Kitabı oku: «Die Integrationsfestigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG», sayfa 6

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(bb) Reformierung der Rechtsfolgen schwerer Loyalitätsobliegenheitsverstöße

Vor jeder Kündigung aufgrund von Verstößen gegen die Loyalitätsanforderungen der katholischen Kirche ist nach der Reform vom 27. April 2015 im Grundsatz eine Interessenabwägung vorzunehmen (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GrOkathK n.F.). Dem Selbstverständnis der Kirche ist bei der Abwägung der Einzelfallumstände „ein besonderes Gewicht“ beizumessen. Die Interessen der Kirche überwiegen die Interessen des betroffenen Mitarbeiters jedoch nicht „prinzipiell“ (Art. 5 Abs. 3 S. 2 GrOkathK n.F.). Die Umstände, die in der Interessenabwägung gem. Art. 5 Abs. 3 S. 3 GrOkathK n.F. zu berücksichtigen sind, unterscheiden sich von denen des Art. 5 Abs. 3 GrOkathK a.F. Nunmehr orientiert sich die Abwägung an Gesichtspunkten, die eine gewisse Ähnlichkeit zur Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG) aufweisen. Neben dem Bewusstsein des Arbeitnehmers für die begangene Loyalitätsverletzung sind das Interesse an der Wahrung des Arbeitsplatzes, das Alter, die Beschäftigungsdauer und die Aussichten auf eine neue Beschäftigung zu berücksichtigen.

Im Hinblick auf Mitarbeiter im pastoralen oder katechetischen Dienst sowie Mitarbeiter, die für eine Missio canonica oder aufgrund eines schriftlich erteilten, bischöflichen Auftrags tätig sind, schließt ein Verstoß nach Art. 5 Abs. 2 GrOkathK n.F. zwar grundsätzlich eine Weiterbeschäftigung aus (Art. 5 Abs. 3 S. 4 GrOkathK n.F.), allerdings erfolgt eine Prüfung auf eine Ausnahmeregelung in besonderen Härtefällen (Art. 5 Abs. 3 S. 5 GrOkathK n.F). „Gleiches gilt“ für den Fall des Austritts aus der katholischen Kirche (Art. 5 Abs. 3 S. 6 GrOkathK n.F.). An Mitarbeiter in leitender Funktion wird nach der Reformierung, anders als im Art. 5 Abs. 3 GrOkathK a.F., kein vergleichbar strenger Maßstab mehr angelegt.

Aufgrund der Überarbeitung des Tatbestandes des Kirchenaustritts im Jahr 2015 und der nunmehr stets erforderlichen Durchführung einer Interessenabwägung dürfte der Streit289 über den Kirchenaustritt als absolutem Kündigungsgrund an Bedeutung verloren haben. Ausgehend von ihrem Selbstbestimmungsrecht erkennt die Kirche nach hier vertretener Auffassung durch die Neuformulierung an, dass der Kirchenaustritt nicht in jedem Fall eine Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen muss. Denn für die Annahme, die Interessenabwägung sei nur „pro forma“ aufgenommen worden und das Interesse der Kirche solle in jedem Fall überwiegen, bestehen keine Anhaltspunkte.

(cc) Reformierung des Kündigungsverfahrens

Zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung soll gem. Art. 5 Abs. 4 S. 3 GrOkathK n.F. vor jeder beabsichtigten Kündigung wegen Verstößen nach Art. 5 Abs. 2 GrOkathK die Stellungnahme eines seitens der Diözesen beauftragten, im kirchlichen und weltlichen Arbeitsrecht erprobten Volljuristen eingeholt werden, der selbst der katholischen Kirche angehört (Art. 5 Abs. 4 S. 2 GrOkathK). Gem. Art. 5 Abs. 4 S. 4 GrOkathK ist die Einholung der Stellungnahme allerdings ausdrücklich keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Eine Rechtsfolge für den Fall des Unterlassens der Einholung einer Stellungnahme dieser „zentralen Stelle“ benennt die Grundordnung nicht. Art. 5 Abs. 5 GrOkathK n.F. sieht schließlich die turnusmäßige Prüfung der Loyalitätsanforderungen hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit durch den Verband der Diözesen Deutschlands vor.

b) Evangelische Kirche

Die evangelische Kirche hat ihre Loyalitätsanforderungen für den kirchlichen Dienst im Wege einer Richtlinie kodifiziert, für die eine Ermächtigung in Art. 9 der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland besteht. Die evangelische Loyalitätsrichtlinie bedarf zu ihrer unmittelbaren Wirksamkeit der landeskirchlichen Transformation, da es sich hierbei nicht um ein Kirchengesetz i.S.d. § 10a Abs. 2 der Grundordnung der evangelischen Kirchen Deutschland handelt.290 § 1 S. 2 der EKD-RL empfiehlt den Gliedkirchen und diakonischen Werken lediglich, ihre Regelungen auf Grundlage der Richtlinie zu treffen. Daher existiert für die evangelische Kirche in Deutschland dem Grunde nach keine einheitliche Regelung von Loyalitätsobliegenheiten.291

aa) Grundlagen des kirchlichen Dienstes

Der kirchliche Dienst in der evangelischen Kirche ist gem. § 2 Abs. 1 EKD-RL auf die Bezeugung des Evangeliums „in Wort und Tat“ gerichtet. Dieser Auftrag ist der Ausgangspunkt für die Ausformung von Loyalitätsanforderungen für die Beauftragten.

bb) Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten die zu einer Kündigung berechtigen
(1) Bis zur Novellierung

Die Kodifizierung der Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung der in § 4 EKD-RL normierten Loyalitätsanforderungen ist an den Art. 5 GrOkathK a.F. angelehnt. § 5 EKD-RL a.F. differenzierte allerdings anders als die GrokathK nicht hinsichtlich der Konfession der Mitarbeiter im kirchlichen Dienst.292

Gem. § 5 Abs. 1 S. 2 EKD-RL a.F. war allerdings nur die außerordentliche Kündigung ultima ratio. Die ordentliche Kündigung erschien demgegenüber als „anderes“ bzw. „vorletztes Mittel“.293 Hinsichtlich der besonders schwerwiegenden Verstöße fasste sich die evangelische Kirche deutlich kürzer als die katholische und bediente sich eines weitgehend unbestimmten Tatbestands. Bei einer außerordentlichen Kündigung gem. § 5 Abs. 1 S. 2 EKD-RL a.F. musste ferner eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Absolute Kündigungsgründe kannte die EKD-RL damit bereits vor ihrer Reformierung nicht.

Der Austritt aus der evangelischen Kirche rechtfertigte den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung (§ 5 Abs. 2 Var. 2 EKD-RL a.F.), die allenfalls durch einen Wiedereintritt verhindert werden konnte.294 Daneben kam eine außerordentliche Kündigung bei grober „Missachtung der evangelischen Kirche“ und damit verbundener „Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes“ in Betracht (§ 5 Abs. 2 Var. 2 EKD-RL a.F.). Zwar mochte eine Beeinträchtigung der kirchlichen Glaubwürdigkeit durch nachweisebare negative Auswirkungen für die evangelische Kirche objektivierbar gewesen sein295, jedoch war der Tatbestand im Übrigen kaum greifbar und führte zu Rechtsunsicherheiten.296

Die Ehe ist aus evangelischer Sicht kein Sakrament.297 Die zivilrechtlich wirksame Wiederheirat konnte nicht ohne Weiteres unter die Norm subsumiert werden, da die evangelische Kirche die Wiederheirat von Geschiedenen unter bestimmten Bedingungen anerkennt.298 Die Wiederheirat wird bspw. in § 7 Kirchengesetz über die Ordnung der Trauung in der Evangelischen Kirche von Westfalen299 nicht als absolutes Hindernis einer erneuten Eheschließung gewertet.300 Auch hinsichtlich der eingetragenen Lebenspartnerschaft sowie der gleichgeschlechtlichen Ehe nimmt die evangelische Kirche mitunter eine wesentlich liberalere Haltung ein als die katholische Kirche.301 Einzelne Landeskirchen stellten die gleichgeschlechtliche Ehe homosexueller Paare der Trauung von Mann und Frau sogar bereits rechtlich als auch theologisch gleich.302 Demgemäß dürfte das Eingehen einer solchen Verbindung mithin nicht in allen Landeskirchen als pflichtwidriges Verhalten eingestuft werden können.

Soweit in § 5 Abs. 1 S. 1 EKD-RL bestimmt ist, dass der Anstellungsträger durch Beratung und Gespräch auf die Beseitigung des Anforderungsmangels des Mitarbeiters hinwirken „soll“, ist fraglich, ob es sich hierbei um eine zwingende Verfahrensvorschrift handelt, die sogar die Unwirksamkeit der getroffenen Maßnahme bewirken könnte.303 Wegen der „Soll“-Formulierung vertritt die Literatur überwiegend die Ansicht, das Unterlassen von Beratung und Gespräch habe keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahme.304 Dafür spricht, dass die evangelische Kirche diese Formulierung in Kenntnis der katholischen Normierung wählte, die in der GrOkathK von 1993 das Wort „muß“ verwendete. Allerdings wird wegen der mit der Vorschrift verbundenen Rechtsunsicherheit die Durchführung eines Beratungsgesprächs vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung angeraten.305

(2) Auswirkungen der Novellierung vom 9. Dezember 2016

Auch nach der Novellierung ist die außerordentliche Kündigung als ultima ratio nur nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls möglich.

In dem überarbeiteten § 5 Abs. 2 EKD-RL wird der Kirchenaustritt als Kündigungsgrund restriktiver formuliert und insbesondere der Austritt zwecks Eintritts in eine andere Kirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland als Kündigungsgrund ausgenommen. Die Regelung erweist sich insoweit gegenüber der GrOkathK als großzügiger.

Die Überarbeitung des unbestimmten Tatbestands der groben Missachtung der evangelischen Kirche bringt wenig Klarheit mit sich. Mitarbeiter müssen wegen Verstoßes gegen die Pflichten aus § 4 EKD-RL unter Abwägung der Interessen im Einzelfall ebenfalls mit einer außerordentlichen Kündigung gem. § 5 Abs. 1 EKD-RL rechnen. Die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte benennt die Regelung allerdings, anders als Art. 5 Abs. 3 GrOkathK, nicht.

Die Neufassung der Loyalitätsrichtlinie der EKD stellt unter § 5 Abs. 2 S. 3 EKD-RL schließlich die grobe Missachtung der evangelischen Kirche als Spezialfall der Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes heraus.

3. Zusammenfassung und Stellungnahme

Durch die Aufstellung von Loyalitätsanforderungen machten die Kirchen von ihrem verfassungsmäßigem Recht zur Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten Gebrauch.306 Die in der GrOkathK und der EKD-RL kodifizierten Loyalitätsanforderungen fördern die Erreichung der Ziele der kirchlichen Dienstgemeinschaft (Verkündung, Liturgie und Caritas/Diakonie), indem sie sicherstellen, dass die mit dem kirchlichen Sendungsauftrag betrauten Personen die Glaubwürdigkeit der Mission nicht gefährden. Anders als in der EKD-RL wird in der GrOkathK bei den Rechtsfolgen von Verstößen gegen die kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten hinsichtlich der Konfession der Mitarbeiter differenziert.

Das katholische Eherecht hat einen großen Einfluss auf die arbeitsrechtliche Beziehung zwischen Kirche und Dienstnehmer. Da dem „Eheband“ die Bedeutung eines heiligen Sakraments zugesprochen wird, können Verstöße gegen die kanonischen Eheregelungen arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen und sogar eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen. Durch die Reform der GrOkathK wurden die Anforderungen einer auf diesen Grund gestützten Kündigung insofern erhöht, als dass für leitende Angestellte und Erzieher bzw. Erzieherinnen nicht mehr ohne Weiteres die für den Kündigungsausspruch erforderliche Gefährdungslage für die kirchliche Glaubwürdigkeit angenommen werden kann. Die dem Fall IR zugrunde liegende Kündigung hätte damit nach der Reform nicht mehr auf den streitgegenständlichen Sachverhalt der Wiederheirat gestützt werden können.307 Es bleibt allerdings dabei, dass die GrOkathK hinsichtlich der Wirksamkeit der Eheschließung nach der Konfession ihrer Mitarbeiter differenziert. Lediglich katholische Mitarbeiter sind dem Grunde nach an das katholische Eherecht gebunden, wobei die Rechtsfolgen je nach Einbindung in den kirchlichen Sendungsauftrag variieren.

Die zivilrechtlich wirksame Wiederheirat berechtigte aus Sicht der evangelischen Kirche hingegen bereits vor Reform der EKD-RL nicht ohne Weiteres zu einer Kündigung, da die evangelische Kirche die Wiederheirat von Geschiedenen unter bestimmten Bedingungen anerkennt.308 Ferner sah die EKD-RL stets eine Interessenabwägung vor (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 EKD-RL a.F.). Eine konfessionelle Differenzierung fand ebenfalls nicht statt.

Das mehrheitliche Beibehalten des „status quo“309 nach Reformierung der Loyalitätsanforderungen beider Kirchen erfährt teilweise Kritik.310 Gleichwohl würden sich die Kirchen durch den vollständigen Verzicht auf ihre Loyalitätsanforderungen (z.B. aufgrund der Lage des Arbeitsmarktes) dem Vorwurf der Beliebigkeit aussetzen.311 Dieser Kritikpunkt wird allerdings fragwürdig, wenn die Kirchen durch zu enggefasste Anforderungsprofile Gefahr liefen, ihre selbstaufgestellten Regelungen unangewendet zu lassen, um eine Stelle besetzen zu können. Es rückt in diesem Zusammenhang die Frage in den Fokus, inwieweit die Kirchen angesichts knapper personeller Ressourcen aufgrund von Angebot und Nachfrage den von ihr selbst aufgestellten Regelungen gerecht werden können. Bereits jetzt arbeiten viele nicht-konfessionelle Mitarbeiter für kirchliche Einrichtungen, weil schlichtweg nicht genügend getaufte Bewerber für die erforderlichen Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.312 Hierdurch könnten die Kirchen gehalten sein, Verhaltensweisen zu ignorieren, die dem Papier nach ein Einschreiten erfordern, eine Sanktion aber aus Personalnot oder anderen wirtschaftlichen Faktoren untunlich erscheint.313

Können die Loyalitätsanforderungen unter diesen Umständen noch für die staatlichen Gerichte bindend festlegen, was zur Erfüllung des Sendungsauftrag zwingend erforderlich ist? Eine Antwort hierauf kann nur unter Berücksichtigung des Telos der jeweiligen Regelung gefunden werden. Denn die konsequente Einhaltung der Loyalitätsanforderungen dient der Sicherung kirchlicher Glaubwürdigkeit.314 Wenn die Kirchen durch ihre tatsächliche Personalpraxis diese Zielsetzung konterkarieren, entwerten sie ihre selbstaufgestellten Regeln. Und wenn sie aufgrund der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt gezwungen sein sollten, Regelungen unangewendet zu lassen, sind diese Regelungen den wirtschaftlichen Erfordernissen anzupassen.315 Insoweit mag für die Zukunft der Loyalitätsobliegenheiten gelten, was Bischof Overbeck unter Verweis auf ein Lied von Wolf Biermann wegen der Herausforderungen des Dritten Weges einmal so treffend ausdrückte: „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu“316.

IV. Die Leitentscheidungen des BVerfG zur Reichweite des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Kündigung von Arbeitsverhältnissen

In dieser Arbeit wurde herausgearbeitet, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirche gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV den „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ unterliegt.317 Diese Schranken wurden für den Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts vom BVerfG zunächst in der Leitentscheidung Stern318 im Jahr 1985 definiert und in der Chefarzt319-Entscheidung im Jahr 2014 präzisiert. Auf beide Entscheidungen wird zwecks Bestimmung der Schranke des Selbstbestimmungsrechts kirchlicher Arbeitgeber bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen im Folgenden näher eingegangen.

1. Rechtliche Situation bis 1985320

Das BAG hatte spätestens mit der Caritassekretärin-Entscheidung vom 14. Oktober 1980321 seine Rechtsprechung dahingehend gefestigt, dass in die Bewertung der Gefährdung der kirchlichen Glaubwürdigkeit durch das Verhalten eines kirchlichen Mitarbeiters stets die Nähe der Tätigkeit zu dem „spezifisch kirchlichen Auftrag“ der Kirche einbezogen werden müsse.322 Entscheidend sei die besondere Identifikation des Mitarbeiters mit der Kirche.323 Die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche könne daher nicht allein wegen des Zusammenschlusses als Dienstgemeinschaft zur Erfüllung kirchlicher Aufgaben einheitlich angewendet werden.324

Bis zur Entscheidung des BVerfG im Jahr 1985 erkannte das BAG also die bindende Wirkung der dem Selbstverwaltungsrecht entspringenden Ausgestaltung kirchlicher Loyalitätsanforderungen nur hinsichtlich solcher Mitarbeiter an, die nach gerichtlicher Wertung den Verkündungsauftrag der Kirche erfüllten.325 Insofern behandelte das BAG die Kirchen wie gewöhnliche Tendenzbetriebe, da bei solchen stets die Nähe der Tätigkeit zur Unternehmenstendenz den Ausschlag dafür gibt, welche Anforderungen an den Mitarbeiter gestellt werden können.326 Diese Behandlung widersprach jedoch der Wesensnatur der Kirche, die sich von einem Tendenzbetrieb qualitativ unterscheidet und daher einer entsprechend anderen Behandlung bedarf.327 Konsequenterweise korrigierte das BVerfG die Rechtsprechung des BAG und stärkte die verfassungsrechtliche Sonderstellung der Kirchen in zwei Leitentscheidungen, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen.

2. Die Stern-Entscheidung des BVerfG
a) Hintergrund

Anlass für die erstmalige Befassung des BVerfG mit der Frage der Prüfungskompetenz von Arbeitsgerichten bei Kündigungen wegen Verstößen gegen kirchliche Loyalitätsobliegenheiten war u.a.328 ein Aufruf von 58 Personen, darunter mehrheitlich Ärzte, im Oktober 1979 in der Rubrik Leserbriefe der Wochenzeitschrift „Stern“. Unter dem Titel „Ärzte gegen Ärztefunktionäre“ argumentierte ein in einem katholischen Klinikum in Essen beschäftigter Assistenzarzt unter Angabe von Namen und Beschäftigungsort für die Abtreibungsmöglichkeit unfreiwillig schwanger gewordener Frauen und für die von der katholischen Kirche abgelehnte Regelung des § 218 StGB.329 Hieraufhin sprach ihm die Trägerin des Krankenhauses zunächst unter Berufung auf den § 16 Abs. 1 der AVR Caritas eine ordentliche Kündigung aus.330 Derselbe Arzt gab etwa einen Monat nach Ausspruch der Kündigung ein Fernsehinterview im Dritten Fernsehprogramm des WDR, in dem er seine im „Stern“-Magazin veröffentlichten Ansichten bekräftigte.331 Daraufhin wurde ihm noch einmal außerordentlich und hilfsweise ordentlich eine Kündigung ausgesprochen.332 Über alle drei Instanzen klagte der Assistenzarzt erfolgreich auf Feststellung der Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen.

Das BAG befand die vorinstanzliche Interessenabwägung gem. § 1 Abs. 2 KSchG sowie § 626 Abs. 1 BGB für beanstandungsfrei, da das LAG insbesondere berücksichtigt habe, dass der Leserbrief nicht unmittelbar gegen das den Kläger beschäftigende Krankenhaus adressiert gewesen sei, sondern an den Gesetzgeber.333 Auch seien die Äußerungen im Fernsehinterview maßvoll gehalten und im Kontext der ausgesprochenen Kündigung nachvollziehbar gewesen.334

b) Die Gründe des Stern-Urteils

Das BVerfG gab der gegen das Revisionsurteil des BAG von der kirchlichen Trägerin der Dienststelle erhobenen Verfassungsbeschwerde statt und stellte eine Verletzung des verfassungsgesetzlich geschützten Selbstbestimmungsrechts der Beschwerdeführerin fest.335

Zunächst bekräftigte das BVerfG das abgeleitete verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht aller der Kirche zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, sofern sie nach kirchlichem Selbstverständnis den Sendungsauftrag der Kirche miterfüllen.336

Die karitativen bzw. erzieherischen Einrichtungen der Kirche ordnete das Gericht als deren „eigene Angelegenheiten“ i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV ein.337 Der Abschluss von Arbeitsverträgen sei insofern eine dem kirchlichen Selbstverständnis obliegende rechtliche Vorsorge für die Wahrnehmung kirchlicher Dienste.338 Soweit sich die Kirchen der Privatautonomie bedienen, seien die dem staatlichen Arbeitsrecht kraft Rechtswahl unterfallenden Verträge arbeitsgerichtlich zu überprüfen, wobei die Eigenart des kirchlichen Propriums respektiert werden müsse.339

Das verfassungsrechtlich verankerte Selbstbestimmungsrecht eröffne den Kirchen die Möglichkeit, zum Schutze ihrer Glaubwürdigkeit verbindliche Loyalitätsanforderungen für ihre Mitarbeiter auszuformen und deren Beachtung abzuverlangen.340 Diese Anforderungen hätten allerdings insofern eine Grenze, als dass das Arbeitsverhältnis „[…] keine säkulare Ersatzform für kirchliche Ordensgemeinschaften und Gesellschaften apostolischen Lebens […]“ sein könne.341 Welche Verpflichtungen für das Arbeitsverhältnis bedeutsam sind, richte sich nach den kirchlichen Maßstäben.342

Die §§ 1 KSchG, 626 BGB seien „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV, ohne der Freiheit der Kirche in jedem Fall vorzugehen.343 Der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck müsse vielmehr durch eine Güterabwägung Rechnung getragen werden, die dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche besonderes Gewicht beizumessen habe.344 Die vom kirchlichen Selbstverständnis her gebotenen Loyalitätsanforderungen seien aus verfassungsrechtlichen Gründen in der individualarbeitsrechtlichen Rechtsanwendung zu berücksichtigen und in ihrer Tragweite festzustellen.345

Die für die Gerichte verbindliche Entscheidung darüber, was die kirchliche Glaubwürdigkeit erfordert, was „spezifisch kirchliche Aufgaben“ seien, was „Nähe“ bedeute, was die „wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre“ seien, in welchen Abstufungen sie die Mitarbeiter verpflichteten und was einen schweren Verstoß hiergegen darstelle, treffe allein die Kirche nach ihrem Selbstverständnis.346 Die Bindungswirkung des kirchlichen Selbstverständnisses für die weltlichen Fachgerichte sei allein begrenzt durch die Grundprinzipien der Rechtordnung, nämlich dem allgemein Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), den „guten Sitten“ i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB sowie dem „ordre-public“-Vorbehalt (Art. 30 EGBGB a.F.347).348 Jenseits dieser Grenze beschränke sich die Aufgabe der Fachgerichte darauf, den festzustellenden Sachverhalt unter die von der Kirche vorgegebenen Loyalitätsobliegenheiten zu subsumieren.349

Das BVerfG gab den Arbeitsgerichten damit eine „zweistufige“ Prüfung vor:350 Auf der ersten Stufe sei zu prüfen, ob in dem jeweiligen Fall nach dem Selbstverständnis der verfassten Kirche eine „arbeitsrechtlich abgesicherte“ Loyalitätspflicht besteht, inwiefern eine Loyalitätspflichtverletzung des kirchlichen Arbeitnehmers vorliege und schließlich, wie schwer diese Loyalitätspflichtverletzung nach kirchlichem Selbstverständnis wiege.351 Auf einer zweiten Stufe hätten sodann die Gerichte unter Anwendung der kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften der §§ 1 KSchG, 626 BGB zu klären, ob die Loyalitätsobliegenheitsverletzung eine Kündigung sachlich rechtfertige.352 Die Gewichtung der Obliegenheitsverletzung durch das Revisionsgericht im Rahmen der gem. §§ 1 KSchG, 626 BGB erforderlichen Interessenabwägung habe nach Ansicht des BVerfG das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verletzt, weil das BAG der Schwere der Loyalitätsverletzung im Sinne des Selbstverständnisses der verfassten Kirche nicht ausreichend Rechnung getragen habe.353