Kitabı oku: «Die Artuslinde», sayfa 5
Morcant blickte ihn überheblich an. „Sie finden die Spur hundertmal schneller als wir!“
Talivan überlegte eine Weile. Sie würden sicherlich schneller fündig werden, und in Anbetracht des Wetters, welches zusehends schlechter wurde, neigte er zum Nachgeben. „Aber sie bleiben angeleint!“
Morcant lächelte siegesgewiß. „Ich hatte nichts anderes im Sinn!“
Talivan glaubte ihm nicht. Er wendete sich, ohne ein weiteres Wort an Morcant zu verschwenden, seinen Männern zu.
8 Die Jagd
Kaum, daß sie aus dem Tor geritten waren, begann es fürchterlich zu regnen. Nur die dicken Wollumhänge hinderten den Regen daran, bis auf die Haut durchzudringen und sie völlig durchzuweichen. Talivan ritt Lluagor. Raban flog krächzend von seiner Schulter auf, er konnte Regen nicht ausstehen und flog laut schimpfend, denn andererseits liebte er die Aufregung, zurück in die Burg. Talivan mußte über ihn lächeln.
Die Hunde begannen mit ihrem fürchterlichen Gejaule, er bekam eine Gänsehaut. Er haßte dieses Jaulen. Nichts war schlimmer als eine auf Spur geführte Bluthundrotte. Morcant erfreute sich bester Laune, trotz des Wetters. Angewidert stellte Talivan fest, daß er von dem allgemeinen Jagdeifer angestachelt wurde. Hoffentlich verloren die Hunde bei diesem Regen die Witterung nicht zu schnell. Was würden sie vorfinden? Eine alte Druidin? Eine schöne und ebenso böse Zauberin? Er trieb Lluagor in eine schnellere Gangart. In straffer Geschwindigkeit ritten sie auf den Wald zu, die jaulenden Hunde zerrend an den Leinen.
Ich hörte die Hunde erst im Schlaf, doch als mein Traum von den Tieren nicht verschwinden wollte, wachte ich entsetzt auf. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken. Eine Jagd, bei diesem Wetter? War das so üblich? Ich wußte unwillkürlich, daß diese Jagd mir galt. Dieses Mal war ich an der Reihe. Ich dachte nicht länger darüber nach. Hastig warf ich den Rucksack hinunter und kletterte in Windeseile hinterher. Während ich schon losrannte, hängte ich mir den Rucksack um. Verdammt! Ich hatte die Decke oben vergessen! Umzukehren wäre Wahnsinn! Wohin sollte ich denn laufen? Der Bach! Ohne Zweifel, dort könnte ich meine Spur verschwinden lassen. Im Wasser würden die Hunde meinen Geruch nicht mehr verfolgen können. Ach, wäre ich doch nie auf den dummen Gedanken gekommen, ein Messer haben zu wollen. Das hatte ich nun davon. Plötzlich wußte ich nicht mehr in welche Richtung ich laufen mußte, um den Bach zu erreichen. Mein Gedächtnis war wie ausgelöscht, und das, obwohl ich jeden Tag am Bach gewesen war! Dann hörte ich die Hunde lauter werden. Sie waren schon so nah! Viel zu nah...
Talivan und seine Gruppe entdeckten den Baum. Sie fanden das Vorratslager, und entdeckten eine Decke auf einem Ast in der Baumkrone. Ganant kletterte hinauf, um die Decke zu holen, damit sie diese den Hunden vorhalten konnten. Jetzt ging es erst richtig los. Sie nahmen Witterung auf. Ihr Gejaule ging Talivan durch Mark und Bein. Sie zogen an den Leinen. Talivan warf den Hundeführern einen scharfen Blick zu, sie sollten bloß nicht wagen, die Tiere loszulassen.
Zwischen Talivan und Morcant fand ein kurzer Blickkampf statt. Morcant war jedoch klug genug, sein Spiel nicht auf die Spitze zu treiben. Sie jagten den Hunden hinterher.
Da, gerade mußten die Hunde den Baum entdeckt haben. Ich hörte ihr überheiztes Aufjaulen. Lauf um dein Leben, dachte ich bei jedem Schritt. Lauf, lauf, lauf... Diese Worte gaben mir die nötige Gleichmäßigkeit und die Kraft, um weiterzulaufen. Was würde wohl mit mir geschehen, wenn sie mich einfingen? Oder täuschte ich mich doch? Waren sie gar nicht hinter mir her? Und wenn doch? Würden sie sich einen Spaß mit mir machen und mich anschließend um die Ecke bringen? Wie wurde Mundraub in dieser Zeit bestraft? Mit Schrecken erinnerte ich mich an Berichte aus dem Mittelalter von abgehackten Händen und ausgestochenen Augen! Gab es ein Gericht? Oder Vergeltung ohne Gericht? Verdammt, es war egal, wie ich umgebracht wurde, mit oder ohne Gerichtsbeschluss. Ich zitterte, nicht nur, weil mir eiskalt war und das nasse Kleid mir am Körper klebte. Die Angst gewann die Oberhand. Ich merkte, wie kopflos ich wurde, betete, daß alles nur ein böser Traum war und ich gleich in meinem Bett aufwachte. Umsonst! Nichts veränderte sich, außer dem Hundegejaule, das immer lauter wurde. Zweige klatschten mir ins Gesicht, hinterließen Schrammen, zerrissen mein Kleid. Ich blieb hängen, riß mich wieder los, lief weiter, immer nur weiter. Ich fühlte den Schock meine Glieder lähmen. Ich war so unendlich müde. Meine Lungen brannten. Ich fühlte den Tod nach meinem Herzen greifen. Doch mein Körper lief weiter. Egal wohin, nur weg von diesen gräßlich jaulenden Hunden. Wo war denn bloß der Bach geblieben?
Morcant ritt an der Spitze des Zuges. Er empfand die Jagd als überaus angenehmen Zeitvertreib. Talivan ritt dicht hinter ihm. Da ließ Morcant einen Freudenschrei los.
Talivan erblickte sie im selben Augenblick. Er konnte das rote Gewand erkennen. Also war es tatsächlich dieselbe Frau. Er trieb Lluagor an, um an Morcant und Cadoc vorbeizuziehen, denn er wollte auf jeden Fall als erster bei ihr sein.
Ich hörte die Hunde und Reiter jetzt unmittelbar hinter mir. Nur nicht umdrehen! Weiterlaufen! Doch ich hielt es nicht aus. Ich mußte mich umwenden, um zu sehen, wieviel Zeit mir blieb. Standen die Schutzengel mir bei? Ich blickte über die Schulter. Der Schreck fuhr mir in alle Glieder. Mich trennten nur noch höchstens fünfzig Schritte von den Reitern und den erregten Hunden. Neben den ersten Reitern liefen die Hundeführer. Ich erstarrte innerlich. Die Gesichter der beiden Reiter flößten mir bloßes Entsetzen ein. Sie wollten Blut sehen. Mein Blut! Sie wollten ihren grausamen Spaß haben. Für sie war alles nur ein Spiel, es ging ja nicht um ihr Leben. Die beiden wurden von einem anderen Reiter überholt. Der Narbige! Sogar ihm stand der Jagdeifer im Gesicht geschrieben. Anscheinend wollte er derjenige sein, der mich als erster erreichte. Wollte er mich schützen oder Besitzansprüche geltend machen? Ich wandte mich wieder meinem Fluchtweg zu, gerade rechtzeitig, denn ich war im Begriff, in einen an der Wurzel gegabelten Baum hineinzulaufen. Um ihn zu umrunden war es zu spät, ich mußte mich hindurchzwängen. Ich stützte mich mit der linken Hand am Stamm ab, während ich mich durch die v-förmige Lücke zwängte. Ein heftiger Schmerz in meiner Hand ließ mich innehalten und meinen Blick auf sie richten.
Der Schock traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ein Pfeil nagelte meine linke Hand am Baum fest. Das war zuviel! Ich lehnte mich an den Stamm hinter mir, und während mir die Tränen ungehindert über die Wangen liefen, schloß ich die Augenlider. Meine Knie waren butterweich. Jäh erfaßte mich die Wut. Wut über meine Lage, über diese Wilden, die mir dies antaten. Mein Blick flog anklagend zu den Reitern. Welcher von ihnen hatte mich derart verletzt? Etwa der Narbige? Die Hunde kläfften laut und wild. Nein, kein Zweifel, es war der andere, der höhnisch grinsend auf seinem Rappen saß. Er zog spöttisch an der Bogensehne, als spielte er eine Harfenseite ab. Ich mußte mich abwenden. Ich gab mir einen Ruck und sammelte alle Kraft, die ich noch aufbringen konnte. So sollten sie mich nicht niedermachen. Meine rechte Hand legte wie im Rausch den Weg zur linken zurück. Ich mußte den Pfeil brechen, um meine Hand frei zu bekommen.
Plötzlich fühlte ich einen kräftigen, warmen Händedruck auf meiner Schulter. Ich blickte auf, geradewegs in die dunklen Augen des narbigen Ritters. Ich wußte nicht warum, doch in diesem Augenblick fiel alle Angst von mir. Ich empfand unsinnigerweise tiefe Ruhe, hatte mit einem Mal das Gefühl, zu Hause zu sein, mein Ziel erreicht zu haben. Ich konnte es gar nicht in Worte kleiden, was in diesem Augenblick alles in mir ablief, doch es war wunderbar und vollkommen! Wie eine Heimkehr nach langer Suche. Ich hielt seinem Blick, den er unentwegt auf mich richtete, stand.
Talivan sah in ihre Augen, und was er erblickte, konnte er nicht begreifen. Eben noch hatte er die Angst und das bloße Entsetzen auf ihren Zügen gesehen, doch jetzt schienen diese Gefühle wie fortgewischt. Stattdessen entdeckte er einen zufriedenen, ruhigen Ausdruck. Die Angst schien verflogen. Er verlor sich in ihrem Blick, in ihren Augen. Nie zuvor sah er schönere. Er hatte das Gefühl, in einen klaren Moorsee zu sehen, um sich dort selber wiederzufinden.
Morcants dreckiges Lachen holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Talivan zog sein Messer und schnitt den Pfeilschaft ab. Ohne Vorwarnung zog er die Hand vom Baum und somit den Rest des Pfeiles heraus. Er blickte wieder zurück in ihre Augen, sah die Schwäche, die sie überwältigte, als der Schmerz bis zu ihrem Bewußtsein durchdrang. Wie hatte er Jagdeifer empfinden können? Ihre Tränen bekümmerten ihn. Er wollte sie fortwischen, aber dazu hatte er wohl kein Recht. Und wer gab ihm das Recht, sie auf diese Weise einzufangen? Trotzdem war er froh, sie gefunden zu haben. Sein Blick wanderte an ihr herunter und wieder herauf. Ein Wunder, daß sie bis jetzt zurechtgekommen war, in diesem hauchdünnen Kleid. Adna hatte nicht übertrieben. Das nasse, dadurch durchsichtige und zerrissene Gewand klebte eng an ihrem zitternden Körper und entblößte mehr, als es verbarg. Ihre Brust hob und senkte sich von der Anstrengung, und der Stoff des Kleides zwischen ihren Brüsten bewegte sich mit ihrem Herzschlag. Ihre Haare trug sie zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr bis über den Po reichte. Er pfiff, Lluagor kam zu ihm. Für einen Augenblick ließ er ihren Arm los, den er stützend gehalten hatte. Sie würde nicht mehr fortlaufen, dessen konnte er sicher sein. Er suchte aus seiner kleinen Tasche hinter dem Sattel ein Stück Leinen hervor, das er für alle Fälle immer bei sich hatte. Morcant tauchte ungeduldig hinter ihm auf. Talivan mußte verhindern, daß irgendjemand Hand an sie legte. Bevor Morcant oder ein anderer einen Einwand hervorbringen konnte, sagte er laut:
„Sie gehört mir!“ Er wandte sich an Morcant, „wenn Ihr dieser Frau noch ein Haar krümmt, lernt Ihr mich kennen!“ Er wendete sich ihr wieder zu. Sie hielt die verletzte Hand stützend, und um den Schmerz zu lindern, mit der rechten fest. Er wickelte das Leinentuch um die Wunde. Ihre Hand trug, außer leichten Abschürfungen und Rissen, wahrscheinlich vom Klettern, weder Schwielen noch andere Merkmale, die auf schwere Arbeit hindeuteten, fein und wohlgestaltet lag sie in seiner; den Dreck unter ihren Nägeln schob er dem Leben ihm Wald zu. Sie mußte also von hoher Geburt sein. Er ließ die Hand nur ungern los, während er wieder in ihre Augen sah, wo er deutlich die Frage las:
„Was werdet Ihr mit mir tun?“ Es fiel ihm unendlich schwer, sich von ihrem Blick zu lösen. Widerstrebend ließ er sie aus den Augen, nahm den Umhang von seinen Schultern und legte ihn über ihre. Die Geste besiegelte seine Worte und vermittelte ihr hoffentlich, daß er ihr nichts Böses wollte.
Morcant sah geringschätzend zu.
Talivan fing seinen überheblichen Blick auf.
„Ich könnte wetten, daß dieses Weib es nur darauf anlegte, Euch in ihren Bann zu ziehen. Womöglich steckt sie mit Rioc und Mruad unter einer Decke!“
Talivan wurde hellhörig, was hatte Morcant mit den beiden zu tun? „Wieso Rioc und Mruad?“ fragte er scheinbar teilnahmslos.
Morcant wurde eine Spur blaß, hatte sich jedoch sofort wieder in der Gewalt. Nur ein guter Beobachter wie Talivan bemerkte eine Veränderung. Er wechselte einen Blick mit Gavannion. Morcant stieg ärgerlich wieder auf seinen Rappen. Talivan gab seinen Männern das Zeichen, umzukehren.
Bevor Morcant seinen Hengst antrieb, wandte er sich, unterschwellig vor Wut kochend, an Talivan. „Sie gehört mir! Es war mein Pfeil, der sie aufhielt! Das solltet Ihr nicht vergessen. Ich überlasse sie Euch eine Weile, irgendwann, wenn ich den Drang verspüre, werde ich mein Eigentum einfordern!“ Er riß seinen Hengst brutal im Gebiß zerrend herum und sprengte davon. Cadoc und die Hundeführer folgten ihm verstört.
Comgal wagte einen Einwand. „Könnte es nicht wirklich geplant sein? Oder sie ist tatsächlich eine Zauberin!“ Prüfend blickte er die Frau an, entschlossen, seinen Freund und Lehrmeister zu verteidigen.
„Sie ist weder eine Zauberin, noch ein Spitzel! Ich bin mir sicher!“ Beschützend, ein bißchen besitzergreifend, legte Talivan seine Hand stützend unter ihren Ellenbogen.
„Mit Sicherheit ist sie von hoher Geburt. Ich nehme an, daß sie von ihren Begleitern getrennt wurde, womöglich entführt! Habt ihr den Stoff ihres Gewandes bemerkt?“ Wie zur Bestätigung blickte Talivan an ihr herunter. Obwohl von dem Kleid nur wenig zu sehen war, zeigte er auf das kleine Stück, das aus dem Umhang hervorlugte.
„Das ist feinste Ware, solches trägt nur eine edle Dame!“ Allerdings wunderte er sich, daß sie nur noch ihr Untergewand trug. Wo war ihr Überkleid?
Ich versuchte den Umhang vorne zu verschließen. Innen war er warm vom Vorträger, obwohl von außen regennaß. Ich schloß die Augen kurz und genoß das Gefühl, wärmenden Stoff an mir zu fühlen. Über was unterhielten sie sich wohl? Wollten sie mir jetzt mehr und andere Gewalt antun? Ich versuchte anhand der Gebärden und des Tonfalls zu verstehen. Sie schienen sich nicht einig zu sein. Anscheinend waren sie sich nicht sicher, was sie mit mir anstellen sollten. Der narbige Ritter wandte sich mir zu.
Talivan wollte wenigstens versuchen, mit ihr zu reden, vielleicht verstand sie ihn ja doch, und ihre Schwierigkeiten lösten sich von selbst. Er verneigte sich.
„Ich sollte mich erst einmal vorstellen, denn Ihr befindet Euch auf meinem Land. Ich bin Talivan, Sohn der Talhearn, Söhne der Rua. Dies,“ er zeigte auf Gavannion, „ist mein Bruder Gavannion. Der dort,“ er deutete zu Comgal hin, „ist Comgal Sohn des Fernvael. Ich wäre Euch überaus dankbar, wenn Ihr mir nun Euren Namen sagtet!“ Er lächelte aufmunternd.
Ich begriff, daß er sich vorgestellt hatte und anscheinend dasselbe von mir erwartete. Was sollte ich denn sagen? Ich spürte meine Gedanken wirbeln. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob mir meine Stimme gehorchte, nach allem, doch ich wollte es wenigstens versuchen.
„Eh, Helene.“ kam mein Name leise zögerlich über meine Lippen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er es gehört hatte, oder ob ich nur in meiner Einbildung sprach. Eine Woche, ohne mit einem menschlichen Wesen gesprochen zu haben, hatte ihre Spuren hinterlassen. Und mir fiel kein Name ein, den ich hätte anhängen können, um wie eine Adlige Dame zu erscheinen. Der Narbige, wenn ich recht verstanden hatte, Talivan, lächelte als hätte ich ihm eine Kiste voll Gold zum Geschenk gemacht. Die anderen blickten nicht so überzeugt. Da offenbar er hier das Sagen hatte, schien es mir jedoch nicht so wichtig, was diese dachten.
Talivan wartete. Also hatte sie verstanden! „Verehrte Dame, wenn Ihr mir sagtet, wie Ihr in diese mißliche Lage geraten seid und wohin ich eine Nachricht schicken soll!“ Er lächelte sie erwartungsvoll an.
Ich wußte genau, daß er etwas von mir wollte. Bestimmt hatte er mir eine Frage gestellt! Ich schüttelte den Kopf, hoffentlich faßte er dies nicht als Unwillen auf.
„Ich kann dich nicht verstehen! Ich spreche deine Sprache nicht!“ sagte ich bedächtig, überdeutlich und erblickte seine in Falten gelegte Stirn. Offenbar hatte er erwartet, daß ich ihm in seiner Sprache antwortete. Ich bemerkte die mißtrauischen Blicke der beiden anderen. Talivan schüttelte den Kopf, als wollte er unwillkommene Gedanken vertreiben. Er verneigte sich ein zweites Mal vor mir. Dann zeigte er auf seinen massigen braunen Hengst und zog mich am Ellenbogen mit sich. Widerstrebend folgte ich ihm bis zu demHengst. Was erwartete mich wohl als nächstes? Ich überlegte, wie ich, ohne mir zu viele Schmerzen zu bereiten, da oben hinauf käme, denn das erwartete er offensichtlich von mir. Während ich darüber nachsann, spürte ich zwei starke Hände, die mich an meiner Körpermitte griffen und hochhoben, als wäre ich ein Federgewicht. Keinen Augenblick später saß er bereits hinter mir im Sattel und ritt los.
Bis hierhin war es mir gelungen, am Leben zu bleiben, würde mir das Glück weiterhin hold sein? So richtig begriff ich allerdings noch immer nicht, was mir in dieser Zeit widerfuhr, das volle Ausmaß meines seltsamen Erlebnisses. In seinen Umhang gehüllt, saß ich vor ihm im Sattel. Ich versuchte, eine angenehmere Haltung zu finden, denn die Sattelwand drückte bei jedem Schritt, doch der Mann mußte den siebten Sinn haben, denn er zog mich mit seinem rechten Arm weiter auf seinen Oberschenkel, näher an sich heran. Dadurch federten seine Schenkel die Schritte ab. Es war viel besser so, keine Frage, doch diese Lage trug Heikles und äußerst Sinnliches in sich. Ich verkroch mich tiefer in den letzten Winkel des Umhangs, denn ich fühlte mich diesem Mann viel zu nahe. So nah, daß ich ihm noch viel näher sein wollte, was ich mit Verlangen und einem gewissen Entsetzen feststellte.
Ich wußte nichts über ihn, außer daß er viele hundert Jahre älter war als ich, oder war es umgekehrt? Und doch! Das Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Ich genoß den Ritt, den Ritt ins Ungewisse.
9 In der Höhle des Löwen
Talivan hielt die Zügel locker in der Hand. Mir gefiel, wie er seinen Hengst ritt, ohne Zwang. Das Pferd schritt weit aus, wußte, der Weg führte nach Hause. Oder sollte ich mich darin täuschen? Führte uns der Weg woanders hin? Was hatte Talivan mit mir vor? Wollte er mich zu seiner Dirne erklären? Daß er den anderen Besitzansprüche geltend gemacht hatte, soviel hatte ich wohl aus der Gebärde und dem Tonfall verstanden, glaubte ich zumindest. Was er genau plante, blieb im Dunkel. Zu unseren beiden Seiten erschienen die beiden anderen Reiter, Gavannion und Comgal, wenn ich es richtig verstanden hatte. Der Junge, wahrscheinlich der Knappe, ritt anscheinend hinter uns her, wie die anderen Männer. Ich wagte keinen Seitenblick, versuchte meine Gedanken zu zerstreuen. Der unaufdringlich aufsteigende männliche Schweißgeruch meines Begleiters störte mich allerdings dabei. Ich ertappte mich, wie ich den Geruch einsog. Comgal, der uns zur Linken ritt, sprach einige Worte, bei denen sich der Körper Talivans verspannte, sodaß ich seine stahlharten, starken Muskeln überdeutlich wahrnahm. Ich war mir sicher, daß die Worte von einer Frau namens Helene handelten. Warum zum Teufel verstand ich nichts!?
Gavannion mischte sich ein, er ließ eine abfällig klingende Bemerkung fallen. Meinte er mich? Mir wurde schwindelig. So viele Eindrücke, so viel Geschehen! Die Hand schmerzte zunehmend, und die Angst, die ich für kurze Zeit zur Seite geschoben hatte, schnürte mir erneut die Kehle zu. Kam nun der krönende Schluß meiner Reise? Oder begann der Alptraum jetzt richtig? Von den Ereignissen überwältigt, schloß ich die Augen. Eine schwarze Welle erfaßte mich. Ich war einer Ohnmacht nahe, doch ich richtete meine Aufmerksamkeit auf meinen Herzschlag und gewann wieder die Oberhand.
Talivan spürte, wie ihr Körper für einen Augenblick schwer wurde, als würde sie ohnmächtig, doch sie fing sich wieder. Sie war die sonderbarste Frau, die er je gesehen hatte und die begehrenswerteste. Nur durch jenen dünnen Stoff verhüllt, hatte er jeden Umriß ihres Körpers deutlich wahrgenommen. Sie entsprach nicht den gängigen Schönheitsbildern, ungeachtet dessen gefiel sie ihm umso mehr. Ihre Haut war sonnengebräunt, so wie seine. Arbeitete sie doch auf den Feldern? Er mußte hinter ihr Geheimnis kommen, sonst fand er keine Ruhe mehr.
Eine Verräterin war sie nicht und eine Zauberin schon gar nicht. Obwohl ihm das Einfangen weniger brutal lieber gewesen wäre, war er doch froh, sie gefunden zu haben. Es stimmte schon, ungewöhnliches umhüllte sie. Noch während sie durchs Tor ritten, erblickte Talivan die wartenden Menschen, welche neugierig die Frau begutachten wollten. Bei der Treppe sprang er von Lluagor ab und half ihr hinunter. Oben am Eingang entdeckte er Morcant, Brighid den Arm stützend. Das passende Paar! Ihm war jedoch klar, daß weder Brighid für Morcant noch Morcant ernsthaft für Brighid empfänglich war. Brighid suchte Macht und Ansehen, egal, ob der Mann ihren äußerlichen Vorstellungen entsprach oder nicht. Ländereien besaß sie bereits. Falls Morcant eine Ehefrau suchte, lag sein Schwerpunkt ähnlich, allerdings mit deutlicher Betonung auf Macht und reichen Ländereien. Weder an Reichtum noch an Ansehen konnte Morcant es mit ihm aufnehmen. Doch ihm bedeutete das alles gar nichts, das war der Widersinn. Dabei schürte Morcant seinen Neid auf ihn immer wieder. Eines besaß allerdings Morcant, was ihm nicht mehr vergönnt war: das gute Aussehen, abgesehen von einem spöttischen Zug um die Mundwinkel, der mit den Jahren immer stärker wurde.
Das alles war für Brighid allerdings nicht von Bedeutung. Talivan wußte, ihr Augenmerk auf ihn beruhte einzig auf der Tatsache, daß er ein gern gesehener Gast beim König war. Den Namen Talivan nahm am Hofe jeder ernst. Daß diese Begünstigung ihn allerdings seine körperliche Unversehrtheit gekostet hatte, einschließlich der Fähigkeit, einmal Kinder zeugen zu können, brannte jedoch heiß in seiner Brust. Oft genug bemerkte er die angewiderten Blicke, die ihm die Damen, und selbst Brighid, zuwarfen, wenn sie sich von ihm unbeobachtet fühlten.
Er sah trotzdem Eifersucht in Brighids Augen, als er mit E-Helene die Stufen heraufstieg. Talivan wunderte sich darüber, denn sie brauchte gewiß nicht eifersüchtig zu sein. Sie war eine außergewöhnlich schöne Frau und brachte sogar eine gute Mitgift in die Ehe, allerdings war sie schon Mitte zwanzig.
E-Helene ließ sich nur widerstrebend in die Halle führen, doch er setzte seinen Weg unbeirrt fort. Verwundert bemerkte er, wie sie sich umsah, wie jemand, dem dies alles fremd war. Das jedoch erschien ihm unmöglich bei ihrer Bekleidung und den gepflegten Händen. Er schob sie weiter an Brighid und Morcant vorbei in die Burghalle hinein. Brighid schien sie mit Blicken aufzufressen, während Morcant sein wie üblich gleichgültiges, überhebliches Gesicht zeigte.
Krächzend flog Raban auf Talivans Schulter. Der Vogel begrüßte ihn freundlich, knabberte an seinem Ohr. Zärtlich gurgelnde Geräusche drangen aus seiner Kehle, ehe er seinen Blick plötzlich auf E-Helene heftete. Mit einem unerwarteten Satz sprang er auf ihre Schulter. Talivan bemerkte, daß sie zusammenzuckte. Raban wühlte mit seinem Schnabel in ihrem Haar herum. Vorsichtig hob E-Helene die unverletzte Hand und berührte den Raben an der Brust. Raban hielt einen Augenblick inne. Ein genüßliches Gurgeln kam aus des Vogels Kehle, welches sie mit einem weichen Lächeln anerkannte. Talivan konnte es nicht fassen. Noch nie saß dieser Vogel auf einer anderen Schulter als auf seiner. Wagte ihn jemand ungefragt anzufassen, hackte er oder flog schimpfend fort. Talivan tauschte einen Blick mit Gavannion. War das ein Zeichen? Es bestärkte ihn in dem Glauben, das Richtige getan zu haben, als er sich E-Helenes annahm.
Nun war ich in der Höhle des Löwen. Ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Kurzzeitig packte mich die Angst, der Vogel könnte mich doch hacken. Warum sollte er? Im Wald tat er es schon nicht. Ich mußte über die gurgelnden Laute, die aus seiner Kehle drangen, lächeln. Ebenso unerwartet wie er kam, sprang er wieder zurück auf die Schulter Talivans. Ich widmete mich weiter der Halle, auf deren Boden ausgestreute Binsen lagen und Kräuter ihren Duft verteilten. Die Halle schien mir recht groß, Talivan mußte ziemlich angesehen sein, und an Reichtum mangelte es ihm kaum. Gleich zwei große Feuerstellen erwärmten den Raum. Auf Böcke gelegte Bretter dienten als Tafeln, die u-förmig in der Mitte des Raumes standen. Einige Leute saßen bereits beim Essen, die anderen, die uns auf den Stufen erwartet hatten, setzten sich hinzu. Der Mann, der mir den Pfeil durch meine Hand gejagt hatte, ging unangenehm grinsend an mir vorbei. Er führte die wunderschöne Frau am Arm, in der ich die heranstürmende Reiterin wiedererkannte. Ich versuchte weiter auf die Umgebung zu achten. Die Halle wirkte, trotz des Lichtes, das durch die schmalen Fenster fiel, doch recht dunkel. An den Wänden hingen Kandelaber und Fackeln. Einige Fenster waren mit Stoffen oder Pergamenten abgehangen, nur wenige davon waren aufgerollt, um Licht hereinzulassen. Selbst in meiner kühnsten Erfindungsgabe hätte ich dieses lebendige Bild der Vergangenheit nicht entstehen lassen können. Die Mägde, Knechte und im Dienst stehenden Edelknaben liefen wie Wiesel umher, um die adligen Herrschaften zu bedienen. Am Ende der Halle, mir gegenüber, schälten sich gerade einige Leute aus dem Stroh, in dem sie wohl die Nacht verbracht hatten. Ich mutmaßte, daß es sich um die Musiker handelte, denn neben ihnen, an der Wand, standen eine Harfe und zwei Trommeln und in einem offenen Korb lagen Flöten. Neugierig sog ich alles mit meinen Blicken auf, doch unerbittlich drängte mich eine starke Hand weiter durch die Halle, auf eine Treppe zu. Sie mußte zu den anderen Stockwerken führen, oder zu irgendwelchen Kammern. Oder auf Umwegen zum Keller und den Verließen, schoß es mir durch den Kopf! Ein stechender Schmerz durchzog meine Hand. Durch die außergewöhnlichen Eindrücke hatte ich sie eine Zeitlang vergessen, dafür wurde ich ihrer jetzt umso bewußter.
Wir stiegen die Treppe hinauf in einen dunklen Gang hinein, der nur spärlich von wenigen Fackeln erleuchtet wurde. Nach kurzer Zeit erreichten wir eine massive Holztür, die von breiten Metallbändern gehalten wurde. Sollte sich dahinter mein Gefängnis befinden? Griff und Verschluß wirkten denkbar bruchsicher, viel zu sicher. Ich erwartete einen dunklen, kalten, karg eingerichteten Raum. Talivan öffnete die Tür. Zögernd ging ich, geschoben von ihm, in die Kammer und sah, daß ich nur in einem Punkt recht hatte: einzig eine Fackel beleuchtete den Raum, doch er war weder äußerst kalt noch karg eingerichtet. Ein großes Holzbett, das teilweise von dicken Vorhängen verdeckt wurde, hatte seinen Platz mir schräg rechts gegenüber an der Wand. Zwei Holztruhen befanden sich unter jeweils einem Fenster.
Jäh lief mir beim genaueren Betrachten ein Schauer über den Rücken. Eine dieser Truhen hatte ich vor wenigen Tagen gezeichnet. Wie war das möglich? Hatte ich an diesem Tag schon eine Ahnung von meinem Erlebnis? Meine Beine drohten wegzuknicken. Was geschah hier bloß mit mir? Um mich abzulenken, blickte ich mich weiter im Raum um. Ringsherum hingen Wandbehänge. Auch hier bedeckte den Boden eine Schicht Binsen und Kräuter. Im Kamin schwelten die Überreste eines Feuers, ein Schemel stand davor, ein weiterer vor einem verhangenem Fenster. Auf dem Boden vor dem Kamin lag ein dicker, wollener Teppich. Sollte dies in Zukunft - nein,... ich mußte innerlich über den Widersinn meiner Worte lachen - in der Vergangenheit, mein neues Zuhause sein? Mein Blick wanderte gegen meinen Willen wieder zurück zur Truhe, dann wieder zum Bett. Kuschelig warme Decken lagen verwühlt vom Schläfer darauf verteilt. Talivan schob mich zielstrebig darauf zu. Ein ungutes Gefühl kroch mir den Rücken hinauf. Wollte er mich jetzt vergewaltigen? Oder erwartete er, daß ich ihm zu Willen war? Womöglich glaubte er, daß ich ein käufliches Mädchen war? Ich befand mich auf jeden Fall in seiner Kammer.
Bevor ich weiter nachdenken konnte, drückte er mich auf das Bett hinunter. Ich war schon wieder im Begriff aufzustehen, wie eine Sprungfeder, als sich die Tür öffnete und eine Frau mittleren Alters eintrat. Sie trug ihre graubraunen Haare zu einem dicken Zopf geflochten. Ihr Gehabe schien mir entschieden, war sie seine Mutter? Nein, wohl nicht, denn sie trat ihm gegenüber trotz allem eher ehrerbietig auf. Sie wechselten einige Worte, während ihr Blick mich zu durchbohren schien. Entschlossen trat sie schließlich zu mir, griff nach dem Umhang, den ich fest zusammenhielt und öffnete ihn mit sanfter Gewalt. Ohne weiter zu hadern, schnappte sie sich daraufhin meine verletzte Hand.
„Bei allen guten Geistern! Wer hat denn dieses Glanzstück vollbracht? Nein, sagt es mir lieber nicht, ich will es gar nicht wissen!“ Während sie sprach, griff Sodelb nach dem behelfsmäßigen Verband. Urteilssicher begutachtete sie die Wunde und brummelte mißbilligend vor sich hin.
„Der Meisterschütze war Morcant!“ Talivan, der hinter Sodelb stand, trat ein paar Schritte zur Seite, um besser sehen zu können.
„Spricht sie nicht?“
„Bisher hat sie nur ihren Namen gesagt, glaube ich.“
„So? Und wie ist der?“
„E-Helene!“
„Und weiter?“
Talivan zuckte die Schultern wie ein ertappter Schuljunge.
Sodelb warf ihm einen wissenden Blick zu. „Ich kann nicht genug sehen, schafft mir mehr Licht heran!“
Talivan entzündete eine weitere Fackel und steckte sie in die dafür vorgesehene Halterung in der Wand. Sodelb beugte sich tiefer über die Hand.
„Wo bleibt denn Adna schon wieder? Eines Tages wird sie unterwegs einschlafen und eine Treppe hinunterstürzen!“ Ungeduldig blickte Sodelb zur Tür.
Talivan mußte über sie schmunzeln. Er kannte diese Frau seit seiner Geburt und war ihr dankbar, daß sie und ihr Mann ihm auf seine Burg gefolgt waren, besonders da sie eigens zu diesem Zweck sogar seine Eltern verlassen hatten. Er hätte sonst gar nicht gewußt, wie er mit dieser riesigen Burg, dem unnötigen Geschenk von Artus, zurechtgekommen wäre. Sodelb tat zwar immer ungnädig, konnte jedoch keiner Fliege ein Leid zufügen. Sie legte E-Helenes Hand auf deren Schoß ab, tätschelte ihr die Schulter und ging zielstrebig und schimpfend hinaus.
„Um alles muß ich mich selber kümmern,“ grummelte sie, ehe sie sich noch einmal zu ihm umwandte. „Wünscht Ihr ein Bad für die Dame?“
Daran hatte er nicht gedacht. Er nickte. „Das könnte Ihr gut tun, denke ich.“
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