Kitabı oku: «Pucki», sayfa 14

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Als Frau Sandler den Primaner erblickte, beschloss sie, ihm ihre Not zu schildern. Die Oberförsterei war groß, und Oberförster Gregor und seine Frau waren gutherzige Leute.

Der große Claus lachte auf und rief die Eltern durch das Telefon an.

»Für den Augenblick wäre Abhilfe geschaffen«, sagte er. »Mutter ist bereit, ein Dutzend Kinder für einige Tage in der Oberförsterei aufzunehmen. Einige sind ja bereits untergebracht. Wir werden das schon zurecht bekommen. Wenn es Ihnen recht ist, laufe ich hinüber nach Rahnsburg, ich bin dort nicht unbekannt. Ich werde mir schon für einige Kinder eine Unterkunft erfechten. Ich komme bald wieder zurück, dann gehe ich mit dem Rest zur Oberförsterei.«

Während man dort Vorbereitungen traf, die unerwarteten kleinen Gäste unterzubringen, ging Claus Gregor zu bekannten Familien in Rahnsburg. Überall erzählte er lachend von dem Kuss, den Pucki der Großmutter hatte schicken wollen, und der an die falsche Adresse gekommen war. Überall, wo man das hörte, stimmte man in sein Lachen ein.

»Es ist eben Försters Pucki!«

»Auf dem Tun der Kleinen liegt sichtbar Gottes Segen«, sagte die Pastorin. »Durch den Kuss ist für zwanzig Großstadtkinder gesorgt worden, die sonst wahrscheinlich nicht hinaus aufs Land gekommen wären. Selbstverständlich nehme ich zwei Kinder auf.«

Claus Gregor kehrte in das Forsthaus mit dem Bescheid zurück, dass er acht weitere Kinder in Rahnsburg untergebracht hätte. Von drei Forsthäusern waren inzwischen ebenfalls Zusagen eingegangen. So konnte Claus nur noch mit fünf kleinen Mädchen abmarschieren.

»Die lass nur ruhig hier«, meinte Pucki und wies auf eines der Kinder, »die muss erst rote Backen bekommen. Die anderen kannst du mitnehmen. – Wie heißt du denn?«

»Rose«, klang es scheu zurück.

Pucki lachte. »Du bist doch keine Rose! Eine Rose ist schön rot oder weiß oder gelb. – Na warte mal, ich geh' mit dir in den Wald, du trinkst Milch, und dann wirst du dick und rund.«

Als die Leiterin des Transportes zur Bahn gehen musste, waren die zwanzig Kinder ordnungsgemäß untergebracht.

6. Kapitel: Rose sieht viel Neues

Pucki Sandler und Rose Scheele standen sich in den ersten Tagen ihres Zusammenseins vollkommen fremd gegenüber. Pucki, die stets die herrliche Natur um sich gehabt hatte, die im Walde herangewachsen war, begriff es nicht, dass ein Mädchen noch nie einen Wald durchstreift, noch nie Kühe und Schweine gesehen hatte. Hunderte von Fragen stellte sie an die anfangs recht scheue Rose, und alles das, was ihr erzählt wurde, erschien dem Stadtkind höchst sonderbar. Oft lief Pucki zur Mutter, um ihr zu erzählen:

»Mutti, denke doch, die Rose hat noch keinen Schweinestall gesehen, immer nur auf Bildern. – Mutti, die Rose hat niemals in solche Ställe geguckt!«

»Rose kommt aus einer großen Stadt, in der es keine Schweineställe gibt; Rose wird dich noch manches fragen, wird gar vieles anstaunen. Wenn du einmal in die große Stadt kommst, Pucki, wird dir auch gar vieles fremd erscheinen.«

»Sie will nicht mit mir in den Wald kommen, Mutti, sie fürchtet sich, wenn die Bäume rauschen. Sie sagt, es gibt im Walde schlimme Menschen, die einem was tun wollen. – In der Stadt gibt es viele schlimme Menschen. Mutti, ist das wahr?«

»Rose braucht sich in unserem Walde nicht zu fürchten, besonders dann nicht, wenn ihr in der Nähe des Forsthauses bleibt. Du sollst auch nicht zu tief in den Wald hineingehen.«

»Aber zur Oberförsterei und zum Schmanzbauer dürfen wir doch gehen.«

»Nur in Begleitung des Vaters, oder wenn ich mitkomme.«

»Oder mit dem großen Claus?«

»Auch dann dürft ihr gehen. – Hast du daran gedacht, Pucki, dass in zwei Tagen die alte Mutter des Schmanzbauern neunzig Jahre alt wird? Du wolltest der guten alten Frau doch etwas schenken.«

»Ach, Mutti, so 'ne alte Frau! Ja, in zwei Tagen gehe ich zu der alten Mutter. – Weißt du, ich flechte ihr aus den bunten Streifen eine kleine Decke, dann freut sie sich. Oder kann sie nicht mehr sehen, weil sie so trübe Augen hat?«

»Die kleine Decke wird sie sicherlich noch sehen können.«

»Was schenkt ihr denn Rose?«

»Rose kann nicht viel schenken, sie ist zudem fremd hier und war noch nie auf der Schmanz. Wenn Rose ein paar Blümchen pflückt und sie der Großmutter bringt, genügt das vollauf.«

»Dann werde ich ihr lieber die Blümchen pflücken, und die Rose kann die Decke flechten.«

»Du kleiner Faulpelz! Ich glaube schon, dass die alte Schmanzbäuerin sich sehr über dein Geschenk freuen würde. Geh nur hurtig an die Arbeit. Rose kann auch ein solches kleines Deckchen flechten, es wird ihr gewiss Spaß machen.«

Schon eine Stunde später saßen die beiden Kinder über die Flechtarbeit gebeugt. Rose Scheele zeigte sich viel anstelliger als Pucki; sie war daher viel eher fertig. Da schob Pucki ihr die eigene Arbeit zu und sagte:

»Du freust dich doch, wenn du flechten kannst, nun flechte mal weiter, und nachher gehen wir zur Kuh.«

»Ach nein, wir wollen nicht zur Kuh gehen.«

Pucki lachte belustigt. »Die Kuh tut uns gar nichts, die gibt uns nur gute Milch. Bekommst du zu Hause auch Milch von der Kuh?«

»Nein.«

»Bekommst du gar keine Milch?«

»Doch, vom Milchmann.«

»Aber der Milchmann holt sie doch von der Kuh! Ach, du bist zu ulkig! Nicht mal Waldi fürchtet sich vor der Kuh, und Waldi ist doch viel kleiner als du.«

Die Schwester, die im Nebenzimmer spielte, hörte ihren Namen und kam herbeigelaufen. Als sie die beiden bunten Flechtarbeiten sah, griff sie mit ungeschickten Händen danach.

»Lässt du das liegen.«

»Waldi will das haben.«

»Nein, nicht! – Hast du auch solche ungezogene Schwester zu Hause, Rose?«

»Noch viele.«

»O je, ich habe an der einen genug! – Du sollst das liegenlassen, Waldi, das ist für die ganz alte Schmanzbäuerin. – So, und nun gehen wir zur Kuh!«

»Waldi will das haben!«

»Du«, sagte Pucki und schaute die kleine Schwester böse an, »wenn du nicht artig bist, werfe ich dich auf die Wiese. Doch nun komm, Rose, jetzt gehen wir.«

Zögernd betrat Rose den Kuhstall. Als aber die Kuh ein freudiges Brüllen hören ließ, lief Rose rasch wieder aus dem Stall hinaus. Sie fürchtete sich vor dem großen Tier mit den Hörnern.

»Hahaha«, lachte Pucki. »Da musst du erst mal zu Onkel Niepel kommen, der hat einen großen Stall mit vielen Kühen und mit Pferdchen. Aber ich habe auch vor den Pferdchen keine Angst.«

Dann liefen die beiden Kinder zurück in den Garten und hinaus in den Wald.

»Sieh mal«, sagte Pucki und wies auf die vielen Blaubeersträucher, die umherstanden, »das sind Blaubeeren, die dürfen wir später pflücken und essen.«

»Blaubeeren kenne ich«, sagte Rosel mit leuchtenden Augen, »die esse ich gern. Kann ich welche haben?«

»Nein. Grünes Obst dürfen wir nicht essen, sonst werden wir krank. Wenn die Blaubeeren grün sind, müssen wir noch warten.«

»Die sind aber rot.«

»Ja«, meinte Pucki, »wenn sie rot sind, dann sind sie eben noch grün. Erst wenn sie blau sind, sind sie nicht mehr grün.«

Rosel schien diese Weisheit nicht recht zu begreifen. Sie pflückte einige der unreifen Beeren ab und erhielt dafür von Pucki einen Klaps auf die Hand.

»Das darfst du nicht, der Wald gehört dem Onkel Oberförster, na, der kann böse werden, wenn man ihm was wegnimmt. Aber wenn die Beeren reif sind, dürfen wir nehmen, so viele wir wollen, dann sagt er nichts. Du musst eben noch warten.«

Als Rose vor einem großen schwarzen Käfer laut aufschrie, begann Pucki herzlich zu lachen.

»Ach, solch niedliches Tierchen!«

Wie staunte Rose darüber, dass Pucki alle Bäume kannte, wenn sie ihr erklärte, das sei eine Eiche, das eine Fichte, eine Esche oder eine Lärche. Und zudem wusste sie alle Blumen zu benennen: Männertreu, Salomonsiegel, Waldanemone und so weiter.

»Darf man die pflücken, oder ist der Oberförster dann auch böse?«

»Man darf sie pflücken, aber nicht die Beinchen mit ausreißen. Sich mal, so macht man es.«

Sehr vorsichtig pflückte Pucki einige Blüten ab. »Daheim müssen wir sie in Wasser stellen, weil sie Durst haben. Und wenn sie jeden Tag frisches Wasser bekommen, lachen sie uns mit ihren Blumenaugen noch lange an und sagen: Dankeschön, dass ich zu dir in die Stube kommen durfte, denn hier ist es sehr hübsch.«

Alles das, was das kleine Försterkind sagte, war für Rose etwas vollkommen neues. Dass Blumen lachen und danken konnten, dass die Vögel durch ihr Gezwitscher den Menschen Botschaft zukommen ließen, hatte Rose noch niemals vernommen.

»Pass nur auf, was sie sagen. Wenn wir jetzt wieder nach Hause, kommen, werfe ich ihnen Krümchen hin, und gleich kommt ein großer Haufen an. Dann sagen die anderen: Piep, piep, gib mehr! Dann muss ich rasch gehen und noch viel mehr Krümchen holen, sonst sind sie mir böse.«

Das Füttern der Vögel bereitete Rose großes Vergnügen. Manches Tierchen hatte sie noch niemals gesehen, und aufgeregt fragte sie stets die Förstersfrau, was das für ein Vogel wäre, der einen leuchtend gelben Schnabel hätte und so komisch umherhüpfte.

»Eine Amsel, mein Kind.«

»Und der, vorne mit dem roten Latz?«

»Das ist ein Rotkehlchen. Du kannst es leicht an seinen zierlichen Bewegungen und an dem wippenden Schwanze erkennen. Wenn du abends einen gar süßen Gesang hörst, so weißt du, dass es fast immer das Rotkehlchen ist, denn es lässt seine Lieder bis zum späten Abend hören.«

So öffnete sich vor Roses Augen eine ganz neue Welt. Das Stadtkind aus dem Arbeiterviertel, das nichts vom Waldvogelgezwitscher wusste, konnte nicht genug staunen. Es war glücklich, wenn es im Garten sitzen, dem Gesang der Vögel lauschen oder ihnen Futter streuen konnte. Ach, wie herrlich alles hier war! Nur der eine Gedanke schmerzte, dass es mit allem, was sie hier sah, erlebte und genoss, bald wieder zu Ende sein würde.

»Mutti, sie ist gar zu ulkig, sie kann immerzu sitzen und gucken.«

»Lass sie ruhig sitzen, Pucki, Rose freut sich an der herrlichen Gotteswelt, die sie in ihrer ganzen Schönheit bisher nicht erblickt hat. Sei glücklich, dass du in einer so gesunden und schönen Gegend aufwachsen darfst.«

»Darum kriege ich auch kein Scharlach, wie die Freunde vom großen Claus.«

»Kleines Dummerchen! – Du wirst langsam erkennen, dass du es viel besser hast als alle die Kinder, die vor wenigen Tagen hierherkamen. Du hast immer dein gutes Essen, dein schönes Bettchen, den grünen Wald; das haben die anderen Kinder nicht. Jeden Tag siehst du, wie es Rose schmeckt, wie sie sich erfreut an den Tisch setzt.«

»Ja, Mutti, und wenn du ihr früh noch ein Butterbrot gibst, dann isst sie es nicht auf.«

»So, – was macht sie damit?«

»Das verwahrt sie.«

»Wo verwahrt sie es denn?«

»Im Schrank, Mutti. Da hat sie schon eine ganze Menge.«

Mach dieser Mitteilung hielt Frau Sandler es für angezeigt, einen Blick in den Schrank des kleinen Mädchens zu werfen. – Tatsächlich fand sie darin eine Anzahl belegter Brote, sorgsam übereinandergelegt. Um alle war ein Stück Papier geschlagen.

Die Förstersfrau ging in den Garten hinaus, wo Rose spielte.

»Sage mal, mein liebes Kind, wozu legst du die Butterbrote, die ich dir gebe, in den Schrank? Wenn du satt bist und die Brote nicht essen kannst, brauchst du es nur zu sagen.«

Rose senkte errötend den Kopf.

»Es ist doch schade, wenn das Brot dort verdirbt«, meinte die Förstersfrau, »ich habe alles herausgenommen. In Zukunft darfst du keine Brote mehr in dem Schrank verwahren.«

Die Kinderaugen füllten sich mit Tränen. »Ich habe mich so gefreut.«

»Worüber, mein Kind?«

»Ich war doch schon satt, da wollte ich die Brote mit nach Hause nehmen. So schöne Brote haben sie dort nicht.«

»Aber Rose, du kannst doch die Brote nicht wochenlang verwahren, sie werden steinhart, und niemand kann sie mehr essen.«

»Wir essen immer hartes Brot.«

»Nein, Rose, die einzelnen Brotscheiben kann man nicht so lange aufbewahren. Und im Kleiderschrank darf man Esswaren auch nicht aufheben. Ich gebe dir Wurst und Butter mit, wenn du heimfährst. Nun weine nicht, du hast es gewiss sehr gut gemeint, aber es wäre zwecklos, das Brot so lange Zeit zu verwahren.«

Wieder gab es für Pucki etwas zu staunen. Dass Rose Brot verwahrte, um es den Geschwistern mitzubringen, weil sie daheim nicht genügend zu essen hatten – das wollte nicht in ihr kleines Köpfchen hineingehen. Die Mutti hatte immer viel Brot, und auch bei Tante Niepel lagen stets große Brote in der Küche. Sie atmete schwer, als die Mutter ihr erzählte, dass es gar viele Menschen gäbe, denen das Brot fehle.

»Mutti, wollen wir dann nicht immer ein bisschen mehr kaufen und es den Leuten geben, die nichts haben?«

»Das überlasse den Erwachsenen, mein Kind. Jedenfalls wollte ich dir sagen, dass man mit dem Brot achtsam und sparsam umgehen muss, weil – –«

»Ich weiß schon, Mutti, weil es eine liebe Gottesgabe ist.« –

* * *

Der Schmanzbauer Gottlieb Teck besaß eine bescheidene Landwirtschaft, mitten im Walde. Die »Schmanz« war etwa eine halbe Stunde vom Forsthause Birkenhain entfernt. Ganz einsam lag das kleine Haus mit dem schmucken roten Ziegeldach. Schon der Großvater des Gottlieb Teck war in diesem Hause geboren, der Besitz erbte sich vom Vater auf den Sohn fort.

Der Schmanzbauer galt als ein seltsamer Mann, der keinen Umgang suchte und ganz für sich lebte. Seine beiden Söhne hatten sich ihre Berufe erwählt. Der Älteste fuhr zur See, der zweite hatte das Schlosserhandwerk erlernt. Michael, der Seefahrer, kam hin und wieder in das Elternhaus, und bei dieser Gelegenheit hatte Pucki den wettergebräunten Mann kennengelernt. Nun war Michael lange wieder fort.

Beim Schmanzbauer und dessen Frau lebte noch seine alte Mutter, die neunzigjährige Frau Teck. Bis in ihr hohes Alter war sie tätig gewesen, ein Bild unermüdlichen Fleißes und rastlosen Eifers. Nun ging es mit ihr bergab. Weder die Füße noch die Augen wollten mehr mitmachen, und Großmutter Teck war gezwungen, in der Stube zu sitzen. Nur stricken konnte sie noch, daher regten sich die alten Hände auch jetzt unermüdlich. Der Schmanzbauer und seine beiden Söhne brauchten sich über fehlendes Wollzeug nicht zu beklagen.

Die einzigen Besucher, die gelegentlich zur Schmanz kamen, waren die Försterleute Sandler. Hin und wieder statteten auch Niepels dem brummigen Alten, der ständig eine kurze Pfeife im Munde hatte, einen Besuch ab, doch der Schmanzbauer taute stets nur ein wenig auf, wenn Sandlers kamen. Sonst war er meistens stumm. Für Pucki hatte er jedoch stets ein freundliches Wort. Die Kleine mit ihrem hellen Kopf war ihm ans Herz gewachsen. Auch Pucki liebte den Schmanzbauer, der zwar recht brummig aussah, ihr jedoch noch nie ein böses Wort gesagt hatte.

Pucki freute sich daher auf den Besuch am heutigen Tage.

»Dort ist nicht nur Wald, Rose, dort wächst auch Getreide, und eine grüne Wiese ist ebenfalls da. Vielleicht sehen wir auch ein Reh, wenn wir durch den Wald gehen.«

Man machte sich auf den Weg. Sogar Förster Sandler begleitete heute die Seinen. Waltraut, die Zweijährige, blieb bei Minna daheim, während Pucki und Rose vergnügt neben den Försterleuten einherschritten.

»Wird die Schmanzgroßmutter sich über die Decke freuen!« sagte Pucki und packte die kleine Flechtarbeit immer wieder aus, um sie genügend bewundern zu können. »Die alte Frau hat ganz verschrumpelte Haut, Rose, sie sieht nicht mehr schön aus.«

»Aber sie ist eine gar fleißige Frau«, sagte Förster Sandler mahnend. »Ich wäre stolz, wenn meine Pucki in ihrem Leben halb so viel arbeiten würde wie die gute Großmutter Teck.«

»Werd' ich schon machen, Vati! Pucki hat doch so 'ne schöne Decke gearbeitet.«

Rose sah auf ihre leeren Hände. Die von ihr gefertigte Decke war das Eigentum der Frau Sandler geworden, denn Rose hatte das Bedürfnis gehabt, der guten Tante, die ihr so viel Freude bereitete, etwas zu schenken.

»Soll ich der alten Großmutter Blümchen pflücken?«

»Tu das, mein Kind«, erwiderte Frau Sandler, »sie wird sich darüber freuen.«

»Aber ich schenke ihr doch was Schöneres, Mutti? Eine Handarbeit, hast du mal gesagt, macht dir immer die meiste Freude.«

»Die alte Frau wird sich auch über die Blümchen freuen, Pucki.«

»Na, dann wollen wir mal sehen, worüber sie sich mehr freut. Ich glaube doch, sie freut sich über die Decke am meisten.«

Nach einer halbstündigen Wanderung kam das schmucke Häuschen in Sicht. Erst hatte man noch an einigen Feldern entlang zu gehen, auf denen das Korn hin und her wogte. Blaue und rote Blumen waren zwischen den Halmen sichtbar.

Mit einem Freudenruf eilte Rose darauf zu. Oh, wie leicht würde es sein, aus allem was es hier gab, einen schönen Strauß zusammenzufügen.

Eine Ähre ragte hoch über die andern hinweg. Unwillkürlich blieb Roses Blick an ihr haften. Die sollte das Allererste sein, was sie für ihren Strauß haben wollte. Schon streckte sie die Hand danach aus.

»Halt, halt! Nicht so stürmisch, Kind.« Frau Sandler hielt sie zurück, »du darfst keine von den Ähren abreißen.«

»Ach ...« Rose wurde dunkelrot, ohne eigentlich zu wissen warum.

Die Försterin strich ihr lächelnd über das Haar. »Ein Kornfeld, mein Kind, ist etwas Heiliges, an dem niemand sich vergreifen darf.«

Mit großen Augen blickte Rose auf die sich im Winde wiegenden Ähren hin.

»Dass ein Kornfeld einmal so aussehen könnte, habe ich nicht gewusst. Wir machten im Frühling einmal eine Wanderung mit unserem Lehrer, und dabei kamen wir an ein Feld, das wir für eine Wiese hielten, denn es sah aus, als wüchse Gras darauf. Er aber sagte, das sei ein Kornfeld, und nun ... und nun ...«

»Ganz recht. Wenn die Saat aufgegangen ist, sehen die Hälmchen zuerst nicht viel anders aus als Gras. Dann aber werden sie höher und immer höher, bekommen Ähren und blühen ...«

»Und dann sind sie das liebe Brot«, fiel Pucki altklug ein.

Die Mutter lächelte. »Nun, das nicht. Aber die Ähren enthalten schließlich Körner, und wenn das Getreide gereift, geerntet und ausgedroschen ist, kommen die Körner zur Mühle. Aus ihnen entsteht das Mehl, und aus diesem wird dann das Brot gemacht. Alle Halme, die du hier siehst, Rose, gehören dem Schmanzbauern. Wollte jeder Vorübergehende sich an den Ähren vergreifen, sie abpflücken oder die Halme gar niedertreten, würde er um den Lohn seiner Arbeit gebracht und müsste schließlich womöglich verhungern.«

»Darf ich auch die schönen Blumen nicht pflücken?« fragte das Kind schüchtern.

»Oh, doch, Kornblumen und den roten Mohn darfst du pflücken. Doch nur das, was du vom Wege aus erreichen kannst. Aber sehr vorsichtig musst du sein, damit du keinen Halm knickst.«

»Und wie heißen diese hohen Halme?« fragte Rose schüchtern.

»Ach, ihr armen Stadtkinder«, lachte der Förster, »wie vieles euch doch fremd bleibt von dem, was es in der schönen freien Gotteswelt gibt. Das ist Roggen, kleines Mädchen. Schau, dort drüben steht auch Getreide. Aber das ist Weizen, und von dem kommt das feine weiße Mehl für Brötchen und Kuchen, und dort hinten ...«

»Oh – oh – oh!«

»Was ist denn los!«

»Der Osterhase!« rief Rose und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen.

Nun lachte Pucki laut auf. »Hast du gehört, Vati? Das soll der Osterhase sein, jetzt, wo wir im Sommer sind. – Der Osterhase! Das ist doch bloß ein ganz gewöhnlicher Hase! Ein Meister Lampe! Hahaha!«

Pucki konnte sich kaum wieder beruhigen.

»Du brauchst gar nicht so zu lachen. Wenn du einmal in die Stadt kommst, nennst du am Ende auch einmal dies oder das mit falschem Namen. Und dann kann Rose dich auslachen. Sie hat eben noch keinen lebenden Hasen gesehen.«

Endlich war das Haus des Schmanzbauern erreicht.

Erfreut begrüßte die Bäuerin die Ankommenden.

»Wie wird sich die Mutter freuen, so lieben Besuch zu bekommen.«

»Ich bringe ihr auch was mit, Tante Teck.«

»Wer ist denn das da?«

»Ein kleines Mädchen, das wir uns aus der großen Stadt geholt haben.«

»Sie ist aber viel größer als du, Pucki. Sei uns herzlich willkommen, Kind. Nun rasch ins Haus, ich habe es mir schon gedacht, dass ihr heute kommen würdet. Großmutter hat dafür gesorgt, dass ihr einen schönen Rosinenkuchen bekommt.«

Im Zimmer am Fenster saß der Schmanzbauer.

Wortkarg, wie immer, begrüßte er die Gäste und auch Rose, die ein wenig verlegen ihren Feldblumenstrauß in den Händen hin und her drehte. Er hielt es aber nicht für nötig, während der Begrüßung die Pfeife aus dem Munde zu nehmen.

Die Mutti näherte sich indessen der Großmutter und wünschte ihr das Allerbeste zu ihrem neunzigsten Geburtstage.

Aber schon kam auch Pucki herbeigelaufen.

»Großmutter, du alte Großmutter, ich habe was Schönes für dich gemacht. Sieh mal her, eine ganz bunte Decke. Die wird dir wohl gefallen. Und ich wünsche dir, dass du immer so schön alt bleibst und recht warm hinter dem Ofen sitzt. Und wenn ich wiederkomme, dann bäckst du wieder 'nen großen Kuchen mit Rosinen. – Freut dich die Decke, alte Großmutter?«

»Freilich, freilich, du gutes Kind«, erwiderte die alte Frau mit zitternder Stimme.

»Kannst du mit deinen Augen noch ein bisschen sehen, wie sie ist?«

»O ja – was für eine schöne Decke, die du mir gestickt hast.«

»Aber Großmutter, die ist doch geflochten.«

»Richtig, richtig, sie ist geflochten. So eine schöne Decke.«

»Nun gib auch die Blümchen, Rose«, mahnte Frau Sandler, »und sage der guten Großmutter deinen Glückwunsch.«

Schüchtern reichte Rose die Blumen hin. »Ich wünsche dir alles Gute, alte Frau.«

»Alte Großmutter, was freut dich denn mehr, meine Decke oder die Blumen?«

»Beides freut mich herzlich.«

Pucki war's zufrieden. Sie empfand süße Genugtuung darüber, dass ihre Handarbeit den Beifall der alten Frau fand, und darum schmeckte ihr der Rosinenkuchen ausgezeichnet. Rose war recht schüchtern, denn der Schmanzbauer mit seinem finsteren Gesicht flößte ihr Furcht ein. Sie war daher zufrieden, dass sie, nachdem man Kaffee getrunken hatte, wieder zur alten Großmutter ans Fenster gehen konnte, um ihr die Wolle zu entwirren.

Pucki dagegen ließ sich von dem Schmanzbauern in die Ställe mitnehmen. Sie interessierte sich für die Pferde, die so hübsch gescheckt waren.

Heute war es ganz besonders schön im Pferdestall. Da stand neben dem großen Pferd ein kleines, niedliches Pferdchen. Das war für Pucki etwas ganz Neues.

»Schenkste mir das Pferdchen?«

»Ach was, Pucki, das ist erst heute nacht angekommen und kann noch nicht recht auf den Beinen stehen.«

»Fällt es um, wenn ich es antippe?«

»Ja – –«

»Na, dann ist es wie bei der Mucki, als sie noch ganz klein war. Da habe ich sie auch immer so'n bisschen angetippt, und dann lag sie auf der Nase. – Ob es dem Pferdchen weh tut, wenn ich es antippe? Ich möchte mal sehen, wenn es umfällt.«

»Du, das tut ihm sehr weh, wenn du es antippst!«

Pucki streichelte ohne jede Scheu dem großen Pferde den Kopf. »Aber wenn das kleine Pferdchen erst größer ist und auf den Beinen ganz fest steht, dann darf ich doch darauf reiten.«

»Das darfst du.«

»Und nun müssen wir die Rose holen, damit auch sie das niedliche kleine Pferdchen sieht.«

»Lass mal«, sagte der Bauer mürrisch, »es braucht nicht jeder in den Stall zu laufen, ich mag das nicht.«


»Wenigstens mal reingucken darf sie doch.« Und schon war Pucki fortgeeilt, um Rose zu holen.

Rose saß bei der Großmutter, hatte ein dickes Buch auf den Knien und las der alten Frau vor. Es ging zwar noch nicht gut, aber immerhin vermochte die Achtjährige doch schon zusammenhängend zu lesen. Hin und wieder mischte sich freilich ein Fehler ein.

Pucki blieb an der Tür stehen und schaute die Großmutter an. Der Strumpf, an dem sie gestrickt hatte, lag ihr im Schoße, die runzeligen Hände waren gefaltet. Wie das Gesicht der Großmutter glänzte, so, als habe sie eine große Freude!

Unentwegt las Rose weiter. Endlich hatte sie geendet. Die Lippen der alten Frau bewegten sich, dann sagte sie mit zitternder Stimme:

»Das war schön – ach, was habe ich für einen schönen Geburtstag gehabt, du liebes, kleines Mädchen. Dass du mir Blumen gebracht hast, war gewiss sehr lieb, aber dass du mir die frommen Sprüche vorgelesen hast, das ist ein noch viel schöneres Geschenk als alle Blumen. Eine so große Freude hat die alte Großmutter lange nicht mehr gehabt.«

»Freut es dich wirklich?« fragte Rose glücklich.

»Die Tochter hat keine Zeit, mir die liebe Heilige Schrift vorzulesen, und ich höre es doch so gern, ach, so gern. – Ja, das ist heute ein schöner Geburtstag! Der liebe Gott möge es dir lohnen, denn du hast mir das Beste geschenkt, was man überhaupt geschenkt bekommen kann.«

Noch immer stand Pucki regungslos an der Tür. Sie konnte sich nicht sattsehen an der Großmutter. Als ob ihr Gesicht voller Sonne wäre, so sah es aus. Und daneben Rose, und auch deren Augen leuchteten wundersam.

»Soll ich weiterlesen, Großmutter? Ich tu' es gern.«

»Ja, du liebes Kind, lies noch ein wenig. Dich hat der liebe Gott zu mir geschickt. Gerade heute hatte ich sehr großes Verlangen nach einem frommen Spruch. – Nun lies.«

Auf den Zehenspitzen kam Pucki näher. Dann setzte sie sich zu Füßen der alten Großmutter nieder und sah sie immerfort an.

»Ein so schönes Geburtstagsgeschenk«, murmelte die Alte von Zeit zu Zeit immer wieder. »Wie gnädig ist doch der liebe Gott.«

Pucki warf einen verstohlenen Blick auf ihre geflochtene Decke, die drüben auf dem Tischchen lag. Die Großmutter hatte sich darüber gefreut, doch ihr Gesicht hatte nicht so geleuchtet wie jetzt. Pucki erkannte daran, dass Rose der alten Frau etwas viel Schöneres geschenkt hatte als sie.

Als Rose mit dem Lesen zu Ende war, tasteten Puckis Fingerchen sich zu den verarbeiteten Händen der Alten hin.

»Großmutter – freust du dich immer so, wenn man dir was vorliest?«

»Ja, mein gutes Kind, es war gar zu schön.«

»Großmutter – –«, flüsterte Pucki ihr ins Ohr, so leise, dass es kein anderer hören konnte, »ich habe in der Schule nicht gern lesen lernen wollen, es ist so schwer, wenn's dich aber so freut, dann lerne ich es doch. Wenn die Rosel dann wieder fort ist, komme ich immer zu dir und lese dir das dicke Buch von vorne bis hinten vor, damit du dich tüchtig freuen kannst.«

»Du gutes, liebes Mädchen! Doch die Großmutter wird es wohl nicht mehr erleben, die Großmutter ist schon alt, sie wird bald sterben.«

»Nein, Großmutter, noch nicht, erst will ich dir das Buch vorlesen. Pass auf, ich lerne jetzt sehr fleißig.«

Auf dem Heimwege hing Pucki sich in der Mutter Arm. »Mutti, jetzt will ich tüchtig lesen lernen, die Großmutter sah so glücklich aus. Ich habe sie immerfort angesehen. Sie hat sich mächtig gefreut. – Denke mal, Mutti, sie hat sich sogar über das Vorlesen noch viel mehr gefreut als über meine Decke. – Wenn sie wieder Geburtstag hat, lese ich ihr das dicke Buch vor. Sie soll sich auch über mich freuen.«

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