Kitabı oku: «Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts», sayfa 2

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a)Grundsatz: Normative Bedeutungslosigkeit von „Marktmechanismen“ und „Marktzwängen“

b)Ausnahme: Die Förderung von deliktischem Handeln durch marktgängige und normativ grds. unbedenkliche Leistungen – die sog. neutrale Beihilfe

6.Exemplifizierung anhand des Bau- und Arztstrafrechts

a)Grundsätze der Verantwortungsverteilung im Baustrafrecht

aa)Ansätze in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und Ausdifferenzierung durch den modernen Gesetzgeber

bb)Primäre Verantwortlichkeit des Bauherrn

cc)Verantwortlichkeit des Bauunternehmers

dd)Die Verantwortlichkeit des Planverfassers

ee)Die Verantwortlichkeit des Bauleiters

ff)Die Verantwortlichkeit des Arbeiters am Bau

gg)Die Verantwortlichkeit eines eventuell bestellten Sicherheitskoordinators

b)Grundsätze der Verantwortungsverteilung im Medizinstrafrecht

aa)Grundsätze für die Bestimmung strafrechtlicher Verantwortlichkeit bei medizinischem Handeln

bb)Verantwortlichkeit der Krankenhausleitung

cc)Verantwortlichkeit der behandelnden Ärzte – insbesondere das sog. Chefarztprinzip und der Vertrauensgrundsatz

dd)Verantwortlichkeit des medizinischen Hilfspersonals

III.Zentrale Leistungen und Defizite der bisherigen Ansätze

1.Leistungsfähigkeit und Grenzen der traditionellen strafrechtsdogmatischen Figuren

2.Mangelhafte Anknüpfung an die faktischen Handlungsmöglichkeiten der Einzelnen und außerstrafrechtliche Entwicklungen

a)Notwendigkeit ein Gemeinschaftswerk als Einzelwerk zu beurteilen

b)Ungenügende Diskussion der normativen Möglichkeiten einer Erfolgszurechnung und Überdehnung der normativen Möglichkeiten der Handlungszurechnung

c)Abkopplung des Strafrechts von Entwicklungen in den Primärrechtsordnungen

d)Unzulängliche Diskussion des Problems der Erkennbarkeit einer Gefahrenschaffung

IV.Fortentwicklung der gewachsenen Verhaltensnormprogramme zu funktional prozessorientierten Verantwortungsstrukturen

1.Voraussetzungen autonomen Handelns: Freiheit von Zwang, Kenntnis der Umstände der Handlung und Freiheit zur Wahl von Alternativen

2.Normative und rechtsdogmatische Spezifizierung für kollektive Prozesse allgemein

a)Grundlegende normative Erwägungen für die angemessene rechtliche Beurteilung von Handlungen in einem kollektiven Prozess

aa)Gleichbehandlung von kollektivem Handeln in Unternehmen und Märkten; Individualverhalten als Maßstab zur Beurteilung des Kollektivhandelns

bb)Die Modifikation der individuellen Verhaltensnorm bei kollektivem Handeln

(1)Der Einfluss des Koordinationsprozesses auf die Eigenverantwortlichkeit des Handelnden

(2)Einfluss der dezentralen Informationsverteilung auf die Eigenverantwortlichkeit des Handelnden

b)Rechtsdogmatische Folgerungen: Konkretisierung der Verhaltensnormen; Behandlung von Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten; Bedeutung der Unterlassungshaftung

aa)Verhaltensnormen zur wechselseitigen Koordination und Information und daraus folgende spezifische Verhaltensnormen

bb)Bedeutung bei fahrlässiger Deliktsverwirklichung

(1)Eigener Ansatz: Durch Arbeitsteilung modifizierte Verhaltensnorm als Grundlage zur Bestimmung der Sorgfaltspflichtverletzung

(2)Erörterung des eigenen Ansatzes im Spiegel verschiedener bestehender Diskussionsansätze

cc)Konkretisierung für Fälle vorsätzlicher Tatverwirklichung

(1)Grundsätzliche Ablehnung einer mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft in Wirtschaftsunternehmen und bei arbeitsteiligem Handeln

(2)Grundsätzliche Geltung der für das Fahrlässigkeitsdelikt angestellten Erwägungen auch bei vorsätzlichem und täterschaftlichem Handeln – Besonderheiten informaler Organisationsstrukturen

(3)Teilnahmehandeln in arbeitsteiligen Funktionszusammenhängen

dd)Notwendigkeit einer differenzierenden Lösung bei der Kombination vorsätzlicher und fahrlässiger Tatverwirklichung

(1)Generelle Straflosigkeit der fahrlässigen Beihilfe?

(2)Beurteilung nach Lage des Einzelfalls?

(3)Eigener Ansatz: Differenzierung nach der Art des geschaffenen Risikos

ee)Nur ausnahmsweises Eingreifen einer Unterlassungshaftung

(1)Rechtsprechung und andere normative Ansätze in der Lehre

(2)Vorrechtlich-ontologische Abgrenzungsversuche der Lehre

(3)Folgen für die Einordnung arbeitsteiligen Handelns – Exemplifizierung und insbesondere die Beurteilung von Eingriffen in Informationsflüsse

3.Konkretisierung für die individuelle Verantwortlichkeit in Unternehmen

a)Die Leitungsverantwortlichkeit der Unternehmensführung – insbesondere bei Organisations- und Risikoentscheidungen

aa)Leitungsrechte als Grundlage von Leitungsverantwortlichkeit

bb)Leitungsverantwortlichkeit als Organisationsverantwortlichkeit für eine Corporate Compliance – insbesondere das Beispiel von § 25a KWG

cc)Leitungsverantwortlichkeit als Geschäftsführungsveranwortlichkeit – Risikogeschäfte und der „sichere Hafen“ des Geschäftsleiterermessens

dd)Die Bedeutung von Organisationspflichten auf der sekundären Ebene der Strafrechts – Rechtspolitische Bewertung

ee)Gesamtwürdigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Leitungspersonen nach dem dargestellten Konzept

b)Begründung der Verantwortlichkeit des sog. „faktischen Organs“ aus der informalen Organisation eines Unternehmens

aa)Das Konzept des faktischen Organs nach der bislang herrschenden Ansicht

bb)Unterscheidung zwischen formalem und informellem Organ nach dem hier entwickelten Modell

c)Struktur von Managementverantwortlichkeit jenseits der unmittelbaren Unternehmensführung

aa)Grundsätze zur Konkretisierung der Leitungsverantwortlichkeit – insbesondere der Umgang mit fremdgelieferter Information

bb)Verantwortlichkeiten bei Übergriffen in die formale Organisation – insbesondere die Bedeutung rechtswidriger Weisungen

d)Verantwortlichkeit bei operativem Handeln in einem Unternehmen – insbesondere der Verzicht auf die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften

e)Verantwortlichkeiten in Gremien und bei gruppenmäßiger Leistungserbringung

aa)Sachgründe für die Aufgabenerledigung durch eine Gruppe

bb)Steuerung der Handlungsfähigkeit einer Gruppe durch Entscheidungsregeln

cc)Entscheidungsregeln für die Vertretung im rechtlichen Verkehr und bei der Notwendigkeit tatsächlicher Maßnahmen am Beispiel der GmbH

(1)Verantwortlichkeit bei der Vertretung im rechtlichen Verkehr

(2)Verantwortlichkeit im Fall der Notwendigkeit tatsächlicher Maßnahmen – Beschreibung der angemessenen Entscheidungsregel zur Gewährleistung individueller Verantwortlichkeit am Beispiel des Lederspray-Falls (BGHSt 37, 106)

f)Verantwortlichkeit bei der Ausgliederung einzelner Unternehmensteile – insbesondere das sog. Business Process Outsourcing

Teil 3 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

A.Zusammenfassung

I.Gegenstand der Arbeit: Fortentwicklung des Wirtschaftsstrafrechts auf der Grundlage eines analytischen Individualismus

II.Zusammenfassung des Gedankengangs im Einzelnen

B.Fazit und abschließender Perspektivenwechsel

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts

Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › A. Einführung: Wirtschaftsstrafrecht im Übergang?

A. Einführung: Wirtschaftsstrafrecht im Übergang?

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Im Juni 2006 erschien in der Juristenzeitung anlässlich der Mannesmann-Entscheidung des BGH ein kurzer Kommentar von Alwart mit dem Titel „Wirtschaftsstrafrecht im Übergang“[1]. Darin rügt Alwart als Manko des gegenwärtigen Wirtschaftsstrafrechts, dass der Unwertgehalt vieler im weitesten Sinne wirtschaftskrimineller Handlungen noch ungeklärt sei. Es sei notwendig, eine taugliche Richtschnur für ein nach Grund und Grenzen legitimes Wirtschaftsstrafrecht zu gewinnen. Der Blick der Strafrechtswissenschaft wird als verschwommen charakterisiert, ihr Theoriehorizont als zu eng und die bestehende Praxis als zu breit. Im Anschluss formuliert Alwart einen Arbeitsauftrag an die Strafrechtswissenschaft, der einen Übergang von der Verletzung eines Rechtsguts zur Verletzung einer Handlungsregel beinhaltet[2]. Auf der Verletzung solcher noch näher zu identifizierenden Regeln gründe der materielle Verbrechensbegriff des Wirtschaftsstrafrechts.

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Mit diesem kurzen Kommentar hat Alwart treffend wie kaum ein anderer einige wesentliche Defizite des status quo beschrieben, die auch Anlass für die vorliegende Studie waren[3]: Der Begriff „Wirtschaftsstrafrecht“ ist schillernd. Seine Grenzen sind so unklar wie sein Sinn und sein Zweck. Die rechtlichen Verantwortlichkeiten sind oft nur vage geregelt, für den Bürger, der nach klaren Verhaltensnormen verlangt, resultieren daraus erhebliche Belastungen. Der Theoriehorizont ist zumeist auf Einzelsituationen oder singuläre Phänomene begrenzt. Eine Theorie, die den Gesamtkomplex Wirtschaftsstrafrecht in seinem gesellschaftlichen Kontext zu erfassen versucht, wurde bislang nicht entwickelt.

Liegt das daran, dass es dazu eines Strafrechts bedarf, das gänzlich neuen Regeln folgt und zentrale Begriffe bisheriger Strafrechtsdogmatik samt den sie umrankenden Diskussionen über Bord wirft? Das ist Alwarts Idee vom längst fälligen Übergang vom Rechtsgut zur Handlungsregel wohl implizit. Auch für die vorliegende Arbeit war das eine grundlegende Frage. Sie konnte aber, soviel darf vorweggenommen werden, verneint werden.

Im Verlauf der Studie hat sich die überkommene Straftatlehre an verschiedenen Stellen zwar als korrekturbedürftig, aber doch als voraussetzungsvoll genug erwiesen, um auch wirtschaftsstrafrechtlichem Handeln hinreichend klare Konturen vorzugeben. Der Kern der angesprochenen Defizite wurde nicht in einer Insuffizienz der überkommenen Straftatlehre ausgemacht. Es mangelt vielmehr in weiten Strecken an einer hinreichend präzisen Wahrnehmung des Regelungsgegenstandes Wirtschaft und seiner theoretischen Fundierung. Daraus folgen normativ nicht zu erklärende Abweichungen von den Verantwortlichkeits- und Zurechnungsstrukturen, die im Kernstrafrecht unter hohem Aufwand entwickelt wurden und zwischenzeitlich allgemein anerkannt sind. Auch diese Erkenntnis ist freilich nicht neu. Sie bestätigt allerdings eine zentrale These zum Zustand der Geisteswissenschaften im Alterswerk F. A. von Hayeks: „Nirgends ist die schädliche Wirkung der Teilung in Spezialfächer deutlicher als in den beiden ältesten dieser Disziplinen, der Ökonomie und dem Recht“[4].

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Ziel dieser Untersuchung ist es, dieser Trennung für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ein Stück weit entgegen zu wirken. Dies soll dadurch geschehen, dass ein theoretisches Modell für die seitens des Staates mit seinem Gewaltmonopol zu etablierende strafrechtliche Rahmenordnung für die sozialen Interaktionen bei wirtschaftlichem Handeln entwickelt wird. Bei der Konkretisierung dieses Modells soll exemplarisch und stärker im Format leicht zugänglicher Besprechungsaufsätze auf einige derzeit drängende Fragen des Wirtschaftsstrafrechts eingegangen werden. Auf diese Weise kann der Ansatz für verschiedene Referenzbereiche konkretisiert werden. Der Leser kann auf diese einzelnen Erörterungen im zweiten Teil der Studie – etwa zu den Themen des Sponsorings, einer Untreue durch die Verletzung von Buchführungspflichten oder Fragen des Wettbewerbs oder Produktstrafrechts – freilich auch direkt zugreifen. Selbst mit dieser Beschränkung können die Ausführungen an verschiedenen Stellen freilich nur thesenartig in die Richtung weisen, in die das Wirtschaftsstrafrecht nach diesem Ansatz weiter auszuformulieren wäre. Manches hiervon wird in der Zukunft nachzuholen sein.

Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › B. Der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts und der individualistische Ausgangspunkt für ein sachangemessenes Verständnis des Wirtschaftsstrafrechts

B. Der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts und der individualistische Ausgangspunkt für ein sachangemessenes Verständnis des Wirtschaftsstrafrechts

Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › B › I. Der Begriff „Wirtschaftsstrafrecht“

I. Der Begriff „Wirtschaftsstrafrecht“

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Mit dem Begriff „Wirtschaftsstrafrecht“ ist bis heute kein ganz exaktes Vorstellungsbild verbunden. Der Mannesmann-Prozess[5], der Börsencrash im Jahr 2000 und Strafverfahren gegen „Stars“ des Neuen Marktes wie z. B. den Chef der Kinowelt AG Kölmel[6], die milliardenschwere betrügerische Insolvenz der Flowtex[7] oder die Verfahren um vom VW-Konzern gesponserte Lustreisen von Managern und Gewerkschaftsbossen haben zwar das Interesse der Öffentlichkeit für dieses Rechtsgebiet geweckt, aber zu keiner Klärung des Begriffs geführt. Laienhaft herrscht die Vorstellung, das Wirtschaftsstrafrecht sei das Strafrecht massenmedialer Schauprozesse mit höchst verwickelten Sachverhalten und großen rechtlichen Unsicherheiten, die in wechselseitigen Vorwürfen von Verteidigung und Staatsanwaltschaft enden. Rechtswissenschaftlich hängt die Vorstellung vom Wirtschaftsstrafrecht grundlegend davon ab, ob der Begriff Wirtschaftsstrafrecht ein vorwiegend kriminologisches Forschungsfeld bezeichnen, ob er den Anknüpfungspunkt für strafprozessuale Regelungen bilden, oder ob er die Grundlage für eine materielle Straftatsystematik legen soll[8]. Aus soziologischer und kriminologischer Sicht betrifft der Begriff Straftaten, die in dem erwerbswirtschaftlichen Arbeitsumfeld des Täters (corporate crime) begangen werden, die Kriminalität der Mächtigen (white collar crime) oder – entsprechend der Beschreibung der Wirtschaftsstraftat in § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO – Straftaten, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs bzw. auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern[9]. Strafprozessual steht der Begriff für die in § 74c GVG näher ausgeführte Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer für die Aburteilung von Vermögensstraftaten und Delikten des Nebenstrafrechts, soweit zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens notwendig sind. Dem Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit entsprechend konzentriert sich der nachfolgende Aufriss der bislang erarbeiteten Begriffsverständnisse auf die Versuche, das Wirtschaftsstrafrecht materiell und am tatbestandsmäßigen Verhalten orientiert zu beschreiben.

1. Primär rechtstheoretisch orientierte Systematisierungsversuche

a) Der frühe am Schutz der Volkswirtschaft ausgerichtete Systematisierungsversuch von Lindemann

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Einer der frühesten Ansätze zu einer systematischen Gliederung des Wirtschaftsstrafrechts im deutschen Recht stammt aus dem Jahr 1932 von Lindemann[10]: An der Spitze des Wirtschaftsstrafrechts stehen dort in einem ersten Abschnitt Delikte gegen den Geld- und Wertpapierverkehr[11]. Dem schließen sich Delikte gegen das Handelsgesellschafts- und Kartellrecht an, wobei besonders das Kartellrecht im Gegensatz zum heutigen Recht durch die Schaffung bereichsspezifischer Monopole geprägt war[12]. Es folgt der Abschnitt über die Gefährdung des öffentlichen Kredits, die Industriespionage und die Gefährdung der Rohstoff- und Lebensmittelversorgung, bevor die Zusammenstellung mit dem Abschnitt über den Schutz der Arbeitskraft endet.

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Die Detailausführungen von Lindemann stehen in engem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Sondersituation Deutschlands am Ende der Weimarer Republik. Die Idee, einzelne Kartelle zu bilden, um Überproduktionen zu verhindern, scheint heute wirtschaftspolitisch überholt[13]. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und der Wirtschaft mit Rohstoffen wird ebenfalls nicht mehr als Problem gesehen, das zu einem nennenswerten Einsatz des Strafrechts drängt. Delikte gegen den Geldverkehr und die Münzdelikte würden eher als Phänomene der organisierten Kriminalität eingeordnet und weniger als Wirtschaftsstraftaten.

Die genannten Beispiele sind typisch für ein Strafrecht, das den Schutz der (nationalen) Volkswirtschaft in den Vordergrund stellt und das Strafrecht als ultima ratio der Wirtschaftslenkung betrachtet. Geradezu folgerichtig ist es, dass Lindemann Delikte, die dem Schutz des Einzelnen und der Sicherung der Individualwirtschaft dienen, aus dem Wirtschaftsstrafrecht ausschließt[14]. Das Wirtschaftsstrafrecht kann seiner Ansicht nach „nur dann etwas neuartiges und bedeutungsvolles darstellen, wenn wir den Begriff der Wirtschaft im Sinne von Volkswirtschaft oder Gesamtwirtschaft auffassen“[15].

b) Die „Straftaten gegen die Wirtschaft“ im Alternativ-Entwurf zum Wirtschaftsstrafrecht 1977

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Wie das Wirtschaftsstrafrecht in unserer marktwirtschaftlich geprägten Ordnung systematisiert werden könnte, kann man dem 1977 vorgelegten Alternativ-Entwurf zum Wirtschaftsstrafrecht – und neuerdings den Überlegungen zu einem europäisierten Wirtschaftsstrafrecht[16] – entnehmen[17]: In einem gesonderten Abschnitt „Straftaten gegen die Wirtschaft“ werden in sieben Titeln Straftaten gegen den Wettbewerb und die Verbraucher, gegen Wirtschaftsbetriebe, gegen den Zahlungsverkehr und die Kreditwirtschaft, Börsenstraftaten, Konkursstraftaten, sowie Straftaten gegen die kaufmännische Rechnungslegung und gegen die öffentliche Finanzwirtschaft normiert[18]. Um vollständig zu sein, müsste dieser Katalog freilich um einige Sondermaterien erweitert werden. So fehlt etwa der strafrechtliche Schutz gewerblicher Schutzrechte. Man kann sich auch fragen, ob zu den Straftaten gegen die Verbraucher nicht auch das Produkt-, Arzneimittel- und Lebensmittelstrafrecht gehören[19]. Zuletzt könnte man erwägen, neben den Delikten zum Schutz der staatlichen Wirtschaftsförderung auch die Tatbestände des Außenwirtschafts- und Kriegswaffenkontrollrecht als Delikte zum Schutz der staatlichen Wirtschaftsregulierung einzubeziehen[20].

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Mit einer solchen Systematik wäre in der Tat einiges erreicht: Die wesentlichen Straftatbestände des Wirtschaftsstrafrechts wären in einem Block im Strafgesetzbuch zusammengefasst, stünden neben den Tatbeständen des klassischen Kernstrafrechts und würden die Reaktion auf eine öffentliche Meinung dokumentieren, die die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität als eine zunehmend bedeutende Staatsaufgabe betrachtet[21]. Der Gewinn einer solchen Zusammenfassung der Tatbestände war für den Gesetzgeber immerhin Anlass genug, die Straftaten gegen die Umwelt in einen einheitlichen 29. Abschnitt in das Strafgesetzbuch einzustellen[22].

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Die Verfasser des Alternativ-Entwurfs Wirtschaftsstrafrecht weisen in der Vorbemerkung zur Erläuterung des Entwurfs darauf hin, die Tatbestandstechnik sei geprägt von ihrem Verständnis des Wirtschaftsdelikts und der Wirtschaftsstraftat[23]. Das Wirtschaftsdelikt werde dadurch gekennzeichnet, dass es „nicht (nur) gegen Individualinteressen, sondern gegen sozial-überindividuelle Belange des Wirtschaftsgeschehens“ verstoße und/oder „Instrumente des heutigen Wirtschaftslebens“ missbraucht würden[24]. Beispielhaft wird ein „kollektives Vertrauen“ zum Rechtsgut der Bilanzdelikte[25], die „Sicherung der Darbietungsehrlichkeit oder Warenehrlichkeit“ zum Schutzgut vieler Tatbestände des Lebensmittelstrafrechts[26] oder das „Interesse an einer sachgerechten staatlichen Wirtschaftsförderung“ zum Rechtsgut des Subventionsbetrugs[27] gekürt. Bei Otto wird – unter Berufung auf Luhmann[28] – zum Charakteristikum der Wirtschaftsdelikte später allgemein „das Vertrauen in die Wirtschaftsordnung insgesamt oder in einzelne ihrer Institute“ im Sinne eines fiktiven, abstrakten „Systemvertrauens“[29].

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Der Nutzen oder Schaden einer solch großzügigen Annahme überindividueller, kollektiver oder gar vergeistigter Rechtsgüter soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Dazu nur so viel: Wenn wirklich in erster Linie sozial-überindividuelle Belange geschützt werden sollen, fehlt es bis heute an einer grundlegenden und fächerübergreifenden Diskussion der strafrechtlichen Schutzbedürftigkeit dieser Belange[30]. In wirtschaftsstrafrechtlichem Zusammenhang fehlt insbesondere eine Diskussion über die selbstregulierenden Kräfte des Marktes, über die Möglichkeit der Senkung von Transaktionskosten durch den normbestätigenden Einsatz von Strafrecht im weitesten Sinne und über die Art und Qualität sozial-überindividueller Schäden. Möglicherweise würde die entsprechende Diskussion zeigen, dass sozial-überindividuelle Belange gegenüber vereinzelten Angriffen sehr viel resistenter sind, als bislang angenommen. Vielleicht würde sich ergeben, dass sozial-individuelle Belange massenpsychologisch weitgehend durch kollektive Übereinkünfte – etwa dem Konsens einer Gesellschaft über ihre Wirtschaftsordnung und über Verantwortung der Wirtschaftsführer für die Arbeitnehmer und Angestellten in einem Unternehmen – getragen sind. Es könnte sich darüber hinaus zeigen, dass die sozial-individuellen Belange mikroökonomisch vor allem durch bestimmte elementare Voraussetzungen individuellen Wirtschaftens – etwa dem Schutz vor unbilligem Zwang und Ausbeutung – getragen sind. Vielleicht würde eine solche Diskussion auch nachweisen, dass die wesentlichen kollektiven Interessen insgesamt so robust in der Gesellschaft etabliert sind, dass sie gar nicht des Schutzes durch ein riesiges Netz von Strafnormen bedürfen.

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Selbst wenn man ein anderes Ergebnis einer solchen Diskussion unterstellt, muss aber noch auf andere Schwächen des Ansatzes im Alternativ-Entwurf von 1977 hingewiesen werden: Die Systematisierung hält sich an vordergründigen Bezugspunkten wie etwa dem Wirtschaftsbetrieb, dem Wettbewerb, dem Verbraucher, dem Zahlungsverkehr oder dem Konkurs auf. Unter diese Topoi werden Straftaten der unterschiedlichsten Art gefasst. In der Folge werden unter dem zweiten Titel der „Straftaten gegen Wirtschaftsbetriebe“ ganz heterogene Sachverhalte wie Wirtschaftssabotage, der Verrat von Wirtschaftsgeheimnissen, die Verleumdung und die Verletzung von Firmenrechten sowie der Missbrauch gesellschaftsrechtlicher Befugnisse zusammengefasst. In der Begründung des Alternativentwurfs wird selbst eingeräumt, dass die unter diesem Titel aufgeführten Delikte sich nicht trennscharf von den im ersten Titel normierten „Straftaten gegen den Wettbewerb und die Verbraucher“ abgrenzen lassen[31]. Die Straftaten des zweiten Titels richteten sich zwar nur gegen einzelne Wirtschaftsbetriebe, hätten aber Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft oder könnten zumindest solche Auswirkungen haben und seien deshalb zu den Wirtschaftsdelikten zu rechnen[32]. Welche dogmatische Bedeutung das Erfordernis der Störung der Gesamtwirtschaft für die Auslegung des einzelnen Tatbestandes – etwa für die Wirtschaftssabotage in Abgrenzung zur Sachbeschädigung – haben soll, bleibt unklar.

Die faktisch orientierte Systematisierung liegt insgesamt quer zur traditionellen Systematik des Besonderen Teils. So finden sich beispielsweise Täuschungsdelikte in allen Titeln des Abschnitts, während Straftaten zum Schutz der Wettbewerbsordnung und des Vermögens unter einer einheitlichen Überschrift zusammengefasst sind. Von Vorschlägen zu einer Reform des Vermögensstrafrechts insgesamt wird abgesehen, zugleich werden wesentliche Aspekte der überkommenen Vermögensstraftatbestände in neuen Tatbeständen, wie etwa dem Missbrauch gesellschaftsrechtlicher Befugnisse, explizit geregelt[33]. Zentrale Tatbestände zur Ahndung rechtlich missbilligter Verhaltensweisen im Wirtschaftsverkehr – insbesondere die §§ 263, 266 StGB – bleiben auf diese Weise außer Betracht, obwohl es erklärtes Ziel der Verfasser des Alternativ-Entwurfs war, durch Sondertatbestände im Vorfeld des Betruges und der Untreue die Praktikabilität eines künftigen Wirtschaftsstrafrechts zu fördern und die Tatbestände des Betrugs und der Untreue von zweifelhaften Konstruktionen zu entlasten. Ob die Verfasser bei einer Umsetzung ihrer Vorschläge dieses Ziel erreicht hätten, bleibt Spekulation. Es muss aber bezweifelt werden, dass es für den Rechtsanwender einen hinreichenden Gewinn bringt, eine Vielzahl von Delikten aus dem Nebenstrafrecht auszugliedern, den gesetzessystematischen Zusammenhang mit den flankierenden Ordnungswidrigkeiten aufzulösen und ein eigenständiges Wirtschaftsstrafrecht im Vorfeld des klassischen Kernstrafrechts zu normieren[34]. Das Bemühen der Verfasser, die wesentlichen Wirtschaftsdelikte eigenständig zu fassen und die im Nebenstrafrecht übliche Verweisungstechnik zu vermeiden, hätte außerdem unabhängig von der systematischen Umgruppierung der Delikte verfolgt werden können.

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9783811457072
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