Kitabı oku: «Nacht über der Prärie», sayfa 4
Ein schwarzes Korn geht auf
Die beiden kleinen Indianermädchen und ihr Bruder, der erst drei Jahre alt war, standen auf einer Anhöhe und lugten in die Richtung, aus der ihre große Schwester Queenie-Tashina kommen musste … wenn sie endlich kam. Die jüngeren Geschwister hatten schon am Abend vorher viel ungeduldiger gewartet als Vater und Mutter und Großmutter.
Der Vater arbeitete auf dem Dach des Holzhauses, das vom Sturm beschädigt worden war. Die Mutter bereitete alles vor, damit die Laube aus Kiefernzweigen, die als Sonnen-, Wind- und Regenschutz für einen Werkstattplatz des Ranchers zu dienen pflegte, wieder aufgerichtet werden konnte. Einen Blick warf sie auf das zerstörte Gemüsebeet. Schlamm lag darüber. Doch ein Autowrack, zum Ausschlachten bereit, hatte die Sturmnacht überstanden.
Ein braver Brauner weidete das nasse Gras und zuckte und zitterte hin und wieder mit dem Fell. Die Sonne schien schon wieder warm. Der Weg, der aus der Prärie zu dem Haus führte, war noch voller Lachen und Rinnsale. Es würde wohl noch einige Stunden dauern, ehe man wieder mit dem Wagen durchkam. Helles Jubelgeschrei der drei Kinder auf der Anhöhe meldete aber den Eltern, dass Queenie in Sicht sei.
Vater und Mutter blickten erstaunt auf. Das hatten sie nicht erwartet. Die Großmutter kam aus dem kleinen Haus, noch das Leder in der Hand, das sie mit alten Mustern besticken wollte, um es an das Museum in New City zu verkaufen.
Als Queenie ohne Wagen mit nasser zerrissener Kleidung, aber das Köfferchen in der Hand vor den Augen der Eltern auftauchte, war sie sich bewusst, dass ihr Aufzug einige Überraschung auslösen musste. Doch die Eltern und die Großmutter brachen nicht in laute Rufe oder Fragen aus, sondern weiteten die Augen nur ein wenig, gespannt, von Queenie den Hergang überraschender Ereignisse zu erfahren. Die jüngeren Geschwister hingen schon an ihrer Hand, und der kleine Bruder krähte seine Frage nach dem fehlenden Wagen in den im übrigen ohne Zweifel wunderschönen Morgen hinein.
Als die stumme Begrüßung vorüber war, öffnete Queenie das Köfferchen, gab der Mutter das Fleisch – ein Geschenk, über das sich die ganze Familie freute –, zog ein paar trockene Sachen der Mutter an und machte sich über ein Stück nasses Vollkornbrot her.
»Wir müssen gleich nach dem Wagen sehen«, sagte sie dabei zu ihrem Vater, der sich mit im Hause eingefunden hatte. »Der Sturm hat mich weggeweht und den Wagen auf einen Talgrund geworfen.«
»Henry ist beim Wagen geblieben«, bemerkte der Vater, eigentlich nicht als Frage, sondern nur als Erläuterung, denn dies erschien ihm selbstverständlich.
Queenie suchte ihre Verlegenheit zu verbergen. »Henry war wohl krank … ich habe ihn bei Elk in New City gelassen.«
Elk galt als einer der vertrauenswürdigen Männer. Die Eltern hatten zu Queenies Auskunft also nichts weiter zu bemerken, aber in der Mutter stieg eine Sorge auf, das sah Queenie ihr an. Wenn Henry so krank war, dass ihn Queenie nicht einmal im Wagen hatte mitnehmen können, musste es wohl schlimm um ihn stehen.
Der Vater machte sich mit seiner ältesten Tochter auf den Weg. Er nahm einiges Werkzeug mit. Vielleicht konnte er den Wagen an Ort und Stelle wieder fahrbereit machen. Der Fünfzigjährige hatte einen sehr guten Schritt. Queenie strengte sich an, um mitzukommen, ohne den Vater aufzuhalten. Hoch in den Lüften sah sie zwei Geier schweben. Sie war der eine der beiden Menschen, die schon wussten, was diese Vögel anzog und worauf sie lauerten.
Queenie musste kräftig mithelfen, als der Vater den Wagen wieder auf die Räder stellte. Der Wagen hatte am Hang gelegen, schon etwas schräg, dadurch war die Arbeit für die beiden zu schaffen. Der Vater stellte die Motorhaube auf, damit alles schneller abtrocknen konnte, prüfte dies und jenes durch und fragte dabei: »Was ist mit Henry?«
»Er hatte getrunken.«
Der Vater schaute rasch, beinahe entsetzt auf.
Er sagte aber nichts, sondern beschäftigte sich mit dem Kabel der Batterie, das wieder locker geworden war.
»Was habt ihr denn nur mit dem Wagen gemacht!«
Queenie bemerkte dazu nichts.
»Hast du das Schießen heute nacht gehört?«
»Ja.«
Der Vater betrachtete das zersplitterte Fenster.
»Ich habe es durchstoßen, um herauszukriechen«, erklärte Queenie. »Hier im Tal ist das Wasser geströmt wie in einem Fluss.«
»Ah, so.«
»Ich habe etwas verdient, und ein Kleid kann ich mir wieder kaufen. Ich habe viel Geld verdient, das habe ich bei Elk gelassen.«
»Ja. Schon gut.«
Der Vater sah hinauf zum Himmel und beobachtete die Aasvögel.
»Es gibt solche Vögel … und es gibt auch solche Menschen …«, sagte er. Das war alles, was er sagte oder zu fragen hatte. Vater und Tochter warteten zwei Stunden. Es saß sich schön und ruhig in der Sonne und in dem sanften Wind. Als der Wagen gut abgetrocknet war und auch die Wege schon wieder in einen Zustand kamen, der von einem Indianer als fahrbar angesehen wurde, ließ der Vater den Motor an. Die Zündung funktionierte, und die Fahrt nach Hause ging ohne Unterbrechung vonstatten.
Queenie machte sich daheim an die Gartenarbeit. In den Ferien war das Gärtchen immer ihrer persönlichen Obhut anvertraut. Sie holte sich Wasser von dem Pumpbrunnen, den sich der verstorbene Großvater und der Vater in jahrelanger mühseliger Arbeit selbst gebaut hatten. Mit Wasser ließ sich die Erde, die die Gemüsebeete überschlammt hatte, vorsichtig auflösen, noch ehe sie trocknete und hart wurde.
Es war, als ob das Blut in Tashinas Adern schneller strömte und die Sonne in ihren Augen heller glänzte, weil ein Glanz von innen ihr entgegenkam.
Das Unwetter hatte zahlreiche Schäden angerichtet, und in den nächsten Tagen war man allerorts mit Reparaturen beschäftigt. Die laufende Arbeit wurde dadurch überall aufgehalten, auf den Ranches, in den Büros, selbst in der Angelhakenfabrik, deren Dach abgedeckt war. Die Gerichtstermine konnten zum Teil nicht eingehalten werden, und das Krankenhaus war durch die Aufnahme von Unfallopfern des Sturms überbelegt. Viele Leute, die ihre Verwandten besuchten, blieben einige Tage länger, um abzuwarten, bis die Wege wieder leichter befahrbar wurden. Der alte Isaac Booth fand es daher zunächst nicht besorgniserregend, dass sich sein Sohn Harold nicht blicken ließ.
Erst zehn Tage später kam wie durch Zufall das Gespräch darauf. Mutter Booth kaufte frühmorgens im Supermarkt an der Agenturstraße ein, Eier, Mehl … Früchte? Nein, Früchte nicht, denn das Geld war immer knapp, die Ranch sollte noch vergrößert und die Pacht an den Stammesrat immer pünktlich bezahlt werden.
»Wie geht es denn Harold?« erkundigte sich die Kassiererin, in deren Adern einige Tropfen Indianerblut flossen.
Die Mutter, die sich um den tagelang ausbleibenden Sohn viel mehr sorgte als der Vater, witterte irgendeine Bedeutsamkeit in der Frage.
»Warum? Haben Sie Harold kürzlich gesehen? Gut vor einer Woche, meine ich. Er wollte hier für uns einkaufen.«
»Ja, das wollte er wohl.« Jetzt war es an der Kassiererin, einem interessanten Fall auf die Spur zu kommen. »Aber dann hat er doch nicht eingekauft.«
»Dann hat er doch nicht eingekauft.« Die ängstlich gespannten Augen der Mutter erweckten in der Frau an der Kasse die Erwartung auf einen wahren Kriminalroman. Ein Glück, dass sich außer Mutter Booth im Augenblick kein Kunde im Laden befand. Die Kassiererin konnte die Angelegenheit spannend machen. »Ich habe mich auch gewundert«, ließ sie zunächst nur verlauten.
»Ach – Sie haben ihn gesehen, obgleich er nicht in den Laden kam?«
»So ungefähr.«
Jetzt trat doch ein Kunde ein, holte sich eine Kleinigkeit, zahlte und ging.
Die Kassiererin konnte endlich fortfahren. »Dort drüben hat er gestanden, drüben auf der anderen Straßenseite.« Sie lächelte verstohlen.
»Warum kam er denn nicht herein?« fragte Mutter Booth.
»Was weiß ich! Ich meine – das kann ich ja nun auch nicht wissen, warum sich der junge Mr Booth anders entschlossen hat.«
»Haben Sie noch gesehen, dass er wegging?«
»Ja, das habe ich wohl noch gesehen. Ich habe hier auch viel zu tun und kann nicht einfach aus dem Fenster schauen – entschuldigen Sie. Ich glaube, er fuhr mit einem fremden Wagen weg.«
Die Tür war wieder aufgegangen. Drei Kunden traten ein. Sie hatten erst lange zu wählen, um viele gute Sachen und wenig Geld irgendwie in Einklang zu bringen.
»In welche Richtung fuhr er denn?« forschte Mutter Booth aufgeregt.
»Ich kann keine Eide leisten. Ich glaube, er fuhr zurück, wieder in die Agenturstraße hinein, die er entlanggekommen war.«
Der Mutter standen die Tränen in den Augen. »Er ist seitdem nicht mehr nach Hause gekommen.«
»Jesus Christus! Nicht nach Hause gekommen! Es wird doch nicht etwa … So ein guter Sohn … Haben Sie denn schon nachforschen lassen, Mrs Booth?«
»Nachforschen? Aber Sie werden doch nicht denken, dass ihm etwas passiert ist?«
»Wo werde ich denn so etwas denken. Doch nicht hier auf heller Straße, mitten in der Agentur.«
»Es war der Tag – erinnern Sie sich –, das war doch der Tag, an dem der furchtbare Sturm einsetzte …«
»Aber ganz richtig, ganz genau.«
»Wenn ihm nun mit dem Wagen irgend etwas … zugestoßen … Also er ist zu den Agenturgebäuden zurückgefahren?«
»Könnte auch umgekehrt gewesen sein. Sehen Sie, es fiel mir überhaupt nur ein, aus dem Fenster zu schauen, weil …«
»Weil …?«
Es trat eine längere Pause ein, da die drei Kunden sehr umständlich zahlten und packten.
»Weil es mir doch unheimlich vorkam«, konnte die Kassiererin endlich fortfahren. »Man hat manchmal ein Gefühl, ganz ohne Verstand! Weil es mir also unheimlich vorkam … dass …«
» … dass …? So reden Sie doch!«
»Ja, dass drüben der junge Mr Booth stand, und hier beim Schaufenster stand Joe – Joe King.«
»Joe King?!«
»Ja. Und Queenie kam ausgerechnet dazwischen.«
Die Mutter schaute die Kassiererin einige Sekunden entgeistert an. Dann vergaß sie fast zu zahlen, legte schließlich ein zu großes Geldstück hin, ohne sich herausgeben zu lassen – was ihren Gewohnheiten durchaus widersprach –, und stürzte aus der Tür hinaus, zu dem Wagen hin, in dem ihr Mann, schon sehr ungeduldiger Stimmung, am Steuer saß.
»Isaac!« Sie hatte sich noch nicht gesetzt, sondern stand, vorgebeugt, an der offenen Autotür und schob die Einkäufe auf dem Hintersitz zurecht. »Isaac … Harold ist ermordet. Joe King hat das getan. Wir müssen sofort Anzeige erstatten.«
Mr. Booth senior war durch das Gehabe seiner Frau etwas aus dem Gleichgewicht gebracht. Mammy war ein Halbblut, eine fleißige Ranchersfrau, kümmerte sich stets um die Kleintierzucht, die von vielen Indianerinnen verachtet wurde, und passte sich daheim der schweigsamen Atmosphäre der Ranch an. Vielleicht war Harold der einzige, dem ihre natürliche Redseligkeit nicht lästig war, weil er selbst gern plauderte, und vielleicht rührte auch daher die besondere Liebe der Mutter für diesen ihren jüngsten Sohn. Aber die Unterhaltung mit Harold reichte nicht aus.
Wenn Mammy in die »City« der Reservation, in die Agenturstraße, kam und besonders wenn sie einkaufte, öffneten sich die Schleusen ihres Redebedürfnisses, und was sie erzählte, wurde Mr Booth senior stets zuviel.
Er pflegte deshalb auch schon seit Jahren nicht mehr mit ihr zum Einkauf zu fahren. Aber heute hatte Harold gefehlt – worüber Isaac Booth mehr ärgerlich als besorgt war –, und die letzte unverheiratete Tochter musste sich um eine kranke Kuh kümmern. Es war ein im ganzen durchaus schwarzer Tag für Booth senior, und dementsprechend reagierte er jetzt. Er gab seiner Frau überhaupt keine Antwort, winkte mit einer barsch wirkenden Bewegung des ganzen Arms, dass sie sich mit dem Einsteigen beeilen möchte, und fuhr schnurstracks mit ihr zum Stammesgericht, in dem um diese Tageszeit irgend jemand anwesend zu sein hatte.
Als er eintrat – seine kleine Frau wirkte hinter ihm wie versteckt –, begegnete er zunächst Runzelmann, der eben durch den schmalen Korridor lief.
»Richter Ed Crazy Eagle?« fragte Booth kurz und fordernd.
»Nicht da. Nur der Präsident.«
»Muss ihn sprechen.«
»Es findet eine Verhandlung statt. Sie müssen leider warten.« Runzelmann begriff, dass der Pächter der großen Ranch, Isaac Booth, sein Ansehen in jeder Weise gewahrt wissen wollte. Er führte ihn daher in das zur Zeit leere Arbeitszimmer von Ed Crazy Eagle und bot ihm und seiner Frau die vorhandenen drei Stühle zur Auswahl an.
Isaac Booth setzte sich.
»Der Präsident wird nicht gern gestört, und die Verhandlung ist wichtig und schwierig«, erklärte Runzelmann. »Wenn ich einzutreten und zu stören und zu fragen wage, ist es besser, ich weiß irgendein Stichwort. Wollen Sie mir einen Hinweis geben?«
Isaac Booth kämpfte mit sich. Er gab nicht gern bloßes Geschwätz weiter, aber es ging um seinen Sohn, und er wünschte auch diesen Gerichtsbeamten zu zeigen, dass Booth senior nur kam, wenn er ein Anliegen hatte, das in das amtliche Getue wie ein Blitz einzuschlagen geeignet war.
»Joe King hat meinen Sohn ermordet.«
Die Wirkung war da.
Runzelmann blieb eine Sekunde fassungslos, zog dann jene Runzeln zusammen, die er nur bei besonderen Anlässen, vielleicht alle fünf Jahre einmal, krauste, und entfernte sich ohne ein weiteres Wort langsam, im Tempo und Rhythmus eines Leichenträgers. Nicht anders war ihm innerlich zumute.
So hatte es also kommen müssen.
Er zögerte noch einen Augenblick vor der Tür des Präsidentenzimmers, verstand die Worte, die herausdrangen, vor Aufregung nicht, obgleich sie hörbar waren, und klinkte dann auf. Erst zu klopfen, schien ihm der gegebenen Situation nicht angemessen. Der indianische Gerichtspräsident war mitten im Sprechen, sah den Eintretenden mit dem Blick an, der warten hieß, und fuhr dann fort.
Seinem Tisch gegenüber standen die beiden Polizisten, der lange und der kleine, in ihrer Mitte Joe King. Er hatte die schwarzen Jeans und das weiße Hemd an. Seine Hände steckten, auf den Rücken genommen, in Handschellen.
Runzelmann blieb in der Nähe der Tür stehen, die er hinter sich wieder geschlossen hatte.
»Es sind Schüsse gehört und es sind Leichen gefunden worden«, sagte der alte Richter. »Wo warst du in der Sturmnacht, Joe King?«
»Ich verweigere die Aussage.«
Es schien Runzelmann schon viel, dass Stonehorn diese vier Worte aussprach. Runzelmann hatte nichts als Schweigen erwartet, so, wie er Stonehorn beurteilte und sein Verhalten schon mehr als einmal erlebt hatte.
Der alte Richter war erbittert. »Du willst uns die Sache schwer machen. Das hat dir schon manchmal genützt, aber es wird dir nicht immer nützen. Du bist hier bei der Agentur gesehen worden, am Abend, dafür gibt es Zeugen genug. Dann bist du verschwunden. Wenn du nicht nachweisen kannst, wo du warst, wird es nicht schwerfallen, den Indizienbeweis zusammenzustellen. Du hast schon zweimal unter Mordverdacht gestanden und bist nur aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Du hast dich jetzt widersetzt, als du vor Gericht erscheinen solltest. Schon dafür wirst du bestraft werden.«
»Ich habe mich nicht widersetzt.«
»Die Aussagen der beiden Polizisten liegen vor.«
»Ich habe mich nicht widersetzt. Wenn ich mich widersetze, bin ich mit den beiden Figuren hier in spätestens fünf Sekunden fertig. Davor haben sie vielleicht Angst gehabt, und darum haben sie mich angegriffen, ehe sie überhaupt ein Wort gesagt hatten.«
»Die gegenteiligen Aussagen der beiden Polizisten liegen vor.«
»Die Aussagen sind falsch.«
»Nimm deine Zunge in acht, Joe King. Die Aussagen werden beschworen werden, daran zweifle ich nicht.«
Die Polizisten nahmen eine zustimmende Haltung ein.
»Ich frage zum letzten Mal: Wo bist du gewesen, und woher stammt dieses silberne Halskettchen, das man bei dir gefunden hat?«
»Ich verweigere die Aussage.«
Der Richter atmete unwillig und wandte sich, um eine Pause auszufüllen, Runzelmann zu. »Was ist?«
»Die Eltern von Harold Booth sind da und wünschen Sie zu sprechen.«
»Isaac Booth soll hereinkommen.«
Runzelmann führte den Rancher in das Präsidentenzimmer, das als vorläufiger Verhandlungsraum einer Voruntersuchung diente. Als Booth Joe King in Handschellen sah, wurde er wesentlich sicherer. Bis dahin hatte er noch etwas gezweifelt, ob es richtig sein könne, einen Joe King zu beschuldigen, wenn man auf einer einsamen Ranch lebte.
»Sie haben ein Anliegen, Booth?«
»Mein Sohn Harold ist verschwunden. Er ist seit jener Sturmnacht verschwunden. Am Abend war er noch in der Nähe des Supermarkts gesehen worden, zu der gleichen Zeit wie Joe King. Queenie Halkett kam dazwischen.«
Der Richter schaute starr auf den Mann, der diese Angaben machte. Dann holte er langsam, als ob es ihm selbst schwerfalle, das silberne Kettchen heraus, das die Polizisten bei Joe Kings Verhaftung beschlagnahmt hatten. Er winkte Booth, näher zu treten, und gab ihm das Kettchen in die Hand.
»Kennt Ihr diesen Gegenstand?«
»Ja.« Die von Arbeit zerfurchte, mit harter Haut überzogene Hand zitterte. »Das … das ist … das Kettchen, das mein Sohn … stets … um den Hals trug.«
Isaac Booth gab das Kettchen an den Richter zurück, mit einer mühsamen Bewegung. Seine Schultern waren vorgesunken. Er hatte beim Richter vorsprechen wollen, aber im Innersten hatte er gehofft, dass sich der Verdacht sofort in nichts auflöse. Er wollte seinen Sohn nicht tot, sondern lebendig wissen. Aber jetzt gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Das Geschwätz enthielt grausige Wahrheit.
Der Richter fasste Stonehorn fest ins Auge. »Joe King … du hast Harold Booth ermordet.«
»Nein.«
»Wo warst du in jener Sturmnacht?«
»Ich verweigere die Aussage.«
»Wie bist du in den Besitz dieses Kettchens gekommen?«
»Ich habe es gefunden.«
Auf der Stirn des Richters schwoll eine dicke Ader. »Dein Volk schämt sich deiner, Joe King. Wenn du nicht nachweisen kannst, wo du in jener Nacht gewesen bist, und nicht nachweisen kannst, wie du in den Besitz dieses Kettchens kamst, so ist dir das Todesurteil dieses Mal gewiss.«
Stonehorn schwieg.
»Sag mir doch wenigstens, du Mörder, wo du meinen toten Sohn gelassen hast!« schrie der alte Rancher. »Sag mir doch das, damit ich ihn in die Erde legen kann und ihn nicht irgendwo die Geier zerhacken!«
Booth stand an der Seite des Richtertisches. Er konnte Joe King in das Gesicht sehen, das völlig unbeweglich blieb. »Du Bandit und Sohn einer Mörderin …« Booth kannte sich nicht mehr. Er wollte auf den Gefesselten einschlagen. Ein Polizist fing seinen Arm ab.
Booth keuchte. »Wo ist … seine Leiche?«
Joe King schwieg.
»Wo willst du das Kettchen gefunden haben?« Auch der Richter vermochte seine Erregung kaum mehr zu unterdrücken.
»Ich habe es am Straßenrand im Gras zufällig gefunden, hundertfünfzig Fuß von den Häusern hier entfernt, in Richtung New City. Es machte den Eindruck, dass es dort schon länger lag.«
»Wie bist du darauf gekommen, dort dieses Kettchen zu suchen?«
»Ich habe es nicht gesucht. Ich habe es rein zufällig gefunden.«
»So. Du hast es rein zufällig gefunden. Wann?«
»Vor einer Woche.«
»Warum hast du es nicht abgeliefert? Es ist aus Silber.«
»Das interessierte mich nicht.«
»Das interessierte dich nicht. Was interessiert dich denn?«
»Ich verweigere die Aussage.«
Es trat eine Pause ein. Der Richter hatte ein weißes Blatt vor sich, auf dem schon einige Punkte notiert waren, und vervollständigte jetzt mit eigener Hand diese Protokollunterlagen. Er wollte sich damit zur Ruhe und zur Sachlichkeit zwingen.
Isaac Booth war auf einem Stuhl zusammengesunken und legte die Hand über die Augen. Runzelmann lehnte an der Tür.
Straff standen nur die beiden Polizisten und Joe King. Der größere der Polizisten hatte Joe King fest am Arm gepackt, der kleinere hatte die Pistole gezogen, denn beide fürchteten einen Ausbruchsversuch des Angeschuldigten. Er hatte immerhin die Füße frei.
Joe King schaute auf die Pistole mit einem Ausdruck jener mitleidigen Verachtung, die ihm schon viele Feinde gemacht hatte.
»Können wir heute vormittag noch etwas tun, um mehr Licht in die Sache zu bringen?« fragte der Richter Runzelmann, der als besonders bewandert in allen Stammesverhältnissen und -wirrnissen galt. Runzelmann beantwortete die Frage nur ungern, aber er tat es.
»Vielleicht kann Queenie Halkett irgendeinen Hinweis geben. Sie ist an jenem Abend vor dem Supermarkt gesehen worden. Ihr Wagen stand dort.«
»Das Mädchen weiß überhaupt nichts«, sagte Stonehorn kurz und heftig mit einem feindseligen Blick auf Runzelmann. Der Richter hob langsam den Kopf und schaute Joe King von unten herauf an. »Das war in allen deinen vielen Verhören das erste Mal, dass du voreilig und ungefragt und unklug geantwortet hast, Joe King. – Wir werden Queenie rufen.«
Der Angeschuldigte kam in die denkbar schlechteste Stimmung, nachdem er sich eine Blöße gegeben hatte. Nichts konnte er weniger ertragen, als verwundbar oder überhaupt in seinen eigenen Augen unvollkommen zu erscheinen. Tashina würde denken, dass er es war, der sie in diese Sache durch irgendwelche Aussagen hineingezogen hatte. Natürlich wurde sie erst getrennt von ihm vernommen. Er konnte ihr keinen Wink geben; er konnte sie von sich aus nichts wissen lassen, gar nichts. Wahrscheinlich spielte sich dann eine Szene ab, in der sie ihn zu verleugnen suchte, oder sie sagte, vom Richter gedrängt, zuviel. Die Polizisten, die Richter, diese Familie Booth würden triumphieren, und Queenie würde zu leiden haben. Stonehorn war nahe daran, wirklich einen verrückten Ausbruchsversuch zu wagen, um die Vernehmung von Queenie noch abzuwehren.
Aber er sagte sich, dass auch dieser Weg nicht mehr gangbar war, denn die Zeugin Queenie wurde durch einen solchen Vorgang nicht weniger interessant.
Der Richter ließ Stonehorn abführen. Er wurde in die Zelle mit vergittertem Fenster gebracht, die gleich neben dem Gerichtshaus zu dem primitiven Polizeigefängnis gehörte.
Stonehorn kannte die Zelle schon lange und zur Genüge. Er ließ sich auf dem Hocker nieder. Seine Hände blieben gefesselt. Dauernd schaute bald der eine, bald der andere Polizist prüfend durch den Spion an der Tür.
Unterdessen war Runzelmann beauftragt worden, Queenie unauffällig herbeizuschaffen. Der Richter wollte der Familie Halkett und dem Mädchen selbst möglichst alle Schande ersparen. Wenn ein Name überhaupt im Zusammenhang mit Joe King ins Gerede kam, gleich, aus welchem Grunde, so schien er beschmutzt. Der alte Richter bereute schon fast, dass er auf den Vorschlag Runzelmanns eingegangen war.
Aber nur an diesem Punkt konnte die Raubtierfalle für Joe King aufgestellt werden.
Runzelmann stand auf der Straße und überlegte.
Queenie konnte an diesem Tag nur an zwei Plätzen gefunden werden, rechnete er, denn es war Donnerstag, und für jeden Donnerstag hatte sich das Mädchen mit der Töpfermeisterin verabredet, die in der kleinen Werkstatt nahe der Agenturstraße Töpfereien mit alten symbolischen Mustern herstellte. Queenie wollte die Töpferarbeit studieren, um künstlerische Entwürfe vielleicht dafür nutzbar machen und den Absatz heben zu können. Die Leute auf der Reservation waren arm, und noch waren viel zu viele arbeitslos. Man musste sich Gedanken machen, was es Nützliches und Schönes zu schaffen gab, um mehr Hände zu beschäftigen. Der Stammesrat und auch Mr Haverman hatten Queenies Vorhaben begrüßt; man sprach davon. Wie tüchtig war dieses Mädchen, das sich selbst Ferienarbeit suchte und nicht auf die Bemühungen der Verwaltung wartete.
Der alte Wagen der Familie Halkett parkte nicht an der Straße, aber das wollte nichts sagen, denn Queenie konnte mit einem Pferd gekommen sein, oder vielleicht hatte irgendein entfernter Nachbar sie unterwegs mitgenommen. Aber es schien Runzelmann gewiss, dass Queenie entweder zu Hause, wahrscheinlicher aber in der Töpferei zu finden war. Die Töpfermeisterin war eine Verwandte Runzelmanns. Sie war eine kluge und stille Frau.
Runzelmann schlenderte zu der Werkstatt. Er traf dort die Töpferin und Queenie, wie er gehofft hatte, grüßte und tat, als ob er es keineswegs eilig habe. Queenie ließ sich eingehend die Technik der Töpferei erklären, denn ohne diese zu kennen, konnte sie natürlich keine Vorschläge machen. Sie fragte schließlich, ob sie nicht erst einmal in den Ferien mitarbeiten dürfe und vielleicht dann nächstes Jahr neue Entwürfe zeigen könnte. Da hörte sie, dass es wenig Aufträge gab und kein Geld, um auf Vorrat zu arbeiten. Die Reservation war vom Tourismus noch kaum berührt, und die Erzeugnisse des Kunsthandwerks verkauften sich hier schwerer als in jenen Gebieten, die durch landschaftliche Schönheit Urlauber anzogen.
Die Praxis mochte Queenie in diesem Augenblick wie eine altbackene, eingeschrumpfte Frau erscheinen, die den hochfliegenden Luftgebilden guten Willens Gewichte anhängte und sie herabzog.
»Wirst du auch die 12. Klasse der Schule besuchen?« fragte Runzelmann aus dem Hintergrund; er lenkte damit ab und fing Queenies Aufmerksamkeit für sich ein.
»Natürlich. Ich springe doch nicht ein Jahr vor dem Abschluss ab.« Queenie hatte diese Antwort schnell, aus ihrem ganzen bisherigen Gesichtskreis her gegeben. Als der Satz zu Ende gesagt war, fiel ihr ein, dass sie in diesem Jahr vielleicht einem Kind das Leben schenken würde.
»Das ist gut. Und dann wird geheiratet?«
Queenie war einen Moment verblüfft. Wovon sprach denn dieser Runzelmann? Sie fing sich noch rechtzeitig.
»Wie kommt Ihr denn darauf, Runzelmann?«
»Nun, weil Harold Booth schon so ungeduldig ist.«
»Es ziemt sich für einen Indianer, geduldig zu warten. Ein Jäger muss lange auf der Lauer liegen können, bis der rechte Moment kommt.«
Runzelmann begriff, dass das Mädchen von dem Verschwinden Harolds nichts ahnte. Queenie konnte viel in sich verschließen, aber sich derart zu verstellen, das hatte sie wohl kaum gelernt.
»Stonehorn ist verhaftet«, sagte er.
»Warum?« fragte Queenie ernst und ruhig.
»Er hat Harold ermordet.«
»Wer sagt das?« In Queenies Verhalten gab es kein Zeichen der Unruhe.
»Das Kettchen, das Harold immer um den Hals trug, wurde bei Stonehorn gefunden, und Stonehorn kann nicht nachweisen, wo er sich in der Sturmnacht befand, als Harold zum letzten Mal gesehen wurde.«
»Er muss doch irgendwo gewesen sein.«
»Allerdings, denn ein Geist ist er nicht, wenn es auch manchmal so scheint.«
»Was sagt er denn aus?«
Runzelmann wusste sehr gut, dass er seine Befugnisse überschritt. Er sollte Queenie nicht aushorchen und sie auch nicht etwa informieren, er sollte sie lediglich zum Zeugenverhör bringen. Aber so, wie er Queenie kannte, bestand die Gefahr, dass sie dort den Mund noch weniger auftat als Joe King. Hier bei der Töpferin ließ sich ein Gespräch besser an. Er wollte aber Queenie helfen, wenn es möglich war, denn er war es gewesen, der ihren Namen in die Verhandlung hineingezerrt hatte.
Er gab dem Mädchen Antwort: »Stonehorn verweigert die Aussage.«
»Warum?«
»Das weiß wohl nur er selbst.«
»Aber klug ist es nicht?«
»Wenn er den Mord begangen hat, ist es das einzige, womit er die Sache noch hinziehen kann. Denn verlässliche Zeugen für ein Alibi findet ein Joe King nicht. Die Indizien sind aber eindeutig. Diesmal werden sie ihn wohl hinrichten.«
Queenie hatte die Lider gesenkt.
»Die Kassiererin des Supermarkts hat dich am Abend vor dem Sturm gesehen.« Das war eine weitere Testfrage.
»Natürlich. Ich hab dort eingekauft.«
»Ja, so hat die Kassiererin auch berichtet. Und in der Nacht darauf hat es Schüsse gegeben, die sind gehört worden, und es hat Tote gegeben, die sind gefunden worden. Dein Vater hat Anzeige erstattet, und Joe King wurde verhaftet, weil er am ehesten eines Mordes verdächtig ist.«
»Harold war unter den Toten?«
»Nein, unter diesen Banditen war er nicht. Wir haben die Toten schon identifiziert. Es sind Kumpane von Stonehorn gewesen, die ein unrühmliches Ende verdient und gefunden haben. Bandenkrieg. Darum kümmert sich unser Gericht nicht.«
»Und was ist nun? Warum bist du hierhergekommen?«
Runzelmann lächelte verstohlen. Das Mädchen war nicht dumm. »Der oberste Richter will dich befragen, da du zu denjenigen gehörst, die Harold und Joe zuletzt vor der Sturmnacht gesehen haben.«
»Gut. Wann muss ich kommen?«
»Am besten gleich. Aber wenn du dich erst mit deinem Vater besprechen willst, Queenie, dann werde ich dir die Zeit dazu auf irgendeine Weise verschaffen.«
»Es gibt gar nichts zu besprechen.«
Runzelmann atmete auf. »Also komm mit, dann hast du es hinter dir.«
Die beiden machten sich zusammen auf den Weg zum Stammesgericht. Als Queenie in das Zimmer des alten Gerichtspräsidenten eintrat, war dieser allein, und auch Runzelmann, der Queenie bis dahin begleitet hatte, zog sich zurück.
Der Richter lud Queenie ein, Platz zu nehmen.
»Es tut mir leid, Queenie. Du bist ein angesehenes Mädchen aus einer angesehenen Familie. Allein dadurch, dass dich ein Bandit begrüßte und … und … dass … du! … du! … seinen Gruß erwidert hast, wirst du nun in diese Verhandlung hineingezogen, die den Namen ›In Sachen Joe King‹ tragen wird. Du siehst, dass es besser ist, sich von solchen Menschen vollständig fernzuhalten. Aber was geschehen ist, lässt sich leider nicht ändern.«
Queenie zeigte in ihren Mienen die Erwartung, dass der Präsident weitersprechen werde.
»Es geht um einen Mord, und so geht es jetzt auch hier vor unserem Gericht um Tod und Leben. Es geht aber auch darum, dass wir vor künftigen Mordtaten sicher sein wollen, und das wird nur der Fall sein, wenn wir den Mörder nie mehr unter uns zu haben brauchen.«
Queenie schwieg. Es wurde auch keine Antwort von ihr erwartet.
»Ich habe mir das überlegt«, sprach der alte Richter weiter. »Ich wollte dich möglichst schonen. Aber du bist ein Mädchen aus der Familie Halkett, und deine Vorfahren sind Ratsmänner unseres Stammes gewesen. Ich kann dir zutrauen, dass du immer tapfer bleibst und dass du nicht diese überflüssigen und unnützen Regungen kennst, die die weißen Männer Nerven nennen.«– Der alte Richter machte eine Pause, als ob er einen Entschluss noch einmal überlege, und gab ihn dann bekannt: »Ich werde dich jetzt dem Joe King gegenüberstellen. Was er auch sagen mag, fühle dich nicht befleckt durch seine möglichen Lügen. Damals vor dem Supermarkt wurdest du überrumpelt, aber nun bist du auf alles gefasst.«