Kitabı oku: «Nacht über der Prärie», sayfa 5
»Das bin ich.«
Ich befehle meinem Gesicht, eine Maske zu sein … meine Gefühle sind verwundbar … sie müssen bedeckt werden …
Queenie dachte an diese Worte, die aus ihr geboren waren und die Conny als die seinen hatte drucken lassen. Diese Zeit war vorbei. Es waren erst zwei Wochen vergangen, und schon schien ihr die Schule weit in der Ferne zu liegen, in einer Ferne, die sie nie mehr würde erreichen können, auch dann nicht, wenn sie einmal in jenes Zimmer mit den schweigsam abgeschatteten Farben und den sprechenden Bildern zurückkehrte.
Sie wies alle schweifenden Gedanken fort, denn der Richter hatte Runzelmann beauftragt, Joe King herüberbringen zu lassen. Sie hörte, wie Runzelmann das Gerichtshaus verließ.
Sie hörte, wie wenige Minuten später die Haustür wieder geöffnet wurde, wie schwere und mittlere Tritte hereinkamen, zwischen denen sie leichte nicht zu erlauschen vermochte. Vor der Tür des Raumes, in dem sie saß, machten alle Tritte halt. Der große Polizist öffnete und zog Joe King am Arm hinter sich her, der kleine folgte, die Pistole wieder in der Hand.
Die Tür wurde von Runzelmann verschlossen; er drehte den Schlüssel zweimal im Schloss. Dann stellte er sich auf die linke Seite des Verhafteten, während der Polizist mit der schussfertigen Pistole hinter dessen Rücken stand.
»Was ist los?« fragte der alte Richter. Er befürchtete, dass man ihm Vorwürfe machen würde, wenn in Gegenwart des Mädchens irgend etwas geschah, was der Ordnung nicht entsprach.
»Der Bursche da ist schlechter Laune.«
»Weiter nichts?«
»Noch nicht.«
Queenie sah Stonehorn an. Sie suchte unentwegt seine Augen, und er wich nicht aus, sein Ausdruck war aber abwesend.
»Joe King!« begann der Richter mit jener scharfen Stimme, die Ed Crazy Eagle schon einmal aufgefallen war. »Wo warst du in der Sturmnacht?«
»Ich verweigere die Aussage.«
»Woher hast du das silberne Kettchen, das Harold stets um den Hals getragen hat?«
»Ich habe es gefunden.«
»Wir wissen bereits mehr, als du zu glauben scheinst. Es ist besser für dich zu gestehen.«
Auf den Zügen des Angeschuldigten erschien die verächtliche Herablassung, die dem alten Richter oder auch möglichen Aussagen von Queenie gelten konnte. Wer wusste es? Joe King kannte die Taktik richterlicher Vernehmungen.
»Wie kamst du dazu, Miss Halkett auf offener Straße wie eine Bekannte zu grüßen?«
»Wir sind früher in die gleiche Schule gegangen.«
»Grüßt du alle ehemaligen Schüler dieser Schule?«
»Mag sein. Aber das übersteigt mein Erinnerungsvermögen.«
»Das übersteigt dein Erinnerungsvermögen.«
»Ja.«
»Du hast in den vielen Untersuchungen, zu denen du die Gerichte gezwungen hast, und im Gefängnis offenbar nicht wenig gelernt.«
»Ich war immer ein schlechter Schüler.«
»Und ich habe es satt, dass du junger Bursche und Bandit mir auf diese unverschämte Weise begegnest! Verstanden?«
»Ja.«– Stonehorn sprach dieses Ja stets ganz kurz, wie abgehackt.
Der alte Richter war über sich selbst ärgerlich. Er hatte sich von der Vernehmung Joe Kings in Gegenwart des Mädchens irgend etwas versprochen, was nun nicht eintrat. Joe hatte seine volle Selbstbeherrschung wiedergewonnen und spielte mit Aussagen wie mit einem Colt in der geübten Hand.
»Du scheinst dich damit abgefunden zu haben, dass du als Mörder hingerichtet wirst, denn du bist klug genug, um zu wissen, dass deine Aussageverweigerung die Indizien nicht mehr entkräften kann. Zweimal hast du dieses Spiel gespielt, das dritte Mal bist du dran.«
Stonehorn schwieg. Er wusste genau, dass der Richter ernst machen wollte und ernst machen konnte. Harold Booth war zwar nicht als Leiche gefunden worden, und die Indizien waren schwach, aber gegen einen Joe King konnte man jetzt jedermann aufbringen.
Tashina sah immer noch unentwegt auf Joes Gesicht. Wann auch immer er ihren Blick suchen würde, er sollte ihn finden. Und in diesem Moment blitzte ein Gruß in seinen Augen auf. Der Richter hatte es bemerkt.
Er wandte sich Queenie zu. »Haben Sie etwas zu sagen? Irgend etwas beobachtet, was hier dienlich sein kann? Wissen Sie, wohin sich Joe King gewandt hat, als Sie mit Ihrem Wagen abfuhren?«
»Ich war in dieser Nacht mit ihm zusammen.«
»Du … wo?!« Der alte Richter musste alle Nervenkräfte zusammennehmen, um die Frage in würdig bleibendem Ton zu stellen.
»Darüber verweigere ich die Aussage.«
»Queenie! Was heißt das?«
»Ich war mit ihm zusammen.«
Der Richter erhob sich. »Queenie! Er hat dich vergewaltigt?«
»Nein.«
Es trat Schweigen ein.
Der alte Richter atmete ein paarmal tief. »Queenie! Würdest du das vor deinem Vater wiederholen?«
»Ja.«
»Wann bist du nach Hause gekommen?«
»Am Morgen. Mein Wagen war vom Sturm weggerissen worden.«
»Du hast … du bist … weißt du, was du hier sagst?«
»Ja.«
»Willst du diesen verdammten Gangster retten? Bist du verliebt?«
»Ich war mit ihm zusammen. Es ist die reine Wahrheit.«
»Vor Gericht wirst du schwören müssen.«
»Das kann ich.«
»Wie willst du beweisen …?!«
»Ich hoffe, dass wir ein Kind haben werden.«
Queenie sah die Mienen der Polizisten nicht. Sie schaute nur auf Stonehorn. Seine Augen waren wieder abwesend.
»Queenie …« Die Stimme des Richters wurde leise vor Entsetzen. »Queenie … von diesem Mann? Bist du noch bei Sinnen?«
»Ich will es haben. Es wird schön sein und stark.«
»Das Kind eines Mörders …«
»Nein. Mein Mann ist kein Mörder.«
Stonehorn sah seine Frau an. Was sie sagte, erschien dem Verfemten ein viel größeres Wunder als jedem anderen.
Der alte Richter hob das Kettchen in die Höhe, das um den Hals von Harold Booth gelegen hatte. »Das ist der Beweis.«
»Nein.«
»Hast du Gründe?«
»Ja. Ich war dabei, als Stonehorn das Kettchen fand.«
»Du warst dabei? Du hast ihn also nochmals getroffen?«
»Ja. Als ich das erste Mal zu der Töpferei ging.«
»Und ihr habt dann zusammen das fremde Eigentum behalten, das ist Unterschlagung! Dadurch, dass ihr nichts von dem Fund gemeldet habt, ist auch die Suche nach Harold Booth verzögert worden. Queenie! Bist du diesem Kerl schon ganz und gar hörig geworden? Hast du ganz vergessen, wer du bist? Du hast dich mit ihm zusammen strafbar gemacht! Weißt du nicht mehr, wer deine Eltern sind?«
»Ich habe nicht gestohlen. Das Kettchen gehörte mir. Das können Vater und Mutter bezeugen, denn sie haben es mir geschenkt, als ich vor einem Jahr auf der Kunstschule ein sehr gutes Zeugnis erhielt. Harold muss es mir dann in den Ferien heimlich weggenommen haben, als er mit seinen Eltern auf unsere Ranch kam. Damals hat er auch ein Bild von mir und eines von Henry aufgenommen. Ich vermisste dann das Kettchen. Er hatte immer ein Souvenir von mir verlangt, und ich hatte ihm nie eines gegeben.«
»Ordentliche Leute sind wohl nicht dein Geschmack. Schade, Queenie, schade um dich. Was wird die Schule nur dazu sagen!« Der Richter brütete vor sich hin. Das, was er zu hören bekommen hatte, machte ihm Herzschmerzen.
»Darf ich noch etwas sagen?« fragte Queenie.
»Bitte. Wenn es wichtig ist.«
»Da Stonehorn das Kettchen gefunden hatte, habe ich es ihm als Andenken geschenkt.«
Der Richter zuckte zusammen.
»Wo fand er es?«
»Am Straßenrand, ein Stück weit unterhalb der Siedlung hier, in Richtung New City. Es lag da, als ob Harold es weggeworfen hätte.«
Die Angaben stimmten überein.
Der Richter lehnte sich zurück.
In den Zügen von Joe King stand nicht einmal Triumph geschrieben. Er war benommen.
»Queenie«, sagte der alte Mann, »du weißt nicht, was du getan hast, aber es ist nun unwiderruflich, und du hast dir einen schweren Weg gewählt. Vielleicht wird dein Vater dich nicht mehr in seinem Hause dulden, vielleicht wird die Schule dich nicht mehr aufnehmen. Sieh ein, Queenie, dass du deinen Mann zwar entlasten, aber nicht reinwaschen konntest. Er hat schon viel Böses auf dem Gewissen. Das Kettchen entfällt als Beweisstück, aber Harold Booth ist nicht da, und bevor wir ihn nicht gefunden haben, tot oder lebendig, bleibt der Verdacht in der Schwebe. Man wird auf Joe King immer noch mit Fingern zeigen, und auch du wirst jetzt keinen Schritt mehr tun können, ohne dass die Leute dir nachschauen. Ich wünsche dir aber nicht Böses, sondern Gutes. Gewinne deinen eigenen Charakter wieder, Queenie. Du solltest unseren Mädchen ein Vorbild sein … das musst du erst wieder werden.«
Der Richter wandte sich an Runzelmann. »Ihr könnt Isaac Booth sagen, es bestehe noch ein wenig Hoffnung, dass sein Sohn am Leben ist, solange wir die Leiche nicht gefunden haben. Wir werden die Vermisstenanzeige weitergeben.«– Dann befahl er den Polizisten: »Nehmt Joe King die Handschellen ab. Der Haftbefehl ist aufgehoben. – Hoffentlich nicht bis zum nächsten Mal … Joe King. Du stehst noch immer unter Verdacht, und wenn ich dich frei umhergehen lasse … dann nicht um deinetwillen und nicht um Queenies willen … aber um Queenies Eltern willen. Ihr werdet heiraten?«
»Ja«, sagte Stonehorn. »Wir sind Mann und Frau.«
Als die beiden jungen Menschen das Gericht verlassen hatten, gingen sie zusammen die Agenturstraße entlang. Die Gerüchte waren inzwischen lebendig geworden, und wer die beiden bemerkte, schaute ihnen heimlich nach.
Stonehorn hatte seine lässig-hochmütige Haltung angenommen, mit der er sich gegen das Misstrauen und die Verdächtigungen abschirmte, die er von seinen Mitmenschen erwartete. Queenie aber ging unbefangen neben ihm her, als ob sie dies schon gewohnt sei. Sie wusste nicht, wo er hinstrebte, aber sie ging mit, ohne zu fragen.
»Sie haben mir eine Art Bewährungsfrist gegeben, ehe sie mich wieder verhaften«, sagte Stonehorn, als er sicher wusste, dass niemand mithören konnte. »Ich gebe denen auch Zeit. Wenn sie fruchtlos abgelaufen sein wird, hast du keinen Mann mehr, Tashina. Dann werden sie Joe King erst kennenlernen.«
»Was tun wir nun zuerst, Inya-he-yukan?«
»Wir gehen jetzt noch einmal zu der Stelle, wo ich das Kettchen gefunden habe. Ich muss mir das genau ansehen. Wenn Harold ein Bandit gewesen wäre, könnte ich dir wahrscheinlich schon sagen, wo er steckt – tot oder lebendig. Aber er ist ein guter Mann, und mit den Gewohnheiten von guten Männern und ihren sonderbaren Einfällen weiß ich nicht genug Bescheid. Ich muss mich in den Dummkopf erst hineindenken. – Nachher – ja, nachher suche ich Quartier für uns und Arbeit für mich. Es wird weder das eine noch das andere leicht zu finden sein. Dein Vater nimmt uns nicht auf. Das steht fest.«
»Und dein Vater?«
»Der nimmt uns auf, aber das kannst du nicht ertragen.«
Stonehorn brach ab.
Rancher
Lauras braunhäutige Finger mit den rotlackierten Nägeln glitten über die Tasten. Sie hatte für den Superintendenten zu schreiben; es war ein amtliches Schriftstück, und nicht der geringste Fehler durfte es verunstalten.
Ein Besucher trat ein. Ein Klopfen hatte sie nicht gehört. Als er nun vor ihr stand, erkannte sie ihn. Es war Joe King.
»Ich bitte, den Superintendenten zu sprechen«, sagte er, als ob dies die einfachste Sache der Welt sei, obgleich nicht einmal der Häuptling, jetzt genannt Chairman oder President, gewagt hätte, einfach zu dem Superintendenten, dem obersten der Aufsichts- und Verwaltungsbeamten der Reservation, vordringen zu wollen.
»In welcher Angelegenheit?« fragte Laura.
»Das werde ich ihm selbst vortragen.«
»Wenn es sich um eine Wohlfahrtsangelegenheit handelt, bitte Mrs Carson, Ökonomie, Mr Haverman … Schulwesen brauchen Sie wohl nicht mehr.«
»Danke, ist bekannt. Ich wünsche den Superintendenten zu sprechen.«
»Der Superintendent nimmt nur Vorlagen an, die bereits von den Fachdezernenten und von seinem Stellvertreter, Mr Shaw, bearbeitet sind.«
»Wenn Sie mir das als die Auffassung des Superintendenten schriftlich geben können, sehe ich von meiner Bitte ab.«
Laura fuhr mit der Zungenspitze über die rotbemalten Lippen. Was für ein frecher Mensch! Und wie er sich auszudrücken verstand. Sie war gewohnt, dass Indianer, die abgewiesen oder an eine andere Stelle verwiesen wurden, stillschweigend wieder verschwanden. Aber Joe King hatte wohl von Anwälten und Richtern in seinen Strafprozessen gelernt.
Laura kämpfte mit sich. Dann nahm sie das Schriftstück, mit dem sie zu ihrem Vorgesetzten zu gehen hatte, und begab sich in das Zimmer des Superintendenten.
Er war allein und studierte eben Rundschreiben, die die einzelnen Reservationsverwaltungen über die Distriktsverwaltungen von der Regierungszentrale für Indianerangelegenheiten zu erhalten pflegten. Der höchste Chef drückte darin seine Unzufriedenheit mit dem bisherigen Zustand aus. Alle Superintendenten wurden ermahnt, ein vertrauensvolleres Verhältnis zwischen den Indianern und deren vorgesetzter Verwaltung herzustellen und den Kampf gegen die Armut energischer und einfallsreicher zu führen. Der Lebensstandard der Indianer, der weit unter dem Durchschnitt liege, müsse gehoben werden. Alle bisherigen patriarchalischen Vorstellungen seien abzulösen durch die allgemeine Devise: Help to help themselves – den Indianern helfen, sich selbst zu helfen. Peter Hawley las und wusste wohl, dass dies die neue Linie seit dem Zweiten Weltkrieg war und dass der neue Hohe Kommissar für Indianerangelegenheiten, der Hawley vor kurzem auf die schwierige Reservation versetzt und damit aus seinem gewohnten Lebenskreis herausgerissen hatte, diese neue Linie schneller und wirkungsvoller zur Geltung bringen wollte. Die Worte wirkten alle wohlmeinend und wohldurchdacht, aber wenn Buchstaben zu Menschen wurden, begannen die Schwierigkeiten.
Auch das war Peter Hawley bekannt. Der Superintendent Hawley, mit dreißig Prozent Indianerblut in den Adern, seit zwanzig Jahren im Dienst, legte die Rundschreiben achtsam und respektvoll beiseite. Er nahm aus Lauras Hand das Schriftstück in Empfang, las Wort für Wort, fast Silbe für Silbe, fand alles ohne Tadel und freute sich, von seinem Vorgänger eine so gute Sekretärin übernommen zu haben. Er unterzeichnete.
Da das Mädchen sich nicht gleich wieder entfernte, schaute er sie fragend an.
»Joe King ist im Vorzimmer und wünscht den Superintendenten persönlich zu sprechen. Ich wollte ihn an die Fachdezernate verweisen, aber er besteht darauf, Mr Hawley selbst zu sprechen … oder«– und dies fügte Laura mit besonders spitzer Stimme hinzu –»oder er wünscht, die Ablehnung schriftlich zu erhalten.«
Der grauhaarige Superintendent lächelte ein wenig.
»Er soll hereinkommen.« Es war der erste praktische Fall auf Grund der jüngsten Rundschreiben: Vertrauen gegen Vorurteile.
Als Joe King eintrat, wurde ihm ein Stuhl angeboten.
»Bitte – was führt Sie her?«
Joe King war verwirrt. Er kannte seit Jahren kein Entgegenkommen, sondern nur Krieg, und als er die Worte des Superintendenten hörte, verlor er etwas das Gleichgewicht wie ein Mensch, der bereit gewesen ist, sich entgegenzustemmen und auf einmal keinen Widerstand findet.
Laura hatte die Polstertür geschlossen und dachte draußen über das wetterwendische und unberechenbare Wesen von Vorgesetzten nach. Dieser Joe King wurde empfangen! Sie ärgerte sich, dass er sich gegen strikte Dienstanweisungen durchgesetzt hatte. Sie war fest entschlossen, sich zu rächen und dem Superintendenten in den nächsten Tagen einige Besucher mit unnützen Anliegen auf den Hals zu schicken.
Im Zimmer des Superintendenten hatte Joe King zu sprechen begonnen: »Ich war vor zwei Wochen bei Mr Haverman, aber er hat keine Chance für meine Pläne gesehen. Ehe ich sie aufgebe, wollte ich Sie selbst sprechen.«
Der Superintendent wiederholte sein »Bitte« durch eine einladende Handbewegung.
»Der Zustand der Reservation ist unbefriedigend.« Stonehorn sprach schnell, gehetzt, wie jemand, der lange nachgedacht hat und eine einmalige Gelegenheit, seine Gedanken vorzutragen, nicht genügend zu nutzen fürchtet.
»Wir haben sehr dürren Boden, wir haben viele Arbeitslose, wir haben viele Trinker, wir haben sehr wenig und sehr schlechtes Wasser und noch weniger Brunnen, mit denen wir Grundwasser heraufholen können. Die meisten von uns sind falsch ernährt oder unterernährt, viele sind krank. Die Sterblichkeit, besonders unter den Kindern, ist immer noch sehr groß. Unser Land hier ist abgelegen vom Verkehr; es ist schwer, Industrie herbeizuziehen, und Ihre Unternehmer trauen dem indianischen Arbeiter nicht. Der Staat, in dem auch wir Indianer Bürger und Soldaten sind, gibt jährlich Millionen und vielleicht Milliarden an Völker in anderen Kontinenten, damit sie, wie es heißt, ihre Wirtschaft entwickeln können. Wir aber haben eine teure Verwaltung auf dem Hals, und das Geld, das wir erhalten und das uns immer hingeworfen wird, wie man dem Bettler das Almosen hinwirft, ist nur ein Cent gegen die Dollars, die nach außerhalb gegeben werden. Es ist sogar unser eigenes Geld, Vertragsgeld, das man uns vorenthält, um es von anderen verwalten zu lassen. Selbst über das, was wir bekommen, können wir nicht selbst entscheiden. Wir können Ihre Fehler nur immer hinter Ihrem Rücken kritisieren, denn es fehlt uns eine legale Möglichkeit, uns Gehör zu verschaffen, und wir haben keine Gelegenheit, aus eigenen Fehlern zu lernen. Wir sind entmündigt. Sind wir keine Menschen?«
Der Superintendent schaute vor sich hin. »Ich kenne alle diese Argumente, Mr King, wenn sie mir auch noch nie derart einseitig und anmaßend vorgetragen wurden. Ich könnte Ihnen natürlich mit Gegenvorwürfen antworten. Das Reservationsland war groß, aber seine Bewohner haben schlecht gewirtschaftet, sie haben sich bitteren Tränen hingegeben, statt zu arbeiten, sie haben ihre Renten vertrunken, statt ihre Kinder damit zu ernähren – davon können Sie selbst ein Lied singen –, sie haben ihre Söhne und Töchter von der Schule fernzuhalten versucht, bis wir sie mit der Polizei holen mussten. Auch das wissen Sie selbst nur zu gut. Ihr Indianer habt schließlich Land an Weiße verkauft, und dieses Land, das beste Land, fehlt jetzt der Reservationswirtschaft. Wir aber haben Schulen gebaut – Ihre eigene Frau genießt eine ausgezeichnete Ausbildung –, wir haben das Krankenhaus gebaut, wir haben ein Altersheim gebaut, wir bezahlen Lehrer, wir bezahlen Ärzte, wir bezahlen Schwestern, und die Kinder können etwas lernen. Reservations-Indianer sind nicht steuerpflichtig, und auch der Arbeitsfähige erhält Arbeitslosenunterstützung. Wer will, kann die Reservation verlassen. Ein qualifizierter Arbeiter findet in unseren Staaten überall sein Brot.«
Joe King war aufgestanden. »Ja, wir haben zu lange geträumt, das ist wahr. Ihr habt uns das Land genommen, und ihr habt uns Renten versprochen, das war ein böser Tausch. Als wir keine Waffen mehr hatten, habt ihr uns noch mehr Land weggenommen. Jeder Familie habt ihr das Land für eine und eine halbe Kuh gelassen … und ihr habt euch gewundert, dass die Familien verkaufen mussten und zu trinken anfingen, um wieder träumen zu können. Wir können gehen … sagen Sie … ja, wir können den letzten erbärmlichen Rest, der uns vom Land unserer Väter geblieben ist, auch noch verlassen … aber das wollen wir nicht. Wir sind ein Volk geblieben durch eure Reservation und durch das, was wir auf euren Reservationen seit hundert Jahren erleben mussten. Es können einige von uns gehen, aber ein Kern bleibt. Wir wollen, dass unsere Reservation ein Land für Menschen wird … oder wollen wir tauschen? Lasst uns in euren Häusern hier wohnen, wo es Wasser gibt und Gärten und Springbrunnen und Straßen … und zieht in unsere Hütten, in denen wir uns nicht waschen können, weil wir das bisschen Wasser zum Trinken für unsere Kinder brauchen.«
Es trat eine Pause ein.
»Sie wollten mir nicht Vorwürfe machen, sondern Vorschläge, Joe King.«
»Gebt unserem Stammesrat Freiheit, damit wir wieder Lust bekommen zu arbeiten. Lasst uns mit anderen Reservationen unsere Erfahrungen austauschen. Gebt uns etwas von dem Geld, das ihr nach Afrika tragt und nach Asien, für Brunnen und Bewässerungsanlagen hier. Wir könnten außer Rindern auch Schafe züchten, wir könnten Kleinvieh halten, wir könnten Spezialzuchten von Pferden und von Büffeln aufbauen. Wir könnten das Kunsthandwerk besser entwickeln, wir könnten den Tourismus aufbauen, wir könnten auch mehr Sport treiben.«
»Ja, natürlich. Wo und wie wollen Sie den Anfang machen? Es liegt alles nur an euch. Wir sind da, um eure Selbsthilfe zu fördern.«
Joe King betrachtete den Superintendenten fast eine volle Minute schweigend und herausfordernd. Als Hawley nichts weiter sagte, schloss King: »Es liegt alles an uns, an den Wilden, an den Entmündigten, an den Besiegten, an den Beraubten. Aber wir haben nicht die Millionen, die seit einem Jahrhundert für unsere Aufseher und Vormunde ausgegeben worden sind und noch ausgegeben werden. Goodbye.«
»Halt, King. Ehe ich mein Goodbye ausspreche, möchte ich Ihnen das Folgende mitgeben: In den letzten sieben Jahren haben Sie mehr Zeit in Gefängnissen und unter Verbrecherbanden verbracht als auf unserer Reservation. Ich spreche Ihnen deshalb jedes moralische Recht ab, über die mühevolle Arbeit von Generationen von Treuhändern abfällig zu urteilen. Arbeiten Sie erst einmal selbst.«
Um Joe Kings Mundwinkel erschien der abfällig-herablassende Ausdruck, der den Superintendenten mehr reizen musste als die Tatsache, dass der Indianer doch noch das Schlusswort sprach: »Sir, über mich sind Urteile und Fehlurteile ergangen, und ich habe in Ihren Gefängnissen mehr gebüßt, als ich verbrochen habe. Aber was mit meinem Volk geschah und vieles von dem, was heute noch mit uns geschieht, findet keinen Richter, es sei denn, dass er sich in Ihrem Gewissen rührt.«
Während Hawley in seinem Dienstzimmer, aus dem der Besucher lautlos verschwunden war, einige Minuten hindurch untätig, unwillig und doch nachdenklich saß, traf Joe auf der Straße Queenie, die mit zwei Pferden auf ihn gewartet hatte.
»Wir sollen uns allein helfen«, sagte er. »Es hat überhaupt wenig Zweck, mit Menschen zu reden, die auf Sesseln sitzen. Uns beiden bleibt nichts übrig, als bei meinem Vater zu wohnen. Niemand anders nimmt uns auf, und nur auf unserer Ranch finde ich etwas Arbeit. Der eine frei gewordene Platz in der Angelhakenfabrik ist schon besetzt; sie haben ihn schnell weggegeben, damit sie mich nicht einzustellen brauchen.«
»Stonehorn – du hättest auch nicht Tag für Tag zwischen den Weibern sitzen und Angelhaken biegen können, um nicht einmal das zu verdienen, was ein Erdbeerpflücker jetzt verdienen soll.«
»Meinst du?« Er lachte, ein wenig heiter, weil er seine junge Frau neben sich sah, aber auch mit einer Spur von Sarkasmus. »Ich habe einmal zwei Jahre lang solche Arbeiten gemacht, wenn auch nicht zwischen ehrlichen Weibern.«
Er trieb seinen Hengst an.
So kam es, dass Stonehorn und seine Frau am Nachmittag beim Hause des alten King anlangten.
Sie sprangen beide von den Pferden. Drei magere Hunde kläfften und verzogen sich, als sie den Fußtritt ihres Herrn zu fürchten hatten. Während Stonehorn in das Haus ging, um den Vater zuerst allein zu begrüßen, hielt Queenie wieder die beiden Pferde. Der Hengst hatte sich schon an sie gewöhnt und machte keine Schwierigkeiten. Während sie die Zügel locker hielt und die Tiere grasen ließ, schaute sie über Tal und Berg. Die Prärie hatte hier einen anderen Charakter als in der Umgebung von Queenies Heimathaus. Jenseits eines breiten Tales, an dessen Hang Queenie stand, stiegen weiße Felsen auf, und am Fuß der Felsen war der Boden feuchter, die Vegetation grüner. Das Land war dort abwechslungsreicher, weniger karg, und im Talgrund führte eine Autostraße entlang. Queenie konnte das Haus sehen. Rinder grasten, und ein Junge jagte eben eine Gruppe von ungezäumten Pferden herbei.
Queenie wandte sich um, denn Stonehorn kam mit seinem Vater zusammen, um sie zu holen. Sie empfand in diesem Augenblick wieder den Stich, dass sie zu Menschen gehen musste, die ihr noch fremd waren.
Der eigene Vater hatte sie zwar ruhig angehört und sein Einverständnis zur formellen Eheschließung gegeben, hatte ihr dann aber ebenso ruhig die Tür gewiesen. Sie sah noch den traurigen Blick, mit dem Mutter und Großmutter sich wortlos von ihr verabschiedeten, und die fassungslosen Gesichtchen der drei kleinen Geschwister, die auf ein Machtwort des Vaters hin der älteren Schwester nicht einmal ein Stück weit das Geleit geben durften. Aber dieser Mann hier, der ihr bis dahin noch ganz unbekannt geblieben war, lud sie sofort ein, als Tochter zu ihm zu kommen. Er war groß, nur zwei Fingerbreit kleiner als sein Sohn, und schien ungewöhnlich stark. Sein Gesicht war zerfurcht, unter die schwarzen Haare mischten sich graue. Er trug noch zwei Zöpfe nach alter Indianersitte. Obgleich seine Kleidung alt, ausgewaschen, geflickt und wieder zerrissen war, fühlte Queenie weder Verachtung noch Abneigung gegen Old King, sondern eine natürliche Sympathie für ihn, und sie wunderte sich, dass Stonehorn geglaubt hatte, sie könne ein Leben bei seinem Vater nicht ertragen.
Das Haus, in das Queenie eingeführt wurde, war ein kleines, einfaches, rechteckiges Blockhaus, das einen einzigen Raum umschloss. Es hatte die übliche Bauart der älteren Reservationshäuser. Mit einem Blick überschaute Queenie das Innere. Linker Hand vom Eingang befanden sich übereck zwei Schlafgelegenheiten, mit Wolldecken versehene Holzgestelle, die breit genug waren, um zwei oder notfalls auch mehr Schläfern Raum zu bieten. Ein Tisch stand dazwischen. An der Wand am Haken hingen Kleider, in der Mitte des Raumes war der kleine eiserne Ofen aufgestellt, dessen Rohr durch das Dach ging und der auch als Herd diente. Auf einem Wandbrett stand eine Petroleumlampe, in einer Ecke ein ausgedienter Eisschrank. Eine alte Decke lag über Gegenständen, deren Natur nicht ohne weiteres zu erkennen war. Zuletzt entdeckten Queenies forschende Augen noch zwei Jagdgewehre.
Als Empfangs- und Festbraten gab es einen Fasan, den der Alte geschossen und vorzüglich zubereitet hatte. Er war stolz und freute sich, dass die Schwiegertochter es sich schmecken ließ und seine Kochkunst anerkannte.
»Du bist, wie eine Frau sein soll«, sagte er nach dem Essen. »Ich habe schon einiges gehört. Es ist richtig, wie ihr das gemacht habt. Nie und nimmer können sie ihm«– er nickt zu seinem Sohn hinüber –»nachweisen, dass er Harold umgebracht hat. Ihr müsst euch nur nie einschüchtern lassen und immer zu euren eigenen Worten stehen.«
Queenie schaute auf ihren Mann.
»Ich habe Harold nicht getötet.«
Der Alte lachte vergnügt. »Gut, gut, mein Sohn!«
Queenie nahm sich zusammen. Sie räumte den Tisch ab, verwahrte das Fasanengerippe, das sie am nächsten Tag noch einmal auskochen konnte, und begann die Stube auszukehren. Der Reisigbesen war neu.
»Den habe ich dir gemacht, weil ich gehört habe, wie fein ihr auf der Schule lebt«, meinte der Schwiegervater. »Du willst es hier sauber haben, das kann ich mir denken. Es wird aber ein paar Tage oder Wochen dauern, bis du über den Schmutz Herr wirst, den zwei Männer immer wieder hereintragen. Wasser ist übrigens ganz in der Nähe.«
Queenie ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie ging hinaus, Stonehorn kam mit ihr, und die beiden suchten die Eimer und Gefäße zusammen, die noch heil genug waren, um Wasser darin zu holen.
»Der nächste Brunnen ist drüben bei Booth«, erklärte Stonehorn, »aber dorthin gehen wir nicht.«
Er lief quer über den Hang voran, und Queenie folgte ihm. Er war rücksichtsvoll genug, nicht so rasch zu gehen, wie er es mit seinen langen Beinen wohl gern getan hätte.
Der Nachmittagswind kühlte sich schon zu einer Abendbrise ab. Das Gras nickte und neigte sich. Auf dem vernachlässigten Friedhof, nicht weit von Stonehorns Haus, beugten sich die langen, schon vergilbenden Gräser um schief stehende Holzkreuze. Nur ein kräftiger, oben gebogener Stab, der mit Federn behangen war, stand aufrecht, gerade. Das war indianischer Grabschmuck für einen Häuptling. Der Stab hatte die Bedeutung eines Zepters oder einer Flagge. Wo er stand, da war Indianerland. Und wenn es auch nur ein Grab war. Tashina wollte später einmal fragen oder hingehen und sehen, wer hier sein letztes Tipi, seine letzte Heimat, gefunden hatte. Rötlicher Schimmer glänzte über den weißen Felsen. Der Sonnenball senkte sich am westlichen Horizont. Auf der Seite des Tales, auf der Stonehorn und Tashina gingen, wuchsen die Schatten. Der Mann drängte mit etwas beschleunigtem Tempo voran. Wahrscheinlich war der Brunnen noch weit. Aber Queenie machte das nichts aus. Sie freute sich, mit ihrem Mann allein unterwegs zu sein, und sie sog die Luft ein, in der der Duft der weißen Rose, der Duft von Harz und fernen Wäldern lag. Stonehorn führte sie allmählich schräg abwärts, und nach einer Stunde kamen die beiden zu dem Brunnen, an dem sie nicht allein waren. Andere weit entfernt wohnende Familien hatten sich ebenfalls eingefunden. Sicher war hier auch eine Art von Nachrichtenzentrale, aber Stonehorn war nicht geneigt, sich in Gespräche verwickeln zu lassen, und Queenie wurde mit scheuer Höflichkeit behandelt.
Als die beiden sich mit den schweren Eimern und Gefäßen auf den Rückweg machten, bemerkte Stonehorn: »Wir müssen ein Auto haben oder große Wassersäcke, die wir den Pferden anhängen. So kannst du nicht dauernd schleppen gehen.«
»Habt ihr das bisher immer getan?«
»Ja, aber wir haben nicht soviel Wasser gebraucht wie jetzt, wo du da bist, und meistens bin ich auch nicht zu Hause gewesen.«
Der Rückweg mit der Last war mühsam, und die beiden brauchten bedeutend längere Zeit als für den Hinweg. An Rast dachten sie aber nicht.
Beim Haus kläfften wieder die hungrigen Hunde und wurden durch einen Steinwurf verscheucht. Der Nachthimmel war klar, die Sterne leuchteten über der dunklen Prärie und den weißen Felsen. Die Straße im Tal lag leer, wie ausgestorben.