Kitabı oku: «Die Weltenwanderin», sayfa 2

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Kapitel 2

Alexis

Der Gong hallte durch den Klassenraum. Niemanden schien es zu wundern, dass sich Alexis zwischen den Schülern befand und wie selbstverständlich am Unterricht teilnahm. Daran war ja auch nichts Ungewöhnliches.

Milans Blick traf sie nun schon das dritte Mal in dieser Stunde. Alexis hatte das registriert, langsam ging es ihr aber auf die Nerven und verwirrte sie. Schließlich war er einer der beliebtesten Schüler in ihrem Jahrgang. Er gab sich nicht mit Leuten wie ihr ab. Zwar war Alexis keine Außenseiterin, aber um zu den Beliebten zu gehören, hätte sie sich viel mehr in Schale werfen, angesagte Musik hören und sich den Mund über andere Leute zerreißen müssen. Darauf hatte sie dann doch keine Lust. Sollte Milan mal lieber in seiner Liga bleiben.

Da stupste ihre beste Freundin April sie an. Unter dem Tisch hielt sie ein Magazin, nein, eine Zeitung, die sie nun Alexis reichte, um ihr etwas zu zeigen. April war schon immer ziemlich klein gewesen und Alexis hatte nicht das Gefühl, dass sie noch viel wachsen würde. Ihre kurzen, roten Haare bildeten Stacheln und ihre Haut war gebräunt. Gerade im Unterricht vertrieb sie sich oft die Zeit mit irgendwelchen Zeitschriften. Die Stunden verstrichen einfach zu langsam.

»Das ist Maya Grant. Sie ist vor ein paar Tagen verschwunden«, erklärte April gerade aufgeregt und strich mit dem Daumen über das Bild des Mädchens.

Alexis bemerkte den Schatten von Traurigkeit, der sich in Mayas Blick gelegt hatte. Es war so ungewohnt, nun immer ihre Augen zu gebrauchen. Aber Bilder enthielten nicht die Energie der darauf befindlichen Personen und so war sie diesmal für ihre Sehkraft dankbar.

»Und sie kommt von hier? Wieso zeigst du mir das?«

April zeigte auf die Vermisstenanzeige darunter.

Wieder sah Alexis genauer hin. Ein Junge mit schokoladenbrauner Haut und genauso braunen Augen lächelte ihr entgegen.

»Das ist Kaja«, erklärte ihr April aufgeregt, während Alexis überrascht die Luft anhielt.

»Unser Kaja ist …?« Doch sie kam nicht dazu, ihren Satz zu vollenden. Sie spürte, wie eine Ladung gestauter Energie auf sie zukam und wandte sich ab. Herr Brauk schien nicht sehr begeistert zu sein, dass sein Unterricht nicht mit absoluter Hingabe verfolgt wurde.

»Wo ist die Stelle, die ich vorlesen soll?«, fragte Alexis nur, die die Absicht des Lehrers gespürt hatte.

Herr Brauk räusperte sich. »Seite 24, junge Dame. Und passen Sie in Zukunft besser auf!«

Alexis lächelte schwach. »Ich habe aufgepasst, sonst hätte ich wohl kaum wissen können, dass ich lesen soll.«

Und so begann sie auf Seite 24.

Vielleicht hätte sie es wissen müssen. Milan fing sie an der Tür ab.

»Hey«, sagte er und lehnte sich lässig an den Rahmen, doch sie konnte seine Anspannung spüren.

»Hallo«, erwiderte Alexis und wollte gerade aus der Tür gehen, als er vor sie sprang und dies verhinderte.

»Ich wollte dich nur fragen … Hättest du demnächst mal Zeit?«

Der Satz traf sie völlig unvorbereitet. »Was?« Sie runzelte die Stirn. »Nein, hab ich nicht. Echt toll, dass du ausgerechnet jetzt fragst.«

Nun war es Milan, der komisch dreinschaute. »Wie bitte, was?«

Demonstrativ verdrehte sie die Augen. »Ist nicht eben dein Freund verschwunden? Dein bester sogar, soweit ich weiß? Du scheinst ja wirklich besorgt zu sein.« Ihre Stimme wurde lauter, ohne dass sie es wollte. Wenn Milan so wenig an seinem besten Freund lag, was für ein Mensch musste er dann sein? Sie erinnerte sich nur zu gut, wie Kaja und er den Lehrern die Kreide durch Radiergummis ersetzten, die Tafel mit bunten Bilder vollmalten und wenig unauffällig voneinander abschrieben. Wieso also sollte sie sich auf jemanden einlassen, der sich kurz nach Kajas Verschwinden nach einem neuen Freund umschaute?

»Ehm … mochtest du ihn denn?« Fragend zog er eine Augenbraue hoch und Alexis wünschte sich instinktiv, das auch zu können.

»Was spielt das für eine Rolle?«

Milan schüttelte den Kopf. »Er ist schon wieder aufgetaucht«, versprach er, aber Alexis wusste, dass er log. Auch das konnte sie spüren. Da nützte auch das charmante Lächeln, das er aufgesetzt hatte, um sie zu überzeugen, nichts.

»Und, hast du nun heute etwas vor?«

»Du bist unmöglich«, erwiderte sie nur und schob ihn beiseite. »Ich bin heute im Kino, also habe ich ohnehin keine Zeit.«

Und das entsprach sogar der Wahrheit. April wollte unbedingt, dass Alexis das Augenerlebnis der großen Leinwand kennen lernte. Zoe und Jara, zwei Klassenkameradinnen, mit denen sich Alexis und April gut verstanden, wollten mitkommen. Und Alexis hatte natürlich nichts dagegen, sie freute sich sogar schon darauf.

Mit schnellen Schritten entfernte sie sich von diesem seltsamen Jungen, aus dem sie nicht schlau wurde. Sekunden später hallte seine Stimme den Flur hinunter.

»Sag mir nur, wie es kommt, dass du auf einmal hier bist. Wieso bist du hier?«

Was sollte das bedeuten? Kopfschüttelnd lief sie weiter, hielt jedoch an der frischen Luft inne.

Was hat er damit gemeint?

*

Schon als sie vor der Haustür stand und den Schlüssel ins Schloss steckte, hörte sie durch das offene Fenster eine Schlagermelodie klingen. Alexis konnte ein Stöhnen nicht unterdrücken. Sie ahnte bereits, was sie erwarten würde: Tante Claudia hatte mal wieder ihre Lieblingsmusik von Gudrun Schotter aufgelegt und sang jetzt in hohen Tönen mit. Dabei singt sie noch nicht einmal schlecht, dachte Alexis. Das Problem war nur, dass sie die Musik nicht leiden konnte. Wie eigentlich alles, was mit Claudia zu tun hatte.

Den Schlüssel einmal umgedreht und die Tür aufgeschoben, hastete Alexis in den Flur und auf die Treppe zu, die sie nach oben in ihr Zimmer führen würde.

Doch da hatte sie die Rechnung ohne Claudia gemacht, denn diese tauchte im gleichen Moment im Türrahmen auf – mit einer Schürze um den fülligen Bauch ertappte sie Alexis.

»War mir doch, als hätte ich jemanden reinkommen gehört«, meckerte sie und blickte ihr fest in die Augen.

Tante Claudias Dutt saß heute perfekt, was ihre Strenge unterstrich. Im Hintergrund lief noch immer in voller Lautstärke die Musik, sodass sich beide regelrecht anbrüllen mussten.

»Wie kannst du denn bei dem Lärm etwas gehört haben?«, fragte Alexis sichtlich verwirrt.

Da schnalzte Tante Claudia mit der Zunge. »Also wirklich, junges Fräulein …« Tadelnd betrachtete Claudia sie und schüttelte den Kopf.

Doch Alexis verspürte keinen großen Drang, das Gespräch in diese Richtung fortzusetzen und sich wieder einmal anzuhören, ihr würden die Manieren fehlen. Claudia war nämlich stark der Meinung, dass in diesem Haus der Mann fehlte, der schon in Alexis´ frühen Jahren geflüchtet war und sie mit ihrer Mutter allein gelassen hatte. Aber als sie näher darüber nachdachte, verblasste die Erinnerung immer mehr in ihrem Kopf. Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, was sie gerade gedacht hatte.

Irritiert wischte sie den Gedanken mit einer Handbewegung weg, woraufhin Claudia sie nur anstarrte, als stünde eine Geistesgestörte vor ihr. Offenbar hatte es sehr seltsam ausgesehen.

»Heißt das, Mum ist mal wieder nicht da?«, fragte Alexis und versuchte, die Enttäuschung zu verbergen, die in ihr hochstieg.

Wie so oft spielte ihre Tante die Babysitterin. Dass ausgerechnet sie die Rolle übernehmen musste, empfand Alexis als Demütigung. Aber ihre Mutter hatte nun mal nicht genug Geld, um jemanden einstellen zu können. Sie arbeitete von früh bis spät im Büro, sodass Alexis und sie sich kaum sahen. Und eigentlich war Alexis mit sechzehn Jahren mittlerweile alt genug, um auf sich selbst aufzupassen, zudem nun ihr Augenlicht zurückgekehrt war. Trotzdem kam Claudia, zu ihrer beider Leidwesen, immer noch herüber.

Sie spürte den durchdringenden Blick ihrer Tante auf sich.

»Na, wenn ich mir dich so ansehe, frage ich mich doch glatt, wieso sie sich lieber in der Arbeit versteckt, anstatt hier zu sein.«

Autsch. Das tut weh.

»Ich habe übrigens gebacken«, sprach Claudia weiter, als wäre nichts geschehen, »heute Abend ist ein Fest im Dorf. Ich gehe mit Ralf dorthin, kommst du mit?«

Alexis schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht hin, hab schon was vor.«

Claudia warf ihr einen perplexen Blick zu, doch im nächsten Moment erhellten die Züge von Erkenntnis ihr Gesicht, als hätte sie sich eben an etwas erinnert. Obwohl es dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen nichts Gutes sein konnte. Schließlich war ihr Mund zu einem Strich geworden.

Ohne Claudias Antwort abzuwarten, sprintete Alexis endgültig die Treppenstufen hoch und ließ ihre Tante zurück. Noch während sie die Treppe nahm, brüllte sie: »Ich bin Hausaufgaben machen!«

*

»Wow, das war echt … cool«, gab Alexis zu. Ihre Mundwinkel verzogen sich automatisch zu einem verunsicherten Lächeln.

Es war so ungewohnt gewesen, die Personen nicht zu fühlen, die auf der Leinwand miteinander sprachen. Sie hatte keine Ahnung von ihren Energien, hatte sich ganz auf ihre Augen verlassen müssen. Natürlich faszinierte sie diese Art, die Dinge wahrzunehmen, aber es ließ sie auch stutzen. Es war, als hätte man ihr für diese Zeit einen Sinn entzogen, der sich sonst überlebenswichtig angefühlt hatte.

Umso überraschter war sie, als plötzlich jemand Neues hinter ihr erschien. Wieso hatte sie das nicht vorher gespürt? Es war, als würde ihr außergewöhnlicher Sinn allmählich verschwinden. Und ein Teil von ihr sehnte ihn sich mit aller Kraft zurück, auch wenn das bedeuten könnte, die Sehkraft wieder aufgeben zu müssen. Schließlich war er erst in den Hintergrund gerückt, seit sie ihr Augenlicht bekommen hatte.

Langsam drehte sich Alexis um und erkannte den schwarzen Haarschopf wieder. »Milan, schon wieder du?«, fragte sie müde. »Lass mich in Ruhe, habe ich dir nicht gesagt ...«

»Du hättest keine Zeit? Ja, das hast du.« Die Sonne sank allmählich tiefer und tauchte seine Haut in ein zartes Orange. Die Hand hielt er sich über die Augen, damit diese mit Schatten bedeckt wurden. »Aber es ist wirklich wichtig. Ich habe nur ein paar Fragen.«

Alexis zögerte. Sie warf einen Blick auf ihre Freundinnen, die sich bereits kichernd zurückgezogen hatten.

»Bis morgen«, rief April und verschwand mit ihren beiden Begleiterinnen kurz darauf hinter dem großen Einkaufszentrum.

Na toll. Alexis rollte mit den Augen und wandte sich wieder Milan zu. Ein weiteres Mal fragte sie sich, woher sein Interesse kam, da sie ja kaum etwas miteinander zu tun hatten. Nach allem, was sie wusste (und das war nicht viel), waren sie grundverschieden.

Als sie nicht antwortete, redete er einfach weiter. »Seit wann kannst du wieder sehen?«

Alexis runzelte die Stirn. Darum ging es ihm? Versuchte er wie der Doktor, eine Erklärung für ihr Phänomen zu finden? »Das war Samstag. Vor zwei Tagen.«

Der Junge nickte und runzelte nachdenklich die Stirn. »Das ging schnell … Das ging echt schnell …«

»Was ging schnell?«, hakte Alexis nach, die sein Gemurmel neugierig machte.

Doch er schüttelte nur den Kopf, mittlerweile blass geworden. »Seit wann bist du in dieser Klasse, Alexis?«

Fast musste sie lachen. Wollte er sie auf den Arm nehmen? »Das weißt du doch, wir sind von Anfang an auf diese Schule gegangen, seit ...« Doch sie konnte nicht weitersprechen, die Erinnerung wollte erst nicht kommen. Dann fiel es ihr wieder ein. »Seit wir zehn sind. Und soweit ich weiß, hatten wir nie besonders viel miteinander zu tun. Was also willst du von mir?«

Milan schloss kurz die Augen und antwortete, obwohl seine Lippen sich kaum bewegten. »Du warst nie in dieser Klasse.« Er öffnete die Augen und als sie hineinsah, wusste sie, dass es die Wahrheit war. »Vor heute«.

Er drehte sich um und wollte gehen, doch Alexis packte ihn am Arm. »Was redest du da? Wie kommst du darauf?«

Wahrscheinlich versuchte er zu lächeln, jedenfalls zogen sich seine Mundwinkel leicht nach oben. »Weil du vor ein paar Tagen noch blind warst und nicht lesen konntest. Auf welche Schule bist du vorher wirklich gegangen, Alexis?«

Er sprach mit ihr, als würde er einem kleinen Kind das Offensichtliche erklären. Sie hatte kaum wahrgenommen, dass er sich ihrem Griff entzogen hatte und bereits in der Dunkelheit verschwand. Auf welche Schule ging ich? Sie kannte die Antwort. Natürlich kannte sie sie. Schließlich konnte sie die Blindenschrift lesen.

Etwas in ihr tauchte auf, doch sie konnte es nicht erfassen. Es war wie ein Stück von Papier, das vom Großen und Ganzen abgerissen worden war und selbst der eine Buchstabe, den man erkennen sollte, war unleserlich. Sie wollte nach diesem Fetzen greifen, doch er verschwand schon wieder in der Tiefe.

Fragen wirbelten in ihrem Kopf umher und ließen nicht locker. Wieso ging sie auf eine normale Schule mit Leuten, die sie schon ewig zu kennen glaubte? Wieso konnte sie lesen, wie jeder andere Mensch auch? Und die wichtigste Frage war wohl überhaupt: Warum verschwand ihre Gabe?

Aber etwas war ihr klargeworden: Sie hatte keine Ahnung, wie ihre Vergangenheit wirklich aussah. Und sie würde nicht ruhen, ehe sie Antworten auf diese Fragen gefunden hatte.

Kapitel 3

Maya

»Wenn du das Unmögliche ausgeschlossen hast, dann ist das, was übrig bleibt, die Wahrheit, so unwahrscheinlich sie auch ist.«

- Arthur Conan Doyle

»Eine andere Welt?« Maya stemmte die Hände in die Hüfte. »Klar doch, und ich bin die Kaiserin von China«, stieß sie hysterisch hervor.

Der Junge runzelte die Stirn. »Du siehst nicht aus wie eine Kaiserin.«

Fast hätte sie gelacht, aber als sie ihn genauer betrachtete, stellte sie fest, dass er ernsthaft verwundert war. »Das ist nur so 'ne Redewendung. Ihr müsst ganz schön weit weg von der normalen Zivilisation leben, sonst wüsstet ihr das.«

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Maya die beiden und hob den Finger. »Also, wo bin ich?«

Wieder antwortete der Junge, diesmal in einem leicht genervten Ton. »Das sagte ich schon, in Kaltru. Wir wissen nicht, wie du hier her gekommen bist …« Er wandte sich an Ercan, der ihn nicht so überzeugt ansah. »Außer sie ist ...«

»Außer ich bin was?« Maya sah zwischen den beiden Männern hin und her, bis Ercan schließlich ein leises Seufzen hören ließ und antwortete. »Er denkt, du bist die Weltenwanderin.«

Sollte ihr das jetzt etwas sagen? Zumindest ging keine Glühbirne in ihrem Kopf an.

Da fing Ercan – der Starke von beiden – an, zu erzählen. »Die Prophezeiung spricht davon, dass jemand mit der Bezeichnung Weltenwanderin in unsere Welt übergeht. Wir haben auf diese eine Person gewartet.« Kurz sammelte er sich, dann redete er weiter. »Es gibt die Erde und es gibt unsere Welt. Diese beiden Planeten sind Parallelwelten, die sich in den Landbeschaffenheiten gleichen, aber andere Bewohner beherbergen. Auf eurer Seite sind die Menschen, auf unserer … Na, das erfährst du noch früh genug.«

Er räusperte sich, bevor er weitersprach. »Jedenfalls steht in der Prophezeiung geschrieben, dass beide Planeten aufeinander zusteuern und durch einen Zusammenprall alles ausgelöscht wird. Die Weltenwanderin kann zwischen den beiden Welten wechseln und soll dies verhindern. Allerdings ...« Er sah zu den Sternen, als würden sie ihm wie Hoffnungslichter entgegenblinken. Dann senkte er seinen Blick wieder. »Allerdings sollte das schon geschehen sein, daher wurden einige von uns unruhig. Schlachtpläne werden entwickelt, wie man die Erde vernichten kann, bevor sie uns vernichtet.«

Auch Maya sah nun in den Himmel. Ein Teil von ihr war bestürzt über die Ereignisse und sagte ihr, dass sie vorsichtiger sein musste, um nicht in etwas Großes hineingezogen zu werden. Der andere Teil versuchte, alles zu verstehen, und kam zu einem Entschluss: Sie musste träumen. Das war die einzig logische Erklärung. Sie lobte leise ihre Fantasie für diesen Traum und beschloss, einfach mitzuspielen. Sie würde noch früh genug ihren nervigen Bruder, ihre gestresste Mutter und ihre Stifte wiedersehen. Sobald sie aufwachen würde. Diese Vorstellung ließ ihre ganze Anspannung von ihr abfallen und sorgte für einen klaren Kopf. »Wenn es stimmt, was ihr sagt … frage ich mich, warum sieht man die Erde nicht am Himmel? Oder einen anderen Planeten?«

Nun war es wieder der Junge, der antwortete. »Die Erde ist noch zu weit entfernt von unserer Welt. Sie kommt aber im rasenden Tempo näher und es bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Spezialisten schätzen zwei Monate. Und da sich auch dir bekannte Planeten ein gutes Stück entfernt befinden, kann man diese ebenfalls nicht sehen. Wir haben unsere eigenen Planeten, die uns mit Licht und Energie versorgen.«

Irgendwie klingt es schon plausibel, dachte sich Maya. Aber irgendwie auch nicht, denn wieso sollten sich die zwei Planeten selbst ansteuern? Sie äußerte ihre Frage und Ercan zuckte zur Antwort mit den Schultern.

»Es sind Parallelwelten. Es wird vermutet, dass nicht zweimal das Gleiche existieren kann, und um diesem Widerspruch zu entkommen, versuchen die Welten, sich gegenseitig zu vernichten. Es kann auch sein, dass sie sich gegenseitig anziehen, wie zwei Magnete. Niemand weiß das so genau …«

Maya nickte. Das verstand sie, auch wenn sie noch nicht ahnte, welche Wahrheit dahintersteckte. Vor allem fragte sie sich, warum die beiden Bescheid wussten und auf der Erde noch nie jemand von all dem gehört hatte. Oder doch? Vielleicht wusste sie einfach nichts davon. »Und es gibt verschiedene Wesen in den Welten?«

All das schien ihr doch zu abstrus, als dass sie es richtig ernst nehmen konnte. Ercan knackte mit seinen Knöcheln und ließ ein dröhnendes Gähnen hören. »Ja, aber … das wirst du noch erfahren. Eins nach dem anderen.«

Enttäuschung machte sich in ihr breit. So ein interessanter Traum, und dann erfuhr sie noch nicht mal alles!

Ihre Augen suchten die Umgebung ab. Es sah hier wirklich wie in ihrer Heimat aus: Vor ihr erstreckte sich eine lange Straße, die sich in der Dunkelheit verlor. Die Häuser wirkten wie bleiche Fassaden und ließen nichts von ihrem Charakter durchscheinen. In diesem fahlen Straßenlicht schien alles unwirklich und als sie die beiden Männer wieder ansah, bemerkte sie die dunklen Ränder unter deren Augen. Tatsächlich wirkten sie erschöpft.

»So, nun, wo geht es als Nächstes hin? Wo kann ich schlafen?« Die Hemmungen hatte sie wohl in dem Moment verloren, in dem ihr klar geworden war, dass all dies nicht Realität sein konnte. Ernsthaft etwas passieren konnte ihr ja ohnehin nicht.

Der Junge warf Ercan einen vielsagenden Blick zu, der anscheinend weniger überzeugt von der unausgesprochenen Idee war.

»Nein«, Ercan schüttelte den Kopf. »Unter keinen Umständen!«

»Ach, bitte. Du weißt, was passiert, wenn sie ins Hauptquartier gelangt … Wir müssen sie verstecken, bevor er sie findet.«

»Und das bei mir?« Ercan schnaufte verächtlich. »Wir wissen noch nicht mal, ob sie es ist.«

Plötzlich befiel Maya eine Welle der Müdigkeit. Ihre Augen wurden schwer und die Unterhaltung entglitt ihr, die Worte verwirrten sie nur noch … Sie starrte vor sich hin und wartete nur noch auf einen Entschluss.

»Wieso nimmst du sie nicht mit zu dir?«

Maya hatte schon fast vergessen, wie hochnäsig der Junge sein konnte, als er zur Antwort ansetzte. »Ich nehme doch kein Menschenkind mit zu mir! Bah! Nein, bei dir ist sie sowieso viel sicherer. Und mein Zuhause wäre außerdem viel zu gut für sie.«

Ihr wurde bewusst, wie sehr sie fror. Ihre Kleider waren noch immer nass und die Kälte drang bis in ihre Knochen. Bibbernd schlang sie die Arme um sich und betete um ein warmes Bett. Sicher würde sie bald aufwachen, daran hielt sie fest.

»Nun gut, ich nehme sie zu mir. Aber du solltest aufpassen, was du sagst. Sie ist vielleicht unsere Rettung.«

Dankbar warf sie dem großen Mann einen Blick zu. Von dem Jungen, dessen Namen sie nicht wusste, Beleidigungen hinzunehmen, war nicht sehr angenehm. Auch wenn ihr die Worte in diesem schläfrigen Zustand weniger ausmachten als im wachen. Die beiden Freunde brummten noch eine Verabschiedung und dann trottete Maya schräg hinter dem großen Ercan her, der sie durch die stillen Straßen führte.

Maya durchbrach schließlich das Schweigen. »Du glaubst nicht daran, oder?«

Ihre Stimme war leise, und so war sie sich nicht sicher, ob er sie gehört hatte. Unverwandt ging er weiter, nicht einmal den Kopf drehte er zu ihr nach hinten.

Nach einer Weile antwortete er dann doch. »Woran soll ich nicht glauben?« Im Gegensatz zu Maya sprach Ercan laut und scharf, als traue er ihr nicht, obwohl er sie in diesem Moment zu sich nach Hause führte.

Maya musste sich räuspern, ehe sie antworten konnte. Sie hob ihre Stimme an. »Daran, dass ich diese Weltenwanderin bin, wie der Junge es vermutet hat.«

Die Schritte von Ercan wurden langsamer, doch er drehte sich nicht zu ihr um. »Sein Name ist Ian. Und nein, das glaube ich tatsächlich nicht.«

»Wieso?«, drängte Maya weiter, denn sie hoffte sehr, nicht diese Person sein zu müssen. So viel Verantwortung und Aufmerksamkeit? Darauf konnte sie verzichten. Zwei Welten vor ihrer Zerstörung zu retten, wie sollte das gehen? Aber warum war Ian dann so überzeugt davon gewesen? Ian. So hieß er also. Der vorlaute Bengel, der ihr mit seiner arroganten Art gehörig auf die Nerven ging, obwohl sie ihn erst kennengelernt hatte.

Noch während sie auf Ercans Antwort wartete, wurde ihr bewusst, dass sie es diesmal vergebens tun würde.

*

Etwas an Ercans Haus kam ihr seltsam vor, aber in dem schlaftrunkenen Zustand, in dem sie sich befand, wollte sie einfach nicht darauf kommen, was es war. Zumal sie in der Dunkelheit sowieso nicht alles erkennen konnte. Morgen, wenn es hell ist, werde ich mir alles genauer ansehen. Irgendwie gelangte sie wohl ins Innere des Hauses und ehe sie sich versah, fiel sie auf das gemachte Bett, das vermutlich in einem Gästezimmer stand. Sie spürte bereits, wie ihre Augen zufielen, versuchte jedoch mit aller Kraft, wach zu bleiben. Dabei war ihr so schön warm und die Tatsache, dass sie sich in einem fremden Bett befand, störte das Gefühl der Geborgenheit kaum. Sie war so dankbar, sich nun endlich ausruhen zu können, dass sie kaum merkte, wie sie weiter abdriftete. In der festen Absicht alle Erinnerungen auch nach dem Aufwachen zu behalten, versuchte sie, die Geschehnisse dieses Tages durchzugehen, angefangen bei dem See …

Aber es war zu spät und so fiel sie in einen leichten Schlaf, der bald unterbrochen werden sollte.

Geweckt wurde sie von einem lauten Gong, der in jedem Winkel des Hauses widerhallte. Steif blieb sie liegen, da sie dieses ungewohnte Geräusch nicht einzuordnen vermochte, aber als eine Tür aufgemacht wurde, erkannte sie, dass es die Klingel gewesen sein musste, und entspannte sich.

»Du bist aber spät dran«, erkannte Maya Ercans Stimme wieder, dann kam eine zweite, tiefere dazu, die sanfter und leiser klang.

»Entschuldige. Es wird immer riskanter, hierher zu kommen ...«

Maya hörte, wie nun auch Ercan seine Stimme senkte. »Nebenan ist ein Mädchen, das plötzlich in dieser Welt aufgetaucht ist … Ian hält sie für die Weltenwanderin.«

Eine kurze Stille trat ein. Dann ein dumpfer Aufschlag. Jemand musste etwas abgestellt haben.

»Erzähl mir im Wohnzimmer mehr davon. Weiß sie, was wir sind?«

Seine Stimme klang besorgt und sie musste sich anstrengen, um sie überhaupt noch hören zu können.

»Nein … Und besser, sie erfährt es nicht.«

Die Schritte entfernten sich, eine Tür schlug zu und Maya war wacher denn je.

*

Es war ihr irgendwann gelungen, wieder einzuschlafen, allerdings hatte es einige Zeit gedauert. Viel geruht hatte sie also nicht.

Das Licht traf ihre Augen völlig unvorbereitet, sodass sie sich reflexartig eine Hand vor die Stirn hielt. Die Sonne schien hell durch ein riesiges, blitzsauberes Fenster. Als sie sich umdrehte, nahm sie das riesige blaue Himmelbett wahr, auf dem sie geschlafen hatte. Was für ein Gästezimmer! Tatsächlich war alles sehr schön eingerichtet. Gelbe und rote Blumen, deren Namen Maya nicht kannte, standen in allen Ecken des Zimmers. Der dunkelbraune Boden glänzte und die silberne Lampe, die einem kleinen Kronleuchter glich, ließ zarte Farbenspiele auf Boden und Wänden entstehen. Doch außer diesen Dingen war nichts in dem Raum, nur das Bett nahm einen großen Teil der freien Fläche ein.

Maya wollte gerade näher an das Fenster herantreten, eine Hand auf den Mund gelegt, um ein Gähnen zu unterdrücken, als es sachte an der Tür klopfte. Schnell setzte sie sich auf die äußerste Kante des Bettes, in der Erwartung, den grimmigen Ercan wieder zu sehen.

»Herein«, sagte Maya und ihre Stimme klang viel zu hoch in ihren Ohren.

Daraufhin öffnete sich langsam die Tür. Der Anblick überraschte sie. Ein Mann von dunkler Hautfarbe streckte sein schmales Gesicht durch den Spalt. Seine dunklen Augen schimmerten neugierig. »Entschuldige die Störung.«

Da, sie kannte die Stimme … Die Stimme von gestern Abend? Das musste Ercans Mitbewohner sein. Maya erwiderte nichts und der Mann wartete unschlüssig, bis er zu ihr hinein huschte. Er sah so anders aus als Ercan. Seine schokoladenbraune Haut hatte etwas Warmes an sich, das gut zu seinen ebenso braunen Augen passte. Die Haare jedoch waren blond gefärbt und hingen in Rastazöpfen seinen Rücken herunter. Und während Ercan mit seiner stämmigen Figur mächtig Eindruck machte, verlieh die schmale Gestalt dieses Mannes ihm etwas Erhabenes, tatsächlich wirkte er auch einen halben Kopf größer als Ercan.

Doch Maya versuchte, sich von diesem eindrucksvollen Anblick nicht irritieren zu lassen. Sie verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. Nur weil er sympathisch schien, hieß das nicht, dass sie ihm sofort vertraute. »Wer bist du? Und wo ist Ercan?«

»Ich heiße Livian. Und Ercan ist auf der Arbeit. Ich könnte dich herumführen, wenn du magst ...« Seine Stimme wurde leiser, als er sah, wie Maya zurückzuckte.

»Warum bist du auf einmal so ängstlich? Ercan hat mir erzählt, dass du auf ihn ganz anders gewirkt hast. Eher … entschlossen.«

Maya war sich fast sicher, dass er ein anderes Wort im Sinn gehabt hatte, aber seine Worte führten zum gewünschten Effekt. Sie gab ihre verteidigende Haltung auf und stand langsam auf. »Es ist noch alles sehr neu für mich«, erklärte Maya. Und du verunsicherst mich, wollte sie noch hinzufügen, ließ es aber. Er schien so anders zu sein als Ercan und Ian, die ihr eher feindselig gegenübergestanden hatten. Was wollte Livian erreichen?

Sie seufzte leise und deutete auf die Tür. »Gut, ein Rundgang wäre nett. Und ein paar Auskünfte vielleicht?«

Livian zwinkerte ihr zu, bevor seine schmale Hand die Tür aufschob.

Zuerst wollte er ihr das Äußere des Hauses zeigen. Es sei wichtig für das Verständnis, wie sie lebten. Dort, wo kein Sonnenlicht war, kam ihr alles sehr kühl vor. Schließlich gingen sie hinaus und Maya fand sich in einer Art … Burghof wider. Vor ihr stand ein steinalter Brunnen, der von Efeu überwuchert wurde und vermutlich gar nicht mehr zu verwenden war. Stirnrunzelnd schaute sie hoch. Wie nobel und modern doch alles gewirkt hatte und nun, da sie draußen war, war alles wie im Mittelalter? Maya schmunzelte. Das hatte etwas.

»Warte.« Livian hielt sie sanft am Ärmel fest, als sie sich aus dem Hof hinausbewegen wollte, um die Burg von vorne zu sehen. »Warte bitte kurz hier.«

Als er sich umdrehte, bemerkte sie, dass sein langer Zopf nur von einem dünnen Band gehalten wurde, und fragte sich, wie lang es wohl halten würde.

Livian schien ihr sympathisch, trotzdem wäre das jetzt ihre Gelegenheit, sich auf eigene Faust loszumachen. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie auf keinen Fall in einem Traum gefangen sein konnte. Das hier war wirklich. Echt. Träume konnten nicht so lange dauern. Sie hatte hier bereits zu viel Zeit verbracht.

Während die Wahrheit zu ihr durchdrang, lehnte sie sich an den defekten Brunnen. Die Sonnenstrahlen küssten sachte ihre Haut, als wollten sie sie beruhigen. Tatsächlich hätte es ein schöner Tag sein können, aber in ihr begann es zu toben. Ein Wirbel aus Emotionen, die ihr zuschrien, wegzulaufen, nach Hause zu kommen. Verzweiflung nagte an ihr. Es kostete sie all ihre Kraft, sich von ihr nicht auffressen zu lassen. Sie musste einige Male tief durchatmen. Das hier mochte real sein, aber das bedeutete nicht, dass sie für immer hier festsaß. Niemand durfte erfahren, wie schwach sie war, also baute sie erneut eine Mauer um sich herum.

Livian kehrte zurück. Er trug etwas Schwarzes auf seinen Händen.

»Was ist das?«, fragte Maya und betete, dass man ihr die Panik nicht ansah, die in ihr herrschte.

Doch Livian antwortete nicht, stattdessen breitete er das große Stück Stoff aus und legte es ihr über die Schultern. »Schieb die Kapuze nach oben, Chérie. Dann wird dich niemand erkennen.«

Maya tat wie geheißen und zum ersten Mal an diesem Tag schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Einen kleinen Moment lang vergaß sie ihre Angst. »Damit sehe ich ja aus wie ein Dementor.«

Livian runzelte die Stirn. »Bitte, was?«

Aber Maya schüttelte nur den Kopf. »Eine Figur in einem Buch … Ist nicht weiter wichtig.«

Sie gingen auf die Brücke, von wo aus Maya die Burg bewundern konnte. Tatsächlich erinnerten die Zinnen an Hexenhüte, der Stein jedoch war schmutzig und abgenutzt. Nun war es Livian, der ein Seufzen hören ließ.

»Ercan bemängelt immer meinen Hang zur Unordnung. Er meint, ich sollte mal alles putzen, aber darauf habe ich wirklich keine Lust. Und so sieht alles viel echter aus, nicht wahr? Wie früher. Dafür hält Ercan drinnen alles blitzblank, was mich, offen gestanden, manchmal fast wahnsinnig macht …«

Sie wischte nachdenklich ihre schweißnassen Hände an ihrer Jeans ab. »Ich habe euch gestern Nacht reden gehört«, sagte sie vorsichtig. »Ihr wollt nicht, dass ich erfahre, was ihr seid.«

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362 s. 5 illüstrasyon
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9783754188101
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Serideki Birinci kitap "Die Weltenwanderin"
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