlich empfunden wird. Alle Sinnesorgane können bei oft wiederholter Wirkung einer gleichen sie reizenden, erschütternden, ihre Funktion in irgendeinem Intensitätsgrade auslösenden Ursache, wie man sagt, eine Abstumpfung ihrer Empfindlichkeit erlangen und erkennen lassen.
Die Art der wiederholt wirkenden Ursache ist in Beziehung auf das schließliche Ergebnis, nämlich die Minderung der subjektiven Wahrnehmung, im Großen und Ganzen von keinem Belang. Jede Reizqualität, deren es ja unübersehbar viele gibt – so viele, dass z. B. selbst schon in der Gruppe der Hautreizmittel, die scheinbar alle die gleiche Einwirkung auf gleicher Grundlage entfalten, ein jedes unterschiedlich von dem anderen wirkt – , vermag eine Abstumpfung der Empfindlichkeit herbeizuführen. Mechanische, thermische, luminare, chemische sind in ihrem diesbezüglichen Endergebnis gleich. Dies erkennt man als eine Wahrheit, wenn man bei dem erstmaligen Aufenthalt in einem Schiffsheizraum durch die strahlende Hitze glaubt ersticken zu müssen und ihn alsbald wieder verlässt, aber bei öfterer Wiederholung von solchen Unerträglichkeitsgefühlen sich frei fühlt. Wenn man zum erstenmal in dem Laderaum eines Akkumulatorenwerkes verweilt und die nebelartig aufstrebende Schwefelsäure Reizwirkungen auch höchsten Grades mit den entsprechenden Symptomen in den Luftwegen veranlasst, so hält man es für unmöglich, dass ein berufsmäßiger Daueraufenthalt in einem solchen Räume möglich sei – und doch arbeiten Menschen darin, ohne erkennen zu lassen, dass die Säure an der Schleimhaut ihrer Luftwege subjektiv das erzeugt, was man selbst so unangenehm und unerträglich empfunden hat.
Was unter solchen Verhältnissen, deren sich allein auf dem Gebiete der Beschäftigung mit chemischen Stoffen Hunderte anführen ließen, als materielle Berührungswirkung auftritt, findet erfahrungsmäßig seine Analogie in der Sphäre seelischer Beeinflussungen. Auch hier stumpfen sich Empfindungen verschiedenster Art und Grades, z. B. Ekel, Furcht, Trauer, ja vielleicht sogar Liebe bei langem Bestehen ab. Psychische Eindrücke von größter Lust bis zur stärksten Unlust, von höchster Freude bis zum tiefsten Schmerz verlieren, wenn sie andauernd auf Menschen einwirken, immer mehr und mehr an Einfluss. Es tritt Gewöhnung an sie ein und der Maßstab ihrer Einwirkungen, die subjektiven Empfindungsäußerungen, mit denen jene Affekte gewöhnlich beantwortet werden, bleiben allmählich aus: „L’habitude emousse le sentiment.“9
Wie, wodurch und in welchem Umfange aber auch immer ein Gewöhnungszustand eingetreten ist – niemals besitzt er den Charakter des Absoluten. Es ist als eine Gesetzmäßigkeit anzusprechen, dass jeder dieser Zustände aufhört der zu sein, der er ist, falls der stoffliche Einfluss, der ihn veranlasst hat, in seiner Masse mit einem Male in die Höhe gesprungen ist oder wenn eine Gefahr, an die man so gewöhnt gewesen ist, dass angesichts ihrer die abwägende Besonnenheit nicht mehr als notwendig erachtet wurde, plötzlich einen höheren Umfang oder eine schlimmere Gestalt annimmt oder wenn das gewohnheitsmäßige Abgestumpftsein gegen ein Leiden durch dessen akute Verschlimmerung die bisherigen Empfindungshemmungen beseitigt, also den Toleranzumfang verkleinert. Die gewohnheitsmäßige Toleranz besteht demnach nur für eine bestimmte letzte Summe und eine bestimmte letzte Art eines Gewöhnung erzeugenden Einflusses. So kommt es, dass eine jähe Steigerung der letzten ertragenen Dosis von Morphin oder Kokain oder Nikotin oder Koffein den Gewöhnten so zu vergiften vermag, als wenn sein Körper durch den vorgängigen langen Gebrauch derartiger Stoffe eine relative Sicherung gegen Giftwirkungen nicht erlangt hätte.
Bis zu den einzelligen Lebewesen herab kann man den Einfluss der Gewöhnung verfolgen. Eine Süßwasser [24] amöbe stirbt, wenn man dem Wasser, in dem sie lebt, plötzlich so viel Kochsalz hinzufügt, dass es 2 Proz. enthält. Setzt man dagegen dem Süßwasser allmählich von Tag zu Tag 1/10 Proz. Kochsalz hinzu, so gelingt es, die Amöbe auf einer immer stärkeren Lösung zu züchten, so dass sie endlich auch in einer 2prozentigen Kochsalzlösung leben kann. Bringt man sie in Süßwasser zurück, so stirbt sie. Meerwasser-Amöben und Rhizopoden bleiben am Leben, wenn durch allmähliche Verdunstung das in einem offenen Gefäß stehende Meerwasser selbst einen Gehalt von 10 Proz. an Salz erreicht hat.
Das Wachstum der Bierhefe wird schon durch 0,17 g Fluorwasserstoff im Liter aufgehoben, während die an das Mittel gewöhnte noch in einer Lösung von 1 g im Liter wächst. Der Pneumobazillus geht durch eine Sublimatlösung von 1:15000 zugrunde, wächst aber nach der Akkommodation in einer Lösung von 1:2000 Wasser.
Die Plasmodien von Aethalium septicum können sich an Zuckerlösungen gewöhnen. Der Schimmelpilz, Aspergillus niger, gewöhnt sich an Nährböden mit steigendem Kochsalzgehalt und durch langsame Konzentrationssteigerung an 28 Proz. Natronsalpeter- oder auch an 52 Proz. Glyzerinlösung. Ein anderer Schimmelpilz, Penicillium glaucum, kann nach längerer Entwicklung auf Nickelsulfat enthaltendem Nährboden dahin gebracht werden, die zehnfache, anfangs entwicklungshemmende Menge davon zu vertragen. In ähnlicher Weise konnte dieser Pilz an Kobalt-, Cadmium-, Quecksilber- und Thalliumsalze gewöhnt werden. Schimmelpilze kann man ferner durch geeignetes Einwirkenlassen steigender Konzentrationsgrade an Äthylalkohol von 2-8 Proz. gewöhnen, ja, sogar an Amylalkohol, an Fusel. Während bei dem Schimmelpilz 0,1 Proz. davon jede Fruktifikation verhindert, kann daran gewöhntes Penicillium noch auf einem Nährboden mit 0,4 Proz. Amylalkohol fruktifizieren.
[25] Rhizopus nigricans wächst gut in einer Morphinlösung von 0,005 Proz. Höhere Konzentrationen beeinträchtigen sein Wachstum. Indessen schon nach einer fünftägigen Vorbehandlung gedieh er am besten in einer 0,5 proz. Lösung.
Plasmodien von Physarum gewöhnen sich an arsenige Säure, die ihnen anfänglich feindlich ist und Penicillium brevicaule sowie andere Schimmelpilze besitzen sogar die, für die gerichtliche Chemie so wertvoll gewordene Fähigkeit, sie in riechende gasige Produkte überzuführen.
Auch höher organisierte Lebewesen weisen durch Gewöhnung Toleranz gegen Gifte der verschiedensten Art auf. So können sich Kaninchen an Jequirity (Abrin) derart gewöhnen, dass selbst die vierfache Menge eines Aufgusses davon, die sonst den Tod herbeiführt, ohne Störungen des Allgemeinbefindens vertragen wird. Selbst an Curare kann bei Hunden und Kaninchen durch allmähliche Steigerung der Dosen eine gewisse Anpassung an das Gift herbeigeführt werden. Man mussdie Menge bald erhöhen, um die nach den ersten Gaben beobachteten Vergiftungssymptome hervorzurufen. So werden Pferde, die Galeopsis tetrahit im Futter aufnahmen, anfangs dadurch stark vergiftet, gewöhnen sich aber schließlich daran.
Ähnliche Beispiele ließen sich viele anführen, z. B. entsprechende Vorkommnisse bei Tieren, die man mit Atropin, einem der Wirkungsstoffe der Tollkirsche, behandelt hat. Mag man Hunde mit kleinen oder großen Mengen dieser Substanz längere Zeit hindurch vergiften, stets findet man nach wenigen Tagen, dass eine Reihe allgemeiner Vergiftungssymptome nicht mehr auftritt, z. B. die Hyperaesthesie der Haut, das Zittern des ganzen Körpers, die Unruhe usw. Schon nach 5-10 Atropineinspritzungen kann man sie nicht mehr von ganz normalen unvergifteten Tieren unterscheiden. Ja, selbst ein örtlich so brutal ätzender Stoff, wie Dimethylsulfat, ließ bei einigen Kaninchen, die damit in allmählich steigenden Dosen gefüttert wurden, an einem Tage bis 0,15 [26] bzw. 0,2 g ohne plötzliche Vergiftung geben, während 0,075 g andere nach 24 Stunden wohl stets töten.
Tiere, die zum ersten Male der Einwirkung des Kohlenoxydgases ausgesetzt werden, zeigen eine stärkere Beeinflussung, z. B. in Bezug auf ihre Körperwärme, als diejenigen, die schon daran gewöhnt sind.
In gleicher Weise findet Gewöhnung an physikalische Faktoren, z. B. an verdünnte Luft auf hohen Bergen statt. An Orten Boliviens, wie Bogota, Potosi, La Paz und anderen, die sich bis 2600-4000m erheben, findet man die körperliche Leistungsfähigkeit der Einwohner in nichts unterschiedlich von derjenigen der Bewohner des Flachlandes. Es handelt sich hierbei um Höhen, die der des Montblanc gleichkommen, wo Saussure kaum noch Kraft besaß, seine Instrumente abzulesen, während seine Führer, abgehärtete Bergbewohner, ohnmächtig wurden. Während der Nichtgewöhnte in großen Höhen anfangs eine auch bei absoluter Ruhe nachweisbare und bei Bewegung viel stärker auftretende Pulsbeschleunigung bekommt, wozu sich meistens Herzklopfen, Oppression und allgemeines Unbehagen gesellt, wird der Puls bei Gewöhnten nach 8-10 Tagen normal und nur seine Spannung bleibt erhöht. Ebenso verhält sich die Atmung, die anfangs häufiger, später normal wird.
Eine solche Höhenanpassung trat in besonders deutlicher Weise bei den an dem Besteigungsversuch des Mount Everest im Jahre 1922 Beteiligten zutage. Anfänglich stellten sich Atemnot und Kopfweh und bei 5000 m Cheyne-Stokessche Atmung ein. Auf etwa zehn oberflächliche Atemzüge folgten einige, die allmählich tiefer wurden und in drei oder vier tiefen Zügen gipfelten, die sich dann wieder verflachten, bis die Runde von neuem begann. Nach mehrwöchentlichem Aufenthalt schwanden alle unangenehmen Erscheinungen. Die Schnelligkeit der Angewöhnung zeigte sich auch bei schwieriger Bergarbeit. Die Anpassungsfähigkeit dauerte schon nach wenigen Tagen in einer Höhe von 6400 m an.
[27] Was im Anfange in Überwindung von Schwierigkeiten Kampf gekostet hatte, wurde dann zu leichter Verrichtung. So wurde es möglich, ohne Sauerstoff bis 8200 m vorzudringen. In dieser großen Höhe vollzog sich gleichfalls die Anpassung sehr schnell.
Noch eine andere Erfahrung: In der Südbretagne ist die Luft so stark mit Salz getränkt, dass manche nach den ersten Tagen des Aufenthalts einen schmerzhaften, kolikartigen Zustand bekommen, der drei bis acht Tage andauert. Hat man ihn überstanden, so kehrt er nicht wieder.
Es gibt kaum ein Gewebe des Körpers, das durch eine geeignete Behandlung nicht zu einer Toleranz gegenüber einem sonst schädlichen Einfluss gezwungen werden und kaum einen funktionsverändernden Stoff im weitesten Sinn des Begriffes, der durch Gewöhnung an ihn nicht teilweis oder ganz seine Wirkung an bestimmten Geweben verlieren kann.
Nach meinen Versuchen scheint nur die Gruppe der den Blutfarbstoff verändernden Gifte und der Phosphor hierin eine Ausnahme zu machen.
Die Anpassung der Gewebe vollzieht sich, wie ich schon hervorhob, meistens in größerem Umfange nur für ein gewisses äußeres Verhältnis oder für einen bestimmten Stoff, während sie für einen selbst ähnlich wirkenden fehlen kann. Modifikationen dieses Erfahrungssatzes kommen vor. Einreibung von Krotonöl in die Haut des Kaninchenohres ruft für einige Wochen eine Art von Immunität hervor, die sich darin äußert, dass nach vollständigem Ablauf der Entzündung die betreffende Stelle auf eine erneute Einwirkung desselben Reizes nicht mehr in der gleichen Weise, sondern erheblich schwächer reagiert. Es ließ sich ferner nachweisen, dass auch eine Vorbehandlung mit anderen entzündungserregenden Stoffen die Haut gegen das Krotonöl widerstandsfähiger macht und dass umgekehrt eine vorausgegangene Krotonölentzündung einen gewissen Schutz sogar gegen andere Entzündungserreger ge[28]währt. Die Reizgewöhnung, die auch ohne sichtbare entzündliche Veränderung zu erzielen ist, kann mehrere Wochen anhalten, dann aber nicht gleichzeitig gegenüber allen gewebsreizenden Einflüssen schwinden, sondern am längsten gegenüber demjenigen Reizstoff bestehen bleiben, an den die Haut systematisch gewöhnt worden war. Analoges fand man im Experiment an Menschen. Behandelte man Psoriasiskranke mit dem Reizstoff Chrysarobin in ganz allmählich steigender Konzentration, so wurden die betreffenden Hautstellen nicht nur gegen Chrysarobin weniger empfindlich, sondern auch gegen andere Reize, wie z. B. gegen Kantharidenpflaster und Krotonöl. Hierbei zeigte sich, dass die Toleranz gegen diese letzteren Stoffe bei einer Kranken schon wieder, verschwunden war, während die gegen Chrysarobin noch wochenlang anhielt.
Experiment und praktische Erfahrung liefern in allen diesen Beziehungen die gleichen Ergebnisse. Hundert- und tausendfach lehren sie, wie seitens des Menschen an die verschiedenartigsten Einflüsse Anpassung durch Gewöhnung stattfinden kann und zwar soweit einzelne Organe, z. B. das Gehirn oder der Gesamtorganismus in Frage kommen, so dass auch wohl ein dafür geeigneter Mensch als Präservativ gegen Schlangengift oder Cholera – wie dies einmal in Ostasien beobachtet wurde – sogar die strychninhaltigen Samen von Strychnos Ignatii oder Strychnos nux vomica ohne Steigerung der Menge Jahr und Tag innerlich gebrauchen kann.
Wie ist ein solches Verhalten zu erklären? Es leuchtet von vornherein ein, dass die jeweilig das Phänomen der Gewöhnung auslösende Ursache nicht auch den Grund der Gewöhnung abgeben kann, dieser vielmehr nur in dem betroffenen Individuum liegen muss. Schon fast 400 Jahre vor unserer Zeitrechnung wurde ausgesprochen: „Von allen Arznei- und Giftpflanzen werden die Wirkungen durch Gewohnheit schwächer. Bisweilen werden sie dadurch ganz unwirksam. Die Natur des Menschen besiegt sie, als wären sie keine Gifte mehr.“ Hier wird der menschliche Körper [29] kraft seiner Organisation zum Zerstörer der Giftfähigkeit bzw. der Giftwirkungen gemacht. Anders etliche Jahrhunderte später Galen: Er erzählt, wie ein altes athenisches Weib sich dadurch an Schierling gewöhnt habe, dass sie, mit kleinen Mengen beginnend, zuletzt davon auch sehr große ungestraft hat nehmen können, weil ,,im Beginne die kleine Giftmenge nur durch ihre Kleinheit besiegt wurde, die Gewöhnung aber das Mittel zu einem natürlichen, verwandten machte“.10
Mancherlei Vorstellungen über den letzten Grund des Geschehens bei der Gewöhnung, z. B. an Morphin oder an ähnlich wirkende Stoffe, sind möglich. Ich weise diejenige zurück, die darauf hinausläuft, es mehr als möglich sein zu lassen, dass nach Maßgabe der eingeführten Menge des Gewöhnungsstoffes sich im Körper ein in das Blutserum übergehendes Gegengift, ein „Antitoxin“, bilde, das nicht nur die betreffenden Individuen schütze, sondern sogar in so reicher Menge erzeugt werde, dass auch fremde, dessen bedürftige Menschen noch von der antitoxischen Eigenschaft eines solchen Blutserums Vorteil haben können – eine um so befremdlichere und unwahrscheinlichere Annahme, als ja ein chronisch vergifteter Zellkomplex trotz anfangs gewiss erhöhten Kraftaufwandes für seinen Selbstschutz, weiterhin stets dem Gifte erliegt.
Tatsächlich haben aber nicht wenige und darunter auch meine eigenen Versuche bewiesen, dass eine Bildung von „Antitoxinen“ gegenüber Alkaloiden, Glykosiden, Stoffen aus der Fettreihe oder aromatischen Körpern oder unorganischen Stoffen nicht stattfindet. Es bildet sich kein Morphin- oder Kokain-Antitoxin im Blute und wenn ein angebliches „antitoxisch wirkendes Serum“ aus Tieren dargestellt worden ist, die mit einem dieser oder anderer Gifte chronisch ver[30]giftet wurden, so wolle man annehmen, dass es sich hier um eine unzulängliche Beobachtungskunst gehandelt habe, die auf keinem anderen Gebiete so wie gerade auf diesem Ereignis geworden ist. Der Spuk von Vermutungen verbreitet sich leicht infektiös und Nachbeter, deren die Welt voll ist, finden suggestiv das leicht, was sie glauben finden zu müssen, weil andere glauben, das Richtige gefunden zu haben. Falls irgendein „antitoxisches Serum“ bei einem Kranken einen zeitlichen symptomatischen Erfolg erzeugt, so ist es, was ich zuerst bestimmt aussprach11 und was jetzt von sehr vielen als Überzeugung geteilt wird, das eingespritzte körperfremde Eiweiß, dem dies zuzuschreiben ist. Dies gilt auch für die sogenannten „Heilsera“, die keinerlei „spezifisches Antitoxin“ enthalten.
Ich halte es gleicherweise für unerwiesen und falsch, dass die Gewöhnung an Gifte, wie Morphin, auf die sich immer mehr steigernde Fähigkeit des Organismus, das Morphin zu zerstören, zurückzuführen sei und darauf beruhe. Schon der Nachweis, dass das Gehirn von Ratten, die gegen Morphin immunisiert worden sind, noch eine Stunde nach der Vergiftung, ohne Symptome zu zeigen, größere Giftmengen enthält, als das Gehirn eines nicht immunen Tieres, das durch eine solche Dosis schwer vergiftet ist, spricht dagegen.
Meine Auffassung über das Wesen der Gewöhnung an Gifte habe ich wiederholt zum Ausdruck gebracht12 und sie ist so Gemeingut geworden, dass mancher, der sich danach [31]
über das gleiche Problem vernehmen ließ und sie als zutreffend erkannt hat, schließlich in geistig kommunistischer Anwandlung der Meinung war, dass sie ihm entstammt sei.
Sie stellt sich in folgender Weise dar. Denkt man sich, es wirke ein reaktionsfähiger Stoff einmal auf gewisse Zellkomplexe im Körper ein, so wird irgendeine funktionelle, mehr oder minder erkennbare, ungewohnte Äußerung ihrerseits erfolgen. Die Rückkehr zum üblichen Zustande erfolgt, wenn außer der Erholung der beeinflussten Gewebe die einwirkende Substanz von ihnen frei wird. Bei häufiger Zufuhr eines mit chemischer Energie versehenen Stoffes findet aber weder das Eine noch das Andere statt. Jede neu eingeführte Menge findet noch Reste der früheren und eine eventuell irgendwie veränderte Funktionsfähigkeit des beeinflussten Gebietes vor.13 Während die Zelle durch ihr Leben, d. h. ihre durch chemische oder physikalische Vorgänge erlangten Spannkräfte, eine Zeitlang imstande ist, einen ihr zugeführten fremden, reaktiven, nicht assimilierbaren Stoff in irgendeiner Weise, auch in seinen Wirkungsfolgen zu überwinden, wird sie bei seiner immer wieder erneuten Zufuhr in immer wieder erneuter Inanspruchnahme nicht nur nicht zur Ruhe kommen können, sondern es wird auch ihre Leistungsfähigkeit in dem Vollzuge ihrer üblichen funktionellen Aufgaben und der Überwindung des ihr wesensfremden, auf sie feindlich, reizend oder lähmend wirkenden Stoffes sich allmählich mindern. Jede neue Dosis findet eine Wirkungsbasis von minderer funktioneller Reaktionsfähigkeit vor. Um sie auf ein erforderliches Niveau zu heben, muss eine fortschreitende Steigerung des wirkenden Fremdstoffes erfolgen. Der Vorgang der Abstumpfung der Zellenergie wiederholt sich immer wieder von neuem, bis schließlich bei einer gewissen Dauer des ganzen Prozesses und einer bestimmten, individuell verschiedenen Menge des aufgenom[32]menen Stoffes die Lebensvorgänge in der Zelle nur noch ausreichen, um zu vegetieren, d. h. sich zu ernähren, aber weder genügen für die Abwehr bzw. die Regulation der ihr dauernd zugefügten Leistungsschädigung noch für eine normale physiologische Tätigkeit einschließlich der Aufrechterhaltung der notwendigen Wechselbeziehungen zu andersartigen Organen des Körpers.
Mithin beruht nach meiner Auffassung die Gewöhnung an Arzneimittel und Gifte, die ich als rein vitale Funktion ansehe, nicht auf einer erhöhten Leistungsfähigkeit, sondern auf einer progressiv zunehmenden, wahrscheinlich durch chemischen Einfluss bedingten Schwäche des Zelllebens. Die Adaptation ist die erworbene Unfähigkeit, auf eine bestimmte Summe von Reiz in normaler Weise zu reagieren.
Durch diese wehrlose Schwäche, als Produkt der allmählichen Anpassung, wird in gewissen Grenzen eine Immunität für die Giftwirkung des Reizmittels erlangt. Wird durch ein Übermaß des Mittels die Toleranzzone weit überschritten, so treten Giftwirkungen wie bei Nichtgewöhnten ein: die vegetative Sphäre der geschwächten Zellgruppen wird in ihrer Existenz bedroht und dann geraten auch Funktionen anderer in Unordnung, die von ihnen, auch regulatorisch, beeinflusst werden. Es besteht ja in gesundem Zustande ein inniger, harmonischer, funktioneller Zusammenhang der Körperorgane untereinander. Das normale Verhältnis lässt sich vielleicht als das einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auffassen, in der zwar die einzelnen Gesellschafter eine verschieden große Wertigkeit haben, die aber trotzdem die zweckmäßige Zusammenarbeit aller mit dem auf die Erhaltung normaler Gesamtlebensfunktionen gerichteten Ziel einschließt. Leidet ein Verpflichteter von ihnen, so werden andere in Mitleidenschaft gezogen, versuchen auch bis zu der Grenze [35] ihrer Leistungshöhe für ihren Teil den vorhandenen primären Schaden auszugleichen, gehen dann aber nicht selten, bei dem Versagen ihrer Kraft, ihre eigenen, ihnen vorgeschriebenen Leidenswege. Das Gesellschaftsband ist in irgendeinem Umfange zerrissen und schwer oder nie wieder verknüpfbar. Solche Abhängigkeitsleiden können sich bei jeder krankhaften Störung aus irgendeiner Ursache herausbilden und schlimmer werden als das primäre Leiden.
Wird dem durch Gewöhnung funktionell anders gewordenen Organ, z. B. dem Gehirn, das verursachende Mittel in irgendeinem Umfange entzogen, so wird dadurch der bisher künstlich aufrechterhaltene Gleichgewichtszustand im Ertragen des fremden Einflusses und der Funktion in allen ihren Ausstrahlungen gestört. Das Zelleben war auf das Mittel eingestellt oder wurde von ihm beherrscht und so tritt, wenn es fehlt, Verlangen danach ein. Es erinnert dies an den Salzhunger, den man bei langer Enthaltung dieser Substanz hat. So wie diese als notwendiger Bestandteil des Körpers eingeführt werden muss, so werden auch gewisse narkotische und sogar gewisse nichtnarkotische Mittel durch den gewohnheitsmäßigen Gebrauch für das Gehirn gewissermaßen zu integrierenden Bestandteilen und ihr Fehlen wird so wie der eines elementaren Körperbestandteils empfunden. Man könnte auf diese Weise sagen, das Morphin z. B. werde für einen Morphinisten zu einem Hormon. Es tritt in die Körperverwandtschaft ein. Es wird, wie Galen14 es ausdrückte, „ούμφυτον“.
So konnte ein Mann vier bis sechsmal täglich drei Jahre lang 0,1– 0,2 g Chininsalz sich auf die Zunge schütten und ohne Wasser zu trinken, verschlucken. Nach dem Grunde dieses eigenartigen Verlangens gefragt, gab er an, dass er die Wirkung des Mittels liebe. Wenn er es zu nehmen aufhörte, würde er verworren und könnte seinen geschäftlichen Pflichten nicht mehr ordentlich nachkommen. Und [34] so ist es wahrscheinlich jenem alten Weibe ergangen, von dem Galen angab, dass es sich nach und nach an „Cicuta“, d. h, an den gefleckten Schierling – wohl nicht an den Wasserschierling – gewöhnt habe und so gewöhnten sich sogar die Völker, welche die Spanier auf der Küste von Paria trafen, an den Ätzkalk, mit dem sie ihre Geschmacksorgane reizten, wie es heute noch die Goajiros an der Mündung des Rio la Hacha und Andere tun. Ein Entbehren dieses Reizmittels ruft Störungen in ihrem Allgemeinbefinden hervor.
Ob die Zellwirkung solcher Stoffe mit deren Bindung in der Zelle zusammenhängt15und ohne eine solche nicht denkbar ist, darüber kann man nur Vermutungen hegen. Ich sehe eine Notwendigkeit einer solchen Annahme nicht ein, zumal gerade für die hauptsächlich hier in Frage kommenden narkotischen Stoffe, wie Morphin, Kokain usw., die Bindungsfähigkeit mit dem Zelleib bisher in irgendeiner Ausdrucksform vergeblich gesucht worden ist. Aber selbst, wenn dies der Fall sein sollte, so würde es an meiner analytischen Auffassung des Vorganges nichts ändern; denn letzten Endes ist es für den Erfolg gleichgültig, ob Bindung durch den Zelleib oder vielleicht nur Kontaktwirkung vorliegt. Das Wesentliche liegt darin, dass die Zelle in die Abhängigkeit von einer solchen Substanz gerät. Die Abhängigkeit kann zwangsweise durch deren Entziehung aufgehoben werden. Sie wird dann im günstigsten Falle durch die Kräfte, die immer noch in ihr sind oder die sie durch das Leben neu erhält, funktionell so wieder zu sich kommen, wie ein Chloroformierter oder Ätherisierter, bei welchem Ganglienzellen der Großhirnrinde in ihrer Funktion zeitlich gemindert oder ausgeschaltet waren, nach dem Fortlassen des Mittels wieder in den Normalzustand gelangt. Trotzdem kann in der funktionellen Konstitution der Zelle eine gewisse allgemeine Um [35]stimmung erfolgt sein, die nicht weicht und sich bei irgendeiner Gelegenheit durch leichte Rückfälligkeit in ihr altes Abhängigkeitsverhältnis von einem solchen Mittel bemerkbar macht. Veranlassung hierzu gibt bei dem betreffenden Menschen, bei geeigneter Gelegenheit, meistens die Rückerinnerung an die Annehmlichkeitsgefühle, von denen er in der früheren Gebrauchszeit umfangen war. Die zurückgebliebene allgemeine Willensschwäche – auch eine Folge der Umstimmung des Zellebens gleich derjenigen, die die alten Lustgefühle noch lebendig sein lässt – kann dem erneuten Gebrauch keinen Widerstand mehr entgegensetzen und so erfolgt der Rückfall.
Hier wirken materielle Einflüsse. Ähnlich liegen ja aber auch die Verhältnisse in dem rein seelischen Empfindungsleben. Die Liebe zu einem Weibe kann z. B. zu einer Leidenschaft ausarten, gegen die es keine Wehr gibt, die das Leben des Liebenden in Bezug auf Urteil Wille und Tun so in andere Bahnen lenkt, dass sogar natürliche Hemmungen ausgeschaltet werden. Die Anpassung an dieses andersartige, neue Gefühlsleben erfolgt, selbst wenn dem Individuum daraus Nachteile erwachsen, um so sicherer und fester, je häufiger der persönliche Eindruck des geliebten Gegenstandes zur Wirkung kommt. Wird das Weib als Veranlasserin eines solchen Zustandes unauffindbar dem Gesichtskreis des Liebenden entzogen, so bleibt gewöhnlich eine reizbare Schwäche zurück, die ihn seinem früheren Zustande nicht leicht gleich werden lässt. Er lebt in der Rückerinnerung, die auch wohl verblassen, aber erneut zu der alten Leidenschaft mit allen ihren Folgen aufflammen kann, sobald das Weib wieder in seinen Gesichtskreis gerückt ist.
In Bezug auf die Annehmlichkeitsgefühle als Triebfedern des Gebrauches gibt es schon unter den einzelnen narkotisch wirkenden Stoffen weite Unterschiede. Sie sind die Ursache des größeren oder geringeren Verlangens danach. Der Grund solcher Verschiedenheiten ist exakt nicht angebbar. Wahr [36]scheinlich liegt er in feineren Unterschieden ihrer Reizqualitäten. Bis jetzt vermögen wir der Wirkung und der durch Gewöhnung erlangten allmählichen Anpassung an solche Stoffe nur funktionelle Äußerungen der Zelle zu erkennen, die letzten Endens als chemische aufgefasst werden sollten. Eine morphologische Veränderung an der Zelle war bisher sicher nicht zu erweisen. Wo Abweichungen im feineren mikroskopischen Gewebsbau von Gehirn und Rückenmark sich angeblich gezeigt haben, beruhten sie meiner Ansicht nach auf Beurteilungsfehlern. Selbst da, wo man im Experiment, z. B. bei der Gewöhnung an Hautreize, histologisch die betreffenden Hautstellen genau untersucht hat, fehlten pathologische Veränderungen. Narkotika zeichnen ihre Wirkungen, erkennbar, nicht in das Nervensystem ein. Trotzdem ist es möglich, dass Veränderungen vorhanden sind.