Drei Tage lang wurde Brunhild gemartert, alsdann auf
ein Kameel gesetzt und allem Volke zur Verspottung
darauf umhergeführt, endlich an eines wilden Hengstes
Schweif gebunden und dahingeschleift über Stock
und Steine. Ein anderes Wahrzeichen findet sich am
Dome außerhalb als seltsames Steingebilde, das stellt
den Teufel dar mit seiner Großmutter, und zwar sucht
das liebholde Enkelchen etwas, was man nicht gerne
nennt, vom Kopf der Großmutter zu entfernen.
Weiter zeigt sich auf freier Straße westlich vom
Dom nach St. Andreaspforte zu ein Felsstück, das
warf vom Rosengarten, einer Insel im Rhein, welche
berühmt ist durch das alte Heldenbuch, ein Recke bis
herein in die Stadt. Ohnweit davon ward eine Stange
aufbewahrt, so auch lange zu sehen, war groß wie ein
Weberbaum, war spitz und dreiundzwanzig Werkschuh
lang. Das soll, wie die Sage geht, der Weberbaum
gewesen sein, mit welchem der hörnene Siegfried
den Drachen erschlug, wie im Volksbuche zu
lesen. Eine andere Riesenstange, sechsundsechzig
Werkschuh lang, ward vordessen im Dome aufbewahrt,
auch hat man lange Jahre hindurch bis zum
großen Brande zu Worms des hörnen Siegfrieds Grab
gezeigt.
48. Die Königstochter vom Rhein
Vor grauen Zeiten soll das alte Worms auch die
Hauptstadt des burgundischen Reiches gewesen sein.
Ein Zigeunerweib stahl aus der Insel des Rosengarten
eine Königstochter in einem kleinen Badewännlein
und trug sie über den Rhein. Niemand wußte, wo das
Kind hingekommen. Sein Vater grämte sich zu Tode,
und seine Mutter starb fast vor Herzeleid. Achtzehn
Jahre gingen darüber hin, da ritt der Königssohn
durch einen Wald, fand dort ein Wirtshaus und kehrte
ein; den Wein, den er begehrte, brachte ihm eine
schöne Jungfrau, die ihm über alle Maßen wohlgefiel.
Da er nun eines Fußbades begehrte, so rüstete ihm
das die Maid mit frischen grünen Kräutern und brachte
es in einem Badewännlein dargetragen. Die Wirtin
aber war ein häßliches, altes, braunes Weib, die gab
der Maid böse Rede und sagte dem jungen Rittersmann,
den sie nicht kannte, daß jene nur ein Findelkind
sei, vor langen Jahren von ihr angenommen und
auferzogen zu einer Dienstmagd. Wie aber der Königssohn
sich das Badewännlein ansah, gewahrte er
mit Staunen daran das burgundische Wappenschild
und dachte bei sich selbst: Wie kommt dieses Wännelein
mit dem Wappen meines Stammes in dieses
schlechte Wirtshaus? Und da fiel ihm bei, gehört zu
haben, daß vor langen Jahren sein Schwesterlein zusamt
dem Wännchen, in dem es gebadet worden, aus
dem Rosengarten verschwunden sei, und daß seine
Mutter ihm oft erzählt, das Schwesterlein habe ein
Malzeichen am Halse gehabt, und dasselbe Zeichen
entdeckte nun alsobald der Königssohn am Halse der
Dienerin. Da grüßte und umfing er sie als seine liebe
Schwester, und als die Wirtin hereintrat, fragte er
diese, von wem und von wannen sie diese edle Jungfrau
habe. Die Wirtin erschrak gar sehr, zitterte und
erbleichte und fiel auf die Kniee. Sie hatte, da die
Wärterin nur auf eine kurze Zeit sich entfernt, Kind
und Wännlein davongetragen und war eilend in einem
Kahn über den Rhein hinübergefahren.
Da zog der Königssohn sein Schwert, das war sehr
spitz und scharf, und stach die böse Wirtin damit in
das Ohr, daß die Spitze zum andern Ohr wieder heraustrat,
hob die Maid samt dem Wännelein auf sein
Roß und ritt gen Worms zu seiner Frau Mutter. Die
Königin wunderte sich baß, als sie das Paar so seltsam
daherreiten sah, und fragte ihren Sohn: Welch
eine Dirne bringst du uns daher? Sie führt ja ein Wännelein
mit sich, als wenn sie mit einem Kinde ginge. –
Frau Mutter, ich bringe keine Dirne, sondern Euer
verlorenes Kind, mein lieb Schwesterlein, samt dem
Wännelein, darin es Euch geraubt ward vor achtzehn
Jahren! – Bei dieser Rede fiel die Königin vor Freude
in Ohnmacht, und als sie wieder in den Armen ihrer
Kinder erwacht war, priesen alle drei den Herrn.
49. Schwedensäule bei Oppenheim
Am Rheinufer im Ried ohnweit Oppenheim steht oder
stand über Steinstufen eine hohe Säule auf vier Kugeln,
die das Postament trägt, ruhend, in Form eines
Obelisken. Auf der Spitze trug sie den sitzenden
schwedischen Wappenlöwen mit behelmtem und gekröntem
Haupt, in den Vordertatzen Schwert und
Reichsapfel haltend. Es geschah, daß König Gustav
Adolf von Frankfurt über Darmstadt längs der Bergstraße
dem Rheine zufuhr und mit vier Getreuen in
einem Nachen von Rockstadt aus den Rhein befuhr,
die Gegend zu untersuchen, doch mußten diese
Schweden sich bald vor den um Oppenheim verschanzten
Spaniern zurückziehen. Dann aber ließ der
kühne Schwedenkönig in den Dörfern am rechten
Rheinufer die Scheunentore ausheben und sein Volk
statt auf Flößen auf diesen Scheunentoren überschiffen,
griff die Schanzen an und nahm Oppenheim mit
Sturm. Zum Gedächtnis dieses Sieges ließ König Gustav
Adolf diese Säule mit dem Löwenbilde aufrichten.
Nun trug sich's zu, daß hernach, als der tapfere
Schwedenheld bei Lützen gefallen war, wieder Kaiserliche
diese Gegend besetzten. Da unternahm es ein
kaiserlicher Offizier nicht ohne Gefahr, den hohen
Obelisk zu erklettern, um das Schwert dem Löwen
aus der Tatze zu nehmen, dann später dasselbe als ein
Siegeszeichen dem Kaiser Ferdinand II. darzubringen,
großer Belohnung, vielleicht einer güldnen Kette sich
verheißend. Aber der Kaiser wurde überaus zornig
über dieses Geschenk und sagte zu dem Offizier: Wie
konnte Er sich unterfangen, eines so großen und tapfern
Helden Denkmal zu berauben und zu verunehren?
Ihm gebührt eigentlich ein Strick um den Hals,
als einem Räuber. – Und hat der schwedische Löwe
sein Schwert hernachmals wieder erhalten, auch ist
die Schwedensäule späterhin, als sie den Wogen des
Rheins und dem Eisgange allzu nahe und zu gefährlich
stand, abgebrochen und besser landeinwärts gesetzt
worden.
50. Siegenheim
Nahe der Stadt Mannheim und an der Straße von da
nach Heidelberg liegt das Dorf Seckenheim, früher
Siegenheim, so genannt von einem großen Siege, den
Pfalzgraf Friedrich I., Kurfürst, genannt der Sieghafte,
im Jahr des Herrn 1462 in Siegenheims Gefild erfochten.
Damals ward ein steinern Kreuz auf der Walstatt
erhöhet, mit einer Gedenkschrift, welche Kurfürst
Friedrichs Sieg gegen den Bischof Georg zu Metz,
gegen den Markgrafen Karl von Baden und gegen
Graf Ulrich von Württemberg erfocht, da gewann der
junge mutige Sieger alle seine Gegner, den Markgrafen
Karl von Baden, den Herzog Ulrich von Württemberg,
den Bischof Georg von Metz und nicht minder
als zweihundertundvierzig Grafen und Herren nebst
noch einer großen Schar reisigen Volkes zu Gefangenen,
ohne das Volk, welches erschlagen ward und die
blutige Walstatt deckte. Da konnte man wohl vom
Siege reden. Alle Gefangenen ließ der Pfalzgraf gen
Heidelberg führen und mit den Fahnen, die er den
Feinden abgenommen, die Heilige-Geistkirche daselbst
ausschmücken. Die gefangenen Fürsten wurden
indes standesgemäß behandelt und ehrlich gehalten,
und des Abends rüstete man ihnen eine stattliche
Mahlzeit, da gab es Wild und Fisch und Beiessen und
Wein im Überfluß, und nichts mangelte, bis auf eines.
Und der Kurfürst trat zu den Gefangenen und munterte
sie auf, doch zuzulangen und wacker zu essen, es
werde ihnen doch schmecken nach so heißem Tage.
Aber sie aßen nicht, und einer sprach: Gnädigster
Herr Kurfürst: es mangelt uns an Brot. – Ha so! gegenredete
der Kurfürst, das tut mir leid, da ergehet es
euch gerade wie meinen Untertanen, denen ihr und
euer Volk alle Brotfrucht geraubt und verbrannt habt
und nicht einmal der Früchte auf dem Felde verschont.
Wo soll dann Brot herkommen?
Mit großen Summen mußten die Gefangenen sich
lösen und dachten all ihr Lebetag an den Tag bei Siegenheim
und an das Gastmahl zu Heidelberg.
51. Jettenbühel und Königsstuhl
Nahe bei Heidelberg liegt ein Hügel, heißt der Jettenbühel,
ist ein Teil vom Geißberg, nicht weit vom Königsstuhl,
der sich hoch über Stadt und Tal erhebt.
Man soll vom Gipfel dieses Berges, des Königsstuhl,
den ganzen Rheinstrom abwärts bis nach Köln sehen
können. Auf dem Königsstuhl habe schon vor Christi
Geburt ein deutscher König regiert, und seine Burg
habe Esterburg geheißen. Auf dem Jettenbühel aber
habe das alte Heidelberger Schloß gestanden. In einer
uralten Kapelle wohnte ein altes Weib, Jetta geheißen,
und war eine Wahrsagerin, die sich vor wenig
Menschen sehen ließ. Denen, welche kamen, ihre Zukunft
von ihr zu erfahren, erteilte sie die Antwort aus
dem offenen Fenster. Sie verkündigte, ihr Hügel
werde dereinst von königlichen Männern, deren
Namen sie singend nannte, bewohnt werden, und
drunten das Tal werde von tätigem Volke wimmeln.
Eines Tages stieg Jetta zum Fuße des Geißberges
hinab, nach Schlierbach zu, wo ein Brunnen quoll,
den sie gern besuchte, da lag eine Wölfin am Brunnen,
die säugte Junge, zerriß und fraß die Jetta. Der
Brunnen heißt noch bis heute der Wolfsbrunnen. Das
Schloß auf dem Jettenbühel, die alte Pfalz, wurde am
Tage St. Marci 1536 durch einen Blitzstrahl entzün-
det, wobei ein Pulverfaß in Brand geriet und einen
Teil des Schlosses in die Luft sprengte. Kurfürst
Friedrich I. von der Pfalz erbaute, da er in des Kaisers
Acht gefallen war, einen starken und festen Turm und
nannte den Turm Trutz-Kaiser.
Gegenüber dem Kaiserstuhl liegt jenseit des Nekkar
ein Berg, der heißt Allerheiligen- oder Heiligenberg,
darinnen sind viele Höhlengänge und unterirdische
Klüfte. Schon zu Römerzeiten soll auf dem
Berge ein Tempel gestanden haben, ein Pantheon der
Heiden, und die unterirdischen Gänge sollen einem
Orakel gedient haben. Sie werden noch die Heidenlöcher
genannt und von Erdzwergen bewohnt. Von dem
Heidentempel aber hat der Heiligenberg keinesweges
seinen Namen, sondern von Kirchen und Klöstern, die
man in späterer Zeit dahinauf erbaute. Denn als die
Christenreligion in diese Gegenden drang, da schenkte
der deutsche König Ludwig III. (regierte 877-882)
dem nachbarlichen Kloster Lorsch den Berg zum Eigentum,
da wurde dem heiligen Michael zu Ehren
eine Kirche hinaufgebaut, allein sie ging wieder ein,
zwei Benediktinerklöster, eins nach dem andern, und
gingen wieder ein, eine Kirche dem heiligen Stephan,
ging ein, und noch eine Kirche dem heiligen Laurentius,
und ging wieder ein. Es war, als ob die alten Heidengötter
auf ihrem Berge unsichtbaren gewaltigen
Kampf führten gegen das Christentum und es auf
ihrem Sitz nicht duldeten, und jetzt sind die heiligen
Stätten wüst und öde, und nur die Heidenlöcher sind
noch vorhanden.
52. St. Katharinens Handschuh
Gar eine schöne Schildsage hatten die edlen Herren
von Handschuchsheim, deren letzter im Jahre 1600
des Todes verblich, indem ihn Friedrich von Hirschhorn
zu Heidelberg auf offnem Markt zur Nachtzeit
auf den Tod verwundet hatte, und mit deren erstem
sich das Folgende soll begeben haben. Er war ein
frommer junger Ritter, der ging fleißig zur Kirche,
und es geschah, daß er im Gebet vor dem Altare der
heiligen Jungfrau und Märtyrerin Katharina einstmals
entschlummerte. Da sah er drei überirdisch schöne
Jungfrauen vor sich stehen, doch die mittelste war die
schönste von den dreien, die sprach: Wir kommen,
dich anzuschauen, und deine Augen sind geschlossen;
siehe uns an, und willst du dir ein Gemahl erkiesen,
so wähle eine von uns dreien. Da sah der junge Rittersmann
an der Palme und am Zackenrad, welches
Flammen umweberten, daß St. Katharina selbst es
war, die zu ihm gesprochen, und gelobte sich ihr mit
allen Freuden. Sie aber setzte ihm einen Rosenkranz
auf das Haupt, des Rosen dufteten wie Blüten des
himmlischen Paradieses, und verschwand. Der Ritter,
als er von seinem Traumgesicht erwachte, fand wirklich
den Rosenkranz und bewahrte ihn heilig und
fand, daß dessen Rosen nicht welkten. Nun drangen
aber seine Verwandten in ihn, daß er sich vermähle,
hatten ihm auch schon eine sehr tugendsame adelige
Jungfrau auserkoren, und er konnte sich der Heirat
nicht entschlagen, fuhr aber doch fort, seiner himmlischen
Verlobten in Andacht zu dienen. Seine Hausfrau
nahm indes bald wahr, daß der junge Gemahl sie
nicht selten verließ, absonderlich des Morgens, wo er
nach der Kirche ging, und argwöhnte Schlimmes,
fragte auch ihre Kammermagd, wohin ihr Herr wohl
immer gehe. Diese nährte nur den Verdacht der Frau,
indem sie sprach, es dünke ihr, daß er zu des Pfaffen
Schwester schleiche. Da ward die Frau unsäglich betrübt
und weinte sehr, und als ihr Gemahl sie fragte,
warum sie weine, so sagte sie ihm ihren Verdacht und
ihren Kummer an. – Du bist töricht, antwortete ihr der
Ritter, die, so ich inniglich minne, ist des Pfaffen
Schwester nicht, ist eine viel Höhere und Schönere –
und wandte sich hinweg von seiner Frau. Dieser brach
solche Antwort fast das Herz, zumal sie gesegneten
Leibes sich befand, und in Unsinnigkeit der Eifersucht
ergriff sie ein Messer und stach sich's in den
Hals.
Da der Ritter nach Hause kam vom Gebet und das
Unheil sah, erschrak er, daß ihm das Herz kalt ward,
und fiel in Ohnmacht, und als er wieder zu sich kam,
raufte er sein Haar und klagte aller Schuld sich an und
rief unter tausend Tränen seine Heilige um Schutz und
Beistand. Da erschien ihm die heilige Katharine abermals
sichtbarlich mit ihren beiden Jungfrauen und
sprach: Auf dein Gebet und meine Fürbitte ist deine
Frau wieder lebendig geworden und hat ein Töchterlein
geboren! – und neigte sich über ihn und wischte
mit ihrer Hand über seine tränenquillenden Augen,
daß die Hand ganz davon überfeuchtet wurde, und
siehe, da ward aus dem Tränennaß ein Handschuh, so
weiß und zart wie das Häutchen im Ei, und St. Katharina
streifte ihn sanft ab und entschwand mit ihren
Begleiterinnen, und der Ritter fand den Handschuh in
seiner Hand liegen. Indem so kam ein Bote, der ihn
suchte, und rief: Herr! dein Gemahl lebt und hat ein
Töchterlein geboren. – Da ging der Ritter freudenvoll
heim, umarmte und küßte Weib und Kind, und beide
lobten Gott und die heilige Katharine. Die Frau ließ
ein Kloster bauen, und der Ritter tat eine Bußfahrt in
das Heilige Land, und als er zurückkam, ließ er jenen
Rosenkranz und den Handschuh, den er auf seinen
Helm gebunden mit sich geführt und der in allen Gefahren
ihn wunderbarlich geschirmt hatte, in der Kirche
zum Gedächtnis aufbewahren, nahm auch den
Handschuh auf in sein Wappenschild und nannte sein
Geschlecht und seinen Sitz Handschuchsheim.
53. Des Rodensteiners Auszug
Im Odenwalde oder nahe dabei stehen zwei Trümmerburgen,
die heißen der Rodenstein und der Schnellert,
zwei Stunden voneinander entfernt. Die Herren von
Rodenstein waren ein mächtiges Rittergeschlecht.
Einer derselben war ein gewaltiger Kriegs- und Jagdfreund,
Kampf und Jagd war sein Vergnügen, bis er
auf einem Turnier zu Heidelberg auch die Minne kennenlernte
und ein schönes Weib gewann. Doch lange
hielt er es nicht aus im friedsamen Minneleben auf
seiner Burg, eine nachbarliche Fehde lockte ihn zu
blutiger Teilnahme. Vergebens und ahnungsvoll
warnte sein Weib, bat und flehte, sie nicht zu verlassen,
da sie in Hoffnung und ihrer schweren Stunde
nahe war. Er zog von dannen, achtete ihres Flehens
nicht – sie aber war so sehr erschüttert, daß ihre
Wehen zu früh kamen – sie genas eines toten Sohnes
und – starb. Der Ritter war, dem Feinde näher zu
sein, auf seine Burg Schnellert gezogen – dort erschien
ihm im Nachtgraun der Geist seines Weibes
und sprach eine Verwünschung gegen ihn aus. Rodenstein!
sprach sie, du hast nicht meiner, nicht deiner
geschont, der Krieg ging dir über die Liebe, so sei
fortan ein Bote des Krieges fort und fort bis an den
Jünsten Tag! –
Bald darauf begann der Kampf. Der Rodensteiner
fiel und ward auf Burg Schnellert begraben. Ruhelos
muß von Zeit zu Zeit sein Geist ausziehen und dem
Lande ein Unheilsbote werden. Wenn ein Krieg auszubrechen
droht, erhebt er sich schon ein halbes Jahr
zuvor, begleitet von Troß und Hausgesinde, mit lautem
Jagdlärm und Pferdegewieher und Hörner- und
Trompetenblasen. Das haben viele Hunderte gehört,
man kennt sogar im Dorfe Oberkainsbach einen Bauernhof,
durch den er hindurchbraust mit seinem Zuge,
dann durch Brensbach und Fränkisch-Krumbach und
endlich hinauf zum Rodenstein zieht. Dort weilt das
Geisterheer bis zum nahenden Frieden, dann zieht es,
doch minder lärmend, nach dem Schnellert zurück. Im
vorigen Jahrhundert sind im Gräflich-Erbachischen
Amte zu Reichelsheim gar viele Personen, die den
Nachtspuk mit eigenen Ohren gehört hatten, amtlich
verhört worden und haben ihre Aussagen zu Protokoll
geben müssen.
Viele sagen zwar, es sei des Lindenschmieds Geist,
der so ruhelos ziehe, und von dem am Rhein alte Lieder
gehen, aber der Lindenschmied war ein Schnapphahn,
den Kaspar von Freundsberg gefangennahm,
und lange vor seinem Leben war der Rodensteiner
zum Auszug und Kriegsherold bis zum Jüngsten Tage
verwünscht worden.
54. Eginhart und Emma
Kaiser Karl der Große hatte einen jungen Kapellan,
Eginhart geheißen, der ihm auch als Geheimschreiber
treulich diente, und von welchem jenes großen und
mächtigen Kaisers Leben beschrieben worden ist.
Dieser liebte des Kaisers Tochter Imma oder Emma
und wurde von ihr heftig wiedergeliebt, doch fürchteten
sich beide, dem mächtigen Herrscher Karl ihre
Leidenschaft zu entdecken, weil Imma bereits dem
Könige von Byzanz verlobt war. Da geschah es, daß
Eginhart in einer Nacht zu Imma kam und mit ihr von
ihrer Liebe redete, bis der Morgen fast zu grauen begann.
Aber während die Liebenden heimlich beisammen
waren, fiel ein starker Schnee, und als Eginhart
von seiner Geliebten hinweggehen wollte, da er über
den Hof der Kaiserpfalz zu Ingelheim, wo sich dieses
zutrug, wandeln mußte, erschraken beide sehr, denn
sein Fußtritt von ihrem Gemach aus mußte ihn ohnfehlbar
verraten. Da ersann Imma eine List, sie gürtete
sich und trug den Geliebten auf ihrem Rücken
durch den Schnee über den Burghof bis zur Stelle, wo
er sicher war, und kehrte dann, in ihre eigenen Fußtapfen
vorsichtig tretend, wieder zurück. Alles war
still, und alles schlief, nur der große Kaiser nicht.
Dieser wachte und sah aus seinem Gemach hinab in
den Schloßhof und erkannte mit Schmerz die eigne
Tochter – doch er schwieg. Der junge Kanzler aber
gelobte sich nach der ertragenen Angst, des Kaisers
Hof zu verlassen, kniete nieder vor seinem Herrn und
bat ihn zu entlassen. Da der Kaiser nach der Ursache
solcher Bitte fragte, so wandte Eginhart Mißmut vor,
sein Dienst werde ihm nicht gehörig vergolten, und
was er sonst für Ausreden brauchte. Der Kaiser versprach
dem Jüngling baldigen Bescheid, setzte aber
ein Gericht an, zu dem er seine weisesten Räte und
Richter berief, und trug ihnen vor, was sich begeben
habe, und was er mit Augen gesehen; heischte nun, da
er in eigner Sache nicht Richter sein wollte, ihren Rat
und ihr Urteil. Da stimmten die Räte und Richter fast
allzumal für Milde und Verzeihen, und der große
König, ob er auch im Herzen zürnte, mußte ihnen zuletzt
beistimmen. Darauf ließ er seinen Schreiber vorfordern
und sprach zu ihm: Schon lange hätte ich
deine Dienste besser vergolten, hättest du mir früher
dein Mißvergnügen entdeckt, nun will ich dir meine
Tochter Imma zur ehelichen Frau geben, welche dich
hochgegürtet so williglich durch den Schnee getragen
hat. Und sandte nach der Tochter, und Imma kam mit
hohem Erröten und ward ihrem Herzgeliebten alsobald
angetraut. Der Kaiser begabte seine Kinder reich
mit Ortschaften, Waldungen und Feldern und hielt
Eginhart gar hoch in seinem Herzen. Als aber der
große Kaiser verstorben war, da sehnte Eginhart sich
vom Hofe hinweg mit seiner lieben Imma in beschauliche
Stille, und König Ludwig der Fromme, Karols
Sohn, begabte ihn mit zwei königlichen Villen im
Odinwald, die hießen Michlinstadt und Mühlenheim.
Nach einer Reihe glücklich verlebter Jahre wandte
sich das Herz der Verbundenen mehr und mehr dem
Himmel zu. Michlinstadt schenkten sie dem berühmten
Kloster Lorsch, von dem überkamen es die Schenke
von Erbach, die später Reichsgrafen wurden. Beide
lebten fortan geistlich, nur noch als Bruder und
Schwester verbunden; Eginhart ließ sich die Priesterweihen
erteilen und erbaute eine Kirche mit Klosterzellen
zu Obermühlheim, ließ dorthin heilige Leiber
aus Rom kommen, und als seine Imma verstorben
war, ließ er sie in seinem Kloster beisetzen, dessen erster
Abt er wurde. Selig sei die Statt, wo du ruhest,
sprach er an der Asche der Treugeliebten, und wo wir
in Liebe Selige gewesen – und fortan wurde der Ort
Seligenstadt genannt.
Andere sagen, Karl der Große habe die Liebenden
von seinen Augen verbannt und verstoßen, und sie
haben lange dort um Seligenstadt in einer Waldeinöde
beisammengewohnt, bis der Kaiser auf einer Jagd sie
einst unvermutet wiedergefunden und aus Freude jene
Stätte selbst Seligenstatt genannt habe. Da auch Abt
Eginhart verstorben war, wurden seine Gebeine neben
denen seiner Imma beigesetzt und ihnen dann ein
kostbarer Sarkophag, darinnen sie ruhten, errichtet,
und da nun die erlauchten Grafen von Erbach zu Erbach
ihren Stamm von diesem edlen Paare ableiten,
so ist durch Geschenk von hoher Fürstenhand ihnen
dieser alte Sarkophag verehret worden und wird als
das kostbarste Altertum zu Erbach noch bewahrt.
Nicht minder aber ward zu Seligenstadt ein herrlicher
andrer Marmorsarkophag mit den Gebeinen der Gründer
der dortigen Kirche in derselben aufgestellt, und
so ist es gekommen, daß Eginharts und Emmas Sarg
an zwei verschiedenen Orten gezeigt wird und doch
jeder von beiden der wahrhaftige ist.
55. Die Windecker
Über der Stadt Weinheim an der Bergstraße erhebt
sich die Burgtrümmer Windeck, von welcher manche
Sagen gehen. Einst jagte ein freisamer Rittersmann,
als Windeck schon verfallen war, einen flüchtigen
Hirsch, der flüchtete sich geradezu mitten in die Ruinen
der alten Burg und entschwand seinen Augen, der
Ritter aber sah sich einsam in stiller Öde. Der Tag
war heiß, und ihn dürstete sehr, er gedachte wohl der
Sage, daß in den verschütteten Kellern der Windeck
noch manch ein gutes Trünklein liege. Siehe, da stand
vor ihm ein Jungfräulein im schloßenweißen Gewande,
die hielt ein köstlich Trinkhorn, das bis zum
Rande gefüllt war, und bot es ihm zum Tranke. Der
Ritter trank und konnte kein Auge mehr von der schönen
Jungfrau wenden; sie aber nahm ihr Trinkhorn
zurück und verschwand. Seitdem blieb der Ritter fort
und fort an die Trümmer von Windeck gebannt,
immer hoffend, daß die Herrliche, die ihn bezaubert
mit ihren Augen, wie mit dem Tranke, ihm einmal
wieder erscheine; niemand aber kann sagen, ob der
Ritter sie noch einmal gesehen, denn auch als er endlich
verstorben war, wandelte sein Geist noch ruhelos
durch die Trümmer.
Auch der Geist eines der letzten Windeckers soll
zuzeiten auf dem Turme der alten Windeck erblickt
werden, die Arme sehnend hinüberstreckend in der
Richtung nach Straßburg. Eine Straßburgerin war
sein Weib, Heimatliebe zog sie aus seinen Armen, im
hohen Münster dort betete sie, im Münster starb sie,
im Münster ist ihr Grab. Sehnend nach ihr brach im
Tode des Gatten Herz.
Anders als dieses Ritters Herz beschaffen waren
die Herzen der allerletzten Sprossen des edlen Geschlechtes
derer von Windeck. Unsaglicher Geiz war
ihr alleiniges Glück. Einsam hausten und als Junggesellen
die Brüder in der verfallenen Feste; diese baulich
zu erhalten, hätte Geld gekostet, und solches hatten
die Brüder viel zu lieb, um es hinauszustoßen aus
ihrem Kasten in die feindliche böse Welt. Aller Dienerschaft
taten sie sich ab, denn Diener kosten etwas,
nämlich Kost und nebenbei doch noch Geld. Selbst
Hund und Katze fraßen den Brüdern endlich doch gar
zu viel, und sie fanden daß es ein kostspieliges Ding
sei, vierbeiniges Vieh zu halten, zumal wenn es nicht
zum wenigsten Milch oder Wolle gebe. Dennoch hielten
sie beide gemeinschaftlich noch ein Tierchen, und
das war eine Meise – die brauchte nicht viel – sie
gaben ihr täglich eine Nuß. Da hatte einstmals einer
der Brüder eine schlaflose Nacht, und in schlaflosen
Nächten pflegen die Geizigen zu rechnen. Und da
rechnete der Herr von Windeck und brachte heraus,
daß das Jahr 365 Tage, auch manchesmal 366 Tage
habe, und daß ebenso viele Nüsse sechs Schock und
einige darüber machten, und daß ein Schock Nüsse,
wenn sie billig, wie an der Bergstraße – anderwärts
kosten sie mehr – drei Kreuzer kosteten, und daß dieses
alljährlich die Summe von achtzehn Kreuzern und
mehr betrage, sechsmal so viel, als eine Meise wert
sei. – Am andern Tage teilte der Windecker seinem
Bruder die angestellte Rechnung mit, worüber dieser
erschrak und eine Zeitlang ganz tiefsinnend wurde.
Wenn wir bedenken, lieber Bruder, sprach er endlich,
daß bei sechs Schock Nüssen auch viele taube sind,
so können wir sogar sieben Schock rechnen, ohne die
Mühewaltung, welche das Füttern, Wassergeben und
Bauerreinigen eines solchen unnützen Fressers verursacht.
– Ja, lieber Bruder, sprach der erste wieder mit
einem Seufzer, wir haben uns da von unsrer Gutherzigkeit
gegen dieses unvernünftige Geschöpf, gegen
unsre Meise, zu einer unverantwortlichen Verschwendung
hinreißen lassen, denn bedenke, wie viele Jahre
wir nun schon das nutzlose Geschöpf füttern! Es ist
ganz unerhört! – Darauf wurden die Brüder alsbald
einig, dem unnützen, kostspieligen Kostgänger den
Bauer zu öffnen und ihn hinfliegen zu lassen, wohin
er wollte. Aber der Schmerz über ihre zu spät von
ihnen erkannte Verschwendung nagte den Brüdern am
Herzen, sie konnten sich jene nicht vergeben, diesen
nicht überwinden, und am folgenden Tage hatte der
Gram über ihre Verschwendung ihnen zu gleicher Zeit
das Herz gebrochen.
56. Thassilo in Lorsch
Es geschah, daß Kaiser Karl der Große zu streiten
kam mit Thassilo, dem mannlichen Bayerherzog, der
sein ganz naher Verwandter war, und da er großes
Unrecht durch Anreizung der Widersacher Karls verübt,
so übte Karl eine erschreckliche Rache und ließ
ihm eine entsetzliche Strafe zuteil werden. Karl ließ
den Agilolfinger Thassilo blenden, welches dadurch
geschah, daß jener gezwungen ward, auf einen seinen
Augen nahegebrachten, im Feuer glühend gemachten
Schild zu sehen, bis ihm das Licht der Augen dunkel
ward und gar verging. Sein langes Haar ward vor dem
Thron ihm abgeschnitten und er zum Mönch geschoren,
dann sollte er nach des Kaisers Gebot eingetan
werden als Mönch in ein Kloster, damit er büße und
bete all sein Leben lang. Darauf nach langen Jahren
begab es sich, daß einstmals Kaiser Karl gen Lauresheim,
das ist Lorsch, das Kloster, kam, und hatte den
Herzog Thassilo längst vergessen, und sich gedrungen
fühlte, zur Nachtzeit im Münster dort zu weilen und
zu beten, da nahm er mit Staunen wahr, wie ein
Mönch durch den Kreuzgang unsichern Trittes wandelte,
welcher blind war, ihm zur Seite aber ein lichtumflossener
Bote Gottes ging, der ihn leitete. Des
Greises Züge kamen dem Kaiser bekannt vor, doch
konnte er sich dessen Namens nicht entsinnen. Und
der Mönch ward von Altar zu Altar geleitet und betete
an jedem und schritt dann mit seinem überirdischen
Führer still zurück. Darauf hat der Kaiser am andern
Morgen den Abt des Klosters Lorsch zu sich entboten
und hat ihn gefragt, welchen Mönch er im Kloster
habe, dem ein Engel diene. Der Abt erstaunte und
wußte nichts zu sagen, folgte aber des Kaiser Gebot,
in nächster Nacht mit ihm des Mönchs wieder zu harren.
Da geschah es ganz so wie in der vorigen Nacht,
daß der blinde Mönch wieder kam und der Engel ihn
geleitete. Und der Kaiser, gefolgt von dem Abt, ging,
als der Mönch gebetet hatte, dem Mönch und dessen
Führer nach, und trafen den Mönch allein in seiner
Zelle. Der Abt kannte den Mönch aber nur unter seinem
Klosternamen und wußte nichts weiter von ihm.
Nun sprach der Abt ihn an, zu sagen, was er vordem
in dem weltlichen Leben gewesen, und nichts zu verhehlen
und zu verschweigen, denn sein Herr und Kaiser
sei es, der vor ihm stehe. Da sank der blinde
Mönch zu des Kaisers Füßen nieder und sprach: O
Herr! Viel habe ich gegen dich gesündigt, und meine
Buße währet für und für. Thassilo war ich vordem geheißen.
– Da hub ihn der Kaiser gnädiglich auf und
sprach: Schwer hast du gebüßt, und härter, als mir
lieb, all deine Schuld sei dir vergeben. Da küßte der
blinde Greis des Kaisers Hand und sank zur Erde und
verschied. Im Kloster Lorsch ruht sein Staub.
57. Der Heerwisch
Die Leute in der Gegend der Bergstraße und insonderheit
um die Orte Lorsch und Hähnlein nannten und
nennen die Irrwische Heerwische und haben einen
Spottreim, daß sie sie anrufen, wenn sie, wie gewöhnlich
nur geschieht, in der Adventszeit sich sehen lassen:
Heerwisch, ho ho!
Brennst wie Haberstroh!
Schlag mich blitzeblo!
Das ist aber schon mehr als einem übel bekommen.
Da war vor länger als dreißig Jahren einmal ein junges
Mädchen, das ging zur Abendzeit an einem
Sumpf bei Hähnlein vorüber, da sah sie einen Irrwisch
hüpfen und rief ihm keck und laut den Spottreim
hinüber. Sogleich kam der Irrwisch über den
Sumpf herübergeflattert, auf das Mädchen zu, dem
ward angst – es eilte, was es eilen konnte, seinem Elternhause
zu, der Heerwisch aber flugs hinterdrein,
und hatte feurige Flügel, und schlug damit wie ein
recht wilder großer Sumpfvogel auf das Mädchen los,
und als sie, zum Tod geängstigt, das Haus erreichte
und hineinschlüpfte, war der Heerwisch auch mit drin,
machte die ganze Hausflur hell, trat ihr in die Stube
nach und schlug mit seiner Flackerlohe alle Leute, die
ihm in den Weg und Wurf kamen, dann fuhr er zum
Schornstein hinauf und aus dem Schlot wie ein Feuerdrache
und walzte über alle Dächer, daß sich männiglich
entsetzte. Am andern Tage waren alle, und das
Mädchen zumeist, »blitzeblo« von des Heerwisches
Schlägen. Die Heer- und Irrwische und Feuermänner
werden für Verstorbene gehalten, welche wegen ihrer
Übeltaten im Leben die ewige Ruhe nicht finden, insonderheit
sind es falsche Feldmesser,
Grenzsteinverrücker und Bauern, die dem Nachbar
die Furchen abpflügen, die in ganz Deutschland für
solche gehalten werden, die als Feuermänner büßen
müssen. Im deutschen Norden gelten die Irrwische für
die Seelen ungetauft verstorbener Kinder. In Thüringen
haben die Leute ein Sprüchwort, wenn einer recht
hastig rennt: Du läufst ja wie ein feuriger Mann.
58. Die Wiesenjungfrau und das Niesen
Auf einer grünen Wiese bei Auerbach, eine Meile von