Kitabı oku: «Wider den kirchlichen Narzissmus», sayfa 3
SPIRITUALITÄT DES FRIEDENS
Nach der Shoah gingen entscheidende Impulse für die Begegnung zwischen Juden und Christen u. a. von dem jüdischen Historiker Jules Isaac29 aus, einem Mitbegründer der französischen christlich-jüdischen Dialoggruppe Amitié Judéo-Chrétienne (1948). Jules Isaac hatte Frau und Tochter in Auschwitz verloren, nur weil sie Isaac hießen. In seinen bekannten Werken Jésus et Israel (Paris, 1946)30 und L’enseignement du mépris (Paris 1962) zeigt Jules Isaac die jüdischen Wurzeln des Christentums auf und fasst wesentliche Aspekte der antijüdischen Traditionen in den Kirchen als „Lehre der Verachtung“ zusammen. Jules Isaac hat 45 Briefe an Claire Huchet-Bishop31 geschrieben32. In Brief Nr. 39 fordert Isaac die Verurteilung der „Lehre von der Verachtung“, die dem jüdischen Volk durch die christliche Verkündigung zuteilwird. Diese Verurteilung muss von höchster Stelle aus geschehen (durch den Papst bzw. durch ein Konzil). – Statt der jahrhundertelangen „Lehre der Verachtung“ (Jules Isaac) hat eine christliche Theologie des Judentums in der Besinnung auf seinen jüdischen Ursprung in Jesus von Nazaret und den Verfassern der neutestamentlichen Schriften diese jüdischen Wurzeln bzw. diesen jüdischen Stamm (Röm 11,16–18) anzuerkennen, ohne die und ohne den es zum Austrocknen verurteilt wäre. Isaac beschäftigte sich intensiv mit dem Verhältnis von Verachtung und Gewalt. Schrittweise rechtfertigt Verachtung Gewalt und dann den Krieg. Isaac meint, dass die Verachtung in Wertschätzung und Dialog verwandelt werden muss.
In einer Spiritualität des Friedens geht es zunächst um eine Abrüstung des Denkens. Da sollen eigene Verfolgungsängste und Hassgefühle aufgearbeitet, Feindbilder abgebaut und Vorurteile hinterfragt werden. Von da her ist es ihr wichtig, wohl mit den eigenen Grenzen zu leben, mit diesen aber dynamisch umzugehen und so leibliche, biologische und nationale bzw. ethnische Grenzen zu überschreiten.
Die anderen, in der Vergangenheit die Italiener oder die Franzosen, auch die Polen und die Russen, in der Gegenwart Menschen aus der ehemaligen UdSSR, aus Afrika, werden nicht von selbst vertraut. Dies hängt an grundsätzlichen Einstellungen zum Leben bzw. an Lebensentwürfen, die negativ über der eigenen Identität wachen. Unter diesen Vorzeichen steht auch die Gabe der Freiheit des Fremden. Selbstbestimmung und Freiheit wird auf den Kampf gegen Abhängigkeit und Fremdbestimmung, aber auch gegen Bindung und Beziehung reduziert. Freiheit wäre Sich-Losreißen. Das Selbsterhaltungs-Ich zeichnet sich durch Misstrauen, Rationalität, Kontrolle und Kritik aus. In Verhärtungen oder auch in Blockbildungen findet das Individuum nicht sein Heil. Menschliche Identität gelingt nicht in der Gettoisierung oder in einer Festung, nicht durch kämpferische Selbstverteidigung, Verhärtung oder Totalbewaffnung und ist auch nicht machbar.
Abrüstung in den Köpfen wird positiv überwunden durch konkrete Partnerschaften z. B. mit Gruppen aus Tschechien oder Polen, durch Symbolhandlungen wie z. B. die gemeinsame Wallfahrt nach Mariazell beim Mitteleuropäischen Katholikentag im Mai 2004, durch gemeinsame Ferien und Symposien, durch den Gedenkdienst in Auschwitz und in Israel, durch Anwaltschaft für Asylanten und Fremde, Anwaltschaft für Behinderte, Sinti und Roma.
Eine Spiritualität des Friedens muss an die Wurzeln von Konflikten und Kriegen gehen. An der Wurzel von Terror und Barbarei stand nicht selten die Anmaßung absoluter Macht über Leben und Tod, stand die Verachtung des Menschen, in der Nazizeit die Verachtung von Behinderten und Zigeunern, die Verachtung von politischen Gegnern, die Verachtung von Traditionen, die im jüdischen Volk lebten und leben, die Verachtung der ‚anderen‘. Diese Verachtung hat sich aller Kräfte, auch der der Wissenschaften, der Medizin, der Ökonomie und sogar der Religion bedient. Von der Medizin her wurde lebenswertes und lebensunwertes Leben definiert und selektiert, es gab eine ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung im Hinblick auf die Ermordung von Behinderten. Verachtung signalisiert: Du bist für mich überflüssig, reiner Abfall und Müll, den es zu verwerten und dann zu entsorgen gilt, eine Null, ein Kostenfaktor, den wir uns nicht mehr leisten wollen.
Die entsprechende Geisteshaltung skizziert Theodor W. Adorno in den Minima Moralia: „Musterung. Wer, wie das so heißt, in der Praxis steht, Interessen zu verfolgen, Pläne zu verwirklichen hat, dem verwandeln die Menschen, mit denen er in Berührung kommt, automatisch sich in Freund und Feind. Indem er sie daraufhin ansieht, wie sie seinen Absichten sich einfügen, reduziert er sie gleichsam vorweg zu Objekten: die einen sind verwendbar, die anderen hinderlich. … So tritt Verarmung im Verhältnis zu anderen Menschen ein: die Fähigkeit, den anderen als solchen und nicht als Funktion des eigenen Willens wahrzunehmen, vor allem aber die des fruchtbaren Gegensatzes, die Möglichkeit, durch Einbegreifen des Widersprechenden über sich selber hinauszugehen, verkümmert. Sie wird ersetzt durch beurteilende Menschenkenntnis. … Der starr prüfende, bannende und gebannte Blick, der allen Führern des Entsetzens eigen ist, hat ein Modell im abschätzenden des Managers, der den Stellenbewerber Platz nehmen heißt und sein Gesicht so beleuchtet, dass es ins Helle der Verwendbarkeit und ins Dunkle, Anrüchige des Unqualifizierten erbarmungslos zerfällt. Das Ende ist die medizinische Untersuchung nach der Alternative: Arbeitseinsatz oder Liquidation.“33
Ein Dienst am Frieden kann die Kritik an allen Götzen und die Radikalisierung der Gottesfrage sein. Gerade die Verabsolutierung von bestimmten endlichen und begrenzten Werten führt nicht selten zu tödlichen Konflikten. Den Götzen der Herrschsucht, des Übermenschen, des Kapitals, des Nationalismus, des Rassismus, des Militarismus oder des gekränkten Stolzes wurden Millionen von Menschen geopfert. Sogar Werte wie der Friede selbst, wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erzeugen das Gegenteil ihrer selbst, wenn sie gewaltsam universalisiert werden. So wurde die fraternité der französischen Revolutionsheere zur Aggression gegen die Alte Welt, die sozialistische Brüderlichkeit zum Sowjetimperialismus oder eine christliche Ethik zum Kreuzzug gegen die Heiden. Innergeschichtliche Endlösungen, politische Utopien und Revolutionen wurden zum Terror. Zum Götzen kann auch das Sicherheitsbedürfnis werden, z. B. wenn von der Rüstung ein hohes Maß an Intelligenz absorbiert, Kapital gebunden und damit indirekt ein Krieg gegen die Armen geführt wird. Eine Spiritualität des Friedens nimmt Abschied von allen sich selbst rechtfertigenden, sich selbst begründenden, aus sich selbst entwerfenden und damit sich selbst vergötzenden Systemen.
AUSBLICK
Monotheismus, Polytheismus oder Atheismus sind nicht an sich schon Gewalt produzierend oder friedlich demokratisch. Es ist die jeweils konkrete Religion oder Ideologie auf Gewalt und Friedenspotentiale hin zu prüfen. Das gilt auch für Formen der Spiritualität und der Religion, die keinen personalen Gott kennen, wie z. B. für den Buddhismus. Das gilt ebenso für Vernunft, Aufklärung, Fortschritt, Wissenschaft und Utopie, die in ihren real existierenden Vollzügen in der Dialektik von Gewalt und Frieden stehen und ihre Nacht- bzw. Schattenseite haben.
Auf Krieg und Frieden, Gewalt und Feindesliebe sind die konkreten normativen Personen der Religionsgründer, der Offenbarer, der Propheten, der Heiligen zu befragen, und zwar im Hinblick auf die Lehre wie auch im Hinblick auf die Praxis. Ebenso sind kanonische Texte, heilige Bücher und Traditionen im Hinblick auf Gewalt und Frieden zu beleuchten. Zu heben sind die jeweiligen Impulse zu Freiheit, Versöhnung, gewaltfreier Konfliktlösung, Feindesliebe, Frieden und Gerechtigkeit.34
In der christlichen Bibel stehen Aussagen über Gewalt und Frieden nicht gleichrangig oder gleichwertig nebeneinander. Die christliche Bibel und ihre Lehre zu Frieden und Gewalt ist von der Mitte, von der Person Jesu, von seiner Bergpredigt, von den Seligpreisungen der Gewaltlosen und der Friedensstifter, vom Kreuzestod als Zuspitzung der Vergebung und der Feindesliebe her zu interpretieren.
Neben den normativen Personen und Texten ist aber auch die konkrete Gewalt- und Friedensgeschichte der jeweiligen Religion und Weltanschauung zu betrachten. Auf sehr unterschiedlichen Altären wurden Menschenopfer dargebracht. Religion und Glaube sind sehr unheilige Allianzen mit Nationen und Ethnien, mit wirtschaftlicher und politischer Macht, mit unterschiedlichen Interessen und Ideologien eingegangen und haben so auch Gewalt, Unterdrückung, Kolonisierung und Krieg mit sanktioniert. Religionen und Glaube haben aber auch zur Zähmung von Gewalt und Aggression, zur Versöhnung zwischen Feinden, zur Überwindung von Hass, Krieg und Unrecht beigetragen. Es wäre fatal, auf die humanisierenden Kräfte der Religionen zu verzichten und die Frieden stiftenden Potentiale z. B. des christlichen Glaubens auf die Seite zu schieben. Begriffe wie Moralität und Sittlichkeit, Person und Individualität, Freiheit und Emanzipation können wir Europäer, so Jürgen Habermas 1988, nicht ernstlich verstehen, „ohne uns die Substanz des heilsgeschichtlichen Denkens jüdisch-christlicher Herkunft anzueignen.“35 Religion gehöre zum „kulturellen Potential“, aus dem sich die Integrationskraft der Gesellschaft speise.36 Habermas erinnerte daran, dass Glaube nicht notwendig zum Fürchten ist, sondern zur Selbstkontrolle einer diesseitig-demokratischen Bürgerschaft hilfreich, wenn nicht unentbehrlich. Im Motiv der Gottebenbildlichkeit des Menschen liegen Einsichten, die auch eine weltliche Gesellschaft nur zu ihrem Schaden vernachlässigen kann.
2. Kapitel
Der Mensch ist, was er isst
Ethische Aspekte der Brotproduktion und des Brotkonsums
„Bisher hat alles das, was dem Dasein Farbe gegeben hat, noch keine Geschichte: oder wo gäbe es eine Geschichte der Liebe, der Habsucht, des Neides, des Gewissens, der Pietät, der Grausamkeit; selbst eine vergleichende Geschichte des Rechtes, oder auch nur der Strafe, fehlt bisher vollständig. Hat man schon die verschiedene Einteilung des Tages, die Folgen einer regelmäßigen Festsetzung von Arbeit, Fest und Ruhe zum Gegenstand der Forschung gemacht? Kennt man die moralischen Wirkungen der Nahrungsmittel? Gibt es eine Philosophie der Ernährung?“37 – „Der Mensch ist, was er isst.“38 Dieser berühmte Satz von Ludwig Feuerbach steht in einer Rezension von Jacob Moleschotts „Lehre der Nahrungsmittel für das Volk“ (1850). Um diesen Satz gerecht zu beurteilen, muss man ihn im Zusammenhang lesen. Unmittelbar vorher stehen die Sätze: „Die Lehre von den Nahrungsmitteln ist von großer ethischer und politischer Bedeutung. Die Speisen werden zu Blut, das Blut zu Herz und Hirn, zu Gedanken- und Gesinnungsstoff.“ Ernährung und Kochen sind bei Fernsehsendungen und auf dem Buchmarkt ganz vorne. Was essen wir so im Laufe eines Tages oder einer Woche? Wie gesund oder wie krank machend sind die Speisen, wie gesund sind die Abwechslung, die Vielfalt oder das Durcheinander beim Essen und Trinken? Wie schlagen sich die Essensgewohnheiten mit Gewichtsproblemen und Beweglichkeit auf unseren Leib? Inwiefern spiegeln sie unsere Denkgewohnheiten oder unseren alltäglichen Umgang miteinander? In gewisser Hinsicht werden wir das, was wir essen und wie wir essen. Ludwig Wittgenstein, der bedeutendste österreichische Philosoph des 20. Jahrhunderts, befasst sich mit der Abwechslung der philosophischen Diät im metaphorischen Sinne: „Eine Hauptursache philosophischer Krankheiten – einseitige Diät: man nährt sein Denken mit nur einer Art von Beispielen.“39 Wenn wir philosophieren, sollten wir uns bemühen, meint Wittgenstein, die Diät abwechslungsreich zu gestalten, indem wir uns verschiedene Beispiele und Situationen vor Augen führen. Nur so wird die geistige Nahrung reichhaltig und stärkend sein. – Es gibt durchaus Wahrnehmungs- und Entscheidungskrankheiten: Wer unversöhnt oder ungeordnet lebt, wer in seinen Kränkungen stecken bleibt, dessen Blick für andere ist getrübt, und der kann auch nicht richtig denken und entscheiden. Wer ideologisch große Bereiche der Wirklichkeit ausblendet, wer abgestumpft ist gegen Freude oder Leid, der wird eindimensional und oberflächlich. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit und unsere Entscheidungen hängen wesentlich von dem ab, was wir aufnehmen, wie wir es aufnehmen und verarbeiten.
WELCHEN WERT HAT EIN BROT?
Ein englischer Journalist unternahm einmal einen Versuch: Er wollte wissen, welchen Wert das Brot bei den Menschen hat. Er kaufte einen großen Laib Brot und stellte sich damit an belebte Straßenecken in verschiedenen Großstädten der Welt. Den vorübergehenden Menschen machte er das Angebot, sie könnten dieses Brot haben, wenn sie dafür eine Stunde arbeiten würden. Und das kam dabei heraus: In Wien lachte man ihn aus. In New York (USA) verhaftete ihn die Polizei. In Abuja (Nigeria/Afrika) wollten gleich mehrere Personen für diesen Laib Brot arbeiten, wenn nötig sogar drei Stunden lang. In Kalkutta (Indien) waren im Nu mehr als hundert Leute versammelt, die bereit waren, einen ganzen Tag für dieses Brot zu arbeiten (Quelle unbekannt). Welchen Wert hat das Brot? Für die einen ist es zum Abfall- und Wegwerfprodukt geworden: „Das Brot und das Wort sind Kleingeld geworden. … Wir beten um tägliche Abfallkübel.“40 Für andere hingegen ist es heilig und unendlich kostbar. Unser täglich Brot, das ist der Titel eines österreichischen Dokumentarfilmes von Nikolaus Geyrhalter aus dem Jahr 2005. Der Film zeigt die Hightechlandwirtschaft und die industrielle Nahrungsmittelproduktion. Nach dem Film schmeckt das Essen nicht mehr recht. Für billige Lebensmittel nehmen die Konsumenten ökologisch und (un-)sozial so ziemlich alles in Kauf. Zum Rhythmus von Fließbändern und riesigen Maschinen gibt der Film kommentarlos Einsicht in die Orte, an denen Nahrungsmittel in Europa produziert werden: monumentale Räume, surreale Landschaften und bizarre Klänge, eine kühle industrielle Umgebung, die wenig Raum für Individualität lässt. Menschen, Tiere, Pflanzen und Maschinen erfüllen die Funktion, die ihnen die Logistik dieses Systems zuschreibt, auf dem der Lebensstandard unserer Gesellschaft aufbaut. Unser täglich Brot ist ein Bildermahl im Breitwandformat, das nicht immer leicht verdaulich ist, und an dem wir alle Anteil haben.
Mit dem Film We feed the world (2005) hat sich Erwin Wagenhofer auf die Spur unserer Lebensmittel gemacht. Sie hat ihn nach Frankreich, Spanien, Rumänien, in die Schweiz, nach Brasilien und zurück nach Österreich geführt. Roter Faden ist ein Interview mit Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. We feed the world ist ein Film über Ernährung und Globalisierung, Fischer und Bauern, Fernfahrer und Konzernlenker, Warenströme und Geldflüsse, ein Film über den Mangel im Überfluss. Er gibt in eindrucksvollen Bildern Einblick in die Produktion unserer Lebensmittel sowie erste Antworten auf die Frage, was der Hunger auf der Welt mit uns zu tun hat.
Tag für Tag wird in Wien gleich viel Brot entsorgt, wie Graz verbraucht. 20 Prozent des Brots in Wien müsse weggeworfen werden, konnte man den Medien entnehmen, weil die Kunden noch am Abend frisches Brot im Supermarktregal erwarten. Auf rund 350.000 Hektar, vor allem in Lateinamerika, werden Sojabohnen für die österreichische Viehwirtschaft angebaut, daneben hungert ein Viertel der einheimischen Bevölkerung. Jede Europäerin und jeder Europäer essen jährlich zehn Kilogramm künstlich bewässertes Treibhausgemüse aus Südspanien, wo deswegen die Wasserreserven knapp werden.
Der Anteil von Lebensmitteln in der Restmülltonne nimmt zu. Es dürften bereits 50 Prozent sein. Der Großteil davon ist noch nicht verdorben. Es werden zu große Semmelpackungen gekauft: Sieben von zehn Semmeln wandern in den Müll. Montags wird der Kühlschrank neu befüllt: Der Samstageinkauf wandert in den Müll. Das ist nicht Ware, die aus irgendwelchen Gründen nicht verkauft werden konnte, sondern das sind Lebensmittel, die gekauft wurden und nun weggeworfen werden, weil manche Menschen offensichtlich zu viel Geld haben, um die Notwendigkeit zu spüren, einen Haushaltsplan zu entwerfen. Lebensmittel werden in der ganzen Breite der Auswahl und Frische zu jeder Zeit des Tages angeboten. Nur ein kleiner Teil davon wird verkauft und konsumiert. Leitbild ist dabei nicht die Versorgung, sondern der Anschein, dass der Konsument immer die große Auswahl und ein frisches Produkt habe. Damit hat sich aber die grundsätzliche Einstellung und Wertschätzung gegenüber den Lebensmitteln, insbesondere dem Brot verändert. Brot ist mehr als nur ein Lebensmittel. Brot war und ist in der Geschichte des Abendlandes vielerlei: Ausdruck höherer Kultur, Anlass sozialrevolutionärer Gärung, religiöses Symbol.
BROT UND POLITIK41
Politisch hatte die Forderung nach Brot immer große Bedeutung. Mangel an Brot führte zu Hungersnöten, Geburtenrückgängen, Auswanderungen und Aufständen. Um die Kornkammern und Getreideanbaugebiete wurden im Laufe der Jahrtausende mehr Kriege geführt als um Gold. Vielleicht ist gegenwärtig das Erdöl an die Stelle des Brotes getreten. Missernten bedeuten bis in die heutige Zeit für die Betroffenen Hunger, Elend und Not. Getreideüberschuss und Getreidemangel prägten die Weltpolitik entscheidend mit. Das galt schon für das römische Weltreich in der Antike. Anbau und Nutzung des Getreides waren für Rom wesentlich beim Aufstieg zum Weltreich. Der Dichter Juvenal kritisierte mit dem Ausdruck „Brot und (Zirkus-)spiele“ (panem et circenses) das Volk im Römischen Reich. Damit sollte zeitweilig das Volk in politischen Krisen ruhig gehalten werden. Eine verfehlte Agrarpolitik trug dann später entscheidend zum Niedergang des Römischen Reiches bei: Aufgrund zunehmender Latifundienwirtschaft, die sich auf die profitablere Viehzucht stützte, wurde Rom von den Getreideeinfuhren aus den „Kornkammern“ in Sizilien, Nordafrika und Spanien abhängig. Mit dem Verlust dieser Provinzen ging dann auch die Macht und die Widerstandskraft dieses Weltreiches zurück, um schließlich aufgelöst zu werden.
Es war der Hunger, der bis zum 17. Jahrhundert Europa in ein riesiges Haus der Träume verwandelte. Aus den Schrecken des Hungers heraus werden die Ängste, die bizarren Riten und abergläubischen Praktiken, die ekstatischen Traumfolgen und magischen Vorstellungen eines Zeitalters verständlich, das man als das finstere, abergläubische und hinterwäldlerische bezeichnete42. Eine rationalistische, aufklärerische Gedankenwelt hat bis zum heutigen Tag viel mit Brot zu tun hat. „Brot und Freiheit wachsen auf einem Halm“, heißt es. Die Forderung nach Brot leitete den Beginn der Französischen Revolution ein. Am 5. Oktober 1789 zogen die Pariser Frauen vom Stadthaus, wo sie vergeblich Brot gefordert hatten, nach Versailles, um den König nach Paris zu holen. Immer wieder prägten Brotkrawalle die Geschichte. Das Lied Brot und Rosen geht auf einen Streik von 14.000 Textilarbeiterinnen in Lawrence, einer Stadt in den USA, im Jahr 1912 zurück, mit dem die Frauen gegen Hungerlöhne und Kinderarbeit protestierten:
„Wenn wir zusammen gehen, geht mit uns ein schöner Tag Durch all die dunklen Küchen, und wo grau ein Werkshof lag beginnt plötzlich die Sonne unsere arme Welt zu kosen, und jeder hört uns singen: Brot und Rosen! Brot und Rosen!
Wenn wir zusammen gehen, kämpfen wir auch für den Mann, weil unbemuttert kein Mensch auf die Erde kommen kann.
Und wenn ein Leben mehr ist als nur Arbeit, Schweiß und Bauch, wollen wir mehr: Gebt uns das Brot, doch gebt die Rosen auch.
Wenn wir zusammen gehen, gehen unsere Toten mit.
Ihr unerhörter Schrei nach Brot schreit auch durch unser Lied.
Sie hatten für die Schönheit, Liebe, Kunst, erschöpft, nie Ruh.
Drum kämpfen wir ums Brot und wollen die Rosen dazu.
Wenn wir zusammen gehen, kommt mit uns ein besserer Tag.
Die Frauen, die sich wehren, wehren aller Menschen Plag.
Zu Ende sei: dass kleine Leute schuften für die Großen.
Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen! Brot und Rosen!“
Brot und Rosen ist ein Stichwort, mit dem Frauen immer wieder öffentlich ihren Anteil an gut bezahlter Erwerbsarbeit und ihren Anteil an den schönen Dingen im Leben eingefordert haben und es weiterhin tun werden.
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde in der schweren Depression der Wahlspruch „Arbeit und Brot“ in Deutschland verwendet. Brot war immer Bestandteil politischer Wahlwerbung: „Denket an das Getreidegesetz und Euren Hunger! Keine Stimme den Brotverteuerern!“ So war es im österreichischen Nationalratswahlkampf 1920 auf den Plakaten der Sozialdemokratie zu lesen. Die Christlichsozialen hingegen versprachen besseres Brot in ausreichendem Maße.
„Brotkrawall“ ist nach wie vor ein Synonym für „Hungerkrawall“, für den Aufstand breiter verarmter Schichten, die das Existenzminimum für sich und ihre Familien, das tägliche Brot, nicht mehr erwirtschaften können. So kam es in Haiti, Ägypten, Burkina Faso, Indonesien, Elfenbeinküste, Mauretanien, Moçambique und Senegal, Kamerun, Marokko, Guinea und Guinea-Bissau im April 2008 zu Hunger-Demonstrationen. Der Direktor der UN-Umweltbehörde UNEP, Achim Steiner, rechnete mit einer Verschärfung der Nahrungsmittelkrise. Der Preiszuwachs bei Lebensmitteln auf den Weltmärkten bedrohe die Grundversorgung von Hunderten Millionen Menschen. Das Welternährungsprogramm erwartet weitere Hungerrevolten infolge der weltweit ansteigenden Lebensmittelpreise. Als mögliche Krisenherde werden Somalia, der Sudan, die Demokratische Republik Kongo, Afghanistan, Simbabwe, die Philippinen und Haiti genannt. Dort sei die Bevölkerung besonders stark vom Hunger betroffen. In Nordkorea drohe eine humanitäre Katastrophe.43
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