Kitabı oku: «Kerker aus Licht und Schatten», sayfa 2

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„Junge, wie hast du das vollbracht? Tausend Dank dafür. Warum tatest du dies für mich?“ Seine Augen waren zwei tiefe Brunnen, die hofften, dass man eine Antwort in sie hinabließe.

„Ich merkte, dass du in Not warst. Da wollte ich helfen.“

Der Mann konnte nichts erwidern und lächelte nur dankbar.

Am Sonntag fand Philipp Zeit, Jeremias zu unterrichten. Mit Kreide schrieb er die ersten fünf Buchstaben des Alphabets auf eine kleine Schiefertafel. „Schreibe sie nach und präge sie dir ein.“

Jeremias’ Finger vibrierten. Unglaublich. Ich lerne wirklich Schreiben. Trotz der Freude fühlte er die Sorge in Philipp, die wie eine hungrige Motte in dessen Inneren umherflog und am Nervengewebe nagte: Nur drei Monate blieben — unmöglich alles in dieser Zeit zu erlernen.

Jeremias probierte die ungewohnten Handbewegungen aus und nach einiger Zeit gelang es ihm, die fünf Buchstaben sauber niederzuschreiben. Es ist gar nicht schwer.

Philipp brummte zufrieden und gab Jeremias fünf weitere Buchstaben zum Lernen, dann tätschelte er Jeremias’ Oberarm und ging schlaff an seine eigene Arbeit. Die Sorgenmotte hatte Junge bekommen.

Eine Woche später zeigte Philipp Jeremias den Rest des Alphabets. Der junge Schüler schrieb die Lettern eifrig. Die Schrift wurde immer sicherer und geschwinder. Philipp spitzte die Lippen.

„Du kannst dich wahrlich noch gut an die Buchstaben vom letzten Mal erinnern. Sprich sie einmal aus.“

Jeremias antwortete sofort. Sofort richtig. Der Niederländer fragte nach weiteren Buchstaben, aber auch hier entgegnete der Schüler korrekt.

„Nun werde ich dir einmal einige Worte zum Lesen geben. Vielleicht kannst du sie aussprechen.“

Es dauerte, aber mit ein wenig Hilfe, las Jeremias die Worte laut vor.

„Gut, du machst das wirklich hervorragend. Ich hätte nicht gedacht, dass du dermaßen schnell lernst.“

Der Junge strahlte.

„Wie würdest du die folgenden Worte schreiben, die ich dir sage?“, fragte Philipp.

Jeremias schrieb so gut er konnte, und mit der Zeit musste Philipp immer weniger berichtigen, da sein Schüler keinen Fehler ein zweites Mal beging.

Den folgenden Sonntag war Philipp auf einer Handelsreise, sodass der Unterricht ausfiel. Zurückgelassen ließ Jeremias seinen Blick durch die winzige Kammer schweifen, die er mit dem Älteren teilte, und erspähte eine kleine Fibel. Kurz darauf hatte er das Büchlein geöffnet vor sich liegen. Die gedruckte Schrift war ungewohnt. Nicht leicht ... aber ja, das muss dieser Satz bedeuten ... und der nächste ... Die Herztrommel ließ seine Brust pulsieren. Er konnte die Augen nicht mehr von dem Text nehmen, den er schneller und schneller durchmaß, bis das Buch zu Ende war. Er begann erneut. Dieses Mal blieb noch viel mehr in seinem Geiste haften. Ein fiebriges Lächeln bemächtigte sich seines Mundes. Er nestelte ziellos an seiner Kleidung herum, da sein Kragen zu eng geworden war. Hatte er tatsächlich soeben dieses Buch gelesen? Er? War dies möglich? Aber er hatte alles vor sich. Er brauchte noch mehr Luft, noch mehr Atem. Seine Zunge war pelzig, aber er vernahm keinerlei Durst. Er legte sich auf sein Lager und betrachtete die holzwurmverzierte Decke. Er lachte und ließ zufrieden seinen Brustkorb herabsinken, während er ausatmete.

Die harte Arbeit während der Woche fiel ihm nun noch leichter, da er sich auf den Sonntag freute.

Am nächsten Sonntag holte Philipp stolz die Fibel hervor: „Das habe ich für dich vor einigen Tagen erstanden. Mal sehen, ob wir zusammen die erste Seite schaffen.“

„Das sollte kein Problem sein. Auf der ersten Seite steht Folgendes ... “

Er fing an zu rezitieren. Philipps Gelassenheit zerbröckelte, als er gewahr wurde, dass Jeremias Wort für Wort alles aufsagte, was in der Fibel stand. Jedwede Bewegung war aus der Mimik des Niederländers gewichen. Er war nicht fähig, den unteren Kiefer nach oben zu ziehen.

Jeremias hörte auf, strich verlegen über seine Stirn. „Es tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe. Aber ich habe das Buch schon gelesen, als du fort warst.“ Er trat von einem Fuß auf den anderen.

Endlich fasste sich Philipp. „Du hast das ganze Buch gelesen? Das ... das kann nicht sein. Wie hast du ... ?“

Doch Jeremias zuckte nur mit seinen Achseln. „Ich weiß es nicht, aber bitte gib mir mehr zu lernen. Es ist noch viel Zeit. Wir werden Brückfelds zeigen, dass Verstand nichts mit Reichtum zu tun hat.“

Philipp schluckte einige Male. Er hatte so etwas noch nie erlebt. Schließlich fuhr er mit dem Unterricht fort: Zahlen, Rechnen … die Grundlagen der Mathematik. — Jeremias meisterte es mühelos. Er verband, zerstückelte und verwob immer größere Beträge. Landkarten, Städte, Flüsse, Namen von Händlern — Jeremias schrieb das Gelernte aus dem Gedächtnis nieder.

Die Sonne hatte ihren höchsten Stand an diesem Tag erreicht. Noch immer umströmte Philipp Jeremias mit Wissen, doch der Junge fasste die Massen nicht nur, sondern sog mehr und mehr aus seinem Lehrer hervor. Eine heiße Begeisterung loderte zwischen ihnen, versengte den Sorgenmotten die Flügel und trieb beide voran.

„Kannst du mir deine Sprache beibringen? Ich möchte wissen, wie man in Amsterdam spricht“, bat Jeremias.

Die niederländischen Worte tanzten wie bunte Mosaiksteine durch seinen Geist; fügten sich erst langsam, kurz darauf immer flinker und schließlich rasend schnell zu wachsenden Teilen zusammen, bis sich das gesamte Bild vor Jeremias auftat.

Die Sonne stand nun dicht über dem Horizont. Doch noch länger als die Schatten draußen, waren Geduld und Eifer der beiden in der Kammer, wo sich ein Lernsturm entfaltet hatte.

„Beherrschst du auch Französisch?“

„Äh, ja ... aber willst du dies auch noch ... ? Ich meine, du hast heute schon so viel gelernt und ... “ Philipp keuchte.

„Wir haben noch den gesamten Abend“, sagte Jeremias. „Aber trink’ etwas. Deine Stimme ist bereits rau geworden.“ Er lachte.

Mit dem letzten Tageslicht flogen sie weiter voran. Jeremias’ Zunge musste sich mit den weichen Worten anfreunden, die ihm bald elegant über die Lippen sprudelten. Eine kleine Kerze war Zeuge, wie Jeremias und Philipp, der nur noch durch die Begeisterung seines Schülers wach gehalten wurde, auf Französisch parlierten. Schließlich jedoch ging Philipp erschöpft ins Bett.

Jeremias war indes noch nicht müde; er hätte die ganze Nacht hindurch lernen können. Noch immer hörte er die Brandung des Wissens, sah die angewachsene Welt um sich herum wie von einem hohen Berg herab.

Es dauerte noch fast einen Monat, bis Philipp es wagte, um eine Audienz bei Meister Brückfeld zu bitten.

Brückfeld saß grinsend zusammen mit Lösser als Examinator vor Jeremias und Philipp, die stehen mussten.

Der Oberbuchhalter eröffnete die Prüfung: „Vor dir liegen Korrespondenzen und Rechnungen aus dem Kontor. Du hast Zeit, bis die Sanduhr abgelaufen ist, alles zu studieren, die Rechnungen zu überprüfen und uns das Gelesene in deinen Worten zusammenzufassen. Trödele nicht herum.“ Mit diesen Worten wendete er die Sanduhr.

Jeremias vermeinte, ein spöttisches Rieseln zu hören. Er hob einen dünnen Dokumentenstapel auf, verbeugte sich und wollte gerade ansetzen, als ihn der Meister unterbrach.

„Halt, es fehlt noch etwas. Judith, komm’ bitte herein, mein kleiner Liebling.“

Die Privattür der Brückfelds öffnete sich und Judith kam mit Louise herein. Sie hatte eine Holzflöte bei sich.

Lachen blubberte aus Brückfelds Lippenwulsten: „Mein Töchterchen hat ein neues Stück zusammen mit Louise, die eine wunderbare Stimme besitzt, eingeübt. Ich beschloss, dies mit euch zu teilen. Bitte beginnt.“

Judith hob ihr Instrument zum Mund und kurz darauf durchstachen schnelle Flötentöne den Raum. Als auch noch die Zofe einstimmte, war die Luft derart durchtränkt von Musik, dass Jeremias das Atmen schwerfiel.

Philipp räusperte sich. „Mit Verlaub, Meister Brückfeld. Ist dies denn unbedingt notwendig, wenn Jeremias nun etwas Ruhe benötigt, um ... ?“

„Sicher ist es vonnöten. Bei einer Messe ist es auch nicht klosterstill. Er muss zeigen, dass er dem Handwerk eines Kaufmannes auch in dieser Lage gewachsen ist. Er sollte lieber anfangen. Der Sand wartet nicht auf ihn.“

Jeremias vertiefte sich in das Geschriebene, kämpfte darum, die Arme unter den Pulshieben ruhig zu halten. Die Schrift war verschnörkelt und an vielen Stellen undeutlich. Er musste einige Zeilen mehrmals wiederholen. Die Musik zwickte seine Augen, verwischte alles vor ihm. Was bedeutet dieses Wort? Noch nie gehört. Ist kein Deutsch. Jene Zahl war verschmiert. Eine Acht? Das Ergebnis stimmte nicht. Hatte er sich verrechnet oder der Urheber des Schreibens? Er musste es noch einmal nachprüfen. Das nächste Dokument. Hier war die Schrift noch schlimmer. Einige Passagen vermochte er nur zu erahnen. Was war die Botschaft? Die Flöte schnitt in sein Gehirn und der Gesang klatschte an seine Wangen. Das Kichern des Sandes blieb vernehmbar. Bald war bereits die Hälfte der Zeit abgelaufen, doch der größte Teil der Papiere war noch ungelesen. Die nächste Korrespondenz: die Zahlen schienen zu stimmen, Aussage klar; weiterer Bogen, mürbes Papier, Tinte nass geworden und ausgewaschen; ein Stapel war verschnürt, Knoten gemein, Blätter ungeordnet. Kalte Fäden flossen Jeremias Rücken hinunter. Da zerschlug die Flöte seine Konzentration und er zuckte zusammen. Judith war bei ihm und pfiff direkt in seine Ohren. Sie tanzte wie ein Irrwisch und wirbelte gar einige Seiten auf. Dieses verdammte Biest. Das bereitet ihr wohl Freude. Allein mit ihr würde ich diese vermaledeite Flöte über dem Knie zerbrechen und vor ihr im Kamin verheizen. Es nützte nichts, er musste sich sammeln. Weiter, weiter, nicht auf das Sandflüstern hören, nächstes Dokument, Schrift besser, Rechenfehler auf der vierten Seite, merken. Wo kam der zweite Teilhaber her? Erklärung in der Folgekorrespondenz suchen. Der Sand feixte bereits. Wie viele Blätter waren es noch? Dieses Blatt hier kenne ich. Ist es eine Abschrift des vierten? Ja, es gleicht ihm. Nein! Hier ist noch eine zusätzliche Notiz. Oh mein Gott, dies ändert alles. Ich muss noch einmal zurück ...

Die Musik verstummte und lautes Klatschen erscholl.

„Das war fabulös, meine kleine Dütschess“, johlte Brückfeld. „Ausgezeichnet. Hier klingt es noch besser als in deinem Gemach.“ Er streichelte seine Tochter und küsste sie.

Der stille Sand grinste Jeremias an. Die Zeit war um.

Herr Lösser kratzte sich die faltige Stirn. „Dann wollen wir doch einmal sehen, was der Knabe uns zu erzählen hat. Zeige er uns, ob im Kontor richtig gerechnet wurde.“

Jeremias benötigte einige Zeit, um die Seiten aufzulesen. Er trat vor. Wie passte diese Notiz zu dem Gesamten? Diese kleine unauffällige Randbemerkung. Fünf Augenpaare tasteten ihn ab — nur eines war ihm wohlgesonnen.

„Es handelt sich um die Korrespondenz mit Kaufleuten aus Nürnberg und Lübeck. Wir haben ... “

„Sage er uns doch, wie man nach Nürnberg und Lübeck reist. Welche Städte, Gebirge und Flüsse passiert man?“

Jeremias sagte alles auf.

„Welche Nebenflüsse haben Rhein und Donau?“, fragte Lösser. „Welche sind schiffbar? Was sind unsere wichtigsten Handelspartner in den Regionen? Welche Waren führen sie?“

Jeremias gab sich keine Blöße.

Herr Lössers Miene quetschte sich zusammen. Seine dürren Finger deuteten fordernd auf die Dokumente.

„Jetzt soll er uns einmal aufrechnen, ob alles stimmt. Ein Kaufmann muss vor allem rechnen können.“

Jeremias suchte die Seiten, auf denen ein Rechenfehler war. Was bedeutet nur diese Randbemerkung im letzten Schreiben? Er war so dicht davor. „An dieser Stelle ist mir aufgefallen, dass der fünfte Betrag nicht mitgerechnet wurde. Wir haben den Nürnbergern einen halben Gulden zu wenig entrichtet.“

Der Buchhalter stockte. Vielleicht hätte er sich zu einem lobenden Nicken herabgelassen, aber Meister Brückfeld blaffte los: „Was willst du werden, Junge, Erbsenzähler? Ein halber Gulden, lächerlich. Außerdem haben wir den auf unserer Habenseite. Ein Händler weiß dies einzuschätzen. Was kümmert uns das? Du hast nur unsere Zeit vertrödelt.“ Er warf den Kopf in den Specknacken und lachte los.

Philipp wollte einen Schritt nach vorne machen, doch der Meister machte eine flapsige Handbewegung. „Geh’ zurück in deine Gosse und ernähre dich von dem, was Leute wie ich dir zuwerfen.“

Jeremias’ Hals war geschwollen. Jeder Sprung des Adamsapfels schmerzte. Das sollte es wirklich gewesen sein? Alles vorbei? Er blickte Judith nicht an. Er ertrug es nicht. Schleppend wandte er sich ab ... da war es! Die Randnotiz! Er wusste es. „Wenn Ihr erlaubt, Meister Brückfeld, so wäre es mir eine Freude Euch zu zeigen, wo Euer Haus Anderthalbtausend Gulden jedes Jahr bei den Lübeckern liegen lässt.“

Lösser schniefte abwertend. „Das hätte ich doch wohl gesehen. Eine solche Summe geht nicht einfach verloren.“

Jeremias entfaltete das Papier mit der Randbemerkung. „Es ist Euch wahrscheinlich nicht aufgefallen, weil Ihr nur das Duplikat ohne diese Notiz in Augenschein nahmt.“

Brückfeld verzog das Gesicht. „Was soll dies für eine Notiz sein?“

„Sie besagt, dass die Hanse in Lübeck uns gewisse zugesicherte Leistungen noch nicht erbringen konnte, da sie nicht genügend Schiffe und Lagerplatz dafür hat.“

„Schön! Und was soll das ändern?“

„Dies führt dazu, dass die Miete, die Ihr bezahlt, zu hoch angesetzt ist. Ebenso ging Euch eine Kaution über all die Jahre verloren, die Ihr nicht gewinnbringend einsetzen konntet. Der Schaden beläuft sich über die letzten fünf Jahre hinweg auf fast achttausend Gulden.“

„Das kann nicht sein. Was für ein Unsinn! Lösser, zeigt diesem Gernegroß, dass er nur spinnt.“

Der Buchhalter rechnete, wendete Seite um Seite, machte sich Notizen. Zögerte … Ein blitzender Schweißtropfen rollte seine Glatze hinab.

„Lösser, nun sagt doch endlich, dass alles richtig ist.“

Doch der andere atmete einige Sekunden aus, nahm seine Augengläser von der Nase und legte sie auf den Tisch.

„Meister ... ich ... ich fürchte, der Junge hat recht. Die Lübecker haben uns nicht darauf hingewiesen, dass wir ihnen zu viel zahlen. Es handelt sich um eine hohe Summe.“

Die Lübecker wussten dies eben einzuordnen.

Brückfelds Mund arbeitete, doch Lösser nickte energisch. „Ich rate dazu, diesen Knaben einzustellen. Er lernt schnell und scheint unser Gewerbe zu erfassen.“

Brückfelds Pranken klatschten auf den Tisch. „Gut, so sei es. Stellt ihn auf Probe ein. Salär wie gewohnt. Aber wehe, mir kommen Klagen zu Ohren.“

Jeremias verneigte sich und sah zu Judith. Sie begegnete seinem Blick. Jeremias erkannte ihren Ausdruck; es war der Ausdruck, den Frauen häufig zur Schau stellten, Frauen, die auf einem Markt prüften, ob eine Frucht bereits reif war.

Kapitel 3: Das Schoßlos

April 1494. Die Welt hatte sich verändert. Die Herrscher von Kastilien und Aragon hatten ihre Ländereien zu einem spanischen Königreich der Christen vereint. Spanische Schiffe waren es auch gewesen, die die Neue Welt im Westen entdeckt hatten. Ein Weltreich war entstanden.

„Dies war wahrlich einer der besten Tage, die ich jemals in meiner Karriere genießen konnte.“ Philipp atmete tief ein, als wollte er die Luft dieses prächtigen Frühlingstages auf ewig in seinen Lungen bannen. Er schmunzelte dem hoch aufgewachsenen jungen Mann wohlwollend zu, der neben ihm ritt. Sie hatten soeben ihre Handelspartner nach der Ostermesse noch etwas auf deren Heimweg begleitet und gerade verabschiedet.

Jeremias löste das Lederband von seinem glänzenden Haar, das bis zu seinen Hüften floss. Seine lächelnden Zähne blendeten nahezu. „Ja, du hast recht. Wir haben eine schöne Menge Geld eingenommen. Unsere Freunde aus Hamburg waren derart zuvorkommend, dass sie uns ihre Waren beinahe schenkten. Wenn wir diese an die Augsburger verkaufen, bist du erneut der erfolgreichste Kaufmann in Brückfelds Diensten bei der Ostermesse. Eine Prämie wartet.“

„Das ist wahr, aber ein guter Teil davon steht dir zu. Ohne dich wäre ich während der letzten sieben Jahre nicht dermaßen erfolgreich gewesen.“

Jeremias legte verlegen den Kopf leicht schräg. „Hab Dank, aber du wirst die Prämie selber brauchen für die Mitgift deiner jüngsten Tochter. Nun hast du auch sie als letzte in eine wohlhabende Bürgerfamilie verheiratet.“

„Ja, endlich ist es vollbracht.“

„Alle haben gute Partien gemacht. Die erste Enkeltochter hast du bereits. Deine Gattin wäre stolz gewesen.“

Nun war Philipp verlegen. Seine Mundwinkel zuckten hilflos, als er über seine Augen wischte.

„Schade, dass du ohne Sohn bist, der etwas einbringt“, sagte Jeremias. „Es ist teuer für den Brautvater.“

„Wer sagt denn, dass mir mein Sohn nichts einbringt?“

Lange betrachtete Philipp Jeremias, der erst nicht verstand. Verschämt musste der Jüngere lächeln. Einige Minuten ritten beide wortlos nebeneinander her.

Schließlich fragte Philipp: „Woher wusstest du, dass die Hamburger nur in der einen Kiste Tuche von erster Güte hatten, und in den übrigen bloß bis zur dritten Lage? Sie hatten uns alles als beste Qualität angeboten.“

„Die beiden Söhne des alten Händlers, die mit uns verhandelten, waren eine Spur zu zuvorkommend.“

„Aber sie wussten nicht, dass ihr Vater die schlechteren Tuche hinzugepackt hatte. Sie waren beide aufrichtig überrascht, ja geradezu erbost, als sie es bemerkten.“

„Dann war es wohl doch ihr alter Herr“, sagte Jeremias. „Er wippte etwas nervös von Bein zu Bein.“

„Er saß die ganze Zeit über.“

„Die Augen waren unruhig, mit denen er uns beobachtete.“

„Er hatte den Hut dermaßen tief herabgezogen, dass man seine Augen nicht sehen konnte.“

Jeremias unterdrückte ein Grinsen. „Wahrscheinlich waren es seine Hände, die er nicht stillhalten konnte.“

Philipp schüttelte den Kopf. „Nein. Er bewegte sich die ganze Zeit über nicht. Dazu war er zu erfahren.“

„Was kann es wohl sonst gewesen sein? Ich weiß es nicht.“ Jeremias übertrieb seine gespielte Ratlosigkeit dermaßen, dass Philipp leise knurrte und seine Brauen zusammenzog. Dies brachte den Jüngling vollends zum Lachen.

„Du benutztest deine Gabe“, sagte Philipp. „Sagst du nicht stets, dass du sie nur in seltenen Fällen einsetzen willst, weil sie anderen Angst bereitet?“

„Gewiss, aber es war nur eine zarte Prise, ein Zwinkern.“

„Aber es reichte, um ihn alles zugeben zu lassen und uns einen gewaltigen Rabatt zu bescheren.“

„Er fürchtete eben um seinen guten Ruf. Wir sagten zu, dies alles als unglückliches Missverständnis zu behandeln. Es hätte ihn ruiniert, wenn es sich herumgesprochen hätte.“

„Dies ist ihm aber erst durch deine ... sagen wir, Mithilfe bewusst geworden, nicht?“

Jeremias wedelte leicht mit der Hand. „Dies war nur ein winziger Fingerzeig, der ihn zurück auf den tugendhaften Pfad brachte.“

Philipp schürzte die Lippen. „Rührend, wie du sein Seelenheil sicherst.“

Jeremias versteckte seinen Mund hinter einer Hand.

Nach einer Weile beäugte Philipp Jeremias’ nackte Füße, welche dieser vor sich auf den Pferderücken gelegt hatte. „Gefallen dir deine neuen Schuhe nicht, die ich vor ein paar Wochen wegen der Messe für dich anfertigen ließ?“ Seine Stimme war ernst geworden und enthielt einen vorwurfsvollen Unterton.

Jeremias wackelte mit den Zehen und schaute nicht auf; er wusste bereits, was nun kam. Mit vorgetäuschter Ahnungslosigkeit antwortete er: „Doch, sehr. Vielen Dank dafür. Sie haben mir gute Dienste geleistet. Aber ich wollte sie schonen und deshalb habe ich sie lieber in einen Leinensack gepackt.“

Philipps Miene prasselte wie kalter Regen an seine Wange. „Es ist vielleicht unüblich, aber noch duldbar, dass du fortwährend ohne Sattel reitest“, sagte Philipp, „aber an ordentlicher Kleidung solltest du es niemals mangeln lassen. Wir haben einen Stand zu wahren. Wohl kleiden wir uns nicht derart edel und farbenprächtig wie Adlige, aber stets müssen wir Solidität zum Ausdruck bringen. Da ist nichts zweckmäßiger, als gute Kleider.“

Jeremias wetzte seine Zunge an den Backenzähnen. Solidität war Philipps Lieblingswort, aber Jeremias mochte es nicht sonderlich — behäbig und langweilig war es. Eine Schildkröte konnte stolz behaupten solide zu sein, aber er hatte anderes im Sinn. Er wandte sich nun Philipp zu: „Du hast gewiss recht und ich werde meine Schuhe und mein gutes Hemd und auch meine besten Hosen wieder anziehen, kurz bevor wir in die Stadt zurückkommen. Solange wir mit Händlern zu tun haben, trage ich sie doch stets.“

„Du musst sie ständig tragen, weil du auf das Unerwartete gefasst sein musst. Vor zwei Monaten war Herr Lössers Ausdruck nicht gerade wohlwollend, als du barfuß in der Gesindeküche warst und deine Geschichten erzähltest. Das hat keinen soliden Eindruck hinterlassen. Doch dieser ist in unserem Gewerbe unabdingbar. Jeder Moment zählt.“

„Ich kann es nicht fassen. Für dich und die anderen Kaufleute ist die Aufmachung eines Menschen alles, danach urteilt ihr. Bevor du einen schlecht gekleideten Kollegen an deinen Tisch ließest, nähmest du gewiss lieber vorlieb mit einem in Hermelin gewandeten Esel.“

„Jeremias!“ Philipps Gesicht leuchtete purpurn. „So ist nun einmal die Welt. Ich habe sie nicht gemacht.“

Jeremias verdrehte die Augen. „Wenn sie mich wie einen Bettler bezahlen, kleide ich mich auch wie ein solcher. In den ganzen Jahren haben sie meine Bezahlung nicht einmal erhöht. Ich bin längst volljährig und verdiene noch dasselbe wie ein Lehrjunge. Wovon soll ich mir teure Kleidung leisten? Wenn du mich nicht unterstütztest, trüge ich noch die Hosen aus dem Waisenhaus. Ich kann mir keine eigene Kammer leisten und schlafe neben dir, weil die Miete, die Brückfeld verlangt, derart hoch ist.“

Philipp seufzte. „Ja, ich weiß. Es ist nicht richtig. Aber sei versichert, dass sich schon alles fügen wird. Manches braucht vielleicht ein wenig länger.“

Jeremias setzte sich nun aufrecht hin und stemmte eine Hand in die Seite. „Etwas länger? Ich bin nun sieben Jahre in Brückfelds Diensten und nicht einmal ... “

Philipp hob abwehrend die Hand. „Ich werde mit dem Meister sprechen, wenn wir unsere Handelsabkommen darlegen müssen. Da wird er gewiss guter Dinge sein. Ich werde mich dafür einsetzen, dass du gemäß deiner Verdienste entlohnt wirst. Jetzt beruhige dich.“

Jeremias brummte noch einmal, aber er entspannte sich allmählich. Er mochte es eben, den warmen Pferdekörper unter sich an seiner Haut zu spüren, das Fell zwischen seinen Zehen. Er hätte nicht einmal Zügel benötigt. Sein Pferd wusste stets, wohin er wollte, so wie er fühlte, was das Tier bedurfte. Warum sollte er bei dem Vierbeiner nicht vollbringen, was er bei einem Menschen vermochte?

Zur Mittagszeit kamen die beiden in der Stadt an. Jeremias hatte Hunger und so lief er sogleich zur Gesindeküche, wo ihn die Köchin herzlich begrüßte.

„Jeremias, mein Junge. Schön dich zu sehen. Komm, setz dich. Ich gebe dir eine gute Kelle Suppe. Vielleicht kannst du uns ja eine Geschichte erzählen.“

Bei den kauenden Mägden und Knechten ging Begeisterung reihum. „Ja, eine Geschichte! Erzähle von deinen Reisen!“

Langsam begann Jeremias mit seiner Erzählung. Alle schauten zu ihm hin, einige vergaßen gar zu kauen. Die Art, mit der er sprach, schuf lebendige Bilder vor den anderen. Er spielte auf seinem Publikum wie auf einem Instrument: Zupfte er eine bestimmte Saite, schrien drei Mägde auf, eine andere Saite und die Männer lachten, schlug er sie zusammen an, ertönte ein Raunen. Er liebte dieses Gefühl, wenn er zum Höhepunkt einer Geschichte fortschritt, doch dieses Mal unterbrach ihn ein Kollege.

„Jeremias, wir brauchen dich dringend im Kontor. Herr Lösser will geschwind die Einkünfte der Ostermesse wissen. Wir schaffen es nicht allein.“

Der junge Eindringling bemerkte in seiner Sorge nicht die enttäuschten Augenpaare, die sich verärgert auf ihn richteten. Jeremias betrachtete sehnsüchtig die Suppe, die er noch immer nicht angetastet hatte.

In der Rechenstube angekommen ließ er sich alle Belege geben und begann die Gesamtabrechnung aufzusetzen. Er wusste, wo welche Preislisten, wie die Währungen nach dem gegenwärtigen Stand ineinander umzurechnen und wie die Wechsel einzulösen waren. Seinen Arbeitskameraden gab er schnell genaue Anweisungen. Kaum war die Aufstellung vollendet, wurde Jeremias in die Versammlungshalle gerufen. Er sehnte sich nach einer Suppe.

Zusammen mit Philipp und den zahlreichen übrigen Untergebenen, die für Meister Brückfeld auf der Messe gearbeitet hatten, stand der Jüngling vor dem Prunksitz des Dienstherrn. Während der vergangenen Jahre hatte sich der Großkaufmann gewissenhaft gemästet, sodass sein Fleischgelee bereits um die Armlehnen herum quoll. Von einem Teller neben sich nahm er mit der Hand gebratene Geflügelteile, nagte das Fleisch von den Knochen und ließ es in seinem Schlund verschwinden. Die Reste warf er den beiden Hunden zu seinen Füßen hin. Buchhalter Lösser stand nur wenige Fuß von seinem Herrn entfernt.

Brückfeld fragte Lösser soeben: „Hat der Schmittler mehr verdient als bei der Herbstmesse? Hat er seine Vorgaben erfüllt?“

„Nein, Meister.“

Brückfelds beringte Penisse kratzen über sein öliges Backenfett. „Man kürze ihm den Lohn um dieselben Prozentpunkte, die er nicht erbracht hat. Weiterhin keine Prämien für ihn in diesem Jahr. Der Nächste.“

Schmittler war kurz davor zu zerbrechen. Mit steifen Gliedern kehrte er in die Reihen der anderen zurück.

Diese Prozedur erfolgte während der folgenden zwei Stunden, bis die Reihe an Philipp und Jeremias war. Der Niederländer begann mit seinen geordneten Ausführungen. Lösser hielt die Bilanz vor sich und nickte stumm.

„Und, Lösser? Hat mich wenigstens unser Jansen nicht enttäuscht?“ fragte Brückfeld.

„Meister, Herr Jansen konnte seine Gewinne beinahe verdoppeln. Er ist Euer erfolgreichster Händler.“

„Tüchtig, tüchtig. So etwas hat man gern.“

Philipp ließ ein vorsichtiges Hüsteln erklingen und verbeugte sich verspannt. „Wenn Ihr erlaubt, Meister Brückfeld. Dürfte ich das Wort an Euch richten?“

„Es sei ihm gewährt.“

„Nun ... ähm ... ich möchte mich aufrichtig für Euer Wohlwollen und Eure Anerkennung erkenntlich zeigen. Wie Ihr Euch gewiss noch erinnern könnt, ist es nur Eurer Großzügigkeit vor einigen Jahren zu verdanken, dass ich den heutigen Erfolg erleben durfte.“

„Dies nehme ich gern entgegen. Was weiter?“

Philipp zupfte an seiner plötzlich zu engen Kleidung.

„Auch Eurer Generosität war es geschuldet, dass mein teurer Begleiter Jeremias Aufnahme in Euer Haus fand. Ich möchte sagen, dass er sich in den vergangenen Jahren weitaus mehr als nur bewährte. Er ist mir unentbehrlich bei meiner täglichen Arbeit geworden.“

„Gut zu hören. Dann zahlt er sich demnach langsam aus.“

Jeremias’ Finger pressten sich taub in seiner Faust. Seine Kiefermuskeln schmerzten bereits, doch er hielt seinen Blick zu Boden gerichtet.

Philipp nahm einen tiefen Atemzug. „Meister Brückfeld, wie Ihr seht, hat sich mein junger Schützling in den letzten Jahren vorzüglich entwickelt. Und ich ... nun ja, ich denke ... dass er sich wahrlich verdient machte. Hieltet Ihr es nicht auch für angebracht, ihm den nächsten Schritt zu ermöglichen?“

Der Fettkoloss hielt inne. Seine Augen pressten sich zusammen, doch er kaute ruhig an seinem Fleisch weiter. Stille hatte sich wie eine gewittrige Schwüle über den Saal gelegt. Schweigen knisterte. Brückfelds mit Marinade verschmierter Mund verzog sich zu einem Grinsen. „Ihr meint also, Jansen, dass unser Gossenknabe seiner Lehrlingshose entwachsen wäre?“

Philipp befeuchtete seine Lippen. „Er verfügt wahrlich über Qualitäten, die ihn gegenüber jedermann auszeichnen. Ich würde mein vollstes Vertrauen in ihn setzen, wenn ... “

„Oh, ich habe Vertrauen in ihn. Fürwahr. Ich habe Vertrauen. Ihr glaubt ja gar nicht, wie viel Vertrauen ich bereit bin, in andere Menschen zu setzen. Ich setzte mein Vertrauen auch in zahlreiche der jungen Leute, die jeden Tag an meine Pforte klopfen, um in meine Dienste zu treten. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, Jansen, welcher Begabung man in Frankfurts Jugend begegnet.“

Philipp schluckte laut. „Ja, die jungen Menschen sind gewiss eine Zierde dieser Stadt.“

Brückfeld bleckte seine gelbbraunen Zähne. „Aber von Vertrauen kann ich mir nichts kaufen. Ich weise sie alle ab, weil ich sie nicht bezahlen kann. Es gibt immer einen, der dieselbe Arbeit besser und zu einem geringeren Lohn erledigt. Ich habe Verantwortung gegenüber meinem Hause, ich muss viele Mäuler stopfen. Dafür muss ich hart schuften. Da kann ich es mir nicht leisten, alle diese vielversprechenden jungen Leute hereinzubitten.“ Er warf einem der Hunde den Knochen derart wuchtig gegen die Schnauze, dass das Tier aufjaulte. „Ein jeder sollte Gott für das danken, was für ihn abfällt. Es könnte auch weniger sein.“

„Sehr wohl, Meister.“

Jeremias’ demütiger Blick fräste sich in den Dielenboden. Ein Fingernagel hatte vor Anspannung seine Handfläche geritzt, sodass Blut in seiner Faust klebte. Er erkannte aus dem Augenwinkel, dass Philipp sich verbeugte, aber er selbst wollte nicht, er wollte nicht demütig sein vor diesem Mann, der ihn all die Jahre nur verachtete. Schließlich wurde er jedoch Philipps ängstlichen Ausdruckes gewahr und so überwand er sich. Er täuschte eine ungeschickte Zerstreutheit vor, indem er seine Verbeugung zu hastig vortrug. Eine Weile mussten sie noch ausharren. Brückfeld leckte sich die Finger ab und wollte sich mit dem Ärmel den Mund abwischen, stockte jedoch und entsann sich seiner Serviette, die von Adligen bevorzugt wurde. Nachdem er dieses kleine Zeremoniell genüsslich abgeschlossen hatte, entließ er seine Untergebenen.

Wortlos gingen Jeremias und Philipp die Stufen hinab zur Straße. Während des gesamten Weges zu ihrer Unterkunft toste ein ohrenbetäubendes Schweigen zwischen ihnen. Als sie die Tür zu ihrer Stube endlich verriegelt hatten, nahm Jeremias wahr, wie seine Rumpfmuskeln sich verkrampften und seine Kehle tobte, um die Wutschreie zu entlassen, die in seinem Innern wüteten. Doch die Wände waren dünn und hinter ihnen wohnten Brückfelds Mieter. Selbst auf Niederländisch wagte er nicht, seine Empfindungen lautstark von der Kette zu lassen. Jeremias ging stumm zu dem Esstisch, beugte sich darüber, schlug seine Hände auf das Möbelstück und ergriff es. Seine Finger zogen sich immer weiter zusammen, bis sie das Holz derart stark würgten, dass dieses um Erbarmen knirschte. Jeremias vernahm, wie sein Mentor einen Schritt von ihm entfernt hinter ihm stehen blieb und einige Male laut schnaufte.

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