Kitabı oku: «Deutsche Massenauswanderung in den vergangenen drei Jahrhunderten und Rückwirkungen auf die Außenbeziehungen Deutschlands», sayfa 3
4.Entwicklungsbedingungen und Determinanten der deutschen Massenmigration im 19. und 20. Jahrhundert
4.1. Politisch-wirtschaftliche Begleitumstände und Folgewirkungen
Das 19. Jahrhundert ist das eigentliche Jahrhundert der deutschen Massenauswanderung. Die einzelnen Wanderungsströme, die Deutschland im 18. Jahrhundert erlebt hatte, gingen seit den 1790er Jahren zurück. Ihren Tiefststand erreichten sie um 1800 sowie weitgehend im Zeitraum bis 1830. Bemerkenswert waren zwei Wanderungswellen in dieser Zeit, die Auswanderung der Schwaben und Pfälzer nach Südrussland 1802-04 und die württembergische, badische sowie rheinische Auswanderung nach Russland und Amerika 1816/17. Beiden Ereignissen gingen schlechte Erntejahre voraus; vor allem der äußerst harte Winter 1816/17 und die darauf folgende Hungersnot waren Auslöser dafür, dass Zehntausende ihre Heimat verließen.
Im Gegensatz zu den (einzelnen) Auswanderungswellen des 18. Jahrhunderts bildete die Auswanderung des 19. Jahrhunderts - trotz Höhen und Tiefen - einen nahezu kontinuierlichen Strom. 1832 wurde zum ersten Mal die Grenze von zehntausend Wegziehenden überschritten; von da an nahmen die Wellenbewegungen fortlaufend bis zu ihrem Scheitelpunkt in den 1850er Jahren zu. Sie waren Reaktion auf stetig wirkende Ursachen und besondere Ereignisse.
War die Auswanderung des 18. Jahrhunderts noch wesentlich veranlasst durch Schwierigkeiten im Agrarbereich, was sich an der beruflichen Zusammensetzung der Wegziehenden ablesen lässt, nämlich eine vorwiegend kleinbäuerliche Bevölkerung -Handwerker und andere Berufe waren eher in der Minderzahl -, sollte sich dies in der Folgezeit ändern. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bildete zudem der Südwesten das Hauptauswanderungsgebiet; im Zuge der Industrialisierung kamen dann zunehmend Auswanderer aus Nord- und Mitteldeutschland, wobei auch der bäuerliche Anteil gegenüber (Industrie-) Arbeitern und Gewerbebeschäftigten zurückging.1
Einfluss auf die Auswanderungsbereitschaft und -ziele von Personen dürfte auch ihre geografische Wohn- oder Siedlungslage gehabt haben. So scheinen die Nähe zu verkehrsgünstigen Straßen und eine nicht zu große Distanz zu Abfahrtshäfen die Auswanderung gefördert zu haben (Schwaben, Pfälzer, Moselfranken, Niedersachsen). Die Rheinschifffahrt bot z. B. den Badenern eine günstige Verbindung zu den Seehäfen im Norden, während die Württemberger noch stärker die Donauschifffahrt zur kontinentalen West-Ost-Wanderung nutzten. Die Verkehrsgeografie war insoweit wohl relevanter als die Konfessionszugehörigkeit, die die Auswanderer eher in die Gegenrichtung hätte führen müssen – die protestantischen Württemberger nach Nordamerika, die katholischen Badener nach Ost- und Südosteuropa. Überdies gehörten Besitzverteilung und Erbrecht zu den Hauptmotiven der Auswanderung jener Epoche. Im Südwesten war es vornehmlich die Anerbenregelung, die abgefundene Familienmitglieder, die nicht als Heuerlinge (eine Art Tagelöhner) auf dem Hof blieben oder sich eine Beschäftigung in Industrie und Gewerbe suchen wollten, dazu veranlassten, auszuwandern. In Übersee hatten sie bessere Chancen zu selbständigen Bauern zu werden.2
Für die deutsche Massenauswanderung des 19. Jahrhundert werden z. T. permanent wirkende Ursachen als Hauptgrund erachtet. Frühere Auswanderungswellen wurden hingegen eher mit einmaligen und vorübergehend auftretenden oder andersartigen Ursachen in Zusammenhang gebracht. Gerade die Wirtschaftsentwicklung, deutlich erkennbar bei Wirtschaftsaufschwüngen und -krisen, hatte nahezu direkte Folgen für die Auswanderung. Hinzu kamen strukturelle Verschiebungen im Agrarbereich; war dieses Gefüge von Mitte des 17. Jahrhunderts noch vorwiegend kleinbürgerlichen Charakters, veränderte es sich hin zu wachsendem Großgrundbesitz sowie stärkerer Mechanisierung und Industrialisierung. Verbunden damit waren die Folgen der Bauernbefreiung, also die Ablösung der bäuerlichen Lasten durch entsprechende Zahlung an die Grundherren. Durch diese Zahlungsverpflichtung erwies sich die „Bauernbefreiung“ jedoch quasi als „Befreiung“ der Bauern von ihrem Land und ließ sie oft verschuldet zurück. So ist es nachvollziehbar, dass die Auswanderungsbewegung in diesem Zeitraum auf diese betroffenen Räume bezogen war (u. a. Ostelbien, Hessen, Norddeutschland, Südwestdeutschland).
Hohe Preissteigerungen im Lebensmittel- und Futtermittelbereich, schlechte Erntejahre, die Verdrängung der kleingewerblichen Hausindustrie durch die industrielle Konkurrenz sowie ein rascheres Bevölkerungswachstum und steigende Gemeinde- und Staatslasten waren Faktoren, die in ihrem Zusammenwirken zur weiteren Verarmung der bäuerlichen Gesellschaft beitrugen.3
Virulent war die Auswanderung aus Südwestdeutschland. Die wachsende Bevölkerung und die zunehmenden Schwierigkeiten ihrer Versorgung führten dort teilweise dazu, dass die Auswanderung als „soziales Ventil“ für die prekäre Lage erachtet wurde. Vielerorts bildeten sich Vereine zur Förderung der Auswanderung, wobei in einzelnen Kommunen die Kosten des Transports für die bedürftigen Bevölkerungsteile aufgebracht und diesen zur Verfügung gestellt wurden. Gleiches galt für staatliche Stellen, die ebenfalls die Auswanderung als „Notbehelf“ finanziell förderten. Der „Pauperismus“, eine Bezeichnung, die bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als begriffliche Umschreibung für die Massenarmut geläufig war, entstand im Wesentlichen aus einem langanhaltenden, strukturellen Mangel an ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten für die seit dem 18. Jahrhundert stetig wachsende Bevölkerung in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung bzw. eine sehr unregelmäßige Beschäftigung bildeten die Kernprobleme der sozialen Frage in der Periode des Vormärz (Zeitraum vor der deutschen Märzrevolution 1848).
Massenarmut und Verelendung bezogen sich hierbei vor allem auf die ländliche Bevölkerung. Im Zuge der industriellen Entwicklung wurden in steigendem Maße jedoch auch die städtischen Unterschichten davon betroffen. Zurückgeführt werden konnte dies u. a. auf das Überangebot an Arbeitskräften sowie eine besonders niedrige Lohnstruktur und die in den 1830er und 1840er Jahren steigenden Preise für die Grundnahrungsmittel. Der Pauperismus war somit nicht eine Folge der beginnenden Industrialisierung, sondern hatte bereits frühere und andersgeartete Ursachen. Er war insbesondere die Begleiterscheinung des Auflösungsprozesses der feudalen Ständeordnung und des tiefgreifenden Übergangs zu einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Entscheidend für die Entstehung der vormärzlichen (also vor 1848) Massenarmut waren die allmähliche Durchsetzung marktwirtschaftlicher Strukturen, die Kommerzialisierung und Kapitalisierung der großbetrieblich organisierten Landwirtschaft, sowie die Aufhebung der traditionellen Privilegien von Handwerkerzünften, Kaufmannsgilden und Bürgergemeinden. Es zeichnete sich somit eine Gesellschaftsordnung im Umbruch ab.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Bevölkerung fast überall schneller als die vorhandenen Erwerbsmöglichkeiten wuchs, während gleichzeitig die bisherigen Möglichkeiten landwirtschaftlicher Selbstversorgung und der landläufigen Existenzsicherung durch die Nutzung der Gemeindeweiden und -wälder oder durch die Lese- und Sammelrechte in den herrschaftlichen Forsten zunehmend stärker beschnitten wurden. Die Diskrepanz zwischen Wachstum der Bevölkerung und Erwerbsmöglichkeiten als charakteristisches Hauptproblem jener Epoche erzeugte ein Umdenken auch im gesellschaftlichen Selbstverständnis hierdurch betroffener Personenkreise. Daher erschien die Notwendigkeit der Auswanderung als zunächst einzige, schnell wirksame Maßnahme, um der wachsenden Verarmung der Bevölkerung entgegenzuwirken.
Hinsichtlich einer planmäßigen Auswanderung bestand allerdings keine einheitliche Position unter den deutschen Staaten. Während z. B. Baden die Auswanderung bis 1855 durch staatliche finanzielle Mittel unterstützte und geschlossene Ortschaften zur Ausreise ermutigte, nahmen Hessen und Württemberg einem solchem Vorgehen gegenüber eine eher ablehnende Position ein. In diesen beiden Staaten befürchtete man nicht nur einen großen Bevölkerungsverlust, sondern auch die fehlende Kapazität, die erheblichen Kosten der organisierten Auswanderung aus dem Staatshaushalt bestreiten zu können. Hinzuweisen ist hierbei allerdings darauf, dass im 19. Jahrhundert in der Regel nicht die ganz armen Bevölkerungsteile nach Nordamerika auswanderten, sondern vielmehr diejenigen, die noch über ausreichend Geld verfügten (oder durch Verkauf ihres Eigentums erlösen konnten), um die Reise über den Atlantik und eine neue Existenzgründung finanzieren zu können. Vermehrt zogen also jene fort, die noch über finanzielle Mittel verfügten, aber befürchteten, auf Dauer zu verarmen.4
Die Entwertung oder der Verlust des heimatlichen Bodens schwächte bei vielen Deutschen daher die traditionelle Verbundenheit zur Heimat. Der Bruch mit der Heimatregion war umso leichter zu ertragen, als die sich stark durchsetzende gesellschaftspolitische Idee des Liberalismus sich mehr auf den Einzelnen und weniger auf die Gemeinschaft konzentrierte. Den sozial Schwächeren wurden Staat und Gesellschaft zunehmend verhasst oder machten sie diesen gegenüber zumindest indifferent. Einige veranlasste es auch dazu, radikale Ideen zu übernehmen bzw. zu vertreten oder sich radikalen Parteien anzuschließen. Vor allem die radikalen Parteien propagierten die zu nutzende Auswanderung als soziale Lösung.5
4.2. 1830er und 1848er Auswanderer als Wirtschaftsfaktoren und politische Kulturträger im Zielland USA
Unzufriedenheit mit den sozialen und politischen Umständen des Heimatlandes, vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung der Freiheitsideen der US-amerikanischen und französischen Revolution, ein repressives und kontrollierendes Verhalten der Behörden in den deutschen Staaten, veranlassten und motivierten viele, in Verbindung mit dem Drang nach stärkerer politischer Mitbestimmung, auszuwandern. Gerade auch die reaktionäre Politik nach den Karlsbader Beschlüssen vom September 1819, die den Beginn der sogenannten „Demagogenverfolgungen“ darstellten, mit der Folge strikter Kontrolle der Universitäten, dem Verbot von Burschenschaften, der Freiheitsbeschränkung der Presse, der Entlassungen von Universitätsprofessoren und dem Ergreifen repressiver Maßnahmen gegen studentische Anführer etc. hatten viele freiheitsliebende Bürger in Widerstand zu diesen antiliberalen Tendenzen gebracht. Besonders deutlich war ihr Anteil an der Auswanderung. Die nationale und liberale Bewegung, vornehmlich nach den Frankfurter Unruhen 1833 und dem Zusammenbruch der Revolution von 1848, hatte bei breiten bürgerlichen Bevölkerungsschichten einen tiefen Eindruck hinterlassen und sie oftmals für deren politische Ziele gewinnen können. Tausende von politisch Engagierten, Teilnehmern der Aufstände und enttäuschten Sympathisanten, so u. a. auch die bedeutenden „1848er“ (Carl Schurz, Friedrich Kapp etc.) wurden verfolgt oder sahen für sich in Deutschland keine Zukunft mehr und emigrierten in die Vereinigten Staaten von Amerika. Gerade die politischen Umstände in den einzelnen deutschen Staaten sowie das Scheitern der Revolutionen von 1830 und 1848 und der Aufstände in Baden und in der Pfalz 1849, hatten eine Atmosphäre der Einschüchterung liberaler Kräfte geschaffen und waren die äußeren Triebkräfte, die den sprunghaften Anstieg der Auswanderungszahlen nach 1830 („1830er“), aber vor allem nach 1848 verständlich machen. Diese Gruppen sollten in den USA auf ein stimmungsmässig positives Umfeld stoßen.
Schon seit den 1820er Jahren hatten die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihren Freiheitsidealen Revolutionäre jeglicher Richtung angezogen. Die unabhängigen USA galten den fortschrittlichen politischen Kräften in Deutschland und in vielen anderen Ländern vornehmlich als Modell für die Ablösung feudaler Macht und absolutistischer Monarchie. Sie waren das herausragende und nahezu leuchtende Symbol für politische Freiheit und Gleichheit sowie Gradmesser für die liberalen Entwicklungen jener Epoche. Auch umgekehrt, als in Deutschland 1848 die Märzrevolution ausbrach, gab es auf Seiten der Deutsch-Amerikaner viel Sympathie für diese Revolutionsbewegung. Obwohl die Zahl der „Achtundvierziger“, die Deutschland verließen, in Relation zu den weiteren Auswanderergruppen relativ klein war -die Schätzung beläuft sich auf insgesamt etwa 6.000 Personen -spielten verhältnismäßig viele von ihnen später wichtige Rollen im öffentlichen Leben und in der Gewerkschaftsbewegung Nordamerikas. Sie prägten dort das Bild des liberalen bis radikaldemokratischen Deutsch-Amerikaners. Überwiegend gehörten sie akademischen Berufen an und erhofften sich dort Chancen auf einen wirtschaftlichen Aufstieg, die für sie in Deutschland weitgehend unrealisierbar waren oder so erschienen. Zu den wichtigsten politischen Repräsentanten der deutsch-US-amerikanischen „Bindestrich-Kultur“ des 19. Jahrhunderts gehörten Carl Schurz und Friedrich Kapp.
Carl Schurz war als gefangener revolutionärer Kämpfer der demokratischen Bewegung 1849 aus der Festung Rastatt ausgebrochen und hatte anschließend in Frankreich und Großbritannien gelebt. 1852 war er in die USA ausgewandert, wo er 1869-75 Senator von Missouri und schließlich 1877-81 Innenminister der Vereinigten Staaten von Amerika wurde. Zu den wenigen Revolutionären, die später nach Europa zurückkehrten, um dort – wenn auch inzwischen mit gemäßigter Haltung – wieder politisch aktiv zu werden, gehörte der anfänglich radikale Sozialist Friedrich Kapp. 1848/49 hatte er vorwiegend im Exil in Brüssel, Paris und Genf verbracht und war 1850 in die USA ausgewandert. In New York wurde er zum wohlhabenden Anwalt und wirkte zugleich als Journalist und Historiker für die dort lebenden Deutsch-US-Amerikaner, die er zusammen mit Carl Schurz nahezu geschlossen in die neue Republikanische Partei führte. Von 1866-70 war er Commissioner of Immigration (Beauftragter für Einwanderung) in New York, kehrte 1870 nach Deutschland zurück und gehörte von 1872-77 und 1881-84 als nationalliberaler und schließlich linksliberaler Abgeordneter dem Deutschen Reichstag an.
Die sogenannten deutschen 1848er zählten zu den bekanntesten politischen Aktivisten in den USA. Dort nahmen sie insbesondere an der öffentlichen Diskussion zu Arbeiterforderungen, Sklavenhaltung und Trennung der Südstaaten von der Union engagiert teil und bezogen dezidiert Positionen. Auch die von Deutschen in den USA gegründeten und organisierten Vereine, z. B. (freiheitlich gesinnte) Turnvereine (diese gehörten in der Revolution von 1848 bereits zu den einflussreichsten politischen Gruppierungen), Leseclubs, vertraten politische Anliegen, u. a. zu humanitären Themen, Forderungen zur Durchsetzung von Menschenrechten sowie zur - heftig geführten - Kontroverse um die Sklavereifrage etc. Auch ihr kulturelles Engagement, z. B. die Gründung von Gesangsvereinen und Schulen, fand weithin Beachtung.
Weniger Gewicht für die deutsche Auswanderung im 19. Jahrhundert hatten religiöse Motive, obwohl es diese bei einzelnen Gruppen durchaus gab (z. B. bei den Altlutheranern, schwäbischen Pietisten und Mennoniten).1
III. Sozial-ökonomische Aspekte im Verhältnis zwischen Herkunfts- und Zielstaat mit Einfluss auf die Massenauswanderung
1.Wegzug als Verlust für das Kapazitäts- und Entwicklungspotenzial Deutschlands und Gewinn für die Aufnahmeländer
Die große Ausstrahlung der damals positiven wirtschaftlichen Lage in den Vereinigten Staaten von Amerika, noch verstärkt durch die Berichte über Goldfunde in Kalifornien, hatte einen enormen Sogeffekt. Allein in den Jahren 1852-1854 wanderten weit über eine halbe Mio. Menschen, 1854 nahezu 240.000 Personen, aus. Nachdem im Zeitraum bis 1866 ein wirtschaftlicher Aufschwung in den deutschen Ländern erfolgt war, verbunden mit einem Anstieg der Löhne, zurückgehenden Lebensmittelpreisen sowie der unsicher werdenden politischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten von Amerika, spiegelte sich dies auch alsbald im Rückgang der Auswanderung wider.
Überdies wurde die Auswanderung nach Brasilien durch das preußische Reskript von 1859 nahezu unterbunden. Dieser Erlass hatte seine Ursache u. a. in den Berichten über die Notlage der dorthin ausgewanderten Deutschen, ihre Ausbeutung durch die brasilianischen Plantagenbesitzer und ihre weitgehende Rechtlosigkeit.1
Nach 1866 gingen die Auswandererzahlen wieder nach oben. Ursache hierfür war das Ende des Sezessionskrieges in den USA sowie des Krieges deutscher Staaten mit Österreich 1866 und des anschließenden Krieges Deutschlands mit Frankreich 1870/71. Im Zeitraum 1866 bis 1870 wanderten ca. 576.000 Menschen aus, auch 1872/73 waren die Auswandererzahlen noch relativ hoch, was wohl im Zusammenhang mit den Kriegsfolgen stand. Umgekehrt kam es mit der Deutschen Reichsgründung 1871 zum ersten Mal zu einer stärkeren Rückwanderung, die wohl auf die neue Anziehungskraft des machtpolitischen Prestiges und den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands zurückzuführen war.2
Diese Rückwanderungstendenz verstärkte sich noch, als seit 1874 in den USA eine schwere Wirtschaftskrise ihren Ausgang nahm sowie schlechte Nachrichten über die Lage der deutschen Auswanderer in Brasilien bekannt wurden. Das führte ebenfalls zu einer Verminderung der Auswandererzahlen. Erkennbar wird hierdurch eine enge Korrelation zwischen den jeweiligen sozial-ökonomischen Verhältnissen in Herkunfts- und Zielländern.
Nach 1879 stieg die Auswanderung wieder an, 1880 allein mit ca. 100.000 Personen. Insgesamt stellte der Zeitraum 1881 bis 1890 mit mehr als 1 ¼ Mio. Auswanderern den Höhepunkt der deutschen Auswanderung dar. Dies spiegelte die tiefgreifenden wirtschaftlichen Veränderungen in jenen Jahren wider, in denen sich die Transformation Deutschlands vom überwiegend agrarischen zum überwiegenden Industriestaat vollzog. Absatzprobleme in der Industrie hatten neben Massenentlassungen von Arbeitern auch ein starkes Absinken der Löhne zur Folge. Die Landwirtschaft geriet zudem in eine neue, noch schwerere und nachhaltigere Krise. Infolge der Einbeziehung Deutschlands in den Weltmarkt kam es zu einem Fall der Agrarpreise, was wiederum eine erhebliche Verschuldung der Bauern zur Konsequenz hatte. Bei der besitzlosen Landbevölkerung verstärkte sich in dieser Krise wiederum der Wunsch nach Freiheit und Selbständigkeit.3
In den 1880er Jahren führte die Erschließung des Westens der USA durch weite Bahnstrecken zu einer starken Expansion der Industrie und einem erheblichen Mangel an Arbeitskräften. Die Folge war eine Steigerung der Löhne; durch die neuen Eisenbahnverbindungen wurden gleichzeitig auch riesige neue Landflächen im Westen für die Besiedlung erschlossen. Die Vereinigten Staaten von Amerika entwickelten sich so zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die durch die Verbilligung der Schiffspassagen des Atlantikverkehrs zudem noch leichter zugänglich geworden waren.4
Der deutsche Osten stellte im Weiteren das Hauptkontingent der Auswanderer. Allein in den Jahren 1881 bis 1883 umfasste die Auswanderung aus Preußen etwa 100.000 Menschen jährlich. Im agrarischen Ostelbien hatte ebenfalls die Grundbesitzverteilung die Hauptantriebskraft der Auswanderung von Kleinbauern und Landarbeitern gebildet. Die Abwanderung des deutschen Bevölkerungsteils wurde dort z. T. kompensiert durch polnische Saisonarbeiter. Als migrationsbegrenzender Faktor zeigte sich jedoch seit 1850 deutlich, dass die sächsischen, mitteldeutschen und rheinisch-westfälischen Industriezentren weit über ihren engeren Einzugsbereich hinaus die vom Lande abwandernde Bevölkerung anzogen.
Mit der besseren Organisation bzw. moderneren Schiffen für die Auswanderertransporte ergab sich auch eine regionale Ausweitung der deutschen Wegzugsgebiete und der Zielländer. Während im 18. Jahrhundert das Hauptherkunftsgebiet der Amerikaauswanderer der südwestdeutsche Raum war, breiteten sich im 19.Jahrhundert die Wegzugsgebiete auf Nordwestdeutschland und in der Folgezeit auf Mittel-, Süd- und Ostdeutschland aus. Die strukturellen Veränderungen im wirtschaftlich-sozialen Gefüge Deutschlands hatten zu einem gravierenden „Aderlass“ durch den auswandernden Bevölkerungsteil geführt und hierdurch die Entwicklungschancen in den betroffenen Regionen geschmälert.
Die Industrialisierung Deutschlands erbrachte jedoch einen neuen Trend und sollte im Weiteren nahezu alle verfügbaren Arbeitskräfte absorbieren, bis auf die Jahre 1891/92, in denen die Auswanderung über 100.000 Menschen betrug, um dann bis 1900 auf jährlich ca. 20.000 Personen zurückzugehen. Das Hauptauswanderungsland USA verlor seine hohe Anziehungskraft, nachdem die Siedlungsgrenze den äußersten Westen Nordamerikas erreicht hatte. Das begehrte Neuland war damit in unbeschränktem Umfang nicht mehr vorhanden und der beste Teil des Gebiets bereits vergeben. Die (überseeische) Auswanderung zum Zweck der Agrarbewirtschaftung kam nahezu völlig zum Stillstand, als in Gebieten des deutschen Ostens günstige Siedlungsmöglichkeiten eröffnet und so die Binnenkolonisation gefördert wurden. In der Neuen Welt waren zwar die Erwerbsmöglichkeiten sowie die Nachfrage nach Arbeitskräften größer und die Löhne höher, dafür allerdings lagen die dortigen Lebenshaltungskosten über denen in Deutschland. Hinzu kam, dass die industrielle Entwicklung Deutschlands den Lebensstandard der Gesamtbevölkerung zwischenzeitlich derart angehoben hatte, dass die überseeischen Auswanderungsregionen zunehmend an Attraktivität verloren. Seit 1895 wurde Deutschland vielmehr selbst ein Einwanderungsland von Personen aus dem Osten, die jedoch meist weniger qualifiziert waren als die deutschen Auswanderer.5
Aufgrund der inzwischen auch verbesserten Ernährungslage in Deutschland hatte die Massenauswanderung in dieser Periode nahezu ihr Ende erreicht; damit sollte auch der Kapazitätsgewinn der Aufnahmeländer durch die Auswanderer langsam seine Grenzen finden. Im 19. Jahrhundert verschob sich der Schwerpunkt der deutschen Hauptauswanderungsgebiete vom Südwesten nach Nordosten. Nicht zuletzt hing dies mit der Veränderung der zugrundeliegenden sozial-ökonomischen Bedingungen in den deutschen Regionen zusammen.
In bestimmten Gebieten, z. B. in Südwestdeutschland, hatte sich neben der fortgesetzten Aufteilung von Besitz durch die seit Generationen „üblich“ gewordene Auswanderung eine Migrationstradition herausgebildet; in fast jeder Familie gab es Angehörige oder Freunde im Ausland, so dass die Auswanderung zu einem gewissen Gewöhnungseffekt geführt hatte und keineswegs mehr als außergewöhnlicher Schritt erschien. Im Gegensatz zu früheren Epochen stieß die Wegzugsentscheidung inzwischen auf hohe gesellschaftliche Akzeptanz.6
Die deutsche Auswanderungsbewegung war lange Zeit nur durch die britische übertroffen worden. Seit ihrem ersten stärkeren Auftreten zu Beginn der 1840er Jahre hatte sie ununterbrochen nicht nur einen festen, sondern auch den relativ stärksten Anteil an der Einwanderung in die Vereinigten Staaten von Amerika. Von der Gesamteinwanderung in dieses Land im Zeitraum 1820-1890 (ca. 15.5 Mio. Personen) entfielen 29,2 Prozent auf die Deutschen. Danach wurde sie durch die italienische Auswanderung übertroffen, aber ihre absolute Größe ging nicht zurück. Im Jahrzehnt 1861-1870 umfasste sie 820.000, von 1871-1880 etwa 626.000 und im Zeitraum 1881-1890 ca. 1.34 Mio. Personen. Mit seinen ca. 330.000 USA-Auswanderern im Zeitraum 1900-1909 hatte Deutschland in etwa den Anteil -ca. 4 Prozent -an der europäischen Gesamtauswanderung erreicht, wie er zu Beginn im Jahr 1820 verzeichnet wurde. In den 100 Jahren von 1820 bis 1920 bildeten die Deutschen mit 5,5 Mio. Menschen die zahlenmäßig stärkste Einwanderergruppe in den USA, bis 1983 waren es über 7 Mio. deutsche Auswanderer. Unter den Zielländern der deutschen Überseeauswanderung nahmen die Vereinigten Staaten von Amerika die mit großem Abstand führende Stellung ein; etwa 90 Prozent der deutschen Auswanderer strebten nach diesem mit ideellen Freiheitsvorstellungen verbundenen Land. Die übrigen zehn Prozent verteilten sich vor allem auf Kanada, Argentinien, Brasilien sowie Australien und in weitem Abstand auf Südafrika. Die Mehrzahl der deutschen Auswanderer gehörte der Unter- und unteren Mittelschicht an.7
Die deutsche Massenauswanderung stellte einen der massivsten wirtschaftlich-sozialen Einflussfaktoren der Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert dar, denn sie bedeutete einerseits einen enormen Abfluss an Arbeitskraft und geistig-technischem Potenzial und förderte andererseits auch die demografische und wirtschaftlich-soziale Entwicklung in den Aufnahmeländern. Unter militärischen Gesichtspunkten waren zudem der Verlust von ausgebildeten Soldaten oder solchen, die der Militärpflicht im Herkunftsland unterlagen und der Gewinn von militärischer Erfahrung sowie Kapazität durch diese Gruppe in den Aufnahmeländern oft unübersehbar.8
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