Kitabı oku: «Stein mit Hörnern», sayfa 3
Die Frau trat ein und stellte sich vor. Mrs King stand vor dem Chefarzt.
»Womit darf ich Ihnen helfen?«
»Mit einer Auskunft, Doktor. Wie lange, glauben Sie, wird das Krankenlager meines Mannes, ich meine, die stationäre Behandlung, möglicherweise noch dauern?«
Die Frau drückte sich wie eine geschulte Weiße, nicht wie eine indianische Prärie-Rancherin aus.
»Bitte nehmen Sie Platz.«
Mrs King setzte sich ohne Zeichen des Missvergnügens, aber auch ohne Anzeichen, dass sie die Bereitschaft des Chefarztes, ihr Zeit zu widmen, irgendwie anerkenne.
»Ihre Frage ist nicht mit einem Wort zu beantworten, Mrs King. Sie können Ihren Gatten schon jetzt nach Hause nehmen. Dann wird der Erfolg der Operation in Frage gestellt, und Ihr Mann bleibt voraussichtlich bewegungsunfähig. Hält er noch zwei bis drei Jahre in der orthopädischen Klinik aus, kann es sein, dass er wieder voll aktionsfähig wird. Es sind dort alle Spezialapparate und jede erdenkliche Spezialerfahrung der Pflege vorhanden.«
Mrs King dachte nach.
Sligh stellte seinerseits eine Frage.
»Sie haben Ihren Mann besucht?«
»Ja.«
»Wie denkt er selbst?«
»Wir haben darüber nicht gesprochen.«
»Fällt es Ihnen schwer, die Kosten aufzubringen?«
Mrs King hob die Augen und musterte den Arzt. »Nein, es fällt mir nicht schwer.«
»Ihr Mann besitzt eine hervorragende Energie. Wenn er will, wird er wieder gesund.«
»Ich danke Ihnen für die Auskunft, Doktor.«
Mrs King erhob sich in einer Art, die unmissverständlich andeutete, dass sie zu gehen wünsche.
Sligh begleitete sie zur Tür und schloss sie leise hinter ihr. Es hatte sich noch kein weiterer Besucher eingefunden.
Abends saß der Arzt mit dem Verwaltungsdirektor zusammen zu Hause bei einem Glas Whisky.
»Walker, wer ist diese Mrs King?«
»Geborene Halkett.«
»Mehr wissen Sie nicht?«
»Malerin. Hat schon in Washington ausgestellt.«
»Und wie ist sie an ihren Mann geraten?«
»Die Liebe von Zigeunern stammt …«
»Der Bursche hat ein unwahrscheinliches Glück gehabt.«
»Dafür jetzt ein unwahrscheinliches Unglück.«
»Tatsächlich. Neben dieser Frau möchte ich auch nicht als Krüppel leben.«
»Halten Sie den Fall für aussichtslos?«
»Nein.« Sligh hatte das Gefühl, schon zu weit gegangen zu sein. Er lenkte ab. »Was gibt es Neues im Revier? Nachfolger für Hawley schon in Sicht?«
Walker tat einige Züge an seiner Zigarette. »Man hört nichts.«
»Das pflegt der Vorbote von Überraschungen zu sein.«
»Sie könnten recht haben. Im Hintergrund entwickelt sich eine Figur. Ist aber noch nicht reif.«
»Ah.«
»Wäre überhaupt eine Novität – in jeder Richtung. Indianer als Agenturbeamter – haben wir schon –, aber Indianer aus dem eigenen Stamm, das haben wir noch nicht.«
»Wäre tatsächlich ungewöhnlich. Und bedenklich. Meinen Sie nicht?«
»Bis jetzt wurde es für bedenklich gehalten. Zu viele persönliche Beziehungen, Freundschaften, Feindschaften, alles irgendwie verschwistert, verschwägert, verbiestert, verärgert. Aber warum soll man nicht auch einmal neue Methoden versuchen?«
»Um wen handelt es sich denn?«
»Um einen gewissen Sidney Bighorn. Er hat eine aufsehenerregende Karriere gemacht. Guter Schüler, vorzügliches Abitur im Internat, College mit bestem Erfolg, schon als junger Mann am Stammesgericht angestellt – in der prekären Rolle des Anklägers gegen Angeklagte aus dem eigenen Stamm. Anerkennungswerten Mut gezeigt, sogar gegen Joe King. Dann plötzlich aus dem Amt ausgeschieden, Gründe nie öffentlich genannt. Vermutlich hatte er diesen King zu fürchten. Er ging von der Reservation weg und ist zurzeit in der Distriktverwaltung, das heißt also für mehrere Reservationen tätig. Er wird zur Inspektion hierher geschickt werden. Für den Posten eines Superintendenten ist er noch nicht reif. Aber er erscheint vielen als der kommende Mann.«
»Was sagt der Stamm?«
»Es gibt nicht ›den‹ Stamm, sondern tausend verschiedene Meinungen. Chief President Jimmy ist mit Sidney Bighorn verwandt.«
»Und Joe King ist zurzeit und bis auf weiteres nicht mehr zu fürchten.«
»Daher wird Sidney Bighorn ruhig inspizieren können.«
»Halten Sie eine Reservation auch für eine Art von Irrenanstalt?«
»Zum Teil. Zum anderen Teil Naturschutzgebiet für Wilde und solche, die es werden wollen.«
Sligh hob das Glas. Walker hielt mit.
»Mit wem war mein Vorgänger Eivie eigentlich zu eng liiert?«
»Mit den Kings.«
»Mit ihm oder mit ihr?«
»Mit ihm. Mit ihr ist nicht gut Kirschen essen. Sie hat schon einmal einen erschossen.«
»Zum Wohl. Das scheint ja eine originelle Familie zu sein.«
»Jedenfalls bin ich verblüfft, dass Mrs King derart viel Geld aufbringen kann. Sie haben eine verdammt teure Klinik gewählt, Sligh.«
»Die einzige, die eine gewisse Aussicht bietet. Ich bin an dem vollen Erfolg meiner Operation interessiert.«
Der Verwaltungsdirektor schaute verstohlen prüfend auf den Arzt, denn die Sache mit dem verschluckten und wieder ausgeschiedenen Zettel war Walker bekannt.
Sligh lenkte die Unterhaltung auf Whiskysorten.
Am folgenden Wochenende fuhr Sligh, M. D., nach New City und verschaffte sich durch den vertrauenswürdigen Empfangschef des guten Hotels eine Dame für eine Nacht, die vielleicht der Anfang von regelmäßigen Beziehungen ohne gegenseitige Verpflichtungen sein konnte. An Heiraten dachte er weniger denn je. Da er sich nun in New City befand und noch einen Tag bleiben konnte, suchte er Krause auf, den alten Büchsenmacher, der jetzt noch Jagdwaffen reparierte, mit gebrauchten Waffen handelte und eine Art von Liebhabermuseum alter Gewehre zusammengebracht hatte. Sligh fand dort den aufgeweckten Indianerjungen, den Krause adoptiert hatte, nachdem sein eigener Sohn gefallen war. Es stellte sich heraus, dass der Junge der Neffe der Kings, ein Sohn von Joe Kings Schwester Margret war, die in den Slums wohnte. Die Besucherrunde, die Joe King am Tage vor seinem Zusammenbruch gemacht hatte, erklärte sich so mit einem weiteren begründeten Anlass.
Sligh ließ sich von Krause die alten Waffen zeigen und ihre Geschichte erzählen. Da er geduldig zuhörte und Zeit im Überfluss zu haben schien, erfuhr er anschließend auch alten und neuen Stadtklatsch. Er hörte, dass die ehemalige Schmugglerkneipe des Vaters Black and White und seines Sohnes O’Connor verwaist gewesen war, seit Black and White eines Tages von King in Notwehr erschossen worden war, O’Connor aber wegen Rauschgifthandels im Zuchthaus saß und seine Schwester Esmeralda, die Frau mit den grünen Augen, außer Landes hatte gehen müssen. Krause versicherte, dass die Kneipe neuerdings eine solide Bierkneipe geworden sei. Wenn sich je wieder ein Rauschgifthändler einnisten wollte, dann sicher nicht an diesem bekannt gewordenen Ort. Überhaupt habe Black and White in New City selbst kaum Kunden gehabt. Wenn man einem Prozessergebnis Glauben schenken könne, habe er nur Zwischenhandel mit Unbekannt getrieben.
»Ungeschminkt ausgedrückt, Mr Krause, würde das heißen: O’Connor hat seine Kunden nicht verraten. Gangstermoral.«
»Weniger Moral, Doc, als Angst vor seiner Schwester Esma. Dem Weib ist er hörig gewesen.«
»War die Reservation mit verwickelt?«
»Nur mit Brandy.«
»Das lässt sich wohl bei den Indsmen nicht ausrotten.«
Krause lächelte verzeihend über den unangebrachten Hochmut. »Bei uns hat sich die Prohibition ja auch totgelaufen, Doc. – Aber etwas anderes: Wie geht es Joe? Geben Sie noch Hoffnung, Doc?«
»Ja. – King war doch am letzten Tag vor seinem Zusammenbruch bei Ihnen, Krause. Fühlte er sich nicht wohl?«
»Es war nichts zu merken.« Krause drehte dem Arzt den Rücken, während er antwortete, und hängte ein altes Gewehr wieder an seinen Platz an der Wand. »Aber was wollen Sie bei einem solchen Mann sagen? Joe hat noch indianische Erziehung. Der Vater war Traditionalist, und Joe ist schon als ein Junge von zehn Jahren bei einem uralten Medizinmann in die Lehre gegangen. Bei dem alten Blinden – der ist nun schon tot.«
»Schade. Aber mir als Arzt hätte er seine Kunst doch nicht verraten. Sein Schüler Joe kann sich auf geradezu wunderbare Weise beherrschen. Das ist, wie ich schon bemerkt habe, auch unter Indianern heute eine Seltenheit geworden.«
»Bleibt die teure Klinik unvermeidlich, Doc? Können Sie Joe nicht wieder ins Indian Hospital nehmen?«
Slighs Gesicht wurde hart. »Kann ich. Aber ich habe dort nicht die gleichen Möglichkeiten für die Heilung. Ich selbst besitze nicht die orthopädischen Spezialerfahrungen von Doktor Miller. Hat die Frau finanzielle Schwierigkeiten?«
»Noch nicht. Aber wenn das jahrelang weitergehen soll … Nun, ich bin ja auch noch da.«
Sligh verabschiedete sich und schlenderte zu der ehemaligen Kneipe Black and White O’Connor, um ein Bier zu trinken. Er traf nur Publikum, das ihm unverdächtig schien, doch beschäftigte ihn die Vorstellung, dass von dieser Gastwirtschaft aus Rauschgiftschmuggel für oder zumindest über New City betrieben worden war, stärker, als er sich selbst eingestehen wollte.
Die Augen waren wieder da, groß, dunkel, wie sie Roger Sligh in Urwäldern, Dschungeln, Malariagebieten schon gesehen hatte – tiefer, mit einem schwerer fassbaren Licht, als Roger Sligh sie je gesehen zu haben glaubte.
Er fuhr nach Hause, gab sich eine Spritze und verfiel in einen Betäubungsschlaf. In der folgenden Nacht schlief er spät ein und wurde gegen Morgen von Angstträumen verfolgt. Da innere Unruhe seinem Charakter, seiner Lebensauffassung und seinen Lebensansprüchen zuwiderlief, geriet Sligh von neuem in jene Mischung von Zynismus, Angst, Spleen und Übellaunigkeit, die er bei seiner Übersiedlung in die Einsamkeit der Prärie hatte hinter sich lassen wollen. Er wurde nur äußerlich und nur mit mehr Spritzen, als er selbst für gut hielt, darüber Herr. In seinem Gemütszustand machte sich ein neues Moment geltend. Vor seiner Begegnung mit dem merkwürdigen Patienten Joe King hatte seine Furcht nur Anonymes und Abstraktes als Anlass und Gegenstand gehabt. Jetzt klammerte sich seine aufgerührte Phantasie an einen Menschen, den er gesehen hatte. Seine Vorstellungen konnten etwas packen. Er hatte endlich einen Gegner von Fleisch und Blut. War ihm zuvor zumute gewesen wie in dem Texas-Duell seines sagenumwobenen Vorfahren, der im Dunkel auf einen nicht erkennbaren Feind hatte schießen müssen, so wühlte er nun in sich selbst den Hass von Mann zu Mann, Auge in Auge auf. Mit Wollust stürzte er sich in die Möglichkeit, den andern auf persönliche Weise zu verfluchen. Die Feindschaft bekam Hand und Fuß. Ein Sendbote des gespenstischen Feindes war unter Menschen aufgetaucht.
Die Lage war primitiver, einfacher, natürlicher geworden. Bis auf diese Augen.
Roger Sligh, M. D., segnete bei alldem seinen Entschluss, kraft dessen er den Patienten J. King in andere Hände abgeschoben hatte. Er konnte nicht in die Versuchung kommen, irgendeine ärztliche Pflicht zu versäumen. Aber er spielte Schach mit dem Gedanken, wie er Joe King zum Reden bringen könnte. Er sah ihn jeden Morgen und jeden Abend vor sich, obgleich er niemals mehr zu jener Klinik fuhr.
Roger Sligh verurteilte sich selbst, wenn er an die Stunden dachte, in denen er einmal verführt worden war, im eigenen Land etwas ganz Unpassendes zu tun. Er hätte diesen anderen Roger Sligh, den es auch gab und der plötzlich das Haupt erhoben hatte, hassen können. Doch wollte er ihn vergessen. Und er hasste nicht sein anderes Ich, er hasste den anderen, das Du, den Mann aus Fleisch und Blut, der ihn an sein zweites Ich erinnert hatte. Er musste es kennen. Woher? Wilde verschmolzen zwei Menschen in sich in eins, zwei Nervensysteme, das bewusst und das nicht bewusst reagierende. Roger Sligh aber blieb gespalten. Die offene Wunde in ihm stank Träume.
»Passen Sie auf sich auf, Sligh«, erlaubte sich der Verwaltungsdirektor eines Tages beim Whisky zu sagen. »Sonst bekommen Sie noch einen Koller.«
Sligh schaute aus dem Fenster. Schnee bedeckte unübersehbares Land, weit, weiß, kalt. Die Straßen waren schwer passierbar. Das Häuflein Beamte und Ärzte, das in der Öde zu hausen hatte, rückte zusammen.
Walker vermittelte Sligh eine Einladung zu dem Oberarzt der Fürsorge- und Säuglingsstation. Eine zwanglose Geselligkeit, deren Mittelpunkt früher Piter Eivie gewesen war, begann sich dort wieder einzuspielen. Sligh hatte den Oberarzt Roger Barn, der den gleichen Vornamen wie er selbst trug, bisher gemieden, eine Haltung, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber da Walker einen größeren Kreis zugesagt hatte, entschloss sich Sligh, nicht etwa Einsiedelei zu demonstrieren, sondern die Einladung anzunehmen.
Die Reifen drückten Spuren in den Schnee. Es herrschte klirrende Kälte. Das Haus von Roger Barn wurde jedoch gut geheizt. Die Konstruktion der hölzernen einstöckigen Beamten- und Arzthäuser war in allem prinzipiell die gleiche, der Unterschied lag nur in einem Zimmer mehr oder weniger. Wer das Haus des anderen betrat, konnte sich, was Räumlichkeiten und ihre Anordnung anbetraf, immer wie bei sich selbst und ganz zu Hause fühlen. Die Inneneinrichtung bei Barn trug dennoch eine besondere Note, da er Navajo-Wolldecken und Hopi-Maskenpuppen gesammelt hatte. Die Farbenpracht, die sich über Couch und Sessel breitete, an den Wänden aufleuchtete, die fremdartigen Puppen, in denen Hopi-Hände mit ehrfürchtigem Bedacht den Glauben an die Vorfahren und den Glauben der Vorfahren Gestalt und Farbe hatten werden lassen und mit denen sie das Unwissen der weißen Männer ansprangen, ließen jeden Besucher sofort außer sich selbst und in ein fremdes Reich geraten. An einer gegen das Erdrückende der Farben und der Puppen abgeschirmten Wand hing eine Kohlezeichnung für sich allein, überhaupt als einzige ihrer Art in diesen Räumen. Sligh interessierte sich für diese Zeichnung, weil er den Indianerfarben und -masken den Rücken kehren wollte. Das Bild stellte das sehr zarte Antlitz eines Kindes, eines Mädchens, dar; der Ausdruck war schwermütig, abgewandt, ohne altklug zu wirken.
Sligh dachte sofort an Psychiatrie und wollte den Namen des Künstlers lesen. Er fand nur ein »Qu. K.« und erfuhr von Barn, dass es sich um eine Arbeitsskizze handelte. Das endgültige Bild war, in Öl ausgeführt, ausgestellt worden und unverkäuflich.
»Und wer ist ›Qu. K.‹?«
»Queenie King, die begabte Malerin unserer Reservation.«
Sligh fühlte sich durch diesen Namen verfolgt, wollte das vor sich selbst jedoch nicht zugeben.
»Queenie King? Doppelte Königin?«
»In jeder Beziehung, Doc!« Das sagte nicht Barn. Die Worte waren aus dem Klubsessel in der Ecke gekommen, in der Kate Carson, Dezernentin für das Wohlfahrtswesen, saß, eine füllige Vierzigerin, gepudert, nicht ohne Charme. Sligh, dessen gesamte Gefühlsstruktur in Bezug auf Frauen von neuem in Verwirrung geraten war, seit er die immer wieder verschneite, von Stürmen bedrohte Straße nach New City zu fahren sich scheute, ließ sich auf einem freien Stuhl neben Witwe Carson nieder und begann zu rauchen.
»Vielleicht wird das Ölbild auch noch verkäuflich«, bemerkte die zufriedene Witwe.
Es gab ein solides Büfett, ohne Phantasie zurechtgemacht. Barn holte für Mrs Carson, was diese sich seiner ärztlichen Auffassung nach wünschen sollte: Salat und etwas Krebsschwanz. Sie schmunzelte und aß.
Der Kreis der Gesprächsthemen war begrenzt. Dienstliches wurde nicht berührt. Eve Bilkins, Dezernentin für das Schulwesen, wollte sich einen neuen Wagen kaufen. Kate Carson hatte die jüngste Nummer einer Illustrierten im Hause Barn entdeckt. Mr Brown, Nachfolger des Dezernenten für Ökonomie Haverman, schaltete den Fernsehapparat an und verfolgte Eishockey.
Sligh holte Whisky für sich und Mrs Carson. Er fühlte sich bei dieser rundlichen, jedoch weder unschön noch dumm erscheinenden Person geborgen. Aus den vorsichtig geführten Unterhaltungen mit ihr und mit Walker erfuhr er, dass Kate Carson schon lange verwitwet, meist guter Laune, aber zurzeit eines geeigneten Gegenstandes ihrer unaufdringlichen, für sie selbst lebensnotwendigen privaten Fürsorge beraubt sei. Sie hatte ihren Kollegen-Gefährten Haverman, der versetzt worden war, verloren.
»Passen Sie auf, Doc, es wird sich noch mehr tun. Die Figur rückt an den Steinen …«
»Wen meinen Sie, Mrs Carson? Sidney Bighorn?«
»Sie sind durch Walker schon orientiert. Ja. Walker ist immer gut unterrichtet.«
Sligh empfing einen Stich. Walker, der immer gut unterrichtet war, wusste ohne Zweifel auch von dem Zettel mit der Adresse Roger Slighs in der Hand oder richtiger im Magen eines … nun, eines Patienten. Bighorn war in der Distriktverwaltung angestellt. Es kostete ihn nicht mehr als ein Flüstern, um Entscheidungen zu lenken.
Sligh trank einige Gläser Whisky mehr, als er beabsichtigt hatte. Alles in allem schien ihm der Gewinn der Nachmittagsstunden und des frühen Abends gering. Vielleicht war er selbst es, der die Unterhaltung und eine Vertrautheit, die zwischen den andern bestehen mochte, störte. Auch Mrs Carson wischte mit ihren Bemerkungen immer nur den Staub auf der Oberfläche hin und her. Doch glaubte Sligh, aus ihrem Geruch ihr Wohlwollen für seine Person zu spüren. Roger Sligh, M. D., verschrieb sich Kate Carson als Medizin, um von der wachsenden Zahl der Spritzen loszukommen. Das Heilmittel war zunächst äußerlich anzuwenden.
Es wirkte, wenn auch nur bis knapp unter die Haut. Je länger sich die Frist aber hinzog, in der Sligh weder von Briefen noch von sonstigen erinnernden Drohungen gestört wurde, desto fester verkapselten sich in ihm alle unangenehmen Vorstellungen. Die Wellen von Angst und Hass liefen seicht und sanft aus am sandigen Strand täglicher Pflichten und Gewohnheiten. Um Roger Sligh, M. D., bildete sich wieder eine Atmosphäre der Gleichmäßigkeit und der Anerkennung. Auch diejenigen, die den Abschied von Piter Eivie lebhaft bedauert hatten, gewöhnten sich an Sligh wie an alles erträgliche Unvermeidliche. Dem Präriewinter blieb, wie einem Winter im allgemeinen, nichts anderes übrig, als allmählich einem wenn auch in diesem Falle sehr kargen Frühling zu weichen. Roger Sligh konnte wieder gefahrlos nach New City fahren und dort jenen Teil seiner Beziehungen zur Frau absolvieren, die aus den Verbindungen zu einer Kollegin ausgeschaltet blieben.
Sligh ging in diesen Monaten mit dem Gedanken um, mit etwa zweiundvierzig Jahren die Reservation als ein berühmt gewordener Chirurg wieder verlassen zu können. Das Zukunftsbild begann sich nicht nur als Möglichkeit, sondern als eine schon gewisse Wirklichkeit seiner Stimmung einzuverleiben. Es fügte sich in seinen Charakter, seine Lebensauffassung und seine Lebensansprüche auf das beste und durchaus fugenlos ein. Einer, der mit seinen Augen oder mit einem unvorhergesehenen Verlauf seines sehr langwierigen Heilungsprozesses die Gewissheit zur Ungewissheit hätte machen können, befand sich fern von Sligh in bestmöglicher und sicherer Obhut.
Ein junger Beamter
Von den höheren Angestellten auf der Reservation als »Figur im Hintergrund« beobachtet und beargwöhnt, nicht unerfahren, aber auch noch nicht routiniert, lag der dreiundzwanzigjährige Sidney Bighorn auf der Lauer inmitten von Zuständigkeiten, Plänen, Chancen und Hemmnissen der Verwaltungspraxis wie ein junger Jäger im Gebüsch, ungewiss, wann und wie das Wild sich zeigen und er zum Schuss kommen werde.
Wenn Sidney in jenen Vorfrühlingstagen des Morgens erwachte, genoss er die grundsätzliche Gewissheit, dass er in Zukunft zu einer angenehmen Karriere bestimmt sei, und dies dank seiner eigenen Fähigkeiten. Er verurteilte selbst gewisse Fehler, die er gemacht und deren Folgen seinen geradlinig angesetzten Aufstieg unterbrochen hatten. Doch sah er ihre Auswirkung im Schwinden und war überzeugt, dass sie in wenigen Jahren völlig verschwunden sein würde, wenn es ihm gelang, seinen Gegner Joe King von der Bildfläche zu löschen.
Das Zimmer, das Sidney in der mittelgroßen Stadt bewohnte, war teuer, jedoch nicht teurer als solchem Wohnraum zukam. Es war heller, größer, besser ausgestattet als die Kammer, die er einst auf der Reservation im Hause seines Verwandten, des Chief President Jimmy White Horse, innegehabt hatte. Die Zimmerwirtin hatte Sidney, einen Indianer, ohne Wimpernzucken aufgenommen. Er schmeichelte sich, dass sein ordentliches und stattliches Aussehen und, seine Eigenschaft als Beamter der Distriktverwaltung für Reservationen dazu beigetragen hatten, jedem möglichen Ausdruck von Rassismus von vornherein den Boden zu entziehen.
Sidney stand immer pünktlich auf, nahm sein Frühstück mit Bedacht ein und ließ das Zimmer in peinlicher Ordnung zurück. Er pflegte sich kurz vor Dienstbeginn an seinem Arbeitsplatz einzufinden, nie zu spät, auch nicht so früh, dass er gegenüber den anderen Beamten und Angestellten hätte auffallen können. Was ihm aufgetragen wurde, führte er aus, und es lag nichts auf oder in seinem Schreibtisch, was nicht erledigt oder in Bearbeitung war. Er erschien seinen Vorgesetzten als jener gute, zuverlässige Durchschnitt, der in kommenden Jahrzehnten durch Computer ersetzt werden konnte.
Die Hast, mit der manche Beamte sich auf noch unerledigte Vorgänge stürzten, ehe sie eine Reise antraten, musste Sidney seiner gesamten Arbeitsweise nach fern liegen. Er kam am Tage vor seiner Dienstreise, die ihn in die heimatliche Reservation führen sollte, kurz vor acht Uhr in das Büro, wie immer pünktlich, aber nicht zu pünktlich, und er verließ das Büro um vier Uhr, unter dem Arm die Aktentasche mit einer Reihe von Schreiben und Unterlagen. Er hatte die für das Schulwesen verantwortliche Schulrätin auf ihrer Inspektion zu begleiten und zugleich eigene Funktionen wahrzunehmen, speziell auf den Gebieten der Ökonomie und des Kriminalwesens. Um sieben Uhr früh sollte die Fahrt beginnen.
Sidney hielt den Dienstwagen 6 Uhr 55 bereit. Die Schulrätin war groß und mager, scharfgesichtig und misstrauisch. Sie nahm auf einem Rücksitz Platz, hängte ihren Mantel in einer Cellophanhülle an den Haken zwischen den Fenstern und beobachtete, ob Sidney nicht vergaß, den Türverschluss zu sichern. Auf seine eigene Sicherheit bedacht und des prüfenden Blicks aus dem Rücksitz stets eingedenk, fuhr Sidney überlegt und vorsichtig.
Beim Mittagessen in einem Selbstbedienungsrestaurant verhielt er sich gemäßigt höflich und ließ sich den Appetit nicht verderben. Abends fuhr er zu genau berechneter Zeit vor einem Motel am Rande der Reservation vor, bezog sein Einzelzimmer und aß allein in der billigeren der beiden gegenüberliegenden Gaststätten.
Am folgenden Morgen erreichten die beiden verschiedenartigen Inspizienten mit dem Wagen die Agentursiedlung.
Mr Nick Shaw, stellvertretender Superintendent und zurzeit kommissarischer Superintendent, da Hawley noch immer nicht ersetzt war, empfing die beiden als erste Besucher. Mrs Hamilton und ihr Scharfblick mussten einem in seiner Tätigkeit zu kontrollierenden Beamten von Natur unangenehm sein. Sidney horchte auf jeden richtigen und jeden falschen Ton im Gespräch zwischen Shaw und der Schulrätin; er hörte mehr falsche als richtige Töne und wählte demgemäß seine eigene Taktik. Als sein Entschluss so weit gediehen und innerlich bestätigt war, hörte Bighorn nur noch mit halbem Ohr zu und überlegte schon die Route, die er auf der Reservation einschlagen würde. Vor allem wollte er sich einen eigenen Wagen verschaffen; es beliebte ihm nicht, mit der Schulrätin noch länger gekoppelt zu sein. Sein Vorstoß in dieser Richtung gelang sogleich. Ein Dienstwagen war frei.
Sidney genoss die Tatsache, dass er in der Agentursiedlung von diesem und jenem gesehen wurde. Er ging nicht, sondern er fuhr wie ein echter Amerikaner vom Bürohaus der Superintendentur zu dem nächsten Haus, dem der Dezernenten, und begab sich zu gleicher Zeit wie Mrs Hamilton, aber aus einem anderen Wagen aussteigend, in das einstöckige Holzgebäude, in dem die Schulrätin ihrem Ressort gemäß Miss Bilkins, Schulwesen, Sidney Bighorn aber als Vertreter des Dezernates Ökonomie Mr Brown aufsuchte.
Mr Brown schien sich ehrlich über den Besuch zu freuen.
»Es tut mir leid, Mr Bighorn, dass ich Sie nicht begleiten kann, aber bitte, fahren Sie allein. Sie kennen die Verhältnisse und die Menschen hier von Kindheit an und vermutlich besser als ich selbst. Vor allem sehen Sie sich die neue Schulranch des Stammes an. Bei allem Wohlwollen für dieses gemeinnützige Unternehmen – ich weiß doch nicht, ob dafür schon die rechte Basis gefunden ist, personell und finanziell. Mr King, der sich ehrenamtlich als Ausbildungskraft zur Verfügung gestellt hatte, fällt voraussichtlich noch für lange Zeit, vielleicht ganz aus. Der Stammesrat müsste hauptamtliche Lehrkräfte einstellen und besolden, aber das ist unmöglich. Viel zu teuer. Also bitte, sehen Sie sich unter anderem gerade in dieser Angelegenheit um, da die Entscheidungen dringend zu werden beginnen, nachdem wir sie monatelang verschleppt haben.«
Sidney Bighorn hatte sich eine Notiz gemacht, obgleich das völlig überflüssig war. Was er soeben erfahren hatte, behielt er auch ohne Merkbuch. Sein persönlicher Feind, Joe King, fiel möglicherweise ganz aus. Sidney hatte sich beim Anhören von Mr Browns Bemerkungen vollständig beherrscht. Es hätte sich nicht geschickt, seine unsachlichen Gefühle zu verraten, das hätte seinen Zielen und Zwecken nur geschadet. Er erkundigte sich nicht einmal, warum King möglicherweise für immer »ausfiel«. Das musste er andernorts erfragen.
Zunächst fuhr Sidney drei Häuser weiter zu dem Stammesgericht. Den anderen Wagen, den Mrs Hamilton steuerte, sah er eben um die Kurve biegen. Sie war zu einer Schule unterwegs, um dort ihr gefürchtetes Amt auszuüben. Sidney blieb sein eigener Herr.
Als er das kleine Gerichtsgebäude mit seinen Amtsräumen und dem Verhandlungssaal betrat, stürmten Erinnerungen auf ihn ein, obgleich er ihnen nicht Raum geben wollte. Hier hatte seine Laufbahn begonnen und war kurz darauf unterbrochen worden. Hier hatte er, eben vom College kommend, seine Triumphe geschlürft, hier hatte er seine Niederlage bis zum letzten gallenbitteren Tropfen ausgekostet. Hier würde er sich wieder durchsetzen. Mit vorsichtigen Schritten wollte er beginnen, von neuem Fuß zu fassen. Er klopfte an der Tür des Dienstzimmers von Mr Crazy Eagle.
Auf die Aufforderung hin einzutreten, öffnete er. Der junge indianische Richter war blind. An seiner Seite saß eine junge Frau, eine Indianerin. Sidney, der ein gutes Personen- und Namensgedächtnis besaß, erkannte sie als Erika Cramer. Sie war eine der Betreuerinnen an dem kleinen Internat einer der Reservationsschulen gewesen und nun offenbar anstelle des überalterten Runzelmann als Hilfskraft für den Blinden ausgewählt worden. Erika Cramer erwiderte Sidneys Gruß nur sehr kurz und erklärte dann dem Blinden, wen er vor sich habe.
Ed Crazy Eagles Augen waren tot. Auch alle seine Züge verschlossen sich.
Sidney Bighorn fühlte keine Scham mehr und noch keinen Triumph.
»Ich komme im Auftrag der Distriktverwaltung, Mr Crazy Eagle. Man interessiert sich dort für die Entwicklung der Kriminalität auf der Reservation.«
»Im Augenblick rückläufig.«
»Würden Sie mir bitte die Zahlen geben?«
Erika erhielt den Auftrag, den Ordner mit den statistischen Angaben vorzulegen. Sie tat es mit gesenkten Lidern.
Sidney streichelte seine Nase. Er wusste nicht, dass er es tat. Wäre es ihm bewusst gewesen, er hätte es unterlassen. Er blätterte in den Unterlagen, die der Ordner enthielt.
»Diebstahl war schon immer äußerst selten. Die Schlägereien in Trunkenheit haben also nachgelassen?«
Sidney sprach von Trunkenheit, ohne rot zu werden. Er hatte sich in der Gewalt. An die Tatsache, dass er selbst für Chief President Jimmy White Horse Whisky geschmuggelt und sich dadurch strafbar gemacht hatte, wünschte er nicht zu denken. Niemand hatte Anlass, daran zu denken, denn es war damals keine Anzeige gegen ihn erstattet worden, um den Ruf des Stammes und des Stammesgerichtes, dem er als Mitglied angehört hatte, nicht zu gefährden. Sidney war allerdings aus Furcht vor Joe King, der die Sache aufgedeckt hatte, von seinem Amt als sehr junger Staatsanwalt zurückgetreten. Jetzt aber besaß niemand mehr eine Handhabe, gegen ihn vorzugehen. Er war nicht vorbestraft, und die weiße Verwaltung wusste nichts von der Sache. Das Vergehen war um des Stammesansehens willen vertuscht worden. Sidney genoss den Vorteil.
Der Blinde wusste das alles; die Angelegenheit war durch seine Hände gegangen.
»Wie erklären Sie sich den erfreulichen Rückgang der Gewaltvergehen in Trunkenheit, Mr Crazy Eagle?«
»Der Schmuggel hat nachgelassen, seitdem O’Connor, New City, im Zuchthaus sitzt und seine Schwester Esma Horwood des Landes verwiesen wurde.«
»Sie sagen ›hat nachgelassen‹. Das bedeutet, dass der Schmuggel noch immer nicht aufgehört hat?«
»Das bedeutet, Mr Bighorn, dass ich nicht feststellen kann, ob der Schmuggel völlig aufgehört hat. Das Reservationsgebiet ist weit und einsam, und die Straßen werden nicht kontrolliert. Sie wissen selbst, wie leicht es ist, ein paar Flaschen über die Grenze zu uns zu bringen.«
Sidney wurde nun doch rot, und er war sich bewusst, dass Erika das sehen konnte.
»Ein paar Flaschen, ja. Aber wie steht es mit neuen Verbindungen nach New City? Es ging die erstaunliche Meldung durch die Zeitungen, dass ein berüchtigter Verbrecher, Gangster und vermutlicher Mörder aus der Haft entlassen, der über ihn verhängten Polizeiaufsicht entronnen sei und dass seine Spur nach New City weise. Sie kennen die Meldung?«
»Über Leonard Lee? Ja.«
»Hat man weiter von ihm gehört?«
»Es sind bei mir keine Verbrechen zur Anzeige gekommen, die mit seiner Person zusammenhängen könnten.«
»Esmeralda O’Connor, die ausgewiesene Rauschgifthändlerin, ist illegal wieder eingewandert.«
»Sie wissen mehr als ich, Mr Bighorn.«