Kitabı oku: «Magie aus Tod und Kupfer», sayfa 4
»Doch, ist es. Das letzte Mal habe ich mich vor dem Saubermachen aus dem Staub gemacht. Lass es mich jetzt nachholen.«
Ich sah mich in dem Raum um. Etwas Hilfe würde nicht schaden. »In Ordnung.«
Rya lächelte und stellte sich auf die Zehenspitzen, um Nick einen Abschiedskuss zu geben. »Holst du mich später wieder ab?«
»Natürlich«, antwortete er und strich ihr mit den Fingern über die Wange.
»Je schneller wir anfangen, desto eher könnt ihr euch nachher ein Zimmer nehmen«, sagte ich schmunzelnd. Ich wandte mich ab, um den beiden einen Moment lang so etwas wie Privatsphäre zu geben, und fand mich vor Xanthos’ Brust wieder. Aus dieser Nähe roch ich seinen Schweiß, und den Duft der Kräuter und Pflanzen, die bei dem Zauber zum Einsatz gekommen waren. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und fixierte mich. Ich konzentrierte mich auf seine Augen, damit mein Blick und meine Gedanken nicht zu anderen Dingen wanderten.
Er mochte nach außen hin so tun, als fühle er sich blendend, seine Augen verrieten mir etwas anderes.
»Nimm die Decke mit«, sagte ich. Seine Lider verengten sich minimal und wir lieferten uns ein Blickduell. Mit einem Knurren gab er ein paar Herzschläge später auf, bückte sich nach der Decke und schlang sie um seine Schultern. Zufrieden sah ich ihm hinterher, als er sich Nick schnappte und die beiden das Haus verließen.
Rya und ich blieben in der Stille zurück. Ich atmete auf und betrachtete zum ersten Mal das Durcheinander in meinem Wohnzimmer. Mittlerweile roch es wieder frisch, aber die verkohlten Überreste des Netzes sowie die überall verstreuten Ascheflocken zeugten eindeutig von dem … Zwischenfall.
»Ich weiß, wie es dir geht. Glaube ich.« Rya trat neben mich. »Als ich damals auf der Polizeistation den Mann versteinert habe … Das war ein Schock. Und du hast vorhin genau so ausgesehen, wie ich mich damals gefühlt habe.«
»Ich sollte das nicht können. So etwas steht nicht in meiner Macht. Zumal ich … zumal ich nie jemanden mit meiner Magie verletzen wollte. Im schlimmsten Fall hätte er sterben können.«
»Dann wäre er wiederauferstanden, nur um es dir heimzuzahlen«, sagte Rya und lächelte schief.
»Ja«, antwortete ich leise. »Vielleicht.«
Stille. Jene Stille, in der man die Worte, die gerade sorgfältig gewählt wurden, schon spürte, ehe sie ausgesprochen waren. Rya atmete einmal tief ein, dann sagte sie endlich, was ihr auf der Seele brannte.
»Es tut mir leid, dass du das meinetwegen durchmachen musst.«
Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Wie oft haben wir das schon durchgekaut? Zehn Mal? Hundert Mal? Du musst dich nicht entschuldigen. Meine Magie, meine Entscheidung.« Bei Hekate, jetzt eiferte ich schon dem Wortlaut eines Kriegers nach.
»Wir werden es vermutlich noch tausend Mal besprechen müssen, ehe ich es dir glaube. Und bis du verstanden hast, wie dankbar ich dir bin.«
Ich rollte mit den Augen. »Ich habe es verstanden. Nur du stellst dich stur«, brummte ich. »Können wir jetzt aufräumen?«
Sie nickte. Dann breitete sie die Arme aus und drückte mich kurz an sich. »Du bist die beste Freundin, die ich je hatte«, sagte sie.
»Ich bin auch die einzige Freundin, die du je hattest«, ergänzte ich und erwiderte die Geste. Sie schob mich von sich und stöhnte.
»Du bist echt anstrengend.«
»Du auch.«
»Sollen wir loslegen?«
Viel konnten wir nicht mehr retten. Die Fäden meines Netzes waren vollständig verkohlt oder verbrannt, der Rest der Materialien bis auf ein paar der Edelsteine ebenfalls. Wir klaubten alles noch Brauchbare zusammen, den Rest packten wir in eine Pappkiste. Bei Gelegenheit würde ich die Überreste verbrennen und versuchen, noch etwas Magie daraus hervorzuziehen, auch wenn es sicherlich schwierig werden würde. Es einfach wegzuschmeißen brachte ich nicht über mich.
Die noch intakten Steine reinigten wir mit Wasser und einem Schwamm und stellten sie dann zu den anderen ins Regal. Der Teppichboden, der unter dem Netz gelegen hatte, war nicht mehr zu retten. An einer Stelle war er vollständig verkohlt, an anderen schwer angesengt. Ich würde ihn rausreißen und neu verlegen lassen müssen. Mit einem Fingerschnippen war es nicht mehr getan.
Es klingelte an der Tür.
»Das wird Nick sein«, meinte Rya und ihre Augen strahlten vor Vorfreude.
Ich schob sie sanft in Richtung Tür. »Fahrt nach Hause, den Rest schaffe ich schon.«
»Bist du dir ganz sicher?«
»Ja.«
»Und bleibt es dabei, dass du die Mageía Mésa aufsuchen willst?«
»Noch mal Ja.«
»Okay. Dann sehen wir uns morgen. Wann sollen wir vorbeikommen?«
»Wenn ihr irgendwas mit Koffein mitbringt, ist mir die Uhrzeit egal. Und denkt an die Feder.«
»Geht klar.«
Ich öffnete die Haustür, winkte Nick nur kurz zu, ehe ich ihm Rya in die Arme drückte. »Pass gut auf sie auf«, warnte ich ihn und schmiss die Tür zu. Die beiden lachten leise, als sie sich entfernten.
Ich lehnte meine Stirn gegen das Holz. Ein paar Sekunden verharrte ich dort, ehe ich die Stille nicht mehr aushielt. Im Wohnzimmer ließ ich mich in die Kissen fallen.
Was, bei allen Göttern, war heute hier geschehen? Es musste eine logische Erklärung geben. Die gab es immer. Selbst in einer Welt, in der Magie existierte. Nur würde ich sie mit Sicherheit nicht allein finden. Aber mit der Suche anfangen, das konnte ich auch allein.
Ehe es mir zu gemütlich wurde, stemmte ich mich hoch. Ich nahm mir die Kiste mit den kläglichen Überresten meines magischen Netzes und ging in den ersten Stock. Auf der anderen Seite des Flurs öffnete ich die Tür, die zu meinem Arbeitszimmer führte. Wobei ich den Raum viel lieber als Bibliothek bezeichnete, obwohl er mit einer solchen nicht viel gemeinsam hatte, außer dass sich in jeder Ecke, auf jedem Regalfach und auch auf den Fensterbrettern Bücher, Folianten und Papyrusrollen stapelten. Hier lag alles kreuz und quer – Fachliteratur, Belletristik, Comics und was die Buchhandlungen meines Vertrauens noch so auf Lager hatten. Einen Teil des Bestandes dürfte es allerdings eigentlich gar nicht geben. Zumindest nicht in meiner Wohnung … aber wenn die Mageía Mésa so schlecht auf ihre Unterlagen achteten, riefen sie doch quasi dazu auf, dass man sich diverse Dokumente auslieh. Ich würde jedes einzelne Blatt Papier zurück an Ort und Stelle bringen, sobald ich es studiert hatte. Angesichts der noch ausstehenden Berge ein langwieriges Unterfangen, doch es gab fast nichts Schöneres, als sich zwischen den Buchstaben zu verkriechen.
Ich stellte die Kiste unter den Schreibtisch. In einer ruhigen Minute würde ich die Sachen sichten, und dann noch mal überlegen, was ich damit machen sollte. Mein Blick glitt über die Regale. Ein paar der hier verstauten Bücher handelten von mystischen Wesen, vielleicht war eines davon hilfreich. Ich suchte sie zusammen und packte sie auf einen Stapel auf dem Tisch. Einige Titel waren mit Zaubersprüchen belegt, sodass nur eine Mágissa sie würde öffnen können. Hoffentlich reichte meine Macht aus, um diese Hürde zu überwinden.
Ich vermied es, die Tür zum Nebenraum zu betrachten. Zu viel Schmerz lauerte dahinter, zu viele Erinnerungen. Selbst nach all den Jahren bildete ich mir ein, dass sie jeden Moment unter dem Türspalt hindurchsickern könnten.
Um mich abzulenken, griff ich nach dem ersten Buch und blätterte darin herum. Wesen aller Arten und Herkunftsorte waren auf die Seiten gebannt worden, manche so realistisch, dass ich fürchtete, sie würden mir gleich entgegenspringen. Die Ischyró Mágo behauptete immer, dass außer den Gorgonen keine Kreaturen aus der alten Welt, wie sie es nannte, in der heutigen Zeit noch existierten. Sie waren allesamt vernichtet worden. Angeblich. Doch wer konnte schon sagen, ob sich nicht doch etwas in den Schatten verbarg, die es überall auf der Welt gab? Wieso sollten wir die einzigen verbliebenen Träger eines mythischen Erbes sein? Das war anmaßend. Arrogant. Und die Feder möglicherweise ein erster Kratzer in unserem Ego.
Denn auch wenn ich nicht viel hatte spüren können, so war ich mir sicher, dass diese Feder zu etwas Lebendigem gehörte und nicht künstlich erschaffen worden war. Und die Tatsache, dass ich diese Musik gehört und mir bis dahin ungeahnte Kräfte entwickelt hatte, sprach ebenfalls dafür, dass es nichts Stinknormales war.
Eine gute Stunde überflog ich die Seiten der Bücher, die ich zu meiner Freude alle öffnen konnte. Ein paar geflügelte Wesen stachen mir ins Auge und ich notierte sie auf einem Blatt Papier. Bei keinem waren die Federn derart gefärbt wie bei dem Exemplar, das die anderen mir gebracht hatten. Das mochte jedoch eine neuere Erscheinung sein und deswegen sortierte ich zunächst nichts aus, was von der Körpergröße her passte. Die Liste würde ich mit zu den Mageía Mésa nehmen und sie dazu befragen.
Meine Augen brannten, und als ich mir mit dem Ärmel meines Pullovers übers Gesicht wischte, musste ich husten, als der Gestank von Rauch mir in Nase und Rachen stieg. Als hätte ich den Abend in einer übelsten Spelunke verbracht, in der allerhand gequalmt wurde und dazu noch ein Kaminfeuer brannte. Widerlich.
Zum zweiten Mal innerhalb eines Tages ließ ich mir ein Bad ein. Während das Wasser die Wanne füllte, schälte ich mich aus den Klamotten und stopfte sie in den Wäschekorb. Den hatte ich früher nie gebraucht, jetzt suchte ich ab und an einen Waschsalon auf, damit ich mir nicht alle paar Tage neue Klamotten kaufen musste.
Haushalt.
Das Wort hatte es in meinem Sprachgebrauch lange nicht gegeben. Nun war es eines, das ich leise fluchte, wenn ich die dazugehörigen Arbeiten erledigte. Mehr schlecht als recht, aber es reichte. Sobald ich die Kontrolle über meine Magie zurückhatte, würde sich das ändern.
Wenn.
Falls.
Während das Wasser rauschend in die Wanne floss, betrachtete ich erneut meine Hände. Ich rieb die Fingerspitzen aneinander und versuchte, mich an das Gefühl zu erinnern, wenn die prickelnde Magie durch sie floss. Jene Magie, die mir vertraut war, nicht diese unbändige Macht, die heute durch meine Adern geflossen war. Doch es fiel mir schwer. Wie das Atmen, war das Wirken meiner Gabe ein Reflex gewesen, auf den ich nicht weiter geachtet hatte. Etwas, was ich beherrschte, ohne darüber nachzudenken. Und heute half mir keinerlei Grübeln dabei, wieder einen Funken Magie aus mir zu locken.
Hoffentlich hatte Hekate recht. Hoffentlich würde ich mich erneut anpassen können.
Ich sah aus dem Badfenster nach draußen. Der Mond, eines ihrer Wahrzeichen, hing strahlend hell am Nachthimmel, nur ein kleiner Teil hing noch im Erdschatten. Noch deutete nichts darauf hin, dass er uns in knapp drei Wochen, am Jahrestag der Gründung Laginas, ein Schauspiel liefern würde. Er würde sich in den Super-Blau-Blutmond verwandeln. Dahinter steckte eine Mondfinsternis, gepaart mit einem Supermond und dem zweiten Vollmond in einem Monat. Jedes für sich waren diese Spektakel nicht selten, aber diese Kombination an genau diesem Tag – das gab es nur ein Mal in einem Jahrtausend.
Ich öffnete das Fenster und ließ das Licht herein, in der Hoffnung, dass seine Magie ein wenig auf mich abfärbte.
Nachdem ich allerlei Steine, Blätter und Badesalze im Wasser versenkt hatte, ließ ich mich hineingleiten. Vermutlich würde ich acht Mal am Tag baden können, ohne dass ich dessen überdrüssig wurde.
Seufzend ließ ich mich treiben und wusch mir den Gestank vom Körper. Ich rieb mir über die Arme, die Schultern, die …
Mein Blick fiel auf meine Brust. Genauer gesagt, das Tattoo.
Die Farbe der Motte hatte sich verändert.
Kapitel Fünf
So gut es ging, stützte ich mich mit beiden Händen am Wannenrand ab und drückte mich hoch.
Auch die freie Sicht auf die Motte änderte nichts an der Tatsache, dass deren Farbe gewechselt hatte. Es war keine optische Täuschung, keine Verzerrung durch das Wasser oder die Badezusätze.
Die Flügel der Motte waren nicht mehr lavendelfarben, sie strahlten nun in einem dunklen Kupferton. Wunderschön, und ebenso beängstigend. So schnell wie möglich, aber langsam genug, um nicht vornüber auszurutschen, stieg ich aus der Wanne und lief ins Schlafzimmer, eine Spur aus Tropfen hinterlassend. Ich stellte mich vor den Wandspiegel und betrachtete das Tattoo in Gänze. Es hatte sich wahrhaftig verfärbt. Mein Brustkorb bebte, als mein Puls sich beschleunigte. Das war nicht gut. Das war ganz und gar nicht gut. Ich strich mir die nassen Strähnen aus der Stirn und atmete tief ein und aus, bis ich nicht mehr das Gefühl hatte, mein Herz würde mir gleich durch die Rippen springen.
Mit zitternden Fingern tastete ich das Bild unter meiner Haut ab. Es fühlte sich an wie immer, nicht mehr oder weniger erhaben. Mit dem Daumen rieb ich etwas fester über eine Stelle, doch auch das änderte nichts an der Farbe oder Beschaffenheit. Die Mondsichel und der Kristall waren wie zuvor, ebenso die Musterung der Motte. Nur die Färbung nicht.
Ich betrachtete mein Spiegelbild.
»Was hast du jetzt schon wieder angestellt?«
Die Nacht war reine Folter. Meine Gedanken waren ein pulsierendes Wirrwarr, das mich immer wieder aus dem Schlaf riss, wenn ich gerade dabei war, wegzudämmern. Jedes Mal wurde ich mit hämmerndem Herzen und rasselndem Atem zurück in die Realität geholt und fuhr hoch. Jedes Mal fluchte ich laut, schlug auf mein Kissen ein und ließ mich auf die Matratze sinken. Doch das Spiel wiederholte sich, bis ich einsah, dass ich nicht würde gewinnen können.
Mit brennenden Augen und fürchterlichen Kopfschmerzen trat ich den Rückzug ins Wohnzimmer an. Ich entzündete ein paar Kerzen und machte es mir mit einem Buch aus meinem Arbeitszimmer auf den Kissen gemütlich. Die Zeilen flogen an mir vorbei, ohne dass ich ihren Sinn verstand, doch mein Geist war beschäftigt und verhielt sich still. Von all den Informationen überschüttet, gönnte er mir einen Moment Ruhe, und zum Morgengrauen hin kam ich zu etwas Schlaf.
Als auch der jäh durch ein Klingeln unterbrochen wurde, stand ich entnervt auf. Ich war eine wandelnde Katastrophe auf zwei Beinen. Dass ich auch so aussehen musste, zeigte mir Ryas Reaktion, als ich die Tür öffnete.
Sie riss die Augen auf und ihr wären fast zwei Kaffeebecher aus der Hand gefallen. »Was ist denn mit dir passiert?«
Erst da entdeckte ich Nick und Xanthos. Meine Sicht war verschwommen und erst nach mehrmaligem Blinzeln konnte ich sie vom Hintergrund unterscheiden. Silberne Stickereien auf ihren dunkelblauen Pullovern funkelten im fahlen Licht des anbrechenden Tages. Zu genau wollte ich gar nicht hinsehen, denn Xanthos zog eine Augenbraue hoch, während Nicks Ausdruck irgendwo zwischen Mitleid und Belustigung lag. Für einen Schlagabtausch fehlte mir die Energie. Die beiden Krieger sagten irgendetwas, ich blendete es aus. Mein Hirn hatte noch nicht so viele Kapazitäten frei.
Ich schüttelte den Kopf, gähnte und winkte sie herein. Der Duft von Kaffee umwehte Rya und mein Magen grummelte. Lächelnd hielt sie mir einen der Becher entgegen und ich nahm ihn mit einem Grunzen an mich.
»Danke.« Schlurfend lief ich ins Wohnzimmer voraus. Ich nahm einen Schluck aus dem Becher und – bei den Göttern – Koffein war das Ambrosia der Menschheit. Der Kaffee war schwarz und stark, und ich fühlte mich nicht mehr ganz so tot. »Danke«, sagte ich erneut, diesmal mit mehr Kraft in der Stimme.
Plötzlich war Xanthos neben mir. Er griff nach meinem Kinn und klemmte es zwischen seinem Daumen und Zeigefinger ein. Mit sanftem, aber unnachgiebigem Druck brachte er mich dazu, ihn anzusehen.
»Was ist los?«
Ich zog den Kopf zurück. Nur widerwillig ließ er mich los, das Blau seiner Iriden strahlte vor Kälte. »Nichts, worum du dir Sorgen machen müsstest«, erwiderte ich. »Sag mir lieber, wie es dir geht.«
»Gut«, murmelte er und sah mich an, als hätte ich ihm etwas getan. So eine Reaktion hätte ich gestern erwartet. Aber heute? Ich schüttelte den Kopf.
Wortlos übergab er mir ein zusammengelegtes Kleidungsstück. Es war dasselbe, was die drei trugen. Das Oberteil gehörte zu der Ausrüstung des Perseus-Ordens, es schützte den Träger vor Waffenangriffen und überzog ihn gleichzeitig mit einem magischen Schleier, der ihn vor den Augen anderer Menschen versteckte. Ein Relikt aus Kriegszeiten, die doch noch nicht hinter uns zu liegen schienen. Ich nahm das Bündel entgegen.
»Hilfst du mir beim Umziehen, Rya?«
Sie betrachtete mich skeptisch, dann ging ihr auf, was ich von ihr wollte. Sie nickte und folgte mir nach oben in mein Schlafzimmer. Während ich die Tür hinter uns schloss, setzte sie sich auf mein Bett.
»Geht es Xanthos wirklich gut?«, fragte ich und stellte den Kaffeebecher auf die Kommode.
»Ja. Er hat die ganze Nacht geschlafen wie ein Stein. Aber das ist nicht das, weshalb du mich hierhaben wolltest, oder?«
»Nein.« Ich zog mir erst meinen Pullover, dann mein T-Shirt über den Kopf und warf beides auf einen Stuhl neben dem Bett. »Es geht um das hier.« Ich deutete auf mein Tattoo, das man trotz des BHs gut sah.
Rya musterte es interessiert. Sie wollte etwas sagen, doch dann hielt sie inne. Ein trauriger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht und ich wusste genau, woher dieser rührte. Ich biss mir auf die Lippe, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Rya vermisste Amaris sehr und mein Tattoo erinnerte sie daran, dass sie nicht mehr da war.
Rya rang sich ein Lächeln ab. »Es ist wirklich schön. Oder sie? Oder er?«
Ich winkte ab. »Die Motte kann nicht lebendig werden. Es ist nur ein Tattoo. Ein magisches zwar, aber nichts im Vergleich zu euren. Das Problem ist nur … die Farbe hat sich verändert.«
»Oh. Wann? Gestern?«
Ich nickte. »Das ist kein Zufall, oder? Könnte es eine andere Erklärung geben?«
Rya legte den Kopf schief, betrachtete die Motte. »Amaris und die anderen Schlangen haben ihre Farbe gewechselt, wenn wir sehr starke Emotionen hatten. Das war immer nur vorübergehend. Ansonsten hatten sie die Farbe, die am ehesten zu uns passte. Fühlst du dich seit gestern anders?«
»Nein. Ich meine, ich bin leicht verwirrt wegen dieser ganzen Sache mit der Feder, aber grundsätzlich fühle ich mich nicht besser oder schlechter als sonst.«
»Welche Farbe hatte sie vorher?«
»Lavendel.«
»Passt zu dir. Kupfer irgendwie auch.«
»Okay. Danke.«
»Ich war ja nicht wirklich eine Hilfe.«
»Du hast mir zugehört, das …«
Die Tür wurde aufgerissen und Xanthos stürmte herein. Hinter ihm eilte Nick ins Zimmer und versuchte, ihn am Arm zurückzuhalten. Doch vergeblich, der Krieger war zu sehr in Rage, um darauf zu achten. Zielsicher deutete er mit dem Finger auf mich, als ich herumwirbelte. Rya sprang auf und stellte sich neben mich, als er zu zetern anfing.
»Hör zu, ich habe keine Lust mehr auf diese Spielchen. Wenn etwas passiert ist, will ich es wissen«, donnerte er. »Ich habe genug von Lügen und …«
Sein Blick fiel auf mein Dekolleté. Er stockte, ließ den Arm aber nicht sinken. Nick sah Hilfe suchend zu Rya neben mir.
»Raus hier«, zischte ich. Ich schämte mich nicht, aber ich konnte es nicht ausstehen, wenn jemand Grenzen nicht respektierte.
»Was ist los?«, fragte Xanthos, seine Stimme rau vor unterdrückter Wut und noch etwas anderem, was seine Augen dunkel werden ließ. Rya schob sich vor mich, Nick stellte sich Xanthos in den Weg.
»Wir sollten in Ruhe darüber reden, Xanthos.«
Dessen Blick bohrte sich in den von Nick. »Weißt du auch Bescheid?« Wir alle hörten sie, die unterschwellige Drohung, die in diesen Worten mitschwang. Nicks Schultern versteiften sich, er reckte das Kinn. Die beiden ehemaligen Krieger standen sich gegenüber, fast Nase an Nase, die Spannung in der Luft war kurz vor dem Zerreißen.
»Lass uns runtergehen«, bat Nick, hörbar um einen ruhigen Ton bemüht. Doch Xanthos schnaubte nur. Was bitte passte ihm nun denn nicht? Ich hatte wirklich geglaubt, dass er sich geändert hatte und nicht mehr der impulsive Berserker von früher war.
Ich atmete tief durch. »Ich sage es nur noch ein Mal. Raus hier.« Xanthos trat einen Schritt zur Seite, seine Kiefermuskeln zuckten vor Anspannung. Über Nicks Schulter hinweg warf er mir einen bittenden Blick zu. Hitze wallte in mir auf, als meine Wut zu kochen begann. Rya drehte sich erschrocken zu mir um. Sie riss die Augen auf.
»Xanthos, verschwinde!«, befahl sie ihm. »Ilena, du musst dich beruhigen!«
»Ich soll mich beruhigen?«, keifte ich. »Er ist doch hier reingestürmt und …«
Rya packte mich am Arm. »Du musst dich beruhigen.«
Ich wollte widersprechen und mich aufregen, als ich es bemerkte. Das Kribbeln in meinen Fingern, das heiße Prickeln in meinen Handflächen. Ich sah hinunter. Oh, verdammt. In meinen Händen bildeten sich helle Lichtflecken, die mich blendeten. Sie wuchsen stetig an, ich spürte ihren Puls auf meiner Haut. Schweiß bildete sich in meinem Nacken. Die Magie entzog sich meiner Kontrolle. Xanthos bemerkte es. Er wollte Nick zur Seite drücken, doch sowohl Rya als auch Nick stellten sich ihm erneut in den Weg.
»Ich will ihr helfen«, zischte Xanthos.
Die Lichtkugeln in meinen Händen wuchsen immer weiter an. Lange würde ich sie nicht mehr halten können.
»Ihr solltet alle gehen«, krächzte ich. »Jetzt.« Nick und Rya zögerten nicht lange, sie schoben Xanthos, der endlich nachgab, aus dem Zimmer. Ihre Schritte auf der Treppe verhallten, während das Schlagen meines Herzens immer lauter wurde. Ich schloss die Augen, suchte nach innerer Ruhe, doch da war nichts.
Ich stieß einen Laut der Verzweiflung aus, als ich die Magie nicht mehr halten konnte. Ich richtete meine Hände auf das Fenster und das Licht explodierte. Licht, Feuer und Funken sprühten aus meinen Fingerspitzen hervor und schossen auf das Glas zu. Die Fensterscheibe zersprang, der Vorhang fing Feuer. Von dem Rückstoß schwankte ich und konnte mich noch am Bett festhalten, ehe ich hintenübergekippt wäre. Sobald die Magie frei war, erlosch das Prickeln meiner Finger. Dafür brannte der Vorhang lichterloh. Ich stolperte, als ich zur Tür rannte. Rya kam mir bereits auf der Treppe entgegen und stürmte an mir vorbei in mein Zimmer. Blinzelnd hielt ich inne, dann machte ich auf dem Absatz kehrt und lief ihr hinterher. Der Rauch quoll bereits aus dem Zimmer hervor, ich hielt mir eine Hand vor den Mund.
Rya hingegen stellte sich dem Feuer breitbeinig entgegen und hob die Arme. Aus dem Badezimmer war ein Knacken zu hören, dann ein metallisches Scheppern, als wäre etwas Großes auf den Boden gefallen. Dann rauschte es.
Im nächsten Augenblick strömte das Wasser auf uns zu. Nein. Es flog. Ich duckte mich gerade noch rechtzeitig, als es auch schon über mich hinwegsauste, sich in Ryas Rücken teilte, nur um dann auf der anderen Seite wieder zusammenzulaufen und auf das Feuer einzuprasseln. Die Flammen kämpften, wehrten sich gegen den Feind, doch dann gaben sie sich mit einem Zischen geschlagen. Als Rya die Arme sinken ließ, blieben nur noch qualmende Fetzen des Vorhangs zurück. Auch Teile der Tapete und des Bodens waren angekokelt, ohne Rya hätte es weitaus schlimmer geendet. Rauch, Qualm und Asche waberten durch die Luft und durch das zerstörte Fenster hinaus in den Garten.
Im Bad plätscherte das Wasser weiter munter vor sich hin.
»Nicht schon wieder«, murmelte ich. Dann setzte die Erleichterung ein und ich musste lachen. So sehr, dass ich mir den Bauch hielt und nicht mehr stehen konnte. Ich lehnte mich an den Türrahmen, ließ mich daran herabgleiten und lachte aus vollem Hals. Rya, die zunächst nicht wusste, wie sie reagieren sollte, stieg letzten Endes doch mit ein. Es überraschte mich zunächst, dass die Männer sich nicht blicken ließen, doch ich hätte mich vermutlich auch von zwei möglicherweise verrückten, zumindest teilweise magisch begabten Frauen ferngehalten.
Rya rang nach Atem, als das Gelächter verklang. »Ich bringe es sofort in Ordnung.« Sie verließ das Schlafzimmer, um ins Bad zu gehen. Auf dem Weg dahin rief sie nach Nick, vermutlich weil er bereits beim letzten Unfall Erfahrungen in Sachen Handwerkskunst gesammelt hatte. Anfangs war er keine große Hilfe gewesen, aber mit der Zeit hatte er den Dreh rausbekommen. Der Krieger erschien auf der Treppe und zog die Brauen nach oben, als er mich auf dem Boden sitzen sah.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, jetzt wieder. Wo ist Xanthos?«
»Ich habe ihn rausgeschickt. Er soll erst mal eine Runde um den Block rennen und sich abreagieren.«
»Was ist los mit ihm?«
Nick seufzte und warf einen Blick zum Bad, in dem man Rya herumwuseln hörte. »Später, okay? Ich will ihr erst mal helfen. Sonst steht nachher wieder alles unter Wasser. Du solltest dich in der Zwischenzeit umziehen.«
Oh, richtig. Ich trug obenrum noch immer nichts außer meinen BH, und meine Hose stank nach Rauch und war mit Asche bedeckt. Großartig. Das Bad war gerade eine Tabuzone, also mussten frische Kleidung und eine Katzenwäsche in der Küche reichen.
Zum Glück war der Rauch nicht bis in meine Kommode vorgedrungen und ein paar der Klamotten rochen noch frisch, auch das Oberteil des Ordens war immun. Da es durch das offene Fenster zog, ging ich ins Wohnzimmer, um mich umzuziehen. Von Xanthos war weit und breit nichts zu sehen. Ob er überhaupt wiederkommen würde? Nachdem ich frische Kleidung angezogen und mein Gesicht mit Wasser gereinigt hatte, schnappte ich mir eine Rolle Paketklebeband und ein paar der Müllbeutel unter meiner Spüle. Auch eine Schere schob ich in meinen Hosenbund und damit bewaffnet ging ich ins Schlafzimmer. Rya und Nick hantierten immer noch im Bad, offensichtlich war der Schaden dieses Mal doch etwas komplizierter. Ich wusste es besser, als mich einzumischen, also machte ich mich an der anderen Baustelle ans Werk. Mein Ziel war es, das Fenster notdürftig mit dem Tape sowie den aufgeschnittenen Tüten zu überkleben, damit das Zimmer nicht Wind und Wetter ausgesetzt war. Mit nur zwei Händen war das allerdings ein schwieriges Unterfangen, außerdem war ich zu klein, um ohne Hilfe auch an den oberen Rahmen heranzukommen. Ein Stuhl musste her.
Mit der Schere im Mund und dem Tape in der einen, den Tüten in der anderen Hand mühte ich mich lautstark ab, als mir auf einmal eine dritte Hand zu Hilfe kam. Vor Schreck spuckte ich die Schere aus, die klappernd zu Boden viel.
»So wird das nichts«, brummte Xanthos, der nun ein T-Shirt trug, und nahm mir die Rolle Klebeband ab. Er brauchte keine Schere, er riss einfach mit reiner Körperkraft einen Streifen ab und platzierte ihn genau dort, wo ich ihn haben wollte. Verdammter Angeber.
»Gib her«, sagte er tonlos.
Ich händigte ihm die Tüten aus und er nickte zufrieden. Zwar kniff er kurz die Augen zusammen, als ich ihm dabei half, das Plastik über den Rahmen zu spannen, aber er sagte nichts weiter. So dauerte es nur ein paar Minuten, bis das Fenster provisorisch und weitestgehend luftdicht geflickt war. Minuten, in denen keiner von uns ein Wort sagte und die Spannung mit jeder Sekunde stieg. So stark, dass es mir im Nacken kribbelte, als wir unser Werk begutachteten. Xanthos fuhr mit den Fingern die Kanten nach und überprüfte ein letztes Mal, ob alles korrekt saß.
»Danke«, sagte ich, ehe ich es mir anders überlegte. Das hier war seine Art, sich zu entschuldigen und ich wollte ihm zeigen, dass ich sie akzeptierte.
Xanthos zuckte nur mit den Schultern. Von seiner Wut, seiner Rage war nichts mehr übrig. Als er sich umdrehte und aus dem Raum schritt, sah ich, dass der Stoff seines Shirts zwischen seinen Schulterblättern regelrecht auf der Haut klebte. Er hatte geschwitzt. Ich sprang ihm hinterher und hielt ihn am Oberteil zurück.
»Geht es dir gut?«, fragte ich ihn und zog am Stoff, bis er sich umdrehte. »Oder macht deine Verletzung Probleme?«
Ich ließ ihn los und er trat einen Schritt nach hinten. »Ich war joggen.« Mehr kam nicht aus ihm heraus und mir fiel keine passende Erwiderung ein. Xanthos ließ die Schultern hängen und steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Es tut mir leid, dass ich so überreagiert habe und einfach reingeplatzt bin«, sagte er leise. »Das war unangebracht.«
»Was war los?«
»Das frage ich dich. Etwas stimmt nicht. Abgesehen von der Sache mit dem Feuer. Was ist es?« In seinen Augen lag keine Wut mehr, nur Sorge.
»Nichts Schlimmes«, erwiderte ich, obwohl ich mir selbst nicht sicher war. »Und bestimmt nicht schlimmer als dein Fluch«, schob ich hinterher. Ertappt wandte er den Blick ab, dann schüttelte er langsam den Kopf und lächelte bitter.
»Wir sollten gehen.« Er drehte sich um und ging ins Erdgeschoss. Ich folgte ihm schweigend, auch wenn das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen war.
Rya und Nick erwarteten uns im Wohnzimmer, bereit zum Aufbruch. Beide warfen einen Blick zwischen Xanthos und mir hin und her. Der Krieger ignorierte sie, ich rollte mit den Augen.
»Lasst uns gehen«, sagte ich. »Bevor Xanthos mich wieder aufregt und ich mein Haus abfackele.«
Kalte eisblaue Augen blitzten mich reuevoll an. Oha, da hatte jemand keinen Humor mehr. Und ein schlechtes Gewissen? Ich hob entschuldigend die Arme, seufzte in Ryas Richtung und ging dann voraus zur Haustür.
»Du kannst hier parken«, wies ich Nick zwanzig Minuten später an. Er lenkte den schwarzen SUV auf den Schotterplatz mit den ausgewiesenen Parkplätzen. Diese gehörten zum botanischen Garten von Bellmont, mitten in der Stadt. So früh am Tag kamen unter der Woche zum Glück nicht viele Leute her und es war noch fast alles frei.
Der Kies knirschte unter meinen Schuhen, als ich aus dem Wagen ausstieg und die frische Luft in mich aufsog. Ich war schon einmal auf diesem Weg auf das Gelände gekommen. Damals hatte ich dieses Anwesen zum ersten Mal besucht und war noch nicht im Besitz meiner magischen Kräfte gewesen. Danach hatte ich mich ganz einfach herteleportieren können und auch Nephele hatte mich vorgestern auf magische Weise hergebracht.