Kitabı oku: «Wider den kirchlichen Narzissmus», sayfa 2

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INTEGRATION

Dem Umstand, dass Migration weiterhin stark zunehmen wird, ist Rechnung zu tragen. Diese Zeichen der Zeit nicht wahr- bzw. ernst zu nehmen oder gar zu verdrängen könnte katastrophale Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen in unserem Lande haben. Integration ist der Versuch eines gelingenden Zusammenlebens unter Beibehaltung von Identität, wobei sowohl Migrantinnen und Migranten als auch die aufnehmende Gesellschaft ihre Identität beibehalten und entwickeln dürfen und sollen. Sie bedeutet die Herstellung von Chancengleichheit im sozialen, politischen und gesellschaftlichen Leben.

Das Aufnehmen von Fremden und Obdachlosen im Sinne der Worte Jesu „Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen“ muss auch mit dem „Annehmen“ ergänzt werden. Das bedeutet die Zuwendung in Freundschaft und gegenseitiger Achtung. Der tiefste Grund dafür ist, dass Gott auch uns angenommen, dass er sich uns in Liebe zugewandt hat. Das bedeutet keine Gleichmacherei. Wir sollen unsere Geschichte, unsere Kulturen, unsere Eigenarten und Werte pflegen. Einheimische und Fremde verbindet auch die Spannung zwischen Heimat und Fremde, zwischen Ziel und Unterwegssein.

Integration bestimmt das Leben konkreter Menschen. Integration ist ein Prozess des wechselseitigen Sich-Einlassens und der Veränderung zwischen einer aufnehmenden und einer aufzunehmenden Gruppe. Während Migrantinnen und Migranten vor allem auf individueller Ebene große Anpassungsleistungen erbringen müssen, fällt der Aufnahmegesellschaft die Aufgabe zu, die politischen, rechtlichen und kulturellen Institutionen so zu gestalten, dass aus Fremden gleichberechtigte Bürger werden.

Dazu braucht es faire, gerechte Chancen – für In- und Ausländer. Die Aufnahmegesellschaft hat für Strukturen zu sorgen, die von Anfang an Aufnahme und Beteiligung ermöglichen. Ebenso wird von Migrantinnen und Migranten erwartet, sich auf diesen Prozess einzulassen, etwa die Bereitschaft zum Erlernen der deutschen Sprache. Und jeder in Österreich ist gehalten, die Universalität der Menschenrechte und die demokratische Verfassung als Grundlage des Zusammenlebens anzuerkennen, wie Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit oder die gleichberechtigte Stellung von Frau und Mann. Das verpflichtet alle Mitglieder der österreichischen Gesellschaft, – ob schon seit Generationen hier lebend, hier geboren oder kürzlich zugewandert.

Ein Schlüssel der Integration ist die Bildung. Im Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich heißt es: „Bildung kann Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenführen, durch gemeinsames Lernen den Horizont eines jeden und einer jeden Einzelnen weiten helfen, Brücken zu bauen zwischen den Generationen und zwischen den Geschlechtern, zwischen Kulturen und Religionen.“

Integration ist ein beidseitiger Prozess, ein gesellschaftlicher Dauerauftrag. In vielen positiven Beispielen im Alltagsleben leisten Christinnen und Christen einen wichtigen Beitrag auf dem sicherlich noch langen Weg zu einem besseren Miteinander. Und immer wieder werden mutige Schritte gesetzt. Wir brauchen gegenseitigen Respekt. Die zahlreichen Zuwanderer leisteten ebenso ihren Beitrag zum wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Reichtum. Die Nationen müssen „im Namen der Würde jedes einzelnen Menschen einen zusätzlichen Schritt hin zur Integration aller in die Gesellschaft“ machen. „Davon hängt zu einem großen Teil der soziale Friede ab“ (Papst Benedikt XVI.).

Kirche als Lebensraum
für Fremde
DIE ANGST VOR DEM FREMDEN5

Die Fremden werden nicht von selbst vertraut und auch nicht selbstverständlich als Gäste aufgenommen. Dies hängt an grundsätzlichen Einstellungen zum Leben bzw. an Lebensentwürfen, die negativ über der eigenen Identität wachen. Negativ und abgrenzend entwickelt sich das Selbst- bzw. Ich-Bewusstsein, wenn es durch Entledigung von allem Fremden angestrebt wird. Man will sich selbst und die Besonderheit der eigenen Identität durch Ausstoßen der anderen sichern. Alles, was im Gegensatz zum Eigenen, Nahen, Bekannten, Gewohnten und Vertrauten steht, ist dann nicht geheuer und wird als Bedrohung erfahren. Eine Sperrhaltung gegen alles Fremde, grundsätzliches Misstrauen, eine grundsätzliche Abwehrreaktion sind die Konsequenz: Wer kein Hiesiger ist, gilt als suspekt. Ausland und Elend haben eine Wurzel. „Menschen“ sind für manche politische Gruppen nur jene, die der eigenen Nation oder Rasse angehören. Die anderen gelten als Barbaren oder Untermenschen. Das führt dann zum Tanz um das Goldene Kalb der Identität, um die persönliche, berufliche, nationale, politische, männliche, weibliche, kirchliche, parteiliche, ideologische Identität. Selbstbewusstsein und Zelebration werden eins. Eitelkeit und Arroganz gegenüber dem anderen machen sich breit. Im Kern ist diese narzisstisch orientierte Identität aber morbid: „Während das Subjekt zugrunde geht, negiert es alles, was nicht seiner eigenen Art ist.“6

Der Mensch ist Person, der Freiheit und damit Bei-sich-Sein und Für-sich-Sein, Selbststand und Selbstbestimmung besitzt. Der Mensch ist auch auf andere bezogen und kann nur zusammen mit ihnen sein Leben führen und zu sich selbst finden. Es ist nun die entscheidende Frage, wie diese beiden Pole vermittelt werden. Sind sie gleichursprünglich oder gibt es eine Über- und Unterordnung. Die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung kommt aus der Hoffnung, dass das Ich mehr ist als das Produkt der Masse, mehr auch als die soziale Rolle. Diese Sehnsucht kommt aus der Erfahrung, dass gesellschaftliche oder ökonomische Entwürfe im Hinblick auf Sinn zu kurz greifen. Freilich ist rückzufragen, ob nicht dieser Kritik ein idealistischer Begriff von Freiheit zugrunde liegt. Es gibt ja auch die Kehrseite der Emanzipation und Autonomie: Werden die Beziehungen, wird das Du als sekundär und akzidentiell gesehen, so sind sie nur der Vorhof der eigentlichen Freiheit, werden sie zum Hobby der einen und zur Willkür der anderen. Eine Sackgasse ist es auf jeden Fall, wenn Beziehungen und Bindungen von vornherein als entfremdend gewertet werden, wenn Gnade als Bedrohung, wenn Verdanken unter einem rein negativen Vorzeichen steht: „Ein Wesen gibt sich erst als selbständiges, sobald es auf eigenen Füßen steht, und es steht erst auf eigenen Füßen, sobald es sein Dasein sich selber verdankt. Ein Mensch, der von der Gnade eines anderen lebt, betrachtet sich als ein abhängiges Wesen.“7Der andere bzw. der Fremde und die Gabe seiner Freiheit stehen unter dem Vorzeichen der negativen, zu überwindenden Abhängigkeit; Selbstbestimmung und Freiheit wird auf den Kampf gegen Abhängigkeit und Fremdbestimmung, aber auch gegen Bindung und Beziehung reduziert. Freiheit wäre Sich-Losreißen. Anerkennung und Liebe wären grundsätzlich ausgeblendet. Das Selbsterhaltungs-Ich zeichnet sich durch Misstrauen, Rationalität, Kontrolle und Kritik aus. In Verhärtungen oder auch in Blockbildungen findet das Individuum nicht sein Heil. Eine Selbstverwirklichung, die alles Fremde als Hemmung, Begrenzung, Behinderung, Bedrohung und Feind seiner selbst verdächtigt und nur die Perspektive der Befreiung von anderen kennt, landet in der Vereinzelung. Menschliche Identität gelingt nicht in der Gettoisierung oder in einer Festung, nicht durch kämpferische Selbstverteidigung, Verhärtung oder Totalbewaffnung und ist auch nicht machbar. Wer sich das Leben glaubt nehmen und holen zu können, der nimmt es sich in der Tat. Das Individuum „erfährt den Doppelsinn, der in dem lag, was es tat, nämlich sein Leben sich genommen zu haben; es nahm sich das Leben, aber vielmehr ergriff es damit den Tod.“8

KATHOLIZITÄT ALS LERNPRINZIP

Die katholische Kirche hat sich in den letzten hundert Jahren grundlegend verändert. Sie ist erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich Weltkirche geworden. Dass heute zwei Drittel, bald werden es drei Viertel oder vier Fünftel, aller Katholiken außerhalb Europas leben, ist Frucht der von Europa ausgegangenen Missionierung. Diese war verbunden mit Machtkonstellationen, mit Verbrechen, Gräueln, Ausbeutung durch die Eroberer, mit Kolonisatoren und kolonialen Regimes, aber sie ist auch eine Erfüllung des Verkündigungs- und Taufgebotes Christi. Es sind gerade nach dem Zerfall der Kolonien viele sogenannte junge Kirchen in Afrika, Asien entstanden, mit nicht selten wechselvollen und auch leidvollen Beziehungen zur staatlichen Obrigkeit.

Weltkirche ist Kirche noch nicht unbedingt durch eine universale Verbreitung des Christentums. Das ist ja in einem gewissen Sinn am Beginn der Neuzeit geschehen. Eine „Metaphysik des Transports“ (Peter Sloterdijk), die Transzendenz in der Überquerung des Atlantiks sieht und die neuen Paradiese in Amerika sucht, ist noch geprägt von Strategie, Beherrschung, Unterwerfung und Macht. Reale Weltkirche ist das noch nicht. Weltkirche entsteht auch nicht einfach durch Globalisierung, sofern diese mit einem Verrat aller konkreten Kulturen verbunden ist. Durch das Ökonomieprinzip ist Kommunikation immer schneller, aber auch abstrakter und allgemeiner geworden. Das Internet kann das konkrete Anschauen, den Kuss, den Händedruck, das gemeinsame Gehen, die Sprache und Kultur, die leiblichen Werke der Barmherzigkeit und auch die Feier der Sakramente nicht wegrationalisieren.

Johann Baptist Metz fordert von einer Kirche, die reale Weltkirche werden will, ohne das Erbe des Judentums und der europäisch abendländischen Geschichte abzustreifen, die Verwirklichung von zwei Grundzügen des biblischen Erbes: dass sie im Namen ihrer Sendung Freiheit und Gerechtigkeit für alle sucht, d. h. dass sie eine Option für die Armen trifft, und dass sie sich als Kultur der Anerkennung der anderen in ihrem Anderssein entfaltet9. In dieser Hinsicht ist Weltkirche ein Lernraum10, Katholizität ein Lernprinzip11. Solche Lernschritte hatte die Kirche als ganze immer wieder zu setzen: Das begann mit dem sogenannten Apostelkonzil, bei der Frage, ob man beschnitten werden müsse, um das Heil zu erlangen. Auch die altkirchlichen Konzilien waren Lernschritte der Katholizität im Einlassen auf die Philosophie als Mittel zur Auseinandersetzung in der Gottesfrage und als Hilfe für die Antworten des Glaubens auf an ihn gestellte Fragen. Schmerzliche Lernschritte für die Kirche waren die Frage der Menschenwürde, der Menschenrechte zu Beginn der Neuzeit und das damit verbundene Verbot der Sklaverei. Lernprozesse im 20. Jahrhundert waren und sind etwa die ökumenische Bewegung, der interreligiöse Dialog, die Neubestimmung der Beziehung bzw. des Verhältnisses der Kirche zu Israel oder die Frage der Inkulturation, der Kampf um Gerechtigkeit, die Option für die Armen, der Friedensauftrag der Kirche. In dieser Perspektive gehören Polyzentrismus und Universalismus, Weltkirche und Basiskirche zusammen.

„Die Bischöfe, die den Teilkirchen vorstehen, üben als Einzelne ihr Hirtenamt über den ihnen anvertrauten Anteil des Gottesvolkes, nicht über andere Kirchen und nicht über die Gesamtkirche aus. Aber als Glieder des Bischofskollegiums und rechtmäßige Nachfolger der Apostel sind sie aufgrund von Christi Stiftung und Vorschrift zur Sorge für die Gesamtkirche gehalten. Alle Bischöfe müssen nämlich die Glaubenseinheit und die der ganzen Kirche gemeinsame Disziplin fördern und schützen sowie die Gläubigen anleiten zur Liebe zum ganzen mystischen Leibe Christi, besonders zu den armen und leidenden Gliedern und zu jenen, die Verfolgung erdulden um der Gerechtigkeit willen (vgl. Mt 5,10). Endlich müssen sie alle Bestrebungen fördern, die der ganzen Kirche gemeinsam sind, vor allem dazu, dass der Glaube wachse und das Licht der vollen Wahrheit allen Menschen aufgehe. Im Übrigen aber gilt unverbrüchlich: Indem sie ihre eigene Kirche als Teil der Gesamtkirche recht leiten, tragen sie wirksam bei zum Wohl des ganzen mystischen Leibes, der ja auch der Leib der Kirchen ist“ (LG 23).

An den Knotenpunkten von Judentum, Christentum und Islam
GOTT, VERNUNFT UND GEWALT12

Der byzantinische Kaiser Manuel II. Palaiologos führte um 1391 im Winterlager zu Ankara einen Dialog mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam und beider Wahrheit. Der Kaiser begründet, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Gewalt steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. „Gott hat kein Gefallen am Blut“, sagt er, „und nicht vernunftgemäß, nicht „σὺν λόγω“ zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung. Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann.“13 Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.

RELIGIONSFREIHEIT UND TOLERANZ

Das Zweite Vatikanische Konzil unterstreicht in der Erklärung über die religiöse Freiheit (Dignitatis humanae)14, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als Einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln. Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet, so wie sie durch das geoffenbarte Wort Gottes und durch die Vernunft selbst erkannt wird. Dieses Recht der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muss in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden, dass es zum bürgerlichen Recht wird. Auch haben die religiösen Gemeinschaften das Recht, keine Behinderung bei der öffentlichen Lehre und Bezeugung ihres Glaubens in Wort und Schrift zu erfahren. Schließlich ist in der gesellschaftlichen Natur des Menschen und im Wesen der Religion selbst das Recht begründet, wonach Menschen aus ihrem eigenen religiösen Sinn sich frei versammeln oder Vereinigungen für Erziehung, Kultur, Caritas und soziales Leben schaffen können.

In der Erklärung des Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate) heißt es zu anderen Religionen: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet. Unablässig aber verkündet sie und muss sie verkündigen Christus, der ist ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat. Deshalb mahnt sie ihre Söhne, dass sie mit KIugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.“15 Gemeint sind Hinduismus und Buddhismus, aber auch der Islam: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat.“16

DIALOG

In den Religionen mischen sich Heiliges und Gewalt, Wesen und Unwesen. Deshalb bedarf es beim Dialog der Bereitschaft zur Selbstkritik, zur Läuterung des Gedächtnisses und zum Lernen von den anderen. Gerade weil sich Wesen und Unwesen von Religion vermischen, sind Offenbarung und Aufklärung kritisch zu vermitteln. Dies kann aber nicht so geschehen, dass wir die Religion auf die Seite legen. Wenn wir Religion auf Ethik reduzieren, schlägt Liebe in Kälte um. Immanuel Kant hatte den Grund des Bösen in der Freiheit, bzw. in der freien Willkür des Menschen, geortet. Er begnügte sich mit der Hoffnung, zu der unbegreiflichen und niemals gewissen „Revolution der Gesinnung“ durch „eigene Kraftanwendung“ zu gelangen17. Freiheit und Liebe nur zum Postulat des Sollens zu erheben, ist aber „selber Bestandstück der Ideologie, welche die Kälte verewigt. Ihm eignet das Zwanghafte, Unterdrückende, das der Liebesfähigkeit entgegenwirkt.“18 Dann wären der eigentliche Glaubensakt im Sinne des Vertrauens und des Gebetes, dann sind die Hoffnungskraft und das Trostpotential der Religionen an den Rand geschoben. Ein Dialog zwischen den Religionen kann nicht auf der Basis eines kleinsten gemeinsamen moralischen Nenners erfolgen, sondern muss vom Ureigenen der Religionen ausgehen. Die Wahrheitsfrage darf dabei nicht gleichgültig ausgeklammert werden. Kriterien für den Wahrheitsanspruch der Religionen sind: Sie müssen einen Heilsbezug, einen Gottbezug, einen essentiellen Freiheitsbezug und einen praktischen Weltbezug haben.19 Sie sind z. B. daraufhin zu befragen, in welcher Form sie Sinn erschließen, wie sie zu Gerechtigkeit und Frieden stehen, welches Gewaltpotential sie freisetzen.

Grundsätzlich sind Mystik und Aufklärung einander gar nicht so fremd, wie es auf den ersten Blick erscheint. Dies lässt sich an der radikalen Selbstkritik bzw. Selbsterkenntnis, die an der Basis mystischer Wege steht, aber auch für die Aufklärung charakteristisch ist, zeigen20. So ist theologische Rede vom Bösen unabdingbar mit menschlicher Freiheit verbunden. Insofern schließt sie die Bereitschaft zu einer ständigen schöpferischen Selbstkritik ein. Die Wahrung der Freiheit erfordert die Unterscheidung der Geister mit einem Gespür bzw. mit der Analyse der Täuschungen in Gefühl und Erkenntnis. Und in diesem Anliegen sind sich mystische, spirituelle und aufgeklärte Traditionen näher, als manche Verächter der Spiritualität und der Mystik meinen (vgl. Ignatius von Loyola, Teresa von Ávila, Fenelon, Kant). In beiden Traditionen schlägt das Ideal der Reinigung bzw. Reinheit, Klarheit und Lauterkeit in allen Dimensionen der Wirklichkeit immer wieder durch. Die Mystiker, und nicht nur sie, suchen die reine Selbstlosigkeit der Liebe, Immanuel Kant die Reinheit der sittlichen Gesinnung (ohne jede sinnliche Neigung!). Die Anliegen von Mystik und Aufklärung sind wahlverwandt. Selbstaufklärung über die Bedingungen der Möglichkeit der eigenen Erkenntnis, kritische Durchleuchtung aller vorfindlichen Bilder und Ergebnisse21, schonungslose Analyse des Subjekts und seiner Welt, eine Reinigung der sittlichen Motive (bis hin zu einem starken Antieudämonismus), die Entdeckung der Passivität der Vernunft.22

TOLERANZ

Zur Religionsfreiheit, zu Respekt und Toleranz gegenüber anderen Religionen, zum friedlichen Dialog mit ihnen gibt es vom Zweiten Vatikanischen Konzil her keine Alternative. Überall dort, wo unterschiedliche Überzeugungen, Werte, Lebensstile, kulturelle Eigenarten und Religionen aufeinandertreffen, ist die Tugend der Toleranz für ein friedliches Zusammenleben der Menschen notwendig. Ihre Unverzichtbarkeit und Bedeutung wird deshalb umso größer, je mehr in unserer Welt ganze verbindende Traditionen und Weltanschauungen zu zerbrechen drohen. Toleranz bedeutet aber nicht Selbstaufgabe. Vielmehr ist tolerantes Verhalten nur dort möglich, wo zugleich auch ein eigener Standpunkt, eine eigene Identität vorhanden ist. Wo beides verwirklicht ist, wo man eigene Identität besitzt und behält und wo man doch den anderen nicht unter die eigenen Maßstäbe zwingt, ist Toleranz gegeben. Toleranz besteht für mich darin, sich mit dem anderen und Fremden wirklich auseinanderzusetzen. Sie beinhaltet Interesse am Neuen, Neugier gegenüber dem Fremden und Andersartigen. Sie beinhaltet auch die Fähigkeit, sich in die Situation des anderen hineinzudenken und hineinzufühlen (Empathie), die Welt und auch sich selbst sozusagen mit den Augen des anderen sehen zu können.

Wenn wir „Toleranz“ hören, denken wir an soziale Beziehungen. Der stoische Begriff tolerantia betrifft zunächst das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, die Fähigkeit etwa, ein schweres Schicksal zu tragen. Tolerare heißt „durchtragen“.23 Eine soziale Tugend war das noch nicht. Ein Leitbegriff zwischenmenschlichen Verhaltens und von Gemeinschaftsbildung ist Toleranz durch das Christentum geworden.24 „Die Liebe er-trägt alles“ (1 Kor 13,7). „Einer trage des anderen Last“ (Gal 6,2). – Prototyp dieser Haltung ist der leidende Gerechte, der Gottesknecht des Deuterojesaja, den die Christen im Juden Jesus aus Nazaret verehren.

Von Toleranz zu sprechen, wenn man das andere in seiner Vielfalt als Bereicherung erfährt, verharmlost das Wort. Schönes und Bereicherndes aufzunehmen bedarf nicht der Toleranz. Welche Frau würde sagen, sie toleriere ihren Mann? Eher schon, sie liebe ihren Mann, deswegen toleriere sie seine Schlamperei. Die Toleranz steht zwischen Ablehnung und uneingeschränkter Bejahung. Sie hält dazu an, etwas zu ertragen, was eigentlich unerträglich erscheint. Toleranz bedeutet die Fähigkeit, eine andere Überzeugung oder ein anderes Verhalten – mitunter zähneknirschend – auszuhalten, durchzutragen, hinzunehmen.

Das hat eine wichtige Konsequenz: Zwar eröffnet Toleranz einen sozialen Raum, in dem Zusammenleben möglich ist. Aber dieser Raum ist begrenzt. Es ist ein Unding, grenzenlos tolerant zu sein. Eine Gemeinschaft oder Gesellschaft, die keine Grenzen der Toleranz kennt und alles erlaubt, zerstört sich selbst. Das ist zwangsläufig so, weil unbegrenzte Toleranz auch ihren Feinden, nämlich der Intoleranz, der Willkür und der Gewalt freie Hand lassen müsste. Die globale Aushöhlung von verbindlichen Inhalten entpuppt sich immer mehr als Komplizin der Gewalt und der Beliebigkeit. Im Zeitalter des kulturellen Pluralismus neigen nicht wenige dazu, die widersprüchlichsten Auffassungen im Bereich der Ethik oder Religion gelten zu lassen. Es kommt – so der Wiener Kulturphilosoph Günter Anders – zu einer weltanschaulichen Promiskuität. Wer an dieser unterschiedslosen Liberalität, an dieser schlechten Gleichheit Anstoß nimmt, „gilt als kulturell prüde, stur, provinziell, unaufgeschlossen, intolerant, undemokratisch, unkultiviert – und eng sogar auch in moralischer Hinsicht.“25 „Wer alles schön findet, ist nun in Gefahr, nichts schön zu finden. … Kein Blick erreicht das Schöne, dem nicht die Gleichgültigkeit, ja fast die Verachtung gegen alles beigesellt wäre. … Liberalität, die unterschiedslos den Menschen ihr Recht widerfahren lässt, läuft auf Vernichtung hinaus wie der Wille der Majorität, die der Minorität Böses zufügt und so der Demokratie Hohn spricht. … Aus der unterschiedslosen Güte gegen alles droht denn auch stets Kälte und Fremdheit gegen jedes, die dann wiederum dem Ganzen sich mitteilt. Uneingeschränkte Güte wird zur Bestätigung all des Schlechten.“26

Die Wendehälse sind überall dabei, die Widersprüche gehören zum System. Ja und Nein verkommen zu einer Frage des Geschmacks und der Laune, Leben oder Tod wird zur Frage des besseren Durchsetzungsvermögens, Wahrheit oder Lüge eine Frage der besseren Taktik, Liebe oder Hass eine Frage der Hormone, Friede oder Krieg eine Frage der Konjunktur. Die Unterscheidung zwischen Humanität und Barbarei, zwischen sittlichen Prinzipien und verbrecherischen Grundsätzen liegt dann auf der Ebene der bloßen Emotion oder des Durchsetzungsvermögens.27 Die Selbstbeschränkung des Denkens, das sich skeptisch weigert, Entscheidungen zu treffen und nach Gerechtigkeit zu suchen, wird insgeheim zur Komplizin des (Un-) Rechtes des Stärkeren.

Tolerant kann nur sein, wer einen Standpunkt hat. Die Toleranz rät nicht, dass wir im Gespräch mit anderen Religionen und Kulturen Unterschiede kaschieren, sondern dass wir sie aushalten im Respekt voreinander. Sie verlangt Entschiedenheit, verbietet dabei aber jede Form innerer oder äußerer Pression und Gewalt. Deswegen ist es unmöglich, zugleich dem Moloch zu dienen und Gott, dem „Freund des Lebens“ (Weish 12,6). Anything goes (Paul Feyerabend) geht nicht. Fanatische Intoleranz lässt sich nicht durch grenzenlose Toleranz überwinden; die ist entweder blind oder zynisch, sie bahnt faktisch dem Fundamentalismus den Weg. Wenn alles geht, kommt es auf nichts mehr an. Wenn nichts mehr zählt, zählt am Ende nur noch, was sich auszahlt. Auch Toleranz im Sinn dieses Wortes kostet ihren Preis, und zwar für den, der sie übt. Sie schmerzt, daran führt kein Weg vorbei.

Deswegen fordert Papst Benedikt XVI. nicht nur im Hinblick auf den Islam, sondern auch im Hinblick auf Strömungen in der Kirche das Gespräch zwischen Glaube und Vernunft. Der Dialog soll nicht naiv sein, weder fundamentalistisch im Hinblick auf die eigene Glaubensüberzeugung, noch geprägt von einer gleichgültigen und permissiven Toleranz. Der Dialog mit anderen Religionen und Kulturen braucht Klarheit, Klugheit und Vertrauen, die Überzeugung des eigenen Glaubens und das Wissen um die eigene Tradition.28

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