und dorthin ward Herrn Attichs Töchterlein
gebracht. Im Bayerlande aber war ein Bischof mit
Namen Erhardus, der hörte im Traume eine Stimme:
Mache dich auf gen Palma in das Stift, dort findest du
ein blindes Mägdelein, das sollst du taufen und Ottilia
heißen. Erhardus folgte ohne Weilen der Stimme des
Herrn, so er im Traume vernommen, zog gen Palma
in das Stift und fand das Kind und taufte es und segnete
es, und siehe, da gingen über der Taufe dem
Kinde die Augen auf, und ward sehend. Und Ottilia
blieb im Frauenmünster zu Palma, erwuchs darinnen
züchtiglich, erlernte die Orgel schön zu spielen, der
Blumen zu pflegen und ihrer Pflichten treulich zu
warten. – Herr Attich aber ward vom Himmel heimgesucht,
daß er Reue und Leid fühlte ob seines von
ihm verstoßnen Kindes willen, und es trieb ihn zu
einer Pilgerfahrt nach Welschland, sein Kind zu suchen,
und da er der Tochter Aufenthalt erfahren, zog
er des rechten Weges und hörte nun in Andacht das
Wunder, das mit ihr sich begeben, und führte sie zurück
nach Hohenburg und an das Herz ihrer Mutter.
Glanz und Reichtum umgab das holde fromme Kind,
aber das alles lockte sie nicht, und auch als der Ruf
ihrer Schönheit und Lieblichkeit sich in der Gegend
verbreitete und Freier angezogen kamen, die gern um
ihre Hand werben mochten, zeigte sie sich allen abgewendet,
wollte allein des Heilands Braut sein. Da nun
unter diesen Freiern ein reicher Graf des Gaues war,
so gelobte Herr Attich diesem sein Kind zum Ehegenoß
und gebot Ottilien, sich nicht länger zu weigern.
Das erschreckte die fromme Jungfrau gar sehr, sie
suchte Trost und Rettung im Gebet und fand endlich
einen Ratschluß, welcher kein anderer war als schnelle
Flucht. Da nun der Bräutigam am Morgen angeritten
kam, war die Braut abhanden und nirgend zu finden.
Boten ritten und liefen wohl im Vogesengebirge
umher und auf und ab all um den Rhein, und keiner
fand Herrn Attichs Tochter, bis nach dreien Tagen
endlich die Kunde kam, Ottilia sei in einem Schifflein
über den Rhein gefahren, mutterseelenallein, und
mochte wohl ein Engel ihr Ferge gewesen sein. Da
forschten nun ihr Vater und der Graf gar fleißig nach
ihr und waren weit aus und kamen bis gen Freiburg
im Breisgau, und als sie dort im Tale ritten, sahen sie
auf einmal auf einer Bergeshöhe die Jungfrau wandeln
und sprengten eilend hinan. Wie nun Ottilia ihre ihr
schon nahen Verfolger erkannte, erschrak sie heftig
und rief den Himmel um seinen Schutz an, und da sie
an eine Felswand kam, die ihre Schritte gänzlich
hemmte, da tat vor ihr die Wand sich auf und schloß
sich wieder hinter ihr zu. Aus dem Felsen aber rieselte
alsbald ein klarer Wasserquell, und die Verfolger
standen davor und wußten nicht, wie ihnen geschehen
war.
Nun begann Herr Attich, aufs neue in sich zu
gehen, seufzte nach der Tochter, blieb an der Quelle
und rief dem starren Fels das Gelübde zu, wenn Ottilia
wieder zu ihm komme, so wolle er an diesen Ort
eine Kapelle bauen und aus seiner Burg ein Kloster,
und das mit reichem Gut begaben. Solches alles geschah,
und der Brunnen aus dem Fels ward der Ottilienbrunnen
geheißen und übte wundersame Kraft an
kranken Augen. Ottilia aber wurde Äbtissin des neuen
Klosters, pflegte und heilte Kranke, ward ein Schutzengel
des ganzen Gaues, ließ an den Bergesfuß noch
ein Kloster, Niedermünster, bauen, und als sie endlich
sanft und selig verschieden, ist sie heilig gesprochen
worden und ward die Patronin der Augen und von
Augenleidenden insonderheit angerufen.
36. Vater und Sohn
Es war ein Graf im Oberelsaß, Herr Hug von Egisheim,
dem gebar sein Ehegemahl einen Sohn, der
ward Bruno genannt in der heiligen Taufe. Aber ein
böser Argwohn umdüsterte des Grafen Herz, als sei
das Söhnlein nicht sein eigen, und da befahl er einem
Knecht, daß er es hinaustrage in den Wald, es töte
und ihm sein Herz, der Tat zum Zeugen, darbringe.
Den Knecht aber jammerte des unschuldigen Kindleins,
und konnte solchen Mord nicht über das eigene
Herz bringen. Er gab das Kind in sichere Hut, erlegte
ein Rehkälbchen und brachte dessen Herz seinem
grausamen Herrn. Der Knabe erwuchs und kam weit
hinweg, die Jahre vergingen, und über den alten Grafen
kam die Reue, denn es war ihm klar und offenbar
geworden, daß er damals im Irrwahn befangen die
schrecklichste Sünde begangen hatte. Und da litt es
ihn endlich nicht länger mehr in der Heimat, er verließ
seine Schlösser und sein Land und ging in Pilgertracht
über die Alpen und wandelte gen Rom, dem
Heiligen Vater seine schwere Schuld zu bekennen und
eine Buße sich auferlegen zu lassen. Und er kam zum
Papste und kniete zu dessen Füßen und beichtete sein
Verbrechen und flehte zerknirscht um Entsündigung.
Da erhob sich von seinem Thronsitz der Heilige Vater
und sprach: Graf Hugo von Egisheim! Der allbarmherzige
Gott hat nicht gewollt, daß Bruno, dein Sohn,
sterbe, sondern hat ihn aufbehalten zu hohen Dingen.
Und Gott verzeiht dir durch mich, den Knecht seiner
Knechte, den grausamen Vorsatz. Deine Reue soll
deine Buße gewesen sein. Stehe auf, Graf Hugo, umarme
mich, ich bin es, der dir Verzeihung kündet, ich
bin Bruno, dein Sohn, Leo der Neunte geheißen auf
St. Petri heiligem Stuhle! – Dem alten Grafen war, als
ob er träume, als ob der Himmel sich ihm erschließe.
37. Die Münsteruhr
Zu Straßburg im Münster ist ein kostbar und verwunderungswürdiges
Uhrwerk, das seinesgleichen in der
ganzen Welt nicht hat. Hoch und stolz, ein wundersames
figurenreiches Gebäu, steht es da vor Augen,
aber leider steht es eben und geht schon längst nicht
mehr. Im Piedestal zeigt sich neben einem Himmelsglobus
ein Pelikan, darüber erhebt sich ein Kalender,
in dessen Mitte die Erdkugel ersichtlich ist, zu beiden
Seiten stehen der Sonnengott und die Mondgöttin,
welche mit ihren Pfeilen Tages- und Nachtstunden
zeigen. Schildhalter an den vier Winkeln des Kalendariums
lassen Wappen erblicken. Darüber fuhren in
Wagen, von verschiedenen Tiergespannen gezogen,
die sieben Planetengötter als Tagesboten, jeden Tag
zeigte sich sanft vorrückend ein anderes Gespann,
stand in der Mitte zur Mittagsstunde und gab dann
allmählich dem nachfolgenden Raum. Darüber ein
großer Viertelstundenzeiger und zur Seite vier Gebilde,
die Schöpfung, Tal Josaphat, Jüngstes Gericht
und Verdammnis. Zur Rechten des Beschauers steht
ein freier Treppenturm am Uhrgebäu, zur Linken ein
ähnlicher von anderer Form mit Göttergestalten, auf
der Spitze ein großer Hahn, welcher die Stunden
krähte und mit den Flügeln schlug. Am Sockel der
Türme halten zwei große aufrechtsitzende Löwen je
einer den Helm mit dem Kleinod, der andere das
Wappenschild Straßburgs. Recht in der Mitte ist das
riesiggroße mannigfach verzierte und mit kunstvollem
Triebwerk versehene Zifferblatt, umgeben von den
Bildern der vier Jahreszeiten, darüber steht: DOMINUS
LUX MEA-QUEM TIMEO. Den Zeiger bildet
ein geschlängelter Drache, dessen Zungenpfeil auf die
Stundenzahl deutet. Über dem Zifferblatte zeigte ein
kleinerer Kreis mit der Mondesscheibe genau des
Mondes wechselnde Zeiten. Darüber zeigten sich zwischen
Schildhaltern und Wappenfiguren wandelnde
Gestalten der Menschenalter, welche an die offen hängenden
Viertelstundenglocken anschlugen, über ihnen
hängt die Stundenglocke; nach jedem Viertelstundenschlage
trat der Tod hervor, die Stunde zu schlagen,
aber da begegnete ihm die Gestalt unsers Heilands
und wehrte ihm, erst wenn die Stunde voll war, durfte
der Tod sein Stundenamt üben. Hoch empor über
allem diesen hob sich noch eine gotische Krone mit
den freistehenden Gestalten der vier Evangelisten, die
Tiere der Offenbarung neben sich, und über diesen
standen zwei musizierende Engel, dahinter aber barg
sich gar ein schönes klangvolles Glockenspiel, auch
ist noch manch anderes künstliches Bildwerk an der
Münsteruhr zu sehen und sind auch gedankenvolle
Sprüche daran zu lesen. Dieses herrlichen Werkes
Meister hieß Isaak Habrecht, der hatte gar lange gesonnen
Tag und Nacht und gearbeitet unermüdlich,
bis er es vollendet, und bis es durch seinen lebendigen
Gang alle Welt zum Erstaunen hinriß. Da es nun vollbracht
war, so gedachte der Meister, auch anderswo
seine unvergleichliche Kunst zu üben, da blies der
böse Feind dem Rate der Stadt Straßburg schlimmen
Neid in das Herz, und sollte seine Stadt solch Wunderwerk
nur einzig und allein haben. Und weil die
Herren im Rate glaubten, wenn sie dem Meister Habrecht
auch verböten, der Stadt Weichbild zu verlassen,
werde er Straßburg dennoch den Rücken kehren,
so wurden sie miteinander eins, ihn des Augenlichtes
zu berauben. Das ward dem Meister angesagt, und
wie er es vernahm, schauderte ihm, und sprach: Nur
einmal noch muß ich mein Uhrwerk sehen, möcht
etwan noch was daran bessern, denn ich's später nicht
mehr vermag, wenn ich nicht sehend bin. Das wurde
ihm vergönnt, und dann stieg der Meister zu seinem
künstlichen Bau hinauf und trat hinein und schaffte
was darin, eine kurze Weile. Und hernach haben sie
auf dem Rathaus den Meister des Augenlichts beraubt.
Aber siehe – da stockte mit einem Male das
Uhrwerk. Christus und der Tod und die Alter der
Menschen wandelten nicht mehr, das Glockenspiel
verstummte, der Hahn krähte nicht, die Uhrglocken
tönten nicht, der Zeigerdrache zeigte nicht, die Götter
fuhren nicht mehr – alles stand. Bald aber nach der
grausamen Tat wurden Meister Habrechts geblendete
Augen aufgetan zum ewigen Licht – und vergebens
sendete der Rat nach Künstlern umher, die das Uhrwerk
wieder in Gang bringen sollten. Viele kamen,
viele probten und pösselten daran und darin herum,
keiner bracht's in Gang, von alter Zeit zu neuer Zeit,
immer wieder – sie verdarben mehr, als sie gut machten,
und so steht im Münster das Uhrwerk heute noch,
wunderbar anzuschauen, aber ungangbar, und die Zeiger
zeigen noch Tag und Stunde, an denen so grauenhafte
undankvolle Untreue an dem kunstreichen Meister
verübt ward.
38. Straßburger Schießen und Zürcher Brei
Im Zeughaus zu Straßburg wird ein eherner Topf gezeigt,
den sandte einstmals die Stadt Zürch voll Brei
dahin, den sie in Zürch gekocht und der noch warm in
Straßburg ankam, das begab sich also. Die Straßburger
hielten großes Freischießen und luden dazu ein
alle Nachbarstädte am Rhein, in der Rheinpfalz, im
Elsaß und in der Schweiz, die kamen auch durch Gesandte
zahlreich und nahmen teil am Feste; am weitesten
hatten freilich die Schützen von Zürch, drei Tagereisen.
Da war zu Zürch ein wackerer Kumpan, der
hieß Hans im Weerd, und sann ein lustig Stücklein
aus. Wir wollen gen Straßburg zu Wasser fahren, da
brechen wir kein Rad und fällt uns kein Roß, und
wollen das tun, so Gott will, in einem Tag, und einen
heißen Brei, den wir allhier gekocht, den Straßburgern
mitbringen. Dieser Rat fand großen Beifall, alles
ward vorgerichtet und gerüstet, der Brei wurde in
einer Nacht gekocht, kam in einen warmen Topf von
Erz, und der Topf wurde in heißen Sand gestellt, und
nun ging es schnell zu Schiff, als die Sterne noch
glänzten. Vom Schiffe wehten lustig die Wimpel mit
Zürchs Farben, weiß und blau, und munter flog es
über der Limmat rasche Wellen rasch dahin. Von der
Limmat lenkten die fröhlichen Schweizerschützen in
die Aar, vorüber an mancher fährlichen Stelle, und
aus der Aar in den Rhein, am Höllenhaken kühn vorbei
durch Strudel und Klippen. Da das glückhafte
Schifflein gen Rheinfelden kam, wohin schon Kunde
von seiner Fahrt gelangt, ward zur Mauer herab ein
Korb voll edlen Weines zum Morgentrunk herabgelassen
und unverweilt eingenommen. Als die Basler
Glocke elf schlug, war es erst um zehn Uhr, und das
glückhafte Schiff mit seinen Zürchern nahte schon der
Brücke. Da schallte von aufgestellter Mannschaft und
drängendem Volk herzlichfroher Bundesgruß entgegen,
und die Geschütze krachten, aber wie ein Pfeil
schoß das Schiff, getrieben von den Ruderschlägen
stets sich ablösender kräftiger Ruderer, immer rheinabwärts,
und vorn im Schiff am Steuer stand lugenden
und sorgenden Blickes der Hans im Weerd, und mitten
im Schiff saß Kasper Thomann, der Zürcher erwählter
Obmann und Sprecher beim Schützenfeste.
So ging es weiter und immer weiter, an Neuenburg
vorbei, an Breisach vorbei, durch die hundert Inseln
und Werder und Riede im Rhein. Wohl sank der
Abend nieder, wohl tauchte hinter der Vogesen blauer
Bergkette das glühende Rad der Sonne unter, aber
was leuchtete dort weit, weit her über die unermeßliche
Stromtalfläche, eine rote Feuersäule? Im Sonnenscheidekuß
flammte Unser Frauen-Münsters Turmriese,
und der Jubel der Schiffer grüßte das leuchtende
ferne Ziel. Aber immer noch liegen Stunden zwischen
dem Ziele und dem Schiffe – der Tag schwindet, die
Nacht bricht an, hell und rund steht der Mond am
Abendhimmel, das Münster taucht empor, wie ein
Geisterschiff, von der Schützenmatte her dringt
dumpfer Lärm des Volksgewimmels; jetzt beginnen
auch die im Schiff zu blasen mit hellen Zinken und
Posaunen, Pfeifen und Drommeten – jetzt endlich ist
Straßburg erreicht, und am Guldenturm legt das
Schifflein an. Jubel begrüßt die nimmermüden Stromfahrer,
die das nie Dagewesene vollbracht, in einem
Tage gefahren die unendlichen Strecken, und der Brei
im Topfe noch warm, gerade noch so recht mundrecht.
Das war ein gar festliches Begrüßen, mit Musik
und Fahnen wurden die werten Zürcher Gäste auf die
Maurerstube geleitet zum herzlichen Willkommen
und frohen Mahle. Von da brachte man die Zürcher,
nachdem der Brei verzehrt war, in den güldnen Hirsch
zur Rast, und am andern Tage beim Schießen wurden
sie hoch geehrt vor allen Gästen, und der Topf blieb
aufbewahrt für ewige Zeiten.
39. Das Hündchen von Bretten
Dir geschieht wie dem Hündchen von Bretten! sagen
die Leute in der Rheinpfalz. Damit deuten sie auf ein
Wahrzeichen des Städtleins Bretten hin und bezeichnen
mit dem Spruch den Empfang des bekannten Teufelsdankes
für gehaltene Treue. Zu Bretten war ein
Mann, der hatte ein treues frommes Hündchen, das
hatte er mit Fleiß abgerichtet zu allerlei Dienst und
Kunststück, insonderheit brauchte er es zum Fleischholen.
In einem Körbchen, darin eingewickelt das
Geld lag und auf einem Zettel stand, was es bringen
sollte, holte es beim Metzger Wurst und Fleisch, rührte
davon nie einen Bissen an, so brachte es dem Metzger
viele viele Kreuzer ins Haus. Da fügte sich's, daß
der Metzger einen Gesellen bekam, der war katholisch,
der Mann aber, dem das Hündlein zugehörte,
war evangelisch und sandte es auch am Freitag zum
Metzger, daß es, wie gewohnt, sein Fleisch oder seine
Wurst hole. Solches verdroß den Metzgergesellen,
und er sagte: Warte, Ketzer, ich will dir den dir gehörigen
Schlünker schicken, nahm das Hündlein, hackte
ihm auf dem Bloch das geringelte Schwänzchen grausam
ab und legt's in den Korb. Das arme Tier faßte
den Korb, lief blutend nach Hause, stellte den Korb
vor seinen Herrn, legte sich hin, winselte, streckte alle
Viere von sich und starb.
Die St. Galler Mönche erbeten Wein
Die ganze Stadt Bretten war entrüstet über solch ungetreue
Tat, der Gesell wurde alsobald ausgewiesen
und des Hündleins Bild ohne Schwanz in Stein ge-
hauen und übers Stadttor gesetzt, darüber ein Kranz,
den Lohn der Treue anzudeuten. Dieses ist das Wahrzeichen
von Bretten, in welcher kleinen Stadt der
große Philippus Melanchthon geboren wurde.
40. Trifels
Über dem Anweiler Tale bei Landau erhob sich eine
stattliche Kaiserpfalz, Burg Trifels. Es geht die allgemeine
Sage, daß König Richard Löwenherz von England
darinnen gefangengehalten worden vom Kaiser
Heinrich. Niemand wußte, wo er hingekommen, und
war große Sehnsucht nach Richards Wiederkehr in
seinem Reiche. Nun hatte Richard einen treuen
Dienstmann, der war ein Minnesänger und verstand
sich meisterlich auf die Kunst des Gesanges und der
Töne. Der machte sich mit einer Schar redlicher Mannen
auf, seinen König allüberall zu suchen. Reichen
Schatz an Gold und Kleinodien, den das Volk geopfert,
nahmen sie mit sich zum Lösegeld. Auch König
Richard war ein Minnesänger, und Blondel, so hieß
jener treue Dienstmann, kannte und konnte des Königs
Lieder. Vor mancher Burg, darinnen er den
König gefangen glaubte, hatte Blondel schon Weisen
angestimmt, auf welche, wie er sicher voraussetzte,
der König, wenn er ihn hörte, singend antworten
mußte, aber es war still geblieben hinter den festen
Mauern. Schon war er am Donaustrom auf- und abgezogen
und hatte auch all um den Rhein gesucht und
gesungen, da vernahm er, daß in der Nähe der Stadt
Landau, allwo man dazumal des Heiligen Reiches
Kleinodien aufbewahrte, die Kaiser Friedrich auf den
Trifels selbst eine Zeitlang bringen und bewahren
ließ, auf dreien Felsenzacken gar ein großes und stattliches
Kaiserschloß stehe, und da Blondel der Meinung
war, nur in einem solchen Schloß werde der römische
Kaiser seinen König und Herrn gefangen halten,
so wandte er sich dorthin mit den Seinen, umschlich
spähend die Mauern und stimmte am Fuße der
starken und hohen Türme, in deren Tiefen und Verliesen
man gewöhnlich die Gefangenen schmachten ließ,
jene Weisen an, die nur König Richard konnte. Und –
o Freude – endlich, endlich drang aus dem Gemäuer
des Turms auf Trifels antwortender Gesang in gleicher
Weise – hoch schlug vor Freude Blondels Herz,
sein Richard, sein König war gefunden und bald darauf
auch aus seiner Haft befreit.
Vom Schlosse Dürrenstein am Donaustrome geht
die gleiche Sage, alldort zeigt man noch ein Loch im
Trümmerfelsen, darin Erzherzog Leopold von Österreich
den heldenmütigen König soll gefangengehalten
haben.
41. Der Rotbart zu Kaiserslautern
Bei Kaiserslautern ist eine Felsenhöhle von unergründlicher
Tiefe. Von dieser geht des Volkes allgemeine
Sage, daß Kaiser Friedrich der Rotbart, da er
aus seiner Gefangenschaft in der Türkei gekommen
sei, in Kaiserslautern sich niedergelassen habe. Dort
habe er das Schloß gebaut und dem Weidwerk, wie
der Fischerei in dem schönen See, der noch der Kaiserwerder
heißt, obgelegen. In einem Tiergarten nahe
am Schloß hielt der Kaiser allerlei wunderbarliche
und fremdländische Getiere, und im See fing er einstmals
einen großen Karpfen, dem steckte er einen
güldnen Ring von seinem Finger an eine Flosse: der
Fisch blieb und bleibt hinfüro ungefangen bis auf des
Kaisers Wiederkehr. Endlich kam der Kaiser hinweg,
niemand wußte zu sagen wie, und es ging die Rede, er
habe sich in das tiefe Loch verwünscht auf lange Zeit,
da drunten besserer Zeit zu harren. Im Schlosse blieb
lange noch des Kaisers Bette aufbewahrt, hängend an
vier eisernen Ketten. War es abends wohl gebettet, so
war es morgens verwälzt, so daß man deutlich sah, es
habe jemand darin gelegen. Einst fing man im Kaiserwerder
zwei Karpfen, die waren um die Hälse mit
Ringen und einer güldenen Kette verbunden, zum Angedenken
wurden sie in Stein ausgehauen an der
Metzlerpforte.
Zu einer Zeit fand sich ein Mann, der wollte gern
den Grund der großen tiefen Höhle ergründen, in welche
der Kaiser sich verwünscht haben sollte, und
ward an einem Seil hinabgelassen mit einem Faden,
der oben an eine Schelle reichte. Und kam hinab und
sah den Kaiser sitzen auf güldnem Sessel mit mächtig
großem roten Barte, schaute sich um und erblickte
einen großen weiten Plan, darauf standen viele Wappner.
Der Kaiser nickte ihm zu und bedeutete ihn, nicht
zu reden – und da grausete es dem Mann, und gab
sein Zeichen an der Schelle, und ward also wieder
heraufgezogen, wo er verkündete, was er geschaut.
Um keinen Preis aber wollte er noch einmal hinunter.
Weit über das deutsche Land hin verbreitet ist die
Sage vom verzauberten Kaiser im Bergesschoß. Im
Thüringer Lande ist sie am lebendigsten um den Kyffhäuser,
so auch im Untersberge bei Salzburg und anderorts,
wo es aber auch oft Kaiser Karl der Große
oder auch Karl V. ist, den die Sage hineinbannt und
zu künftiger Wiederkehr aufbewahrt.
42. Die schiffenden Mönche
Zu Speier kam einstmals ein Fischer an den Strand
des Rheinstroms, der stellte seine Garne spät am
Abend und legte seine Reusen und fuhr in seinem
Kahn von einer Uferstelle zur andern. Da kam ein
Mann daher in brauner Mönchskutte, und der Fischer
grüßte ihn. Fischer, sprach der Mönch, ich bin ein
Bote von weitem her und möchte gern überfahren. –
Das kann geschehen, sagte der Fischer und fuhr den
Mönch über. Als er wieder an seinen Strand kam,
standen fünf andere Mönche da und harrten seiner und
sprachen: Fahr über! – Warum reiset ihr so in später
Nacht? Und soll ich nicht für meine Arbeit einen
Lohn von euch verdienen? – Fischer, es treibt die Not,
antworteten die Mönche, die Welt ist uns gram, fahr
uns nur über um Gottes willen.
Der Strom war ruhig und hell der Nachthimmel,
der Fischer nahm die Männer in seinen Kahn und
stieß vom Strande. Schnell ward es dunkel, der Himmel
schwärzte sich, der Strom warf Wellen, es heulte
der Sturm und trieb die schäumenden Wogen über
Bord in das Schiff hinein. Wie geschieht uns? fragte
der Fischer. War doch eben erst der Himmel rein und
klar! Hilf uns, o Gott! – Was heulst und betest du,
statt zu rudern? schalt den Schiffer einer der Mönche,
entriß ihm das Ruder und schlug ihn, daß er niedersank.
Die Mönche ruderten nun selber eilend durch
den Strom, legten am andern Ufer an und verschwanden.
Als der Fischer wieder zu sich kam, grauete
schon der Tag, und kaum vermochte er, wieder überzufahren
und seine Hütte zu erreichen.
Des Weges aber, den die Mönche eingeschlagen,
kam ein Bote, der wollte gen Speier, der sah dieselbigen
Mönche sich entgegenkommen, sie fuhren auf
einem Wagen, der war schwarz überhangen und hatte
nur drei Räder; die Pferde, die ihn zogen, hatten nur
drei Beine, und der Fuhrmann hatte eine Teufelsnase
und eine Flammengeißel, rund um den Wagen her weberte
es von Flammen. Der Bote kreuzte und segnete
sich und zeigte dem Rat zu Speier dies Gesicht an,
aus welchem man auf große Zwietracht unter den
deutschen Fürsten schloß, an der in alten und neuen
Zeiten niemalen ein Mangel.
43. Die Schwabenschüssel
Zu Speier auf dem Domplatz steht auf einem großen
Fußgestelle von Quaderstücken auf drei Staffeln ein
großer, tiefer, runder steinerner Napf, mag wohl ein
Taufbecken sein aus grauen Zeiten, wie eins vor der
Klosterkirchenruine zu Paulinenzelle liegt und anderswo
dergleichen auch gefunden werden – das hat in
seinem Rand eine Schrift, in Messing gegossen, diese
besteht aus lateinischen Versen. Dieses Becken nennen
sie dort die Schwabenschlüssel, niemand weiß,
warum. Sie hatten aber zu Speier damit einen sondern
Brauch, nämlich wenn ein neugewählter Bischof alldort
seinen Einzug halten wollte, so ward er nicht alsbald
in die Stadt gelassen, sondern mußte vor dem
Tore halten bleiben und zuvor geloben, der Stadt
Rechte und Freiheiten nicht anzutasten, vielmehr aufrechtzuerhalten,
und das angeloben mit Brief und Siegel,
dann öffnete der Rat ihm das Stadttor, aber
gleichwohl durften nicht mehr als funfzig Mann des
Gefolges in ihrer Wehr mit dem Bischof einreiten,
und dann ward das Tor wieder hinter ihm zugeschlossen.
Danach legte der Bischof seinen Ornat an und
ward von Rat und Bürgerschaft und seinem Gefolge
geleitet und begleitet bis auf den Domplatz an die
Schwabenschüssel, dort nahm die Klerisei den neuen
Bischof in Empfang und führte ihn unter einen Thronhimmel
in den Dom mit großen Zeremonien und Gepränge.
Der Bischof aber ließ nun Wein anfahren und
in die Schwabenschüssel fließen, so viel als hineinging,
und da konnte trinken, wer wollte, und derer, die
wollten, waren immer viele, und der Wein floß endlos
in den Napf, ein ganzes Fuder oder auch zweie. Da
soff sich zum öfteren die Menge toll und voll, und
mancher kam weit hergereist zu diesem Trunke, und
ward ihm hernach weh und übel von dem vielen Saufen.
Davon ist denn das Sprüchwort entstanden, wenn
sich einer übersoffen und die Folgen verspürt: Der
reist nach Speier. Andere aber deuten das auf die
Reise zum kaiserlichen Kammergericht dortselbst,
wohin gar mancher reiste, um zu – appellieren.
44. Die Totenglocken zu Speier
Kaiser Heinrich IV. nahm gar ein trauriges Ende;
auch seine Gebeine ruhen im Dome zu Speier, aber
sie kamen nicht alsbald nach seinem Tode dahin. Verstoßen
von Thron und Reich, gedachte er, wie sein
heiliger Vorgänger Heinrich II. die Absicht gehabt,
dort im Münster zu Straßburg seine Tage zu beschließen,
am Dome zu Speier einer Chorherrenpfründe
teilhaft zu werden, allein da er, der den Dom gebaut
und reich geschmückt, nicht, wie jener, jetzt eine
Pfründe gründen und stiften konnte, so ward ihm auch
solche nicht zuteil, und der Bischof Gebhard, den er,
der Kaiser, als solcher selbst auf seinen Stuhl gesetzt
und ihn bestätigt, weigerte ihm die Aufnahme. Da erseufzte
der Kaiser und sprach: Gottes Hand! Gottes
Hand liegt schwer auf mir!, und zog trauernd von
dannen. Und es geht in Speier die Sage, daß, als der
alte Kaiser endlich arm und elend zu Lüttich an der
Maas verstorben, habe die Kaiserglocke im Dome
von selbst zu läuten begonnen, und alle andern Glokken
haben volltönig eingestimmt in das Geläute, und
das Volk sei zusammengelaufen und habe gerufen:
Der Kaiser ist tot, der Kaiser ist tot, aber wo? wo ist
er gestorben? Das wußte keiner. Der Bischof zu Lüttich
fühlte minder hart wie der undankbare Bischof zu
Speier, er ließ den Verstorbenen mit gebührenden
Ehren bestatten. Aber als das der unnatürliche Sohn
Heinrichs, Kaiser Heinrich V., vernahm, ward der Bischof
von Lüttich verurteilt, den Sarg des Bestatteten
mit seinen eigenen Händen wieder auszugraben, da
der Verstorbene im Banne dahingegangen und einen
Gebannten die geweihte Erde nicht decken dürfe. Da
ward der tote Kaiser in seinem Sarge auf eine Insel in
der Maas gestellt, und niemand wartete sein, und niemand
kümmerte sich um ihn. Aber siehe, da kam ein
Mönch, den niemand kannte, der fuhr hinüber auf die
Insel, und betete über dem Sarge, und las Messen
über den Toten, und sang ihm das Requiem, und das
trieb er fort und fort, bis Heinrich V. es vernahm und
den Sarg mit den Resten seines Vaters gen Speier führen
ließ. Und als nun der Sarg im Königschor des
Domes beigesetzt werden sollte, litt es der Bischof
nicht, ehe denn der Papst zu Rom des deutschen Kaisers
Überreste aus dem Banne lösete. Das währte fünf
Jahre; so lange blieb Kaiser Heinrichs IV. Sarg in
Sankt Afras Kapelle unbeerdigt stehen. Aber den Kaiser
Heinrich V. wußte Gottes Hand auch zu finden,
denn er blieb erbenlos, fiel in des Papstes Bann wie
sein Vater, und als er verstarb, da läutete vom Münsterturme
zu Speier ein Glöcklein von selbst gar hell
und schrillend – und keine andere Glocke fiel ein, und
niemand wußte, warum es läute, und das Volk lief zu-
sammen und fragte sich untereinander: Wo wird denn
einer ausgeführt, daß das Armesünderglöcklein läutet?
45. Die Juden in Worms
Mitten im Wein- und Wonnegau am gesegneten
Rheinstrom, im Mark der Pfalz, erbauten Völker der
Frühzeit das uralte Worms; dort haben schon Juden
gewohnt nahe sechshundert Jahre vor Christi unsers
Herrn Geburt. Die waren in Verbindung geblieben
mit dem Lande ihrer Väter, mit Palästina, als aber den
Priestern zu Jerusalem einfiel, ihnen zu befehlen, sie
sollten hinwegziehen aus dem allzufernen Lande,
damit die Männer nach Jehovas Gebot die drei hohen
Feste zu Jerusalem mitfeiern könnten, und wenn sie
nicht kämen, würde die Strafe ihres Gottes sie treffen
– da schrieben die Juden zu Worms an den hohen
Rat zu Jerusalem zurück: Ihr wohnet im gelobten
Lande; ihr habt einen Tempel, und wir haben einen
Tempel; ihr habt eine Gottesstadt, und wir haben
eine. – Und der Totenhof dieser Juden hieß der Heilige
Sand, der war hoch mit Sand bestreut, welcher aus
Jerusalem gen Worms geschafft worden war, so viel
vermochte ihr Reichtum. Als die Juden zu Jerusalem
den Weltheiland kreuzigen wollten, hatte die Judengemeinde
zu Worms nicht dazu gewilligt, vielmehr in
einem ernsten Schreiben davon abgemahnt, das hat
ihr hernachmals gute Frucht getragen, denn die Kaiser
haben sie mit großen Freiheiten begabt, und es ist das
Sprüchwort im Reich ergangen: Wormser Juden,
fromme Juden. Sie hatten einen Vorsteher aus ihrer
Mitte, der hieß der Judenbischof. Er war der erste der
drei obersten Rabbiner, die es in Deutschland gab, zu
Worms, zu Prag und zu Frankfurt am Main.
46. Von den Dalbergen
Auch das Geschlecht der Dalberge, das dem Wormsgau
entstammte, ist ein uraltes; es leitete die Wurzeln
seiner mythischen Stammbäume tief hinab in die Zeitenfrühe,
bis zur Wurzel Jesse. Ein Dalberg soll,
nachdem Jerusalem durch Titus zerstört worden, mit
der zweiundzwanzigsten Legion römischer Krieger
nach Worms gekommen sein und dort den neuen
Stamm begründet haben, auch Hauptmann der Stadt
Worms geworden sein. Er brachte viele Juden als
Sklaven mit und verkaufte ihrer dreißig um einen Silberling
an die Stadt Worms. Im Mittelalter wurde den
Dalbergen der Ehrentitel die Kämmerer von Worms,
und sie wachten mit Ernst über ihres Geschlechts uralten
Stamm. Einst wollte eine Dalbergin hinüber
zum Stift auf Unser-Lieben-Frauen-Berge nahe bei
Worms fahren, allwo der übervortreffliche Wein
wächst, Liebfrauenmilch geheißen, der Kutscher aber
wußte nicht, wohin sie fahren wollte, und fragte sie,
da sprach sie ganz stolz: Zu meiner Muhme nach
Liebfrauen – und meinte mit der Muhme die Jungfrau
Maria. So sehr hob sich der Dalberge Geschlecht zur
Blüte, daß zu Worms nach ihnen eine Gasse ausschließlich
die Kämmerergasse hieß; auch standen unmittelbar
unter diesen Kämmerern von Worms des
Heiligen Reiches Kammerknechte, die Juden. Und
wenn die deutschen Könige und Kaiser nach ihrer
Krönung junge Edle durch den Ritterschlag erheben
wollten, so mußte jedesmal vor allen andern der Herold
ausrufen und fragen: Ist kein Dalberg da?
47. Wormser Wahrzeichen
Am westlichen Portal des uralten Domes Unserer Lieben
Frauen zu Worms ist als ein steinern Bildwerk
ein Weib mit einer Mauerkrone zu erblicken, reitend
auf einem seltsamen vierfüßigen Tiere – das wird
eines der Wahrzeichen der Stadt Worms genannt und
ist vielfach ausgedeutet worden. Manche meinen, das
Frauenbild stelle dar die Babylonierin der Apokalypse,
andere die triumphierende christliche Kirche; noch
andere meinten, es sei Brunhild, die Gemahlin des
Austrasierkönigs Siegberth, über welche, nachdem sie
bereits achtzig Jahre alt geworden, ein furchtbares
Strafgericht ihrer Herrschsucht wegen gehalten ward.