Kitabı oku: «Sein», sayfa 2
Die Kosmetikerin
Von außen macht der Laden einen sehr guten Eindruck, stellte Nadine fest, während sie die mit Rosenblättern, Flakons und Kosmetikartikeln hübsch dekorierte Auslage des Schaufensters studierte. Alles war geschmackvoll angeordnet, mit viel Liebe zum Detail, ohne marktschreierisch auf spezielle Angebote hinzuweisen. Seit kurzem gehörte zur Parfümerie auch ein Kosmetik- und Nagelstudio. Zum Geburtstag hatte Nadine von Sophie, ihrer besten Freundin, einen Kosmetikgutschein geschenkt bekommen. Es war keineswegs so, dass Nadine eine kosmetische Intensivbehandlung nötig gehabt hätte. Nein, sie litt weder unter poriger Mischhaut, hässlichen Pigmentflecken oder unerwünscht starkem Haarwuchs im Gesicht. Es war einfach so, dass sie und Sophie sich ab und an ein kleines Verwöhnprogramm gönnten, mit Peeling und Gesichtsmassage, Wimpernfärben und Augenbrauenzupfen. Noch besser würde ihnen ein gemeinsames Wochenende in einem Wellnesshotel gefallen, natürlich ohne ihre Männer, ein reines Mädchenwochenende. Aber diesem Wunsch hatten die beiden Doms bislang nicht zugestimmt, und darüber konnten sie sich nicht hinwegsetzen. Denn so war das nun mal, wenn man in einer Beziehung lebte, in der der dominante Partner das letzte Wort hatte und der Submissive bereit war, dies zu akzeptieren. Meistens betraf dies zwar nur die Zeit des sexuellen Rollenspiels, aber manche Paare lebten dies auch im Alltag, so wie sie.
Ein Vogelträllern, das dem eines Kanarienvogel ähnelte, erklang lang anhaltend, als Nadine die Ladentür öffnete und eintrat. Der Verkaufsraum war angenehm klimatisiert und in sonnigen Farben gestaltet. Die Decke war in Zartgelb, die Wände in Ocker, Orange und Weiß gehalten. Gut sortierte Regale mit blitzblanken Glasböden präsentierten die Düfte und Kosmetikartikel namhafter Hersteller, sowie eine breit gefächerte Auswahl an Accessoires.
Eine brünette Mittvierzigerin in einem kornblauen Kostüm blickte durch das metallicblaue Gestell ihrer Brille von einer Bestellliste auf und begrüßte Nadine mit einem freundlichen Nicken.
»Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Tag, ich habe einen Termin zur Kosmetik«, erklärte Nadine.
»Sehr schön – Sie sind Frau Falk?«
Nadine nickte.
»Bitte sehr.« Die Dame öffnete eine verspiegelte Tür zwischen den Regalen, und hieß Nadine mit einer einladenden Geste einen kurzen Flur entlang gehen. »Sie werden schon erwartet. Viel Vergnügen und gute Entspannung, Frau Falk.«
»Danke sehr, die werde ich bestimmt haben.«
Nadines Absätze klackerten bei jedem Schritt auf dem Steinfußboden. Am Ende des Flurs klopfte sie zweimal kurz mit dem Fingerknöchel an die Tür.
Eine helle Stimme rief »Herein«.
Zunächst sah Nadine nur die fuchsroten, zu einem üppigen Pferdeschwanz gebändigten Locken der Frau, die ihr, mit einer geblümten Sommerbluse und einer cremefarbenen Leinenhose bekleidet, den Rücken zudrehte und irgendetwas aufräumte. Dann, als diese sich zu ihr umdrehte, war sie für einen Augenblick sprachlos. Stark getuschte, von einem schwarzen Kajal umrahmte, katzengrüne Augen blickten sie weit aufgerissen an, der knallrote Mund für Sekunden zu einem überraschten Oh geformt.
»Nadine?«, fragte ihr Gegenüber schließlich vorsichtig.
»Hey, das ist ja ein Ding! Hallo Myriam«, erwiderte Nadine, die Stimme verunsichert angehoben und ließ es zu, dass die ehemalige Schulkameradin sie spontan und unerwartet herzlich umarmte. »Dich hätte ich jetzt nicht erwartet.«
Sie lachten beide verlegen, während Myriam Nadines Jacke entgegen nahm und über einen freistehenden Garderobenständer hängte. Auch dieser Raum war in warmen Gelbtönen gehalten, jedoch nicht so kräftig. Die Möblierung beschränkte sich aufs Notwendigste.
Nadine betrachtete Myriam genauer. Ihre Gesichtszüge waren nicht mehr so weich wie noch vor ein paar Jahren. Wir haben wohl alle das Babyface der Jugend verloren.
Nach dem Abitur waren sie einander nie mehr begegnet und auch zur Schulzeit hatten sie kaum ein Wort miteinander gesprochen. Es war eher so gewesen, dass sie einander bewusst ignoriert hatten. Zum Teil hatte dies daran gelegen, dass Nadine sich stets an Sophie orientiert hatte und mit denselben Leuten in ihrer Freizeit abgehangen war wie diese. Ganz abgesehen davon, dass sie beide schon frühzeitig in die Welt der Erwachsenen abgedriftet waren und sexuelle Erfahrungen und Abenteuer gesucht hatten. Wenn Nadine daran zurückdachte, wurde ihr heute noch schlecht. Sie hatten so verdammt viel Glück gehabt, nie an die falschen Männer geraten zu sein. Bestimmt waren sie mehr als einmal haarscharf Bordell und Zuhältern entkommen.
»Das ist ja toll, dass wir uns wiedersehen, wie geht’s dir? Wir haben uns ja eine halbe Ewigkeit nicht gesehen …«, plauderte Myriam unbefangen los, als wären sie damals die besten Freundinnen gewesen.
Nadine hatte das Verhalten ihrer Klassenkameradin während des Unterrichts jedoch stets als ein wenig zu forsch und direkt empfunden, eine Spur zu keck und selbstbewusst. Eigentlich war es dem Auftreten ihrer Freundin Sophie gar nicht so unähnlich gewesen, immer ein wenig provokant und ab der Pubertät etwas zu freizügig. In einem Punkt hatten sich Myriam und Sophie jedoch ganz klar unterschieden. Myriam war viel egoistischer und zickiger als Sophie gewesen, mitunter auch sehr hinterhältig, wenn dies für sie vorteilhaft war. Ganz im Gegensatz zu Sophie, die zwar ihre eigenen Interessen verfolgte, aber nicht auf Kosten anderer, und der stets das Wohlbefinden ihrer besten Freundin am Herzen gelegen hatte.
Nun, vielleicht hatte Myriam sich ja in der Zwischenzeit verändert. Nadine tendierte dazu, jedem eine zweite Chance zu geben, und hinter allem erstmal das Beste zu vermuten. Das war möglicherweise ein wenig naiv, wie Laurin mitunter bemängelte, entsprach aber ihrem positiven Denken. Sie konnte einfach nicht anders.
»So, was darf ich denn für dich tun?«, zwitscherte Myriam unbefangen.
Nadine kramte in ihrer Handtasche. »Ich hab einen Gutschein, den hat Sophie mir zum Geburtstag geschenkt. Du erinnerst du dich doch noch an Sophie?«
»Na klar«, lachte Myriam. »Ihr wart ja wie siamesische Zwillinge. Wo sie war, warst auch du.« Genau in dieser Reihenfolge, nicht umgekehrt, fügte Nadine in Gedanken hinzu. Wobei sie nie das Gefühl gehabt hatte, hinter Sophie hergelaufen zu sein. Sophie war eben viel selbstbewusster und abenteuerlustiger als sie gewesen, und hatte Dinge gewagt, über die Nadine niemals nachgedacht hätte.
Myriam warf einen kurzen Blick auf den Gutschein. »Okay, also, die Classic-Behandlung. Na, dann nimm mal Platz. Die Bluse solltest du ausziehen, damit sie keine Flecken bekommt.«
Sie nahm einen neuen Bügel vom Garderobenständer und sah Nadine dabei zu, wie diese sich auszog, ihr die Kleidungsstücke reichte, und es sich dann auf den weißen Tüchern, mit denen der Behandlungsstuhl abgedeckt war, bequem machte.
»Schönes Dessous«, merkte Myriam mit Blick auf Nadines Busen anerkennend an, während sie ein großes Handtuch über ihrem Oberkörper ausbreitete, und dann ihre Haare mit einem Band aus der Stirn zurücknahm.
Nadine war selbst ein wenig stolz auf den fein gearbeiteten, rosaroten Spitzenbüstenhalter, bei dem es sich um das Produkt einer Designerlinie handelte. Laurin verfügte über einen ausgesprochen guten Geschmack und beschenkte sie gerne mit schöner Unterwäsche. Da machte das Auspacken gleich nochmal soviel Spaß. Es war durchaus verständlich, wenn aus Myriams Worten ein wenig Neid herauszuhören war.
»Mein Freund legt viel Wert darauf.«
»Bezahlt er die Teile wenigstens auch?«
Nadine kicherte. »Oh ja, von meinem schmalen Gehalt könnte ich mir das nicht leisten, und was Einfaches, Billiges darf ich nicht tragen.« Bestimmt fragte Myriam nun gleich, womit sie ihr Geld verdiente.
»Und wie ist er sonst so, dein Freund?«
Okay, ihr Job war also nicht von Interesse.
»Laurin ist ein echter Schatz«, schwärmte Nadine, während Myriam die Behandlung nun damit begann, das Makeup zu entfernen und das Classic-Programm, bestehend aus Peeling, Augenbrauenzupfen, Hautpflege und Gesichtsmassage mit sanfter Massage auszuführen. »Etwas Besseres hätte mir gar nicht passieren können. Er sieht gut aus, hat einen tollen Job, ein Haus geerbt und vor allem ist er immer für mich da. Und du? Was macht dein Freund?«
»Ich? Ach, ähm, mein Freund ist viel unterwegs, gerade wieder mehrere Wochen im Ausland. Er arbeitet für einen großen Konzern. Da gehört das Reisen mit zum Job.«
Nadine hatte die Augen geschlossen und genoss den leichten Druck von Myriams Fingern, mit denen sie ihr Gesicht massierte. Die leise, unaufdringliche Instrumentalmusik, die aus zwei Lautsprechern an der Wand klang, wirkte zusätzlich entspannend. »Oh, das wäre nichts für mich. Wie kommst du damit klar, wenn dein Freund so lange weg ist?«
»Ach, das gehört halt dazu, wenn er erfolgreich sein will. Dafür bringt er mir dann immer etwas Tolles mit und außerdem genieße ich zwischendrin meine Freiheit. Ähm, wenn du möchtest, kann ich dir noch ein tolles Nageldesign machen.«
Offensichtlich wollte Myriam nicht weiter über ihr Privatleben reden. Für Nadine war dies ein sicheres Zeichen, dass es in der Beziehung nicht optimal lief und Myriam die Situation nur schön redete. Aber interessierte sie das überhaupt?
»Im Augenblick sind alle ganz versessen auf unseren zweifarbigen Glitterlack mit einem kleinen Schmetterling in der Mitte.«
»Oh nein, vielen Dank«, lehnte Nadine ab und unterdrückte ein Gähnen. »Du machst das übrigens toll, sehr angenehm, so total entspannend.«
»Gefällt dir so ein Nagelstyling denn nicht?« Myriam ließ nicht locker.
»Doch«, kicherte Nadine schläfrig. »Ich fänd’s ja ganz lustig. Aber mein Dom steht nicht drauf und ich habe gerade keine Lust auf eine Lektion.«
»Lektion? Was meinst du damit?«
Ach du meine Güte, jetzt hatte sie sich verplappert. »Na ja, also, mein Freund steht nicht auf Mädchenkram wie Glitter und Bildchen auf den Nägeln und so.« Nadines Herz schlug schneller. Plötzlich war sie wieder hellwach. Hoffentlich gab Myriam sich mit dieser Begründung zufrieden.
»Aha. Und, was ist ein Dom?«
Verdammt, darüber wollte und durfte sie nicht reden. Nadine schlug die Augen auf und blickte direkt in Myriams Katzenaugen.
»Dom? Ach, das ist eine Art – Abkürzung von Dominik.«
Es war Myriams Mimik anzusehen, dass sie dieser Erklärung keinen Glauben schenkte. »Den Bären kannst du jemand anderem aufbinden, Nadine. Deine Betonung, die klang nicht wie ein Name, sondern eher wie – wie eine Art Titel. Komm schon, mir kannst du es erzählen, wir kennen uns doch schon ewig.«
Das war gelinde gesagt übertrieben. Eigentlich kannten sie sich gar nicht, obwohl sie Jahre in dieselbe Klasse gegangen waren. Allerdings hörte es sich so an, als würde ihre ehemalige Schuldkameradin nicht klein beigeben.
»Du hast gesagt, der Dom würde dir eine Lektion erteilen«, beharrte Myriam auf einer Antwort. Sie schien verdammt gut zuzuhören.
»Na ja«, presste Nadine gequält hervor. »Ich darf nicht darüber reden.«
Myriam grinste breit und zupfte Härchen von Nadines Oberlid, um die Augenbraue in eine perfekte Form zu bringen. Kam es ihr nur so vor, oder zog Myriam besonders langsam an jedem einzelnen Haar, um sie zu quälen?
»Das klingt erst recht interessant. Du willst mir doch nicht weismachen, dass du dir von irgendjemandem sagen lässt, worüber du mit wem sprechen darfst?«
Stimmt, das klingt lächerlich. Bevor der Zufall der ehemaligen Schulkameradin Gerüchte zuspielte und diese eins und eins zusammenzählte, war es vermutlich besser, dieses Thema selbst in die Hand zu nehmen und so harmlos wie möglich darzustellen.
»Okay, es ist so, ich lebe in einer etwas speziellen Beziehung. Hast du schon mal von BDSM gehört?« Nadine bemühte sich um einen eher gelangweilten, beiläufigen Tonfall. Dabei hämmerte ihr Herz protestierend wie eine Aneinanderreihung von Paukenschlägen.
Myriam zog die Augenbrauen hoch. »Ähm, nicht wirklich. Was ist das?«
Sie sollte die Hoffnung begraben, schnell aus dieser Nummer herauszukommen. Nadine ballte die Fäuste unter dem Tuch. »Aber von Sadomaso hast du gehört, oder?«
»Ja, schon.« Myriam kniff die Augen zusammen. »Marquis de Sade, oder?«
Nadine nickte. »Unter anderem.«
»Okay, und weiter?«
»Du behältst das für dich, was ich dir erzähle, nicht wahr?«
»Natürlich«, versprach Myriam, während sie mit routinierten, mechanischen Bewegungen einen mit einer Lotion getränkten Pad gleichmäßig über Nadines Stirn, Nase und Kinn kreisen ließ. »Logo. Meine Lippen sind versiegelt.«
Das glaubte Nadine nur bedingt.
»Also? Erzähl schon. Mach‘s nicht so spannend!«
Nadine seufzte. »Bei BDSM-Beziehungen ist so, dass einer von beiden Partnern der Dom ist, also der dominante Part, der sagt, wo es langgeht, aber auch die Verantwortung übernimmt. Und der andere unterwirft sich seinen Wünschen. In unserem Fall bin das ich. Ich bin seine Sub.« Bestimmt klang das jetzt ziemlich verworren und für jemanden, der damit noch nie zu tun gehabt hatte, vollkommen abstrus. Hoffentlich hörte Myriam jetzt auf zu bohren.
»Du redest jetzt von was genau? Vom Alltag oder von Sex?«
Verdammt. »Ein bisschen von allem. Für manche ist es nur eine sexuelle Spielart, für andere ihre Lebensphilosophie.« Wenn Myriam im Details wüsste, wie ich lebe, du meine Güte. Wobei – wenn sie erfahren würde, wie es bei Sophie zugeht, da würden ihr die Augen vor Neugierde aus dem Kopf kugeln.
»Aha, und für was steht denn dieses Kürzel, dieses wie? BMS?«
Es war Zeit, das Thema zu wechseln. Sie hatte sowieso schon viel zu viel verraten. »Lass uns von etwas anderem reden. Wohin soll dein nächster Urlaub gehen?« Hoffentlich verstand Myriam diesen sprichwörtlichen Wink mit dem Zaunpfahl. »Wir waren letztes Jahr zwei Wochen in der Toscana. Einfach super. Viel anzuschauen, tolle Landschaft, herrliches Wetter. Und dieser Wein, einfach köstlich. Wenn du eine Empfehlung für ein Hotel brauchst …«
Myriams leises Lachen ließ sie innehalten. »Lenk nicht ab, Nadine. Du genierst dich wohl, mich genauer aufzuklären. Ist es dir etwa peinlich?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Na dann erzähl weiter!«
»Aber du behältst das für dich!«, gab Nadine halbherzig nach, innerlich seufzend über ihre eigene Dummheit. Warum plapperte sie manchmal so leichtfertig über ihr Privatleben? Leuten, die ein wenig selbstbewusster auftraten als sie selbst, hatte sie einfach nichts entgegen zu setzen. In sich hinein seufzend schloss sie die Augen, weil Myriam nun mit einem warmen, feuchten Tuch die zuvor aufgetragene Creme wieder von ihrem Gesicht aufnahm. »BDSM ist die Kurzform von Bondage, Discipline oder auch Domination, Sadism und Masochism.«
»Wow, das klingt interessant – und hart. Und was bedeutet das für dich?«
Wasserrauschen war zu hören. Nadines Herz klopfte härter. Was würde Myriam von ihr denken? Andererseits, machte sie sich Mut, war das egal. Jahrelang waren sie sich nicht begegnet und wenn sie künftig zu einer anderen Kosmetikerin ginge, würde sie nicht noch einmal in die Verlegenheit kommen, darüber zu reden. Sie würden sich vermutlich nie wieder sehen.
»Na ja, zu einer BDSM-Beziehung gehört, dass ich als der devote Partner mache, was meinem Dom gefällt. Es baut alles auf einem erotischen Spiel auf.«
»Aha. Dein Dom?«
Nadine drückte sich die langen Fingernägel in die Handinnenflächen bis es schmerzte. »Im BDSM heißt der unterlegene Partner der Sub, und der das Sagen hat, ist der Dom. Von Dominus, lateinisch für Herr.«
»Hm, und was ist dieses Bondage?«
Verdammt, Myriams Gedächtnis schien ja der perfekte Datenträger zu sein und speicherte jedes Wort, zu jeder Sekunde abrufbar.
Nadine lachte gequält. »Du findest es bestimmt verrückt, aber da wird man gefesselt. Nicht einfach so, das sind ganz kunstvolle Verschnürungen. Die sind richtig zeitaufwändig und für beide Partner erregend.«
»Aha. Klingt doch bis jetzt ganz angenehm.«
Ein letztes Mal wurde das warme feuchte Tuch um Nadines Kinn und Wangen gelegt und behutsam gewischt, dann nahm Myriam wieder die Pinzette in die Hand und machte sich daran, Nadine Augenbrauenform zu vollenden.
»Und SM? Ist das nicht irgendetwas Perverses?«
»Ach was. Das meinen nur die Leute, die davon keine Ahnung haben. Pervers ist doch nur etwas, womit der andere nicht einverstanden ist oder was grundsätzlich gegen die gesellschaftlichen Moralvorstellungen verstößt.« Wie gut, dass sie sich Laurins Satz zu diesem Thema gemerkt hatte. Sie selbst hätte das niemals so auf den Punkt bringen können. »Zu SM gehört zum Beispiel, dass der devote Partner, also der Sub, seinen Herrn bedient, und sich von ihm bei Bedarf züchtigen lässt. Sozusagen Peitsche und Zuckerbrot.«
»Ahem, übrigens, ich würde jetzt deine Wimpern färben. Willst du schwarz oder braun? Ich hätte auch ein bläuliches Schwarz. Ich glaube, das passt gut zu deinen Augen.«
»Einverstanden. Mach das.« Eigentlich würde sie lieber aufstehen und gehen. Wenn sie das hinbekäme.
Während Myriam in einem kleinen Porzellanschälchen die Farbe anrührte und Nadine mit ein wenig Creme die Pads unter dem Unterlid auf die Haut klebte, um diese vor der Farbe zu schützen, bohrte sie weiter. »Du lässt dich also freiwillig verprügeln? Ich dachte, du bist emanzipiert genug, dich dagegen zu wehren?«
»So darf man das nicht sehen. Es geht nicht darum, jemandem willkürlich Schmerzen zuzufügen. In der Regel gibt’s auch keine blauen Flecken. Das kannst du wahrscheinlich nicht verstehen, aber es ist ziemlich erotisch.«
»Nee, kann ich wirklich nicht verstehen. Und mit was? Mit der Hand oder ‘nem Kochlöffel oder wie?«
Gar nicht so schlecht geraten, dachte Nadine grinsend. »Tatsächlich kommen auch alltägliche Gegenstände wie Kochlöffel oder ein Lineal zum Einsatz. Alles andere kann man kaufen. Paddel, Peitschen, Rohrstöcke. Je nachdem, wie man das ausleben will.«
Myriams Gesicht erschien über Nadines Kopf. Ihre Augen waren vor Verwunderung weit aufgerissen und auch in ihrer Stimme schwang jetzt so etwas wie Anerkennung mit. »Und du machst solche verrückten Sachen? Das kann ich mir bei dir überhaupt nicht vorstellen. Du warst doch immer eine von den Braven.«
Sie wich wieder auf ihren Drehstuhl zurück und richtete sich Lupe und Lampe über Nadines Gesicht neu ein.
»So, Augen schließen.« Gekonnt strich Myriam die Wimpern auf den Pads glatt und auseinander. »Achtung, ich komme jetzt mit der Farbe.«
Es fühlte sich ein wenig kühl und schwer an, als die Farbe vorsichtig auf die Wimpern getupft wurde. Dann war ein Piepsen zu hören, vermutlich stellte Myriam die Uhr für die Einwirkzeit ein. Das Klappern im Waschbecken kündete davon, dass sie die Utensilien reinigte, die sie zum Anrühren der Farbe verwendet hatte.
»Ich kann mir das gar nicht vorstellen, dass sich jemand mit dem Rohrstock versohlen lässt und das auch noch toll findet. Muss man da nicht ein bisschen daneben sein?«
Das hatte Nadine vor dem ersten Mal auch gedacht. Ein entspanntes Lächeln machte sich auf ihren Lippen breit. Dabei war es so unsagbar aufregend, mit nacktem Po vor Laurin zu stehen und sich seiner Hand hinzugeben, es musste ja nicht unbedingt ein Rohrstock sein. Wenn sie daran dachte, wie er sie vor rund einer Stunde im Flur genommen hatte … Nadine seufzte. »Ich sag ja, ein Außenstehender kann sich das nicht vorstellen, was man dabei empfindet. Dass das sehr erotisch sein kann. Das hat wirklich nichts mit Gewalt zu tun.«
»Da fällt mir gerade Sophie ein. Der hätte Schröder sicherlich gerne eins mit ’nem Rohrstock übergezogen.« Myriam lachte laut. »So ein Luder. Ich werde das nie vergessen, wie sie beim Ausfragen vor dem Schröder stand und ihn mit ihren patzigen Antworten schier zur Weißglut getrieben hat.«
Bei der Erinnerung an den Physiklehrer musste Nadine schmunzeln. Zwischen Sophie und Schröder bestand vom ersten Tag an offene Feindschaft. An den Auslöser erinnerte sich Nadine nicht mehr. Vielleicht war es einfach Antipathie gewesen. Im Gegensatz zu dem Lehrer, der stets eine gewisse Unsicherheit und Verklemmtheit ausstrahlte, war Sophie die Selbstsicherheit in Person. Und das Schlimme war: ihre Antworten waren immer richtig, so dass er ihr nie eine schlechte Note darauf geben konnte.
»Wenn damals in der Schule noch die Prügelstrafe erlaubt gewesen wäre, wäre Sophie wohl öfter fällig gewesen«, stimmte Nadine zu. »Wobei Schröder die gewisse Dominanz gefehlt hat, um sich Respekt zu verschaffen, ganz im Gegensatz zu Leo.«
»Hm, sicher. Und wer ist Leo?«
Du liebe Güte, ich benehme mich heute wie ein altes Tratschweib. Aber jetzt ist es schon egal, wie viel Myriam erfährt, ich hab’s sowieso vergeigt. Ich werde künftig einen weiten Bogen um diesen Laden machen müssen.
»Leo ist Sophies Lover, ein wahrer Dom. Der hat sie ganz gut im Griff.«
»Was genau meinst du damit?«
»Na ja, wenn sie ungehorsam ist, greift er gerne zum Rohrstock. Versteh das nicht falsch – die Erotik steht dabei immer im Vordergrund. Es ist eine Mischung aus Schmerz und Lust, und Sophie bekommt von beidem reichlich.«
»Jetzt mal ernsthaft. Du willst mir also erzählen, ihr macht spezielle erotische Spielchen, bei denen Verbote und Strafen und so Zeugs eine Rolle spielen?«
Der Wecker piepste und Myriam begann vorsichtig, die überschüssige Farbe von Nadines Wimpern zu wischen, ehe sie die Pads wegzog und Nadine die Augen aufschlagen durfte.
»Hm, ja. Oder so.« Nadine biss sich auf die Unterlippe. Es war an der Zeit, die Notbremse zu ziehen, bevor sie sich um Kopf und Kragen redete. Laurin mochte es nicht, wenn sie mit Leuten außerhalb der Szene über Details redete, und es war nicht das erste Mal, dass sie zu viel preisgab. »Das versteht nur jemand, der es selbst ausprobiert hat. Es ist echt aufregend.«
Myriam schüttelte irritiert den Kopf. Sie klopfte mit leichten Fingerschlägen in die zarte Haut um Nadines Augen eine spezielle Feuchtigkeitslotion.
Eine Weile sprach keine von ihnen. Nadine hing ihren Gedanken nach, froh darüber, dass Myriam nicht mehr weiter fragte.
Als Teenager waren sie und Sophie mit dem Erwachen ihrer Sexualität ganz versessen darauf gewesen, alles anders zu machen als die gleichaltrigen Mädchen. Auf der Suche nach dem besonderen Kick, wagten sie sich eines Tages in einen SM-Club, nicht ahnend, was sie dort erwarten würde. Im Nachhinein betrachtet hatten sie viel Glück gehabt, von den anwesenden Männern, die viel älter als sie selbst waren, nicht vernascht und von einem zum nächsten durchgereicht zu werden. Aber der erste Schritt war gemacht, und sie strudelten immer tiefer in die Szene hinein, lernten nach und nach die Praktiken kennen.
»Und wie lernt man jemanden kennen, der auf so was steht?«, unterbrach Myriam die Stille, auf Nadines Gesicht ein dezentes Makeup auftragend.
Wollte Myriam das etwa ausprobieren? Bis eben hatte es sich nicht so angehört, als ob sie interessiert wäre, in die Szene zu schnuppern. Falls sie es aus purer Neugierde wagen sollte, würde sie ihr blaues Wunder erleben. Unter Umständen im wörtlichen Sinne, falls sie einem Dom begegnete, der es für nötig befand, es ihr ordentlich mit dem Rohrstock zu besorgen. Nadine unterdrückte ein hämisches Grinsen. Eigentlich würde es Myriam ganz recht geschehen, wenn sie eine Abreibung für ihre Neugierde bekäme und weil sie keine Ruhe mit ihren Fragen gab.
»Die meisten treffen sich in SM-Clubs. Oder auf speziellen SM-Partys«.
»Aha. Und wie erfahre ich, wann und wo so eine Party stattfindet?«
Irgendwie war es ein gutes Gefühl, ein Gefühl der Überlegenheit, zu den Insidern zu gehören und Bescheid zu wissen. Während ihrer Schulzeit hatte sie sich Myriam nie überlegen gefühlt, eher deren Spott gefürchtet und sie deshalb gemieden. »Wieso willst du das wissen. Willst du etwa hingehen?«
»Warum nicht? Vielleicht entdecke ich dabei ja, was ich bisher versäumt habe?«