Kitabı oku: «Magie aus Tod und Kupfer», sayfa 2

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Kapitel Zwei


Im Wohnzimmer warf ich mich auf den mit Kissen bedeckten Boden. Von dem Chaos, das Rya mit ihrer Wassermagie vor einigen Monaten angerichtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Das verdankte ich Nick, Linos und Xanthos, die nach Ryas Versteinerung tat­kräftig angepackt und aufgeräumt hatten. Bereits damals, noch bevor ich meine Magie geopfert hatte, war mir das Zaubern schwergefallen. Als Rya zur Statue erstarrt und ich davon überzeugt gewesen war, nie wieder mit ihr reden zu können … Das hatte Erinnerungen hervorgerufen, die mich jedes Mal überwältigten, egal wie lange sie schon zurücklagen.

Wieder glitt meine Hand zum Hals, wieder griff ich ins Leere. Ich hätte mich nicht als materialistisch bezeichnet, aber dass eine Kette mir so sehr fehlte …

Du vermisst nicht die Kette, Ilena.

Super, jetzt verhöhnte ich mich schon selbst. Ich rappelte mich auf und ging in die Küche, um mir zu entkommen. Das war unmöglich, aber eine Beschäftigung würde mir dabei helfen, die düsteren Gedanken zu kontrollieren. Ich wollte nicht in dieses Loch fallen, nicht schon wieder. Doch dann erinnerte ich mich an den letzten gescheiterten Kochversuch und mein Magen grummelte warnend. Das Essen war ein Desaster gewesen. Ich hatte mich dafür bisher immer auf Magie verlassen, das war nun das Resultat. Ich versagte beim Kochen. Zauber entsprechend einer Anleitung durchzuführen war überhaupt kein Problem, aber ein Gericht nach Rezept zuzu­bereiten? Ich scheiterte jedes Mal kläglich daran. Schulterzuckend schob ich eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Früher wäre das undenkbar gewesen, da die technischen Geräte der Menschen sich nicht mit meiner starken Magie vertrugen und mit Aussetzern und Kurz­schlüssen reagiert hatten. Doch seit Athenes Fluch gebrochen worden war, hatte sich einiges verändert. Nicht nur ich.

Während die Pizza aufbackte, räumte ich die Küche auf und checkte meine Vorräte. Einkaufen gehen musste ich in nächster Zeit zum Glück nicht. Zehn Minuten später war das Essen fertig. Ich machte es mir im Wohnzimmer gemütlich und …

Plötzlich fühlte ich die erwachende Präsenz einer fremden, mächtigen Magie. Das bisschen, was noch in mir lebte, reagierte darauf mit einem Kribbeln. Vergessen war der Hunger und ich sprang auf, gerade in dem Moment, als sie sich lautlos vor mir manifestierte.

Hekate.

Ich hielt den Atem an. Das letzte Mal, als wir uns begegnet waren, war sie in der Gestalt von Mágissa Ora gewesen, eine Verkleidung, die dazu gedient hatte, sich in Athenes Spiel mit den Gorgonen und dem Perseus-Orden einzumischen. Doch ihre Augen verrieten sie, ebenso ihre fast schon leuchtende Aura, die in ihrer wahren Gestalt noch schöner wirkte. Das lange dunkelbraune Haar umspielte weich ihre Schultern und die Brust, es reichte fast bis an die Hüfte und den goldenen Gürtel, den sie zu der purpurvioletten Toga trug. Der Stoff schimmerte und umspielte ihre dünnen Beine. Auf dem Kopf, den sie leicht zur Seite neigte, thronte ein filigranes und scharfkantiges Diadem aus Gold mit einem Halbmond in der Mitte. Sie machte einen Schritt auf mich zu und ihre nackten Füße sanken in die Kissen ein, die den Boden bedeckten.

»Hekate«, presste ich hervor und verneigte mich schnell. Meine Stimme war nicht mehr als ein heiseres Krächzen. Die Göttin der Magie blickte mich an und wartete darauf, dass ich weitersprach. Doch meine Lippen waren vor Überraschung wie versiegelt.

»Bei unserer letzten Unterhaltung warst du weitaus gesprächiger«, sagte sie und schmunzelte.

Ein zaghaftes Lächeln legte sich auf meine Lippen und ich nahm all meinen Mut zusammen. »Damals stand ich unter Zeitdruck, es ging um Leben und Tod. Außerdem habe ich mir vorgestellt, dass Ihr nicht Hekate seid, weil ich sonst sicherlich kein einziges Wort herausgebracht hätte.«

Ihre violettblauen Augen fixierten mich. »Und du wolltest einer Freundin helfen, nicht dir selbst. Das macht uns oft mutiger, als wir es uns zutrauen.«

Ich nickte nur.

Hekate strich sich die Haare über die Schultern und sah sich um. Ihr Blick fiel auf die vollen Regale, die ohne das Zutun meiner Magie leblos wirkten. Nichts blubberte, glimmerte oder regte sich. Sie wandte sich den Schnüren zu, die sich nur noch im hinteren Teil des Raumes durch die Luft spannten, nicht mehr durch das ganze Wohnzimmer. Ohne zu wanken, schritt sie über die Kissen darauf zu. Sie griff nach einem Papier, das ich mit einer Klammer an dem Faden befestigt hatte, dann nach einem Bund Kräuter. Schließlich berührte sie mit dem Finger die Schnur. Ich meinte, sie selbst fühlen zu können, ihre Macht an meiner, doch einen Lidschlag später verschwand dieses Gefühl.

Hekate war hier. Die Göttin. Meine Göttin. Und ich brachte kein weiteres Wort heraus. Als würde sie meine Unsicherheit spüren, drehte sie sich um. Ihr Kleid widerstand der Schwerkraft und wallte wie in Zeitlupe um ihre Beine. Auch ihre Haare trotzten allen irdischen Regeln und schienen immer in Bewegung zu sein.

»Man hat heute versucht, an dir erneut die Berufung durchzu­führen«, sagte sie, ohne dass ihre Stimme verriet, was sie darüber dachte. Das Blitzen ihrer Augen zeugte von schlichter Neugierde. Ich zupfte meinen Pullover zurecht, um ein paar Sekunden Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Hekate wartete geduldig, musterte mich genauestens. Ihr Blick glitt an mir herab, ehe sie mir wieder direkt in die Augen sah. Ich reckte das Kinn und ihr Mund verzog sich zu einem fast unscheinbaren Grinsen.

»Die Ischyró Mágo wollte etwas versuchen. Es war töricht. Bitte verzeiht uns.«

Hekate machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist nur natürlich, dass du deine Macht vermisst und eine Mágissa dir helfen möchte. Doch es wird nichts nützen. Magie, die du einmal freiwillig verschenkt oder von dir gewiesen hast, ist für immer verloren. Die Regeln des Olymps verbieten es mir, demselben Menschen zweimal das Geschenk der Magie zu machen, und nach der Sache mit Athenes Fluch wird das Handeln aller Götter streng überwacht. Nephele weiß das, aber ihre Hoffnung in dich – und mich – ist wohl sehr groß. Leider musste ich euch beide enttäuschen.«

»Es bedeutet nicht, dass ich nicht mehr in Eurer Gunst stehe?« Mein Herz klopfte schneller.

»Nein. Ich kann Magie nur verschenken; was eine Mágissa daraus macht, vermag ich nicht zu beeinflussen. Deine Entscheidung hat großen Mut erfordert, und das bewundere ich. Ich selbst wäre vermutlich nicht so weit gegangen.«

Erleichtert atme ich auf. »Danke«, antwortete ich. »Das bedeutet mir sehr viel.«

Langsam kam Hekate auf mich zu. Ich zuckte nicht zurück, als sie eine Hand ausstreckte und mir eine Strähne hinters Ohr strich. Sie fuhr mit dem Daumen über das letzte golden schimmernde Mal auf meiner Stirn. Unter ihrer Berührung glomm die Magie auf, ihr leiser Puls erwachte, doch es war nichts im Vergleich zu früher.

»Es ehrt dich, dass du Ryas Leben gerettet hast«, sagte die Göttin und senkte den Kopf in einer Geste der Anerkennung.

»Ich habe mich auf meine Instinkte verlassen«, erwiderte ich.

Sie nickte und zog die Hand zurück. »Wie man es von einer Mágissa erwartet. Selbst wenn der Preis dafür hoch ist. Du bist weiter­hin eine meiner Auserwählten, vergiss das nicht. Du musst lernen, mit der übrigen Magie umzugehen. Passe dich ihr an, bring deine Emotionen unter Kontrolle. Dann wirst du wieder Zauber wirken können.«

»Ist das wirklich möglich?«

»Nach deiner Berufung hast du dich schon einmal mit ihr arrangiert. Die jetzige Situation ist nicht anders. Hör auf deine Instinkte. Mit etwas Geduld und starkem Willen schaffst du es.«

Mein Herz wurde leichter, ich atmete durch und vergaß wieder für eine Sekunde, dass Medeas Kette nicht mehr um meinen Hals hing und griff danach. Hekate folgte der Bewegung mit ihrem Blick und presste die Lippen fest aufeinander, als ich meine Finger in den Stoff des Pullovers bohrte.

Ihre Miene wirkte traurig und sie neigte den Kopf zur Seite. Sie strich mir über die Wange, ihre Magie hüllte mich ein wie eine Umarmung. »Sieh nach vorn und verfolge dein Ziel. Lass es nie aus den Augen.«

»Ich danke Euch.«

Und dann war sie weg. Ohne ein weiteres Wort. Ich taumelte einen Schritt zurück und stützte mich am Tisch ab. Unterschiedlichste Emotionen überrollten mich. Erleichterung. Freude. Ehrfurcht. Und der kleinste Funken Hoffnung. Denn wenn die Göttin der Magie der Meinung war, dass sie ihre Gabe an mich nicht verschwendet hatte, musste doch etwas dran sein.

Ein halb freudiges, halb hysterisches Lachen stieß aus meiner Kehle hervor, als mir die Dimension dieser Begegnung bewusst wurde. Hätte ich vor ihr auf die Knie gehen sollen? In all den Jahren der Ausbildung war nie ein Wort darüber gefallen, welches Verhalten einer Göttin gegenüber angebracht war. Offenbar war niemand davon ausgegangen, dass sie sich dazu herablassen würde, sich jemandem außerhalb des Zirkels zu zeigen. Und nun war ich ihr, wenn man die Gelegenheiten aus der Vergangenheit dazuzählte, bereits drei Mal begegnet. Und ich hatte mich nie besonders ehrfürchtig verhalten.

Mehr Glück als Verstand, lautete wohl die Devise dahinter.

Sie war also noch da, meine Magie. Doch anscheinend stellte nicht sie das Problem dar, sondern ich und meine Emotionen.

Die Pizza war mittlerweile lauwarm, der Hunger erloschen. Ich stieß mich vom Tisch ab und ging zu den Schnüren, die Hekate vorhin berührt hatte. Ich duckte mich unter dem Labyrinth hindurch und setzte mich in die Mitte des Netzes auf den Boden. Mitten ins Herz. Ich hob den Blick und betrachte all die Dinge, die ich an den Fäden befestigt hatte. Pflanzenbüschel, Kristalle, Papiere und allerlei andere magische Utensilien waren darin verwoben. Möglicherweise war darunter etwas, das mir mit den Emotionen helfen konnte.

Ich schloss die Augen und überließ meinem Instinkt die Kontrolle.

Ich legte die Hände auf die Knie und horchte in mich hinein. Das Wohnzimmer lag still da, als würde es den Atem anhalten, nur mein eigener Herzschlag leistete mir Gesellschaft. Und das schwache Kribbeln der Magie, ausgelöst durch Hekates Impuls. Die wahre Gestalt meiner Zauberkraft kannte ich nicht, ich stellte sie mir wie eine flimmernde bunte Sphäre vor. Ihr Grundton war lavendelfarben, dazwischen funkelten blassgelbe Punkte wie Sterne. Seit ich nur einen Bruchteil meiner Kraft besaß, waren die Farben vor meinem inneren Auge verblasst, die hellen Lichter nahezu erloschen.

Trotzdem hielt ich daran fest, streckte meine Sinne aus. Doch die Magie reagierte nicht.

Ich öffnete die Augen und sackte in mich zusammen, als das Netz über mir nicht leuchtete, so wie ich es mir erhofft hatte. Nein, die Magie schwieg nach wie vor. Es brauchte Geduld, hatte Hekate gesagt. Das war noch nie eine meiner Stärken gewesen.

Meine Schultern meldeten sich schmerzhaft. Ich versuchte, sie zu lockern, doch es half nichts. Keine Ahnung, ob es eine Sache der Haltung oder Stresssymptome waren, es nervte jedenfalls. Seit Wochen plagten brennende Schmerzen meine Muskeln und nichts half. Ich hätte eine andere Mágissa um Hilfe bitten können, aber da kaum jemand gut auf mich zu sprechen war, fiel das flach. Ein altmodisches Hilfsmittel musste her, das zumindest vorübergehend Linderung verschaffte.

Ich ließ mir ein Bad ein. Der stetig steigende Wasserpegel erinnerte mich an meine Begegnung mit der Ischyró Mágo und an das Mondbecken im Tempel. Damit verbunden waren die Erinnerungen an Medea …

Ich fuhr herum und starrte in den Spiegel, während die Wanne hinter mir plätschernd volllief. Mit dem Finger deutete ich auf das müde Gesicht, das mir entgegenblickte.

»Stell dich nicht so an!« Mein Spiegelbild taxierte mich mit einem bösen Blick. Die Schatten unter den Augen waren mir mittlerweile vertraut, doch der Anblick des letzten goldenen Symbols auf der Stirn war jedes Mal ein kleiner Schock. Einerseits zeigte es den Mut auf, den es brauchte, um fast alle Macht aufzugeben, andererseits war es ein Zeichen meiner Feigheit. Ich hätte Rya alles geben können, hatte mich aber nicht getraut.

Dieses Symbol sowie die Magiereste in meinem Brusttattoo hatte ich behalten, um mich nicht selbst zu verlieren. Was letzten Endes trotzdem geschehen war.

Ich streifte die Klamotten ab und drehte den Wasserhahn zu. Mit gezielten Bewegungen griff ich nach ein paar Edelsteinen und Kräutern am Wannenrand und ließ sie ins Wasser gleiten. Dann stieg ich hinterher und seufzte wohlig auf, als die Wärme mich bedeckte. Der frische Duft von Eukalyptus stimulierte meine Sinne und fuhr mir belebend in die Nase. Ein Wechselspiel aus Hitze und Kälte entwickelte sich und rüttelte meine Zellen wach. Wie erhofft, entspannten sich meine Muskeln, doch mir war bewusst, dass diese Erleichterung nur von kurzer Dauer war.

Mit den Zehen schob ich einen der Edelsteine unter Wasser hin und her. Ein Buch wäre zur Ablenkung nicht schlecht gewesen. Ich richtete mich auf und betrachtete das Tattoo des Nachtfalters unterhalb meines Brustkorbs.

Es gehörte schon so lange zu mir, dass ich es gar nicht mehr als fremd wahrnahm. Es war ein Teil von mir, ein Teil meiner Geschichte. Der traurigen Seite davon.

Motten, wie diese kleinen Tiere auch genannt wurden, hatten viele Bedeutungen. Unter anderem symbolisierten sie Veränderungen, Transformationen und neue Richtungen.

Medea hatte die Idee dazu damals im dritten Jahr unserer Ausbildung gehabt. Wir hatten gerade die Prüfung zur nächsten Novizinnen-Stufe abgelegt und wollten unseren Erfolg gebührend feiern. Den Zauber hatte ich mir bei dem Schlangentattoo für die Gorgonen abgeschaut, Medea besorgte die Zutaten. Es war verboten, weswegen wir niemals jemandem davon erzählt hatten.

Mageía apó Aíma, Meláni kai Téfra. Magie aus Blut, Tinte und Asche war in den Zauber und uns geflossen. Medeas Nachtfalter war hellbraun gewesen, die kleinen Monde darauf ockerfarben.

Damals hatte uns die Welt zu Füßen gelegen. Bis sie wenig später zerbrach.

Wie um mich an dieses Gefühl zu erinnern und gleichzeitig den Schmerz zu vertreiben, strich ich über die lavendelfarbenen, mit hellgelben Mondsicheln verzierten Flügel der Motte und ihren Rücken mit der Totenkopf-Musterung. Anschließend sank ich unter Wasser und fuhr mir durch die Haare. Als ich wieder auftauchte, lehnte ich den Kopf auf den Wannenrand und versuchte, meine Gedanken zu klären. Ich stellte mir einen Schwarm voller wunderschöner, flauschiger Motten vor, der durch das Badezimmer flog. Eine nach der anderen zählte ich sie und endlich, endlich gab mein Körper sich der Entspannung hin.

Dann klingelte es an der Haustür.

Kapitel Drei


Mit einem tiefen Seufzen erhob ich mich, stieg aus der Wanne und streifte einen Bademantel über. Ein erneutes Klingeln trieb mich zur Eile an, als ich den Gürtel festzog. Ich riss die Badezimmertür auf und rief: »Eine Sekunde!«

Ich schlüpfte noch in meine Socken, dann lief ich die Treppe hinunter, griff nach der Klinke der Haustür und hielt inne. Ich spürte nichts. Ich konnte nicht sagen, wer hinter der Tür stand. Dabei bemerkte ich sonst jeden Besucher, noch bevor er das Grundstück betreten hatte. Auch damit schien es vorbei zu sein. Sollte ich fragen, wer es war? Oder offenbarte das meine Schwäche? Prompt kehrte der Schmerz zwischen meinen Schulterblättern zurück. Also doch der Stress …

»Ilena? Ist alles in Ordnung?«, klang es dumpf von der anderen Seite. Trotzdem erkannte ich die Stimme sofort. Erleichtert stieß ich die Luft aus und öffnete die Tür.

»Hallo, Rya.«

Sie erwartete mich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ihre braunen Augen strahlten, als sie mich sah, und sie fiel mir fast augenblicklich in die Arme. Ich drückte sie ebenfalls. Dann schob sie mich von sich und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ihre gute Miene bröckelte und ich wandte den Blick ab.

»Willst du reinkommen?«, fragte ich, ehe sie etwas zu meinem Zustand sagte. Es waren nur ein paar Kilo, die ich abgenommen hatte, nichts Dramatisches. Ich musste mich erst noch an die Umstellung beim Essen gewöhnen.

Sie setzte ein fröhlicheres Gesicht auf und nickte. »Gern. Ich bin allerdings nicht allein. Nick und Xanthos stellen noch den Wagen ab.«

Ich hob eine Augenbraue. »Und dazu braucht es zwei Personen?«

Rya zuckte mit den Schultern. »Neues Auto, neue Technik und tausend Begriffe, die ich nicht kenne. Angeblich kann das Auto von allein einparken und das wollen sie ausprobieren.«

»Also braucht es zwei Krieger und eine künstliche Intelligenz, um ein Auto in eine Lücke zu quetschen. Das nenne ich Fortschritt.«

Kichernd folge Rya mir auf den Flur und streifte die Schuhe ab. »Ich habe deinen Humor vermisst«, sagte sie. Ich zuckte zusammen, was Rya mit einem irritierten Ausdruck zur Kenntnis nahm. »Ist alles in Ordnung?«

»Ja«, sagte ich zögernd. »Ich habe dich auch vermisst. Ich ziehe mir schnell was anderes an, bin gleich wieder da.« Den ganzen Weg die Treppe hinauf spürte ich ihren Blick im Rücken. Im Schlafzimmer ließ ich mich gegen die Wand sinken und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Es stimmte, ich hatte sie während ihrer Missionen sehr vermisst, aber Rya war es auch gewesen, die mich nach Hause geschickt hatte. Weil ich ohne Magie keine Hilfe war. Dieser Stachel saß noch tief und ich musste endlich darüber hinwegkommen. Oder meine Macht zurückbekommen, damit ich ihnen wieder eine Stütze statt einer Bürde war. Ich schlüpfte erst in meine Unterwäsche, dann in eine dunkle Jeans und einen schwarzen Strickpullover. Meine Haare fasste ich mit einem Gummiband zu einem Knoten zusammen. Mit Schminken hielt ich mich gar nicht erst auf, denn genau wie das Kochen war das eine Fähigkeit, die ich ohne Zauber nicht beherrschte. Puder und Wimperntusche befanden sich in meinem Repertoire, der Rest stellte mich vor ein Rätsel.

Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, waren die Krieger bereits eingetroffen. Aus dem Augenwinkel sah ich Xanthos rechts auf einem Sessel sitzen und widerstand dem Drang, ihn direkt anzusehen. Mein Puls beschleunigte sich, gleichermaßen aus Freude und Nervosität. In den letzten Wochen hatten wir nicht viel voneinander gesehen, aber in der Zeit, die wir zusammen gewesen waren, hatte sich etwas in mir verändert. Meine anfängliche Abscheu ihm gegenüber war verpufft, als er nach der folgenschweren Nacht im Museum kommentarlos mein Haus auf Vordermann gebracht und mir bei den alltäglichen Herausforderungen einer Normalsterblichen ohne Magie unter die Arme gegriffen hatte – ohne sich über mich lustig zu machen. Das hätte ich von Nick erwartet, bei Xanthos hatte es mich überrascht. Genauso wie seine Geduld, als ich den dreien bei den Missionen mit meinen unzähligen gescheiterten Zauberversuchen auf den Keks gegangen war. Dabei brachten wir uns sonst gegenseitig in fast jeder Unterhaltung zur Weißglut.

Am meisten Angst machte es mir, wie sehr mich das erste ehrliche Lächeln von ihm aus dem Konzept gebracht hatte. Deswegen wollte ich mich noch einen Moment fassen und in Sicherheit wiegen, bevor ich mich ihm und seinem durchdringenden Blick stellte. Der Tag hatte den Großteil meiner Kraftreserven bereits aufgebraucht, jede Sekunde Auftanken galt es zu nutzen.

Ich ging auf Nick zu, der zusammen mit Rya auf dem Sofa saß. Er stand auf und drückte mich zur Begrüßung überraschend fest, sodass mir die Luft wegblieb. Dann hob er mich ein Stück hoch und ein Lachen kämpfte sich aus mir heraus.

»Du Angeber«, murmelte ich und zupfte an seiner schwarzen Jacke, nachdem er mich wieder abgesetzt hatte. Er gab mich frei und grinste mich spitzbübisch an. Bei Hekate, Rya tat ihm so gut. Ich hatte ihn noch nie so glücklich und strahlend gesehen.

»Wie geht es dir?«, fragte Nick. Er wandte den Blick nicht von meinem Gesicht ab, doch mir war klar, dass er trotzdem sehr aufmerksam jede meiner Bewegungen abschätzte, wie ein Krieger im Kampf, der in Körpern las wie in Büchern.

»Gut, danke. Und selbst?«

»Auch. Es ist schön, dich wiederzusehen.« Nick trat einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf den Sessel frei. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Xanthos machte keine Anstalten, aufzustehen. Er nickte mir lediglich zu und musterte mein Gesicht. Mein Blick huschte über seinen Körper, der in einer dunkelblauen Jeans und einem khakifarbenen Pullover steckte. Die Musterung entging ihm natürlich nicht.

»Mágissa«, sagte er knapp. Sein rechter Mundwinkel zuckte.

»Idiot«, erwiderte ich die Begrüßung.

Es würde nicht lange dauern, bis es eskalierte. Jede Begegnung endete in einer Auseinandersetzung, mal mehr, mal weniger laut. Es war anstrengend, aber auch ein Ritual, das mich beruhigte und mir zeigte, dass manche Dinge sich nicht änderten. Mein Bauch kribbelte voll Vorfreude.

Doch diese sackte in sich zusammen, als mir die weiße Strähne auffiel, die von der rechten Schläfe aus Xanthos’ Haar durchzog. Ich legte den Kopf schief und musterte sie prüfend. Nein, die hatte er sich sicher nicht selbst gefärbt. Im Raum wurde es still, was meinen Verdacht bestätigte, dass etwas nicht stimmte. Ich ging auf Xanthos zu, der sich aufrichtete, ohne mich aus den Augen zu lassen. Er hielt mich nicht auf, als ich an seiner Seite stehen blieb und meine Hand nach seinem Haar ausstreckte. An den Seiten trug er es kurz, dafür war es oben etwas länger als früher. Es stand ihm gut, verpasste ihm etwas Verwegenes. Aber diese Strähne …

Ich fuhr mit den Fingern hindurch. Das Prickeln auf meiner Haut verriet mir, was ich bereits geahnt hatte. Es war keine natürliche Verfärbung und auch kein Friseur hatte hier nachgeholfen. Ich fixierte die Stelle, konzentrierte mich auf die Energie, die …

Xanthos packte mich am Handgelenk und unterbrach die Verbindung.

»Lass das«, sagte er streng und schob mich sanft, aber mit Nachdruck von sich. Seine stahlblauen Iriden strahlten Kälte aus, wie immer lag dieses herausfordernde Glitzern darin.

»Ein Katára. Du wurdest verflucht«, stellte ich feixend fest. Es konnte nur ein schwacher Fluch sein, denn Schlimmeres hätte ich gespürt und mich dann auch nicht darüber lustig gemacht. Xanthos kniff drohend die Augen zusammen, doch ich redete weiter. »Wie hast du das angestellt? Ach, was frage ich? Zu lange mit dir in einem Raum und auch mir juckt es in den Fingern.«

Xanthos starrte mich wortlos nieder, während Rya und Nick mit größter Mühe versuchten, ein Lachen zu unterdrücken. Ich drehte mich zu ihnen um. »Im Ernst, was hat er ausgefressen?«

Rya hob abwehrend die Hände und auch Nick schüttelte den Kopf.

»Das geht dich nichts an«, knurrte Xanthos neben mir und stand auf. Er überragte mich um fast einen Kopf, aber das schüchterte mich nicht ein. Ich wollte etwas erwidern, doch dann erkannte ich ihn – den Grund, aus dem sie hier waren.

Sie wollten meine Hilfe, um den Fluch zu brechen. Und ich musste sie enttäuschen, weil das aktuell nicht in meiner Macht lag. Wie so vieles andere auch.

Xanthos verschränkte die Arme und forderte mich mit finsterem Ausdruck dazu auf, ihm zu widersprechen. Ich wich seinem Blick aus und machte mich auf den Weg Richtung Küche.

»Ich mache Tee.«

Niemand sagte ein Wort, als ich das Wohnzimmer verließ. Doch sobald sie mich außer Hörweite glaubten, redeten die drei miteinander. Der Wortlaut war nicht zu verstehen, nur die Tonlage ließ darauf schließen, dass sie sich nicht einig waren, egal worum es ging. Während der Wasserkocher seine Arbeit verrichtete, lief ich in der Küche auf und ab. Ich bemühte mich darum, mich zu sammeln, damit ich zumindest versuchen konnte, den Fluch zu brechen. Doch meine Magie war nicht mehr als ein dumpfes Gefühl, ein schwacher Schatten in mir, der nichts würde ausrichten können.

Ich konnte nicht helfen. Wieder nicht. Ich hatte Rya und die anderen bereits ein Mal im Stich gelassen und ich würde es wieder tun. Der Preis für die schlechteste Mágissa auf der Welt ging an mich. Ich war nutzlos.

Das Klacken des Wasserkochers riss mich aus meinen Gedanken. Ich schüttete das kochende Wasser in die Kanne und hängte einen mit Darjeeling gefüllten Filter hinein. Rya und die anderen redeten noch immer hitzig miteinander. Es versetzte mir einen Stich, dass sie sich meinetwegen uneins waren. Sie hatten beileibe andere Probleme. Ich wollte nicht auch zu einem werden.

Mit geschlossenen Augen holte ich ein paarmal tief Luft und bemühte mich um Ruhe. Und um ein Lächeln. Ich rief mir schöne Erinnerungen ins Gedächtnis, um auf andere Gedanken zu kommen. Auf bessere. Als ich mich bereit fühlte, richtete ich die Kanne zusammen mit ein paar Tassen, einem Schälchen voll Zucker und einem kleinen Kännchen Milch auf einem Tablett an und brachte alles ins Wohnzimmer. Die Stimmen verstummten, als ich um die Ecke trat, doch die drei standen so eng beieinander, dass es keinen Zweifel gab, worüber sie geredet hatten.

»Setzt euch doch«, sagte ich bemüht fröhlich. »Ihr müsst mir erzählen, wie es mit der Suche nach den Ágalmas läuft. Habt ihr schon alle gefunden?« Ich stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab und setzte mich im Schneidersitz davor. Rya nahm auf dem Sofa Platz und zog Nick mit sich. Die beiden lächelten mich aufmunternd an und nahmen die Tassen entgegen, die ich ihnen reichte. Xanthos ließ sich in den Sessel fallen. Er wirkte angespannt. Nichts Neues also, nur gerade stresste mich das mehr, als es sonst der Fall war. Er war verflucht und ich konnte ihm nicht helfen. Ich konnte nicht das tun, wofür ich ausgebildet worden war, wofür ich lebte.

Meine Hände zitterten leicht, als ich auch ihm eine Tasse einschenkte. Er nahm sie wortlos entgegen und stellte sie auf seinem Knie ab.

»Wir haben ungefähr neunzig Prozent der Ágalmas gefunden«, begann Nick zu erzählen. »Luce und Cathy kümmern sich gemeinsam mit ein paar ehemaligen Gorgonen um sie und helfen ihnen bei der Akklimatisierung. Einige von ihnen haben sogar noch lebende Verwandte oder Familie, und wir helfen ihnen dabei, zu ihnen zurück­zukehren. Es gibt noch einiges zu tun, aber wir sind sehr zuversichtlich, dass wir es schaffen.«

Ich goss mir selbst Tee ein, schüttete Milch und Zucker hinterher und rührte um. Plötzlich hustete Rya und ich sah auf. Sie fasste sich mit einer Hand an den Hals, in der anderen hielt sie noch die Tasse.

»Verschluckt«, röchelte sie, während Nick ihr sanft auf den Rücken klopfte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte sie sich gefangen. »Es geht wieder, danke.«

Nick ließ die Hand auf Ryas Rücken liegen und nahm selbst einen Schluck Tee. Er zögerte kurz, ehe er die Tasse wieder absetzte. Seine Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst und er schluckte angestrengt, sagte nichts. Mochte er keinen Darjeeling? Was war noch mal sein Lieblingsgetränk? Ah ja, richtig. Ich hob eine Hand und wollte die Flüssigkeit in seiner Tasse mit einem Schnipsen in Kaffee verwandeln, als mein Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Ich hatte es schon wieder vergessen. Diesen Trick beherrschte ich ebenfalls nicht mehr.

Rya und Nick, die mit Sicherheit genau wussten, was ich vorgehabt hatte, starrten auf meine erhobene Hand, als wäre mir ein dritter Arm gewachsen.

»Ich habe auch Wasser da«, sagte ich in die Stille hinein.

»Danke«, antwortete Nick und nahm zögerlich noch einen Schluck. »Passt schon.«

Xanthos murmelte etwas Unverständliches, dann hob er seine Tasse. Er roch an dem Inhalt, zog die Brauen irritiert zusammen und probierte einen winzigen Schluck. Er verzog angeekelt das Gesicht.

»Das schmeckt ja grauenhaft.«

»In deinen Tee habe ich ja auch reingespuckt«, schoss ich zurück.

Er stellte die Tasse auf den Tisch. »Selbst wenn dem so wäre, würde das mit Sicherheit besser schmecken als dieses Zeug.«

»Stell dich nicht so an«, sagte ich.

Auch ich versuchte nun einen Schluck des Darjeeling und hätte ihn fast quer über den Tisch gespuckt. Er schmeckte wie schmutziges Spülwasser, in das man saure Milch hineingekippt hatte. Meine Zunge fühlte sich ganz pelzig an, als ich das Zeug hinuntergewürgt hatte.

Ich starrte auf den Tee, als wäre er schuld daran. Dann knallte ich die Tasse auf den Tisch und erhob mich. Ich nahm die Kanne mit, da ich dieses Zeugnis meines Versagens schnellstmöglich in den Abfluss befördern wollte.

»Ich hole Wasser.«

Rya stand ebenfalls auf. »Ich helfe …«

Ich hob eine Hand und würgte sie ab. »Keine Sorge, ich zapfe es aus dem Hahn. Da kann nichts schiefgehen.« Ich drehte mich auf dem Absatz um und stürmte aus dem Zimmer. Als Rya jetzt die Stimme erhob und Xanthos anfuhr, verstand ich jedes Wort, doch ich hörte weg. In der Küche angekommen, stellte ich die Kanne ab und griff nach einem Handtuch, das ich quer durch den Raum schmiss. Mehrmals, so lange, bis die Wut auf mich selbst ein bisschen verraucht war.

Ich war zu unfähig, um Tee zu kochen. Tee! Das waren ein paar klägliche Pflanzenblätter, über die man heißes Wasser goss. Einfacher ging es nicht. Und trotzdem verbockte ich es.

»Das Handtuch ist unschuldig«, sagte eine Stimme hinter mir. Xanthos lehnte im Türrahmen und beobachtete mich mit ausdrucksloser Miene.

Ich seufzte. »Soll ich es lieber an dir auslassen?«

»Kannst du gern versuchen, weit wirst du aber nicht kommen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust – definitiv seine Lieblingspose – und ließ die fein definierten Muskeln seiner Arme spielen. Er zog die linke Augenbraue herausfordernd nach oben und ich schüttelte schmunzelnd den Kopf. Vermutlich würde er mich mit nur einer Hand und nur einem Bruchteil seiner Kraft überwältigen können. Und das wussten wir beide. Verdammte Krieger.

»Du bist sicher nicht in die Küche gekommen, um meine Einrichtung vor mir zu retten, oder?«

»Nein. Rya hat mich geschickt, damit ich mich für meinen Kommentar entschuldige.«

»Und?«

»Ich werde es nicht tun«, sagte er und schnaubte, als wäre es töricht von mir, das überhaupt als Option in Betracht zu ziehen.

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532 s. 4 illüstrasyon
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9783959915601
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