Kitabı oku: «Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG», sayfa 9
303So etwa Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht, S. 116.
304Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 110; ihm folgend Lodemann, Kirchliche Loyalitätspflichten, S. 35.
305Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 110; ihm folgend Lodemann, Kirchliche Loyalitätspflichten, S. 35.
306Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen die Ausführungen unter § 2 A.
307Siehe Hahn, in: Reichold (Hg.), Europa und das kirchliche Arbeitsrecht, S. 58 ff., S. 62 f.
308Siehe Erklärung Nr. 3 der Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der orthodoxen Bischofskonferenz vom 06.07.2011 zu „Ehen zwischen evangelischen und orthodoxen Christen und Christinnen – Hinweise zum gemeinsamen seelsorgerlichen Handeln unserer Kirchen in Deutschland“, abrufbar unter: http://www.obkd.de/Texte/EKD-OBKD-EhenEvOrth-2011.pdf (zuletzt aufgerufen am 21.12.2020).
309Siehe auch v. Tiling, öAT 2017, 205, 206.
310Siehe etwa die ausführliche Besprechung von Joussen, ZevKR 60 (2015), 63, 86 ff.
311So jedenfalls v. Tiling, öAT 2017, 205, 207 sowie ders., in: Reichold (Hg.), Loyalität, S. 11 ff., S. 20 f.
312Siehe Joussen, ZevKR 60 (2015), 63, 86; Schliemann, in: FS Feldhoff (2019), S. 499 ff., S. 525.
313Siehe auch Thüsing, in: EssG 46 (2012), S. 129 ff., S. 176.
314In diese Richtung bereits Thüsing, in: Hanau/Kühling (Hg.), Selbstbestimmung der Kirchen und Bürgerrechte, S. 29 ff., S. 50 f.; ders., in: EssG 46 (2012), S. 129 ff., S. 176; Rüfner, in: EssG 46 (2012), S. 169.
315So bereits Thüsing, in: EssG 46 (2012), S. 129 ff., S. 176.
316Overbeck, in: EssG 46 (2012), S. 7 ff., S. 23.
317Vgl. § 2 A. III.
318BVerfGE 70, 138 (Stern).
319BVerfGE 137, 273 (Chefarzt).
320Vgl. hierzu vertiefend Lodemann, Kirchliche Loyalitätspflichten, S. 36 ff.
321BAGE 34, 195.
322BAGE 34, 195, 205.
323BAGE 34, 195, 205.
324BAGE 34, 195, 204.
325So Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 8. Aufl., § 7 Rn. 19 f.
326Siehe Rüfner, in: Listl/Pirson (Hg.), HdbStKiR Bd. 2, 2. Aufl. 1995, § 66 S. 901 ff., S. 905.
327Siehe hierzu die Ausführungen in § 2 B. I.
328Mit dem hier dargestellten Verfahren wurde der Fall eines kaufmännischen Angestellten eines Jugendwohnheims in kirchlicher Trägerschaft verbunden, dem u.a. aufgrund seines Kirchenaustritts eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen worden war.
329BVerfGE 70, 138, 145 ff. (Stern).
330BVerfGE 70, 138, 146 (Stern). Der Fall spielte zu einer Zeit, bevor das öffentliche Eintreten für Abtreibungsmöglichkeiten von Schwangeren in den Katalogtatbestand des Art. 5 Abs. 2 GrOkathK aufgenommen worden war.
331BVerfGE 70, 138, 146 (Stern).
332BVerfGE 70, 138, 146 (Stern).
333BAG v. 21.10.1982 – 2 AZR 591/80, NJW 1984, 826, 829; BAG v. 21.10.1982 – 2 AZR 628/80, juris.
334BAG v. 21.10.1982 – 2 AZR 591/80, NJW 1984, 826, 829; BAG v. 21.10.1982 – 2 AZR 628/80, juris.
335BVerfGE 70, 138 (Stern).
336BVerfGE 70, 138, 162 f. (Stern).
337BVerfGE 70, 138, 164 (Stern).
338BVerfGE 70, 138, 164 f. (Stern).
339BVerfGE 70, 138, 165 (Stern).
340BVerfGE 70, 138, 165 f. (Stern).
341BVerfGE 70, 138, 166 (Stern).
342BVerfGE 70, 138, 166 (Stern).
343BVerfGE 70, 138, 166 f. (Stern).
344BVerfGE 70, 138, 167 (Stern).
345BVerfGE 70, 138, 167 f. (Stern).
346BVerfGE 70, 138, 168 (Stern).
347Nunmehr Art. 6 EGBGB.
348BVerfGE 70, 138, 168 (Stern). Da der ordre-public-Vorbehalt alle „wesentlichen Grundsätze des deutschen Rechts“ umfasst, wird seitens der Literatur hinterfragt, inwieweit der „Sittenwidrigkeit“ eine eigenständige Bedeutung verbleibt, Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 15.
349BVerfGE 70, 138, 168 (Stern).
350Siehe Anm. M. Weber, NJW 1986, 367, 370.
351Siehe Anm. M. Weber, NJW 1986, 367, 370.
352Siehe Anm. M. Weber, NJW 1986, 367, 371.
353BVerfGE 70, 138, 170 f. (Stern).
354ArbG Düsseldorf v. 30.07.2009 – 6 Ca2377/09, juris; LAG Düsseldorf v. 01.07.2010 – 5 Sa 996/09, juris; BAGE 139, 144.
355BAGE 139, 144.
356BAGE 139, 144, 152 Rn. 36.
357BAGE 139, 144, 153 f. Rn. 38.
358BAGE 139, 144, 154 Rn. 40 ff.
359BAGE 139, 144, 154 Rn. 41 f.
360BAGE 139, 144, 154 Rn. 41 f.
361BAGE 139, 144, 154 Rn. 41 f.
362BAGE 139, 144, 155 Rn. 46.
363BVerfGE 137, 273, 302 Rn. 81 (Chefarzt).
364BVerfGE 137, 273, 302 Rn. 81 (Chefarzt).
365BVerfGE 137, 273, 342 Rn. 177 (Chefarzt).
366BVerfGE 137, 273, 301 Rn. 81 (Chefarzt).
367Vgl. zum damaligen Meinungsstand Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht, S. 65 ff.
368BVerfGE 137, 273, 342 Rn. 177 (Chefarzt).
369BVerfGE 137, 273, 313 f. Rn. 110 (Chefarzt).
370BVerfGE 137, 273, 314 Rn. 112 (Chefarzt).
371BVerfGE 137, 273, 315 Rn. 116 f. (Chefarzt).
372BVerfGE 137, 273, 316 Rn. 118 f. (Chefarzt).
373BVerfGE 137, 273, 317 Rn. 119 (Chefarzt).
374BVerfGE 137, 273, 318 Rn. 121 (Chefarzt).
375BVerfGE 137, 273, 319 Rn. 125 (Chefarzt).
376BVerfGE 137, 273, 319 Rn. 125 (Chefarzt).
377BVerfGE 137, 273, 320 Rn. 127 ff. Siehe dazu speziell die Ausführungen in § 3 B. II. 1. b.
378Vgl. bereits die Ausführungen in § 2 A. III. 5; siehe auch Fink-Jamann, Antidiskriminierungsrecht, S. 53 ff.
379BVerfGE 70, 138, 165 (Stern).
380BVerfGE 137, 273, 315 Rn. 116 ff. (Chefarzt).
381BVerfGE 137, 273, 301 f. Rn. 81 (Chefarzt).
382BVerfGE 137, 273, 317 Rn. 119 (Chefarzt).
383BVerfGE 137, 273, 116 Rn. 118 (Chefarzt).
384BVerfGE 137, 273, 301 Rn. 81 (Chefarzt).
385BVerfGE 137, 273, 304 Rn. 85 (Chefarzt).
386Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 20.
387Siehe Thüsing, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 19 f.; a.A. Struck, NZA 1991, 249, 250 ff.; Wieland, DB 1987, 1633, 1635 f.
388So aber Mestwerdt, in: MHdB ArbR, 4. Aufl. 2018, § 116 Kündigung in kirchlichen Einrichtungen und in Tendenzbetrieben Rn. 14; siehe ferner die Kritik von Neureither, JZ 2013, 1089, 1093; Geismann, Gleichgeschlechtliche Ehe und kirchliches Arbeitsverhältnis, S. 135 ff.; im Ergebnis wie hier Thüsing, ZAT 2014, 193, 195 f.; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 8. Aufl., § 7 Rn. 28 f.
389So richtigerweise BVerfGE 137, 273, 312 Rn. 106 (Chefarzt).
390Siehe zum „hohen Rang“ der schrankenlos gewährleisteten Kunstfreiheit etwa BVerfGE 77, 240, 255; siehe hierzu bereits Schlink, JZ 2013, 209, 214.
391Siehe BVerfGE 137, 273, 319 Rn. 125 (Chefarzt).
392BVerfGE 137, 273, 318 Rn. 121 f. und 323 Rn. 133 (Chefarzt).
393In c. 211 CIC heißt es: „Alle Gläubigen haben die Pflicht und das Recht, dazu beizutragen, dass die göttliche Heilsbotschaft immer mehr zu allen Menschen aller Zeiten auf der ganzen Welt gelangt.“
394Siehe Overbeck, in: EssG 46 (2012), S. 7 ff., S. 10 f.
395Vgl. Mt 26, 41.
396Mt 19, 21 f.: „Jesus sprach zu ihm: Wenn du vollkommen sein willst, so geh hin, verkaufe deine Habe und gib den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach. Als aber der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt weg, denn er hatte viele Güter.“
§ 3 Anerkennung und Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber durch Rechtssetzung und Rechtsprechung der EU
Der europarechtliche Einfluss auf die Rechte der Kirchen aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV ist seit langem Gegenstand kritischer Würdigung in der rechtswissenschaftlichen Literatur.397 Die EuGH-Urteile Egenberger398 und IR399, in denen unionsrechtliche Anforderungen an die arbeitsgerichtliche Kontrolle von kirchlichen Arbeitgeberentscheidungen definiert wurden, verleihen dieser Fragestellung ein hohes Maß an Aktualität und Bedeutung. Grundlagen und Grenzen der unionsrechtlichen Rechtssetzung, die in den Bereich des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen hineinwirkt, bedürfen daher einer Klärung. Es wird zu untersuchen sein, wie sich die Urteile Egenberger und IR zu den primärrechtlichen und sekundärrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts verhalten. Ferner ist die Umsetzungsnorm § 9 AGG und ihre richtlinienkonforme Auslegung durch das BAG im Kontext des Unionsrechts und des deutschen Verfassungsrechts zu würdigen.
A. Das Religionsverfassungsrecht als Kompetenzgrenze der EU
Die EU verfügt über keine Regelungskompetenz auf dem Gebiet des Religionsverfassungsrechts.400
Diese schlichte und zugleich fundamentale Feststellung folgt dem unionsrechtlich in Art. 5 Abs. 1 EUV und nationalverfassungsrechtlich in Art. 23 Abs. 1 S. 1, S. 2 GG verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung.401 Es besteht für den Bereich des Religionsverfassungsrechts keine ausdrückliche Kompetenzzuweisung der Mitgliedstaaten.402 Ferner ergibt sich das Fehlen der Regelungskompetenz aus dem Subsidiaritätsprinzip gem. Art. 13 Abs. 2 EUV sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gem. Art. 5 EUV.403 Da die Bundesrepublik Deutschland ein effektives Religionsverfassungsrecht kodifiziert hat, verbleibt für eine unionsrechtliche Regelung kein Raum.404
B. Normative Verankerung des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber in der Unionsrechtsordnung
I. Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV)
In Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV ist die Verpflichtung der Unionsorgane normiert, die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten zu achten.405 Die nationale Identität eines Mitgliedstaats erfasst im Grundsatz den Bestand an „[…] Ideengehalten und Werten, die das Selbstverständnis und die Eigenart dieses Staates oder des Volkes prägen und die aus unterschiedlichen Bereichen stammen können, wie etwa der Geschichte, dem Recht, der Wirtschaft, der Religion, der Sprache und der Kultur.“406
Der konkrete Inhalt des unionsrechtlichen Identitätsbegriffs wird von jedem Mitgliedstaat nach eigenem Ermessen festgelegt.407
Die grundsätzlichen Bestimmungen des Verhältnisses zwischen Staat und Religion, wie bspw. das Ge- oder Verbot einer Staatskirche, werden nach allgemeiner Ansicht in der rechtswissenschaftlichen Literatur der Bundesrepublik Deutschland zur nationalen Identität in diesem Sinne gezählt.408
II. Unionsrechtlicher Grundrechtsschutz
Wegen des noch nicht erfolgten Beitritts der EU gem. Art. 6 Abs. 2 EUV ist die EMRK noch kein unmittelbarer Bestandteil des Unionsrechts.409 Die EMRK gibt allerdings unionsintern einen Mindeststandard an Grundrechtsschutz vor, wie sich aus Art. 52 Abs. 3, Art. 53 EU-GRCh ergibt.410 Dieser materielle Mindeststandard für die Unionsgrundrechte wird vom EuGH teilweise unter Rückgriff auf die Judikatur des EGMR gewonnen.411 Die Rechtsprechung des EGMR ist demnach bei der Bestimmung des unionsrechtlichen Grundrechtsschutzes zu berücksichtigen.
Die EU-GRCh entfaltete bis zu ihrer Einbeziehung gem. Art. 6 Abs. 1 EUV im Rahmen des Lissabon-Vertrages keine normative Wirkung412, wurde jedoch vielfach im Rahmen der Begutachtung des auf nationales Religionsverfassungsrecht einwirkenden Unionsrechts herangezogen.413 In ihr konzentriert sich nunmehr der Grundrechtsschutz aus der EMRK und aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten.414
1. Art. 9 EMRK (i.V.m. Art. 11 EMRK)
a) Individuelle und korporative Religionsfreiheit
In Art. 9 EMRK415 ist die Religionsfreiheit normativ verankert. Art. 9 EMRK ist im Verhältnis zu Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG hinsichtlich des sachlichen Schutzbereichs bestimmter. So werden in Art. 9 EMRK das forum internum, die negative Religionsfreiheit sowie der Religionswechsel als Gewährleistungsinhalt benannt. Ferner wird ausdrücklich zwischen individueller, gemeinschaftlicher, öffentlicher und privater Religionsausübung differenziert und es werden Beispiele416 für geschützte Formen der Religionsausübung aufgeführt.
Der EGMR hat inzwischen geklärt, dass der personelle Schutzbereich des Art. 9 EMRK auch die korporative Religionsfreiheit umfasst.417 Art. 9 EMRK müsse im Lichte des Art. 11 EMRK betrachtet werden, da Religionsgemeinschaften „traditionell und weltweit in Form organisierter Strukturen existieren“ würden und Art. 11 EMRK die Vereinigungsfreiheit vor jeglichen ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen schütze.418 Die Religionsfreiheit werde selbst infrage gestellt, wenn nicht das „organisational life“ der Religionsgemeinschaft über Art. 9 EMRK geschützt werde.419 Die Existenz autonomer Religionsgemeinschaften sei unentbehrlich für die pluralistische, demokratische Gesellschaft und werde daher von Art. 9 EMRK geschützt.420 Der EGMR verknüpft die organisatorische Autonomie insoweit unmittelbar mit dem Demokratieprinzip.421 Der Schutzbereich der korporativen Religionsfreiheit deckt sich nach wohl herrschender Literaturauffassung mit dem grundgesetzlich verankerten Selbstbestimmungsrecht der Kirche.422
Die Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 2 EMRK stellt die Religionsfreiheit unter einen Gesetzesvorbehalt. Materiell kann dieser Vorbehalt mit einem verfassungsimmanenten Schrankenvorbehalt verglichen werden: Soweit Art. 9 Abs. 2 EMRK von den „Rechten und Freiheiten anderer“ spricht, können diese mit Grundrechten Dritter gleichgesetzt werden.423 Schließlich dürften die in Art. 9 Abs. 2 EMRK benannten Güter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Gesundheit und Moral im Wesentlichen mit Rechtsgütern von Verfassungsrang übereinstimmen.424
b) Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen
aa) Problematik der Bestimmung eines europäischen Mindeststandards
Die Frage, in welchem Umfang Art. 9 EMRK das Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber schützt, ist bereits seit langer Zeit Gegenstand rechtswissenschaftlicher Auseinandersetzung.425 Ein großer Teil der deutschen Literatur nahm vor den Urteilen des EGMR in Sachen Obst426, Schüth427 und Siebenhaar428 an, Art. 9 EMRK sichere einen mitgliedsstaatsübergreifenden „Mindeststandard“429, der sich aus einem Vergleich der mitgliedstaatlichen Regelungen zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht erschließen lasse430. Soweit derartige Vergleiche konkret angestellt wurden, gelangten diese im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht kirchlicher Arbeitgeber zu wenig bestimmten Ergebnissen. Tendenziell wurde allerdings eine Unterschreitung des grundgesetzlichen Standards konstatiert.431
Die abschließende Feststellung eines Mindeststandards des gesamten europäischen Staatskirchenrechts ist zur Beantwortung der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Fragen nicht erforderlich.432 Denn im Fokus steht allein die Absicherung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Zusammenhang mit der Kündigungsmöglichkeit kirchlicher Arbeitgeber bei Verstößen gegen kirchliche Loyalitätsanforderungen. Da dem EGMR die Letztentscheidungskompetenz für die Auslegung der Konventionsgrundrechte zukommt (Art. 32 Abs. 1 EMRK), sind die Gewährleistungen des Art. 9 EMRK i.V.m. Art. 11 EMRK unter Zugrundelegung der für das deutsche kirchliche Arbeitsrecht maßgeblichen Rechtsprechung des EGMR zu ermitteln.
bb) Schutzbereichsdefinition im Lichte der Rechtsprechung des EGMR
(1) Transzendenzschutz nach Obst, Schüth und Siebenhaar?
Die Urteile Obst433, Schüth434 und Siebenhaar435 warfen erstmalig die Frage auf, ob die Vorgaben, die der EGMR aus Art. 9 EMRK für die fachgerichtliche Kontrolle von Entscheidungen kirchlicher Arbeitgeber herleitet, mit dem Transzendenzschutz gem. Art. 4 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zu vereinbaren sind.436
Es bestehen Anhaltspunkte für eine über die Prüfung der Plausibilität hinausgehende Kontrolle von Loyalitätsanforderungen durch den EGMR. Der Gerichtshof befand im Obst-Urteil Loyalitätsanforderungen für zulässig, weil diese für die kirchliche Glaubwürdigkeit unerlässlich seien437 und er verlangte von der Kirche entsprechende Nachweise für die Annehmbarkeit der Loyalitätspflicht.438 Im Fall Schüth hob der EGMR ferner hervor, dass die Nähe der Tätigkeit der Beschwerdeführer zur kirchlichen Lehre und deren Verkündungsauftrag bzw. der drohende Glaubwürdigkeitsverlust sowie die Auswirkungen der Kündigung auf das weitere Berufsleben des Beschwerdeführers bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen seien.439
Nach Auffassung des BVerfG in seiner Chefarzt-Entscheidung, habe der EGMR im Schüth-Urteil nicht die eigenständige Bewertung der Nähe einer Tätigkeit zum Verkündungsauftrag durch die Fachgerichte verlangt, soweit in den Urteilsgründen die Verkündungsnähe als Gesichtspunkt einer fachgerichtlichen Kontrolle hervorgehoben worden sei.440 Dies gehe insbesondere aus der Bezugnahme auf die Gründe des Stern-Urteils441 in der Schüth-Entscheidung442 hervor, denen kein Widerspruch zur Konvention unterstellt worden sei.443
Diese Auffassung verdient Zustimmung. Es ist zu bedenken, dass der EGMR eine gänzlich ungeprüfte fachgerichtliche Übernahme kirchlicher Positionen kritisiert hatte.444 Auch nach der Rechtsprechung des BVerfG dürfen die Fachgerichte nicht ohne Weiteres die Selbsteinschätzung der Religionsgemeinschaften ihren Urteilen zugrunde legen, sondern müssen ein Mindestmaß an Plausibilität der kirchlichen Darlegungen feststellen.445 Zumal der EGMR den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Ausgleichs der Konventionsrechte zubilligte446, kann insoweit kein Widerspruch zwischen den Vorgaben des EGMR und denen des BVerfG festgestellt werden.447
Es ist allerdings fraglich, ob die vom EGMR verlangte Interessenabwägung eine arbeitsgerichtliche Verhältnismäßigkeitsabwägung erfordert, die über die Anforderungen der zweistufigen Kontrolle des BVerfG448 hinausgeht.449
Dagegen spricht zunächst, dass der EGMR den Begriff der „Verhältnismäßigkeit“ im Obst-Urteil450 vermied und vielmehr die Vorgehensweise des deutschen Revisionsgerichts billigte.451 Im Schüth-Urteil verlangte der EGMR allerdings eine „eingehendere“ Kontrolle, nahm dabei auf das Obst-Urteil Bezug und forderte sodann „[…] eine Abwägung der in Rede stehenden Interessen im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit […]“.452
Gleichwohl ist nicht davon auszugehen, dass der EGMR mit der Prüfung des BVerfG brechen wollte: Zunächst ergibt sich dies aus der Bezugnahme auf die Gründe des Obst-Urteils, in denen keine fachgerichtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt wurde.453 Ferner kann aus der Beschränkung auf den Schutz des „[…] Kern[s] des Rechts auf Achtung des Privatlebens […]“454 geschlossen werden, dass der EGMR die Schrankentrias des BVerfG („ordre public“, gute Sitten und Willkürverbot455) respektierte.456 Auch nahm der EGMR die Verletzung des Art. 9 EMRK durch das Arbeitsgericht allein deshalb an, weil es seiner Auffassung nach versäumt habe, die Gründe für den konkreten Ausgang der Interessenabwägung darzulegen.457 Im Fall Siebenhaar kam der EGMR wiederum zu dem Ergebnis, das BAG habe die Interessen der Arbeitnehmerin und des kirchlichen Arbeitgebers unter umfänglicher Bezugnahme auf die Wertungen des Stern-Urteils in vertretbarer Weise abgewogen.458 Auch insoweit ist kein Widerspruch zu den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben festzustellen.459
Die Rechtsprechung des EGMR in den Urteilen Obst, Schüth und Siebenhaar lässt sich nach hier vertretener Auffassung mit der zweistufigen Prüfung des BVerfG in Einklang bringen und weist auf die Gewährleistung von Transzendenzschutz gem. Art. 9 i.V.m. Art. 11 EMRK hin.460
(2) Tendenzschutz nach Fernández Martínez?
Die Entscheidung Fernández Martínez aus dem Jahr 2014 stellt die These, der EGMR räume den Kirchen bei der Kontrolle kirchlicher Arbeitgeberentscheidungen Transzendenzschutz ein, infrage.461
In dem Fall Fernández Martínez ging es um die Kündigung eines spanischen, katholischen Religionslehrer, der entgegen seinem Zölibat-Gelübde standesamtlich heiratete und eine Familie gründete. Der EGMR stellte zwar fest, die religiöse Autonomie verbiete es, eine Religionsgemeinschaft staatlich zu verpflichten, eine Person in ihren Dienst aufzunehmen, sie auszuschließen oder ihr eine religiöse Verantwortung zu übertragen.462 Sodann schränkte der EGMR diese Autonomie der Religionsgemeinschaften allerdings ein und präzisierte die arbeitsgerichtlichen Prüfungsvorgaben:
Einerseits erkannte der EGMR das Recht der kirchlichen Arbeitgeber an, Loyalitätsanforderungen an die Dienstnehmer zu stellen, andererseits verlangte der Gerichtshof hinsichtlich des Verpflichtungsgrads eine Differenzierung nach der Aufgabe des Dienstnehmers.463 Der Religionsgemeinschaft obliege der Beweis für die Wahrscheinlichkeit und Erheblichkeit einer Gefahr für ihre Autonomie.464 Zudem müsse sie beweisen, dass der Eingriff in die Grundrechte des Arbeitnehmers nicht das für die Beseitigung der Gefahr notwendige Maß übersteige und keine sachfremden Zwecke verfolge.465 Die staatlichen Fachgerichte hätten nach Auffassung des EGMR die Erfüllung der Bedingungen durch eine gründliche Abwägung aller Umstände und widerstreitenden Interessen sicherzustellen.466 Der Gerichtshof würdigte insbesondere die spezielle Funktion des Beschwerdeführers als Lehrer für Religionsfragen, aus der sich eine andere Wertung für die Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Kirche ergebe als bspw. für einen Sprachlehrer.467 Bei der Beurteilung, wie schwerwiegend das Fehlverhalten einer bei der Kirche beschäftigten Person sei, müsse die Nähe der Tätigkeit zum Verkündungsauftrag berücksichtigt werden.468
Indem der EGMR die Bedeutung der Tätigkeit des Religionslehrers mit der Tätigkeit eines Sprachlehrers verglich und damit eine Bewertung der Verkündungsnähe nach eigenem Ermessen vornahm, überschritt er nach diesseitiger Auffassung die Grenzen, die das BVerfG der fachgerichtlichen Kontrolle vorgibt. Nach den Wertungen der Leitentscheidungen Stern und Chefarzt muss das Fachgericht die Wertungen der Kirche übernehmen und darf nicht selbst definieren, was eine verkündungsnahe oder verkündungsferne Tätigkeit ist.469 Anders als das BVerfG dem EGMR im Chefarzt-Urteil unterstellte, postulierte der Gerichtshof also gerade keine Bindung der Gerichte an die Selbsteinschätzung der Kirche, soweit sie die Nähe einer Tätigkeit zum Verkündungsauftrag zu bewerten haben.470 Ähnlich wie das Revisionsgericht in der vom BVerfG aufgehobenen Stern-Entscheidung471 berücksichtigte der Gerichtshof ferner die Art und Weise des öffentlichen Propagierens eines loyalitätswidrigen Lebensstils des Beschwerdeführers, um davon ausgehend den Gefahrengrad für die Glaubwürdigkeit der Kirche zu bestimmen.472
Eine mögliche Brücke zum nationalen Transzendenzschutz könnte allerdings die Vorgabe schlagen, den Religionsgemeinschaften obliege der Beweis für die Wahrscheinlichkeit und Erheblichkeit einer Gefahr für ihre Autonomie.473 Denn diese Beweisverteilung erlaubt es den Arbeitsgerichten, die Selbsteinschätzung der Kirche hinsichtlich der Gefährdungslage stärker in die richterliche Beweiswürdigung einzubeziehen und so dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche gem. Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG i.V.m. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV bei der Bewertung des Sachverhalts gerecht zu werden.
Zudem besteht nach hier vertretener Ansicht die Möglichkeit für Arbeitsgerichte, die Rechte der Kirche im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ihrem verfassungsrechtlichen Rang gemäß zu gewichten und so einen Ausgleich der Interessen entsprechend den grundgesetzlichen Vorgaben vorzunehmen. Denn der EGMR kann den nationalen Fachgerichten für die nationale Grundrechtsabwägung keine spezifische Grundrechtsgewichtung vorgeben. Zwar dienen die EMRK und die Rechtsprechung des EGMR nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze („Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“).474 Dies gelte aber nur so weit, wie es nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz komme.475 Die Heranziehung der EMRK habe nicht das Ziel einer „schematische[n] Parallelisierung einzelner verfassungsrechtlicher Begriffe […]“.476
Die Offenheit für den mitgliedstaatlichen Wertungspluralismus kennzeichnet auch die „margin of appreciation“-Doktrin des EGMR.477 Die Ausbalancierung des Grundrechtskonflikts obliegt den deutschen Fachgerichten und dem BVerfG.478 Insofern kann und muss das „besondere Gewicht“479 der kollektiven Religionsfreiheit im Rahmen der fachgerichtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Entfaltung kommen und die Rechtsprechungsvorgaben des EGMR können mit denen des BVerfG im Ergebnis in Einklang gebracht werden. Deshalb ist die Entscheidung Fernández Martínez trotz der Einbeziehung des Gesichtspunktes der Verkündungsnähe in die fachgerichtliche Prüfung nicht zwingend als Bruch mit dem deutschen Religionsverfassungsrecht zu werten.480