Kitabı oku: «Die Weltenwanderin», sayfa 4

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Schließlich konnte sie ihre brüchigen Lippen auseinanderreißen. Die Worte klangen kalt, gestellt, aber was hätte sie sagen sollen? »Nein, mir geht es gut. Ich habe es nur vergessen, ich war heute Morgen wohl zu schläfrig. Entschuldigung für die Störung.«

Dabei erinnerte sie sich genau daran, dass auch Susan heute Morgen gefragt hatte, ob April weg war.

Gehirnmanipulation? Verfälschte Erinnerungen? Nur, an wem? An ihr oder all den anderen Menschen um sie herum?

Ihre Hand fühlte sich auf einmal schwer an, als sie sie sinken ließ und auf den roten Hörer drückte. Eiseskälte erfasste sie. Wie in Trance starrte sie auf einen Baum, dessen Blätter im Wind raschelten. Ein Schauer ging durch ihren Körper, als sich eine warme Hand auf ihre Schulter legte. Sie wollte sie wegschieben, aber dann stellte sie fest, dass es ihr egal war.

»Hey.« Es war Milans Stimme. »Ich wollte dir nur sagen, dass es April bestimmt gut geht. Ich habe eine Vermutung -«

»Was hast du mit ihr gemacht? Wo ist sie und wo warst du?! April hatte Recht, du bist so ein Idiot! Was hätte ich nur anderes erwarten sollen?« Sie zitterte vor unbändiger Wut, aber Milan blieb gefasst vor ihr stehen. Begriff er denn nicht, wie wichtig es war, herauszufinden, wo April steckte? Wie unfassbar qualvoll es war, über nichts Bescheid zu wissen, noch nicht einmal über sich selbst?

Milan pfiff durch die Zähne. »Wow, kannst du temperamentvoll sein. Hätte ich bei dir nicht gedacht.« Er biss sich auf die Lippe. Seine schwarzen Haare standen zerzaust in alle Richtungen. »Ihr geht es gut. Ich erkläre es dir.«

»Na dann los, mach schon! Ich warte.« Noch nie zuvor war Alexis bewusst gewesen, wie hysterisch sie klingen konnte. Doch dies war keine normale Situation.

Milans Stimme klang fast weich, weil er so leise sprach. »Es geht nicht jetzt, nicht hier ...«

Unauffällig sah er sich um und Alexis fragte sich unwillkürlich, wer denn so Spannendes in der Nähe sein konnte. Er warf ihr einen Blick zu, tat irgendwas, sie achtete nicht darauf. Schließlich berührte er ihre Hand und entfernte sich langsam von ihr.

»Ich sag ihnen, dir geht es nicht gut und du gehst nach Hause. Und lies!«

Und lies? Was meinte er damit?

Langsam setzte ihr Gehirn wieder ein, sie spürte etwas in ihrer rechten Hand. Ein Stück Papier. Sie schaute sich um, knüllte es auseinander und tat, was er ihr geraten hatte. Sie las.

Um 14 Uhr beim Bahnhof.

Alexis drehte sich um und ging nach Hause.

Kapitel 5

Alexis

Wieder glitt sie durch eine Wand. April stand mit rosa Wangen vor ihr. Es war in diesem Moment das Normalste auf der Welt.

Alexis lächelte ihr zu und ihre beste Freundin lächelte zurück. April und sie gingen aufeinander zu, mit ausgebreiteten Armen und erwartungsvoller Freude im Gesicht.

Ein Windstoß kam auf, wirbelte vor ihnen herum, als wolle er sie auseinandertreiben.

Etwas tauchte hinter April auf. Ranken mit Dornen und Äste voller Schimmel wucherten empor, machten Anstalten, Aprils Arme und Beine zu fesseln … Dann glitten sie um ihre Hüfte, um ihren Kopf … Es ging alles so schnell, bald waren nur noch wenige Partien von Aprils Gesicht zu erkennen. Der hohe Schrei ihrer Freundin wurde durch die Äste erstickt, die sie vollständig eingenommen hatten und mit sich nach hinten zogen. Sie starrte Alexis an. Ihre Augen flehten um Hilfe. Doch Alexis konnte sich nicht bewegen, der eisige Wind hielt sie fest. Sie wollte zu ihr, um jeden Preis … doch die Ranken rissen ihre Freundin mit sich und glitten mit ihr durch die kahle Wand. Und April war verschwunden.

Die Szene änderte sich schlagartig. Alexis fand sich in dem mittlerweile wohlbekannten weißen Raum wieder. Doch diesmal ließ sie sich nicht täuschen und wollte ihren bereits bekannten Traum nicht ein weiteres Mal durchleben. Sie wollte gegen das wohlige Gefühl ankämpfen, das bereits ihren Bauch erreichte. Wie zuvor auch färbte sich der Raum auf einmal dunkel und ein Tunnel entstand. Und Alexis wusste, dass sie ihn entlanggehen würde und wer sie am anderen Ende erwarten würde. Schließlich kam sie schwer atmend bei dem Licht an, die buckelige Frau verharrte wieder vor ihrem toten Ich.

Doch sie drehte sich nicht um, sie schaute auf, rief etwas, das Alexis nicht verstehen konnte, und dann warteten beide.

Alexis wollte nicht wieder sich selbst sehen, wie sie dalag, von einem weißen Tuch bedeckt, doch fliehen konnte sie ebenso wenig. So stand sie unbeweglich hinter der Hexe, die ungeduldig mit ihren langen Fingernägeln klapperte.

Dann trat jemand hervor und kam an den Rand des Lichts. Es war eine schmale Gestalt, gehüllt in einen braunen Umhang, die Kapuze fest über den Kopf gezogen. Das Gesicht konnte Alexis nicht sehen. Die Gestalt glitt eher über den Boden, als dass sie ging.

»Da bist du ja«, sagte die Frau in Schwarz gehüllt. »Ich habe auf dich gewartet. Sieh an, wer dein Auftrag ist. Sieh sie dir genau an.«

Die Kapuzengestalt schlich näher, die Arme hingen leblos neben ihrem Körper herunter. Alexis trat näher, den Blick auf diese fremde Gestalt gerichtet. Wer war das?

»Du weißt, was du zu tun hast?«

Die Gestalt nickte unmerklich und ihr Kopf drehte sich in Alexis' Richtung. Auch die dunkle Hexe wandte sich nun zu ihr um, die zusammengekniffenen Augen blitzten ihr hämisch entgegen.

Sie war es, die die Worte wieder an sie richtete. »Wie lange kannst du dich wohl noch verstecken? Du bist mein

Alexis konnte ihren Blick nicht abwenden, sie wurde zurückgezogen. Sie wollte etwas rufen, doch es kam ihr nichts über die Lippen …

Und plötzlich war alles weg. Um sie herum bildete sich ein kalter Ort, starre Mauern, ein Gitter und alles war sehr eng. Als wolle jemand Tiere in dieser Zelle halten, war Stroh in allen Ecken zu finden.

Alexis bemerkte einen Jungen, auf dessen Rücken große Schwingen zusammengefaltet lagen, übersät von weißen Federn, die zur Spitze hin immer kleiner wurden. Sein Haar musste einmal ebenso weiß wie die Federn gewesen sein, war jedoch braun und schwarz verschmiert.

Alexis merkte, wie er immer wieder zusammenzuckte und verstand dann, dass der Junge schluchzte. Ein Engel mit Flügeln, die fast die ganze Zelle einnahmen.

Doch warum war er hier drin? Alexis konnte spüren, wie aufgewühlt er war, wie verzweifelt … Sie streckte die Hand nach ihm aus, legte sie auf seine Schulter und plötzlich war es, als sei sie der Engel selbst.

Ich komme aus Majuri. Ich bin einer der vielen Boten aus dem Himmelreich. Jemand hat gewusst, dass ich die Schrift überbringen würde. Jemand wusste, dass ich diese Route nehmen würde. Mein Bruder hat mich gewarnt, er hatte Angst um mich. Irgendwann musste ich ihm mal beweisen, dass er Unrecht mit seiner übervorsichtigen Art hatte, oder? Aber jetzt habe ich das Gegenteil bewiesen. Sie haben mich abgefangen und hierhergebracht. Die wahre Überlieferung wird vielleicht nie ihren Besitzer erreichen. Sie werden sie wahrscheinlich vernichten. Aber ich kenne einen Teil der Botschaft, obwohl ich ihn nicht kennen durfte. Wir Engel stellen nur zu, wir lesen sie nicht. Aber ich war neugierig. Einen Blick konnte ich mir nicht verwehren. Sie werden nach mir suchen. Vergebens. Ich werde das wahrscheinlich nicht überleben.

Der Junge umfasste Alexis´ Hand, die noch immer auf seiner Schulter platziert war. Bitte rette mich. Ihr Herz schlug einmal so stark wie ein Hammer, dann fiel sie nach hinten.

Sie wollte sich aufrichten, sackte aber schnell wieder zurück in ihr Bett. Ein Schwindelgefühl erfüllte sie, das sie nicht erklären konnte. Nur ganz leicht drehte sie ihren Kopf und schaute auf den Wecker. 12:35 Uhr. Ihr Kopf dröhnte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als stocksteif liegen zu bleiben.

Ihre Träume waren so verwirrend gewesen. Sie erinnerte sich an den Engel, der direkt in ihrem Kopf mit ihr gesprochen hatte. Es hatte sich so real angefühlt. Aber genau wie die Hexe und die Kapuzengestalt war es nur etwas, das in ihrem Kopf stattfand.

Nach gut einer Stunde konnte sich Alexis aufrichten, sie wanderte kurz im Haus umher, doch niemand schien da zu sein. Manchmal fragte sie sich, ob ihre Mutter ihr bewusst aus dem Weg ging. Es war kein Geheimnis, dass sie nur wenig Interesse an ihrer Tochter zeigte. Essen, schlafen. Das war es, was sie hier gemeinsam taten.

Schließlich ging Alexis an die frische Luft, noch immer leicht benommen, doch mit einem nervösen Gefühl in der Magengegend. Sie drehte sich kurz um, denn sie fühlte sich beobachtet, die kleine Straße war jedoch menschenleer.

Da beschloss sie, in die Stadt zu laufen, und war überrascht, als sie plötzlich mitten im Bahnhof stand. Sie hatte die Verabredung mit Milan nicht vergessen. Was würde er ihr preisgeben? Wusste er wirklich etwas, oder wollte er ihr nur Schwachsinn erzählen? Sie ließ sich auf einen der Stühle sinken, den Blick auf ihre zusammengefalteten Hände gerichtet. Mit einem Haargummi fasste sie sich die Haare zu einem Dutt, während sie weiter darüber nachdachte, was mit April passiert sein könnte. Hatte ihre beste Freundin ihr nicht geraten, die Träume zu hinterfragen?

Der Traum hatte ihr die Gefahr gezeigt, dass April ihr weggenommen wurde, von Dornen und Ästen verschlungen. Doch war das ihre Angst, die hier zu ihr sprach, oder gar die Wahrheit? Und standen die Äste für dunkle Mächte, oder war das nur ihre Fantasie, die ihr einen Streich spielte?

Ihr Blick wanderte umher und sie sah ständig auf die Uhr. Schließlich war es halb 3 und Milan war immer noch nicht da. Entschlossen sprang Alexis auf und wollte gerade zurück nach Hause wandern, als jemand sie sanft anrempelte.

»Du willst schon gehen?« Milans graue Augen sahen sie entschlossen an. »Ich dachte, du wolltest Antworten hören.«

Um sie herum herrschte Hektik, doch ein paar Leute standen nah bei ihnen. Es war immer jemand dabei, der sie würde hören können.

»Ja, was willst du mir sagen? Du bist spät dran«, erinnerte sie ihn, während ein Mann fast über den Rucksack stolperte, den Milan kurz auf den Boden abgelegt hatte.

»Ich wollte dir nur sagen … es … also ...«

Eine Ansage ertönte, die jegliche Konversation unmöglich machte. Als sie zu Ende war, versuchte es Milan erneut, doch ein älterer Mann drückte sich zwischen sie.

»Hey, was soll das?«, fragte Milan verärgert.

»Geht doch mal aus dem Weg!«, knurrte der Greis in Holzfällerjacke und schob sie beiseite.

Tatsächlich hatten Alexis und Milan direkt vor einem Süßigkeitenautomaten gestanden, an den der Mann unbedingt wollte. »Junge Leute, blockieren einfach alles ...«

Seufzend packte Milan Alexis am Ärmel, um sie mit sich zu ziehen, doch sie riss sich los. »Ich folge dir schon!«, rief sie ihm zu, während er sich durch die plötzlich erschienene Menge ankämpfte. Vermutlich gab es heute ein Heimspiel in Frankfurt. Anders konnte Alexis sich das nicht erklären.

Schließlich stolperten sie in einen Fotoautomaten, und Milan schob den Vorhang vor. »Puh. Das müsste gehen.«

»Du hast dir nicht gerade den besten Ort für ein Gespräch ausgesucht«, merkte Alexis an, während sie das Gemurmel von draußen zu ignorieren versuchte. »Also, was ist jetzt? Was weißt du über Aprils Verschwinden? Und über … mich?«

Milan sah sie nun zögernd an. »Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll, ich muss mich sortieren ...«

Alexis verschränkte die Arme vor der Brust, obwohl alles in ihr drängte, seine Version der Geschichte zu hören.

»Also, ich … sage dir nicht direkt, woher ich das weiß, was ich dir erzähle. Sagen wir, ich habe einen Informanten. April ist tatsächlich nicht in Amerika, wie du angenommen hast. Obwohl jeder das zu glauben scheint.«

Alexis ertappte sich dabei, wie sie kaum merklich erleichtert ausatmete. Also war sie wirklich nicht verrückt geworden!

»Es ist vielmehr so, dass sie woanders hingegangen ist. In eine andere Welt, die sich Kaltru nennt. Sie … hat verborgene Eigenschaften, die sie gerufen haben. Sie wird jetzt ein anderes Leben führen.«

»Verborgene Eigenschaften? April? Sie ist das normalste Mädchen, das ich kenne. Und wo soll diese andere Welt denn sein?«

»Weit weg von der Erde. Es ist ein ganz neuer Planet. Aber April … wird klarkommen. So viel dazu.«

»Das genügt mir aber nicht. Scheint so, als wüsstest du selbst nicht so viel darüber Bescheid.« Alexis versuchte, eine einigermaßen bequeme Position auf der schmalen Bank zu finden.

Milan lächelte herausfordernd. »Es ist mehr, als du vorher wusstest, oder? Du scheinst das Ganze ja gelassen aufzunehmen.«

»Vielleicht liegt es daran, dass ich noch nicht entschieden habe, ob ich dir glauben soll.«

Er biss sich auf die Lippe, während die Geräuschkulisse anhob.

Eine ältere Frau lugte herein. »Seid ihr endlich fertig? Herumknutschen könnt ihr auch wo anders! Ich will mit meiner Nichte Fotos machen!« Ihr Kopf war wieder verschwunden, sie hatte noch nicht einmal eine Antwort abgewartet.

»Gut, erzähl mir schnell, was du über mich weißt. Warum wusstest du, dass ich nie auf unsere Schule gegangen bin?«

Milan lächelte gequält. »Lexi ...«

»Nur Freunde nennen mich Lexi.«

»Du solltest mir wirklich allmählich vertrauen.«

»Sollte ich das?«

Milan seufzte. »Du bist nicht die, für die man dich hält.«

»Sag bloß, ich habe auch verborgene Eigenschaften?« Ihr wenig überzeugter Blick traf Milans.

»Bei dir ist es anders. Du hattest sie schon von Anfang an. Jetzt verblassen sie allmählich, wie dir bestimmt schon aufgefallen ist. In einer anderen Welt nennt man dich Die Weltenwanderin. Aber du … bist … vielleicht gefährlich. Ziemlich sicher sogar. Du wirst uns mit deinem Plan nur viel früher ins Verderben mitreißen.«

»Was?«

Die alte Dame schaute wieder herein, diesmal mit einem schicken blauen Hut. »Wird’s bald? Ich habe doch gesagt ...«

»Wir sind gleich fertig!« Energisch schob Milan den Vorhang wieder vor.

Alexis funkelte ihn an. »Und warum bin ich jetzt plötzlich gefährlich?«

»Vielleicht solltest du dich zurückziehen. Wir sollten nichts mehr miteinander zu tun haben, das wird sicherer sein …«

»Was zum … Du wolltest doch andauernd mit mir reden. Zuerst soll ich dir vertrauen und jetzt bin ich eine Gefahr für dich?«

»Nicht nur für mich, ich-« Milan schob etwas Geld in den Automaten, während Alexis das Ganze ungläubig beobachtete. Schließlich drückte er ein paar Knöpfe. »Komm, lass es uns hinter uns bringen.«

Nach ein paar Blitzen stiegen sie hinaus. Milan schob ihr etwas in die Tasche, bevor er in der Menge verschwand.

»Na endlich«, rief die alte Dame, bevor sie mit einer jungen Frau hinter den Vorhang trat.

Alexis schüttelte den Kopf. Sie hatte das Gefühl, noch weniger zu verstehen als zuvor.

*

Die nächsten Tage waren objektiv betrachtet langweilig – und die Nächte seltsam. Noch immer sah sie das Gesicht mit den gelben Augen und April erschien ihr auch immer wieder.

Als sie heute in die Pause ging, hakte sich Zoe bei ihr unter. »Alles in Ordnung bei dir?«, fragte sie. Seitdem sie gemeinsam im Kino waren, hatte Alexis Zoe und Jara nicht mehr gesehen. Letztere tauchte an ihrer anderen Seite auf und lächelte ihr ermutigend zu.

»Es … ist nur, weil April weg ist.« Unsicher sah sie von der einen zur anderen und fragte sich, ob ihre Gefühle ihr wirklich ins Gesicht geschrieben standen.

»Dafür hast du ja uns! Hey, wir könnten doch mal etwas unternehmen, oder? Joe, kommst du mit?«

Der Junge mit den blonden Haaren, an dem sie fast vorbeigelaufen wären, hob erstaunt den Kopf. »Äh … klar.«

Sie warteten auf ihn, bis er sein Gespräch mit der Lehrerin beendet hatte.

»Komm, besprechen wir das draußen«, meinte Jara schließlich.

So landeten Alexis, Jara und Joe zusammen auf dem Pausenhof. Alexis spürte einen Blick im Nacken, versuchte, jemanden zu erspähen – vergeblich. Oder?

Hinter einer Säule ragte ein brauner Jackenzipfel hervor.

»Alexis?«

»Ja?«

»Wir haben gerade beschlossen am Freitag etwas trinken zu gehen. Kommst du mit?« Joe betrachtete sie schweigend.

Alexis Hirn ratterte langsam, noch immer war sie sich nicht sicher, ob sie beobachtet wurde. Das Gefühl hatte sie die letzten Tage dutzende Male verspürt und sie weigerte sich, dem Gedanken nachzugeben, dass sie halluzinierte.

Sie hatte noch nie Alkohol getrunken. Mit fast siebzehn Jahren war ihr das zwar strenggenommen erlaubt, aber es war für sie nie reizvoll gewesen. Da war sie sich sehr sicher, egal, wie stark ihre Erinnerungen von der eigentlichen Vergangenheit abwichen, das musste gleich sein.

»Ehm, ja klar. Wo treffen wir uns?«

»Wir kommen bei dir vorbei, liegt ja auf dem Weg.«

Alexis nickte und lächelte leicht. Es gab immer ein erstes Mal. Und sie hoffte, dadurch all das zu vergessen, das sie momentan so bedrückte und verwirrte.

Milan war die Tage nicht wieder in die Schule gekommen und Alexis fragte sich allmählich, wo er sich herumdrückte. Sie wusste nicht, ob er die Wahrheit gesagt hatte und sie kannte auch keine Möglichkeit, es jetzt noch herauszufinden. Ihre Gabe rückte weiter in die Ferne, sie fühlte sich schon fast normal und wollte glauben, dass es so war. Aber sie konnte sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass April einfach verschwunden war. Wenn Milan Recht hatte, dann war ihre beste Freundin für immer an einem anderen Ort. Und niemand außer ihr und Milan wusste die Wahrheit. Nur, wieso war sie dort hingekommen? Welche Fähigkeiten sollte sie denn haben? Für Alexis ergab das alles keinen Sinn und dass sie selbst eine Gefahr sein sollte, noch weniger. Sollte sie versuchen, April trotzdem zu suchen? Sollte sie versuchen, ihre eigenen Fähigkeiten, wie Milan sie nannte, zu entdecken? Aber wie sollte das gehen? Und wo sollte Alexis anfangen? Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie Milan weitere Fragen stellen musste. Wer sonst konnte ihr nun weiterhelfen? Doch bis sie ihn wiedersah, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als die Augen offen zu halten.

Nach der Schule ging sie wie gewohnt nach Hause und ließ sich absichtlich mehr Zeit. Ein kurzer Blick nach hinten bestätigte ihre Theorie. Jemand war dort und verfolgte sie. Sie beschleunigte ihre Schritte, bis ihr das Herz bis zum Hals klopfte, wurde langsamer und drehte sich um.

Mitten auf dem Bürgersteig stand eine in einen braunen Kapuzenumhang gehüllte Person. Wurde ihr Traum gerade zur Wirklichkeit oder andersherum?

Alexis schien wie festgenagelt, doch nur einen Augenblick lang. Dann rannte sie auf die Gestalt zu. »Wer bist du?«, rief sie.

Aber der Unbekannte flüchtete und glitt in der gleichen gruseligen Art davon wie in ihrem Traum.

»Was willst du von mir?!« Sie rannte ihm weiter nach. Die Straßen wurden immer enger und kürzer, je weiter sie in die Altstadt vordrang, doch Alexis hielt mit und sah die Person um die nächste Ecke biegen. Sie sprintete ihr nach, schoss um die Ecke – doch die Gestalt war verschwunden. Frustriert strich sich Alexis über das Gesicht.

»Lass mich in Ruhe!«, schrie sie noch einmal. Da bemerkte sie, wie ein kleines Kind sie erschrocken ansah. Alexis biss die Zähne zusammen und machte kehrt. Sie musste wie eine Verrückte gewirkt haben.

*

Sturmklingeln. Das konnten nur ihre neuen Freunde sein, die sie mit in die Stadt nehmen wollten. Alexis musterte sich noch einmal kurz im Spiegel. Sie hatte sich heute Mascara auf die Wimpern gestrichen, versucht, einen dünnen Lidstrich aufzutragen, und roten Lippenstift verwendet. Eine Haarsträhne hatte sie geflochten, die anderen Haare hatte sie offengelassen. Sie hängte sich die Tasche über, öffnete die Tür und lachte überrascht, als gut zehn Leute vor ihr standen.

»Wow, ihr seid so Viele! Ich dachte, wir gehen nur zu Viert.«

Jara zwinkerte ihr zu, auch sie hatte sich heute mehr geschminkt als sonst. »Nein, heute doch nicht. Heute wird es legendär!« Das letzte Wort zog sie bedeutungsvoll in die Länge.

Das Gejohle konnte man bestimmt in der ganzen Nachbarschaft hören, aber Alexis genoss es.

»Bin dann weg!«, rief sie über die Schulter, bevor sie die Tür hinter sich zuschlug. Sie war gespannt, wie der heutige Abend verlaufen würde.

*

»Ich muss sagen … Alkohol ist ganz schön ... stark«, meinte Alexis zu Joe, der breit grinsend neben ihr saß. Sie beide hatten ein Bier in der Hand, davor hatten sie einen Schnaps getrunken.

Bunte Lichter bewegten sich auf der Tanzfläche, ebenso wie einige Jugendliche. Ohrenbetäubend laute 90-er Musik drang aus den Boxen und machte ein Gespräch in normaler Lautstärke unmöglich.

»Das liegt bestimmt daran, dass du nicht viel verträgst.«

Alexis nickte schwer mit dem Kopf.

Glücklicherweise hatten sie noch einen Tisch ergattern können, nachdem sich eine Schar Erwachsener erhoben hatte. Joe grinste immer noch. Alexis hatte sich erstaunlich gut über diverse Krimis mit ihm unterhalten können, die sich als ihre Lieblingslektüre entpuppt hatten.

»Daas ... könmte sen. Is' ja auch das esste Mal, dass ich was trink.«

Joe lachte leise und erhob sich. Seine sonst so hellen Haare schimmerten durch die Diskokugel rot und lila. Kurz danach kam er mit einem neuen Bier zurück. Er prostete Alexis zu, bevor er einen Schluck nahm.

»Dein erstes Mal, dass du was trinkst? Oho, es ist mir eine Ehre, dabei zu sein. Und dann hattest du schon einen Schnaps? Mann, mann, mann … Nach dem Bier solltest du erstmal eine Pause einlegen. Du lallst ja schon.«

Alexis riss sich so gut es ging zusammen, damit sie normal klang. Was … nicht so gut funktionierte. »Ja, also … eigentlich is' das schon mein zweites Bier, wenn man's gans genau nimmt. Und wen nennst du hier Süße? Ich bin ein Ungeheuer, das wurde mir schon oft klargemacht.«

Das entsprach der Wahrheit. Milan hatte es versucht. Ihre Mutter. Und dann war da noch ihre nervige Tante, die sowieso alles, was sie sagte, als Lüge abstempelte.

Nun sah Joe sie schräg an. »Was? Ja klar, ein knuffiger Minidrache vielleicht. Wenn du Feuer spucken kannst, sag mir Bescheid.«

Zoe kam zu ihnen herüber. Alexis hatte beobachtet, wie sie einige Male gegähnt hatte.

»Worüber unterhaltet ihr euch?«

»Ich binn ein Minidrache und er hatt su wenig getrungen. Hier, nimm mein Bier, ich bin grade mal auf der Toilette.« Leicht schwankend stand sie auf und versuchte, ihren Blick zu fokussieren.

»Warte, ich komme lieber mit.« Zoe stand gleich wieder auf und stützte Alexis leicht an der Taille. »Nicht umfallen, Lexi. Wir brauchen dich noch.«

Zur Antwort ließ sie ein überdrehtes Lachen hören, und nach einer kleinen Ewigkeit waren sie auf der Toilette angekommen.

»Ich glaube, Joe mag dich.«

Alexis sah sie irritiert an, ging dann in die Kabine und kehrte bald wieder zurück.

»Wie komms‘ du darauf? Weil ich einmal mit imm gesprochen hab?« Sie kippte kurz zur Seite, doch Zoe fing sie auf.

»Er sieht dich so an, weißt du?«

Mit einem ungläubigen Blick schüttelte Alexis den Kopf. »Mh, nö. Ich glaube, du bist in ihn verlibbt und deswegen fragst du mich das jetzz.«

Doch Zoe schien nicht überzeugt. Sanft legte sie ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich frag dich nochmal, wenn du nüchtern bist.«

»Tu das. Ich hol' mir ein Taxi. War schön mit euch.«

Sie schüttelte die Hand ab, küsste Zoe auf die Wange und fand dann die schwere Metalltür, durch die sie gekommen waren. Sie schaute nicht noch einmal zurück. Erst, als sie etwas Ungewöhnliches in ihrer Jackentasche spürte, hielt sie inne. Es hatte eine glatte Oberfläche. Sie zog es heraus und beleuchtete es mit dem Handy. Es war die Fotoserie, die Milan mit ihr im Fotoautomaten gemacht hatte. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, während sich eine Idee in ihr festbrannte. Sie musste jetzt Milan sehen!

Sie trat auf die düstere Straße, die von dem schwachen Schein der Straßenlaternen beleuchtet wurde. Die frische Luft strömte in ihre Lungen und ließ sie aufatmen. Sie würde Milan aufsuchen. Sie würde erfahren, was er gemeint hatte. Die Fotos steckte sie zurück in ihre Tasche.

Warum nur hatte er im Bahnhof mit ihr reden wollen? Die Adresse hatte sie schnell (mehr oder weniger, sie traf oft nicht die richtigen Buchstaben) mit dem Handy herausgesucht, und nun wanderte sie seit zehn Minuten in der Gegend herum.

Da erklang eine Stimme, die ihr vertraut vorkam. Ein paar Meter von ihr stand ein Baum, der einen großen Schatten warf. »Alexis Tanner. Ich habe lange auf dich gewartet.«

Sie kannte die Stimme. Woher kannte sie sie nur?

Die Gestalt trat langsam aus dem Schatten, die braune Kapuze verbarg das Gesicht. »Die Menschen fürchten sich vor allem möglichem. Vor Schlangen, vor Spinnen. Vor Prüfungen und Gefühlen. Wovor fürchtet sich wohl eine Wanderin?«

Die Person kam jetzt schneller auf sie zu. Eine Klinge blitzte auf. Etwas in Alexis sagte ihr, dass nun nicht der richtige Zeitpunkt war, um betrunken zu sein. Sie wusste nicht, wieso, aber ihr Kopf wurde allmählich klarer.

Reflexartig wich sie zurück, stieß Mülltonnen um, die scheppernd auf den Boden krachten. Die Gestalt kam immer noch auf sie zu. Alexis erkannte den Dolch, den sie in der Hand hielt. Sie kam näher, immer näher. Alexis konnte sehen, wie um die Brust des Unbekannten nicht das frische Grün eines guten Herzens, sondern das schlammige Braun eines verdorbenen waberte. Mit jeder Faser ihres Seins spürte sie die Gefahr, die von dieser Person ausging.

Alexis schrie entsetzt auf. Sie drehte sich um und rannte, als ob ihr Leben davon abhing.

Das Taumeln war Vergangenheit, sie nahm nur noch wahr, wie ihr Puls in die Höhe schoss. War das Todesangst?

Plötzlich schloss sich ein stählerner Griff um ihren Arm, wirbelte sie herum und stieß sie zu Boden. Der Fremde trat nach ihr. Ein heftiger Schlag in die Magengrube jagte Alexis Tränen in die Augen.

Langsam zog die Gestalt wieder den blitzenden Gegenstand hervor. »Wovor hast du Angst? Soll ich es dir zeigen?«

Alexis hielt die Augen keuchend geschlossen. »Nein ...«

Sie wollte nicht erfahren, wovor sie sich fürchtete, sie wollte nur weg hier, nur weg … Sie rappelte sich auf, wollte erneut die Flucht ergreifen, aber ein weiterer Schlag traf sie direkt an die Schläfe. Alexis krümmte sich vor Schmerzen. Ihr wurde schlecht, sie wollte sich hinlegen … Doch würde sie jetzt aufgeben? Entschlossen biss sie die Zähne zusammen.

»Wer ...«, stieß sie hervor, »wer bist du?«

»Das willst du wissen? Mein Dolch hat dich doch noch gar nicht berührt. Aber bitte ...«

Und als die Gestalt die Kapuze abnahm, verschlug es Alexis den Atem. Ein blaues Auge, ein grünes. Sie funkelten Alexis siegessicher entgegen. Dann verlor sie das Bewusstsein.

*

Zuerst bemerkte Alexis, dass auf ihr eine Decke lag. Das Nächste war ihr Körper, der sich anfühlte, als seien zehn Laster über ihn gerollt. Ein heißer Schmerz schoss durch ihren Kopf, als sie sich schlagartig aufzurichten versuchte. Die Erinnerungen an gestern Abend kehrten zurück. Da war diese Gestalt … Ein Angriff ... Oh nein.

»Alexis, bist du wach?«

Die Stimme kannte sie. Aber sie wollte nicht, dass er jetzt bei ihr war. Sie musste bestimmt grauenvoll aussehen.

»Ja«, antwortete sie dennoch.

Zaghaft öffnete sie die Augen und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Drei von den vier Wänden waren weiß, die letzte war tiefblau. Eine schwarze Couch stand am anderen Ende des Zimmers und Schreibtisch mit Stuhl fanden ihren Platz. Alles machte einen ordentlichen Eindruck, es lagen nur ein paar Klamotten auf den Stühlen. Er hatte auch ein Bücherregal, allerdings zur Hälfte voll mit DVDs und Computerspielen. Doch das Licht in seinem Zimmer war so hell.

»Alles in Ordnung?«

Alexis sah Milan an. Er hatte seine dichten Augenbrauen nach oben gezogen, seine nassen Haare tropften auf das Bett.

»Entschuldige«, murmelte er, als er ihren Blick sah. »Ich komme gerade aus der Dusche, äh …« Nun fiel ihm offenbar ein, dass er noch kein Shirt angezogen und nur das Handtuch um die untere Hälfte gewickelt hatte.

Alexis schoss die Röte ins Gesicht, aber Milan schien es nicht unangenehm zu finden.

»Bin gleich wieder da«, sagte er und zwinkerte ihr zu.

Am liebsten hätte sie sich unter der Decke zusammengerollt, aber sie riss sich zusammen. Während er weg war, versuchte Alexis, den gestrigen Abend zusammenzufügen. Sie war mit Klassenkameraden aus gewesen, dann hatte sie sich auf den Weg zu Milan gemacht … Wie war sie nochmal auf die Idee gekommen? Sie konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Plötzlich war diese Gestalt aufgetaucht, die … sie selbst war? War es das, wovor sich Alexis am meisten fürchtete? Sie selbst?

Als ein weiterer Stich durch ihren Kopf jagte, legte sie sich wieder hin. Sie atmete in ihre Handflächen, um ihre Hände zu wärmen. Wie lange hatte sie geschlafen? Und wieso war sie nun bei Milan?

Es dauerte nicht lange und der erschien in Jeans und grauem T-Shirt. »So, jetzt bin ich da.« Er setzte sich neben sie aufs Bett.

Erst jetzt fiel ihr auf, dass es mit einer Star-Wars – Bettdecke bezogen war. Sie runzelte die Stirn. »Nein«, sagte Alexis.

»Nein?« Er sah sie fragend an.

»Du hast gefragt, ob alles in Ordnung ist. Die Antwort ist nein, nichts ist in Ordnung. Wie bin ich eigentlich hierhergekommen? Was ist gestern noch …« Sie schluckte. Sie konnte nicht weitersprechen.

»Zunächst mal«, erwiderte Milan ruhig, »habe ich dich gestern nur gefunden, weil du praktisch fast vor meiner Haustür lagst. Ich war gerade auf dem Nachhauseweg, da habe dich mit so einem Typen gesehen. Der ist aber abgehauen, als er mich entdeckt hat. Hab ihm noch nachgerufen, aber da war er schon weg.«

»Und wo warst du gestern noch? Wo warst du überhaupt so die letzten Tage?«

Milans Schultern spannten sich an und er wandte den Blick ab. »Das möchte ich dir nicht sagen. Es ist besser, wenn du es nicht weißt.«

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362 s. 5 illüstrasyon
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9783754188101
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