Kitabı oku: «Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG», sayfa 10
(3) Tendenzschutz nach Travas?
In der Entscheidung Travas481, die wie der Chefarzt-Fall des BVerfG eine Kündigung wegen Wiederheirat zum Gegenstand hatte482, präzisierte der EGMR seine Vorgaben:
Die nationalen Gerichte hätten sicherzustellen, dass die Kirche ihre Autonomie nicht willkürlich ausgeübt habe, kein sachfremdes Ziel verfolgt worden sei und keine unverhältnismäßigen Auswirkungen auf die Konventionsrechte des Arbeitnehmers bestünden.483 Das Gericht bekräftigte die grundsätzliche Befugnis der Kirchen, Loyalitätsanforderungen an ihre Dienstnehmer zu stellen und Kündigungsentscheidungen an den Verstoß gegen solche zu knüpfen.484 Der Nationalstaat sei allerdings verpflichtet, einen Ausgleich zwischen dem Recht des Arbeitnehmers aus Art. 8 EMRK und der Kirchenautonomie zu finden. Ohne den Begriff der „Verkündigungsnähe“ zu verwenden, stellte das Gericht fest, die Art der Berufstätigkeit des Beschwerdeführers entspringe „[…] einer auf der Lehre einer Religion gründenden Gesinnung […], […] die das Privatleben und die persönlichen Überzeugungen ihrer Anhänger bestimmen will […].“485 Daher seien im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit erhöhte Loyalitätsanforderungen zulässig.486 Ferner prüfte der Gerichtshof, inwieweit der Beschwerdeführer die öffentliche Aufmerksamkeit gesucht oder bereits gefunden hatte.487 Insofern ging der EGMR wie das BAG in den Entscheidungen vom 21. Oktober 1982 vor, die das BVerfG mit dem Stern-Urteil aufgehoben hatte.488
Da der EGMR in seinen neueren Entscheidungen die Verkündungsnähe des kirchlichen Arbeitnehmers nach „weltlich“-objektivem Maßstab zur Bestimmung der Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Verhältnismäßigkeit der Kündigungsentscheidung bewertete, setzt sich seine Rechtsprechung nach hier vertretener Auffassung in Widerspruch zu den Vorgaben des BVerfG und auch zu den früheren Entscheidungen Obst und Siebenhaar.489 Insofern verdichten sich auf den ersten Blick die Anzeichen für eine Gewährleistung bloßen Tendenzschutzes gem. Art. 9 EMRK i.V.m. Art. 11 EMRK, die das Schutzniveau der Gewährleistungen der kollektiven Religionsfreiheit des Grundgesetzes unterschreitet. Allerdings betonte der EGMR erneut die Pflicht der Fachgerichte, einen nationalstaatlichen Ausgleich zwischen den Rechten der Arbeitnehmer und dem kirchlichen Arbeitgeber zu vorzunehmen. Hierfür bietet sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung an, für die der EGMR keine Abwägungsentscheidung präjudizieren kann.490 Dem „besondere[n] Gewicht“491 der kollektiven Religionsfreiheit kann in Übereinstimmung mit den übrigen Vorgaben des EGMR durchaus entsprochen werden, denn auch das BVerfG geht davon aus, dass die Interessen der Kirche nicht prinzipiell die Grundrechte der Arbeitnehmer überwiegen.492
cc) Zwischenergebnis
Das Recht der Kirchen, die Begründung, Durchführung und Beendigung der kirchlichen Dienstverhältnisse von der Einhaltung der nach eigenem Ethos aufgestellten Loyalitätsanforderungen abhängig zu machen, wird nicht nur vom deutschen Grundgesetz, sondern auch von der EMRK gegen staatliche Beeinträchtigungen geschützt. Der EGMR erkennt in seiner Rechtsprechung das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften an und bestätigt die Zulässigkeit von Loyalitätsanforderungen als Grundlage für Kündigungsentscheidungen kirchlicher Arbeitgeber.
Zwar weicht der Schutzgehalt des Art. 9 EMRK i.V.m. Art. 11 EMRK in der Rechtsprechung des EGMR von dem Schutz nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV ab, der eine Überprüfung der Sendungsnähe durch Arbeitsgerichte nicht zulässt. Der EGMR verengt den Prüfungsspielraum der Arbeitsgerichte aber nicht zwingend auf bloßen Tendenzschutz:
Die Entscheidungen Schüth, Obst und Siebenhaar lassen sich mit den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben vereinbaren. In seinen jüngeren Entscheidungen Ferndández Martínez493 und Travas494 nahm der EGMR allerdings eine eigenständige Einordnung der Verkündungsnähe der fraglichen Tätigkeit vor, und bewertete hiervon ausgehend die Zumutbarkeit der Loyalitätsanforderungen für die kirchlichen Arbeitnehmer. Dieses Vorgehen geht über die Plausibilitätskontrolle hinaus, wie sie das BVerfG im Stern- und im Chefarzt-Urteil verlangt hatte. Indes lässt der EGMR den Arbeitsgerichten gleichwohl Raum für eine verstärkte Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts im Kündigungsschutzprozess.495 Im Rahmen der durch die EMRK vorgegebenen Verhältnismäßigkeitsprüfung können die Arbeitsgerichte eine Gewichtung des Selbstbestimmungsrechts der Kirche vornehmen, die ihrem grundgesetzlichen Status entspricht.
2. EU-GRCh
Art. 10 EU-GRCh bildet mit Ausnahme der Schrankenregelung beinahe wörtlich den Inhalt des Art. 9 EMRK ab496 und schützt den hierfür anerkannten Schutzbereich497. Mithin umfasst die Religionsfreiheit des Art. 10 EU-GRCh auch die korporative Religionsfreiheit.498 Religionsgemeinschaften können sich demnach auf den Schutz des Art. 10 EU-GRCh berufen.499 Einschränkungen der Religionsfreiheit bedürfen gem. Art. 52 Abs. 1 EU-GRCh einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage und sind nur im Hinblick auf unionsrechtlich anerkannte, dem „Gemeinwohl dienende[n] Zielsetzungen“ oder zum „Schutze[s] der Rechte und Freiheiten anderer“ zulässig.500 Gem. Art. 52 Abs. 3 S. 1 EU-GRCh gelten ferner die Einschränkungsgründe des Art. 9 Abs. 2 EMRK (s.o.).501
In der Literatur wird wegen des engen Bezugs des Art. 10 EU-GRCh zu Art. 9 EMRK aufgrund der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EGMR502 sowie den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen richtigerweise konstatiert, dass der Kern des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften in Art. 10 EU-GRCh unmittelbar geschützt wird.503 Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR, die Transzendenzschutz durchaus zulässt, kann nicht darauf geschlossen werden, dass Art. 10 EU-GRCh auf bloßen Tendenzschutz beschränkt ist.504
In Art. 21 EU-GRCh ist das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Religion normiert, das auch auf juristische Personen Anwendung findet.505 Gem. Art. 22 EU-GRCh „achtet“ die EU „die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen“. Hiermit verbunden ist das Gebot, ein mit der unionsrechtlichen Religionsfreiheit harmonierendes, mitgliedstaatlich ausgestaltetes Religionsrecht zu achten und es nicht anzutasten.506 In Zusammenschau mit Art. 10 EU-GRCh und Art. 17 AEUV entfaltet die Norm eine Schutzwirkung zugunsten der religionsverfassungsrechtlichen Besonderheiten der Mitgliedstaaten.507 Infolgedessen muss den Mitgliedstaaten bei der Durchführung und Umsetzung von Unionsrecht ein Umsetzungsspielraum eingeräumt werden, der einen schonenden Ausgleich mit den religionsverfassungsrechtlichen Vorgaben ermöglicht.508 Unter mehreren möglichen Auslegungsoptionen ist stets die Option zu wählen, die den Besonderheiten des mitgliedstaatlichen Religionsverfassungsrechts am ehesten Rechnung trägt.509
III. Die Erklärung Nr. 11 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam
In der Erklärung Nr. 11 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 fand sich eine der „[…] deutlichsten Inbezugnahme[n] des nationalen Staatskirchenrechts durch den europäischen Gesetzgeber“.510 Hier hieß es in der deutschen Sprachfassung:
„Die Europäische Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Vorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. Die Europäische Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise.“
Der Erklärung kam zwar keine unmittelbare normative Wirkung zu511, sie nahm jedoch als Auslegungskriterium mittelbar auf das Unionsrecht Einfluss512 und hatte vor allem eine politische Bedeutung513. Die Erklärung Nr. 11 geht im Wesentlichen auf eine Forderung des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl zurück, der die endgültige Fassung des EU-Vertrags von Amsterdam erst dann beschließen wollte, wenn die Kirchen zumindest in einer Erklärung der Schlussakte Erwähnung fanden.514
Die Erklärung wurde nahezu wortlautidentisch in Art. I-52 der deutschen Sprachfassung des EU-Verfassungsvertrags übernommen.515 Nachdem der Verfassungsvertrag scheiterte, fand die Regelung Eingang in den Art. 17 AEUV.516
IV. Art. 17 AEUV
Art. 17 AEUV garantiert die Neutralität der EU517 gegenüber der mitgliedstaatlichen Ausgestaltung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften.518 Dort heißt es:
„(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht. (2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen. (3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.“
Art. 17 AEUV ist eine Konsequenz des Gebots der Achtung der mitgliedstaatlichen Identitäten gem. Art. 4 Abs. 2 EUV, speziell hinsichtlich der nationalstaatlichen Ausgestaltung der Beziehung von Staat und Religionsgemeinschaft.519 Der Begriff „Status“ bezieht sich auf die Gesamtheit aller Regelungen, die das Verhältnis eines Mitgliedsstaats zu den Religionsgemeinschaften bestimmen.520 Zu diesen Statusregelungen zählen die religionsverfassungsrechtlichen Bestimmung der Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 – Art. 141 WRV sowie Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG.521 Die Verpflichtung zum Dialog mit den Religionsgemeinschaften gem. Art. 17 Abs. 3 AEUV522 stellt sicher, dass die Organe der Union bei der Gestaltung des Unionsrecht die schützenswerten Interessen der Religionsgemeinschaften mitberücksichtigen.523
In der Literatur wird diskutiert, ob der in Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 AEUV geschützte mitgliedstaatliche Status der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften lediglich im Wege der Abwägung bei der Schaffung europäischen Rechts zu berücksichtigen sei524 oder ob Art. 17 AEUV eine Beschränkung der Regelungsmacht und Deutungshoheit der Union bewirke525. Da die Auslegung des Art. 17 AEUV maßgeblich das Verhältnis von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Unionsrecht bestimmt526, ist eine Stellungnahme erforderlich.
1. Abwägungslösung
Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dem „kirchlichen Proprium“527 sei durch ein strenges Achtungs- und Abwägungsgebot zu entsprechen.528 Das Abwägungsgebot beinhalte in den Bereichen, in denen eine Regelungsbefugnis der Union bestehe, die Verpflichtung der Unionsorgane, durch Abwägung der Belange im konkreten Fall einen schonenden Ausgleich im Sinne einer „praktischen Konkordanz“ zu erreichen.529 Unter Umständen verpflichte das Gebot der „Achtung“ die Union aber auch zum Ergreifen von „positiven“ Maßnahmen.530 Bei Art. 17 AEUV handle es sich auch nicht um eine Bereichsausnahme, weil eine solche besonders kenntlich zu machen gewesen wäre.531 Der EuGH vertrat in den Verfahren Egenberger und IR – wie zuvor auch die Generalanwälte Tanchev532 und Wathelet533 – die Auffassung, Art. 17 AEUV stelle keine Bereichsherausnahme dar, sondern gebe lediglich einen Ausgleich auf Durchsetzungsebene des Unionsrechts vor.534 Diese Ausgleichwirkung könne durch sekundärrechtliche Rechtfertigungsnormen erzielt werden, welche die Statusbestimmungen der Mitgliedstaaten hinreichend berücksichtigen.535 Nach Auffassung des EuGH reduziere sich die Bedeutung des Art. 17 AEUV auf ein Neutralitätsgebot.536
Generalanwalt Tanchev begründete seine These u.a. damit, dass Art. 17 AEUV im Kontext mit den Art. 7 EUV, Art. 10 AEUV sowie Art. 22 und Art. 47 EU-GRCh gesehen werden müsse.537 Art. 17 AEUV stehe Regelungen des Unionsrechts nicht entgegen, die den mitgliedstaatlichen Status von Religionsgemeinschaften mindern.538 In seiner Zweckbestimmung finde sich kein Hinweis für ein weitergehendes Verständnis des Art. 17 AEUV.539 Der Generalanwalt relativierte die Wirkung des Art. 17 AEUV mit dem Verweis auf die Entstehungsgeschichte, denn man habe sich seinerzeit kompromissweise auf die Übernahme der Erklärung Nr. 11 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam geeinigt.540
2. „Öffnungslösung“541
Demgegenüber geht ein Teil der Literatur davon aus, dass die mitgliedstaatlichen Statusregelungen in Bezug auf Wortlaut542, Gesetzgebungsgeschichte543, Regelungszweck544 und systematische Stellung545 des Art. 17 AEUV nicht lediglich im Rahmen einer Abwägung zu berücksichtigen seien.546 Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 AEUV wirke vielmehr als „Schranken-Schranke“ für die Regelungsbefugnis der EU.547 Das Unionsrecht erlaube einen Durchgriff der nationalstaatlichen Statusregelungen, die insoweit die Regelungsmacht der EU beschränken.548 Da der Union gerade keine Kompetenz im Bereich des Religionsverfassungsrechts zukomme549, bestehe im Falle der Abwägung die Gefahr einer Umgehung dieser Kompetenzgrenze.550 Art. 17 AEUV habe keinen abwägungsfähigen materiellen Regelungsinhalt, weil es sich um eine negative Kompetenznorm handle.551 Der Ausgleich zwischen den mit sonstigen Belangen des Unionsrechts konfligierenden Statusentscheidungen sei zwingend auf mitgliedstaatlicher Ebene vorzunehmen, da ansonsten das erreicht werden würde, was durch Art. 17 AEUV gerade verhindert werden solle, nämlich eine Bestimmung des Status von Religionsgemeinschaften durch eine Entscheidung des Unionsrechts.552 Konsequenterweise habe sich demgemäß der Unionsgesetzgeber in Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78/EG für eine „Öffnung“ des Unionsrechts für nationale Statusvorgaben entschieden, soweit dort auf das Ethos der Religionsgemeinschaft abgestellt werde.553 Gerade die differenzierte Verwendung der Begriffe „Achten“ und „Beeinträchtigen“ spreche gegen eine bloße Abwägungsentscheidung.554
3. Eigener Standpunkt
Art. 17 Abs. 1 AEUV beinhaltet nach hier vertretener Auffassung keine generelle Bereichsausnahme des Unionsrechts für Sachverhalte, die die Religionsgemeinschaften berühren.555 Wenn Art. 17 AEUV der als Bereichsausnahme unmissverständlich formulierten Norm des Art. 345 AEUV gegenübergestellt wird, lässt sich folgern, dass der europäische Gesetzgeber, wenn er eine Bereichsausnahme im Falle des Religionsverfassungsrechts gewollt hätte, dies eindeutig hätte formulieren können.556 Das Dialoggebot nach Art. 17 Abs. 3 AEUV ist gerade deshalb sinnvoll, weil die Religionsgemeinschaften vom Unionsrecht berührt werden.557
Allerdings darf Art. 17 AEUV nicht dahingehend verstanden werden, dem nationalstaatlich normierten Status der Religionsgemeinschaften sei durch eine unionsrechtliche Abwägungsentscheidung zu entsprechen. Im Verhältnis zu Art. 4 Abs. 2 AEUV würde eine solche Auslegung die kumulative Verwendung der Begriffe „achtet“ und „beeinträchtigt […] nicht“ verkennen.558 Dieses Ergebnis erweist sich nicht nur wegen des Wortlauts der Norm als sachgerecht, sondern erst recht unter Berücksichtigung des Telos des Art. 17 AEUV:
Eine Abwägung auf Unionsebene würde die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaat im Bereich des Religionsverfassungsrechts in ihr Gegenteil verkehren. Eine Abwägung ist zwingend mit der Gewichtung der verglichenen Rechtsgüter verbunden.559 Wegen der Variationsbreite mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen liegt die einheitliche Gewichtung des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften zugunsten der effektiven Durchsetzung eines unionsrechtlichen Grundsatzes nahe.560 Art. 17 AEUV soll jedoch gerade eine Gewichtung des Rechtsguts des Selbstbestimmungsrechts von Religionsgemeinschaften auf Unionsebene ausschließen.561
Nach diesseitiger Auffassung erlaubt Art. 17 AEUV der Union nur dann Regelungen, die die Religionsgemeinschaften berühren, zu treffen, wenn auf nationalstaatlicher Ebene ein Ausgleich des nationalrechtlich geregelten Status mit den Belangen des Unionsrechts sichergestellt ist. Die Union darf diesem Ausgleich nicht durch eine vorgelagerte Abwägung zuvorkommen und ihn seiner Substanz berauben. Insoweit hat der Unionsgesetzgeber durch die Normierung des Art. 17 Abs. 1 AEUV eine gewisse „Öffnung“562 für bindende nationalrechtliche Vorgaben zum Status von Religionsgemeinschaften geschaffen.563 Die Reichweite der Bindungswirkung von nationalstaatlichen Regelungen muss nach dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft bestimmt werden, wie dies der mitgliedstaatlich geregelte Status der betroffenen Religionsgemeinschaft vorgibt.564 Insoweit ist die Wirkung des Art. 17 AEUV in der Tat auf eine Abwägung gerichtet, allerdings auf nationalstaatlicher Ebene und auf nationalverfassungsrechtlicher Grundlage.
Eine so verstandene Vertragsnorm bewirkt keine Beschneidung von Kompetenzen der Unionsorgane. Denn die EU verfügt, wie bereits dargestellt, über keine Regelungsbefugnis in Bezug auf den „Status“ von Religionsgemeinschaften.565 Die vorstehende Auslegung entspricht im Übrigen dem Auslegungsgrundsatz der Unionstreue, wonach von allen möglichen Auslegungsgrundsätzen derjenige zu wählen ist, der zur Erreichung der Unionsziele am geringsten in die mitgliedstaatliche Ordnung eingreift.566
Soweit Generalanwalt Tanchev in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Egenberger den Gesetzesmaterialen eine die Bedeutung des Art. 17 AEUV einschränkende Zielsetzung des Art. 17 AEUV entnehmen wollte567, zeigt sich erstaunlicherweise in seinen sodann folgenden Ausführungen überhaupt kein Bezug zu der Entstehungsgeschichte des Art. 17 AEUV.568 Vielmehr wurde darauf verwiesen, man habe sich bei den Verhandlungen über den gescheiterten Verfassungsvertrag nicht auf die wörtliche Aufnahme eines spezifisch christlichen Erbes einigen können.569 Die Diskussion um eine spezifisch christliche Deutung des gescheiterten Verfassungsvertrages hat aber für die Frage der Zwecksetzung des Art. 17 AEUV keine Aussagekraft.570 Ferner sind gerade wichtige Grundentscheidungen durch eine politische Auseinandersetzung im Gesetzgebungsverfahren gekennzeichnet. Die Regelung des Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG (Gleichberechtigung von Mann und Frau) fand bspw. in der 26. Sitzung des Grundausschusses zunächst keine Mehrheit.571 Ihre Bedeutung ist hierdurch aber in keiner Weise gemindert.
Aus dem Achtungsgebot des Art. 17 AEUV resultiert demgemäß die Verpflichtung des Unionsgesetzgebers zur Absicherung eines Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des sekundären Unionsrechts, der es den nationalen Gesetzgebern erlaubt, Unionsrecht und nationales Religionsverfassungsrecht in einen schonenden Ausgleich zu bringen. In Zusammenschau mit Art. 22 EU-GRCh besteht ein „Differenzierungsgebot“ dahingehend, Sonderregelungen für Rechtsakte zu treffen, die andernfalls eine „umfassende Harmonisierung im Blick haben“.572 Das Achtungsgebot gebietet, den Mitgliedstaaten Handlungsspielräume zu eröffnen, um die Interessen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter Berücksichtigung ihres nationalverfassungsrechtlich gesicherten Status mit kollidierenden Rechten und Rechtsgütern bei der Anwendung des Unionsrechts in Ausgleich zubringen. Damit wird sichergestellt, dass die EU nicht entgegen der klaren Kompetenzverteilung ihre eigene Wertung an die Stelle derjenigen der Mitgliedstaaten setzt. Neben das Achtungsgebot tritt das Beeinträchtigungsverbot, das nach hier vertretener Auffassung im Einzelfall die Ausübung der EU-Kompetenzen durch die Unionsorgane begrenzt soweit sie eine Beschränkung oder Erweiterung des mitgliedstaatlichen Status der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bewirkt („negative Kompetenznorm“573).574 In diesem Dualismus verwirklicht sich die Neutralität der EU in Fragen der Religion.
V. Art. 167 AEUV
Der im AEUV nicht näher definierte Kulturbegriff575 des Art. 167 AEUV ist zwar wegen der Aufzählung in Art. 167 Abs. 2 AEUV eng zu verstehen.576 Gleichwohl wirken die Religionsgemeinschaften in Bereichen, die für die Kultur der Mitgliedstaaten von Bedeutung sind, in erheblichem Umfange mit. Hierzu zählen etwa Architektur und Denkmalpflege, Bildung, Wissenschaft sowie Kunst und Musik.577 Obgleich die Religionsgemeinschaften nicht selbst Kultureinrichtungen der Mitgliedsstaaten sind, reicht ihr Wirken in den geschützten Bereich mitgliedstaatlicher Kulturidentität hinein, soweit sie sich in den genannten Bereichen engagieren.578 Aus Art. 167 AEUV ergibt sich die Verpflichtung der EU, diese Tätigkeit der Religionsgemeinschaften im Hinblick auf ihren Beitrag zur kulturellen Vielfalt der Mitgliedstaaten bei der Wahrnehmung von Unionskompetenzen zu berücksichtigen.579