Kitabı oku: «Theologie des Neuen Testaments», sayfa 3

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In der Konzeption Wrights wird zwar keine Mitte des Neuen Testaments definiert, aber es werden doch alle Teile einem Ganzen zugeordnet. Diskontinuitäten in der biblischen Meistererzählung gibt es keine, allerdings dramatische Spannungen, die nach der einen Lösung in der Liebe Gottes drängen. Wright nutzt damit konsequent die Stärken einer narrativen Theologie, die es vermag, Gegensätze und Konflikte zu thematisieren und diese dann auch in einer Art dramatischer Katharsis aufzulösen. Wrights These von der einen großen Geschichte Gottes geht aber über vieles hinweg, was der näheren Erörterung bedurft hätte. Detaillierte, selbstreflexive und kritische Argumentationen sind selten. Die Überzeugungskraft wird vielmehr aus einer intensiven Rhetorik mit zahlreichen suggestiven Ausdrucksformen gewonnen. Wright scheut sich auch nicht, in seinen Publikationen den Stil der neutestamentlichen Schriften zu imitieren und die eigenen Aussagen mit diesen auf eine Weise zu verschmelzen, die zu der Suggestion führt, dass durch Wright zumindest Paulus, wenn nicht gar Gott selbst spricht.

Die gegenwärtigen Entwürfe zur Theologie des Neuen Testaments nutzen die Möglichkeiten, die Wissenserzählungen bieten. Diejenigen Sachverhalte, die Bultmann und anderen als unvereinbare sachliche Gegensätze erschienen, können als Teil eines dramatischen Geschehens (Wright, teilweise Dunn) oder aber als Teil einer komplexen identitätsbildenden Meistererzählung (Schnelle) sinnbildend integriert werden. Die Theologie des Neuen Testaments ist damit nicht mehr ein Unternehmen, das Göttliches von Menschlichem scheidet und das die eine unverrückbare ewige Wahrheit formuliert (Gabler). Vielmehr ist eine Theologie des Neuen Testaments das Ergebnis der Auseinandersetzung um die Frage, welche grundlegenden, gemeinschaftsbildenden und identitätsstiftenden Überzeugungen in den ältesten Texten des Christentums formuliert sind und wie sie in den gegenwärtigen Debatten des theologizing/Theologisierens (Dunn) wissenschaftlich reflektiert verwendet werden können.

1.7Ergebnis und Ausblick

Die Entwürfe zur neutestamentlichen Theologie in der Gegenwart lassen sich demnach in etwa nach drei Richtungen unterscheiden:

a)„Theologische“ Theologien des Neuen Testaments wählen als Deutungskonstante der exegetischen und historischen Befunde die Korrespondenz zwischen der Selbstmitteilung Gottes (Offenbarung), den biblischen Schriften und den Erwartungen der Glaubenden der Gegenwart. Sie bewegen sich in der Spannung zwischen historischer Exegese und systematischer Theologie der Gegenwart (Childs, Hahn, Stuhlmacher, Wilckens).

b)„Untheologische“ Theologien bzw. religionswissenschaftliche und religionsgeschichtliche Entwürfe folgen entweder vorrangig dem Paradigma ihrer Bezugswissenschaften oder knüpfen an unterschiedlichen sinnbildenden Konzeptionen der Kulturwissenschaften und der Philosophie an. Sie bewegen sich in der Spannung zwischen historischer Exegese und kulturwissenschaftlichen Leitdisziplinen wie der Ethnologie oder der Religionswissenschaft (Räisänen, Theißen, Zeller).

c)„Erzählende“ Theologien des Neuen Testaments führen die theologische Tradition einer dramatischen Heilsgeschichte, die von der Schöpfung über verschiedene Krisen und Rettungen zur endgültigen Erlösung führt, weiter und konstruieren eine Meistererzählung bzw. story, die von einer dramatischen Krise in Israel oder in der Heilsgeschichte und ihrer rettenden Auflösung durch Christus berichtet. Sie orientieren sich bei ihren Rekonstruktionen an den Deutungsoptionen, die die theologische Tradition anbietet, und entnehmen den neutestamentlichen Schriften eine Ereignisfolge, die sie als theologisch relevant interpretieren und zu einer sinn- und gemeinschaftsstiftenden Erzählung formen. Sie bewegen sich damit in der Spannung zwischen historischer Exegese und kulturwissenschaftlich orientierter sowie theologisch interessierter Geschichtswissenschaft (Dunn, Wright, Schnelle).

Die Zusammenstellung zeigt, dass die historische Exegese in jedem Fall als grundlegende Basis aller weiterer Überlegungen angesehen wird. Die methodisch geschulte Kenntnis und kritische Analyse der neutestamentlichen Schriften ist für eine Theologie des Neuen Testaments unverzichtbar. Sie allein kann aber nicht alle Zusammenhänge und Beziehungen wie auch Sinnpotentiale dieser Texte erfassen. Um über die Haltung des naiven Historikers oder Theologen hinauszukommen, bedarf es neben der geschulten Quellenkenntnis auch einer reflektierten Deutungskompetenz, die zum Verstehen der Anliegen der Texte und der in ihnen repräsentierten Menschen, Autoren, Gesprächspartner, Gegner, Streitenden und Widerstreitenden führt. Eine solche Deutungskompetenz setzt grundlegende Kenntnisse der antiken Religionsgeschichte und vor allem des antiken Judentums voraus. Ein großer Teil der religionsgeschichtlich relevanten Themen und Diskurse befasst sich mit dem Handeln des biblischen Gottes und der anderen Götter („Götzen“), der Beziehung zwischen Israel, den anderen Völkern („Heiden“) und dem Gott Israels und schließlich mit den Krisen, in die diese Beziehungen durch historische Ereignisse geraten. Neben der historischen und der religionsgeschichtlichen Kompetenz bedarf die komplexe Gestalt der in neutestamentlicher Zeit aufgeworfenen Fragen auch einer explizit theologischen Vertiefung, die sich mit Themen wie Sünde, Heil, Erlösung, Gericht oder Handeln Gottes in einer systematisch konstruktiven Haltung auseinanderzusetzen weiß und zwar in einer Tiefe, die über die deskriptive Aufgabe hinaus auch eine theologische Sachkritik ermöglicht.

Welches Verständnis von Theologie ist dieser vertieften theologischen Analyse als Deutungskonstante zugrunde zu legen? Zumindest eine solche, die zunächst im Sinne von Dunns theologizing oder Dalferths Interpretationspraxis als eine Praxis des Theologisierens zu bestimmen ist. Diese Praxis hat zwar die Kenntnis der theologischen Rezeptionsgeschichte des Neuen Testaments als Voraussetzung, sollte aber dennoch mit einem offenen Theologiebegriff arbeiten, der die Ergebnisse nicht im Vorhinein auf eine bestimmte Theologie festlegt. Ein solcher offener Theologiebegriff als Deutungskonstante ist demnach notwendig ein sogenannter schwacher, d. h. nur in Umrissen definierter Theologiebegriff, der die Erfassung der pluralen und divergierenden theologischen Vorstellungen in den neutestamentlichen Schriften ermöglicht.

Eine der oft nicht wahrgenommenen Stärken der Theologie Bultmanns ist es, dass er ebenfalls von einem material schwachen Theologiebegriff ausgeht. Er folgt seiner neukantianischen begrifflichen Schulung und analysiert, mit welchen Begriffen die neutestamentlichen Autoren das Verhältnis von Gott, Welt und Mensch erfassten und zu verstehen suchten. Auf dieser Basis kommt er zu dem Schluss, dass das Verhältnis von Gott, Mensch und Welt am klarsten im Kerygma zum Ausdruck komme, das den Ruf Gottes (Gott) als Botschaft von Kreuz und Auferstehung Christi in der Forderung der eschatologischen Existenz (Mensch) und der Entweltlichung (Welt) formuliere. Dieser Theologiebegriff, der nach der Explikation des Verhältnisses von Gott, Welt und Mensch in den neutestamentlichen Schriften fragt, liegt auch diesem Entwurf einer Theologie des Neuen Testaments zugrunde. Diese begriffliche Konstellation kann aber nicht mehr wie bei Bultmann als Deutungskonstante für eine erschöpfende Erfassung der Theologie des Neuen Testaments verstanden werden. In diesen Begriffen sind nicht, wie der Neukantianismus meinte, alle Anschauungen, d. h. historischen und empirischen Realisierungen, verdichtet bzw. erfasst, vielmehr sind auch die Begriffe aufzulösen und kulturwissenschaftlich zu erweitern. Meist wird man nicht eine im Begriff gefasste Sache, etwa Gerechtigkeit, selbst erschließen können – der Poststrukturalismus ist ohnehin der Ansicht, dass das gar nicht möglich sei – sondern auf Interpretationen, Praktiken des Umgangs mit dieser Sache und auf Diskurse um diese stoßen. Zudem ist die Bedeutung der Narrativität für das menschliche Wissen ernst zu nehmen. Es sind nicht nur Gedanken und Argumente, die das Verhältnis der Begriffe bestimmen, sondern eben auch dramatische Konstellationen und Erzählungen, Symbole, Metaphern und Rituale sowie amorphe Konzepte wie „Sünde“ und nur diskursiv zu beschreibende Konstellationen wie „rein und unrein“.

Das Verständnis, das Schnelle und Wright von der Bedeutung der Erzählung für eine Theologie des Neuen Testaments entwickeln, entlässt ebenfalls nicht aus der Notwendigkeit der theologischen Urteilsbildung. Ein vermeintlich einfaches Nacherzählen bringt erhebliche Defizite mit sich. Das offensichtlichste besteht darin, dass sich die angebotenen Wissensgeschichten der Theologie des Neuen Testaments signifikant unterscheiden. Theologisch bedeutsamer ist allerdings die Einsicht Lyotards, auf den die Theorie der Wissenserzählung zurückgeht, dass Erzählungen nicht nur Form, sondern auch Inhalt sind, genauer gesagt, dass sie auf eine Praxis verweisen und ein Versprechen in sich tragen. Lyotard ist der Ansicht, dass die Wissenserzählung der Moderne zwei verschiedene Versprechen gemacht, aber nicht eingelöst habe: Einerseits versprach Wissen als spekulatives Wissen um seiner selbst willen philosophische Freiheit und Wahrheit, andererseits kündigte es auch an, zu politischer Freiheit im Sinne von Gerechtigkeit zu führen. Nach Lyotard hat die moderne Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft keines dieser Versprechen, Freiheit oder Gerechtigkeit, eingelöst bzw. diese konkurrierten unversöhnlich miteinander. Welches Versprechen formuliert eine Theologie des Neuen Testaments als Wissenserzählung? Freiheit? Wahrheit? Gerechtigkeit? Sie sollte zumindestens eine signifikante Annäherung an alle drei genannten Zusagen erreichen und diese in Beziehung zu den Eigenschaften, mit denen sich der biblische Gott selbst vorstellt, interpretieren (Ex 34,6): „Der Herr ist ein barmherziger und liebevoller Gott, langsam im Zorn, voll Gnade und Treue.“

Die vorliegenden Theologien des Neuen Testaments verfolgen unterschiedliche Konzeptionen, die sich nach den gewählten interpretativen Ansätzen und Deutungskonstanten in drei Gruppen einteilen lassen: a) „theologische“ Theologien orientieren sich an einer als normativ verstandenen systematischen Theologie, b) „untheologische“ Theologien folgen Paradigmen aus der Religionsgeschichte und Religionstheorie, c) „erzählende“ Theologien bilden biblisch-theozentrische (Wright) oder neutestamentlich-christologische (Schnelle) Wissenserzählungen, die als „Meistererzählungen“ orientierende Funktionen für das Selbstverständnis von Theologie und Kirche der Gegenwart beanspruchen.

Gesamtdarstellungen einer Theologie des Neuen Testaments 6

1787:Gabler, Johann Philipp: De iusto discrimine biblicae et dogmaticae regundisque recte utriusque finibus (Von der richtigen Unterscheidung der biblischen und der dogmatischen Theologie und der rechten Bestimmung ihrer beiden Ziele), in: Otto Merk, Biblische Theologie des Neuen Testaments in ihrer Anfangszeit. Ihre methodischen Probleme bei Johann Philipp Gabler und Georg Lorenz Bauer und deren Nachwirkungen, Marburg 1972 (MThSt 9).

1864:Baur, Ferdinand Christian: Vorlesungen über neutestamentliche Theologie, hg. v. Ferdinand Friedrich Baur, Leipzig 1864.

1953:Bultmann, Rudolf: Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 1980.

1965:Cullmann, Oscar: Heil als Geschichte. Heilsgeschichtliche Existenz im Neuen Testament, Tübingen 1965.

1967:Conzelmann, Hans: Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 41987.

1969:Kümmel, Werner Georg: Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen. Jesus, Paulus, Johannes, Göttingen 51987.

1971:Jeremias, Joachim: Neutestamentliche Theologie. Erster Teil. Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 41979.

1974:Ladd, George Eldon: A Theology of the New Testament, Cambridge 1994.

1974:Lohse, Eduard: Grundriß der neutestamentlichen Theologie, Stuttgart 51998.

1976:Goppelt, Leonhard: Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 31991.

1981:Thüsing, Wilhelm: Die neutestamentlichen Theologien und Jesus Christus. Grundlegung einer Theologie des Neuen Testaments, 3 Bd., Münster 1981–1999.

1993:Childs, Brevard S.: Die Theologie der einen Bibel, 2 Bd., Freiburg 1994 u. 1996 [engl. O.: Biblical Theology of the Old and New Testaments, 1993].

1994:Berger, Klaus: Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 21995.

1994:Gnilka, Joachim: Theologie des Neuen Testaments, Freiburg i B. 1994.

1995:Hübner, Hans: Biblische Theologie des Neuen Testaments, 3 Bd., Göttingen 1990–1995.

1996:Strecker, Georg: Theologie des Neuen Testaments, Berlin/New York 1996.

1999:Stuhlmacher, Peter: Biblische Theologie des Neuen Testaments, 2 Bd., Göttingen 32005 u. 1999.

2000:Theißen, Gerd: Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 32003.

2002:Hahn, Ferdinand: Theologie des Neuen Testaments, 2 Bd., Tübingen 22005.

2002:Wilckens, Ulrich: Theologie des Neuen Testaments, 2 Bd., Neukirchen-Vluyn 2002–2009.

2002:Zeller, Dieter: Die Entstehung des Christentums, Konsolidierung in der 2./3. Generation, in: ders. (Hg.): Christentum I. Von den Anfängen bis zur konstantinischen Wende, Stuttgart 2002, 15–222.

2003:Niederwimmer, Kurt: Theologie des Neuen Testaments. Ein Grundriss, Wien 32004.

2007:Schnelle, Udo: Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 22014.

2009:Dunn, James D.G.: New Testament Theology. An Introduction, Nashville 2009.

2010:Räisänen, Heikki: The Rise of Christian Beliefs. The Thought World of Early Christians, Minneapolis 2010.

2011–2014:Wright, Nicholas Thomas: Die Ursprünge des Christentums und die Frage nach Gott, 3 Bd., Marburg 2011–2014; Bd. 4 für 2017 angekündigt [engl. O.: Christian Origins and the Question of God, 4 Bd., 1992–2013].

Literatur

Bayer, Oswald/Ringleben, Joachim/Slenzka, Notger: Die Autorität der Heiligen Schrift für Lehre und Verkündigung der Kirche, Neuendettelsau 2000.

Bormann, Lukas: Kulturwissenschaft und Exegese. Gegenwärtige Geschichtsdiskurse und die biblische Geschichtskonzeption, in: EvTh 69 (2009), 166–185.

Breytenbach, Cilliers/Frey, Jörg (Hg.): Aufgabe und Durchführung einer Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 2007 (WUNT 205).

Dalferth, Ingolf Ulrich: Evangelische Theologie als Interpretationspraxis. Eine systematische Orientierung, Leipzig 2004.

Deuser, Hermann/Korsch, Dietrich (Hg.): Systematische Theologie heute. Zur Selbstverständigung einer Disziplin, Gütersloh 2004.

Eskola, Timo: A Narrative Theology of the New Testament. Exploring the Metanarrative of Exile and Restoration, Tübingen 2015 (WUNT 350).

Evangelische Theologie, Themenheft Neutestamentliche Theologie 64 (2004).

Klumbies, Paul-Gerhard: Herkunft und Hoffnung der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 2014.

Lauster, Jörg: Schriftauslegung als Erfahrungserhellung, in: Friederike Nüssel (Hg.), Schriftauslegung, Tübingen 2014 (TdT 8), 179–206.

Merk, Otto: Biblische Theologie des Neuen Testaments in ihrer Anfangszeit. Ihre methodischen Probleme bei Johann Philipp Gabler und Georg Lorenz Bauer und deren Nachwirkungen, Marburg 1972 (MThSt 9).

Morgan, Robert: New Testament Theology and/or Theological Interpretation of Scripture, in: Jochen Flebbe/Matthias Konradt (Hg.), Ethos und Theologie im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 2016, 481–510.

Penner, Todd/Vander Stichele, Caroline (Hg.): Moving beyond New Testament Theology? Essays in Conversation with Heikki Räisänen, Göttingen 2006.

Petzoldt, Matthias (Hg.): Autorität der Schrift und Lehrvollmacht der Kirche, Leipzig, 2003.

Räisänen, Heikki: Neutestamentliche Theologie? Eine religionswissenschaftliche Alternative, Stuttgart 2000.

Scheliha, Arnulf von: Dogmatik, ‚Ihre Zeit in Gedanken gefaßt‘? Die dogmatische Aufgabe zwischen historischer Kritik und christologischer Gegenwartsdeutung, in: Hermann Deuser/Dietrich Korsch (Hg.), Systematische Theologie heute. Zur Selbstverständigung einer Disziplin, Gütersloh 2004, 60–84.

Sparn, Walter: Art. Schriftprinzip, in: LThK 9 (2000), 266–268.

Wright, Nicholas T., Rechtfertigung. Gottes Plan und die Sicht des Paulus, Münster 2015 (StOeFr 63).

____________________

1Dunn, New Testament Theology, 1; Merk, Biblische Theologie, 1.

2In Kp. 1 verweisen die einfachen Zahlen in Klammern auf die Seitenzahlen in den Gesamtdarstellungen zur Theologie des Neuen Testaments, die unten 38 f. aufgelistet sind.

3Z. B. Ian Howard Marshall, New Testament Theology. Many Witnesses, One Gospel, Downers Grove 2004; Frank J. Matera, New Testament Theology. Exploring Diversity and Unity, Louisville 2007; Thomas R. Schreiner, New Testament Theology. Magnifying God in Christ, Grand Rapids 2008.

4Klumbies, Herkunft und Hoffnung, 142–155.

5Wright, Rechtfertigung, 181.

6Die Aufstellung ist chronologisch nach dem Erscheinungsjahr der ersten Auflage geordnet. Die weiteren Angaben nennen die im vorliegenden Werk benutzte und zitierte Ausgabe.

2Antikes Judentum


Abb. 2: Die religiöse Topographie Palästinas um 66 v. Chr.

2.1Einführung

Die oben abgebildete Karte stellt für die Zeit vor dem ersten jüdischrömischen Krieg 66–70 v. Chr. den geographischen Raum dar, auf den sich die Evangelienüberlieferung und große Teile der Apostelgeschichte beziehen. Sie unterteilt nach dem Kriterium der ethnischreligiösen Zugehörigkeit der Bevölkerungsmehrheit in jüdische, pagane und samaritanische Siedlungsgebiete. Die als überwiegend jüdisches Siedlungsgebiet bezeichneten Regionen umfassen Galiläa, westlich vom See Genezareth mit der Metropole Sepphoris, und Judäa mit Teilen Transjordaniens, also den Jordangraben und das östliche und westliche Bergland mit Jerusalem als Zentrum. Die Karte macht deutlich, dass im Gebiet, das auch die jüdischen Autoren Flavius Josephus (ca. 37–100 n. Chr.) und Philo von Alexandrien (ca. 15 v. Chr.– 40 n. Chr.) Palästina (gr. Palaistine; Παλαιστίνη) nennen, neben der jüdischen Bevölkerung auch eine teilweise hellenisierte nichtjüdische Bevölkerung anzutreffen war, die insbesondere im Küstenstreifen zum Mittelmeer mit dem Sitz des römischen Präfekten in Caesarea und im Gebiet der zehn Städte (Dekapolis) mit Skythopolis und Gerasa südlich und südöstlich des Sees Genezareth lebte. Diese pagane Bevölkerung war in sich recht heterogen, teilte aber die kulturellen und religiösen Ansichten der hellenistisch-römischen Welt, d. h. stand einem religiösen und kulturellen Synkretismus weitgehend aufgeschlossen gegenüber. Zudem lag zwischen den jüdischen Siedlungsgebieten Galiläa und Judäa das Gebiet der Samaritaner. Dabei handelt es sich um eine bis in die Gegenwart existierende religiös-ethnische Gruppierung, die sich zwar auf die fünf Bücher Mose, den Pentateuch, beruft, sich aber etwa im 2. Jh. v. Chr. von dem nach Jerusalem orientierten Judentum abgespalten hat und den Berg Garizim als wichtigsten heiligen Ort betrachtet.

Das Leben in Palästina dieser Zeit eröffnete demnach zahlreiche Erfahrungen mit anderen Kulturen, Religionen und Sprachen. Der Umgang mit diesen Erfahrungen reichte von Prozessen der Integration bis zu bewusster Abgrenzung. Alle Bevölkerungsgruppen setzten sich mit den Folgen dieser religiös-ethnischen Vielfalt auseinander und entwickelten Verhaltensweisen für kulturellen Austausch, Handel, Feiertagspraxis, Nahrungstabus, Wissenstransfer, exogame Ehen und religiös-ethnische Konversionen. Die Juden, die außerhalb Palästinas lebten, das Diasporajudentum, führten diese Auseinandersetzungen mit der Vielfalt der Denk- und Lebensweisen in ihrer Umwelt besonders intensiv, da sie sich einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft gegenüber sahen und somit beständig anderen kulturellen und religiösen Prägungen begegneten.

Die Religion des Judentums fungierte als Orientierungssystem der jüdischen Bevölkerung in Judäa und Galiläa, aber auch in der Diaspora. Sie bewertete oder interpretierte historische Ereignisse als Erfüllung des Willens Gottes oder als Folge menschlicher Sünde, als toragemäß oder torawidrig und damit auch als ethisch gut oder verwerflich. Das antike Judentum war aber durch Vielfalt, Diversität und Kontroversen geprägt. Selbst in Grundfragen wie jenen nach dem Tempel, der Tora, der Ethik und der Schriftauslegung war der Konsens der Mehrheit immer auch durch abweichende Meinungen von Sondergruppen herausgefordert. Die normative Sichtweise der sprachmächtigen Eliten (z. B. Priester und Schriftgelehrte) unterschied sich nicht selten von der sozialen Praxis der Mehrheit einfacher Menschen. Für eine Theologie des Neuen Testaments ist es demnach von besonderer Bedeutung, diese Vielfalt zu berücksichtigen und ein einseitiges Bild des antiken Judentums zu vermeiden.

Dabei ist auch zu beachten, dass über Jahrhunderte christliche Theologen das Bild vom Judentum bestimmten und jüdischen Selbstdarstellungen kein Gewicht beimaßen. Gerade die Darstellungen des antiken Judentums in den Theologien des Neuen Testaments haben eine breite Wirkung auf die Wahrnehmung des Judentums entfaltet. Aus der Perspektive christlicher Theologie erschien das Judentum positiv als Vorbereitung des Evangeliums (lat. praeparatio evangelii) und negativ als eine defizitäre Entität, die in sich einen inneren Widerspruch, ein Problem, eine dramatische Spannung trug, die nach einer Lösung drängte, die dann durch Jesus gebracht worden sei. Das Judentum wurde überwiegend in dieser Ambivalenz zwischen positiver Vorbereitung oder Wurzel des Christentums einerseits und problembeladener oder defizitärer Ursache der Hervorbringung des Christentums andererseits behandelt. Dieses auf Basis der neutestamentlichen Texte konstruierte Bild des antiken Judentums bestimmt teilweise bis heute die Wahrnehmung des Judentums und ist immer wieder kritisch zu reflektieren.

Die geschilderte Ambivalenz wurde durch die neutestamentliche Wissenschaft zudem als historische Tatsache und nicht als theologisches Urteil dargestellt und bot sich dadurch geradezu für antijüdische und auch antisemitische Inanspruchnahmen außerhalb der Theologie an. Der moderne Antisemitismus zeichnet sich durch eine hohe Adaptionsfähigkeit und Flexibilität in der Konstruktion judenfeindlicher Anschauungen, Vorurteile und Stereotype aus.1 Er integrierte von Anfang an christlich geprägte antijüdische Sichtweisen in seine Polemik. Neben dieser Rezeptionsgeschichte von Judentumsbildern der christlichen Theologie ist auch zu berücksichtigen, dass historische Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums von Kontroversen um normative Sichtweisen des gegenwärtigen Judentums und des Staates Israel beeinflusst sind. Aussagen zur Bedeutung des Landes Israel oder des Tempelareals in Jerusalem sind oftmals durch heutige Konflikte zwischen der dort lebenden jüdischen, muslimischen und christlichen Bevölkerung beeinflusst.

Die in den neutestamentlichen Texten berichteten Geschehnisse, wie etwa das Wirken Jesu von Nazareth in Galiläa und Judäa oder die Missionstätigkeit des Paulus im östlichen Mittelmeerraum, ereignen sich in einem Handlungsraum, der durch die sozialen, religiösen und politischen Vorstellungen des antiken Judentums in hellenistisch-römischer Zeit bestimmt ist.

2.2Bezeichnung

Der Begriff „antikes Judentum“ bezeichnet die ethnisch-religiöse Gemeinschaft der Juden in hellenistisch-römischer Zeit, d. h. von den Eroberungen Alexanders des Großen, der im Jahr 332 v. Chr. Jerusalem erreichte, bis zur islamischen Expansion, in deren Zuge Jerusalem im Jahr 637 n. Chr. dauerhaft in sarazenisch-islamische Herrschaft gelangte. Als alternative Epochenbezeichnung wird auch vom „Judentum des Zweiten Tempels“ gesprochen. Damit wird die Zeit zwischen 539 v. Chr. und 70 n. Chr. bezeichnet. Im Jahr 539 v. Chr. übernahm der Perserkönig Kyros im Zweistromland die Macht. Er erlaubte den nach Babylonien deportierten Israeliten/Judäern die Rückkehr nach Jerusalem und ermöglichte ihnen den Bau des „zweiten“ Tempels, des Tempels von Esra und Nehemia. Die wechselvolle Geschichte des zweiten Tempels endet im Jahr 70 n. Chr. In diesem Jahr wurde dieser Tempel im Verlauf von militärischen Auseinandersetzungen zwischen den römischen Truppen unter Titus und den in sich zerstrittenen judäischen Verteidigern zerstört. An diese Epoche schließt sich dann die Zeit des rabbinischen Judentums an. Die Rabbinen repräsentieren eine Form des Judentums, die nach dem Wegfall des Tempels die Diskurse um die religiös-ethnische Verfassung, die Tora bzw. das Gesetz, in das Zentrum des jüdischen Selbstverständnisses rückte.2

Die quellensprachliche Bezeichnung gr. Ioudaios (Ἰουδαῖος) für „Jude“ hat eine starke ethnisch-geographische Komponente und bezeichnet Personen, die sich nach Herkunft, Lebensweise, Kult, Rechts- und Gemeinschaftsvorstellungen auf die Bevölkerung der Landschaft Judäa zurückführen.3 Aus diesem Grund wird für eine deutsche Übersetzung alternativ zu Jude/Jüdin, eine Bezeichnung, die die religiöse Komponente und damit die selbstgewählte Lebensweise hervorhebt, auch von Judäer/Judäerin gesprochen. Der letztgenannte Begriff will verdeutlichen, dass die Juden als Judäer unter ethnischen und politischen Gesichtspunkten ein Volk sind wie Ägypter, Griechen und Römer, während die Bezeichnung „Jude“ die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft hervorhebt und damit die Vorstellung von einer selbstgewählten Lebensweise in den Mittelpunkt stellt.

In der Forschung ist die Frage umstritten, inwiefern und ab wann mit „Jude“ eine selbstgewählte Lebensweise bezeichnet wird. Cohen sieht ein solches Auseinandertreten der ethnischen und der religiösen Komponenten in Folge der Makkabäeraufstände nach 167 v. Chr.4 Ab diesem Zeitpunkt ist man nicht mehr einfach nur Jude aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, sondern aufgrund der Wahl einer Lebensweise, die sich am religiös-ethnischen Gesetz, das auch als väterliche Überlieferungen (gr. patrioi nomoi; πατρίοι νόμοι) bezeichnet wird, orientiert. Mit diesem Zurücktreten der ethnischen Komponente setzt zudem eine Diversifizierung des Judentums ein. In dieser Zeit kommt der Begriff Ioudaismos auf (gr. Ἰουδαϊσμός). Im zweiten Makkabäerbuch wird von der Selbstbehauptung einer später dominanten Gruppe von Judäern, den Makkabäern, berichtet, die mit Ioudaismos das selbst gewählte aktive Eintreten für die Anliegen des Judentums bis hin zum Aufstand oder zum Martyrium bezeichneten:

2Makk 2,21: (Bericht über …) die Erscheinungen, die vom Himmel her zugunsten derjenigen geschahen, die tapfer und ehrbar für das Anliegen des Judentums (Ioudaismos) eintraten, damit sie, obwohl sie nur wenige waren, in die Lage versetzt würden, das ganze Land zur Beute zu machen und die Menge der Barbaren (Nichtjuden) zu verfolgen.

2Makk 8,1: Judas aber, der auch Makkabäer (hieß), und diejenigen, die mit ihm verborgen in die Dörfer eingedrungen waren, riefen ihre Verwandten und, nachdem sie diejenigen, die auf das Anliegen des Judentums (Ioudaismos) bedacht waren, hinzugenommen hatten, brachten bis zu 6000 (Männer) zusammen.

2Makk 14,37 f.: Razis aber, einer der Jerusalemer Ältesten […] auch „Vater der Juden“ genannt, wurde bei Nikanor (ein Vertrauter des seleukidischen und damit nichtjüdischen Königs Antiochos IV.) angezeigt, denn er war in den vorherigen Zeiten der Verfolgung wegen des Anliegens des Judentums (Ioudaismos) vor Gericht gezogen worden, und hatte Leib und Seele für das Anliegen des Judentums (Ioudaismos) mit voller Entschiedenheit eingesetzt.

Ioudaismos, hier mit „Anliegen des Judentums“ übersetzt, bezeichnet das bewusste und aktive Eintreten für ein bestimmtes Verständnis von Judentum, das sich von den Lebensweisen, die sich an der hellenistischen Weltkultur orientieren, abgrenzt. In Auseinandersetzung mit Kultur, Recht und Religion des Hellenismus und vor allem mit einem hellenisierenden Judentum betont der Ioudaismos die Ausdrucksformen des Judentums, die die unverwechselbaren Besonderheiten hervorheben und die als Festhalten an den väterlichen Überlieferungen, der Tora, verstanden werden.5 Das sind vornehmlich Beschneidung, Sabbatgebot, Speisegesetze, Ehegesetze und Monolatrie.

Diese bewusste Form der aktiven Lebensgestaltung des Judentums als Ioudaismos in Abgrenzung von anderen Lebensformen erwähnt auch Paulus, um seine Lebensführung vor seiner Berufung zum Apostel der (nichtjüdischen) Völker zu beschreiben:

Gal 1,13 f.: Ihr habt von meiner Lebensführung einst gemäß des Anliegens des Judentums (Ioudaismos) gehört, wie ich im Übermaß die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu vernichten suchte, (14) und (wie ich) in der Wahrnehmung dieses Anliegens des Judentums (Ioudaismos) viele Altersgenossen in meiner Generation übertraf – ich war in hervorragender Weise ein Eiferer für die väterlichen Überlieferungen.

Es bilden sich somit etwa ab dem 2. Jh. v. Chr. innerhalb des antiken Judentums verschiedene Praktiken, dem jüdischen Gesetz zu folgen, aus. Damit ist die Entstehung von Gruppierungen wie den Pharisäern, Sadduzäern oder Essenern verbunden, die sich durch je eigene Interpretationen und Handhabungen des jüdischen Gesetzes voneinander unterscheiden, sich aber zugleich als Teil des Judentums verstehen. Der Jerusalemer Tempel bleibt bis zu seiner Zerstörung ein wichtiges, vergleichsweise niederschwelliges Bindeglied für diese verschiedenen Gruppierungen. Unter diesen gibt es allerdings auch einige, die sich vom Jerusalemer Tempelkult abwenden, wie etwa die Samaritaner und die „Gemeinschaft“ (hebr. yahad; יחד), die für die Gruppe der gemeinschaftsbezogenen Qumrantexte verantwortlich ist.6

Das Wort Ioudaios wird in der Antike von Nichtjuden als Fremdbezeichnung mit Betonung der ethnischen Zugehörigkeit zum jüdischen Volk verwendet. Als Selbstbezeichnung der Juden dient es vor allem zur Unterscheidung von anderen Völkern, wobei sowohl die religiöse wie die ethnische Komponente im Blick sind. Diese Funktionen erfüllt auch der Begriff „Hebräer“ (gr. Hebraios; Ἑβραῖος). Als Selbstbezeichnung eigener Art mit einer starken religiösen Komponente wird auch der Begriff „Israel“ verwendet. Mit „Israel“ bezeichnet das antike Judentum sich selbst als die unverwechselbare besondere Gemeinschaft im Gegenüber zu dem einen Gott, der als Namen das Tetragramm, JHWH, trägt. Diese Selbstbezeichnung spiegelt eher eine Binnenperspektive wider und enthält neben der religiösen auch eine normative Komponente.

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